Studien zur Anthroposophie

Michael Muschalle


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Michael Muschalle

Kausalität des Denkens

(Stand 11. 04. 10)

Der Mathematiker, Physiker und Kosmologe Roger Penrose hat vor etlichen Jahren den Versuch unternommen, die moderne Physik mittels einer Theorie des Bewußtseins zu revolutionieren. Speziell ging es ihm darum die Unverträglichkeiten zwischen der Relativitätstheorie Einsteins bzw der Gravitationstheorie auf der einen Seite und der Quantentheorie auf der anderen zu überbrücken.

Auf den ersten Blick mag so ein Projekt phantastisch anmuten. Gleichwohl - in der wissenschaftlichen Welt hat Penrose deutliche Spuren hinterlassen. Ich hoffe hier auf wenigen Seiten so etwas wie einen Eindruck davon zu vermitteln, daß er trotz mancher Brüche und Ungereimtheiten in seiner grundsätzlichen Gedankenführung folgerichtig ist, und gerade für anthroposophische Leser von Interesse sein könnte. Man kann sich nämlich, um die moderne Physik zu revolutionieren, aus der Sicht der Anthroposophie kaum einen besseren Ausgangspunkt wählen als Penrose: Die Untersuchung von Denk- und Erkenntnisvorgängen.

Mit einer Analyse dieser Vorgänge beginnt Penrose in seinem 1991 in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Computerdenken1) erschienenen Buch. Der Titel deutet es an: Es geht um eine kritische Sondierung der von vielen wissenschaftlichen Zeitgenossen vertretenen These, das menschliche Denken sei letztlich vergleichbar einem im Computer ablaufenden elektronischen Vorgang und von diesem allenfalls durch eine gewisse Komplexität, aber nicht grundsätzlich qualitativ verschieden. Denken ist danach ein physikalischer Prozess, und hat man erst einmal die physikalischen Schranken bisheriger Computerarchitekturen im großen Stil überwunden, dann wird man auch das Leistungsdefizit gegenüber dem menschlichen Denken bald definitiv ausgemerzt haben.

Das Buch Computerdenken liest sich über weite Strecken wie ein Plädoyer für die Rettung des Denkens gegenüber der blinden und verständnislosen Leistung der Rechenmaschine. In diesem Plädoyer hat Penrose zweifellos seine starken Seiten. Wirkliches, von Einsicht getragenes Denken, so Penrose, sei etwas vollkommen anderes als das algorithmisch gesteuerte, automatisierte Procedere der Rechenmaschine, der die Gesetzmäßigkeit dieses Verlaufs grundsätzlich fremd und unzugänglich bleibt (S. 407 f). Mathematische Wahrheitsfindung etwa läßt sich nicht unbegrenzt formalisieren und mechanisieren, sondern verlangt immer irgendwann Entscheidungen über ein Wahr oder Falsch, die der programmierte Formalismus einer noch so raffinierten Maschine prinzipiell nicht leisten kann (S. 107 ff; S. 406). Penrose geht noch weiter: Das Wesen der mathematischen Einsicht, so meint er, bestehe nicht nur in der abstrakt-nüchternen Erkenntnis von mathematischer Gesetzmäßigkeit, sondern basiert eigentlich auf einer Art Kontakt zu ideellen platonischen Wesenheiten, die gegenüber dem menschlichen Denker völlig eigenständig existieren. Mathematische Ideen werden nicht erfunden oder konstruiert, sondern entdeckt auf dem Wege einer intellektuellen Wahrnehmung dieser Wesenheiten (S. 92 ff; S. 416 ff). - Dem anthroposophischen Leser wird dies irgendwie vertraut vorkommen.

Wichtig für den physikalischen Gedankengang bei Penrose ist der Augenblick des Kontaktes zu den platonischen Wesenheiten zum Zeitpunkt der Einsicht. Was im Denken als Gedankeninhalt vorzugsweise im Moment der Einsicht bewegt wird, kann zwar etwas außerordentlich Vielfältiges sein und riesige Gebiete des Wissens umspannen. Aber es mag in sich noch so reich und disparat sein, für das Bewußtsein ist es ein in sich zusammenhängender Sinn – eine Einheit. Die Einheit dieses Bewußtseins im Moment der Einsicht ist es, die Penrose in dem Gedanken bestärkt, mittels einer Bewußtseinstheorie die Unverträglichkeiten zwischen den großen physikalischen Theorien der Gegenwart zu überbrücken. Denn es geschieht in diesem Einsichtsvorgang offensichtlich etwas, was Ähnlichkeit hat mit Quantenvorgängen, aber es geschieht in einem Bereich, für den die Quantentheorie nicht gilt. Irgend etwas muß vom Denken her in dem ungeheuer verschlungenen Netzwerk von Nervenzellen, Neuriten und Synapsen physiologisch-physikalisch wirken, denn das Denken hat ein physiologisches Korrelat. Dieses Wirkende muß dort punktgenau physiologische Prozesse initiieren, und zwar gleichzeitig, denn im Einsichtsprozeß werden die unterschiedlichsten Bewußtseinsinhalte oft schlagartig in Sekundenbruchteilen zu etwas Neuem verknüpft. Wer oder was, so seine Frage, verknüpft da im selben Augenblick komplexe Inhalte und organisiert physiologische Prozesse? Die Gleichzeitigkeit dieses Geschehens veranlaßt ihn (S. 389) zu der Annahme, es könne hier eine Beziehung bestehen zu simultanen Vorgängen, die in der Quantentheorie unter dem Ausdruck der Quantenparallelität firmieren. Quantenvorgänge aber spielen sich nur in der Welt des Allerkleinsten ab, dem gegenüber sich die betroffenen Areale des Gehirns wahrhaft gigantisch ausnehmen und um viele Größenordnungen darüber liegen. Könnte man was hier geschieht verstehen, so seine Hoffnung, dann hätte man eine neue Physik.

So viel zunächst zu den fruchtbaren Gedankengängen bei Penrose. Kritisch ist anzumerken, daß Penrose aus dem Territorium naturwissenschaftlicher Gedankenbildung selten wirklich hinauskommt. So daß beim Leser die Frage auftaucht, ob er tatsächlich nur die die Physik mittels einer Untersuchung des Denkens zu revidieren sucht, oder ob er nicht eher darauf aus ist, einen raffiniert verfeinerten mathematisch-physikalischen Superformalismus zu finden, der Denken und Bewußtsein ursächlich erklärt? Beobachtungen des Bewußtseins im bewußtseinsphänomenologischen Sinne existieren in der Tat im Buch Computerdenken eher spärlich, und im weiterführenden Nachfolgeband „Schatten des Geistes2) schon so gut wie gar nicht mehr. Penrose lehnt (Schatten des Geistes, S. 15) den Mystizismus (was immer das sein mag) ab, und ist stattdessen überzeugt, „ ... daß in einer umfassenderen Naturwissenschaft und Mathematik so viel Geheimnisvolles stecken wird, daß letztlich auch das Geheimnis von Geist und Bewußtsein in diesem Rahmen behandelt werden kann." Bewußtseinswissenschaft ist für Penrose vorwiegend deckungsgleich mit einer an der Physik und den Naturwissenschaften orientierten Methodologie, der ein Verfahren der inneren und direkten Beobachtung von Bewußtseinserscheinungen weitgehend fremd und suspekt bleibt. Von Seiten der Physik aber, und da liegt der Pferdefuß seines Unternehmens, ist Bewußtsein überhaupt nicht direkt erreichbar. Das ist keine neue Einsicht, aber sie wurde erst unlängst wieder von seiten der analytischen Philosophie bestätigt. 3)

Diese methodische Eindimensionalität verleiht seinem Ansatz etwas Schillerndes und Ambivalentes. Darin ist er ganz das Kind einer Zeit, die ihm bislang kaum andere wissenschaftliche Denkmöglichkeiten eröffnet hat. Deren akademische Wissenschaft fast eine Jahrhundert lang den unmittelbaren Erfahrungszugang zum Bewußtsein im großen und ganzen zugeschüttet und diskreditiert hat. Erst seit wenigen Jahren gibt es erneut erkennbar ernsthafte Bestrebungen, diesen Zugang wieder freizulegen. 4)

Trotz dieser Schwachstellen scheint mir Penrose auf einer wichtigen Fährte. Man kann ein Gespür dafür bekommen, wenn man einen kurzen Blick auf Diskussionen der jüngeren Vergangenheit richtet, die sich um die sogenannte Leib-Seele-Wechselwirkung, oder im Jargon der analytischen Philosophie: um mentale Kausalität ranken. Die Fragestellung an sich hat eine lange Tradition. Sie wurde verstärkt virulent als 1977 die interdisziplinäre Gemeinschaftspublikation Karl Poppers und John Eccles` mit dem Titel „The Self and its Brain5) erschien. Mit der geballten Kraft des angesehenen Philosophen und eines Nobelpreisträgers für Gehirnphysiologie wird dort der Versuch unternommen, der verbreiteten Auffassung entgegenzutreten, Bewußtseinsphänomene seien letztlich dasselbe wie physikalisch-physiologische Vorgänge, oder aber durch diese bedingte, belanglose und im ursächlichen Sinne wirkungslose Begleiterscheinungen solcher Prozesse. Demgegenüber vertreten beide die Ansicht, es gäbe einen von der Physik unabhängigen Bewußtseinsbereich, der seinerseits einen direkten ursächlich steuernden Einfluß auf die physiologischen Vorgänge, namentlich des Gehirns hat.

Für die Physik ist so ein Ansatz beunruhigend, weil er mit einer nahezu sakrosankten Vorstellung kollidiert: der kausalen Geschlossenheit der physikalischen Welt. Denn wenn es vom Bewußtsein her einen erstursächlichen Einfluß auf Vorgänge des Gehirns gibt, dann müßte Energie faktisch aus dem Nichts zugeführt werden, und so etwas schließt der Energieerhaltungssatz aus. In diese Richtung bewegt sich denn auch manche Gegenkritik 6), während Popper seinerseits die Annahme „daß Michelangelos Werke bloß das Ergebnis von Molekularbewegungen sind und sonst nichts“, noch weit absurder scheint als eine Verletzung des ersten Gesetzes der Thermodynamik. (Popper/Eccles, 1982, S. 641). Schließlich auch, so Popper, sei die Entwicklung der Physik offen und niemand wisse, wie die Physik der Zukunft aussehen wird (Ebd., S. 640).

Auf jeden Fall hat das gewichtige Buch von Popper und Eccles der akademischen Debatte um Bewußtsein und Freiheit einen nachhaltigen Schub verliehen. Die in der anschließenden Diskussion um mentale Kausalität offenbar werdenden physikalischen und bewußtseinstheoretischen Konsequenzen faßt der Philosoph Peter Bieri später in den prägnanten Sätzen zusammen: "Wenn mentale Phänomene nicht-physische Phänomene sind und wenn es mentale Verursachung gibt, dann kann der Bereich physischer Phänomene nicht kausal geschlossen sein. Wenn er jedoch kausal geschlossen ist und wenn mentale Phänomene nicht-physische Phänomene sind, dann kann es allem Anschein zum Trotz keine mentale Verursachung geben. Und wenn es sie trotz der kausalen Geschlossenheit der physischen Welt gibt, dann kann es nicht sein, daß mentale Phänomene nicht-physische Phänomene sind." 7)

Fragen des Bewußtseins, des Erkennens und der Freiheit, so viel wurde in diesem Disput deutlich, sind äußerst eng und folgenreich mit basalen Fragen der Physik verschränkt. Filtriert man die wesentlichen Gedankengänge der polaren Positionen heraus, so läßt sich folgende Sicht – angenähert derjenigen Poppers und Eccles´ entsprechend - resümieren: Kausale Geschlossenheit der physikalischen Welt schließt Erkenntnis und Freiheit aus. Logisch begründetes Erkennen hingegen schließt Freiheit und mentale Kausalität ein und hebt implizite die gegenwärtige Physik aus den Angeln, indem sie inbegriffen den Energieerhaltungssatz für ungültig erklärt.

Denn: In der physikalischen Welt gilt das Prinzip der Kausalität, wonach alles, was geschieht, durch physikalische Vorgänge ausnahmslos determiniert ist. Erklärt man das Bewußtsein zu einem durchgängig physiko-kausal festgelegten Anhängsel des Organismus, dann sind Erkenntnis und Freiheit eine Illusion. Was wir denken und wie wir handeln ist dann kein Resultat von freier, logisch verankerter Einsicht, sondern die physiologischen Verhältnisse des Gehirns zwingen uns zu tun und zu denken, was immer wir tun und denken. Damit aber begibt sich die Naturwissenschaft selbst auf ein heikles Terrain, denn Erkenntnis fußt auf logisch begründeter Einsicht und setzt damit Freiheit von leiblichen Kausalbestimmungen voraus. Wenn sie nun den Erkenntnisprozeß zu einem bloß leiblich-kausalen Ereignis umdefiniert, so erklärt sie implizite alles Erkennen und logische Begründen zur Täuschung, womit sie sich am Ende den Ast absägt, auf dem sie selbst sitzt, denn sie lebt ja ihrerseits ganz und gar vom logischen und damit leiblich ungebundenen Element des Erkennens. 8)

Läßt man also Erkenntnis und Freiheit zu, dann muß man auch mentale Kausalität zulassen, und das hat weitreichende Folgen für das physikalische Weltverständnis.

Anders gesagt: Die Erkenntnisfrage ist auch eine physikalische Frage. Dieser Sachzusammenhang macht den Ansatz von Penrose so bemerkenswert, weil er wie kaum ein anderer direkt von den Tatsachen des Denkens her die Physik zu erneuern sucht, und sich wiederum in der Tatsache des freien, erkennenden Denkens all die Fragen um mentale Kausalität wie in einem Brennpunkt bündeln. Sein Versuch ist von der Anlage her folgerecht, wenn auch in mancher Hinsicht nicht stringent zu Ende gedacht. Vor allem aber aus anthroposophischer Sicht scheint er schlüssig. Denn für Rudolf Steiner sind zwar alle Prozesse des normalen Seelenlebens sehr abhängig vom Leibesleben, wenn auch nicht in der Weise, wie die Naturwissenschaft sich das vorstellt. Doch mit einer bedeutungsvollen Ausnahme: Das Denken ist schon auf der Stufe des gewöhnlichen Seelenlebens in hohem Maße gegenüber den leiblich-physiologischen Vorgängen autonom. Wenn es also vom seelischen Innenleben her erstursächliche Einflüsse auf körperliche Vorgänge gibt, dann wird man sie am ehesten in den leiblichen Gegenbildern des Denkens und Vorstellungslebens ausfindig machen müssen, wo auch Penrose seine Belege für die neue Physik sucht: in den Vorgängen und Mikrostrukturen von Gehirn und Nervensystem.

Ich will diesen Sachverhalt noch ein wenig aus der Sicht der Anthroposophie beleuchten: Viele Leser werden folgende Passage aus dem XI. Kapitel von Rudolf Steiners Philosophie der Freiheit kennen. 9) Steiner kommt in diesem Zusatz zur Zweitauflage von 1918 direkt auf das Verhältnis des Denkens zur leiblichen Organisation des Menschen zu sprechen und schreibt (S. 147): „Das menschliche Denken tritt für die gewöhnliche Erfahrung nur an und durch diese [leiblich-seelische Organisation, MM] Organisation auf. Dieses Auftreten macht sich so stark geltend, daß es in seiner wahren Bedeutung nur von dem­jenigen durchschaut werden kann, der erkannt hat, wie im Wesenhaften des Denkens nichts von dieser Organisation mitspielt. Einem solchen wird es dann aber auch nicht mehr entgehen können, wie eigentümlich geartet das Verhältnis der menschlichen Organisation zum Denken ist. Diese be­wirkt nämlich nichts an dem Wesenhaften des Denkens, sondern sie weicht, wenn die Tätigkeit des Denkens auftritt, zurück; sie hebt ihre eigene Tätigkeit auf, sie macht einen Platz frei; und an dem freigewordenen Platz tritt das Denken auf. Dem Wesenhaften, das im Denken wirkt, obliegt ein Doppeltes: Erstens drängt es die menschliche Organisation in deren eigener Tätigkeit zurück, und zweitens setzt es sich selbst an deren Stelle. Denn auch das erste, die Zurückdrängung der Leibesorganisation, ist Folge der Denktätigkeit. Und zwar desjenigen Teiles derselben, der das Erscheinen des Denkens vorbereitet. Man ersieht aus diesem, in welchem Sinne das Denken in der Leibesorganisation sein Gegenbild findet. Und wenn man dieses ersieht, wird man nicht mehr die Bedeutung dieses Gegenbildes für das Denken selbst verkennen können. Wer über einen erweichten Boden geht, dessen Fußspuren graben sich in dem Boden ein. Man wird nicht versucht sein, zu sagen, die Fußspurenformen seien von Kräften des Bodens, von unten herauf, getrieben worden. Man wird diesen Kräften keinen Anteil an dem Zustandekommen der Spurenformen zuschreiben.“

Diese Passage bewegt sich sachlich inmitten der Diskussion um mentale Kausalität und bezieht dezidiert Stellung, wenn von einer Zurückdrängung der Leibesorganisation durch das Denken die Rede ist. Der Geist wirkt direkt kausal auf die physiologischen Vorgänge ein und zwingt sie zum Rückzug. Steiner geht hier noch nicht auf physikalische Detailfragen ein. Daher mag mancher Leser geneigt sein, seinen Ausdruck der Zurückdrängung für eine metaphorische Wendung zu halten, die im übrigen die Physik beläßt wie sie ist, und wird vielleicht eine irgendwie geartete Vereinbarkeit dieser Zurückdrängung mit der derzeitigen Physik ins Auge fassen. Doch dem ist nicht so – es gibt keine Vereinbarkeit. Die Untersuchung des Denkens hat bei Steiner unmittelbare Folgen für das physikalische Weltverständnis und stellt die gegenwärtige Physik mit ihrer kausalen Geschlossenheit infrage. Der Vorgang, von dem hier die Rede ist, verletzt den Energieerhaltungssatz, und zwar ausdrücklich, wie Steiner 1921 sagen wird.

In späteren Vorträgen wird Steiner in dieser Angelegenheit sehr explizit und spricht unverblümt gar von einer Vernichtung der Materie durch den Denkprozeß, wie etwa 1921, wo es heißt: „Man erlebt etwas ganz Gewaltiges, wenn man sich intuitiv in die Natur des Erkennens hineinlebt. Man weiß dann, wie man als Mensch materiell organisiert ist. Man weiß, wie weit diese materielle Organisation reicht; aber man durchschaut auch durch die Intuition, daß jene nur bis zu dem reicht, was als eine Widerlage, gewissermaßen als Boden dient, auf dem sich das Denken entwickeln kann, aber daß die materiellen Vorgänge in sich selber abgebaut werden müssen da, wo wirkliches Denken erscheint. In demselben Maße, in dem die materiellen Vorgänge abgebaut werden, kann Platz greifen in uns dasjenige, was jetzt an die Stelle der Vernichtung des Materiellen tritt: das Denken, das Vorstellen. […] Ich weiß alles, was eingewendet werden kann gegen die Sätze, die ich in diesem Augenblick ausspreche, aber das intuitive Erkennen führt dahin in bezug auf das Materielle, einzusehen, daß dort, wo das Denken sich entwickelt, ein Nichts vom Materiellen zu erblicken ist. Es führt dahin, zu sagen: Indem ich denke, bin ich nicht, wenn ich das materielle Sein, das man sonst als das maßgebende anerkennt,als einziges Sein gelten lasse. Es muß erst die Materie sich zurückziehen im Organismus und Platz machen dem Denken, dem Vorstellen; dann sieht dieses Denken, dieses Vorstellen, die Möglichkeit seiner Entfaltung im Menschen. Dort also, wo wir das Denken in seiner Wirklichkeit wahrnehmen, nehmen wir Abbau, Vernichtung des materiellen Daseins wahr. Wir schauen hinein, wie die Materie ins Nichts übergeht. […] Hier ist es, wo wir an der Grenze des Gesetzes von der Erhaltung der Materie und der Kraft stehen. Man muß den Ausdehnungsbereich dieses Gesetzes von Materie und Kraft erkennen, damit man den Mut fassen kann, ihm dann zu widersprechen, wenn es nötig ist. Niemals kann irgend jemand die Wesenheit des Denkens unbefangen an der Stelle, wo Materie sich selbst vernichtet, durchschauen, der das Gesetz von der Erhaltung des Stoffes als ein absolutes anerkennt, der nicht weiß, daß es gilt im Bereich dessen, was wir äußerlich überschauen im physischen, im chemischen Felde und so weiter, daß es aber nicht gilt dort, wo unser Denken auf dem Schauplatze unserer eigenen menschlichen Organisation auftritt. Wenn es nicht nötig wäre, aus gewissen Untergründen heraus diese Erkenntnis heute vor die Welt hinzustellen, man würde sich nicht all den Spöttereien und all den Einwänden aussetzen, die ganz begreiflicherweise kommen müssen von denjenigen, die aus den bekannten Voraussetzungen heraus das Gesetz von der Erhaltung der Materie und der Kraft für absolut halten, für ausnahmslos geltend.“ 10)

Wenn man Steiner folgt, dann ist die Kraft des im Denken wirkenden Wesenhaften den physiologischen Vorgängen direkt kausal entgegengerichtet. Und an der Nahtstelle von Leibesleben und Gedankenleben, da, wo diese Kräfte aufeinandertreffen, wäre der Ort, an dem Penrose seine neue Physik entdecken sollte. Von Steiner könnte er vermutlich auf theoretischen Beistand zählen, solange er nicht auf den Gedanken verfällt, mit dieser Physik sei Geist und Bewußtsein erklärbar, sondern sie als Physik begreift, die sich aus der Existenz von Geist und Bewußtsein herleitet.

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In ihren sehr zukünftigen technischen Möglichkeiten wird diese neue Physik eventuell fremdartig anmuten. Wobei sehr zukünftig als durchaus relative Größe zu verstehen ist. Vielleicht erhält man einen ahnungsweisen Eindruck davon, wenn man einen Blick in jenen Roman Bulwer Lyttons wirft, den Guenther Wachsmuth seinerzeit auf ausdrückliche Empfehlung Rudolf Steiners hin ins Deutsche übersetzte. 11) Es hat gelegentlich, wenn man sich mit anthroposophischen Partnern austauscht, den Anschein, so ein Zukunftsentwurf wie von Bulwer Lytton stelle eigentlich etwas recht Phantastisches in ihren Augen dar. Oder sei eine sehr futuristische Fiktion, die, wenn überhaupt, dann in weit ferner Zukunft anzusiedeln sei ohne einen direkten Bezug zur gegenwärtigen Realität. Alles in allem jedenfalls scheint dies alles nicht allzu weit oben auf der Agenda des anthroposophischen Interesses zu stehen, selbst wenn hin und wieder kürzere Beiträge in anthroposophischen Zeitschriften zu ähnlich gelagerten Themen zu finden sind. Anlaß ist auch hier, so glaube ich, wie so oft ein unzureichendes Verständnis der Erkenntniswissenschaft Rudolf Steiners. Was nach meiner Einschätzung dazu führt, daß nicht wenige Anthroposophen ihrem Verständnis nach gar keine Monisten sind, wie es der Auffassung Steiners entspräche, sondern Dualisten, die sich darüber wundern, wie der Geist mit der Materie wechselwirken und dort kausale Wirkungen hervorrufen kann. Und wenige nur scheinen bereit zu der Annahme, Bulwers Entwurf habe überhaupt irgend etwas mit Steiners Erkenntniswissenschaft zu tun. Und doch, davon bin ich fest überzeugt, ist es so.

Was der britische Romancier dort in eine sehr freie literarische Form bringt ist in seiner grundsätzlichen Wirklichkeitshaltigkeit auch eine klare logische Konsequenz aus den erkenntnistheoretischen und freiheitsphilosophischen Grundannahmen Steiners. Das erklärt neben der Dringlichkeit, die er dieser Sache beilegt, auch Steiners Engagement in der Übersetzungsfrage. Denn das alles steht in ersten Vorläufern unserer heutigen Zeit vermutlich weitaus näher als mancher ahnt. Man täte gut daran, hier in der Zukunftsprojektion besser nicht in vielen Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden zu kalkulieren, sondern sehr viel kurzfristiger: eher in Jahrzehnten oder wenigen Generationen. Die Naturwissenschaft verläuft in ihrer Entwicklung nicht linear, sondern exponentiell und in Sprüngen. Und manche staunenswerte Entdeckung, die heute unser Leben durchgängig bestimmt, konnten sich vor hundert Jahren sicher die allerwenigsten vorstellen. Wer hätte sich 1907 denken können, daß rund einhundert Jahre später der Inhalt einer mehrtausendbändigen Bibliothek auf einem daumennagelgroßen Speicherchip untergebracht, und an jedem beliebigen Ort dieser Welt von jedermann mittels kleiner preiswerter Geräte darauf zugegriffen werden kann? (Zur Veranschaulichung: Rudolf Steiners Philosophie der Freiheit aus der Onlinebibliothek Gutenberg paßt vom Datenumfang her mehr als zweitausend mal auf eine gängige 1 GB fassende SD Speicherkarte, wie sie in vielen Digitalkameras gebräuchlich ist. Und die vollständige Gesamtausgabe ließe sich locker auf einem kleinen 20 Euro teuren Speicherstick am Schlüsselbund transportieren. Es bliebe Platz genug für zahllose andere Daten und Bücher.) Schließlich: Was die Naturwissenschaft von heute im Vergleich zu jener vor vierzig oder fünfzig Jahren auszeichnet, ist eine neue Offenheit für Fragestellungen, die sie damals noch weit von sich in den Bereich unseriöser Phantastik und Spinnerei verwiesen hätte. Dazu ein paar Worte weiter unten.

Rudolf Steiner war in seinem Denken sehr viel robuster und bodenständiger als es auf den ersten Blick angesichts seiner philosophischen Schriften scheinen möchte. Und vieles, was sich für den Leser dieser Schriften und Vorträge nur in ätherischen Höhen des Geistes abzuspielen scheint, hat ziemlich handfeste, bisweilen sehr brutale Wirkungen in der sinnlich-irdischen Welt. Das wird gelegentlich übersehen oder in seiner Konsequenz nicht genügend energisch zu Ende gedacht.

In den Jahren 1904 bis 1906 hielt Steiner vor den Mitgliedern der esoterischen Schule verschiedene Vorträge (GA-93, Dornach 1982), in denen er einem sehr ausgewählten Personenkreis einige Tatsachen unterbreitet, die ursprünglich als Geheimwissen esoterischer Gesellschaften gehütet, nun aber öffentlich gemacht werden sollten, weil nach Steiners Auffassung die Naturwissenschaft infolge ihrer Entwicklung auf einen Punkt zustrebte, der ein Gegensteuern verlangte.

Worum ging es? Es war der um die Jahrhundertwende herausgefundene Sachverhalt, daß der Dualismus von stofflich atomarer Körperwelt und Energie wissenschaftlich verabschiedet werden mußte. Beides galt fortan als äquivalent: Materie wurde ein Stück quasi kondensierter Energie. Die physische Welt wurde damit ein gutes Stück einheitlicher, als sie es zuvor noch gewesen war. Und seither hat sie manchen weiteren Schritt in diese Richtung durchgemacht, wenn sie auch von einem Abschluß in dieser Bewegung noch um einiges entfernt ist. Doch dieser sehr bedeutende Schritt der Vereinheitlichung im Sinne einer Materie-Energie-Äquivalenz war für Steiner nur ein Anfang. Ein nächster stand bevor, und dieses war das eigentliche Anliegen seiner Vorträge. Wobei es mir weniger auf zeitgebundene physikalische Details, sondern auf das Tendenzielle seiner Ausführungen anzukommen scheint: Der Naturwissenschaft war jetzt bekannt, daß die elektrischen Erscheinungen und Atome von einem gewissen physikalischen Gesichtswinkel aus dasselbe waren. Sie würde über kurz oder lang auch erkennen, daß im Denken dieselben Kräfte wirken, wie sie den elektrischen Erscheinungen der Natur zugrunde liegen, und somit eine Verbindung herstellen können vom Denken direkt ins Atom: mit der faktischen Kraft des Denkens bis ins Atom hinein wirken können. Worauf Steiner hier im engeren Sinne zielt sind nicht die uns bekannten Kernkräfte, sondern etwas, was weit jenseits dessen liegt und im voll entwickelten Stadium ebenso die Beherrschung des Mineralischen wie des Lebendigen einschließt. (Siehe zu diesem Aspekt auch die Sonderhinweise der Herausgeber auf S. 354 ff von GA-93) In diesem Vortragszusammenhang taucht auch der Name Bulwer und sein Zukunftsroman Vril auf, den ich oben erwähnte. Dieser habe, so Steiner (S. 281), ein Wissen von rosenkreuzerischen Geheimnissen gehabt.

Die weitere Entwicklung der Naturwissenschaften, führt Steiner aus, werde unermeßliche Folgen für die Menschen haben: „Das Geheimnis, welches gefunden wird, ist, daß Elektrizität genau dasselbe ist – wenn man auf einem gewissen Plan zu beobachten versteht -, was der menschliche Gedanke ist. Der menschliche Gedanke ist dasselbe Wesen wie die Elektrizität: das eine Mal von innen, das andere Mal von außen betrachtet. [...] Wer nun weiß, was Elektrizität ist, der weiß, daß etwas in ihm lebt, das in gefrorenem Zustand das Atom bildet. Hier haben Sie die Brücke vom menschlichen Gedanken zum Atom. ... In dem Augenblicke, wo die Menschen diese elementarste okkulte Wahrheit von Gedanke, Elektrizität und Atom erkannt haben werden, in dem Augenblicke werden sie etwas erkennen, was das Wichtigste sein wird für die Zukunft ... . Sie werden mit den Atomen bauen können durch die Kraft des Gedankens.“ (S. 113) Allerdings, die Menschen würden nicht nur bauen, Maschinen bewegen und Lebensprozesse organisieren mit der Kraft der Gedanken, sondern auch in einem nie dagewesenen Ausmaß zerstören können. (S. 123; S. 285f) Wenn Rudolf Steiner übrigens dort auf S. 287 davon spricht, daß die Menschheit auf einem Vulkan tanze und es nur noch nicht wisse, dann hat er sicherlich nicht vorausschauend die großen weltumspannenden Ereignisse im Auge, die mit den politischen Entwicklungen und nachfolgenden beiden Weltkriegen einhergingen, sondern Entdeckungen hinsichtlich dieses Wechselverhältnisses von Denken und Naturkräften, und damit verbundene Möglichkeiten, die alles in den Schatten stellen, was bis dahin die moderne Menschheit sich angeeignet hat.

Auch wenn es sich hier um zum Teil recht bruchstückhafte Vortragsmitschriften handelt, ist am grundsätzlichen Tatsachengehalt solcher Zuhörerprotokolle kaum zu zweifeln. Diese Dinge sind absolut ernst zu nehmen. Das liegt, wie ich gleich ein wenig zu demonstrieren versuche, auch daran, daß der von Steiner erkenntniswissenschaftlich begründete und vertretene weltanschauliche Monismus solche Entwicklungen prinzipiell realistisch und plausibel erscheinen läßt. Es gibt also keinen Steiner, der in seiner Frühzeit Erkenntniswissenschaft betrieben und dann später ganz unabhängig davon bloß theosophisch östliches Gedankengut assimiliert hat, oder anderweitig auf solche Ideen gekommen ist. Sondern diese Dinge hängen auf jeden Fall auch systematisch mit einander zusammen. Steiner kam es infolgedessen in den Vorträgen wesentlich darauf an zu verdeutlichen, daß die künftigen Kräfte nur würden segensreich wirken können, wenn sich die Menschheit in völliger Selbstlosigkeit ihrer bediente. Ihre egoistische Nutzbarmachung müßte eine zerstörerisch-chaotische Entwicklung zur Folge haben – den von Steiner häufig erwähnten Krieg aller gegen alle (S. 114; S. 123), den man auch in Bulwers Roman beschrieben findet. Daß Rudolf Steiner neben der spirituellen Erkenntnis vor allem in der sozialen Dreigliederung ein entscheidendes Instrument sieht, den schlimmsten Auswüchsen derartiger Entwicklungen schon im Vorfeld zu begegnen, auch das leuchtet dem Leser überall in diesen seinen Vortragsausführungen schon entgegen.

Wer diesen Kontext kennt, der ist zunächst einmal verblüfft über die sachliche Nähe von Penrose zu Steiner. Auch in manchen anderen Details, die ich oben nicht erläutern konnte. Mit einer Theorie des Bewußtseins, zumal mit einer des Denkens die Physik zu revolutionieren, indem die Verwandtschaft zwischen dem Denken und den quantenelektrodynamischen Erscheinungen ins Auge gefaßt wird, das liegt exakt auf der Linie dessen, was Steiner vor den Mitgliedern der esoterischen Schule beleuchtet. Deswegen habe ich in einer meiner Internetarbeiten gesagt, Penrose sei demjenigen auf der Spur, was Steiner das Ätherische oder Bildekräfte nennt. Es gibt freilich einen gravierenden Unterschied: Das Resultat bei Penrose wäre eine Physik des Geistes - eine Art theosophischer Materialismus. Bei Steiner hingegen sind die Naturerscheinungen Folge von Geist-Kräften.

Nun ein Wort zu Steiners erkenntniswissenschaftlicher Begründung derartiger Zukunftsszenarien: Die innere Verwandtschaft von Natur und Geist ist auch Gegenstand der Besprechung einer Rede des schon in den obigen Vorträgen wiederholt (S. 101; S.112 f) genannten britischen Premierministers Balfour zum Stand der Naturwissenschaft, die Steiner im November 1904 in der Zeitschrift Luzifer-Gnosis erörtert. (GA-34, Dornach 1960, S. 467 ff). Tenor seiner Ausführungen ist auch hier die relative Nähe der neueren Naturwissenschaft zum Gedankengut der (damals noch) Theosophie. Steiner läßt seine Erörterung Balfours ausklingen in der Bemerkung: „Der Kern der Natur muß doch im Innern der Menschenseele gefunden werden; dann wird er sich auch im Universum enthüllen.“

Damit sind wir bei Steiners philosophischen Frühschriften. Es gibt eine direkte Linie von den genannten Mitgliedervorträgen zu seinen erkenntnistheoretischen Grundlagen der Anthroposophie. Der abschließende Gedankengang aus der Besprechung Balfours – „Der Kern der Natur muß doch im Innern der Menschenseele gefunden werden; dann wird er sich auch im Universum enthüllen.“ - findet sich ähnlich am Ende des zweiten Kapitels der Philosophie der Freiheit (GA-04, 1978): “Wir können die Natur außer uns nur finden, wenn wir sie in uns erst kennen. Das ihr Gleiche in unserem eigenen Innern wird uns der Führer sein. Damit ist uns unsere Bahn vorgezeichnet. Wir wollen keine Spekulationen anstellen über die Wechselwirkung von Natur und Geist. Wir wollen aber hinuntersteigen in die Tiefen unseres eigenen Wesens, um da jene Elemente zu finden, die wir herübergerettet haben bei unserer Flucht aus der Natur.“

Was Steiner hier ausführt ist keineswegs nur in einem philosophisch schöngeistigen oder spekulativen Sinne zu nehmen, sondern hat wie gesagt beinharte Konsequenzen auch für das Wechselverhältnis von menschlichem Denken und äußerer Natur. Im Denken wird einerseits dasjenige erkannt, was eines Wesens ist mit der Natur und ihren Kräften. Das, weil es den Gegensatz von Objekt und Subjekt übegreift, den Dualismus von Ich und Welt überwindet und die ursprünglich monistische Einheit der Welt im Erkennen wieder herstellt. Es ist aber eben nicht nur theoretisches Mittel der monistischen Befreiung aus einer dualistischen Befangenheit, sondern zugleich Erfahrungsgegenstand, in dem das innere Wesen der einheitlichen Natur sich von seiner inhaltlichen und kraftenden Seite zeigt. Der im Denken lebende und wirkende Geist ist die eigentliche Ur-Kraft der Natur, die auch in allen ihren Erscheinungen lebt. Er ist die allumfassende Idee. Kern der Welt, nicht nur im abstrakten philosophisch-metaphorischen, sondern in einem sehr realen kraftenden Sinne, der nicht bloß Ideen produziert, sondern auch Arme und Beine in Bewegung setzt, damit aus Gedanken Handlungen werden. Dieselbe Kraft, die in den Eruptionen ferner Galaxien wirkt; die Pflanzen und Tiere zum Wachsen und Gedeihen bringt, betätigt der Mensch auch in seinem Denken. Sie ist Sinn und Kraft zugleich. Die einzige Kraft, die sich aus sich selbst zu erklären vermag, weil sie durch keine andere bedingt ist (GA-04, S. 145 f). In anthroposophischen Zusammenhängen wird Steiner diesen im Denken wirkenden Geist auch das Ätherische oder Bildekräfte nennen – was sich philosophisch etwa unter den Ausdruck lebendige Universalien fassen läßt.

Ich denke, daß Steiner diese ätherische Kraft meint, wenn er in den Vorträgen die Gedanken als das Innere der elektrischen Erscheinung bezeichnet. Die Gedanken oder Ideen sind das wirkende Wesen dieser Erscheinungen. Unmißverständliche Aussagen in diese Richtung einer sinnhaften und kraftenden Doppelnatur des Geistes finden sich bereits an verschiedenen Stellen in den Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung (GA-02). So am Ende des 8. Kapitels (S. 48) in dem Hinweis darauf, daß der Gedankengehalt der Welt sich von zwei Seiten zeige: „Das eine Mal erscheint er als Tätigkeit unseres Bewußtseins, das andere Mal als unmittelbare Erscheinung einer in sich vollendeten Gesetzmäßigkeit, ein in sich bestimmter ideeller Inhalt.“ Weiter dann auch im Kapitel 13, wenn er dort (S. 79) resümiert: „Unsere Erkenntnistheorie führt zu dem positiven Ergebnis, daß das Denken das Wesen der Welt ist und daß das individuelle menschliche Denken die einzelne Erscheinungsform dieses Wesens ist.“

Das heißt so viel wie: die Welt insgesamt ist gedankenhafter, geistiger Natur. Und die in ihr vorhandenen Kräfte sind wirkende geistige oder Gedankenkräfte. Was zunächst als Wahrnehmung erscheint löst sich in etwas geistig-begriffliches auf, sobald das Erkennen sich ihm zuwendet. Dies zu zeigen, darauf arbeitet Steiner schon in dieser frühen Schrift hin. Was besonders prägnant zum Ausdruck kommt am Ende von Kapitel 11 (S. 68): "Die Überzeugung sollte alle Wissenschaften durchdringen, daß ihr Inhalt lediglich Gedankeninhalt ist und daß sie mit der Wahrnehmung in keiner anderen Verbindung stehen, als daß sie im Wahrnehmungsobjekte eine besondere Form des Begriffes sehen." Das gilt verständlicherweise nicht nur für gegenständlich materielle Wahrnehmungen aller Art, wie Steine, Blumen und Schmetterlinge, sondern auch für alle Formen von wahrnehmbaren oder erschlossenen Kräften. Spätestens 20 Jahre nach Erscheinen dieser Schrift hatte sich die naturwissenschaftliche Welt ohnehin vom hergebrachten Materiekonzept getrennt und die Materie in Kraft oder Energie aufgelöst, so daß die Welt fortan physikalisch gesehen nur noch aus speziellen Konfigurationen von Kräften bestand. Eben diesen Sachverhalt hebt Steiner 1904 in der Besprechung Balfours hervor: Materie wurde zu dem, was er dann in den Vorträgen - tendenziell zutreffend - als gefrorene Elektrizität bezeichnet, deren Inneres der Gedanke sei. Nicht nur als veranschaulichendes Bild gemeint, sondern mit einem sehr realen, geradezu handgreiflichen Hintergrund. Und so spricht er in den Grundlinien ...  in diesem Zusammenhang (S. 80) nicht nur vom Denken als "Wesen" oder „Kern der Welt“ sondern andeutungsweise ganz explizit schon von einer „Urkraft“, ohne sich hier allerdings eingehender darüber auszulassen oder gar einen physikalisch-technischen Bezug herzustellen. Der taucht etwas deutlicher schon am Horizont auf in den Einleitungen in Goethes naturwissenschaftliche Schriften (GA-01). Dort im Kapitel Über ethische und historische Wissenschaften (S. 195 ff), wenn Steiner erläutert, daß der menschliche Wille selbst Idee sei, „diese als Kraft aufgefaßt“. (S. 197) Wie er überhaupt in diesem Sachzusammenhang (S. 198) dem Philosophen Eduard von Hartmann eine ganz und gar unrealistische Zerlegung der Welteinheit in die von einander unabhängigen Aspekte Idee und Kraft respektive Wille vorhält. So eine Zergliederung, so Steiner, könne einer näheren Untersuchung doch nicht stand halten. Wille oder Kraft ließen sich nur als Aspekte oder Erscheinungsweisen der Idee selbst begreifen, aber niemals als selbständige Entitäten neben ihr. Es gibt, so Steiners Auffassung, keine für sich genommen blinden und sinnleeren Kräfte in der Welt, die dann einer davon isolierten und ebenfalls für sich genommen kraftlosen Idee erst zur Wirksamkeit verhelfen. Sondern die Kräfte sind selbst der Idee angehörig und ideeller Natur; das heißt Bestandteile eines umfassenden geistigen Weltengrundes und können somit nicht abgesondert sein von dieser weltumspannenden Sinnhaltigkeit.

Siehe dazu auch die analoge Textstelle aus Steiners Grundlinien... GA-02, Dornach 1979, S. 81 f: "Ein anderer Irrtum muß hier noch seine Berichtigung erfahren. Es ist der, als ob das Denken nicht hinreichend wäre, die Welt zu konstituieren, als ob zum Gedankeninhalt noch etwas (Kraft, Wille usw.) hinzukommen müsse, um die Welt zu ermöglichen.
Bei genauer Erwägung sieht man aber sofort, daß sich alle solche Faktoren als nichts weiter ergeben, denn als Abstraktionen aus der Wahrnehmungswelt, die selbst erst der Erklärung durch das Denken harren. Jeder andere Bestandteil des Weltwesens als das Denken machte sofort auch eine andere Art von Auffassung, von Erkennen, nötig als die gedankliche. Wir müßten jenen anderen Bestandteil anders als durch das Denken erreichen. Denn das Denken liefert denn doch nur Gedanken. Schon dadurch aber, daß man den Anteil, den jener zweite Bestandteil am Weltgetriebe hat, erklären will und sich dabei der Begriffe bedient, widerspricht man sich. Außerdem aber ist uns außer der Sinneswahrnehmung und dem Denken kein Drittes gegeben. Und wir können keinen Teil von jener als Kern der Welt gelten lassen, weil alle ihre Glieder bei näherer Betrachtung zeigen, daß sie als solche ihr Wesen nicht enthalten. Das letztere kann daher einzig und allein im Denken gesucht werden."

Sinn und Kraft sind aus diesem Blickwinkel gesehen dasselbe. Damit korrespondieren auch Vortragsäußerungen des späteren Steiner zur Natur des reinen Denkens, wenn er davon spricht, daß im reinen Denken Wille und Denken zusammenfallen - und das reine Denken "ebensogut als reiner Wille anzusprechen" ist. (Siehe etwa GA-202, Dornach 1980, S. 202; Vortrag v. 19.12.1920; und ebenso GA-322, Dornach 1981, S. 124, Vortrag vom 3. Okt. 1920.) Kraft und Idee sind demnach auch beim reinen Denken eines. Im Denk-Willen lebt sich beim reinen Denken gewissermaßen der wesenhafte Welten-Wille respektive die Weltgeistigkeit unmittelbar und ungeteilt aus. Man könnte hier ergänzend noch verschiedene über das Vortragswerk verstreute Äußerungen Steiners anführen, dahingehend, daß der menschliche Wille mit gewissen Naturkräften verwandt sei. Dem ausführlicher nachzugehen würde an dieser Stelle allerdings etwas zu weit führen, zumal das Grundsätzliche ohnehin schon hinreichend zur Sprache kommt.

Und vollends deutlich wird Steiner dann in der Schrift Goethes Weltanschauung (GA-06, Dornach 1979). Wo es auf S. 83 f heißt: „Solange der Mensch dabei stehen bleibt, die Gegenstände um sich her wahrzunehmen und ihre Gesetze als ihnen eingepflanzte Prinzipien zu betrachten, von denen sie beherrscht werden, hat er das Gefühl, daß sie ihm als unbekannte Mächte gegenüberstehen, die auf ihn wirken und ihm die Gedanken ihrer Gesetze aufdrängen. Er fühlt sich den Dingen gegenüber unfrei; er empfindet die Gesetzmäßigkeit der Natur als starre Notwendigkeit, der er sich zu fügen hat. Erst wenn der Mensch gewahr wird, daß die Naturkräfte nichts anderes sind als Formen desselben Geistes, der auch in ihm selbst wirkt, geht ihm die Einsicht auf, daß er der Freiheit teilhaftig ist. Die Naturge­setzlichkeit wird nur so lange als Zwang empfunden, so lange man sie als fremde Gewalt ansieht. Lebt man sich in ihre Wesenheit ein, so empfindet man sie als Kraft, die man auch selbst in seinem Innern betätigt; man empfindet sich als produktiv mitwirkendes Element beim Werden und Wesen der Dinge. Man ist Du und Du mit aller Werdekraft. Man hat in sein eigenes Tun das aufgenommen, was man sonst nur als äußeren Antrieb empfindet.“ Wenig später heißt es dann (S. 85): “Die eigene Natur der Ideenwelt kann also der Mensch nur erkennen, wenn er seine Tätigkeit anschaut. Bei jeder anderen Anschauung durchdringt er nur die wirkende Idee; das Ding, in dem gewirkt wird, bleibt als Wahrnehmung außerhalb seines Geistes. In der Anschauung der Idee ist Wirkendes und Bewirktes ganz in seinem Innern enthalten. Er hat den ganzen Prozeß restlos in seinem Innern gegenwärtig. Die Anschauung erscheint nicht mehr von der Idee hervorgebracht; denn die Anschauung ist jetzt selbst Idee. Diese Anschauung des sich selbst Hervorbringenden ist aber die Anschauung der Freiheit. Bei der Beobachtung des Denkens durchschaut der Mensch das Weltgeschehen. Er hat hier nicht nach einer Idee dieses Geschehens zu forschen, denn dieses Geschehen ist die Idee selbst.“ In etwas anderen Worten zusammengefaßt: "Wenn alle Naturprozesse nur Manifestationen der Idee sind, so ist das menschliche Tun die agierende Idee selbst." (GA-01, im Kapitel Ethische und historische Wissenschaften, Dornach 1973, S. 199) Das gilt gleichermaßen für das Tun im Denken wie auch das übrige Handeln.

Der Beobachter des Denkens ist - so wie es Steiner schon in den Grundlinien ... und in der Philosophie der Freiheit angedeutet hat - nicht nur Geistesforscher sondern zugleich auch Naturforscher. Ein Naturforscher, der das Innere jener Natur zum Forschungsgegenstand hat, die der herkömmliche Naturwissenschaftler von außen beobachtet. Während der letztere allerdings auf den ideellen Gehalt der Natur, getragen von Experiment und Beobachtung, nur schließt und mit seinen Methoden nie zur unmittelbaren Anschauung der wirkenden Idee - das ist: des wesenhaften Weltengrundes - gelangt, ist gerade dies das Kennzeichen des Beobachters des Denkens: Er sieht unmittelbar das Wirkende und Bewirkte in der Anschauung der tätigen Idee; das ist: seines Denkens. Und damit das, was auch den äußeren Naturerscheinungen als wesenhaft treibende Kraft zugrunde liegt. (Siehe dazu sehr deutlich auch in der Schrift Vom Menschenrätsel , GA-20, Dornach 1984 S. 171 f)

Interessant ist in diesem Zusamenhang, daß Steiner, der aufs Ganze gesehen mit sachlicher Kritik an Goethe sehr sparsam umgeht, hier in der Schrift Goethes Weltanschauung ganz unverblümt und schroff seine Ablehnung gegenüber einer nicht unerheblichen Goetheschen Ansicht zum Ausdruck bringt, wie etwa gegenüber folgender berühmter Bemerkung aus Goethes Essay Bedeutende Fördernis durch ein einziges geistreiches Wort: "Hierbei bekenn, ich, daß mir von jeher die große und so bedeutend klingende Aufgabe: erkenne dich selbst, immer verdächtig vorkam, als eine List geheim verbündeter Priester, die den Menschen durch unerreichbare Forderungen verwirren und von der Tätigkeit gegen die Außenwelt zu einer Innern falschen Beschaulichkeit verleiten wollten. Der Mensch kennt nur sich selbst, insofern er die Welt kennt, die er nur in sich und sich nur in ihr gewahr wird. Jeder neue Gegenstand, wohl beschaut, schließt ein neues Organ in uns auf." Dazu Steiner (GA-06 Dornach 1979, S. 91): "Davon ist gerade das Umgekehrte wahr: der Mensch kennt die Welt nur, insofern er sich kennt. Denn in seinem Innern offenbart sich in ureigenster Gestalt, was in den Außendingen nur im Abglanz, im Beispiel, Symbol als Anschauung vorhanden ist. Wovon der Mensch sonst nur als von einem Unergründlichen, Unerforschlichen, Göttlichen sprechen kann: das tritt ihm in der Selbstanschauung in wahrer Gestalt vor Augen. Weil er in der Selbstanschauung das Ideelle in unmittelbarer Gestalt sieht, gewinnt er die Kraft und Fähigkeit, dieses Ideelle auch in aller äußeren Erscheinung, in der ganzen Natur aufzusuchen und anzuerkennen." Damit ist so viel gesagt wie: Wer sich mit der Natur seines eigenen Denkens nicht hinreichend auseinandersetzt, der wird auch die äußere Welt nie wirklich begreifen. Wir erinnern uns an die oben bereits zitierte Bemerkung Steiners aus der Philosophie der Freiheit: “Wir können die Natur außer uns nur finden, wenn wir sie in uns erst kennen." Derselbe Gedankengang taucht hier in Form einer recht herben Goethekritik neuerlich auf. Und damit ist der Bogen zu Steiners Schlußbemerkung aus der Besprechung Balfours und den erwähnten Mitgliedervorträgen erst einmal geschlossen.

Noch einmal zusammenfassend formuliert: Die äußeren Naturkräfte sind Formen desselben Geistes, den der Mensch beim Denken auch in seinem Innern betätigt - der im Menschen wirkt und im Denken unmittelbar in seiner aktiven Wesenhaftigkeit zu erfahren und zu beobachten ist. Anders gesagt: Der Mensch beobachtet in seinem Denken das Innere derjenigen Naturkräfte, die auch die Naturwissenschaft – allerdings von einer Außenperspektive – beobachtet. Der wirkende und waltende Weltensinn (die Idee) - was sich dann in eine Vielzahl geistiger Entitäten und Individualitäten bei Steiner weiter ausdifferenziert - kommt, so wie Steiner die Dinge hier darstellt, im menschlichen Bewußtsein zu einer Selbstbewußtheit und unmittelbaren Betrachtung seiner selbst. Deswegen auch stehen sich die Naturwissenschaft und die Anthroposophie – Steiner weist oft genug darauf hin – nicht unversöhnlich gegenüber. Was der Naturwissenschaftler mit seiner Begriffsbildung nur erschließt, aber nicht unmittelbar anschaut, das wiederum schaut der Geistesforscher aus der Innenperspektive unmittelbar an. Ganz konkret gesprochen: Der geistige Beobachter schaut direkt das Wirken jener quantenelektrodynamischen Erscheinungen - gleichsam das Licht von innen - an, die der Physiker Penrose mit seinem Verfahren nur schlußfolgernd erreicht und mit seinem wissenschaftlichen Instrumentarium nie unmittelbar erleben kann.

Der innere Beobachter erhält auf diesem Wege, sehr allgemein gesprochen, ein unmittelbares Bild der in der Welt ausgebreiteten und wirkenden Weltenweisheit, die in ihm selber lebt und wirkt. (Das Zuhörerprotokoll spricht oben in extremer Verkürzung und Vereinfachung nur vom Gedanken als dem Inneren der Elektrizität. Dabei kann man natürlich nicht stehen bleiben, sondern muß diesen ein wenig dahingeworfenen Verständnisbrocken entsprechend ausweiten und mit mehr Inhalt füllen.) Und der äußere Beobachter erhält ein nur mittelbares hochabstraktes mathematisch-physikalisches Formelwerk, ebenfalls ein rein ideelles Begriffsgebilde, das im Idealfall und insofern noch Zukunftsmusik, die Verwandtschaft aller Kräfte zueinander beschreibt. Was dem letzteren dann wie eine Vielheit miteinander verwandter und interagierender Kräfte erscheint, das wird aus der Innenperspektive eine Vielheit mit einander verwandter und interagierender Geistindividualitäten - das alles natürlich innerhalb gewisser Grenzen gesehen. Die Bilder, die beide liefern, - vorausgesetzt ihre Forschung verläuft korrekt - schließen sich folglich nicht aus, sondern verhalten sich etwa wie ein photographisches Positiv zum Negativ und sind daher bei aller Verschiedenheit aus einem gewissen Gesichtswinkel betrachtet doch irgendwie deckungsgleich. Wenn sie sich mitunter scheinbar in die Quere kommen, dann nur infolge von Mißverständnissen der einen oder anderen Seite. Man vergleiche was Steiner zu diesem Thema etwa in der Schrift Von Seelenrätseln (GA-21, Dornach 1976, S. 32 f) anführt. Aufschlußreich ist auch was er dazu in der Schrift Vom Menschenrätsel (GA-20) sagt. Dort im Kapitel Ausblicke (S. 146 ff, insbesondere S. 171 f).

Nur kann eben der Physiker - und das darf hierbei nicht übersehen werden - mit seinen Mitteln keine Aussagen über Sinnfragen machen. Und noch weniger über so etwas wie kraftenden oder wirkenden Sinn. Er kann das Denken, und damit das Innere der Kräfte, die er untersucht, nicht erklären. Kann den Geist nicht erklären, sondern allenfalls auf ihn schließen. Er steht immer außerhalb und nie innerhalb des Naturprozesses, dem er nachgeht. Erlebt nicht das Wirkende, sondern stets nur das Bewirkte. Das hier weiter auszuführen würde uns allerdings in die Detailfragen der Erkenntnistheorie führen und damit den hier gewählten Bogen überspannen. Er kann methodisch die Innenperspektive grundsätzlich nicht einnehmen, es sei denn, er wird zusätzlich noch Beobachter seines Denkens und bringt dann die beiden Perspektiven auch sachlich zusammen.

Es macht den besonderen Reiz bei Penrose aus, daß er dies hier und da wenigstens ansatzweise versucht, und auch gleich zu erstaunlichen Überlegungen kommt. Nimmt man nämlich Steiner beim Wort und transferiert das, was in den Vorträgen von 1904 bis 06 noch unter dem zeitabhängigen Ausdruck der Elektrizität firmiert in die Sprache der späteren Quantenphysik, dann ist der menschliche Gedanke das Innere dessen, was heute unter einer quantenelektromagnetischen Erscheinung begriffen wird, und dazu gehören auch die Lichtphänomene. Dann liegt Penrose, wenn er die Verwandtschaft zwischen dem Denken und der Quantenphysik sieht, aus Steiners Sicht gesehen bemerkenswert richtig. Und zwar so bemerkenswert richtig, daß (rein spekulativ) die Frage aufkommt, ob er nicht noch aus (nicht genannten) anderen Quellen schöpft. Er wäre nicht der erste bedeutende westliche Physiker, der sich in seiner physikalischen Gedankenbildung von östlichen Weisheitslehren inspirieren läßt. Dann steht auch aus einem anderen Gesichtswinkel mehr noch als Penrose der Biophysiker Fritz Albert Popp in relativer Nähe zu Steiner, der in seinem Buch Biologie des Lichts, Berlin, Hamburg 1984, (S. 139) die Frage aufwirft, ob die Struktur der lebenden Materie nicht überhaupt aus der Eigenschaft der elektromagnetischen Wechselwirkung verstanden werden müsse. Bringt man auch hier beide Perspektiven zusammen, dann braucht man - salopp und natürlich sehr verkürzend gesagt - nur noch Eins und Eins zusammenzählen. Denn was von außen als wirkender Elektromagnetismus erscheint, ist von innen gesehen wirkender Gedanke. Und damit ist man bei Steiners Begriff des Ätherleibes, der die gesamte Lebensorganisation auch des Menschen ebenso wie sein Gedankenleben unterhält. Doch wenn Elementarteilchenphysiker manchmal in populärer Ausdrucksweise davon sprechen, daß sie sich mit dem befassen, was die Welt im Innersten zusammenhält, dann ist das in aller Regel eine mißratene Metapher, die mit ihrem literarischen Vorbild nicht viel zu tun hat.

Weil im Denken dieselben Kräfte wirken wie in der äußeren physischen Welt, nur perspektivisch anders und unvermittelt in ihrer Wesenhaftigkeit wahrgenommen, deswegen ist der Dualismus zwischen Geist und Welt nur ein scheinbarer. Kein wirklich essentieller sondern eben nur ein perspektivischer. Bedingt durch die unterschiedliche Zugangsweise von außen und innen, und – sofern absolut gesetzt – bedingt durch ein sich mißverstehendes Erkennen. Die Frage, wie Geist und Materie aufeinander wirken können, stellt sich für die monistische Position Steiners überhaupt nicht, und erscheint von dort aus eigentlich absurd, weil die Materie ihrem Wesen nach selbst Geist ist. Geist, der nur von der Außenperspektive wie Materie erscheint, sein wirkliches geistiges Wesen aber zeigt, - besser: zu zeigen beginnt -, wenn die durch das Denken erreichbare Innenperspektive eingenommen wird. Es wirkt bei Lichte besehen also nur Geist auf Geist, und das Resultat dieser Interaktion kann dann aus der Außensicht wiederum als physisch materielle Wirkung erscheinen.

Diesen Sachverhalt bringt Steiner 1907, das theoretische Zerflattern des naturwissenschaftlichen Materiebegriffs des 19. Jahrhunderts skizzenartig kommentierend zum Ausdruck. Es ist im Grundsatz nichts anderes als in den philosophischen Frühschriften schon zu lesen ist - die sinnlich-physische Welt ist bei genauer Betrachtung geistiger Natur. Sie erscheint nur materiell, bzw wird infolge naturwissenschaftlicher Abstraktionen zu einer solchen gemacht. Die Naturwissenschaft ist soeben (1907) dabei diesen abstrakten und wirklichkeitsfremden Materiebegriff über Bord zu werfen und wird in fernerer Zeit selbst darauf kommen, daß sich ihr alles Materielle unter der Hand auflöst und nur Geist übrig bleibt: "Diese materielle Welt wird zerstäuben und zerfallen. Anerkannt wird werden, was dahinter ist. Dann wird nachrücken müssen, was man erlebt und erleben kann. Dann wird man erkennen, daß das Atom nichts anderes sein kann als gefrorene Elektrizität, gefrorene Wärme, gefrorenes Licht. Und dann wird man noch weitergehen müssen, daß man in allem verdichteten und gebildeten Geist zu sehen hat. Materie gibt es nicht! Was Materie ist, verhält sich zum Geist wie Eis zum Wasser. Lösen Sie das Eis auf, so gibt es Wasser. Lösen Sie Materie auf, so verschwindet sie als Materie und wird Geist. Alles, was Materie ist, ist Geist, ist die äußere Erscheinungsform des Geistes." (GA-56, Dornach 1985 S. 59, Vortrag Berlin 17. Oktober 1907) Das Zerstäuben und Zerfallen der materiellen Welt ist hier gemeint im Sinne der physikalischen Begriffsbildung darüber. Die Auflösung der materiellen Welt findet also statt auf der gedanklichen Ebene. Und vor allen Dingen findet sie statt in einem sich selbst verstehenden Erkennen. Deswegen mein Hinweis auf Steiners philosophische Frühschriften. Denn dort gehört es zum zentralen Anliegen Steiners diesen Nachweis zu erbringen, daß die Materie ihrem Wesen nach Geist sei. So sagt er entsprechend in seiner Autobiographie (Mein Lebensgang, GA-28, Dornach, 2000, Kap. X, S. 165) er habe in seiner Erkenntnistheorie zum Ausdrucke bringen wollen, "daß die Natur in Wahrheit geistig ist." (Siehe ebendort auch Kap. XVII, S. 245 und Kap. XXIII, S. 334 f)

Siehe ausführlicher auch Steiner in der Schrift, Die Schwelle der geistigen Welt, GA-17, Dornach 1972 S. 77 f: "Wenn das übersinnliche Bewußtsein in diese - geistige -Welt der Gedankenlebewesen eintritt, so fühlt es sich gegenüber der Sinneswelt in vollständig neuen Verhältnissen. Diese Sinneswelt steht ihr in der geistigen Welt als eine "andere Welt" gegenüber, so, wie ihr die geistige Welt in der Sinneswelt als eine andere gegenübersteht. Aber es hat diese Sinneswelt für die Geistesschau alles verloren, was von ihr innerhalb des Sinnesseins wahrgenommen werden kann. Wie verschwunden sind alle Eigenschaften, welche durch Sinne oder den an die Sinne gebundenen Verstand aufgefaßt werden. Dagegen zeigt sich von dem Gesichtspunkte der geistigen Welt aus, daß die wahre, die ureigene Natur der Sinneswelt selbst geistig ist. Es treten für den Seelenblick, der von der geistigen Welt ausschaut, statt der früheren Sinneswelt geistige Wesen auf, die ihre Wirksamkeiten entfalten, und zwar so, daß durch das Zusammenströmen dieser Wirksamkeiten die Welt entsteht, welche, durch Sinne angesehen, eben zu der Welt wird, welche der Mensch in seinem eigenen Sinnessein vor sich hat. Von der Geisteswelt aus gesehen, verschwinden die Eigenschaften, Kräfte, Stoffe usw. der Sinneswelt; sie enthüllen sich als bloßer Schein. Man hat von dieser Welt aus nur noch Wesenheiten vor sich. In diesen Wesenheiten liegt die wahre Wirklichkeit."

Von Naturwissenschaftlern wie Roger Penrose oder Fritz Albert Popp könnte Steiner vermutlich auf zumindest tendenzielle Zustimmung zählen, wenn er schon 1910 ausführt, daß die äußere Materie einschließlich des menschlichen Leibes nichts weiter sei als "kondensiertes Licht": "Es gibt ein Grundwesen unseres materiellen Erdendaseins, von dem alles Materielle nur durch Verdichtung zustande gekommen ist. Und auf die Frage: Was ist das für eine Grundmaterie unseres Erdendaseins? - antwortet die Geisteswissenschaft: Jede Materie auf der Erde ist kondensiertes Licht! Es gibt nichts im materiellen Dasein, was etwas anderes wäre als in irgend einer Form verdichtetes Licht. ... Wir haben also dasjenige, was allem materiellen Dasein zugrunde liegt, im Lichte zu sehen. Und wenn wir den materiellen Menschenleib ansehen, so ist auch er, insofern er materiell ist, nichts anderes als aus Licht gewoben. Insofern der Mensch ein materielles Wesen ist, ist er aus Licht gewoben." (GA-120, Dornach 1992 S. 192; Vortrag in Hamburg vom 27. Mai 1910) Ein moderner Quantenphysiker wie Popp oder Penrose hätte mit so einer Anschauung kaum grundsätzliche Schwierigkeiten. Denn auch unter Quantenphysikern - siehe etwa David Bohm - findet sich durchaus diese Metapher von der Materie als gefrorenem Licht. Und wenn Steiner schließlich an anderer Stelle seine Zuhörer 1920 (!) in einem Votragszyklus über das Wesen der Farben davon unterrichtet, daß Licht und Gedanke "dasselbe" seien, "nur von verschiedenen Seiten gesehen", dann liest sich das nachgerade wie eine Einladung zur interdisziplinären Kooperation der Anthroposophen mit aufgeschlossenen Physikern wie Penrose oder Popp. (Siehe GA-291, Dornach  1991, S. 116; Vortrag Dornach vom 5. Dezember 1920) Eine zentrale Aufgabe, die vorrangig an den erkenntniswissenschaftlich und naturwissenschaftlich orientierten Anthroposophen adressiert ist, liegt dann darin, den wissenschaftlichen Zeitgenossen auch plausibel zu machen, daß das Licht der Physik seinem Wesen nach nichts anderes ist als wirkender Geist respektive wirkender Gedanke. (Man vergleiche hierzu Steiners aufschlußreiche Ausführungen über die Begriffsbildung der neuzeitlichen Physik in dem Kapitel Ausblicke in der Schrift Vom Menschenrätsel, GA-20, Dornach 1984, S. 146 ff)

Was im Denken wirkt ist also kein impotenter Geist, der bloß irgendwie formell mit der leiblichen Organisation des Menschen interagiert, wie es sich durch einen mißverstandenen Dualismus aufdrängen könnte. Sondern der „Kern der Natur“ hat ziemlich derbe Wirkungen auch in dieser Leiblichkeit: denkerische Aktivität und Interaktion mit der physischen Organisation des Menschen sind eine durch und durch dynamische, weil eine und dieselbe Kraft in beiden wirkt. Deswegen auch hat eine Erkenntniswissenschaft und Freiheitsphilosophie, wie sie von Steiner vertreten wird, zwangsläufig direkte Folgen für das physikalische Weltverständnis.

Daß Sinn (Idee) und Kraft eine und dieselbe Sache sind, nur von zwei Seiten gesehen, ist vielleicht eine der schwierigsten Problemstellungen in der Philosophie. Ein etwas technischer und gewiß bei weitem zu kurz greifender Ausdruck dafür wäre der einer wirkenden Information. Ein philosophisch vorgeprägter Leser wird hier sicherlich mit Recht viel eher noch an die mittelalterliche Universalienlehre denken, an die Steiner gelegentlich anknüpft (so in GA-21, S. 138 ff).

Das heißt für Steiner übrigens nicht, daß sich das Ideelle immer auch in äußeren Kraftwirkungen darleben muß. Sondern nur, daß dort, wo äußere Kräfte wirken, diese in ihrem Wesen immer sinnhafter, geistiger Natur sind.

Vor diesem Hintergrund erscheint es nur folgerichtig, wenn das Denken mit den übrigen Naturkräften wechselwirkt und dieses Verhältnis irgendwann einmal technische Anwendungen findet. Von hier, bzw von der Erkenntniswissenschaft zu den Mitgliedervorträgen in GA-93 bedarf es folglich keines grundsätzlichen logischen Schrittes mehr, sondern was Steiner dort erläutert ist nur der Ausdruck seiner idealistisch-monistischen Weltsicht, konsequent übertragen auf die sich anbahnenden physikalisch technischen Entwicklungen einer näheren und ferneren Zukunft. Was Steiner oben vor den Mitgliedern der esoterischen Schule an realen Auswirkungen der naturwissenschaftlichen Entwicklung beleuchtet und vor Augen führt, ist also eine sehr drastische Konsequenz seiner idealistischen Weltauffassung, die schon in den philosophischen Frühschriften dargelegt ist. Das heißt: Er macht seine Schüler mit nichts anderem vertraut als einem essentiellen Gedankengang seiner Erkenntniswissenschaft. Nur diesmal nicht in abstrakter philosophischer Allgemeinheit, sondern bezogen auf den ganz konkreten Fall naturwissenschaftlich technischer Entwicklung. Und daher, wenn man sich mit diesen erkenntniswissenschaftlichen Grundlagen hinreichend vertraut gemacht hat, so wenig phantastisch, wie die Wetterprognosen des DWD etwas mit schamanistischem Zaubertanz zu tun haben. Ein besonders aufgeweckter Zuhörer unter seinen Schülern hätte gar nicht erst der theosophischen Bewegung beitreten müssen, sondern, wenn er gewollt hätte, dies schon 1894 der Philosophie der Freiheit entnehmen können, oder noch früher den Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung.

Freilich sind die genannten Vorträge in einer Zeit gehalten, als die Physik gerade eben auf dem Weg der Formulierung bzw zur Anerkenntnis der Relativitätstheorie war. Eine Quantenphysik, so wie sie heute existiert, gab es damals noch nicht. Und manches hätte Steiner sicherlich 70 Jahre später vor dem Hintergrund einer veränderten Physik noch etwas anders und begrifflich differenzierter - eher in der Sprache der Quantenphysik - formuliert. Möglicherweise auch hat er damals der Physik ein zügigeres Erreichen jenes Punktes zugetraut, von dem aus alle Naturkräfte als Metamorphosen einer einzigen physikalischen Grundkraft begriffen werden können. Dieses Stadium ist bis jetzt nicht erreicht und die beiden großen physikalischen Theorien - Relativitätstheorie und Quantentheorie - sind bis heute nicht vereint. Man wird sich hier also auch nicht allzu eng nur an dem von Steiner damals gewählten Begriff der Elektrizität orientieren dürfen, sondern muß manches in dieser Kräftewelt noch in Betracht ziehen, was bislang nicht bekannt ist. Am grundsätzlichen Gesichtspunkt seiner Bemerkungen ändert das freilich nichts: Da die im Denken wirkenden Kräfte und diejenigen der übrigen Natur sich nicht fremd, sondern wesensgleich sind, ist es mehr als naheliegend hier von einer faktischen Wirksamkeit des Denkens bis in die Elementarteilchenebene hinein zu sprechen. Sie findet auf der Ebene des natürlichen menschlichen Denkens – nimmt man Steiners Erkenntniswissenschaft ernst - bereits permanent statt. Denn die Möglichkeit als solche ist potentiell durch die monistische Einheit der Welt vorgegeben. Es kann aus diesem Blickwinkel gar nicht anders sein. Die Frage ist nur, wann und in welchem Umfang die Menschheit imstande sein wird, dies auch technisch zielgerichtet im nennenswerten Maßstab anderweitig umzusetzen. Ich möchte meinen: Wenn man die Zeichen der Zeit richtig zu lesen versteht, dann steht dies in ersten Anfängen unmittelbar vor der Tür. Beziehungsweise, wenn man bedenkt, daß es die Verschmelzung von Neurobiologie und künstlicher Intelligenz inzwischen so weit gebracht hat, daß der Gebrauch künstlicher Prothesen auf dem Wege der Steuerung via vom Denken ausgehender elektromagnetischer Impulse heute schon möglich ist, dann stehen wir grundsätzlich gesehen sogar schon mitten drin.

Deswegen abschließend noch ein Wort zur Zeitperspektive, die Steiner bei seinen Vorträgen zugrunde legt, wenn er von diesen drastischen Umwälzungen in der Naturwissenschaft und nachfolgend auf der sozialen und globalen Ebene spricht. Man hat, - auch wenn Steiner dort natürlich die Entwicklung weit gedehnter Zeiträume aus sehr differenzierten Gesichtswinkeln ins Auge faßt -, wenn man diese Vorträge aus den Jahren 1904 bis 1906 studiert gleichwohl den Eindruck als rechne er selbst schon sehr bald mit ersten Erscheinungen dieser Art. Wie er ja (S. 114) bereits die drahtlose Telegraphie als einen Anfang davon bezeichnet; übrigens etwas, das heute als elektromagnetische Erscheinung im Verein mit den Lichtphänomenen gesehen wird, und dessen physikalische Grundlagen auf der Ebene der Quantenphysik angesiedelt werden. Und noch mehr kann man diesen Eindruck gewinnen, wenn man sich einige Entwicklungen der gegenwärtigen Naturwissenschaft vor Augen führt. Ich sagte schon, daß die Naturwissenschaft heute gewissen Fragestellungen gegenüber sehr viel offener und unbefangener ist, als sie es vielleicht vor vierzig oder fünfzig Jahren noch war. Dadurch geraten auch Perspektiven der Machbarkeit in ihren Horizont, denen gegenüber sie sich in früheren Jahrzehnten noch weitgehend verschlossen hat. Hinzu kommt, daß durch die Vernetzung disparater Wissenschaftsdisziplinen – Stichwort: Interdisziplinarität - und gewaltig verfeinerte apparative Ausstattung der Naturwissenschaft heute Fragestellungen auch instrumentell und experimentell zugänglich sind, die vor dreißig oder vierzig Jahren bestenfalls auf dem Niveau von Gedankenexperimenten und theoretischer Überlegungen lagen. Heute ist es möglich – vor 50 Jahren kaum vorstellbar - mit Hilfe meditierender tibetanischer Mönche Fragen der Sinnespsychologie einer Klärung zuzuführen, die seit den Zeiten Hermann von Helmholtz` den Psychologen eine Menge Kopfzerbrechen bereiteten. 12) Und daß beispielsweise biologische Zellen und ganze Pflanzen oder Tierorganismen über ultraschwache kohärente Lichterscheinungen (quasi über Mikrolaser) miteinander kommunizieren, wechselwirken und insofern die gesamten biologischen Wachstums- und Stoffwechselerscheinungen auch einer quantenphysikalischen Betrachtung und Neubewertung unterworfen werden müssen, mit allem was daran hängt, das war in den Anfängen dieser Wissenschaft von den Biophotonen in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts noch kaum seriös zu erhärten; schon deshalb nicht, weil es damals keine geeigneten Meßgeräte gab, um derart ultraschwache Lichtemissionen überhaupt zu registrieren und von Lichtemissionen anderer Art hinreichend genau zu isolieren. 13) Das hat sich erst in den 70er und 80er Jahren auf ein wissenschaftlich brauchbares Niveau hin entwickelt. Und vor wenigen Jahrzehnten noch kaum vorstellbar, daß ein Mann wie Fritz Albert Popp, der gegenwärtig zu den weltweit renommiertesten Vertretern dieser Biophotonenforschung zählt, Geistheiler auf ihre Wirksamkeit hin untersucht, - ein Vorhaben, daß ihn vor 40 Jahren mit einiger Wahrscheinlichkeit seinen wissenschaftlichen Ruf gekostet hätte -, und gleichwohl im hochkarätigen Springerverlag zu Fragen der Quantenphysik publiziert im Verein mit Wissenschaftsgrößen wie Anton Zeilinger oder Hans Peter Dürr. 14)

Beispiele dieser Art ließen sich reichlich vermehren. Eine exemplarische Übersicht über diese neue Offenheit und das, was da potentiell möglich ist, kann man auch erhalten, wenn man ein populärwissenschaftliches Buch aus den letzten Jahren aufschlägt: Felix R. Paturi, Die letzten Rätsel der Wissenschaft, Frankfurt/Main, 2005. Der Autor, Physiker und Wissenschaftspublizist, schreibt sich selbst keine Nähe zur Esoterik zu. Und er scheint mir auch ziemlich weit weg von jeder phantastischen Effekthascherei, sondern geht für einen populärwissenschaftlichen Autor vergleichsweise sehr nüchtern mit einigen Tatsachen um, denen man sich heute wissenschaftlich widmen kann. Was, wie er S. 14 sagt, die Wissenschaft alter Schule kaum zugelassen hätte. „So mancher Leser dieses Buches“, schreibt Paturi in seiner Einleitung auf S. 14 den etwas ungewöhnlichen Inhalt seines Buches erläuternd und rechtfertigend, „wird ... vergeblich eine strenge Trennung zwischen wissenschaftlichen und als «esoterisch» bezeichneten Phänomenen suchen. Das liegt aber nicht daran, dass ich irgend einen Hang zur Esoterik habe, sondern daran, dass die Grenzen der Naturwissenschaften selbst derzeit eine erhebliche Ausweitung erfahren – ein Phänomen, dem sich allerdings das Heer der Wissenschaftler alter Schule noch weitgehend widersetzt. ... Immerhin beginnen heute mehr und mehr Spitzenforscher an international renommierten Universitäten und wissenschaftlichen Instituten, sich auch ernsthaft mit Gebieten zu befassen, die noch vor zwei Jahrzehnten für ihre Zunft völlig tabu schienen, darunter Telepathie, Telekinese und Teleportation. Nicht nur die Inhaber von Lehrstühlen für Paraphysik und Parapsychologie beschäftigen sich damit, sondern auch Quantenmechaniker und Materialwissenschaftler, Informatiker, Neurologen und Genetiker. Wenn in diesem Buch unter anderem auch die Rede von Fernheilern, vom «Beamen», von mentaler Beeinflussbarkeit von Wasser, von Marienerscheinungen und anderen merkwürdigen Dingen ist, dann niemals aus dem Blickwinkel des versponnenen Esoterikers, sondern als Ausdruck der Tatsache, dass die Naturwissenschaft aufbricht, ihre Horizonte zu erweitern und ihr Weltbild von Grund auf neu zu formulieren, indem sie den Mut aufbringt, sich für derartiges Neuland überhaupt zu öffnen.“

Einige von Paturi vorgetragene Fallbeispiele liegen dann auch ziemlich dicht bei dem, was Steiner in den Jahren 1904 bis 1906 vor seinen Schülern erläutert: Die unmittelbare Wirkung des Denkens auf physikalisch-biologische Prozesse auf unterschiedlichen Größenskalen. Im engeren Sinne geht es da um mentale Fernwirkung, zum Teil über Distanzen von vielen tausend Kilometern hinweg.

Es empfiehlt sich so ein Buch einmal zur Hand zu nehmen, um ein Gespür dafür zu bekommen, was sich auf dem wissenschaftlichen Felde heute anbahnt und in vielleicht wenigen Jahrzehnten bereits alltagsbstimmende Realität sein wird. Daß diese Entwicklung und neue Offenheit nicht nur große Chancen zum Wohle der Menschheit bietet, liegt auf der Hand. Und es ist schon sehr die Frage, ob angesichts dessen, was da auf uns zu rollt, die anthroposophische Bewegung wirklich gut aufgestellt ist.

Ende

Anmerkungen

1) Roger Penrose, Computerdenken. Die Debatte um künstliche Intelligenz, Bewußtsein und die Gesetze der Physik. Heidelberg 1991.

Originaltitel: Roger Penrose, The Emperor`s New Mind, New York, 1989.

2) Roger Penrose, Schatten des Geistes. Wege zu einer neuen Physik des Bewußtseins. Heidelberg, Berlin, Oxford 1995.

Englischer Originaltitel: Roger Penrose, Shadows of the Mind. Oxford Univerity Press, New York 1994

3) Siehe hierzu: Godehard Brüntrup, Mentale Verursachung, Stuttgart, Berlin, Köln, 1994, insbes. S. 250 ff.

4) Siehe hierzu etwa die Beiträge verschiedener Autoren im Journal für Psychologie, Jahrgang 7, Heft 2, 1999, S. 2-62. Nähere Hinweise zu diesen Forschungsvorhaben finden Sie unter der Internetadresse: www.introspektion.net\index.html  

5) Sir Karl Popper, Sir John Eccles, The Self and ist Brain - An Argument for Interaktionism, Heidelberg, Berlin, London, New York, 19777

Deutsche Ausgabe: Karl R. Popper, John C. Eccles, Das Ich und sein Gehirn, München 1982

6) Siehe etwa: Mario Bunge, Rubén Ardila, Philosophie der Psychologie, Tübingen 1990, S. 14: "An der Philosophie des Geistes von Popper und Eccles ist folgendes offensichtlich: Erstens, sie ist unausgegoren, weil ihre Schlüsselbegriffe - vor allem Welt, Geist und Interaktion - undefiniert bleiben, und sie enthält überdies keinerlei präzise Hypothese über den Geist und seine angebliche Interaktion mit dem Gehirn. Zweitens verletzt sie ein fundamentales physikalisches Prinzip, nämlich den Energieerhaltungssatz (postuliert sie doch, der immaterielle Geist könne Materie in Bewegung setzen). Drittens mißachtet sie eine jedweder experimentellen Wissenschaft stillschweigend zugrunde liegende Voraussetzung, daß nämlich der Geist nicht unmittelbar auf Materie wirken könne, ..."

7) Peter Bieri (Hgr.), Analytische Philosophie des Geistes, 3. Aufl, Königsstein/Ts., 1997, S. 6.

8) Der physikalische Determinismus, schreibt Popper (Karl R. Popper, Objektive Erkenntnis, Hamburg 1984, S. 232 ff) schließt logisch begründete Einsicht aus, weil sich der Erkenntnisvorgang dann selbst mit Notwendigkeit vollzieht: "Denn nach dem Determinismus vertritt jemand irgendwelche Theorien - etwa den Determinismus - wegen seiner bestimmten physikalischen Struktur (etwa der seines Gehirns). Wir täuschen uns also (und sind dazu physikalisch vorherbestimmt), wenn wir glauben, es gäbe so etwas wie Argumente oder Gründe, die uns dazu bringen, den Determinismus zu akzeptieren. Oder mit anderen Worten, der physikalische Determinismus ist eine Theorie, über die man, wenn sie wahr ist, nicht argumentieren kann, denn sie muß alle unsere Reaktionen, auch das, was uns als auf Argumente gegründete Überzeugung erscheint, auf rein physikalische Bedingungen zurückführen. Rein physikalische Bedingungen, zu denen unsere physikalische Umgebung gehört, veranlassen uns, zu sagen oder zu akzeptieren, was immer wir sagen oder akzeptieren; ... Doch das bedeutet: Wenn wir glauben, wir hätten eine Theorie wie den Determinismus wegen der logischen Kraft bestimmter Argumente angenommen, dann täuschen wir uns gemäß der Theorie des physikalischen Determinismus; oder genauer: Wir befinden uns in einem physikalischen Zustand, der uns dazu bestimmt, uns zu täuschen."

9) Rudolf Steiner, Die Philosophie der Freiheit, Gesamtausgabe Bd. 4, Dornach 1978, S. 146 f.

10) GA-78, 3Dornach 1968, S. 142 f; Vortr. Stuttgart 5. Septemer 1921

11) Edward Bulwer Lytton, Vril - oder eine Menschheit der Zukunft. Übersetzt von Guenther Wachsmuth, 3 Dornach 1981.

12) Siehe hierzu den Originalbericht einer Forschungsgruppe: Meditation alters perceptual rivalry in Tibetan Buddhist monks, By O. L. Carter, D. E. Presti, C. Callistemon, Y. Ungerer, G. B. Liu, and J. D. Pettigrew unter www.current-biology.com/7 June 2005

13) Siehe dazu Fritz A. Popp, Biologie des Lichts, Berlin, Hamburg 1984

14) Siehe Fritz Albert Popp, Quantum Penomena of Biological Systems as Documented by Biophotonics, in: A. Elitzur, S. Dolev, N. Kolenda (Eds.); Quo Vadis Quantum Mechanics? mit einem Vorwort von Roger Penrose, Springer Verlag, Berlin Heidelberg New York, 2005, S. 371 ff.


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