Studien zur Anthroposophie

Michael Muschalle


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Michael Muschalle

Rudolf Steiners Begriff der Denk-Beobachtung

(Stand 12.07.01)

Kapitel 6.7

Michael Muschalle

Diese kurze kritische Wanderung durch anthroposophische Sekundärliteratur möchte ich nicht abschließen, bevor ich nicht auch ein kritisches Wort über meine eigenen Versuche in dieser Frage gesagt habe, denn das gebietet nicht nur die Fairness gegenüber den besprochenen Autoren, sondern auch die Sache selbst. Das Thema "Denk-Beobachtung" war ausdrücklich Gegenstand meiner eigenen Dissertation 77 und im Rückblick ist dazu anzumerken, daß die Problematik der Beobachtungsaporie dort zwar immer wieder explizit benannt und relativ breit befragt worden ist, aber eine wirklich tragfähige Lösung nicht erreicht werden konnte. Das lag maßgeblich daran, daß ich damals so wenig wie alle in der vorliegenden Arbeit kritisierten Verfasser dem Steinerschen Spaltungsargument ernsthaft nachgegangen bin. Ich habe es zwar nicht unterschlagen, aber ich habe mir seinerzeit auch nicht beharrlich genug die Frage vorgelegt, was es denn eigentlich bedeuten könne und warum Steiner dieses Argument vorbringt. Was meiner Fragestellungen bezüglich Steiners Begriff der "Denk-Beobachtung" in der Dissertation also fehlt, ist eine eingehende Untersuchung des Steinerschen Spaltungsargumentes, die in der hier vorliegenden Arbeit mit zehnjähriger Verspätung sozusagen nachgeliefert wird. Und auch was dort im methodischen Teil hinsichtlich der übersinnlichen Beobachtung gesagt wird, dürfte vor dem Hintergrund einer Korrektur des dort verwendeten Beobachtungsbegriffes neu zu überdenken sein, soweit dieser Beobachtungsbegriff unmittelbar in das Verständnis der Angelegenheit involviert ist. Insgesamt ist also diese Dissertation mit dem Etikett zu versehen: "ungeklärter Begriff von Denk-Beobachtung" und entsprechend um diesen Aufsatz zu ergänzen.

Wenn meine Dissertation einen positiven heuristischen Effekt auf die hier vorliegende Arbeit hatte, dann ist dieser zu ganz wesentlichen Teilen ein Resultat der damals schon gesehenen methodischen Nähe der introspektiven Psychologie zum anthroposophischen Verfahren. Dieser Ansatz führte mich im Laufe der Jahre auf die denkpsychologischen Untersuchungen der "Würzburger Schule" und die anschließende Debatte zwischen Wundt und Bühler, weil ich wissen wollte, wie Nichtanthroposophen das Denken wissenschaftlich beobachten und was sie methodologisch darüber zu sagen haben, und diesem Disput, sowie Bühlers Untersuchungsbericht verdanke ich wesentliche Anregungen zum Verständnis des Steinerschen Spaltungsargumentes. Inzwischen bin ich zwar der Ansicht, daß Steiners Spaltungsargument auch textimmanent verstehbar ist, aber den entscheidenden Denkanstoß dazu erhielt ich über das Studium denkpsychologischer Literatur der Steinerzeit. Die konkreten methodischen Verfahren der Denk-Beobachtung sind es, die notwendig auf den Aspekt der Persönlichkeitsspaltung bei Simultanbeobachtung des Denkens führen. Diese Verfahren werden in der Auseinandersetzung zwischen Wundt und Bühler kritisch behandelt, so daß man sagen kann: in dieser Methodendebatte wird unter anderem ein grundlegendes empirisches Faktum des Denkens diskutiert, das nicht lediglich eine nur eingeschränkt verbindliche, standortbedingte Sichtweise einer bestimmten Denktheorie darstellt. Dieses empirische Faktum - die Unbeobachtbarkeit des aktuellen Denkens - besteht unabhängig vom philosophischen Standort, deswegen wird es auch von Steiner und den Psychologen gleichermaßen angeführt. Die Ansicht von dieser Unbeobachtbarkeit ist sogar, wenn man Peter Schneider folgt, die "vorherrschende Meinung der Denkpsychologie" 78 und infolgedessen kann man auch die damalige Denkpsychologie in ihrer phänomenologischen Variante zum Verständnis dieser Steinerschen Positionen heranziehen, wie man umgekehrt Steiner heranziehen kann, um das dort Gesagte begrifflich zu präzisieren.

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