Michael Muschalle Michael Muschalle Anthroposophismus oder wirkliches Verstehen der Philosophie der Freiheit? Zum jüngsten Buch Sergej O. Prokofieffs, Anthroposophie und die «Philosophie der Freiheit», Dornach 2006 (Stand 25.05.2009) I. "Das Werk Steiners ist ... so außerordentlich komplex und vielschichtig, daß es unseriös ist, es in allen Aspekten einfach vertreten zu wollen." 1) Diese treffende Bemerkung Marcelo da Veigas aus einem kürzlich veröffentlichten Sammelband zu Fragen der Waldorfpädagogik ist - leider, möchte man sagen - allzu wahr. Man kann die Anthroposophie heute eigentlich nur als ein multiprofessionelles, interdisziplinäres Unternehmen auffassen angesichts der zahlreichen Disziplinen und unübersehbaren Forschungsfragen, die sie übergreift. Sich dies deutlich zu machen ist nicht allzu schwierig, bedenkt man wie vergleichsweise wenig einerseits von diesem Werk bis heute wissenschaftlich aufgeschlossen ist. Und daß auf der anderen Seite gleichermaßen der Philosoph, der Arzt, der Landwirt, der Pädagoge und Lehrer ebenso wie der Physiker, Psychologe oder Theologe, um nur eine lückenhafte Auswahl anzuführen, auf einer je spezifischen Sachebene von ihr angesprochen werden, die fachmännisch zu bewerten letztlich den Spezialisten des jeweiligen Fachgebietes vorbehalten bleibt. Wer auch wollte als Laie medizinische, biologische oder physikalische Detailfragen sachgerecht beurteilen, die mit der Anthroposophie verbunden sind? Und was für die Biologie und Physik gilt, das gilt gleichermaßen für die Philosophie. Was in der Philosophie alles vorgeht und vorgegangen ist überschauen im einzelnen nicht einmal die Fachphilosophen; wie sollte ein Anthroposoph darauf verfallen, das alles zu wissen, besser gar zu wissen als die Philosophen selbst? Für den heutigen Zeitgenossen ist es mehr denn je schmerzliche Alltagserfahrung zu erleben, wie wenig vom Gesamtwissen der Menschheit er als Individuum noch auf sich vereint. Oft genug selbst in der eigenen angestammten Disziplin, sei sie akademischer oder sonstiger Natur, bleibt das persönliche Wissen Fragment. Dem allgegenwärtigen Schlagwort von der Wissensexplosion und -zersplitterung korrespondiert auf der anderen Seite die Notwendigkeit zur interdisziplinären Zusammenarbeit der verschiedensten Fachrichtungen, mit allen Schwierigkeiten, die das im Einzelfall mit sich bringt. In dieser Komplexität und Interdisziplinarität der Anthroposophie scheint mir manches Verständnis- und Kommunikationsproblem zu wurzeln, mit dem die anthroposophische Bewegung nach innen wie nach außen zu kämpfen hat. Nach innen hin ist es speziell das Spannungsverhältnis zwischen philosophisch erkenntniswissenschaftlicher Rechtfertigung der Anthroposophie - sprich: ihrer erkenntnistheoretischen Begründung - und der eigentlichen anthroposophischen Geisteswissenschaft im engeren Sinne, das immer wieder Anlaß gibt zu Mißverständnissen und Übergriffen, die sich letztlich aus der Komplexität der Anthroposophie nähren. Und wie ein exemplarischer Ausdruck dieser Problemlage erscheint mir das jüngst von Sergej O. Prokofieff publizierte Buch Anthroposophie und die «Philosophie der Freiheit», Verlag am Goetheanum, 2006. Es wäre vor dem genannten Hintergrund wenig aussichtsreich dieses Buch in allen Einzelheiten kritisieren zu wollen. Denn das ginge nur unter der von Prokofieff auf S. 243 mit einer Geste von Selbstbeschränkung gewählten Prämisse, nämlich "alles zu überschauen," bzw "die ganze Anthroposophie in die Betrachtung mit ein[zu]beziehen". Ich glaube nicht, daß dies möglich ist - vermutlich schon 1903 nicht möglich war, als Rudolf Steiner jene Briefstelle verfasste, die Prokofieff seinem Nachwort als Motto voranstellt. Ich möchte mich hier vor allem auf zwei Aspekte der Betrachtung beschränken und lediglich versuchen eine spezifische Problemlage der Steinerforschung sichtbar zu machen, die in keiner Weise nur ein anthroposophisches Charakteristikum, sondern auch in anderen Wissenschaftszweigen weit verbreitet ist. Das Buch Prokofieffs ist mir dabei ebenso Mittel zum Zweck wie eigentlicher Diskursgegenstand. Wer die Forschungslage um Steiners Philosophie der Freiheit über vielleicht zwei Jahrzehnte hin relativ aufmerksam ins Auge gefaßt hat, der wird mit einem merkwürdigen Tatbestand konfrontiert: Auf der einen Seite bemühen sich einzelne Autoren oder Autorengruppen oft mit mäßigem Erfolg dieses Buch auf einer philosophischen Verständnisebene zu begreifen. Es fällt insbesondere bei einer Reihe wichtiger Textstellen sichtlich schwer erst einmal herauszubekommen, was drin steht und welche philosophischen Aussagen dort von Steiner getroffen werden. Den reinen philosophischen Sachgehalt dieses Buches in jedem Detail zu ermitteln ist nicht eben einfach. Wer selbst an dieser Forschung aktiv teil hat, der weiß wovon ich rede. Es gibt eine Reihe Schlüsselstellen in dieser Schrift, die sich derart hartnäckig einer Interpretation zu widersetzen scheinen, daß man an einer verbindlichen Klärung fast verzweifeln könnte. Dazu gehören unter anderem etwa Begriffe wie intuitives Denken oder Beobachtung des Denkens. Ein Blick in die einschlägige Sachliteratur über derartige Begrifflichkeiten offenbart gelegentlich ein Meinungsspektrum und individuelle Verstehensansätze, die extremer nicht auseinanderliegen könnten. Was hinlänglich die Schwierigkeiten dokumentiert, die einzelne Autoren damit haben. Auf der anderen Seite tritt ein Autor wie Prokofieff auf, der explizit die Forderung nach einer "Überwindung" des "bloß" philosophisch-philologischen Zugangs zur Philosophie der Freiheit erhebt. (S. 34) Den philosophisch orientierten Autoren - Prokofieff nennt keine Namen - vorhält, daß sie es "überhaupt nicht wagen", den Schritt von dort in die Anthroposophie zu tun. (S. 243) Demgegenüber indes für sich in Anspruch nimmt "mit einem wirklichen anthroposophischen Verstehen" an dieses Buch heranzutreten (S. 34). Das ist starker Tobak. Und es ist kurios: Da gibt es eine Vielzahl an philosophischen Autoren mit großen und größten Verständnisschwierigkeiten anläßlich der Philosophie der Freiheit schon auf dieser nur philosophischen Ebene. Und auf der anderen Seite jemanden, der dazu auffordert, sich mal endlich von diesen philosophischen Verständnisbemühungen zu lösen und zu einem wirklichen anthroposophischen Verstehen der Schrift hinzufinden; sich selbst aber kaum zu den philosophischen Details dieser Schrift qualifiziert äußert. Daß dieser Autor zum Vorstand am Goetheanum gehört macht diese Sachlage noch heikler und kurioser als sie ohnehin schon ist. Das Schwerwiegendere, das hier zutage tritt, liegt weniger in diesem offensichtlichen Mißverhältnis in der perspektivischen Bewertung der Philosophie der Freiheit, sondern darin, daß hier prägende Wertmaßstäbe an dieses Werk herangetragen werden, die nicht folgenlos bleiben können für den gesamten wissenschaftlichen Fortgang der Anthroposophie, falls sie allgemeinere Anerkennung finden. Und die, so scheint mir, auf einem fundamentalen Mißverständnis aufbauen dahingehend, die philosophische Begründung einer Fachwissenschaft sei gegenüber dieser Fachwissenschaft etwas nur Vorläufiges, Behelfsmäßiges und von weit geringerer Bedeutung als diese selbst. Wird sich diese Bewertung in größerem Umfang durchsetzen, dann muß dies über kurz oder lang dazu führen, daß essentiell wichtige wissenschaftliche Ressourcen stillgelegt und blockiert werden, die unerläßlich sind für das Selbstverständnis der Anthroposophie und ihre öffentliche Anerkennung im allgemeinen soziokulturellen Kontext. Insofern ist, was ein Dornacher Vorstandsmitglied zu diesem Thema publiziert, nicht mehr harmlos. Frage: Wie überwindet man den "bloß" philosophisch-philologischen Zugang zur Philosophie der Freiheit? Wie würde das konkret aussehen? Und was ist demgegenüber das "wirkliche anthroposophische" Verstehen dieses Buches? Kann man überhaupt bei einer erkenntniskritischen Rechtfertigungsschrift noch zusätzlich von einem "wirklichen anthroposophischen Verstehen" sprechen? Wo dieses anthroposophische Verstehen doch dem Urteile Steiners nach erst auf der erkenntniskritischen Rechtfertigung aufbaut und sich darauf stützt? Man vergleiche hierzu seine Vorrede zur zweiten Auflage von 1918: Können die für "alles Erkennen" grundlegenden beiden Wurzelfragen, von denen da die Rede ist, unabhängig von der Erkenntniswissenschaft noch einmal von einem noch höher gelegenen anthroposophischen Erkennen her in ihrem erkenntniskritisch tragenden Charakter bewertet werden? Läge dann nicht die erkenntnistheoretische Rechtfertigung der Anthroposophie gar nicht in der Philosophie, sondern in der Anthroposophie selbst? Müßte man demgemäß nicht auch von einem wirklichen mathematischen Verstehen der logisch-philosophischen Grundlagen der Mathematik sprechen, indem man diese aus dem Blickwinkel der darauf aufbauenden höheren Mathematik betrachtet? Und kann man ernsthaft von wirklichem anthroposophischen Verstehen und der Überwindung der philosophisch-philologischen Zugangsweise reden, wenn die letztere in entscheidenden Aspekten noch kaum brauchbare Resultate hervorgebracht hat und man letztlich gar nicht genau weiß, wie der Gedankengang ihrer philosophischen Rechtfertigung in wesentlichen Details aussieht? - Läßt sich etwas "überwinden", was man nicht verstanden hat und folglich gar nicht wirklich kennt? Gibt es etwa ein von ihrem philosophischen Gehalt unabhängiges anthroposophisches Verstehen dieser Schrift? Fragen über Fagen, die sich an das Buch Prokofieffs knüpfen. Und ich glaube sie hängen damit zusammen, daß sich hier jemand zu philosophischen Rechtfertigungsangelegenheiten äußert, der selbst wenig in diesen Dingen beheimatet ist. Auch wenig persönliche Erfahrung mitbringt hinsichtlich der Forschungsaktivität zur Philosophie der Freiheit und Steiners philosophischen Frühschriften. Was Prokofieff selbst an philosophischen Details über dieses Buch und seinen engeren philosophischen Kontext vorträgt, - und das ist nicht eben viel -, ist wenig geeignet Sachkenntnis oder inhaltliches Verstehen philosophischer Art zu demonstrieren, sondern liefert kaum abgesicherte Überzeugungen, die eher auf der Ebene persönlicher Mutmaßungen anzusiedeln sind, denn auf seriöser Forschung. Man kann in diesem Buch, soweit es sich überhaupt mit erkenntniswissenschaftlichen Sachfragen befaßt, hingreifen wo man will. Man hat nie den Eindruck, daß hier besonderer wissenschaftlicher Scharfsinn, philosophische Akribie und professionelle Sorgfalt vorwaltet, sondern ein eher laienhaftes, unabgeklärtes und wenig gereiftes Verständnis. Man sehe sich an, was der Autor dort etwa auf S. 13 und in der Anmerkung 2 auf S. 283 über das Verhältnis von reinem Denken und intuitivem Denken ausführt. Vom intuitiven Denken und vom intuitiven Erleben des Denkens ist überhaupt viel die Rede in seinem Buch. Geklärt wird nirgendwo wirklich, was beides denn nun eigentlich ist und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Nicht einmal ein in diese Richtung zielender ernsthafter Versuch wird unternommen, der Anspruch darauf erheben könnte, daß hier faktische Forschung an den Texten vorangegangen ist. Auch in der erwähnten Anmerkung gibt es kaum den Schatten eines Hinweises darauf, daß Prokofieff diese beiden Begrifflichkeiten irgendwie handwerklich sauber anhand von Steiners philosophischem Schrifttum untersucht und aufgearbeitet hätte. Das alles wirkt sehr privat, sehr subjektiv und wenig substantiiert. So erscheint es fast wie eine Ironisierung seiner Überwindungsbeflissenheit, daß ausgerechnet das reine Denken und das intuitive Denken, wenn man genauer hinsieht, für Steiner eines und dasselbe sind. Und in diesem reinen oder intuitiven Denken eben das veranlagt ist, wovon Prokofieffs Programmatik zwar beseelt, der Autor aber außerstande ist es in die Tat umzusetzen: Das wirkliche Weiterschreiten vom philosophischen Aspekt der Philosophie der Freiheit zum Anthroposophisch-Geisteswissenschaftlichen im engeren Sinne. Denn: Steiner spricht es aus wie ein Vermächtnis am Ende des Kapitels Die Konsequenzen des Monismus im zweiten Zusatz von 1918: "Vom lebendigen Ergreifen des in diesem Buche gemeinten intuitiven Denkens wird sich aber naturgemäß der weitere lebendige Eintritt in die geistige Wahrnehmungswelt ergeben." Da ist der Weg genannt, der weiter zum Anthroposophisch-Geistigen führt. Wer freilich nicht weiß was das intuitive Denken ist, der kann verständlicherweise auch nichts davon lebendig ergreifen und anhand dessen in die geistige Wahrnehmungswelt weiter eintreten oder solche Wege für andere aufzeigen. Um aber zu begreifen, was Steiner unter dem intuitiven Denken versteht, muß man sich wohl oder übel ausführlich mit den Texten befassen, die davon handeln - Sprich: Genau das tun, was Prokofieff eigentlich überwinden möchte. Und so ist es nur folgerichtig, daß er er diese philologische Ebene auch nicht wirklich überwindet, sondern ihr vollkommen verhaftet bleibt, indem er eine sehr oberflächliche philologisch-philosophische Zugangsweise lediglich durch eine philologisch-anthroposophische ergänzt. Verschiedene Aspekte der Philosophie der Freiheit mit Texten kontrastiert, die er dem anthroposophischen Werk Steiners - vorzugsweise den Vortragsnachschriften - entnommen hat, und das Ganze einer bisweilen recht spekulativen Betrachtung unterzieht. Eine wirkliche Überwindung der bloßen Philologie sähe anders aus. Sie müßte, so wie es Steiner nahelegt, tatsächlich auch anhand von eigenen Beobachtungen dieses intuitiven Denkens den weiteren Weg in die geistige Welt aufzeigen können und nicht nur Texte kompilierend und kommentierend aneinander heften. Soweit ich sehe gibt es in diesem Sinne einen brauchbaren Ansatz in der jüngsten Schrift von Renatus Ziegler, Intuition und Ich-Erfahrung, Stuttgart 2006, der es verdient aufgegriffen und weiter vertieft zu werden. Nun will ich das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Gegen philologisch basierte Methoden ist ganz und gar nichts einzuwenden. Und ebenso wenig gegen eine vergleichende Betrachtung des Verhältnisses von Philosophie der Freiheit und späterem anthroposophischem Gedankengut. Auch das gehört zur Steinerforschung, denn Steiner hat sich ja selbst oft genug dazu geäußert. Auch das Erkennen des Menschen wurzelt in geistigen Tatsachen, die Prokofieff in seinem Buche vorzugsweise beleuchtet oder durch Steiner beleuchten läßt. Vielleicht sogar im großen und ganzen zutreffend wiedergibt, soweit er Steiners Auffassung referiert. Insofern, wenn man nur diese Dinge nimmt, hat das Buch zweifellos einen sinnvollen Gehalt. Dies alles im einzelnen zu beurteilen liegt hier außerhalb meiner Möglichkeiten. Unzweifelhaft dürfte indessen sein: wer sich in dieser Weise vergleichend mit der Philosophie der Freiheit befaß, der ist nicht etwa einer vorangehenden Klärung ihres philosophischen Inhaltes enthoben. Er hat die selbe Arbeit zu leisten wie alle anderen auch. Und hier klaffen bei Prokofieff Anspruch und Wirklichkeit ungeheuer auseinander. Was durch seinen Generalaffront gegen philosophische Autoren in ein regelrecht skurriles Licht gerückt wird. Er weiß offensichtlich nicht wovon er redet und kennt nicht entfernt deren Schwierigkeiten. Jede Übersicht über Forschungslage und Forschungsproblematik scheint ihm zu fehlen. Damit aber, in dieser naiven, sich mit so außerordentlichen Geltungsansprüchen paarenden Herangehensweise, macht er sich letztendlich zur Karikatur, zur Witzfigur der Steinerforschung, bemerkt es nicht und offensichtlich sagt es ihm auch niemand. Darauf offen hinzuweisen scheint mir schon deshalb notwendig, um dauerhaften Schaden von der anthroposophischen Bewegung abzuwenden. Das eigentliche Problem aber sind die vom Autor mittransportierten weitreichenden Bewertungen in bezug auf die philosophische Natur der Philosophie der Freiheit und die entsprechenden Folgen, die das für den methodischen Umgang mit dieser Schrift hat. Denn, so scheint mir, hinter seinem "wirklichen anthroposophischen Verstehen" der Philosophie der Freiheit steht ein grundlegendes Mißverständnis: Dahingehend, die philosophische Rechtfertigung der Anthroposophie in der Philosophie der Freiheit sei durch die Resultate der Anthroposophie gewissermaßen aufgehoben oder obsolet gemacht. Denn nur so läßt sich dieser Sprachgebrauch und der ihm korrespondierende weitestgehende Mangel an philosophischer Klärungsarbeit auffassen. Es ist die Mentalität des "Das alles ist nicht so wichtig, schaut euch lieber an was die Anthroposophie dazu zu sagen hat!" Wogegen ich mich hier wende sind die anthroposophischen Alleinvertretungsansprüche des Autors, wenn er von seinem wirklichen anthroposophischen Verstehen der Philosophie der Freiheit redet und in diesem Zuge all jenen den Brunnen trockenlegt, die sich exakt um etwas bemühen, was er besser auch hätte tun sollen: die Philosophie der Freiheit erst einmal auf einer soliden philosophischen Ebene sich zu erschließen, mit allen handwerklichen Mitteln die dazu notwendig sind, anstatt aus Unwissenheit geborene Überwindungspostulate aufzustellen. Der Ansatz Prokofieffs, so wie er da vorgetragen wird, konterkariert sich selbst. Der Autor gräbt nicht nur anderen, sondern auch sich selbst das Wasser ab, wovon sein Buch ausführlich Zeugnis ablegt. Und all die Leser seiner Schrift, die sich mit der Philosophie der Freiheit ohnehin schon schwer tun, - Prokofieff wendet sich bevorzugt an solche, die wie er von der Anthroposophie her kommen - werden nach der Lektüre erst recht nicht mehr begreifen, worum es in Steiners Freiheitsphilosophie eigentlich geht. Es fehlt dem Autor - das ist mein zwingender Eindruck - das hinlängliche philosophische und methodische Problembewußtsein im Umgang mit diesem Werk, wie überhaupt die Erkenntniswissenschaft nicht zu seinen Leib- und Magendisziplinen zu zählen scheint. Und während andere mehr von dieser Disziplin herkommend in einem Meer von ungeklärten Fragen in der Philosophie der Freiheit regelrecht zu ertrinken drohen, kommen bei Prokofieff erst gar keine philosophischen und interpretatorischen Fragen auf. Mit einer - soweit ich sehe - einzigen rühmlichen Ausnahme: In dem angehängten Kapitel Über das Wesen des menschlichen Ich (S. 249 ff) scheint etwas durch was man im besten Sinne als Problembewußtheit bezeichnen könnte. Man könnte sich endlos über das Buch Prokofieffs auslassen. Allein es hätte keinen Sinn, sich nur kritisch in Einzelheiten darüber zu ergehen. Es scheint mir zweckmäßiger es von einem allgemeineren Blickwinkel aus zu betrachten, der Problemlagen ins Auge faßt, die nicht nur für die Anthroposophie charakteristisch sind. Denn was bei der Schrift Prokofieffs vorliegt ist in mehrfacher Hinsicht typisch: Einerseits typisch für die Spaltung des Wissens in die verschiedensten Fachgebiete und die damit verbundenen Schwierigkeiten vom einen auf das andere überzuwechseln und auch dort zu sachlich adaequaten Bewertungen zu kommen. Andererseits ist es typisch für eine spezifische Schwierigkeit der anthroposophischen Bewegung sich zu ihrer Grundlagenwissenschaft in ein angemessenes Verhältnis zu setzten. Und schließlich auch - eine Verallgemeinerung dieses Gesichtspunktes - ist es typisch für das spannungsreiche Verhältnis erkenntnisphilosophischer Begründungen von Wissenschaft überhaupt zu den verschiedenen wissenschaftlichen Einzeldisziplinen, die davon begründet werden. Im Fall der Anthroposophie verschärft sich diese Problemlage in einer ganz eigenen Weise, weil das begründende und das einzelwissenschaftliche Fachgebiete so nahe beieinander liegen und das letztere direkt aus dem ersteren hervorgeht, sogar schon darin enthalten ist (siehe dazu den zweiten Tei dieses Artikels), was etwa bei den Naturwissenschaften nicht so unmittelbar der Fall ist. Aber auch hierzu gibt es recht genaue Analogien beispielsweise in der Psychologie, die mit eben demselben Problem sich schlagen mußte, wie es bei Prokofieff manifest wird. Und so wie man dazumal von einem erkenntniswissenschaftlichen oder logischen Psychologismus sprach, könnte man in Anlehnung an den damaligen Sprachgebrauch bei Prokofieff gut und gern von einem erkenntniswissenschaftlichen Anthroposophismus sprechen. Wer wie Prokofieff ohne Berührung mit erkenntnistheoretischen Fragestellungen der Anthroposophie vom ausschließlich geisteswissenschaftlichen Studium herkommt - sein Nachwort auf S. 243 ff gibt darüber sehr freizügig Auskunft - der hat es schwer sich in die eigene und eigenständige Gedankenwelt philosophischer Begründungsfragen speziell der Anthroposophie hineinzufinden. Er kann sich - sein Buch zeigt es - augenfällig von diesem anthroposophischen Gedankengut schlecht lösen und fällt dorthin zurück; auch dort, wo es sachlich nicht mehr angemessen ist. Mit dieser Problematik ringt nicht nur Prokofieff. Ähnlich würde es einem Neurobiologen gehen, der sein angestammtes Forschungsfeld verlassend jetzt beginnt die erkenntniswissenschaftliche Welt des Denkens und Erkennens zu sondieren, und entsprechende Mühe hat zwischen seiner ursprünglich neurobiologischen Betrachtungsweise des Denkens und einer erkenntniswissenschaftlich-phänomenologischen sauber zu trennen. Man kann letzteres exemplarisch studieren in dem interdisziplinär orientierten Buch von Henrik Walter, Neurophilosophie der Willensfreiheit, Paderborn 1998, der etwa auf S. 83 ganz unverblümt von der realistischen Möglichkeit kausal vollständig determinierter Erkenntnisurteile spricht, ohne zu wissen und zu sondieren was diese Urteile ihrer bewußtseinsphänomenologischen und logischen Qualität nach eigentlich sind und was sie von kausalen Naturvorgängen gegebenenfalls grundsätzlich unterscheidet. In gewisser Weise besteht zwischen Walter und Prokofieff eine Verwandtschaft der Problemlage nach, auch wenn die jeweiligen Standorte vielleicht um Lichtjahre auseinander liegen. Beide kennen sich in dem Gebiet, das sie nunmehr betreten haben, nicht genug aus, um zu hinreichend fundierten Beurteilungen zu kommen, die der Sache auch gerecht werden können. Letztendlich gilt das für alle Versuche einer interdisziplinären Grenzüberschreitung, weil natürlich die Einarbeitung in ein neues Fachgebiet viel Zeit kostet und mit entsprechenden Unzulänglichkeiten in der Bewertung spezifischer Sachverhalte bezahlt werden muß. Sich wirklich souverän auf einem neuen Forschungsfeld zu bewegen, das dauert - so bitter das klingt - viele, viele Jahre; unter Umständen Jahrzehnte. Und zwar um so mehr, je stärker der Betreffende durch Verpflichtungen anderer Art absorbiert ist. Man sollte einmal bei anthroposophisch orientierten Hochschulprofessoren nachfragen, wieviel effektive Zeit ihnen wirklich neben ihren sonstigen Berufsgeschäften noch für eine essentielle Steinerforschung bleibt, die sich auf dem Niveau von Grundlagenforschung bewegt. Der dabei herauskommende Wert wäre vermutlich sehr ernüchternd und desillusionierend. Wer aber vollkommen Neues lernt und sich erarbeitet, der geht notwendigerweise auch das Risiko zu Fehlleistungen und unsachgemäßen Beurteilungen mit ein. Die Schwierigkeiten sind eher alltäglicher Natur und haben vorrangig etwas mit dem Übertritt von einem Fachgebiet auf ein bislang fremdes zu tun. Man weiß von diesem neuen Fachgebiet zunächst nicht viel. Wer als Nicht-Physiker in einen Fachkongress physikalischer Spezialisten gerät, der versteht nichts. Und er hätte auch keine gehaltvollen Fragen zu den dort erörterten Details vorzubringen, weil er sich in der Physik eben nicht auskennt. So bedauerlich das ist. Gehaltvolle Fachfragen wachsen erst allmählich auf dem Boden einer um Erkenntnis ringenden Auseinandersetzung mit dem befragten Gegenstand heran. Sie setzen schon ein erkleckliches Maß an Sachverstand voraus. Er käme seinerseits aber auch kaum auf die Idee dort ein Fachreferat zu physikalischen Detailfragen zu halten. In aller Regel hält ihn eine realistische Selbsteinschätzung von derart unsinnigen Bemühungen ab. In der Anthroposophie - speziell hinsichtlich der Philosophie der Freiheit - scheint dieser Grundsatz der Selbstbeschränkung nicht uneingeschränkt zu gelten. So daß man fast darüber grübeln möchte, warum hier bei den Anthroposophen etwas außer Kraft gesetzt scheint, was in anderen Wissenschaftsbereichen offensichtlich gilt? Würde sich Prokofieff auf einem physikalischen Fachkongress wohl zu Fragen der Elementarteilchenphysik ebenso unbekümmert äußern, wie er sich (S. 113 ff; S. 119) in seinem Buch zum philosophischen Thema der Voraussetzungslosigkeit äußert? Doch selbst das ist nicht etwa eine exklusive Eigentümlichkeit einzelner Anthroposophen oder Prokofieffs. Es gibt in den Natur- und Geisteswissenschaften, und zwar mit einer langen Tradition, eine ziemlich genaue Parallele zu dem, was Prokofieff in seinem Buch dem Leser nahezubringen sucht, nur unter anderen Vorzeichen: Die wissenschaftlichen Übergriffe von Einzelwissenschaften auf Philosophie und Erkenntniswissenschaft im engeren Sinne mit dem Ziel, essentielle Fragestellungen der Philosophie einzelwissenschaftlich zu vereinnahmen, nur noch bei sich zu verankern und zum allseits gültigen wissenschaftlichen Gegenstand dieser Disziplinen zu erheben, sind Legion. Neu ist allenfalls, daß Anthroposophen jetzt dasselbe tun. Steiner schon setzt sich in seinen philosophischen Frühschriften immer wieder kritisch damit auseinander. Vor allem seine dortigen Forderungen nach Voraussetzungslosigkeit speisen sich aus derartigen Übergriffen. So wie er sich dazumal etwa gegen die sachwidrigen Einflüsse der zeitgenössischen Sinnesphysiologie oder der Metaphysik in der Erkenntnistheorie verwahrte, würde er sich heute gegen die vergleichbar sachwidrigen Einflüsse der Anthroposophie in diesem gedanklichen Milieu verwahren. Speziell von Biologie und Neurologie gehen unentwegt derartige Vorstöße aus. Aber auch die Physik weiß von solchen Bestrebungen ausführlich zu berichten, die bis in das neunzehnte Jahrhundert und teilweise noch viel weiter zurückreichen. Ein bekannter Fall aus der Logik des neunzehnten Jahrhundert war das Bestreben die Logik in einen sinnesphysiologisch orientierten Psychologismus aufgehen zu lassen, so daß das Schlagwort vom logischen Psychologismus eine ganze Philosophengeneration in Aufruhr versetzte. Dem erfolgreichen Widerstand gegen diese Bewegung verdankt unter anderem Husserl seine philosophische Anerkennung, der sich seinerseits mit dem Vorwurf konfrontiert sah, die Logik einseitig formalistisch zu vereinnahmen. Und historisch jüngere Erscheinungen dieser Art sind die Versuche der Forschung zur künstlichen Intelligenz das Denken und Erkennen allein nach dem Vorbild der Computertechnologie sich zu modellieren und von dort her allgemeinverbindliche Erkenntnisansprüche zu formulieren. Die in unmittelbarer Nähe zur Anthroposophie liegende Psychologie hat es an entsprechenden Versuchen ebenfalls nicht fehlen lassen, weil schließlich Denken und Erkennen irgendwie auch psychologische Vorgänge sind und es insofern naheliegend ist, das Gebiet des Erkennens überhaupt gänzlich der Psychologie einzuverleiben. Bei den Anthroposophen, speziell bei Prokofieff liegt ein ganz ähnliches Bemühen vor. Die Philosophie, speziell die Philosophie der Freiheit wird zum vorrangigen Thema der Anthroposophie und die wirkliche Betrachtungsart der Philosophie der Freiheit ist die durch die Augen der Anthroposophie. Die Philosophie im allgemeinen, und im engeren Sinne Steiners philosophische Frühschriften haben offensichtlich etwas an sich, was bei Anhängern der anthroposophischen Bewegung - sogar im Vorstand des Goetheanums - den Eindruck erweckt, das alles sei gegenüber der Anthroposophie von geringerem Wert, leicht zu begreifen und baldmöglichst zu überwinden. Und darin gleicht die anthroposophische Bewegung, allen voran Prokofieff, wie ein Spiegelbild den gegenwärtig dominierenden Naturwissenschaften. Die Philosophie spielt kaum eine eigenständige Rolle, obwohl alle letztendlich in dieser Wissenschaft wurzeln und von dorther ihre gedankliche Legitimation beziehen. Daß diese gedankliche Legitimation von Wissenschaft - welcher Art auch immer - ein höchst eigenes und eigenständiges Geschäft ist, das seine eigenen Fragestellungen hervorbringt, die nicht einfach in den Fachwissenschaften - welchen auch immer - aufgehen und aufgesogen und von dort her auch nicht ausgehebelt werden können, das ist hier wie dort schwer zu vermitteln. Und so sorglos wie sich Naturwissenschaftler gelegentlich zu erkenntniswissenschaftlichen Fragen äußern - man denke etwa an Gerhard Vollmers Evolutionäre Erkenntnistheorie, oder den Baum der Erkenntnis von Maturana und Varela - so unbekümmert äußern sich gelegentlich auch Anthroposophen dazu. Prokofieff liegt da in gewisser Weise im Trend des Zeitgeschehens, wenn er das philosophische Prinzip der Voraussetzungslosigkeit auf S. 111 ff ohne wirklich auf die sachspezifische Thematik dieser Begrifflichkeit näher einzugehen, mit seinen religiös-esoterischen Begrifflichkeiten garniert, und etwas zur Voraussetzung der Voraussetzungslosigkeit macht, was letztlich doch erst eine erkenntnismäßige Folge ist jener Voraussetzungslosigkeit, die er soeben beinahe esoterisch wegerklärt hat. Gerade weil die Philosophie im Idealfall nicht so vorgeht, wie es Prokofieff seinem Leser vorexerziert, weil sie unterscheidet zwischen den faktischen und logisch-erkenntnismäßigen Voraussetzungen, sind die geistigen Dimensionen, die er hier ins Spiel bringt überhaupt erkenntnismäßig sicher erreichbar. Hier gilt, was Steiner im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit schon den Bewußtseinstheorien vorhält, wenn er dort (S. 52) argumetiert: "Was frommt es uns, wenn wir vom Bewußtsein ausgehen und es der denkenden Betrachtung unterwerfen, wenn wir vorher über die Möglichkeit, durch denkende Betrachtung Aufschluß über die Dinge zu bekommen, nichts wissen?" Vergleichbares ließe sich aus dem selben Kapitel von S. 53 anführen, wenn Steiner dort hervorhebt: "Solange die Philosophie alle möglichen Prinzipien annehmen wird, wie Atom, Bewegung, Materie, Wille, Unbewußtes, wird sie in der Luft schweben. Erst wenn der Philosoph das absolut Letzte als sein Erstes ansehen wird, kann er zum Ziele kommen. Dieses absolut Letzte, zu dem es die Weltentwickelung gebracht hat, ist aber das Denken." Man könnte all diese Prinzipien ohne weiteres um den Vatergott, das Christusprinzip und alle Erzengel erweitern: Sie alle haben in der Erkenntnistheorie als Erkenntnisvoraussetzungen nichts zu suchen. Sie mögen im übrigen noch so wirksam und weltbedeutend sein. Hier ist der Mensch mit seinem Erkennen wirklich auf sich allein gestellt. Der Weg zum Christus führt gewissermaßen durch das Nadelöhr seiner Nicht-Anerkenntnis in basalen philosophischen Begründungsfragen. Vor dem Ereignis von Damaskus liegt seine Verneinung, und wer das Wort Wissenschaft ernst nimmt, der muß da durch. Und zwar ohne esoterisch-theologische Schwimmhilfe und Rettungsweste. Verständlich, daß damit nicht immer leicht umzugehen ist wenn man die christologische Dimension der Anthroposophie erst einmal mit vollem Herzen in sich aufgenommen hat. Weil Prokofieff diese erkenntnismäßige Unabhängigkeit der Philosophie der Freiheit von den späteren geisteswissenschaftlichen Resultaten Steiners nicht ernstlich wahrnimmt, auch wohl nicht wahrnehmen kann, und ihm infolgedessen die Bewertungsmaßstäbe durcheinandergeraten, deswegen spricht er von einem wirklichen anthroposophischen Verstehen der Philosophie der Freiheit im Kontrast zu ihrem mehr oder weniger vorübergehenden und zu überwindenden philosophischen Verstehen geringeren Grades. Tatsächlich aber kann die Philosophie der Freiheit in ihrer Rechtfertigungsfunktion nur als das genommen und wirklich verstanden werden, was sie ist: nämlich als philosophische Begründungsschrift für die spätere Anthroposophie. Das heißt, ihr eigentlicher und tragender Sinngehalt ist der unmittelbar philosophische. Diesen in allen Einzelheiten zu verstehen, davon sind wir noch einige Meilen entfernt. In Prokofieffs wirklichen anthroposophischen Deutungsansprüchen hingegen haben wir nichts anderes als ein anthroposophisches Pendant zu Maturana, Vollmer oder Rupert Riedl. Es ist einzelwissenschaftlich-anthroposophisches Gedankengut, das durchaus einen gewissen Wert für sich hat. Aber zur Klärung von brennenden philosophischen Sachfragen der Philosophie der Freiheit trägt es nichts bei. II. Anthroposophische Autoren mit philosophischer Orientierung versuchen mit Recht schon seit längerem immer wieder auf eines hinzuweisen: Die wissenschaftliche Anthroposophie entwickelt sich methodisch aus der Philosophie heraus. Und in der Tat: Sieht man sich Ausführungen Steiners zu den philosophiegeschichtlichen Hintergründen und zur Genese der Philosophie der Freiheit an, dann läßt sich das so sagen. Wie nahe die Anthroposophie und die sie begründende Erkenntnistheorie beieinanderliegen und der ganze Legitimationsprozeß einschließlich der freiheitsphilosophischen Forschung dem Grundsatz nach schon die Methode der Anthroposophie anwendet, geht aus einem Vortrag besonders deutlich hervor, den Steiner 1921 in Stuttgart hält. Nach einigen Erläuterungen zu den Motiven für die die Wahl seines Mottos zur Philosophie der Freiheit führt er dort folgendes aus: "Was Goethe so gefallen hat, als Heinroth sein Denken ein gegenständliches genannt hat, das muß auf einer noch höheren Stufe zutage treten, wenn man die Offenbarung der Freiheit erfassen will, denn Goethe verband sein Denken mit dem Äußerlich-Sinnlichen der pflanzlichen Welt. Da gelang es ihm, das Denken untertauchen zu lassen in das Objekt, mit dem aktiven Denken in dem Objekt selbst drinnen zu leben; aber das Objekt blieb passiv. Will man dieses, wenn ich es da noch so nennen darf, gegenständliche Denken auf die Freiheit anwenden, dann muß man ein Übersinnlich-Geistiges, das im Menschenseelenweben in fortwährender Tätigkeit ist, noch auf eine viel innigere Weise durchdringen mit der Aktivität des Denkens. Man muß nicht ein Äußerliches, man muß dasjenige, was in einem selber sich entwickelt, mit der Aktivität des Denkens durchdringen. Dadurch aber reißt sich das, was nun Inhalt des Denkens wird, los von einem jeglichen Haften an einem Objekt im gewöhnlichen Sinne. Was hier das Denken vollzieht, es wird selber ein Akt der Befreiung. Es hebt sich das Denken, indem es nicht inhaltlos wird, sondern gerade indem es angefüllt ist mit dem intimsten Fließen des Menschenwesens selbst, herauf zu einem freien Flusse, der das eine aus dem andern hervorströmen läßt. Es erfüllt sich der Seeleninhalt mit etwas, das er selber erzeugt und das in seiner Erzeugung zu gleicher Zeit objektiv ist. Der Geist naturwissenschaftlicher Denkungsweise ist heraufgetragen in das Aufsuchen der dem Menschen wichtigsten Seelenresultate. Damit aber war für das Gebiet, das dem Menschen als ethisches, als sittliches Wesen zugrunde liegt, die geisteswissenschaftliche Methode geltend gemacht, und diese besteht in nichts anderem als in dem Erleben eines Inhalts, der da ist, wenn das menschliche Seelenleben sich losreißt von dem Haften an einem äußeren Objekte. Und wenn die Seele dann noch etwas erleben kann, dann ist das Erlebnis ein übersinnliches. Qualitativ ist dasjenige, was da erstrebt worden ist als seelische Beobachtungsresultate, [Steiner nimmt hier Bezug auf das Motto der Philosophie der Freiheit, MM] nichts anderes, als was später von mir geltend gemacht worden ist mit Bezug auf die Erforschung der verschiedenen Gebiete der übersinnlichen Welten. Man wird durch dasjenige, was später geltend gemacht worden ist, allerdings in andere Gebiete geführt als diejenigen, die dem Menschen zunächst im gewöhnlichen Leben vorliegen; aber man verfährt mit Bezug auf das Innerste der Seelenverfassung auch für diese übersinnlichen Gebiete nicht anders, als man zu verfahren hat, wenn man das Wesen der menschlichen Freiheit untersucht, so daß man eine wirkliche Erkenntnis dieses Wesens erhält. Man beschränkt den Gegenstand der Untersuchung zunächst auf den Menschen als freies Wesen innerhalb der physischen Welt, aber dieses freie Wesen wurzelt in einem Übersinnlichen. Man bewegt sich in den Freiheitsuntersuchungen in einem Strom übersinnlicher Forschung. Wer dann in vollem Sinne ernst nimmt, was er da eigentlich tut, was da eigentlich in ihm geschieht, indem er sich in diesem Strom übersinnlicher Forschung bewegt, bei dem bietet sich nach und nach selbst der Weg, dasjenige, was er nun angewendet hat behufs Untersuchung der menschlichen Freiheit, auch für weitere Gebiete anzuwenden. Und eines tritt für ihn hervor aus solchen Untersuchungen mit einer deutlich sprechenden Notwendigkeit: daß der Mensch, wenn er sich nur nicht durch naturwissenschaftliche Vorurteile den Weg zur Freiheit verdunkelt, wenn er unbefangen dasjenige im Freiheitswesen untersucht, was ihm im alleralltäglichsten Leben vorliegt, daß der Mensch dazu kommt, wenigstens zunächst für dieses Gebiet anzuerkennen, daß er imstande ist, sich in seinem inneren Seelenleben loszureißen von der Leiblichkeit, die sonst das Werkzeug des Denkens ist, weil diese Leiblichkeit eben gerade das liefern muß, was die äußere Beobachtung bietet, zu der dann der Gedanke als die Ergänzung hinzutritt. Und man weiß, was übersinnliche Forschung ist, wenn man in richtiger Weise geforscht hat über das Freiheitsproblem. Man steht in dem Geiste dieser Forschung schon drinnen, der dann auch hinaufführt in die Höhe der übersinnlichen Welt." (Stuttgart am 31. August 1921; GA-78, Dornach 1968, S. 50 f) Steiner deutet hier mit der Passage "Wer dann in vollem Sinne ernst nimmt, was er da eigentlich tut, was da eigentlich in ihm geschieht, indem er sich in diesem Strom übersinnlicher Forschung bewegt, bei dem bietet sich nach und nach selbst der Weg, dasjenige, was er nun angewendet hat behufs Untersuchung der menschlichen Freiheit, auch für weitere Gebiete anzuwenden." indirekt mit auf den weiter oben schon erwähnten Hinweis aus der Philosophie der Freiheit: "Vom lebendigen Ergreifen des in diesem Buche gemeinten intuitiven Denkens wird sich aber naturgemäß der weitere lebendige Eintritt in die geistige Wahrnehmungswelt ergeben." (Ende des Kapitels Die Konsequenzen des Monismus im zweiten Zusatz von 1918) Und er kennzeichnet in dem gesamten zitierten Vortragsausschnitt sehr klar erkennbar etwas, was wie gesagt auch von etlichen philosophisch orientierten Anthroposophen immer wieder aufzuarbeiten versucht wird unter dem Stichwort Weg der Philosophie der Freiheit. Man könnte hier, um zwei jüngere Publikationen dieser Art anzuführen, neben der oben genannten letzten Schrift Renatus Zieglers Intuition und Ich-Erfahrung, Stuttgart 2006, auch nennen das gemeinschaftlich von Lorenzo Ravagli und Günter Röschert herausgegebene Buch Kontinuität und Wandel. Zur Geschichte der Anthroposophie im Werk Rudolf Steiners, Stuttgart 2003. Die dort etwa von Ravagli auf S. 20 ff vertretenen These, die eigentliche anthroposophische Forschung beginne schon mit den Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung (S. 23), ist vor dem durch Steiner im zitierten Vortrag skizzierten Hintergrund sehr plausibel. Und zwar umso mehr, wenn man mit Steiner davon ausgeht, daß bezüglich seiner Grundanschauungen in der Philosophie der Freiheit nur in zusammenfassender Weise dargestellt ist, was er schon in den anderen philosophischen Frühschriften vertreten hat. Man vergleiche etwa GA-21, Dornach 1976, S. 59, wo er ausdrücklich darauf abhebt, "daß alle in meiner «Philosophie der Freiheit» vorgebrachten Grundanschauungen bereits in meinen früheren Schriften ausgesprochen und in dem genannten Buche nur in einer zusammenfassenden und sich mit den philosophisch-erkenntnistheoretischen Ansichten vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts auseinandersetzenden Art vorgetragen sind." Weiter fährt er dort fort: "Ich wollte in dieser "Philosophie der Freiheit" in systematisch-organischer Gliederung zur Darstellung bringen, was ich in den früheren, fast ein ganzes Jahrzehnt umfassenden Veröffentlichungen an erkenntnistheoretischer Grundlegung und an ethisch-philosophischen Folgerungen für eine auf die Erfassung der geistigen Welt zielende Anschauung niedergelegt hatte." Die philosophischen Frühschriften stellen in dieser Beziehung eine sachliche Einheit dar. Und es besteht somit, wie Ravagli mit Recht sagt und wie es Steiner im Vortrag klarstellt, im Prinzip eine Gemeinsamkeit mit der späteren Anthroposophie der Methode nach. Den Inhalten nach allerdings, auch das sagt Steiner da sehr deutlich, sind diese Frühschriften respektive die Philosophie der Freiheit von ihr verschieden: (Siehe: "Man wird durch dasjenige, was später geltend gemacht worden ist, allerdings in andere Gebiete geführt als diejenigen, die dem Menschen zunächst im gewöhnlichen Leben vorliegen; aber man verfährt mit Bezug auf das Innerste der Seelenverfassung auch für diese übersinnlichen Gebiete nicht anders, als man zu verfahren hat, wenn man das Wesen der menschlichen Freiheit untersucht, so daß man eine wirkliche Erkenntnis dieses Wesens erhält.") Für die Frage nach einer Unabhängigkeit der Philosophie der Freiheit von den geisteswissenschaftlichen Forschungsresultaten Steiners ist das insofern relevant, weil Steiners Vortragsaussage deutlich macht, daß in die Philosophie der Freiheit, auch wenn die Methode der Anthroposophie dort im Prinzip schon angewendet wird, diese Schrift - abgesehen von einigen Einschüben - nichts von diesen spezifischen späteren Forschungsresultaten in sich enthält. Was er ja auch in der Vorrede von 1918 zu diesem Buch ausdrücklich hervorhebt. Nun gehört sachlich in Fortführung dieser Fragestellung auch die Überlegung dazu: Wenn in der Philosophie der Freiheit schon die Methode der Anthroposophie verwirklicht wird, wird sie dann nicht auch in jeder Form ernsthafter philosophischer Forschung schon verwirklicht? Denn schließlich betont Steiner nicht nur wie oben im Vortrag die anthroposophische Natur dieser Methode, sondern an anderer Stelle in Aufsatzform auch ihre rein philosophische. So heißt es 1917, die Philosophie der Freiheit sei entstanden "durch rein philosophische Forschung". Mit den "Denkmitteln" und der "Methodik allein", "die man gewöhnt ist, in philosophischen Arbeiten zu finden." (Die Geisteswissenschaft als Anthroposophie und die zeitgenössische Erkenntnistheorie. Persönlich-Unpersönliches. In: GA-35, 1984, S. 319). Die hier im Aufsatz rein philosophisch genannte Methode der Philosophie der Freiheit ist also in den Augen Steiners, so wie er es im Vortrag skizziert, zugleich auch die anthroposophische. Wenn man wie ich unterstellt, daß Steiner sein Lesepublikum hier nicht zum Narren hält, dann gibt es zwischen der anthroposophischen Methode der Frühschriften und einer rein philosophischen keinen Unterschied. Daß da gewisse Irritationen aufkommen über den erkenntnistheoretischen oder anthroposophischen Charakter dieser Frühschriften ist verständlich. Ich selbst bin nicht der Auffassung wie Lorenzo Ravagli auf S. 26 des genannten Buches, daß die Philosophie der Freiheit keine Erkenntnistheorie sei. Ihr Gedankengang kommt ohne erkenntnistheoretische Momente - und zwar ziemlich viel - gar nicht aus. Und auch Steiner selbst betont in seiner Schrift Von Seelenrätseln (GA-21, 1976, S. 59; S. 62) klipp und klar diesen erkenntnistheoretischen Charakter der Philosophie der Freiheit. Und wenn man schon die innere Verwandtschaft der Philosophie der Freiheit mit den übrigen philosophischen Frühschriften im Sinne Steiners hervorhebt, dann läuft man Gefahr auch den übrigen Frühschriften ihren erkenntnistheoretischen Charakter abzuerkennen, wenn man ihn bei der Philosophie der Freiheit wegdefiniert. Was nun ganz und gar nicht mehr in das philosophische Programm Steiners passen würde. Hier ist allerdings nicht der Raum diese Thematik weitläufig zu vertiefen. Es gilt auf jeden Fall, und da sind sich Ravagli und ich wahrscheinlich einig: Versucht man solche Aussagen Steiners - a) die Methode der Philosophie der Freiheit ist eine anthroposophische; und b) diese Methode ist eine rein philosophische - auf einen Nenner zu bringen, dann gibt es hier mit Blick auf das eben Gesagte gar keine Differenzen zwischen einer anthroposophischen und einer philosophischen Methode. Zumindest nicht für die philosophischen Frühschriften Steiners. Das könnte gegebenenfalls aber auch heißen - und so ist es in Steiners Aufsatz implizit auch gemeint: Die Erkenntnistheorie und Philosophie im allgemeinen (und zwar nicht nur diejenige Steiners) bedient sich dann nach Auffassung Steiners einer Methode, die im Prinzip schon die anthroposophische ist. Daß da natürlich auch Fragen nach den Grenzen eines solchen Vergleichs aufkommen - auch wenn er von Steiner selbst vorgenommen wird - liegt auf der Hand. Ganz sicher aber sind es solche Erkenntnistheorien, die versuchen der Bedeutung des Denkens gründlich nachzuspüren und sich zu diesem Zwecke auf eine Beobachtung des Denkens einlassen. Und hält man sich an Steiners generalisierende Kennzeichnung der geisteswissenschaftlichen Methode aus dem oben zitierten Vortragsausschnitt, dahingehend, daß diese "in nichts anderem [bestehe] als in dem Erleben eines Inhalts, der da ist, wenn das menschliche Seelenleben sich losreißt von dem Haften an einem äußeren Objekte.", dann übt jeder Philosoph (und Denker) sie aus, der sich um das Verständnis reiner, sinnlichkeitsfreier Begriffe bemüht und zu diesem Zwecke das reine Denken ausübt. 2) Es darf in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, daß das reine Denken in den Augen Steiners bereits den Charakter einer übersinnlichen Betätigung und Wahrnehmung hat. (Siehe GA-35, Dornach 1984, S. 321 : "Meine früheren Schriften behandeln das reine Denken so, daß ersichtlich ist, ich zähle dieses durchaus zu den Verrichtungen des «schauenden Bewußtseins». Ich sehe in diesem reinen Denken die erste, noch schattenhafte Offenbarung der geistigen Erkenntnisstufen." ) Es wendet also vom Grundsatz her nicht nur der anthroposophische Geistesforscher diese Methode an, sondern jeder, der sich - etwa als Philosoph - dem reinen Denken widmet. Daß dazu auch die Erkenntniswissenschaftler gehören, und damit die Erkenntniswissenschaft, soweit sie sich im Medium des reinen Denkens bewegt, von der Methodenseite her nicht nur einen philosophischen, sondern eben auch den anthroposophischen Zug an sich hat, weil beides im Prinzip dasselbe ist, versteht sich. Man kann deswegen auch davon ausgehen, daß es in diesem Sinne weit mehr Ansätze und Formen von prinzipiell geisteswissenschaftlichem Charakter gibt als vielen Anthroposophen bislang bewußt ist. Und es ist auch erklärlich wenn Steiner das Forschungsverfahren der Philosophie der Freiheit vor anthroposophischem Publikum ein anthroposophisch geisteswissenschaftliches nennt, und vor einem mehr allgemeinen oder philosophischem Lesepublikum ein rein philosophisches. Er meint in kontextbezogener Ausdrucksweise jeweils dieselbe Sache. Zusammengefaßt: Es gibt keine Paradoxien in Steiners persönlicher methodischer Einschätzung der Philosophie der Freiheit, sondern nur etwas unterschiedliche, adressatenorientierte Blickwinkel aus denen er ein und dieselbe Methode skizziert. So daß sich sagen läßt: In den philosophischen Frühschriften sind die Methode der Erkenntniswissenschaft und die Methode der anthroposophischen Geisteswissenschaft identisch, da sie auf dem reinen, sinnlichkeitsfreien Denken basieren. In der Philosophie der Freiheit nennt Steiner dieses reine oder sinnlichkeitsfreie Denken auch ein intuitives Denken und weist den Leser entsprechend darauf hin, daß die ganze Darstellung der Schrift auf diesem intuitiven Denken basiert. (GA-4, Dornach 1978, S. 255 ) Näheres zum Begriff des intuitiven Denkens finden Sie hier. Man wird folglich mit guten Gründen vertreten können, daß sich die wissenschaftliche anthroposophische Methode auf eine organische Weise aus der Philosophie herausentwickelt. Wissenschaftlich, weil sie sich unmittelbar aus der Erkenntniswissenschaft ergibt, die nicht nur die Rechtfertigungsbasis für anthroposophische, sondern für jede Form von Wissenschaft darstellt. Wissenschaftlich auch, weil sie das dort erworbene wissenschaftliche, erkenntniskritisch aufgeklärte Bewußtsein auf ihrem Weg beibehält. Also keinen naiven Pfad in die geistige Welt beschreitet, sondern um die Gesetzmäßigkeiten dieses Weges weiß. 3) Wo genau jetzt der Punkt anzusiedeln ist, an dem das geschieht, darüber läßt sich wahrscheinlich ebenfalls diskutieren. Je nachdem worauf man den Akzent legt: Ob mehr auf den legitimierenden weitläufigeren erkenntniswissenschaftlichen Problemhorizont, oder auf die Untersuchung des intuitiven Denkens im engeren Sinne, wird man den Punkt etwas unterschiedlich festlegen wollen. Sicherlich aber wird er dort erreicht sein, wo innerhalb der Erkenntnistheorie das erkennende (intuitive oder reine) Denken selbst zum erlebten Gegenstand eines erkennenden (intuitiven oder reinen) Denkens wird. Und da sind wir gleichermaßen bei den Grundlinen ... mit ihren ausgedehnten Erörterungen des Denkens; ebenso bei Wahrheit und Wissenschaft, und natürlich auch bei der Philosophie der Freiheit. Und dort wiederum ist es das intuitive Denken, um das sich letztlich das ganze Freiheitsproblem dreht. Denn die Freiheit des Handelns gründet in der Freiheit des intuitiven Denkens. (GA-4, Dornach 1978, S. 253 f) Ferner wird dieses intuitive Denken dort schon als eine rein geistige Tätigkeit qualifiziert: Dem Ziel, das intuitive Denken als erlebte innere Geistbetätigung hinzustellen ist Steiners persönlicher Einschätzung nach unter anderem der erste Teil dieses Werkes gewidmet. (S. 254); Es sei, so sagt er weiter, in dieser Schrift versucht worden zu zeigen, daß richtig verstandenes Denk-Erleben schon Geist-Erleben sei (S. 256). Die Beobachtung des Denkens aber ist für Steiner, - und das scheint mir am allerwichtigsten zu sein -, nicht nur das Fundament einer jeglichen Welterklärung wie er im dritten Kapitel ausführt: "Für jeden aber, der die Fähigkeit hat, das Denken zu beobachten - und bei gutem Willen hat sie jeder normal organisierte Mensch -, ist diese Beobachtung die allerwichtigste, die er machen kann. Denn er beobachtet etwas, dessen Hervorbringer er selbst ist; er sieht sich nicht einem zunächst fremden Gegenstande, sondern seiner eigenen Tätigkeit gegenüber. Er weiß, wie das zustande kommt, was er beobachtet. Er durchschaut die Verhältnisse und Beziehungen. Es ist ein fester Punkt gewonnen, von dem aus man mit begründeter Hoffnung nach der Erklärung der übrigen Welterscheinungen suchen kann."(S. 46) Die Beobachtung des Denkens ist -, was sich infolgedessen aus dem dritten Kapitel von selbst ergibt -, damit auch der explizite Beginn einer geregelten Erforschung der geistigen Welt, wie er später noch einmal in den Zusätzen von 1918 betont: "Wer das Denken beobachtet, lebt während der Beobachtung unmittelbar in einem geistigen, sich selbst tragenden Wesensweben darinnen. Ja, man kann sagen, wer die Wesenheit des Geistigen in der Gestalt, in der sie sich dem Menschen zunächst darbietet, erfassen will, kann dies in dem auf sich selbst beruhenden Denken." (S. 145) Und daran knüpft er folgerichtig auch an, wenn er den Leser schließlich (S. 257) davon unterrichtet, daß sich aus dem lebendigen Ergreifen dieses intuitiven Denkens der weitere Eintritt in die geistige Wahrnehmungswelt sozusagen von selbst ergebe. Und das wiederum deckt sich nahtlos mit den oben erwähnten Vortragsausführungen: "Wer dann in vollem Sinne ernst nimmt, was er da eigentlich tut, ...". Das heißt spätestens mit dem erkennenden Erfassen der erlebten reinen Denkbetätigung betreibt der Philosoph in den Augen Steiners dezidiert anthroposophische Geistesforschung, um nur bei der Philosophie der Freiheit zu bleiben. Und das beginnt dort sehr prägnant im dritten Kapitel dieser Schrift, wird aber schon vorher mit einigen grundsätzlichen freiheitsphilosophischen Erwägungen über den Stellenwert des Denkens in der Freiheitsfrage eingeleitet und gerechtfertigt. Und was für den Philosophen gilt, das gilt im Grundsatz, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, auch für jeden anderen Leser: Der aktiv mitarbeitende Leser der Philosophie der Freiheit - man muß sich dies wirklich in seiner ganzen Tragweite vor Augen führen - macht sich spätestens mit dem dritten Kapitel auf einen Weg als Geistesforscher. Das jedenfalls erklärt Steiner seinem Leser und Zuhörer ganz unmißverständlich. Trotz allem scheint mir das zunächst noch ein etwas willkürlich festgelegter Punkt. Und zwar deswegen, weil namentlich die ganzen erkenntnistheoretischen Vorüberlegungen und umfangreichen Erwägungen, die diesen Punkt erst in klärender Absicht philosophisch einkreisen und genauer lokalisieren - das ganze Unternehmen also philosophisch begründen, erkenntniskritisch legitimieren und nach den verschiedensten Richtungen hin absichern - zu dieser anthroposophisch-erkenntnistheoretischen Methode der Geistesforschung mit dazugehören. Unter anderem ist hier auch das Augenmerk zu richten auf die Voraussetzungslosigkeit der Steinerschen Erkenntnistheorie, wie sie nachdrücklich in der Schrift Wahrheit und Wissenschaft hervorgehoben wird. Denn eine vorraussetzungslose Erkenntnistheorie kann bei keiner anderen Einzelwissenschaft Anleihen machen - selbstverständlich auch nicht bei einer anthroposophischen. Eine gründliche Untersuchung dieser Thematik steht bis heute noch aus. Die Frage ist demnach: Wenn Freiheitsforschung gemäß Steiners Urteil schon anthroposophische Geistesforschung ist, was heißt dann eigentlich "In richtiger Weise" über das Freiheitsprobem zu forschen? Und wie weit gehören solche rein legitimatorischen erkenntnistheoretischen Erwägungen und Untersuchungen zur eigentlichen anthroposophischen Methode der Geistesforschung dazu? Ich möchte dafür halten, daß man sie gar nicht davon trennen kann. Und jede Trennung auch etwas Willkürliches an sich hätte. Ein ganz simpler Fall von bloß logischer Erwägung mit außerordentlichen Konsequenzen für den Gang der Geistesforschung ist Steiners Begründung aus dem ersten Kapitel der Philosophie der Freiheit (S. 24 f), sich vorrangig in der Freiheitsfrage dem Denken zuzuwenden: "Daß eine Handlung nicht frei sein kann, von der der Täter nicht weiß, warum er sie vollbringt, ist ganz selbstverständlich. Wie verhält es sich aber mit einer solchen, von deren Gründen gewußt wird? Das führt uns auf die Frage: welches ist der Ursprung und die Bedeutung des Denkens? Denn ohne die Erkenntnis der denkenden Betätigung der Seele ist ein Begriff des Wissens von etwas, also auch von einer Handlung nicht möglich. Wenn wir erkennen, was Denken im allgemeinen bedeutet, dann wird es auch leicht sein, klar darüber zu werden, was für eine Rolle das Denken beim menschlichen Handeln spielt." So ein Gedankengang scheint rein gar nichts Esoterisches an sich zu haben. Jeder kann ihn nachvollziehen der des Denkens mächtig ist, und Schlußfiguren dieser Art bevölkern unser ganz alltägliches Leben tausendfältig vom Morgen bis zum Abend. Ist so eine bloß logische Erwägung schon Geistesforschung? Oder gehört das noch zu den Voruntersuchungen? Zum bloß normalen Denken? - Tatsache ist: Von dieser simplen Überlegung hängt die Reihenfolge der ganzen Forschung in der Philosophie der Freiheit ab. Dahingehend: Das Zweite kann nicht vor dem Ersten geklärt werden. Vor der Freiheitsfrage ist erst die Erkenntnisfrage bzw die Natur des Denkens zu klären. Es gibt eine klare logische Struktur in der Freiheitsfrage, und die Logik dieser Struktur erst bestimmt über den spezifischen Gang der Untersuchung. Bevor man untersucht ob das Handeln frei ist, ist demnach zu fragen ob das Denken und Erkennen frei ist. Von der erkenntniswissenschaftlichen Frage: Was ist Denken und Erkennen? ist die Freiheitsfrage in keiner Weise abzukoppeln und unabhängig davon zu lösen. Was Steiner seinen Mitforschern in dieser Angelegenheit vorhält ist, daß sie sich nicht an der Logik dieser Problemstruktur orientieren, was sie eigentlich hätten tun müssen, sondern mal mehr und mal weniger krass an der Sache vorbeizielen. Das gilt übrigens damals wie heute. Häufig beschränken sich Gegenwartsphilosophen darauf das Freiheitsproblem in seinen verschiedensten Facetten und Konsequenzen etwa auf das physikalische Weltverständnis hin zu sondieren. Stichworte: Leib-Seele-Dualismus. Oder: Sind wir ein biologischer Computer? Oder: Ist menschliche Freiheit nicht mit der gegenwärtigen Physik unverträglich? Kann es so etwas wie mentale Verursachung überhaupt geben? Wobei die Erkenntnisfrage eigentlich nur am Rande Erwähnung findet; oft nicht einmal in diese Richtung hin das Thema angedacht wird. Man könnte Steiners rein logisches Argument geradezu gebetsmühlenartig wiederholen wenn man auf modernere freiheitsphilosophische Untersuchungen und Statements stößt - etwa bei John Searle, Peter Bieri oder Wolf Singer, um nur drei bekanntere Namen zu nennen. Selten irgendwo findet man eine derartige Orientierung an der Logik der Problemstruktur wie bei Steiner. Man könnte sie bei eingehender Untersuchung mit etwas Wohlwollen sicherlich wenigstens partiell bei Popper ausmachen. Ist Popper damit ein Geistesforscher? Oder vielleicht ein entfernter Verwandter? Man könnte sie (auch partiell) bei Steiners Zeitgenossen Melchior Palágyi ausmachen, der sich explizit auch mit Fragen der Autonomie (Freiheit) des Denkens befaßt. Ist Palágyi damit ein Geistesforscher? (Siehe: Melchior Palágyi, Der Streit der Psychologisten und Formalisten in der modernen Logik", Leipzig 1902) Wie dem auch sei: Letztlich hängt schon an der erörterten Ausgangsüberlegung Steiners in entscheidendem Maße Erfolg oder Mißerfolg der ganzen freiheitsphilosophischen Untersuchung. Was ich damit zeigen will ist: Ob man solche Gedankengänge schon der Geistesforschung oder lediglich den Voruntersuchungen zuschlägt, ist eine mehr oder weniger willkürliche Entscheidung. Und mehr oder weniger willkürlich ist auch die Entscheidung darüber, wo all dasjenige an Forschung zu verorten ist, was im weiteren Sinne erst zu solchen Überlegungen führt. Denn klar ist auch: Derart folgenreiche forschungsstrukturelle Urteile wie aus dem ersten Kapitel der Philosophie der Freiheit, die die Lösung fast schon vorweg nehmen, wachsen nicht aus der leeren Luft heran, sondern setzen schon eine gewisse Übersicht über das Forschungsproblem voraus. Man muß die Irrungen und Wirrungen des Denkens bei der Lösung dieser Frage schon in seinen zahlreichen Verzweigungen durchwandert und auskundschaftet haben, wenn man zu einer Beurteilung des Lösungsweges kommt. Man muß bescheid wissen darüber, was es an freiheitsphilosophischen Ansätzen alles gibt, welche gedanklichen Strategien dort im einzelnen angewendet werden und zu welchen Schwierigkeiten das gegebenenfalls führt. Das Problem muß irgendwie schon näher in seinen zahlreichen Facetten bekannt sein, wenn man solche Erwägungen erfolgreich anstellen will. Und damit erst wird offensichtlich, welche Bedeutung dem Denken und Erkennen zukommt. Deswegen läßt sich schlecht sagen: Die Beschäftigung mit dem intuitiven Denken oder mit der Freiheitsfrage an sich ist bereits Geistesforschung; die Beschäftigung mit Peter Bieris oder Wolf Singers spezifischer Freiheitsauffassung aber nicht, sondern das sei bloß gewöhnliche Philosophie. Und dasselbe gilt für die Beziehung zwischen Freiheitsfrage und Erkenntnisfrage. Man kann die Freiheitsfrage sachlich gar nicht ablösen von all den umfassenderen erkenntniswissenschaftlich fundierenden und legitimierenden Gedankengängen und Untersuchungen, auf denen ein späteres Freiheitsverständnis erst aufbaut. Sie würde damit ihren tragenden Grund und Boden verlieren. Denn wer die Bedeutung des Denkens und Erkennens für das Handeln untersuchen will, der muß natürlich einen Begriff davon haben, was Denken und Erkennen überhaupt ist. Deswegen auch, - ich sagte es oben schon -, kommt die Philosophie der Freiheit ohne erkenntnistheoretische Momente nicht aus, auch wenn sie sich nicht ausschließlich nur der Erkenntnisfrage widmet. Und deswegen sind auch sie notwendiger Bestandteil einer Geistesforschung vom philosophischen Charakter der Philosophie der Freiheit. Man könnte jetzt ganz analoge Gedankengänge auch für die mehr erkenntnistheoretischen Überlegungen der Steinerschen Frühschriften durchgehen. Auch da sind die Ausführungen über das Denken und Erkennen mit zahllosen anderen Einzelfragen derart vernetzt und verwoben, daß erst aus der klärenden Durchwanderung dieses komplexen Fragegewebes heraus der eigentliche Zielpunkt der Untersuchung deutlich erkennbar wird und die Lösung der Frage: Was ist Erkennen? sich klar gestaltet. So daß man auch hier kaum eindeutig festlegen kann, diese Untersuchung - z. B. die Natur der reinen Erfahrung betreffend - gehört zur Erkenntniswissenschaft dazu, jene - z. B. das kausale Naturverständnis betreffend - aber nicht. Alles in allem bekommt man ein gewaltig ausgedehntes Feld an Forschungsfragen und -problemen, die mit der Freiheitsfrage in direkter Verbindung stehen, und deren Klärung zu dieser philosophischen Form der anthroposophischen Geisteswissenschaft dazu gehört. "In richtiger Weise" über das Freiheitsprobem zu forschen - um Steiners Bemerkung aus dem Vortrag noch einmal aufzunehmen - heißt per definitionem also auch: sich mit all diesen Fragen des Erkennens zu befassen. Denn die Anschauung des Befreiungsaktes, so wendet Steiner selbst Goethe gegenüber kritisch ein, "kann nur derjenige haben, der sich selbst in seinem Erkennen belauscht." (Goethes Weltanschauung, GA-06, Taschenbuchausgabe Dornach 1979, Kapitel, Die Metamorphose der Welterscheinungen, S. 84 f.) Und so ist es mehr als erklärlich, daß Steiner seinem Leser alles dies in seinen Frühschriften selbst demonstriert. Und nirgendwo in den drei Grundschriften die Freiheitsphilosophie von der Erkenntnistheorie sachlich abgespalten wird, obwohl die Akzente jeweils etwas unterschiedlich gesetzt werden. Erkenntnistheorie und Freiheitsphilosophie bilden eine organisch zusammengehörige Einheit. Die Freiheitsphilosophie wurzelt in einer Erkenntnistheorie, die schon das Erkennen als freie schöpferische Tätigkeit des Menschen begreift. Und nur deswegen, weil dies so begriffen werden kann, ist freies Handeln möglich. Wohl am klarsten und prägnantesten wird das auf den Punkt gebracht in Steiners Schrift Wahrheit und Wissenschaft (GA-03, Dornach 1980), dem Vorspiel zur Philosophie der Freiheit. Auf S. 11 dieser Schrift schreibt er dort: "Das Resultat dieser Untersuchungen ist, daß die Wahrheit nicht, wie man gewöhnlich annimmt, die ideelle Abspiegelung von irgendeinem Realen ist, sondern ein freies Erzeugnis des Menschengeistes, das überhaupt nirgends existierte, wenn wir es nicht selbst hervorbrächten." Weiter (S. 12) führt er dann aus: "Für die Gesetze unseres Handelns, für unsere sittlichen Ideale hat diese Anschauung die wichtige Konsequenz, daß auch diese nicht als das Abbild von etwas außer uns Befindlichem angesehen werden können, sondern als ein nur in uns Vorhandenes. Eine Macht, als deren Gebote wir unsere Sittengesetzte ansehen müßten, ist damit ebenfalls abgewiesen. Einen «kategorischen Imperativ», gleichsam eine Stimme aus dem Jenseits, die uns vorschriebe, was wir zu tun oder zu lassen haben, kennen wir nicht. Unsere sittlichen Ideale sind unser eigenes freies Erzeugnis. Wir haben nur auszuführen, was wir uns selbst als Norm unseres Handelns vorschreiben. [...] Die Anschauung von der Wahrheit als Freiheitstat begründet somit auch eine Sittenlehre, deren Grundlage die vollkommen freie Persönlichkeit ist." Sprachlich nicht ganz so kurz und prägnant und etwas indirekter erläutert findet sich dieser Gedankengang auch in der Schrift Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung, (GA-02, Dornach 1979), dort in den Kapiteln 17, 18 und 19. Ähnliches in den Einleitungen zu Goethes naturwissenschaftlichen Schriften (GA-01, Dornach 1973), dort etwa im Kapitel X. Und dasselbe mit wieder etwas anderen Worten in der Philosophie der Freiheit auf S. 253 ff am Ende des Kapitels Die Konsequenzen des Monismus in dem Hinweis, das freie Handeln wurzele in der Freiheit des intuitiven Denkens. (Zusatz von 1918) Steiners Freiheitsphilosophie ist demnach eine Konsequenz aus den grundlegenden Resultaten seiner Erkenntnistheorie - aus der "Anschauung von der Wahrheit als Freiheitstat" - und ohne diese kaum in dieser Form vorstellbar. Sie wächst nicht nur in einem logischen, sondern in einem ganz realen Sinne aus dieser Erkenntniswissenschaft heraus; und das heißt auch: Ohne die Berücksichtigung und das Verständnis dieser Erkenntnistheorie ist Steiners Freiheitsphilosophie nicht wirklich zu begreifen. So wenig wie das anthroposophisch-philosophische Forschungsverfahren, das ihr zugrunde liegt. Will man sich jetzt ein Bild machen von der paradigmatischen Geistesforschung, wie sie Steiners Worten gemäß in dieser Freiheitsforschung stattfindet, dann braucht man also Vortragsäußerungen wie diese nur auf die philosophischen Grundschriften anzuwenden, und wird auf fast jeder Seite dort dieses geisteswissenschaftliche Forschungsprinzip wiederfinden: "Man muß nicht ein Äußerliches, man muß dasjenige, was in einem selber sich entwickelt, mit der Aktivität des Denkens durchdringen. Dadurch aber reißt sich das, was nun Inhalt des Denkens wird, los von einem jeglichen Haften an einem Objekt im gewöhnlichen Sinne. [...] Was hier das Denken vollzieht, es wird selber ein Akt der Befreiung. Es hebt sich das Denken, indem es nicht inhaltlos wird, sondern gerade indem es angefüllt ist mit dem intimsten Fließen des Menschenwesens selbst, herauf zu einem freien Flusse, der das eine aus dem andern hervorströmen läßt. Es erfüllt sich der Seeleninhalt mit etwas, das er selber erzeugt und das in seiner Erzeugung zu gleicher Zeit objektiv ist." Daß sich "der Seeleninhalt erfüllt mit etwas, das er selber erzeugt und das in seiner Erzeugung zu gleicher Zeit objektiv ist" - gerade dies ist das Charakteristikum der Steinerschen Erkenntniswissenschaft und der darauf aufbauenden Freiheitsphilosophie. Nichts ist ausgedacht, erspekuliert oder den Naturwissenschaften entlehnt, sondern stellt - obgleich es aus dem intimstes Tun des Menschen hervorgeht - einen vollgültigen wissenschaftlichen Inhalt dar. Objektiv, vollgültig und solide genug, um im Falle der Erkenntniswissenschaft alle weitere Wissenschaft auf dieses Fundament zu gründen. Ob es nun Wissenschaft über Freiheit, Erzengel oder Biophotonen ist. Denn eben das ist das Ziel der Erkenntniswissenschaft. Und überall dort geht es nicht um ein "Äußerliches", sondern um "dasjenige, was in einem selber sich entwickelt". Um das eigene Erkennen und die eigene innere Entwicklung in einer philosophischen Klarheit, Präzision und hochgradig kritischen Reflektiertheit, die nirgendwo sonst im Betrieb der Wissenschaft so idealtypisch zu verwirklichen sind. Und in dem Maße, wie sich das Denken der Gründe, Anlässe und Bedingungen - allgemeiner: der Gesetze - seines Erkennens und Handelns erkenntnismäßig bemächtigt, ist dieser Akt der Selbstaufklärung auch ein ganz realer Befreiungsakt, der sich unmittelbar und erklärterweise in der Erkenntnistheorie schon vollzieht. Was sich hier gegenüber dem Denken und Erkennen vollzieht, das ist aus einem etwas anderen Blickwinkel gesehen der Beginn jenes Erwachens aus dem gewöhnlichen Bewußtsein, von dem Steiner in seiner Schrift Vom Menschenrätsel (GA-20, Dornach 1984) S. 159 sagt, es sei "ein Erwachen zu einer Art und Richtung des seelischen Erlebens, die sich zu der Welt des gewöhnlichen Bewußtseins verhalten, wie dieses zu der Bilderwelt des Traumes." Es ist hilfreich sich schließlich und endlich eines noch vor Augen führen, worauf Steiner in dem Vortragsauschnitt ausdrücklich hinweist: Gegenstand dieser Freiheitsuntersuchungen ist dasjenige, was dem Menschen vorliegt "im alleralltäglichsten Leben" und nichts sonst. Ein Hinweis, den er auch am Ende des zweiten Kapitels der Philosophie der Freiheit seinem Leser gibt. Die Bedeutung jedenfalls des intuitiven Denkens schält sich erst allmählich aus solchen Untersuchungen heraus und bekommt ihre klaren Konturen in der Auseinandersetzung mit den verschiedensten Spielarten erkenntnistheoretischer und freiheitsphilosophischer Positionen des philosophischen Umfeldes. Die Einsicht, daß es sich beim intuitiven Denken um ein Übersinnlich-Geistiges von außerordentlicher Weltbedeutung handelt, fällt nicht so ohne weiteres in den Schoß, noch kann man so eine Überzeugung bedenkenlos hinpfahlen ohne näher zu begründen, warum man dieser Auffassung ist. Der wissenschaftliche und freiheitsphilosophische Rang des intuitiven Denken ist also nicht kontextfrei zu ermitteln und zu vermitteln. Man kann seinen Wert in der wissenschaftlichen Welt nicht glaubwürdig sichtbar machen und verankern, ohne das Für und Wider weitläufig auszudiskutieren. Und genau das führt Steiner dem Leser in seinen Frühschriften vor, indem er in seine Untersuchungen den Fragehorizont der zeitgenössischen Philosophie einbindet. Wobei man sich ernstlich fragen kann, wie vollständig und hinreichend das dort schon ist. Es läßt sich jedenfalls kein klarer Schnitt machen zwischen bloß logisch - erkenntnistheoretischer Erwägung auf der einen Seite und rein anthroposophischer oder freiheitsphilosophischer Methode auf der anderen. Zwischen kritischer Untersuchung abweichender Auffassungen und bloß persönlicher Untersuchung des Denkens, Erkennens und freien Handelns. Weil es eine allgemeine Forschungskultur gibt, in der man auch zu anderen Resultaten kommt, und wo ebenfalls begründeter Anspruch darauf erhoben wird die Dinge auf vertretbare Weise darzustellen. Will man sich selbst begründet ernst nehmen können und in dieser Forschungskultur selbst auch ernst genommen werden mit der eigenen Meinung, dann muß man die anderen natürlich ebenso ernst nehmen und gute Gründe nach außen wie nach innen sich selbst gegenüber vorweisen, warum die persönliche Überzeugung anderen gegenüber zu favorisieren ist. Und dazu ist eine hinreichende Übersicht darüber nötig, was es an diesbezüglichen Auffassungen überhaupt gibt und was gegebenenfalls für oder gegen sie spricht. Das macht die Sache zu einem ungeheuer ausufernden Geschäft, in dem man sehr schnell verloren gehen kann. Die Auseinandersetzung mit Volkelts Begriff der reinen Erfahrung jedenfalls ist so gesehen unabdingbarer Teil dieser Methode. Und das läßt sich natürlich in viele Richtungen hin ausdehnen: Kritik des zeitgenössischen Positivismus, des Kantianismus, Eduard von Hartmanns, Schopenhauers etc. All das gehört zur wissenschaftlichen Legitimation der Anthroposophie und zur Lösung des Freiheitsproblems dazu und ist in einem vielleicht etwas weiter gefaßten, aber ganz und gar nicht nebensächlichen Sinne Bestandteil ihrer dortigen Methode. Darin besteht ihr wissenschaftlicher Charakter, daß sie ihren Standpunkt nach allen Seiten hin prüft, rechtfertigt und nicht autoritär behauptet: So ist es nun einmal und damit basta! Würde sie so vorgehen, dann wäre die Anthroposophie um alle Wissenschaftlichkeit gebracht. Deswegen ist es auch vollkommen angemessen, wenn anthroposophische Philosophen diese Gesichtspunkte aufgreifen und sich hier um weiteres Verstehen bemühen. Oder sich mit Gegenwartphilosophie befassen, um Steiners Gedankengänge vor diesem Hintergrund sichtbar und vertretbar zu machen. Kritische Auseinandersetzungen Zieglers etwa um das reine Denken, wie er sie im Jahrbuch für anthroposophische Kritik 2004 (S. 71 ff) vorgestellt hat, sind nicht etwa eine anthroposophie-fremde bloß philosophische Tätigkeit, sondern gehören in den Kontext der wissenschaftlichen Rechtfertigung ihrer Vorgehensweise und des Verständnisses ihrer Methode, und sind damit ein essentiell anthroposophisches Anliegen. Und noch weit mehr trägt diesen anthroposophischen Charakter die oben schon genannte jüngste Schrift Zieglers Intuition und Ich-Erfahrung, Stuttgart 2006. Auf derselben Linie von Rechtfertigung, Verdeutlichung und Weiterführung liegt all das, was Steiners Beziehung zu anderen Philosophen und freiheitsphilosophischen Meinungsmachern ins Auge faßt - ob es nun Fichte, Hegel, Peter Bieri, Wolf Singer oder Prokofieff ist. Man könnte auch hier nur eine ganz willkürliche Grenze setzen zwischen anthroposophischer und nicht-anthroposophischer Forschung. Entscheidend für die Bewertung ist letztlich das jeweilige Untersuchungsziel. Ob überhaupt und wo immer man jetzt im Detail so eine Grenze zwischen Anthroposophie und Erkenntnistheorie, zwischen anthroposophischer und philosophischer Methode zieht - eines wird auf jeden Fall an solchen Beispielen und Überlegungen erkennbar: Es ist unsinnig im Stile Prokofieffs von einer bloß philosophischen Zugangsweise zur Philosophie der Freiheit zu reden im Gegensatz zur wirklichen anthroposophischen. Weil diese bloß philosophische Zugangsweise Steiners Selbstverständnis nach längst schon die wirklich anthroposophische ist. Wenn Steiner also (s.o.) hervorhebt: "Und man weiß, was übersinnliche Forschung ist, wenn man in richtiger Weise geforscht hat über das Freiheitsproblem. Man steht in dem Geiste dieser Forschung schon drinnen, der dann auch hinaufführt in die Höhe der übersinnlichen Welt.", dann heißt das im Klartext: Jemand wie Prokofieff wird es sehr schwer haben zu begreifen was anthroposophische Forschung ist, weil er diesen exemplarischen und wissenschaftlich legitimierenden Weg anthroposophischer Forschung eigentlich ablehnt, indem er ihn überwinden möchte. Tatsächlich ist so ein Überwindungsansinnen ungefähr so vernünftig wie die an einen Mathematiker gerichtete Aufforderung, sich von den logischen Grundlagen der Mathematik zu verabschieden und sie zu überwinden. Das heißt: Wer im Sinne Prokofieffs diese Zugangsweise überwinden will und die philosophisch-wissenschaftliche Legitimation der anthroposophischen Methode zu etwas Geringerwertigem umdefiniert, der ist im Begriffe diese wissenschaftliche Methode abzuschaffen. Ob dies wissentlich oder aus schierer Unkenntnis der Verhältnisse geschieht ist vom Resultat her gesehen vollkommen unerheblich. Tatsache ist, daß die Anthroposophen unter dem Einfluß solcher Publikationen drauf und dran sind das Verständnis um ihre eigene wissenschaftliche Legitimation ebenso zu verlieren wie diesen wissenschaftlichen Weg der Geistesforschung und die Verbindung überhaupt zu jeglicher Form seriöser wissenschaftlicher Forschung. Daß solche Tendenzen von einem ihrer Dornacher Vorstandsmitglieder ausgehen, das könnte reichlich Stoff zum Nachdenken geben. Man kann die philosophisch-anthroposophische Zugangsweise nicht überwinden wollen sondern sie lediglich erweitern, indem man sich anderen Gebieten der geistigen Welt zuwendet - so wie es Steiner im Vortrag ausführt. Überflüssig zu sagen, daß all dies nur geleistet werden kann, wenn man auch begriffen hat was in der Philosophie der Freiheit überhaupt steht. Schlußbemerkung Es ist ja nicht zu bestreiten, daß wir in der gegenwärtigen Zeit einen kulturellen Pluralismus und auch einen Pluralismus in der Meinungsbildung haben, den es in früheren Zeiten so nicht gab. Jeder kann über nahezu alles öffentlich denken und schreiben was er will und für richtig hält. Es ist keineswegs mein Wunsch dies rückgängig zu machen. Doch ich habe es an anderer Stelle auf dieser Internetsite schon einmal gesagt: Für ein Dornacher Vorstandsmitglied gelten nun einmal andere publizistische Bedingungen als für den Autor Jedermann. An so ein Mitglied hat die Leserschaft naturgemäß andere und höher geschraubte Erwartungen hinsichtlich Sachkompetenz, Qualität und Gewissenhaftigkeit seiner Ausführungen. Niemand wird von einer Persönlichkeit Irrtumsfreiheit erwarten, bloß weil sie dem Dornacher Vorstand angehört. Aber man muß verlangen, daß sie erkennbar verantwortungsvoll mit den Themen umgeht, zu denen sie sich öffentlich äußert. Es ist also nicht egal, ob so ein Vorstandsmitglied mit dem Anspruch der fachmännischen Kompetenz über die wichtigsten Dinge des Menschen ins Blaue hinein fantasiert, von denen es nachweislich nichts versteht. Man kann kein Lehrer sein in Angelegenheiten, von denen man nichts begriffen hat. Schon gar kein anthroposophisch geistiger Lehrer. Rein rechtlich gesehen ist so etwas sicher nicht zu beanstanden. Sachlich betrachtet allerdings ist jemand, der sich eine Scheinkompetenz und Lehrbefugnis in Dingen beilegt, die ihm weitestgehend fremd sind, entweder ein Scharlatan oder ein mentaler Hochstapler. Und wenn er dann auch noch dem Dornacher Vorstand angehört, dann mißbraucht er sein Amt als anthroposophischer Funktionär. 4) Es gehört mit zu den trostlosesten Aspekten der gegenwärtigen Anthroposophie, daß von der Spitze einer Bewegung, die gleichermaßen dem Geiste wie der Wissenschaft verpflichtet ist, die Wissenschaft dermaßen mit Füßen getreten wird, wie es in Prokofieffs Schrift geschieht. Und zwar in vielerlei Hinsicht. Wer aber die Wissenschaft mit Füßen tritt, der läßt trotz aller gegenteiligen Beteuerungen dem Geist kaum anderes widerfahren. Anmerkungen: 1) Marcelo da Veiga, Diskursfähigkeit der Waldorfpädagogik, in: Horst Philipp Bauer/Peter Schneider, Waldorfpädagogik, Perspektiven eines wissenschaftlichen Dialoges, Frankfurt am Main, 2006, S. 21. 2) Ich habe mich hier aus Sicherheitsgründen für eine minimalistische Lesart dieser Vortragsstelle entschieden. Mir kommt es dabei lediglich darauf an zu demonstrieren, daß auf jeden Fall das reine Denken zu dieser geisteswissenschaftlichen Methode dazu gehört. Tatsächlich bietet die Vortragsstelle einen weit größeren Interpretationsspielraum, als ich hier ausnutze. Allerdings kommt man dann auch in etwas heikle Fragen nach der Präzision solcher Vortragsäußerungen Steiners hinein - mit allen sich daraus ergebenden weiteren Schwierigkeiten. 3) Das ist natürlich ein extrem vereinfachend gezeichnetes Bild von Wissenschaftlichkeit, insofern es nur den erkenntniskritischen Aspekt berücksichtigt. Hier wird auch mehr auf die philosophisch-wissenschaftliche Genese der Anthroposophie gezielt. Wissenschaftlichkeit besteht selbstverständlich in weit mehr als nur in einem erkenntnistheoretisch geprägten Bewußtsein. Z. B. gehören dazu auch zahlreiche methodenkritische Aspekte, die sich erst im Rahmen einer spezifischen Forschungspraxis herauskristallisieren, und die zunächst gar nicht in den Fokus der Erkenntnistheorie gelangen. Siehe dazu die methodenkritische Arbeit hier auf dieser Homepage. 4) "Bullshit ist immer dann unvermeidbar, wenn die Umstände Menschen dazu zwingen, über Dinge zu reden, von denen sie nichts verstehen. Die Produktion von Bullshit wird also dann angeregt, wenn ein Mensch in die Lage gerät oder gar verpflichtet ist, über ein Thema zu sprechen, das seinen Wissensstand hinsichtlich der für das Thema relevanten Tatsachen übersteigt. Diese Diskrepanz findet sich häufig im öffentlichen Leben, in dem Menschen sich - aus eigenem Antrieb oder auf Anforderung anderer - oft gedrängt sehen, sich eingehend über Gegenstände auszulassen, von denen sie wenig Ahnung haben." Diese Bemerkung des prominenten Princeton Philosophen Harry G. Frankfurt trifft in bezug auf Prokofieff die Sachlage in mancherlei Hinsicht wohl relativ genau. Wirkt aber vor dem Hintergrund dessen, was durch Personen wie Prokofieff angerichtet wird, eher verharmlosend. Siehe Harry G. Frankfurt, Bullshit. Aus dem Amerikanischen von Michael Bischof, Frankfurt 2006, S. 70. Das Verheerende an publizistischen Erscheinungen à la Prokoffieff ist, daß die Tendenzen zu einem unaufgeklärten und in jeder Hinsicht wissenschaftsfernen anthroposophischen Fundamentalismus, die latent immer in der anthroposophischen Bewegung vorhanden sind, jetzt sozusagen ihre de facto Absegnung von höchster Stelle direkt aus dem Dornacher Vorstand erhalten. Und das kann, falls dieser Trend anhält, auf mittlere und längere Sicht nur dazu führen, daß das ganze Projekt Anthroposophie vollends im esoterischen Fundamentalismus und Sektierertum versinkt und vor die Wand gefahren wird. Nötig wäre das genaue Gegenteil dessen, was Prokofieff seinem Leser suggeriert und vorexerziert: Nämlich endlich die notwendigen Klärungen der Verständnisprobleme Steinerscher Grundschriften voranzutreiben und diejenigen philosophischen Grundlegungsarbeiten zu erledigen, die bei Steiner liegen geblieben sind. Das ist angesichts der ungeheuren Vielzahl an Problemstellungen, mit denen das alles verbunden ist, eine wahre Mammutaufgabe. Man erinnere sich in diesem Zusammenhang auch an den Briefwechsel Steiners mit Rosa Mayreder anläßlich der Erstveröffentlichung der Philosophie der Freiheit. ( Rosa Mayreders Brief vom 5. April 1894 und Steiners Antwort darauf am 4. November 1894. Siehe: Edwin Froböse und Werner Teichert (Hgr), Rudolf Steiner, Briefe II, 1892-1902, Dornach 1953, S. 159 f; S. S. 176 ff.) Man lasse sich nur nicht blenden durch die immer wieder bemühten äußeren Erfolge der Anthroposophie auf den verschiedensten Sachgebieten wie Pädagogik, Medizin, Landwirtschaft usw. Das alles führt nämlich in keiner Weise zur Akzeptanz der Anthroposophie als ernst zu nehmender wissenschaftlich fundierter Bewegung. Gerade dies läßt sich dem eingangs zitierten Sammelband von Peter Schneider und Horst Philipp Bauer ablesen, wo das offen ausgesprochen wird. Bei allem Sachinteresse finden wissenschaftsorientierte Außenstehende den Zugang zu Steiners Anthroposophie nicht. Der Grund dafür liegt keineswegs immer bei ihnen, sondern eher bei den Anthroposophen selbst, die ihnen nicht hinreichend entgegenarbeiten. Wie auch sollten Außenstehende diesen Zugang finden, wenn die Lage bei den Anthroposophen noch derart verworren ist, daß diese sich selbst nicht verstehen? Und dort, wo solche Bemühungen nach Selbstaufklärung vorliegen, werden sie nachhaltig und in geradezu bizarrer Weise konterkariert durch Erscheinungen wie Prokofieff.
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