Michael Muschalle
Ende Inhalt Gesamtinhalt Home Michael Muschalle Zur Unbewusstheit des aktuellen Denkens (Stand 14.05.04) Anmerkungen: 1 Michael Muschalle, Ausnahmezustand und Spaltung der Persönlichkeit, in: Jahrbuch für Anthroposophische Kritik 2000. 1a GA-21, 1976, S. 170 f. 1b Herbert Witzenmann, Methodische Konsequenzen der Goetheschen Metamorphosenidee, in: Goethes universalästhetischer Impuls, Dornach 1987, S. 386; S. 397. 2 Christoph Lindenberg, Was heißt: das Denken beobachten?. In: Die Drei, 6/ 1999. 3 Siehe etwa Herbert Witzenmann, Strukturphänomenologie, 1983, S. 76 ff. 4 Michael Kirn, Das große Denk-Ereignis. Rudolf Steiner, «Die Philosophie der Freiheit», Kapitel III, philosophisch erweitert. Dornach 1988. Das "kleine Denk-Ereignis" ist für Kirn das gewöhnlich sich vollziehende Denken bzw. denkende Erkennen. Siehe hierzu seine Begrifferläuterungen S. 33ff. 5 Siehe Herbert Witzenmann, Strukturphänomenologie, Dornach 1983, S. 25 ff; insbes. S. 31 ff. 6 Steiner berichtet in seinem Lebensgang über ein Gespräch mit Eduard von Hartmann: "Für ihn lag das Wesen der Dinge im Unbewußten und muß für das menschliche Bewußtsein immer dort verborgen bleiben; für mich war das Unbewußte etwas, das durch die Anstrengungen des Seelenlebens immer mehr in das Bewußtsein heraufgehoben werden kann. Ich kam im Verlauf des Gespräches darauf, zu sagen: man dürfe doch in der Vorstellung nicht von vorneherein etwas sehen, das vom Wirklichen abgesondert nur ein Unwirkliches im Bewußtsein darstelle. Es könne eine solche Ansicht doch nicht der Ausgangspunkt einer Erkenntnistheorie sein. Denn durch dieselbe versperre man sich den Zugang zu aller Wirklichkeit, indem man dann doch nur glauben könne, man lebe in Vorstellungen, und könne sich einem Wirklichen nur in Vorstellungshypothesen, das heißt auf unwirkliche Art nähern. Man müsse vielmehr erst prüfen, ob die Ansicht von der Vorstellung als eines Unwirklichen Geltung habe, oder ob sie nur einem Vorurteil entspringe. Eduard von Hartmann erwiderte: darüber ließe sich doch nicht streiten; es läge doch schon in der Wort-Erklärung der «Vorstellung», daß in ihr nichts Reales gegeben sei. Als ich diese Erwiderung vernahm, bekam ich ein seelisches Frösteln. «Wort-Erklärungen» der ernsthafte Ausgangspunkt von Lebensanschauungen! Ich fühlte, wie weit ich weg war von der zeitgenössischen Philosophie." GA-28, 1962, S. 155 f. An anderer Stelle äußert Steiner, Hartmanns "Unbewußtes" sei nichts weiter als "Reste alter theologischer Vorstellungen." GA-30, 1989, S. 400. Eine ausführlichere Darstellung von Hartmanns Kritik an der "Philosophie der Freiheit" gibt Steiner in dem Aufsatz: Die Geisteswissenschaft als Anthroposophie und die zeitgenössische Erkenntnistheorie. Persönlich-Unpersönliches. In GA-35, 1984, S. 307 ff. 7 Eduard von Hartmann, Moderne Psychologie, Leipzig 1901, S. 30. Hierzu paßt auch, was von Hartmann im zweiten Band der "Philosophie des Unbewußten" sagt. Es liest sich wie ein Kommentar zu den einschlägigen Passagen der Steinerschen Erkenntnistheorie: "Wir stehen mit unserm praktischen und theoretischen Denken ganz auf Seiten des peripherischen bewussten Geistes und wähnen nun ohne Weiteres, dass er das Centrum der Welt sein müsse, weil er das uns allein unmittelbar Gegebene und Bekannte, und darum den Ausgangspunkt oder das Centrum unsres Philosophirens und Erkennens bildet. Wir bilden uns ein, bei unsrer Betrachtung der geistigen Welt, ebenso wie bei der Betrachtung einer Landschaft, einen centralen Standpunkt zu haben, während wir einen ganz excentrischen einnehmen; darum fällt es uns so schwer, den Gesichtspunkt zu wechseln und einzusehen, dass das Centrale in der Welt das Unbewusste ist. Wir besitzen am bewussten Geist den Erkenntnissgrund des unbewussten, und übersehen, dass eben darum der letztere der Realgrund des ersteren sein muss. Allen Reichthum, den wir receptiv in unserm Bewusstsein vorfinden und selbstthätig erzeugen, ist lediglich ein aus der unbewussten Productivität entlehntes Gut; weil wir uns aber in dem Wahne unsres centralen Standpunkts einbilden, daran einen Originalbesitz und ein Originalproduct des bewussten Geistes zu haben, darum verkennen wir dass es bloss geliehen ist und ursprünglich dem Reiche des unbewussten Geistes entstammt. Dringen wir nun weiter zu der Erkenntniss durch, dass im Geiste hinter dem Bewusstsein die Seite des Unbewussten liegt, so erwächst aus unsern falschen Voraussetzungen der weitere Irrthum, als ob das Unbewusste, als Gegentheil des Bewussten, ebenso arm sein müsse, wie dieses uns reich scheint. Sehen wir aber ein, dass der Reichthum des Bewusstseins nur ein aus der unbewussten Geistesthätigkeit entsprungenes und zum momentanen Niessbrauch dargeliehenes Gut ist, und dass unserm Bewusstsein nur kleine Bruchstücke aus dem gesammten Reichthum der unbewussten Geistesthätigkeit dargeliehen werden, dann erkennen wir erst, dass wir in unsrer peripherischen Excentricität die Armen, und der unbewusste Geist der unerschöpflich reiche Schöpfergeist ist." Eduard von Hartmann, Philosophie des Unbewußten, 10. Auflage, Leipzig 1890, Bd. 2, S. 495. 8 Eduard von Hartmann, Philosophie des Unbewußten. Zehnte Auflage, Leipzig 1890, Bd. 1, S. 275. 9 Eduard von Hartmann, Philosophie des Unbewußten, 10. Auflage, Leipzig 1890, Bd. 2, S. 499. 10 Zu Steiners Eindruck von Hartmanns Erkenntnistheorie siehe etwa in seiner Autobiographie: "In diese Zeit [zwischen dem dreiundzwanzigsten und achtundzwanzigsten Lebensjahr, MM] fällt meine Beschäftigung mit der Philosophie Eduard von Hartmanns. Ich studierte seine «Erkenntnistheorie», indem sich fortwährender Widerspruch in mir regte. Die Meinung, daß das wahrhaft Wirkliche als Unbewußtes jenseits der Bewußtseinserlebnisse liege, und diese nichts weiter sein sollen als ein unwirklicher, bildhafter Abglanz des Wirklichen, war mir tief zuwider. Ich stellte dem entgegen, daß die Bewußtseinserlebnisse durch die innerliche Verstärkung des Seelenlebens in das wahrhaft Wirkliche untertauchen können. Ich war mir klar darüber, daß sich im Menschen das Göttlich-Geistige offenbart, wenn der Mensch durch sein Innenleben diese Offenbarung möglich macht." GA-28, 1962, S. 108. Siehe aber auch S. 109 f: "Dagegen zog mich Hartmanns Werk «Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins» an. Da, fand ich, wird die sittliche Entwickelung der Menschheit am Leitfaden des empirisch zu Beobachtenden verfolgt. Es wird nicht, wie in der Hartmann'schen Erkenntnistheorie und Metaphysik dies geschieht, die Gedankenspekulation auf ein jenseits des Bewußten liegendes unbekanntes Sein gelenkt, sondern es wird, was als Sittlichkeit erlebt werden kann, in seiner Erscheinung erfaßt. Und ich war mir klar darüber, daß keine philosophische Spekulation über die Erscheinung hinausdenken darf, wenn sie an das wahrhaft Wirkliche herankommen will. Die Erscheinungen der Welt offenbaren selbst dieses wahrhaft Wirkliche, wenn sich erst die bewußte Seele bereit macht, es zu erfassen. Wer nur das Sinnlich-Ergreifbare in das Bewußtsein aufnimmt, der kann das wahrhaft Seiende in einem dem Bewußtsein Jenseitigen suchen; wer das Geistige in der Anschauung erfaßt, der spricht von ihm als von einem Diesseitigen, nicht von einem Jenseitigen im erkenntnistheoretischen Sinne. Mir erschien die Betrachtung der sittlichen Welt bei Hartmann sympathisch, weil er dabei seinen Jenseitsstandpunkt völlig zurücktreten läßt und sich an das Beobachtbare hält. Durch die Vertiefung in die Phänomene bis zu dem Grade, daß sie ihre geistige Wesenheit enthüllen, wollte ich Erkenntnis des Seienden zustande gebracht wissen, nicht durch Nachdenken darüber, was «hinter» den Phänomenen ist." 11 Siehe ausführlicher dazu Philosophie des Unbewußten. Zehnte Auflage, Leipzig 1890, Bd. 1, SS. 245 ff. Ebenso SS 261 ff. So schreibt von Hartmann in einer 1872 als Begleitband zu seiner Philosophie des Unbewußten herausgegebenen Schrift: "Wir hatten oben (S. 115-116) darauf hingedeutet, dass die sogenannten Talente oder geistigen Anlagen wesentlich in der Fertigkeit der Handhabung und Bearbeitung gewisser Vorstellungsmassen, oder der Bearbeitung beliebiger Vorstellungen in einer bestimmten Richtung bestehen und dass diese Fertigkeiten aus ererbten oder durch Uebung erworbenen Gehirnprädispositionen erklärt werden müssen. Wenn nun bei aller geistigen Arbeit, gleichviel ob sie in der Auswahl geeigneter Mittel zu praktischen Zwecken, oder in künstlerischer Conception, oder in wissenschaf'tlichem Erfinden und Entdecken besteht, die Pointe des Gelingens immer darin liegt, dass einem »die rechte Vorstellung im rechten Moment einfällt«..., so wird das eigentlich P r o d u k t i v e in der Geistesarbeit ausschliesslich in der activen Ideenassociation ... zu suchen sein, keineswegs etwa in formal-logischen Processen, wie dem Schlussverfahren, bei dem nichts herauskommt, als was man vorher hineingesteckt hatte ... . Selbst wo es sich nur um Herstellung einer gewissen Ordnung gegebener Vorstellungsmassen handelt, wird doch das maassgebende Princip, nach welchem das Ordnen vorgenommen wird, Sache eines glücklichen Griffes, also Resultat einer produktiven Ideenassociation sein. Alle formellen Forschungsmethoden der deductiven und inductiven Logik dienen doch nur dazu, das durch kühne und glückliche Ideenassociation Concipirte objektiv sicherzustellen, resp. als Irrthum zu erweisen, der physikalische Experimentator wie der produktive Mathematiker leisten beide doch eigentlich nur dann Bedeutendes, wenn sie der Hauptsache nach schon vorher wissen, was bei ihrer Arbeit berauskommen muss; andernfalls bleiben sie ewig fleissige Stümper. Die Ideenassociation ist die allgemeingültige, ewig unersetzliche Urform, in welcher jeder Vorstellungsprocess verläuft, und alle Regeln der Methodik des Denkens sind doch nichts als Abstractionen von gewissen bequemer systematisirbaren Unterarten dieser Urform. Diese Urform hat in der Psychologie der meisten Philosophen noch keineswegs ihre verdiente Beachtung gefunden." E. von Hartmann, Das Unbewußte vom Standpunkt der Physiologie und Descendenztheorie. Eine kritische Beleuchtung des naturwissenschaftlichen Theils der Philosophie des Unbewußten aus naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten. Berlin, 1872, S. 120 f. Eduard von Hartmann hat diese Begleitschrift später seiner "Philosophie des Unbewußten" direkt hinzugefügt. Das obige Zitat findet sich mit unverändertem Wortlaut im dritten Band dieses Werkes, 10. Auflage von 1890 auf S. 192f. 12 Eduard von Hartmann, Die moderne Psychologie, Leipzig 1901, S. 197. Siehe auch Philosophie des Unbewußten, 10Leipzig 1890, Bd. 2, S. 45 ff, das Kapitel, "Die Unbewusstheit des Willens. Siehe auch Eduard von Hartmann, Neukantianismus, Schopenhauerianismus und Hegelianismus in ihrer Stellung zu den philosophischen Aufgaben der Gegenwart. 2Berlin 1877, S. 286 ff, Kapitel 8. Der Wille. 13 Eduard von Hartmann, Philosophie des Unbewußten. Zehnte Auflage, Leipzig 1890, Bd. 2, S. 45 ff. Kapitel 3., Die Unbewußtheit des Willens. S. 49. 14 Philosophie des Unbewußten, 10Leipzig 1890, Bd. 2, S. 431. 15 Wilhelm von Schnehen, Eduard von Hartmann, Stuttgart 1929, S. 175 f. 16 Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung, GA-2, 1979, S. 47 f. 17 GA-4, 1962, S. 55. 18 Siehe hierzu Philosophie des Unbewußten, 10Leipzig 1890, Bd. 2, S. 426 ff das Kapiel 2. Der Wille; insbes. S. 432 ff. 19 Philosophie des Unbewußten, 10Leipzig 1890, Bd. 2, Kapiel 3. Die Vorstellung oder Idee, S. 446. 20 Philosophie des Unbewußten, 10Leipzig 1890, Bd. 2, Kapiel 3. Die Vorstellung oder Idee, S. 447. 21 Philosophie des Unbewußten, 10Leipzig 1890, Bd. 2, Kapiel 3. Die Vorstellung oder Idee, S. 446. 22 Goethes naturwissenschaftliche Schriften, GA-1, 1973, S. 197. 23 Die Philosophie der Freiheit, GA-4, 1962, S. 140. 24 GA-4, 1962, S. 46. 25 Analoges ließe sich gewiß auch vom Gefühl sagen, das ja auch eine Erscheinungsform der Idee selbst ist. Steiner hält sich in dieser Hinsicht in den frühen Schriften noch sehr bedeckt. Ein Hinweis in diese Richtung stellt der Zusatz von 1918 dar, wonach im Wesenhaften des Denkens sowohl sowohl Gefühl wie Wille auch in den Tiefen ihrer Wirklichkeit gefunden werden. Das heißt Gefühl und Wille sind im Wesen der Idee selbst beschlossen. Steiner schreibt dort: "Das Wollen, das Fühlen, sie erwarmen die Menschenseele auch noch im Nacherleben ihres Ursprungszustandes. Das Denken läßt nur allzuleicht in diesem Nacherleben kalt; es scheint das Seelenleben auszutrocknen. Doch dies ist eben nur der stark sich geltend machende Schatten seiner lichtdurchwobenen, warm in die Welterscheinungen untertauchenden Wirklichkeit. Dieses Untertauchen geschieht mit einer in der Denkbetätigung selbst dahinfließenden Kraft, welche Kraft der Liebe in geistiger Art ist. Man darf nicht einwendend sagen, wer so Liebe im tätigen Denken sieht, der verlegt ein Gefühl, die Liebe, in dasselbe. Denn dieser Einwand ist in Wahrheit eine Bestätigung des hier geltend Gemachten. Wer nämlich zum wesenhaften Denken sich hinwendet, der findet in demselben sowohl Gefühl wie Willen, die letztern auch in den Tiefen ihrer Wirklichkeit; wer von dem Denken sich ab- und nur dem «bloßen» Fühlen und Wollen zuwendet, der verliert aus diesen die wahre Wirklichkeit. Wer im Denken intuitiv erleben will, der wird auch dem gefühlsmäßigen und willensartigen Erleben gerecht; nicht aber kann gerecht sein gegen die intuitiv-denkerische Durchdringung des Daseins die Gefühlsmystik und die Willensmetaphysik. Die letztem werden nur allzuleicht zu demUrteil kommen, daß sie im Wirklichen stehen; der intuitiv Denkende aber gefühllos und wirklichkeitsfremd in «abstrakten Gedanken» ein schattenhaftes, kaltes Weltbild formt." GA-4, 1962, S. 143 f. 26 GA-4, 1962, S. 130. 27 GA-4, 1962, S. 142. 28 Siehe das Kapitel, Goethes Erkenntnistheorie, in: Goethes naturwissenschaftliche Schriften, GA-1, 1973, S. 162: "In der Idee erkennen wir dasjenige, woraus wir alles andere herleiten müssen: das Prinzip der Dinge. Was die Philosophen das Absolute, das ewige Sein, den Weltengrund, was die Religionen Gott nennen, das nennen wir, auf Grund unserer erkenntnistheoretischen Erörterungen: die Idee." 29 Goethes Weltanschauung. Taschenbuchausgabe Dornach 1979, S. 86. 30 Siehe J.W. v. Goethe, Dichtung und Wahrheit, Zweiter Teil, 8. Buch. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, 1978; herausgegeben von Erich Trunz, Bd. 9, S. 350 ff. 31 Siehe hierzu auch den erhellenden Beitrag Lorenzo Ravaglis: Der esoterische Schulungsweg der Anthroposophie im Frühwerk Rudolf Steiners. In: Jahrbuch für anthroposophische Kritik, 1997 S. 74 ff. 32 Die Erkenntnis vom Zustand zwischen dem Tode und einer neuen Geburt (1916), in: GA-35, 1984, S. 283. 33 Taschenbuchausgabe Dornach 1979, S. 86. 34 Die Erkenntnis vom Zustand zwischen dem Tode und einer neuen Geburt (1916), in: GA-35, 1984, S. 276. 35 Siehe etwa GA-35, 1984, S. 272 f; Steiner schreibt dort (S. 273 f): "Tatsache ist, daß in den neueren Schriften über Seelenwissenschaft, die den Forderungen der naturwissenschaftlichen Denkungsart gerecht werden wollen, Betrachtungen über Erkenntnisse, die den «Hoffnungen eines Platon und Aristoteles» entgegenkämen, vermieden werden. - Der Geistesforscher wird nun, wenn er Verständnis hat für den Lebensnerv der neueren naturwissenschaftlich gehaltenen Seelenwissenschaft, mit deren Verfahrensart nicht in Widerstreit geraten. Er wird aus diesem Verständnisse heraus anerkennen müssen, daß im wesentlichen von dieser Seelenwissenschaft der richtige Weg eingeschlagen wird, insoferne es sich um die Betrachtung der inneren Erlebnisse des Denkens, Fühlens und Wollens handelt. Denn ihn führt sein Erkenntnisweg dazu anzuerkennen, daß Denken, Fühlen und Wollen nichts offenbaren, was die «Hoffnungen eines Platon und Aristoteles» erfüllen könnte, wenn die genannten Seelenbetätigungen nur so betrachtet werden, wie sie im gewöhnlichen Menschendasein erlebt werden. Dieser Erkenntnisweg zeigt aber auch, daß in Denken, Fühlen und Wollen etwas verborgen liegt, das im Verlaufe des gewöhnlichen Lebens nicht bewußt wird, das aber durch innere Seelenübungen zum Bewußtsein gebracht werden kann. In diesem dem gewöhnlichen Seelenleben verborgenen Geistwesen der Seele offenbart sich dasjenige, was in ihr unabhängig vom Leibesleben ist und an dem die Beziehungen des Menschen zur geistigen Welt beobachtet werden können. Für den Geistesforscher erscheint es ebenso unmöglich, durch Beobachtung des gewöhnlichen Denkens, Fühlens und Wollens die «Hoffnungen des Platon und Aristoteles» über das vom Leibesleben unabhängige Seelendasein zu erfüllen, wie es unmöglich ist, im Wasser die Eigenschaften des Wasserstoffes zu erforschen. Will man diese kennen lernen, so muß man durch ein entsprechendes Verfahren erst den Wasserstoff aus dem Wasser herausholen. So aber ist auch nötig, aus dem alltäglichen durch den Zusammenhang mit dem Leibe geführten Seelenleben dasjenige Wesen abzusondern, das in der Geisteswelt durch seine ihm ureigenen Kräfte wurzelt, wenn dieses Wesen beobachtet werden soll." 36 Eduard von Hartmann, Philosophie des Unbewußten. Zehnte Auflage, Leipzig 1890, Bd. 3, S. 192. 37 Eduard von Hartmann, Philosophie des Unbewußten. Zehnte Auflage, Leipzig 1890, Bd. 1, S. 262. Siehe hierzu auch das ganze dortige Kapitel VII, Das Unbewußte im Denken, S. 261 ff. 38 Eduard von Hartmann, Philosophie des Unbewußten. Zehnte Auflage, Leipzig 1890, Bd. 1, S. 247. 39 Eduard von Hartmann, Philosophie des Unbewußten. Zehnte Auflage, Leipzig 1890, Bd. 1, S. 261 f. 40 Philosophie des Unbewußten. Zehnte Auflage, Leipzig 1890, Bd. 1, S. 247. 41 Siehe hierzu etwa das Kapitel VIII: Die Abkürzung der Ideenassoziation und die Vererbung der Denkformen, in: Das Unbewußte vom Standpunkt der Physiologie und Descendenztheorie. Berlin, 1872, S.120 ff. Bzw. "Philosophie des Unbewußten, 10, 1890, Bd. 3, S. 192 ff. Siehe hierzu auch : Eduard von Hartmann, Philosophie des Unbewußten. Zehnte Auflage, Leipzig 1890, Bd. 1, S. 246 ff. 42 Eduard von Hartmann, Philosophie des Unbewußten. Zehnte Auflage, Leipzig 1890, Bd. 3, S. 192 f. 43 Philosophie des Unbewußten. Zehnte Auflage, Leipzig 1890, Bd. 1, S. 248. 44 Zitiert nach Roger Penrose, Computerdenken, Heidelberg o.J., S. 408. Penrose schätzt, daß Poincaré, um seine Idee vor Experten vorzutragen, etwa eine Stunde benötigt hätte. 45 Wolfgang Köhler, Was ist das Denken? In: Die Aufgabe der Gestaltpsychologie, Berlin, New York 1971, S. 110. 46 Nach Kuhn können solche Entdeckungen eigentlich nur gemacht werden, wenn der Entdecker mit seinem Gebiet so umfassend vertraut ist, daß er das Eintreten von ungewöhnlichen oder unerwarteten physikalischen Ereignissen adäquat wahrnehmen und bewerten kann. Das heißt er sieht das Neue als Neues nur vor dem Hintergrund eines Bekannten. Und je besser er in seinem Fachgebiet zu Hause ist, umso größer die Wahrscheinlichkeit, Ungewöhnliches zu bemerken und richtig einzuschätzen. Fehlt ihm dieses Wissen und diese gediegene Übersicht über sein Arbeitsfeld, dann wird er das Anomale entweder gar nicht bemerken oder nur für ein Rauschen innerhalb seiner experimentellen Anordnung halten. Das von Röntgen beobachtete anomale Leuchten des Barium-Platinzyanür-Schirmes muß nach Kuhn etwa zur gleichen Zeit auch bei verschiedenen anderen Physikern eingetreten sein, die diesem Phänomen keine weitere Beachtung schenkten. (Siehe Thomas S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt 1967, S. 86 und 88.) "Daß eine unerwartete Entdeckung erst anfängt, wenn etwas nicht stimmt, bedeutet, daß sie erst anfängt, wenn die Wissenschaftler ihre Apparate wie auch das theoretisch geforderte Verhalten der Natur gut kennen." sagt Kuhn an anderer Stelle. (Thomas Kuhn, Die Entstehung des Neuen. Studien zur Struktur der Wissenschaftsgeschichte. Herausgegeben von Lorenz Krüger, 1977, S. 247) 47 Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1, Die Sprache. Darmstadt 101997, S.- 32 f. 48 GA-2, 1979, S. 56 f. 49 Ernst Cassirer schreibt, daß der Begriff der "Assoziation" eigentlich nicht viel aussagt: »"Dieser Terminus ist weit genug, um alle Möglichkeiten der Beziehung, die im Bewußtsein bestehen, gleichmäßig zu umfassen; aber er macht zugleich, in dieser seiner Weite, ihre Besonderheit und Eigenart unkenntlich. Beziehungen der verschiedensten Qualität und Modalität werden unterschiedslos durch ihn bezeichnet. "Association" heißt die Vereinigung von Elementen zur Einheit der Zeit oder des Raumes, zur Einheit des Ich oder des Gegenstandes, zum Ganzen eines Dinges oder einer Folge von Ereignissen zu Reihen, deren Glieder durch den Gesichtspunkt von Ursache und Wirkung und zu solchen, die durch den Gesichtspunkt von "Mittel" und "Zweck" miteinander verbunden sind. "Association" gilt ferner als der hinreichende Ausdruck für das logische Gesetz der Verknüpfung des Einzelnen zur begrifflichen Einheit der Erkenntnis, wie etwa für die Formen der Gestaltung, die sich im Aufbau des ästhetischen Bewußtseins als wirksam erweisen. Aber eben hierin tritt sofort hervor, daß dieser Begriff allenfalls nur den nackten Tatbestand der Verbindung überhaupt bezeichnet, ohne das geringste über ihre spezifische Art und Regel zu verraten. Die Verschiedenheit der Wege und Richtungen, durch die das Bewußtsein zu seinen Synthesen gelangt, wird hierdurch völlig verdeckt."« Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1, Die Sprache. 10 Darmstadt 1997 S. 38. 50 Herbert Witzenmann, Intuition und Beobachtung. In: Ders.: Intuition und Beobachtung, Bd. 1, Stuttgart 1977, S. 79 f. 51 Dieses nur mittelbare Bewußtsein des Denkaktes erklärt auch den eigentümlichen Beweisgang, mit dem Witzenmann zu seiner Erkenntnis kommen will. Für den Empiristen wäre es naheliegend zu sagen, die Erkenntnis des Denkaktes setzt an seiner Erfahrung an. Man versucht den Denkakt erst zu erfahren oder zu erleben und anschließend das Erfahrene bzw Erlebte zu beschreiben. Das ist die von Karl Bühler angewendete Methode der Denkpsychologie. Witzenmann greift nicht auf die Erfahrung des Denkaktes zurück, sondern schlägt ein Verfahren vor, das in seiner logischen Konstruktion eigentümlich an einen scholastischen Gottesbeweis erinnert. Dem procedere nach wird bei Witzenmann der Denkakt post factum aus den Denkinhalten logisch konstruiert und nicht erlebt. Das Resultat ist ein erfahrungsleerer Begriff des Denkaktes. Witzenmann schreibt (S. 80): "Damit der Denkakt erkannter Bewußtseinsinhalt sei, muß ich ihn selbst zum inhaltlichen Ergebnis eines auf ihn abzielenden Aktes machen. Ich muß also den (zur Hervorbringung eines zuvor gedachten Begriffs erforderlichen) vorangehenden Denkakt denken. Denn Denken ist das Hervorbringen eines Denkinhaltes durch einen Denkakt. Denken bedeutet aber stets das Denken eines bestimmten Inhaltes, dessen Hervorbringen durch einen ihm zugeordneten Akt. Inhalt ist im vorliegenden Fall jenes Denkgebilde, welches, bevor es durch einen ihm zugeordneten aktualisierten Inhalt gedacht wird, selbst einen Inhalt hervorbringt (denn das Hervorbringen gehört ja zum Wesen des Aktes). Ich bringe also im Denken eines Aktes einen Akt durch einen Akt als dessen Inhalt hervor. Durch diese Begegnung meiner Akte, weiß ich mich als den in diesen Akten Identischen, sich in ihnen selbst Begegnenden als »Ich«." Herbert Witzenmann, Intuition und Beobachtung, Teil 1. Stuttgart 1977. Gegen dieses erfahrungsleere Procedere richtet sich zu recht die Kritik Lindenbergs. Ich meine, daß Witzenmann nicht ohne Grund diesen logischen Weg einschlägt: Er ergibt sich nämlich zwangsläufig aus der Annahme, daß der aktuelle Denkakt nicht unmittelbar erfahrbar sei. Und darin ist Witzenmann mit Hartmann einer Meinung. 52 Moderne Psychologie, Leipzig 1901, S. 197. 53 Christoph Lindenberg, Was heißt: das Denken beobachten? In: Die Drei, 6/99. Lindenberg bemerkt zutreffend, daß Witzenmann bei dem Versuch den Denkakt zu erkennen eigentlich den Denkakt konstruiert und dadurch einen erfahrungsleeren Begriff des Denkaktes erhält, aber er ist sich nicht darüber im klaren, warum Witzenmann diesen Weg einschlägt, weil er selbst Steiners Angaben zur Wesensgleichheit von beobachtetem und beobachtendem Denken in der "Philosophie der Freiheit" nicht hinreichend würdigt. So versucht Lindenberg unter Umgehung der entscheidenden Aussagen Steiners einen eigenständigen Begriff von Denk-Beobachtung zu entwickeln und übersieht, daß die von Witzenmann getroffene Unterscheidung zwischen Denkakt und Denkinhalt natürlich zu recht besteht und Steiner selbst durch die Verwendung des Begriffes der "Selbstgebung" sowie den Hinweis auf den Willen und die Tätigkeit von ihr Gebrauch macht. Die Willensbetätigung im Denken wird bei Steiner sogar später zu einem wesentlichen Bestandstück des Schulungsweges, indem er die Aufmerksamkeit ausschließlich auf den Denkwillen fokussiert, vom Denkinhalt absieht und sich zunehmend in jene reine Willenswirklichkeit einlebt. Die Tätigkeit des Denkens ist also zweifellos eine Willensbetätigung, die vom Inhalt des Denkens sachlich zu unterscheiden ist. Aber diese Willensbetätigung kann aus den oben schon angegebenen Gründen aktuell nicht beobachtet, sondern nur erfahren oder erlebt werden. Bei Witzenmann ist sie indessen auch der direkten Erfahrung nicht zugänglich, sondern nur mittelbar, weil er die Unterscheidung zwischen Beobachtung und Erfahrung des Denkens nicht trifft. Lindenberg dagegen ignoriert Steiners Aussagen über die Wesensgleichheit von beobachtetem und beobachtendem Denken und kommt deswegen zu keinem klaren Begriff der Beobachtung des Denkens, wie er auch den Anlaß seiner aktuellen Unbeobachtbarkeit nicht versteht. Recht hat Lindenberg allerdings damit wenn er sagt, man könne eigentlich das Denken nicht denken. Man kann sich bestenfalls in beschreibender Weise einen Begriff des Denkens bilden auf der Grundlage der Erfahrungen des Denkens. 54 Eduard von Hartmann behandelt diese Frage im Kapitel "Das Unbewußte im Denken" im ersten Band seiner Philosophie des Unbewußten" S. 263 ff. Seine Überlegungen dort sind natürlich sehr viel aufwendiger, als wir im Rahmen dieser Arbeit zeigen können. Mir geht es an dieser Stelle nur darum zu verdeutlichen, daß man ihn schwer widerlegen kann, wenn man die Unbewußtheit des aktuellen Denkens behauptet. Eine weitergehende Auseinandersetzung hätte sich um die Details seiner assoziationspsychologischen Annahmen zu bemühen. 55 Philosophie des Unbewußten. Zehnte Auflage, Leipzig 1890, Bd. 1, S. 278. 56 Günter Röschert, Anthroposophie als Aufklärung. München 1997, S. 41. Dies gilt entsprechend für meine eigenen Ausführungen zu dem Thema im letzten Jahrbuch. Wenn ich dort darüber schrieb, daß die gedanklichen Wege bekannt seien, wie zu einem bestimmten Begriff zu gelangen ist, so ist das natürlich eine idealisierende Aussage, die nicht den konkreten Prozeß, sondern nur die begrifflich-logischen Wege umfaßt. Anders gesagt: Wir kennen die Inhalte des Denkens und die entsprechenden Gedankenwege, um von einem Inhalt zum anderen zu gelangen. Deswegen kennen wir allerdings noch lange nicht das Denken. Bislang hatte ich bezüglich der "intimen Bekanntheit" des Denkens zwischen Röschert und Steiner eine Übereinstimmung gesehen. Diese Auffassung läßt sich allerdings nicht aufrecht erhalten, denn Steiner spricht an der von Röschert erwähnten Stelle keineswegs von einer "intimen Bekanntheit" des Denkens, sondern lediglich davon, daß wir das Charakteristische des Denkverlaufs kennen, und dies wiederum sei die Grundlage dafür, das Denken intimer zu erkennen als jeden anderen Gegenstand. Näheres dazu auf dieser Homepage im Aufsatz Rudolf Steiners Begriff der Denk-Beobachtung, Kapitel 9.1. 57 Philosophie des Unbewußten. Zehnte Auflage, Leipzig 1890, Bd. 1, S. 247. 58 Karl Bühler, Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie der Denkvorgänge. 1. Über Gedanken = Archiv für die gesamte Psychologie 9, 1907, S. 297. Die denkpsychologischen Arbeiten der Külpe-Schule gerieten in der Folgezeit in weitgehende Vergessenheit, weil sich die Methode der Würzburger nicht durchsetzen konnte. In Amerika blühte der Behaviourismus auf, der nach dem Krieg auch die Psychologie auf dem Kontinent zunächst beherrschte. Hans G. Furth schreibt 1972 noch, daß die behaviouristische Richtungsänderung unbedingt notwendig gewesen sei. "Es war sehr klar geworden, daß eine direkte Untersuchung des Bewußtseins niemals zu einer Psychologie führen konnte, die als Wissenschaft von der Philosophie unabhängig sein würde, weil der Terminus »Bewußtsein« selbst ein philosophisch gefärbter Begriff war." Hans G. Furth, Denkprozesse ohne Sprache. Düsseldorf 1972, S. 55. Neun Jahre später bezieht Hans Aebli in seinem zweibändigen Werk die Resultate der Würzburger hinsichtlich des substratlosen Denkens explizit ein. Siehe Hans Aebli, Denken. Das Ordnen des Tuns. 2 Bde Stuttgart 1981. Bd. 2, S. 291 ff; S. 295. 59 Karl Bühler, Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie der Denkvorgänge. 1. Über Gedanken = Archiv für die gesamte Psychologie 9, 1907, S. 346 f. 60 An anderer Stelle äußert Bühler auf grund seiner Untersuchungen die Auffassung, "daß prinzipiell jeder Gegenstand vollständig ohne Anschauungshilfen bestimmt gedacht (gemeint) sein kann." Karl Bühler, Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie der Denkvorgänge. 1. Über Gedanken = Archiv für die gesamte Psychologie 9, 1907, S. 321. 61 Daß der vorliegende Sachverhalt auch in der Gestaltpsychologie eine Rolle spielt ist naheliegend. In diese Richtung läßt sich das Thema hier natürlich nicht ausweiten. Mir kommt es an dieser Stelle darauf an, auf einer möglichst phänomenologischen Ebene Fakten darzustellen, die für die Auseinandersetzung mit Eduard von Hartmann relevant sind. 62 Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 3, Phänomenologie der Erkenntnis, 10. Aufl. 1997, S. 222. 63 Bühler hält solche Standardsituationen oder einfache Urteilsvorgänge wohl mit Recht für ungegeignet, das Denken daran zu erleben, weil nach seiner Ansicht die Denkvorgänge "mechanisiert" werden können und dann der Aufmerksamkeit vollkommen entgehen. (S. 301) Bühler schreibt auf S. 302: "Es ist, wie ich glaube, nur der außergewöhnlich feinen Beobachtungsgabe der Versuchspersonen zuzuschreiben, wenn viele der sogenannten einfachen Versuche uns trotzdem ein wertvolles Tasachenmaterial gebracht haben." Karl Bühler, Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie der Denkvorgänge. 1. Über Gedanken = Archiv für die gesamte Psychologie 9, 1907, S. 300 ff. 64 Mit der Frage der Gedankenverdichtung setzt sich auch Eduard von Hartmann auseinander. Er knüpft dabei an die von Lazarus vertretene Lehre der "Verdichtung des Denkens" an. Philosophie des Unbewußten. Zehnte Auflage, Leipzig 1890, Bd. 3, S. 193 ff. Hartmann führt diese Verdichtung auf rein assoziative Vorgänge zurück. 65 Diese Ansicht Bühlers ist auch sehr bestritten worden und insbesondere die von ihm postulierte Anschauungslosigkeit der Denkinhalte ist bis auf die heutige Zeit Gegenstand von Untersuchungen. Derzeit firmiert diese Fragestellung unter dem Ausdruck des "Medienproblems" des Denkens. Näheres über den Forschungsstand bis in die 80er Jahre bei Hans Aebli, Denken: Das Ordnen des Tuns, 2 Bde Stuttgart 1981; insbes. Bd. 2, Kap. VI, Die Medien des Denkens, S. 279 ff. Aebli greift bei seinen Untersuchungen ausdrücklich auf die introspektiven Befunde der Würzburger Schule zurück. Siehe Bd. 2, S. 291 ff; S. 298 f. In Bd. 2, S. 295 ff bestätigt er ausdrücklich die Würzburger Ergebnisse. 66 Bühler behandelt die Frage mehr ansatzweise unter versuchsökonomischen und -strategischen Gesichtspunkten auf S. 300 ff. Danach ist es sowohl das Interesse an der Sache, wie die Anstrengung, die dem Denkenden bei seiner Denkarbeit abverlangt wird. Deswegen hat er zu seiner Erhebung häufig auf philosophische Aphorismen zurückgegriffen, die das Interessensgebiet der Versuchspersonen berührten. Siehe Karl Bühler, Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie der Denkvorgänge. 1. Über Gedanken = Archiv für die gesamte Psychologie 9, 1907, S. 300 ff. 67 Cassirer hat dies in seinem Hauptwerk "Philosophie der Symbolischen Formen" sehr breit und eingehend dargestellt. Die Arbeiten Ernst Cassirers bieten eine für anthroposophische Fragestellungen höchst interessante Sicht der Dinge. Nach ihm stellt die Symbolisierung von unanschaulichen, rein begrifflichen Zusammenhängen einen qualitativen Sprung des Bewußtseins dar, weil es damit einerseits möglich wird, begriffliche Ganzheiten völlig neu zu handhaben und Übersichten herzustellen, die ohne Symbolisierung nicht zu erhalten sind. Aber auch den Geist zu versinnlichen, und sich die Totalität des Ideellen behelfsweise zur Anschauung zu bringen, sowie das Sinnliche zu vergeistigen, indem es am Ideellen Teilhabe gewinnt. Das Symbol nimmt damit eine Mittelstellung ein zwischen der rein geistigen und der rein sinnlichen Anschauung. Die Nähe zum Goetheschen Symbolbegriff ist unverkennbar. Man könnte in Fortführung der Cassirerschen Ansicht den Gedanken vertreten, daß Sprache oder andere Symbolisierung einen Charakterzug des Imaginativen im normalen Bewußtsein offenbart. Anders gesagt, bereits das gewöhnliche Bewußtsein enthält in sich die Anlage zur Imagination und das Vermögen zur Symbolisierung ideeller Beziehungen im Traum, im Alltag sowie in Kunst oder Wissenschaft ist ein Ausdruck dieser ursprünglichen imaginativen Anlage. Siehe Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, a.a.O. 67a Die von beiden Autoren hervorgehobene Gleichzeitigkeit der Präsenz gedanklicher Inhalte galt auch in der Philosophie als charakteristisches Merkmal der Intuition. Siehe dazu ausführlich: Josef König, Der Begriff der Intuition, Halle a. d. Saale, 1926. Auf ganz anderer Seite in den Fokus der Aufmerksamkeit gelangte diese Gleichzeitigkeit bzw Intuition bei dem renommierten britischen Mathematiker, Physiker und Kosmologen Roger Penrose. Penrose stützt sein Vorhaben, die Unverträglichkeit zwischen Quantentheorie und Gravitationstheorie mittels einer Theorie des Bewußtseins zu überwinden, in wesentlichen Teilen auf dieses Phänomen der Gleichzeitigkeit gedanklicher Inhalte. Siehe dazu: Roger Penrose, Computerdenken, Heidelberg 1991. Insbesondere S. 408 ff; S. 434. 68 Karl Bühler, Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie der Denkvorgänge. 1. Über Gedanken = Archiv für die gesamte Psychologie 9, 1907, S. 349. 69 Karl Bühler, Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie der Denkvorgänge. III. Über Gedankenerinnerungen = Archiv für die gesamte Psychologie XII, 1908, S. 30. 70 Karl Bühler, Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie der Denkvorgänge. III. Über Gedankenerinnerungen = Archiv für die gesamte Psychologie XII, 1908, S. 48 ff. 71 Siehe Karl Bühler, Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie der Denkvorgänge. III. Über Gedankenerinnerungen = Archiv für die gesamte Psychologie XII, 1908, S. 24-92. 72 Rudolf Steiner, Goethes Weltanschauung, Taschenbuchausgabe Dornach 1979, S. 86. 73 Karl Bühler, Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie der Denkvorgänge. 1. Über Gedanken = Archiv für die gesamte Psychologie 9, 1907, S. 301. 74 Das gilt nicht minder für die symbolphilosophischen und bewußtseinstheoretischen Arbeiten Ernst Cassirers. 75 Siehe hierzu etwa Renatus Ziegler, Selbstreflexion. Studien zur Selbstbeziehbarkeit im Denken und Erkennen, Dornach 1995. Insbesondere S. 85 ff. 76 Von Seelenrätseln, GA 21, 1976, Erweiterungskapitel 1. Die philosophische Rechtfertigung der Anthroposophie S. 132 f. 77 GA-28, 1962, S. 155. 78 Siehe Philosophie des Unbewußten, 10. Auflage, Leipzig 1890, Bd. 2, S. 45: "Was nun den Willen betrifft, so haben wir denselben bisher bewußt genannt, wenn er eine bewußte, unbewußt, wenn er eine unbewußte Vorstellung zum Inhalte hat. Es ist aber leicht zu sehen, daß dies nur ein uneigentlicher Ausdruck ist, da er sich nur auf den Inhalt des Willens bezieht; der Wille selbst aber kann niemals bewußt werden, weil er nie mit sich selbst im Widerspruch sein kann." In der Schrift, Moderne Psychologie, Leipzig 1901, S. 79: "Wenn das Ziel des Wollens eine bewußte Vorstellung ist, heißt das Wollen »bewußtes Wollen« trotzdem es als Wollen unbewußt bleibt." Und auf S. 197: "Das Wollen ist unmittelbar unfähig bewusst zu werden, weil es nicht produziertes Phänomen, sondern produktive Tätigkeit ist; es wird nur mittelbar aus Vorstellungen, Empfindungen und Gefühlen erschlossen." 79 Eduard von Hartmann, Moderne Psychologie, Leipzig 1901, S. 6. 80 Eduard von Hartmann, Moderne Psychologie, Leipzig 1901, S. 6. 81 Siehe etwa: - Marcelo da Veiga Greuel, Wirklichkeit und Freiheit, Dornach 1990, S. 45 f - Lorenzo Ravagli, Pädagogik und Erkenntnistheorie, Stuttgart 1993, S. 79. - Dietrich Rapp, Von der Intuition zur Erfahrung. Denkbeobachtungen über ihren inneren Zusammenhang. In: Karl-Martin Dietz (Hgr.), Rudolf Steiners "Philosophie der Freiheit", Stuttgart 1994, S. 223-256; insbes. S. 232. - Martin Basfeld, Denken in der Zeit. Die <Philosophie der Freiheit> Rudolf Steiners und das naturwissenschaftliche Zeitverständnis. In: In: Karl-Martin Dietz (Hgr.), Rudolf Steiners "Philosophie der Freiheit", Stuttgart 1994, S. 42-68; insbes. S. 55 f. - Frank Teichmann. Die "Philosophie der Freiheit" als Übungs- und Schulungsbuch. In: Karl-Martin Dietz (Hgr.), Rudolf Steiners "Philosophie der Freiheit", Stuttgart 1994, S. 197-222; insbes. S. 211 f. - Rudy Vandercruysse, Zur Beobachtung des Denkens. In: Karl-Martin Dietz, Thomas Kracht (Hgr), Erfahrung des Denkens. Zum Studium der «Philosophie der Freiheit», Bd. I, Kap.1-3. Suttgart 1996, S. 201-221; insbes. S. 210 f. 82 Michael Kirn, Das große Denk-Ereignis. Rudolf Steiner, «Die Philosophie der Freiheit», Kapitel III, philosophisch erweitert. Dornach 1988, S. 61 83 Thomas Kracht, Philosophieren der Freiheit. Hinweis auf eine Leseerfahrung. In: Karl-Martin Dietz (Hgr.), Rudolf Steiners "Philosophie der Freiheit", Stuttgart 1994, S. 165. 84 Siehe etwa Herbert Witzenmann, Strukturphänomenologie, Dornach 1983, S. 79 f. Nach meiner Auffassung hat Herbert Witzenmann Steiners Begriff der "Denk-Beobachtung" nicht verstanden, dies zeigt auch der Umstand, daß er neben der ergebnisbezogenen Beobachtung auch eine vorgangsbezogene Beobachtung fordert, die von Steiner schlechtweg ausgeschlossen wird. So verlangt er im Kapitel "Die Paradoxie der Selbstgebung. Die Selbstvergessenheit des Vermeinens" einen zweiten Typ von Beobachtung, die auf den Prozeß der Selbstgebung gerichtet ist. Witzenmann schreibt: "Verfügten wir also allein über ein Beobachten, das sich auf den gegenständlichen Erfolg der Strukturbildung bezieht, könnte dieser gerade dann nicht als ein solcher, nicht in seiner Erinnerungsförmigkeit erkannt werden. Im Blick auf die Selbstgebung muß daher neben der Beobachtung ihres Erfolgs ein nicht erfolgsbezogenes Beobachten gefordert werden. Das gegenstandsbezogene Innesein kann nur unter Mitwirkung eines vorgangbezogenen Inneseins verstanden werden. Die genaue Bestimmung dessen, was hierbei die Bedeutung des Vorgangs besitzt, bleibt freilich für jenes Postulat noch offen. Nur mittels eines nicht erfolgsbezogenen Beobachtens kann aber die Selbstgebung als Prozeß erfaßt werden." Der Umstand, daß Witzenmann hier überhaupt einen zweiten Typ von "Beobachtung" in Richtung auf "vorgangsbezogenes Innesein" fordert, zeigt, daß ihm Steiners Begriff von Denk-Beobachtung methodisch gar nicht klar ist, sonst könnte er diese Forderung nicht erheben. Nach Steiner kann das gegenwärtige Denken, - das heißt der aktuelle Tätigkeitsprozeß des Denkens -, ausdrücklich niemals beobachtet werden, weil das Beobachten vom Denken selbst ausgeführt wird. Es kann sich während seiner Tätigkeit eben nicht gleichzeitig dieser Tätigkeit gegenüberstellen. Das von Witzenmann erwähnte "vorgangsbezogene Innesein" kann daher für Steiner kein »Beobachten«, sondern nur ein »Erfahren« oder »Erleben« dieses Prozesses sein. Genau dies wird - völlig stringent - durch sein Spaltungsargument ausgedrückt. Das Erfassen des Prozesses der Selbstgebung gelingt damit nicht auf dem Wege der Beobachtung, sondern nur auf dem Wege der Erfahrung dieses Prozesses. Die Beobachtung setzt immer erst im Nachhinein als gegenüberstellende Betrachtung dieser Erfahrung an. 85 GA-4, 1978, S. 48. 86 Rudy Vandercruysse, Zur Beobachtung des Denkens. In: Karl-Martin Dietz, Thomas Kracht (Hgr), Erfahrung des Denkens. Zum Studium der «Philosophie der Freiheit», Bd. I, Kap.1-3. Suttgart 1996, S. 201-221 87 Frank Teichmann. Die "Philosophie der Freiheit" als Übungs- und Schulungsbuch. In: Karl-Martin Dietz (Hgr.), Rudolf Steiners "Philosophie der Freiheit", Stuttgart 1994, S. 197-222. 87a Rein geistesgeschichtlich gesehen ist die Tatsache, daß eine Bewegung, die sich vor allem der Pflege von Wahrheit und Erkenntnis widmet, so große Schwierigkeiten hat, wenn es um die Wahrhaftigkeit des Umganges mit ihren eigenen philosophischen Grundlagen geht, ein Phänomen für sich, und scheint in gewisser Hinsicht symptomatisch zu sein. Es wäre doch anzunehmen, daß Menschen, die sich der Wahrheit verschrieben haben, sich vor allem um Aufklärung bemühen, vorzugsweise auch um Aufklärung über Dinge, die in diesen Grundlagen problematisch, mißverständlich oder schlicht unlogisch sind. Dazu müßten diese aber grundsätzlich erst einmal benannt werden. Nun zeigt das Verhalten anthroposophischer Autoren, wie es hier und im Aufsatz des Vorjahres dargestellt wurde, oftmals das gerade Gegenteil einer solchen aufklärerischen Haltung: Probleme werden nicht etwa benannt, sondern verschwiegen oder oberflächlich übertüncht, obwohl sie von keinem der Autoren übersehen werden konnten. Es scheint so, als sei die Wachheit des Bewußtseins in den basalen Angelegenheiten der eigenen Weltanschauung durch irgend einen Umstand getrübt. Die Strategie, allen möglichen theoretischen Schwierigkeiten oder Rezeptionsproblemen zugunsten einer harmonisierenden Sicht aus dem Wege zu gehen, ist ein sehr effizientes Verfahren, die Grundlagen der eigenen Weltanschauung und diese selbst dauerhaft zu beschädigen, da sie dann auf längere Sicht gesehen kaum noch jemand versteht. An die Stelle von echter Einsicht treten dann kollektiv wirksame Fehlinterpretationen, die sich im Bewußtsein vieler als paradigmatische Verständniszugänge festsetzen. Die Tatsache, daß die Interpretationen Herbert Witzenmanns in anthroposophischen Zusammenhängen regelrecht schulenbildend waren und immer noch sind, unterstreicht dies in markanter Weise.
88 GA-4, 1978, S. 48.
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