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Michael Muschalle


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Michael Muschalle

Rudolf Steiners Begriff der Denk-Beobachtung (Kap. 9.1)

Das Kapitel wird derzeit überarbeitet.

Stand 27. 03. 24; S. 284 – S. 296

Stand 18. 03. 24; S. 286 – S. 294

Stand 17. 03. 24; S. 284 – S. 297



Kapitel 9.1

Über das Zusammenfallen von Wahrnehmung und Begriff und intuit­ives Denken



Motive beim Denken und seiner Beobachtung

Das Denken wird bei der Beobachtung durch beschreibende Begriffe "angeschaut" - das heißt es schaut sich selbst an. "Der beobachtete Ge­genstand ist qualitativ derselbe wie die Tätig­keit, die sich auf ihn rich­tet." sagt Steiner in Kap. III auf S. 48, (alternativ hier S. 30) der Philoso­phie der Freiheit. Es ist demnach eine denkende / erkennende Tätig­keit, die sich auf die Er­fahrungen des Denkens richtet. Angeschaut wird ver­gangenes / exemplari­sches Denken in der Absicht es unter de­skriptive Be­griffe zu bringen.

Steiners elementarste Gliederung für Erkenntnisprozes­se ist wiederum die nach Wahrneh­mung und Begriff. In der Zweitauflage der Philoso­phie der Freiheit wird das am Ende von Kapitel VII in den Zusätzen von 1918 (hier auf S. 94; in der GA-4 von 1995 auf S. 133) ei­gens noch ein­mal her­vorgehoben mit der Bemerkung: „Man wird aus dem schon Vorangehen­den, aber noch mehr aus dem später Ausgeführten ersehen, daß hier alles sinnlich und geis­tig an den Menschen Herantre­tende als Wahr­nehmung aufgefaßt wird, bevor es von dem tätig er­arbeiteten Be­griff er­faßt ist.“ Was natürlich auch für das unbegriffene Denken gilt, das in sei­ner Er­scheinungsform von wirken­der Denktätigkeit und be­wirktem Den­kinhalt zu­nächst ein­mal nur «Wahrnehmung ist, bevor es von dem tätig erar­beiteten Begriff erfaßt ist.»

Eben­so selbstverständlich sollte es deswegen sein, daß die «qualitativ gleichwer­tige» denken­de / erkennende Tä­tigkeit, die sich auf die Erfah­rungen des Denkens beobachtend rich­tet, eben­falls zu­gleich wahrge­nommen wird. Denn andernfalls wüsste der Denker gar nicht, dass er in ei­nem den­kenden / erkennenden Tun begriffen ist. Letzteres müsste ihm au­tomatenhaft unbe­wußt bleiben, wenn dem so wäre und er diese seine Aktivi­tät nicht erlebte. Er muß infol­gedessen von dieser ak­tuellen erken­nenden / den­kenden Ak­tivität eine unmittel­bare Erfah­rung / Wahrneh­mung haben. Laut Steiner jeden­falls ist es über sämtliche Frühschrif­ten hin­weg in der Tat so, dass die denkende / erkennende Ak­tivität wahrge­nommen wird.

Desgleichen muß der Erkennende des Denkens auch von seinen Er­kenntnismotiven ein Be­wusstsein haben, die hinter seinem inneren Han­deln ste­hen und seine Akti­vität mobilisie­ren. Denn er er­kennt das Den­ken nicht ohne Anlass aus dem Nichts heraus und ins Blaue hinein. Son­dern es gibt stets einen kon­kreten Beweggrund dafür in Ge­stalt eines «Erkenntnis-Mot­ivs» und einer «Triebfe­der» seines erkennen­den Han­delns. Er muß sich auf der Grundlage ei­nes ge­zielten und beobacht­baren Wil­lensentschlusses dem eigenen Denken betrachtend / erken­nend ge­genüberstellen. Eines kon­kreten Erkenntnis-Ent­schlusses, der auch je­derzeit feststell­bar ist. Den man von seiner Entste­hung zurückverfol­gen kann bis in das ganz konkrete Beob­achtungshandeln zwecks Er­kenntnis des Den­kens.

Um mit der Philosophie der Freiheit zu sprechen: „Beobachtung und Denken sind die beiden Aus­gangspunkte für alles geistige Streben des Menschen, insoferne er sich eines solchen be­wußt ist.“ (GA-4, Kap. III, S. 38) Und an späterer Stelle, (ebd. Kap. IX, S. 149): Für den ein­zelnen Willens­akt kommt in Betracht: das Motiv und die Triebfeder. Das Mo­tiv ist ein be­grifflicher oder vorstel­lungsgemäßer Faktor; die Triebfeder ist der in der menschlichen Orga­nisation unmittelbar bedingte Faktor des Wollens. Der begriffliche Faktor oder das Motiv ist der augen­blickliche Bestimmungs­grund des Wollens; die Triebfeder der bleibende Bestim­mungsgrund des Individuums. Motiv des Wollens kann ein reiner Be­griff oder ein Begriff mit einem be­stimmten Bezug auf das Wahrneh­men sein, das ist eine Vorstellung.“

So Steiner in der GA-4, Kap. IX (auch hier S. 103 f) zu den Motiven. Das gilt wie gesagt auch für jene inneren Wil­lenshandlungen, die bei der Selbstbeobachtung, und ganz speziell bei der erken­nenden Betrach­tung des eigenen Denkens in­frage kommen. Die dahinter stehen­de Fra­ge- und Auf­klärungsintention läßt sich als Motiv und Triebfeder nach­weisen. Nicht nur beim selbsterkennen­den Denker findet sich ein ent­sprechendes Forschungsmotiv, son­dern auch bei or­ganisierten For­schungsprojekten ist das so. Zumal es bei letzteren dazu ge­hört, die Zie­le des forschenden Tuns sachlich be­gründet zu be­nennen, wie es ja auch in der Philoso­phie der Frei­heit und in Steiners restli­chen Begründungs­schriften regelmäßig der Fall ist. - Und zwar sind sie wegen solcher Be­gründungen als Er­kenntnis-Motive auch dann sicht­bar, obwohl mancher Literat und Steinerinter­pret bei Stei­ner erklärterma­ßen erst gar keine Mo­tive sucht, weil er das für gänzlich aussichtslos hält. Hier existiert noch zugänglich im Archiv die Version von 2014 (vom Stand 25. 08. 23)

Wie Sie bei Christian Clement, von dem diese Aus­kunft um die ganz und gar un­auffindbaren Motive Steiners stammt, se­hen und wie Sie expli­zit von ihm hören wer­den, sind nicht nur Steiners Moti­ve absolut unauffind­bar, sondern auch seine eigenen nicht ganz ernst zu neh­men, weil sie von ihm selbst nicht wirklich sicher zu ermit­teln seien. Sie könnten auch voll­kommen illu­sionär, weil verschleiert sein. Und letz­teres wäre ja im allge­meinen durchaus möglich. Wenn er nun schon Stei­ners Motive nicht finden kann, dann könn­te Herr Cle­ment aber doch bei den eige­nen etwas glücklic­her und zu­mindest in der Lage sein, bei die­sen et­was mehr Stabilität zu erlan­gen, indem er be­ginnt, sein Den­ken zu beob­achten. Denn das geht ohne einen forschungs-motivi­schen Hinter­grund eben gar nicht. So we­nig, wie man ernst­hafte ma­thematische Pro­bleme ohne Motiv und absichtslos, aber dennoch zielge­richtet und erfolg­reich lösen kann. Was ein Wider­spruch in sich selbst wäre. Beim Er­kennen des Denkens sind die Voraussetzun­gen nicht an­ders. So daß auch hier eine motivlose, aber gleichwohl zielge­richtete Er­kenntnishandlung nicht vorstell­bar ist. Und Herr Cle­ment zumind­est da­bei doch punk­tuell eine ge­wisse Klar­heit und Über­sicht zu sei­ner ganz persönli­chen Motivationslag­e er­langt. Das kann ja auch schon hilf­reich sein. Indem er sich einfach nur fragt: Warum er in den Ausnah­mezustand zur Beobach­tung des Den­kens ein­tritt, nach­dem er die Philoso­phie der Frei­heit nebst anderen Begrün­dungsschriften Stei­ners gründ­lich stu­diert hat. Zur Grundsatzo­rientierung kann das mit­unter recht er­hellend sein. Siehe dazu meinen längeren Ex­kurs hier, Kap. 14.1 auf derzeit S. 760 ff.

Aber lassen wir es hier erst einmal bei diesem eingesprengten Aperçu um die Blütenträume ei­ner manchmal ziellos herumschlingernden und schlei­ernden Steinerforschung, und versu­chen Sie es stattdes­sen selbst. Was Sie jeden­falls als Beobach­ter Ihres Denkens bemer­ken wer­den, ist, dass Sie sich inner­lich aufraffen müssen zwecks Beobach­tung Ihres Den­kens. Sie müssen dazu wissen was Sie tun wollen und warum. Daß und warum Sie gewissermaßen ge­gen den ei­genen, permanenten Denkstrom anschwim­men, indem Sie ihn beobachten. Denn die Erkennt­nis des Den­kens ge­lingt nur, wenn man es auch ernst­lich will im soge­nannten «Aus­nahmezustand», wie Steiner die Be­wußtseinshaltung der Beobach­tung des Denkens im dritten Kapi­tel der Philo­sophie der Frei­heit nennt, den ein­zunehmen ohne ein entsprechen­des Er­kenntnismotiv nie­mandem in den Sinn käme. Und der daher als ganz be­wußte Erkenntnis­handlung nur mo­tivisch geleitet und willentlich einge­nommen werden kann, auch wenn er im übrigen nicht allzu schwierig einzunehm­en ist, wie Stei­ner selbst sagt. Wer diesen Wil­len dazu aller­dings nicht hat, sich in den beob­achtenden Ausnahme­zustand zu verset­zen, der kommt nicht weit mit der Erkenntnis des Den­kens. Oder um mit Steiner zu konstatie­ren: „Wer den guten Willen nicht hat, sich in diesen Stand­punkt zu ver­setzen, mit dem könnte man über das Denken so we­nig wie mit dem Blinden über die Farbe sprechen...“. (GA-04, hier S. 28 f)

An­hand dieses als «Ausnahmezustand» bezeichneten Beobachtungs­standpunktes läßt sich dann al­lerdings die «allerwichtigste Beob­achtung ma­chen, die dem Menschen möglich ist.»: „Denn er beob­achtet etwas, dessen Hervorbringer er selbst ist; er sieht sich nicht ei­nem zu­nächst fremden Gegenstande, sondern seiner eigenen Tätigkeit gegen­über. Er weiß, wie das zu­stande kommt, was er beobachtet. Er durch­schaut die Verhältnisse und Bezie­hungen. Es ist ein fester Punkt gewon­nen, von dem aus man mit begründeter Hoffnung nach der Erklärung der übrigen Welterschei­nungen suchen kann.“ So Steiner hier S. 29 dazu. Mit ande­ren Wor­ten: Der Mensch «durch­schaut dabei das Weltgeschehen», wie er es dann 1897 in Goe­thes Weltan­schauung (S. 70) noch prägnanter aus­führte: „Bei der Be­obachtung des Den­kens durchschaut der Mensch das Weltgesche­hen. Er hat hier nicht nach einer Idee dieses Gesche­hens zu for­schen, denn dieses Ge­schehen ist die Idee selbst.“ (Unverändert in der GA-06 von 1990, dort auf S. 86.) - Vergleichbares kann man aber be­reits 1886 in den Grundliniendazu hören, wenn im Kapitel 13, hier S. 78 vom «Denken als Wesen der Welt» die Rede ist: „Unsere Er­kenntnistheorie führt zu dem positiven Ergebnis, daß das Denken das Wesen der Welt ist und daß das individuelle menschliche Denken die einzelne Er­scheinungsform die­ses Wesens ist.“ Ein wirkungsloses We­sen der Welt wiederum ist für Steiner, der nach den geis­tig wirkenden Kräf­ten der Welt sucht, schlech­terdings nicht vorstellbar. Mit dem be­kannten Re­sultat, daß er den beim Denken erlebten Zusammenhang von Wirken­dem und Be­wirktem schon 1886 aus­drücklich im Kapitel 8 und 15 her­vorhebt (siehe weiter unten). So daß die Wendung «durch­schautes Welt­geschehen» von 1897 neben der «al­lerwichtigsten Beobach­tung» von 1894 dann wirklich keine Überraschung mehr war.

Das Beobachten allerdings muß man wirklich auch ernst­lich wollen und benötigt dazu selbst­verständlich ein ent­sprechendes Er­kenntnis-Motiv hinsicht­lich dessen, was man da eigentlich will. Dieses Motiv, das dann zur Triebfeder des in diesem Fall inneren Handelns wird, kann wieder­um auch nur aus den rein gedanklichen Über­legungen des (in­tuitiven) Den­kens gewon­nen werden. Denn anders als über das (intuitive) Den­ken kommt man zu keinen Forschungs­motiven, die auch noch klar for­muliert und sachlich begründet sind, um mit Stei­ner zu spre­chen. Denn wenn es laut Philosophie der Freiheit das intuitive Denken ist, «durch das eine jeg­liche Wahr­nehmung in die Wirklichkeit erkennend hinein ge­stellt wird», wie er hier S. 180 sagt, dann erst recht jene inneren Wahrneh­mungen, die me­thodisch an­hand von Forschungs­projekten zum Den­ken in die Wirklich­keit erken­nend hinein gestellt werden.

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Die willentlich gehandhabte Methode der Beobachtung des Denkens und Fragen an das Denken

Man muß sozusa­gen erst vom eigenen Denken zurücktreten wollen, um es sich in Erkenntnis­absicht im Ausnahmezustand «gegenüberzustel­len», wie wir unten noch näher se­hen werden. Dazu braucht man einen klar ar­tikulierten Willens­entschluß, um sein eigenes Den­ken dann im Ausnahmez­ustand zu erle­ben und zu beobachten. Und sei es, daß man über­haupt nur wissen will, «was wir erleben wenn wir denken», so wie es Karl Büh­ler 1907 sei­ner prominenten Un­tersuchung des Den­kens als de­zidierte Leit­frage hier auf S. 303 voranges­tellt hat. Als ganz ele­mentares Anlie­gen sei­ner methodischen Beobachtung des Den­kens. - Die Mensch­heit, zu­mal die anthroposophis­chen Anhänger Steiners wä­ren schon viel wei­ter, wenn sie sich in ge­nügend großer Zahl und eben­so systematisch wie Karl Bühler so eine Frage in den zurücklie­genden 120 Jahren ernst­haft in Er­kenntnisabsicht vorgelegt hät­ten, wie es damals Bühler tat. Und wie es Steiner nicht nur ebenso ausdrücklich empfiehlt, sondern noch weit ein­dringlicher über viele Jahrzehnte hinweg. Abgese­hen von Merijn Fa­gard, den sie auf meiner Website und in seinem For­schungsprojekt finden, ha­ben sich da em­pirisch psychologisch noch we­nige An­throposophen hin­gewagt, wenn es gottsei­dank auch in den letz­ten Jahren zu­nehmend mehr ge­worden sind, die sich dem auch von akademi­scher Sei­te nähern.

Bühlers Leitfrage, «Was erleben wir wenn wir denken?» mag vielleicht auch eine Hilfestel­lung ge­ben, den Beobachtungsbegriff etwas näher zu charakterisieren, wenn man ihn mit dem von Steiner genannten Erkennt­nismotiv in Verbindung bringt. Dem Wissen um das eigene geisti­ge Stre­ben, das sich im dritten Kapitel der Philosophie der Frei­heit zu Be­ginn anläßlich der grundlegenden Einführung von Beobach­tung und Denken findet. Dort mit den Worten vorge­bracht: „Beobach­tung und Denken sind die beiden Ausgangspunkte für alles geistige Streben des Men­schen, inso­ferne er sich eines solchen bewußt ist ....“ (Hier S. 23.) Der Mensch ist sich seines geistigen Stre­bens bewußt. Das ist sozusagen der Grund­charakter, mei­netwegen auch Grundvorausset­zung von Beobach­tung und Denken an dieser Stelle dort. Was soviel heißt wie: Ich muß meine Forschungs­motive bei der Beobachtung des Denkens natür­lich auch kennen, denn sonst wäre ich mir mei­nes geisti­gen Stre­bens darin nämlich nicht be­wußt. Was trivial ist und für jedes bewußte Forschungs­prozedere gilt, das ja ganz ge­zielt auf Erkenntnisge­winn hino­rientiert ist.

Die von Bühler genannte Leitfrage «Was erleben wir wenn wir den­ken?» ist so ziemlich die ele­mentarste, die man auf dem empirischen Be­obachtungsweg über das Denken beantwor­ten kann. Im simpelsten Fall mit «Ja!» oder «Nein!»: «Es gibt dort Erlebnisse oder auch keine.» In der Mehrheit der Fälle aber solche mit ziemlich differenzierten Einzel­heiten des Denkge­schehens, die den Versuchspersonen Bühlers noch er­innerlich waren. So­fern sie als Psycholo­gen der selben Leit­frage folg­ten wie Büh­ler, und das war ja in der Re­gel der Fall, haben sie mit ihrer Ant­wort auch ein im­plizites Urteil mit Blick auf Bühlers Fra­ge abgege­ben. Inso­fern, als sie sei­ne Leitfrage posi­tiv und oft auch vielschichtiger beant­worten konn­ten. Und damit konnten sie sich ein qualifiziertes Ur­teil zu jenen Annah­men von zahlreichen Fachphiloso­phen erlauben, die sei­nerzeit glaubten, daß es beim Denken gar nichts zu erleben gäbe, wie Büh­ler eingangs aus­führt. Das Urteil wiederum, «Ja, da ist doch eine Menge zu er­leben!» ist natür­lich das Re­sultat einer einfachen Begriffs­bildung auf der Grund­lage von Er­fahrung des Den­kens. Meinet­wegen ein Wahrneh­mungsurteil, um an Stei­ners Ka­pitel 11, hier S. 64 der Grundli­nienanzu­knüpfen: „Durch das Wahrnehmungsurteil wird er­kannt, daß ein be­stimmter sinnenfällig­er Gegenstand seiner Wesenheit nach mit einem be­stimmten Be­griffe zu­sammenfällt.Ein Wahrneh­mungsurteil, diesmal bezo­gen auf Wahrnehmun­gen des «inneren Sin­nes», von de­nen in den Grundlinienim Kapitel 7 auch die Rede ist. Im ein­fachsten Fall ist es ein Existen­zialurteil dahin­gehend, daß da über­haupt etwas beim Denken als innere Wahrneh­mung exis­tiert, was wie gesagt von vielen Zeit­genossen laut Bühler be­stritten wur­de.

Wie leicht zu erkennen ist, bewegt sich die Leitfrage Bühlers, «was er­leben wir, wenn wir den­ken?» ganz in der Nähe oder im unmittelbaren Um­kreis dessen, was Steiner in der Philo­sophie der Freiheit dahinge­hend ausführt, wenn er sagt, „daß hier alles sinnlich und geistig an den Men­schen Herantre­tende als Wahrnehmung aufgefaßt wird, bevor es von dem tätig erar­beiteten Be­griff erfaßt ist.“ (hier, Kap. VII, S. 94). Be­zogen auf Steiner unter­suchte Bühler an­hand seiner Leitfrage, ob es beim Denken überhaupt «Wahr­nehmungen» gibt oder nicht. Erst wenn man so eine Frage beant­wortet hat, läßt sich weitergehend darüber re­den, ob und wie man sie mit einem tätig erarbeiteten Begriff erfasst. Was da­bei als «Wahrnehmung über­haupt» auftritt, das ent­spricht zu­nächst dem, was Steiner in den Grundlinienund in Anleh­nung an Jo­hannes Vol­kelt die «rei­ne Erfah­rung» nennt. Solche reinen Erfahrungen sind aus Steiners Sicht zu­nächst einmal als Wahrnehmungen zu betrach­ten. Wahrnehmun­gen, die so lange als «Wahr­nehmungen» zu be­trachten sind, bis sie vom tä­tig erarbeite­ten Begriff erfasst worden sind.

Das wissenschaftlich psycho­logische Beobachtungsprojekt zwecks Er­kenntnis des Denkens be­ginnt faktisch allerdings bereits in dem Mo­ment, wo man die eigene begründete Erkenntnis­absicht in die Tat um­setzt, und sich dann wie Büh­ler fragt, ob und was dabei über­haupt zu er­leben ist. Man sucht dann eben anhand eines speziell organisierten exper­imentellen Vorge­hens ganz ausdrücklich nach inneren Wahrneh­mungen; oder «reinen Er­fahrungen», um mit Johannes Volkelt zu spre­chen. Das grundlegendste Urteil, das man dann aussprechen kann, be­trifft le­diglich die Existenz oder Nicht-Exis­tenz von Wahrneh­mungen beim Denken. Ob die elementars­ten Wahrneh­mungen der Würzburger bereits solche Existentialurtei­le enthielt­en oder nicht, dar­über läßt sich eigent­lich nicht streiten. Denn ausge­sprochen wird das Ur­teil ja erst in dem Augen­blick, wenn die Exis­tenz ausdrücklich bejaht oder verneint wird. Oder wenn man beginnt, die Wahrnehmungen näher zu charakteri­sieren, was regelmäßig hinterher in Be­richtsform der Fall war. So lange nur et­was erlebt wird ist das nicht der Fall und wird darüber nicht geurteilt. Das ge­schieht erst, wenn ich meine unmittelbaren Erfahrungen respektive die «reinen Erfahrungen» des Denkens zum Gegenstand weiteren Denkens und Urteilens mache. Und zwar umso sicherer, je mehr man sich auf die Beantwor­tung jener Denkaufga­be konzen­triert hat, die dazu als Denkexpe­riment vorgelegt wird. Ob­wohl man sich for­mell na­türlich in dem Mo­ment schon im Beobach­tungsprojekt be­findet, das ja willentlich und wohlorganisiert unter­nommen wurde.

Die Frage, was solche erlebten Wahrnehmun­gen eigentlich sind, auf die man dabei ge­stoßen ist, ist vom elementaren Wahr­nehmungsurteil noch ganz unbe­rührt. Und ebenso unberührt sind sie von der Frage, was sie im Denkzu­sammenhang eigentlich zu be­deuten haben, und welche Rol­le sie für ei­nen empirischen Begriff des Denkens spielen. Was ja einen großen und auch den theoretisch an­spruchsvolleren Teil von Bühlers Habilitati­onsarbeit aus­machte. (De­ren Tei­le 2 und 3 Sie auch hier fin­den.) Da gilt dann auch Steiners Feststellung aus der Philo­sophie der Freiheit, wo­nach „al­les sinnlich und geistig an den Men­schen Herantre­tende als Wahrneh­mung aufgefaßt wird, bevor es von dem tätig erarbei­teten Be­griff erfaßt ist.“

Die Frage ist dann weiter: Was heißt das im vorliegenden Bühlerschen Fall der Frage nach der Existenz von Wahrnehmungen über­haupt? Und sind diese schon vom tätig erarbeiteten Be­griff er­faßt, wenn überhaupt nur ihr Vorhandensein festgestellt wird, ohne auf deren «Was» näher einge­hen zu kön­nen. Oder gar auf ihre Rolle im gesamten Denkprozess. Im­merhin war bei den Würz­burgern das Bemerken von Wahrnehmun­gen sogar ein maßgeblicher Teil von Bühlers Fragestell­ung, wenn man des­sen Abhand­lung folgt und sich seine programmatischen und me­thodischen Eingangser­läuterungen ansieht: „Es gibt wohl kaum eine andere einzelwis­senschaftliche Frage, auf die man so viele verschiedene Ant­worten erhalten kann als auf die: was ist Denken? Denken ist Verknüp­fung, Denken ist Zerlegung. Denken ist Urteilen. Den­ken heißt Apperzi­pieren. Das Wesen des Denkens liegt in der Abstraktion. Denken ist Bezieh­en. Denken ist Aktivität, ist ein Willensvorg­ang. Fragt man aber spe­zieller nach den In­halten der Denkerlebnisse, dann lautet die Ant­wort sehr einmütig, spezi­fische Denkinhalte gebe es nicht. Es gibt nur ganz wenige Forscher, die diesen Satz nicht anerkennen würden. Und gerade das, was die meisten eint, ist nun die fol­gende Untersu­chung be­stimmt, zu be­streiten, ...“ So Büh­ler dort. Was «die meisten Forscher einte», war die An­nahme, dass es spe­zifische Denkerleb­nisse gar nicht gäbe. Und das wollte er leitmoti­visch mit sei­ner Untersuc­hung klären, ob dem über­haupt so ist.

Klar ist zunächst auch hier, dass so ein Urteil über die Existenz oder Nichtexistenz von Denk­wahrnehmungen zeitlich der Wahrneh­mung nur nach­folgen kann, denn die muß als Wahrneh­mung ja erst ein­mal da sein, bevor ich über de­ren Existenz urteilen kann. Die Erleb­nisse des Den­kens sind also schon da, bevor ich in einem zweiten Schritt darüber urteile und gar weiter­gehende Be­griffe bil­de. Anders geht es ja nicht. Daß es wieder­um bei ein­fachsten Wahrneh­mungsurteilen nicht bleibt und die Ver­hältnisse zuneh­mend komple­xer werden, können Sie ebenfalls bereits den ausführlichen Untersu­chungen Bühlers entneh­men.

Engere und weitergehende Fragen an das Denken: Vom einfachen Erleben des Denkens bis zum durch­schauten Weltgeschehen

Und hier gibt es einen weiteren großen Unterschied zwischen dem Denk­psychologen Bühler und dem «philosophischen Beobachter» Stei­ner (sie­he auch nachfolgend). Dem letzteren näm­lich ging es von Anbe­ginn nicht nur um rein denkpsychologische und engere Fragestel­lungen, son­dern auch um idealistisch-naturwissenschaftliche, insofern, daß er als Goethefor­scher und auch unabhängig von Goethe explizit nach den wir­kenden Kräften der Natur im In­neren such­te. Wie Sie nicht nur den Grundlinienvon 1886 ablesen können, und nicht nur seinem Kom­mentar zu Goe­thes Essay Die Natur in der Kürschnerausgabe von 1887 auf S. 6, wo es heißt: Sin­nenfällig wahrnehmbar sind nur die Geschöp­fe der Natur, nicht ihre schaf­fende Kraft. Die letztere (die Mutter) wird uns erst in der Wissenschaft ver­mittelt, wenn wir uns von der Natur als einer Mannichfaltigkeit von Produkten zu ihr als der Produzentin erhe­ben. Wir müssen von den gegebenen Dingen zu den Kräften der Natur vorschrei­ten, von der Wirkung zu dem Wirkenden.“ Son­dern Vergleich­bares auch dem zweiten Kapitel der Philo­sophie der Frei­heit hier S. 20 f: So wahr es ist, daß wir uns der Natur entfremdet haben, so wahr ist es, daß wir fühlen: wir sind in ihr und gehören zu ihr. Es kann nur ihr ei­genes Wir­ken sein, das auch in uns lebt. [] Wir müssen den Weg zu ihr zurück wie­der finden. Eine ein­fache Überlegung kann uns diesen Weg weisen. Wir haben uns zwar losgeris­sen von der Na­tur; aber wir müssen doch et­was mit herübergenommen ha­ben in un­ser eigenes We­sen. Die­ses Natur­wesen in uns müssen wir aufsuchen, dann werden wir den Zusammen­hang auch wieder fin­den.“ Und noch klarer im Buch Goethes Weltan­schauung von 1897 im Kapitel Die Metamor­phose der Weltan­schauung ab S. 61, wo dann das Weltgeschehen ganz explizit bei der Beob­achtung des Den­kens durch­schaut wird.

Der Forschungshorizont Steiners war sehr viel weiter als derjenige Büh­lers. Um das Weltge­schehen ging es Bühler (noch) nicht. Aber Steiner insofern, als er mit sei­nen denkpsychologi­schen Be­obachtungen nach ei­ner er­kenntnistheoretischen Grundlage für die Welterklä­rung suchte. Das be­trifft natürlich auch die wirkenden Kräfte der Na­tur, die nach sei­ner Auffas­sung nur geistig sein konnten – so viel geht bereits aus den Grundlinienhervor. Und so viel geht auch aus seinem Kommentar zu Goethes Na­turhymnus hervor. Des­gleichen wie be­reits gesagt aus der Philosophie der Freiheit Kap. II, und auch aus Goethes Weltanschau­ung (Ausgabe von 1897 und später) wo­nach (1897, S. 69 f) «der Beob­achter des Denkens das Weltgesche­hen durchschaut». Weil er dabei die (wir­kende) Idee selbst durchschaut.

Desgleichen ebenso klar wenige Seiten zuvor (S. 67 f) in seinen Goethe kommentierenden Wor­ten: „Goethe macht einmal die Bemerkung: «Wer sie [meine Schriften] und mein Wesen über­haupt verstehen ge­lernt, wird doch bekennen müssen, daß er eine gewisse innere Freiheit gewonn­en.» (Unterhaltungen mit dem Kanzler von Müller, 5. Jan. 1831.) Damit hat er auf die wir­kende Kraft hingedeutet, die sich in al­lem menschlichen Erkenntnisstreben geltend macht. Solange der Mensch dabei stehen bleibt, die Gegenstände um sich her wahrzuneh­men und ihre Gesetze als ih­nen eingepflanzte Prinzipien zu betrachten, von denen sie beherrscht wer­den, hat er das Gefühl, daß sie ihm als un­bekannte Mächte gegen­überstehen, die auf ihn wir­ken und ihm die Ge­danken ih­rer Gesetze auf­drängen. Er fühlt sich den Dingen gegenüber un­frei; er empfindet die Gesetzmäßig­keit der Natur als starre Notwen­digkeit, der er sich zu fü­gen hat. Erst wenn der Mensch gewahr wird, daß die Naturkräfte nichts an­deres sind als For­men dessel­ben Geistes, der auch in ihm selbst wirkt, geht ihm die Einsicht auf, daß er der Frei­heit teilhaf­tig ist. Die Naturge­setzlichkeit wird nur so lange als Zwang empfunden, so lan­ge man sie als fremde Gewalt ansieht. Lebt man sich in ihre Wesenheit ein, so emp­findet man sie als Kraft, die man auch selbst in seinem Innern betätigt; man empfindet sich als pro­duktiv mit­wirkendes Element beim Werden und Wesen der Dinge. Man ist Du und Du mit aller Wer­dekraft. Man hat in sein eigenes Tun das aufgenom­men, was man sonst nur als äu­ßeren An­trieb empfindet. Dies ist der Be­freiungs-Prozeß, den im Sinne der Goetheschen Weltanschau­ung der Erkenntn­isakt bewirkt.“ - Das ist mit Blick auf Steiners vorangehende Schrif­ten alles nichts Neues in dieser Schrift von 1897. Die Suche nach und die Erforschung von (geisti­gen) Naturwirksam­keiten im eigenen In­neren zieht sich, wie der Leser sieht, leitmotivisch durch sämtliche Früh­schriften Steiners. Auch in Wahrheit und Wissenschaft ist das so, wenn dort auch der Akzent etwas anders ge­setzt ist auf den vorausset­zungslosen Ausgangspunkt der Er­kenntnistheorie, finden Sie darin eine analoge Hervorhebung der eige­nen inneren Wirksam­keit. Beson­ders prä­gnant im Kapitel IV, mit Blick auf die eigene Aktivität beim begrifflic­hen Denken. (Etwa hier S. 37.)

Oder wie Steiner bereits 1886 an die Dichterin M. E. delle Grazie schrieb: „Oh, wir sollten doch endlich zugeben, daß ein Wesen, das sich selbst erkennt, nicht unfrei sein kann! Indem wir die ewige Gesetzlich­keit der Natur erforschen, lösen wir jene Substanz aus ihr los, die ihren Äußerun­gen zugrunde liegt. Wir sehen das Gewebe der Gesetze über den Dingen wal­ten, und das bewirkt die Notwendigkeit. Wir besitzen in unse­rem Erkennen die Macht, die Ge­setzlichkeit der Naturdin­ge aus ih­nen loszulösen und sollten dennoch die willenlosen Skla­ven die­ser Ge­setze sein? Die Na­turdinge sind unfrei, weil sie die Gesetze nicht erken­nen, weil sie, ohne von ihnen zu wissen, durch sie beherrscht werden. Wer sollte sie uns aufdrän­gen, da wir sie geistig durchdringen? Ein er­kennendes Wesen kann nicht unfrei sein.“ (GA-30, Dornach 1989, S. 238 f)

Erkenntnistheorie (und Freiheitsforschung) auch als Naturforschung von Innen. In allen sei­nen Frühschriften. Das war ausdrückliches Pro­gramm nicht nur der Philosophie der Freiheit laut zwei­tem Kapitel, son­dern be­reits der Grundlinien … . Wor­auf wir gleich noch kommen wer­den.

Vielleicht hilft es, um den Unterschied zwischen Bühler, dessen Ver­suchspersonen und Stei­ner et­was zu charakterisieren, auch Steiners Un­terscheidung von Verstand und Vernunft aus dem Kapitel 12 der Grund­linien(hier S. 67 ff) etwas zu bemühen: „Unser Denken hat eine zwei­fache Auf­gabe zu vollbringen: erstens, Begriffe mit scharf umrisse­nen Konturen zu schaffen; zweitens, die so geschaffenen Einzelbegriffe zu einem einheitlichen Ganzen zusam­menzufassen. Im ersten Falle han­delt es sich um die unterscheidende Tätigkeit, im zweiten um die ver­bindende.“ Die Einzeler­kenntnisse des Verstandes zu höheren Einhei­ten zu­sammen zu fassen, sei, so sagt er dort, Sache der Vernunft. Und zwar wird der Ho­rizont der Beobach­tung immer weiter, je mehr versucht wird, die größeren Zu­sammenhänge in den Blick zu be­kommen. Das geistige Weltgeschehen und seine ethi­schen Implikationen gehören zusamm­en mit den Ausein­andersetzungen zwischen Materialis­mus, Monis­mus, Spi­ritualismus und Frei­heit des Men­schen sicherlich mit zu den höchs­ten Frages­tellungen, die man sich als psycholo­gisch / philo­sophischer Beob­achter stellen kann. Was beim Anthroposo­phen Steiner dann ja noch ganz an­dere Formen der Untersuchung an­nimmt. Aber es ist klar, daß derjeni­ge, der nach dem durch­schauten Weltgeschehen fahn­det, vor al­lem Wert legt auf si­cher erlebte Wirk­samkeiten und ihre Zusam­menhänge in der Welt, und, – im Falle Steiners, – als empiri­scher Erkenntniswiss­enschaftler ebenso na­türlich in seinem Inneren. Wir wer­den das un­ten in Ver­bindung mit Kants Kausalitätspro­blem noch etwas näher aus­führen.

Was bei Bühler ersichtlich alles keine vorrangige Rolle spielte, denn der war mit seiner Habi­litationsarbeit wesentlich als Denkpsychologe unter­wegs. Zu Beginn einer Wissenschaft auch noch, die sich soeben (Institutsgründung 1896; weitere Einzelheiten hier) nach der Jahrhun­dertwende erst in Deutschland als sogenannte «Würzburger Schule» etabliert hatte. Die es als wissen­schaftliche Spezialdisziplin in Steiners Frühzeit also noch gar nicht gab. Weswegen sich Steiner in seinen Grundlegungsschriften in dieser Beziehung auch mehr Freiheiten gestat­ten konnte als Karl Bühler. Letzterer mußte seine Zeitgenossen überhaupt erst einmal davon überzeugen, dass seine Fragestellun­gen relevant sind, und sich mit einer damals neuen Metho­de auch angemessen würden klären lassen. Was übrigens schwer genug wurde. Von daher war es naheliegend für ihn, nicht gleich als Weltbeobachter mit den höchsten Fragen in Erschei­nung zu treten, sondern erst einmal ganz pragmatisch den Nachweis zu führen, dass es im Be­reich des Denkens sehr viel un­mittelbar zu erleben und mittels dieser neuen Disziplin «empi­rische Psychologie des Denkens» zu beobachten gab, was vorher nicht systematisch beobach­tet werden konnte. Da ist eher der Fach-Psychologe gefragt, und nicht so sehr der Weltbeob­achter, der mit psy­chologischen Mit­teln nach wirkenden Kräf­ten im In­neren zwecks Welterklärung und zwecks Überwindung des Kantschen Il­lusionismus suchte. Beim Würzburger Institutslei­ter Os­wald Kül­pe war das schon deutlicher etwas anders als bei Büh­ler, wie Sie an sei­nem Artikel über die Psy­chologie des Den­kens hier ab S. 297 ff nachle­sen können. Der dort ganz expli­zit von in­neren Wirksam­keiten spricht, die bei den psy­chologischen Ver­suchen ge­funden wurden. So daß er in diesem Artikel S. 312 ff von der «monarchischen Struktur des Seelenle­bens» spricht. Und die enorme philosophi­sche Be­deutung sol­cher empiri­sch psychologischen Be­funde aus­drücklich her­vorhebt. Wäh­rend andere Zeitgenossen wie F. A. Lange seinen Worten zufolge den Geisteswis­senschaften «nur Stei­ne statt Brot» auftischten, wie er S. 311 f hervor­hebt. Ver­gleichbares kön­nen Sie bereits dem Psy­chologiekapitel 18 aus Steiners Grundlini­en... entneh­men. Bei Külpe le­sen Sie ähn­lich und seine kritische Passage abschlie­ßend: daß Zeitge­nossen wie F. A. Lange an den Au­ßenwerken der Psy­chologie stehen blei­ben und sich „mit dem Hal­lerschen Spruche trösten: ins Inn­re der Natur dringt kein erschaffner Geist.“ Naturforschung von Innen also nicht nur bei Stei­ner, sondern ganz ausdrü­cklich auch bei Külpe. Ob­wohl Stei­ner sich an sei­nem unausgegorenen erkenntnistheoreti­schen Subjektiv­ismus heftig stößt, wie man in GA-60, S. 213 ff nachlesen kann. Ana­log freilich, wie auf anderer Ebene an Goethe, der zu keinem Be­griff der Freiheit kam, dazu allerdings auch nicht den Weg der Beob­achtung des Den­kens be­schritt wie Steiner und Külpe. - Man kann sich in man­cher Hinsicht wirklich sehr nahe sein, und in anderer wiederum un­endlich fern, wie man daran sieht. Was ja auch für Steiners relative Nähe zu Eduard von Hartmann galt.

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Kommen wir zurück zur Frage der Beobachtung. Prinzipiell beginnt das Beobachtungsvorha­ben dann, wenn das Erkenntnismotiv methodisch ver­wirklicht wird. Das Motiv muß ja vorhand­en sein, wenn jemand auf der Grund­lage spezi­fischer For­schungsüberlegungen etwas über das Denken wis­sen will. Was natürlich auch für Versuchspersonen, zumal für fachliche gilt, die sich so eine Frage­stellung zu eigen gemacht haben wie die, «Was wir er­leben wenn wir den­ken?» So daß die Erkenntnisin­tention als be­wußtes Motiv bei allen Betei­ligten, mehr oder weniger spe­ziell ausge­prägt vor­handen ist, sonst wür­den sie sich zumal als fachpsycholog­ische Ver­suchspersonen auf so et­was ja nicht einlassen.

Die nächste Frage lau­tet dann: Wann be­ginnt eigent­lich die Er­kenntnis des Denkens, wo über die Erfah­rungen des Denkens nach­gedacht wird und man zur anspruchs­volleren Begriffsbil­dung dar­über ge­langt? Das Wahrnehmungsurteil: «Es gibt Denker­lebnisse! / oder auch nicht!» kann die Versuchsperson gege­benenfalls schon fällen, unmittelbar nach­dem sie etwas erlebt hat. Das kann, entspre­chendes In­teresse vorausgesetzt, als einfa­che Urteilskonstatier­ung un­ter Umständen, und zumal in Pha­sen der Stockung oder des In­nehaltens während des Experiment­es ziem­lich schnell gehen, ohne den experimentel­len Denkfluß entscheidend zu un­terbrechen. Sie sind dann vielleicht auch verblüfft oder überrascht über das bislang Er­lebte, und so weiter. Bühlers «Aha-Erlebnis», ist ja als ge­flügeltes Wort in die Geistesges­chichte einge­gangen. In­nerlich ausge­sprochen übri­gens häufiger von seiner Versuchsper­son K. (Külpe), wie Sie etwa auf S. 305 und öfter in Bühlers Stu­dien nachle­sen können wie etwa an folgender Stelle in sei­nen Protokollen: „Da kam mir pötz­lich mit einem Aha! der Ge­danke: das ist die bekannte An­schauung, daß Grenzen nur von Überragen­dem aus festgestellt werden können.“ Das «Aha!» der Versuchsperson Külpe be­gleitete in diesem Fall dessen Den­ken und war le­diglich Aus­druck einer für die Problemlösung der experi­mentellen Denkaufgabe wich­tigen Entde­ckung. Er fand etwas unerwar­tet einen Lö­sungsweg und begleitete das mit diesem inne­ren Kommen­tar. Wie weit das erlebte «Aha!» wie­derum schon ein Wahrneh­mungs-Urteil war und nicht bloß ein prägnant durch­laufener Überraschungsre­flex, der sich dann ledig­lich in einer vorbegrifflic­hen Interjek­tion als Ausdruck des Er­staunens in ei­nem entscheiden­den Denkstadium nieder­schlägt, wie «Ach!», «Oh!» und «Hui!», oder das dem Archime­des nach­gesagte «Eu­reka!» als Ausdruck der Freude über eine gefunde­ne be­deutende Ein­sicht, ist eine wei­tere Frage. Nachge­dacht wurde über die Funktion des «Aha!» jedenfalls den Protokollen zufol­ge erst später. Zur denkpsycho­logischen Be­wertung dieses «Aha!» siehe auch Bühler im Teil 2 seiner Untersuchung etwa auf S.17.

Es mag sein, daß in einzelnen Fällen den denkpsychologisch erfahrenen Versuchspersonen auch wäh­rend des Versuchs klar wurde, daß das Er­lebnis zur Klärung ihres expliziten Forschungsvorha­bens selbst gehörte. Was bei grundlegend einfachen Fragestellungen dieser Art ja näher liegt, wo überhaupt nur nach der Anwesenheit oder Absenz von inneren Wahrnehmung­en ge­fragt wird. Dann hät­ten sie sozusagen zwischen­durch ei­nen Ab­stecher vom Experi­ment zum Forschungsprog­ramm und seiner Lösung in Ur­teilsform ge­macht. Die Hauptarbeit der Beobacht­ung aller­dings, wie man insbeson­dere schon bei solchen Bewertungs­fragen wie um das be­rühmte «Aha» sieht, näm­lich die psy­chologisch / philosophi­sche Beur­teilung der mitgeteilt­en Denk-Erleb­nisse, worin die eigentli­che Erkennt­nisarbeit liegt, nimmt den weitaus größ­ten Teil der Bühler­schen Habilitationss­tudie ein. Der sich da­bei mit ei­nem nennenswert­en Teil der zeit­genössischen Fachli­teratur und ihren Problemstel­lungen kri­tisch auseinanders­etzt. Was selbstredend auch zur Beobach­tung des Denkens ge­hört. Nämlich zu einer ange­messenen Be­griffsbildung über das Den­ken zu gelangen, denn erst diese macht aus einer blo­ßen Wahrnehm­ung des Denkens eine Erkenntn­is des Denkens. Dazu wiederum muß man das Für und Wider ge­wisser Standpunkte und Sichtweisen des Denkens gründlich bedenken und sich damit kri­tisch auseinandersetzen, weil man sonst zu keiner fun­dierten be­grifflichen Klä­rung bezüglich des Denkens kommt. Eine Versuchsp­erson kann das natürlich nicht wäh­rend des Ver­suchs. Selbst wenn sie nur feststellen will, was sie während des Denkens er­lebt, sind ausgreifende Überlegun­gen zu Lage und Streit­fragen der For­schung und zur Einordnung des Er­lebten oder nicht Erlebten in diese Forschung während des Denk-Expe­riments na­türlich nicht mög­lich.

Denken Sie nur einmal an Bühlers Eingangsbemerkungen zu seiner psy­chologischen Studie von 1907: „Es gibt wohl kaum eine andere einzel­wissenschaftliche Frage, auf die man so vie­le ver­schiedene Antworten erhalten kann als auf die: was ist Denken? Denken ist Verknüp­fung, Denken ist Zerlegung. Denken ist Urteilen. Denken heißt Apperzipier­en. Das Wesen des Den­kens liegt in der Abstraktion. Den­ken ist Bezie­hen. Denken ist Aktivität, ist ein Willensvorg­ang. Fragt man aber spezi­eller nach den Inhalten der Denkerlebnisse, dann lautet die Antwort sehr ein­mütig, spezi­fische Denkinhalte gebe es nicht. Es gibt nur ganz weni­ge For­scher, die diesen Satz nicht anerken­nen wür­den.“ Da ist noch nicht einmal von Kausali­tätsfragen und gar der «Welt­wesenheit Den­ken» die Rede. Sondern zunächst geht es schwer­punktmäßig le­diglich darum, ob es beim Den­ken überhaupt etwas zu erleben gibt oder nicht. Letztlich eine Frage nach der empirischen Grund­lage ei­nes damals all­gemein ver­wendeten Denkbegriffs, der, wie von Bühler dargelegt, nicht nur in so unter­schiedlichen Variationen vorlag. Sondern von dem die al­lermeisten Fachleute zudem noch glaubten, daß er gar keine unmittelbar­e empiri­sche Grundla­ge habe, weil es dabei nämlich angeb­lich nichts zu erle­ben gab.

Wenn die Ver­suchsperson als «phi­losophischer Beobachter» (Stei­ner) ihre Denkerleb­nisse schließ­lich auch noch mit Kants Kausalitätsprob­lem sach­gemäß in Ver­bindung bringen woll­te, dann müsste sie den ba­salen Versuch über­haupt abbre­chen, der lediglich et­was über das Vor­handensein von spezi­ellen Erleb­nissen wäh­rend des Denkens aus­sagt. Und sich für min­destens ei­nige Wochen oder Mo­nate, viel­leicht auch Jahre oder ein gan­zes Leben lang, je nach Bil­dungs-, Wis­sens,- und In­teressenstand zurückzie­hen, um die Frage zu beantwor­ten, was das Er­lebte alles mit die­sem Pro­blem Kants zu tun hat. Erst da­mit, wenn sie das ganze Pro und Kon­tra um die Er­kenntnis von Kau­salzusammenhängen erfolgreich auf ihr Versuchs­prozedere übertra­gen hät­te, wäre ihr Beobach­tungsprojekt ab­geschlossen. Und die Wahrnehm­ung mit dem «tätig erarbeiteten Begriff erfaßt», um mit Steiner zu sprechen. Da­hingehend etwa, daß sie «bei der Beobach­tung des Den­kens das Weltge­schehen durch­schaut», wie es Stei­ner 1897 hier S. 70 be­merkte. Und «ein erkennendes We­sen nicht unfrei sein kann», wie Steiner bereits 1886 ge­genüber der Dichte­rin M. E. delle Grazie versi­cherte (GA-30, S. 238 ff).

Es ist übrigens bezeichnend für Steiner und die damalige wissenschaftliche Zeitlage, dass Steiner 1917 in der Schrift Von Seelenrätseln (GA-21, S. 170 f) den dringenden Wunsch äußerte, in einem psychologischen Laboratorium zu arbeiten, um dort «beste Grundlagen» zu legen. Also jene Fragen noch einmal in so einem Institut auf empirische Grundlagen zu stellen, die er bereits in seinen Frühschriften psychologisch behandelt hatte, als es solche etablierten Einrichtungen mit vorzeigbaren Resultaten noch nicht gab.

Über die Betriebsblindheit von philosophischen Spezialisten und philosophischen Steinerinterpreten insbesondere

Wenn man sich Steiner Sendschreiben an die Dichterin delle Grazie, oder seine Bemerkungen über das durchschaute Weltgeschehen anhand der Beobachtung des Denkens in Goethes Weltan­schauung (Erstauflage 1897, S. 69 ff) vor Augen hält, dann sieht man daran, welche außerordent­liche Weite und Bedeutung die empirische Beobachtung des Denkens für die Behandlung und Einschätzung der Naturkausalität ein­nehmen kann. Und damit auch für die Freiheitsfrage. Denn dabei geht es selbstredend um den Geltungs­bereich der Naturkausalität. Und heißt, ein erken­nendes Wesen kann nicht vollständig den Zwän­gen der Natur­notwendigkeit un­terworfen sein. Was folg­lich sehr ernste ein­schränkende Folgen für das Ver­ständnis einer ge­neralisierten Na­turkausalität hat. In diesem Fall schwerste Folgen für das Verständnis, die hier ihren Ausgang neh­men von der For­schung einer «empiri­schen Natur­wissenschaft von In­nen». Hier gilt auch, was Steiner mit dem programmati­schen Satz aus dem zweiten Ka­pitel der Philosophie der Frei­heit bereits vorweg­nimmt: „Wir können die Natur außer uns nur finden, wenn wir sie in uns erst kennen.“ (Hier S. 20.) Was im Fall der Denk-Beobach­tung über einen der allerwich­tigsten Natu­raspekte aufklä­ren kann. Nämlich, daß das all­gemein der materiellen Welt unter­stellte Kausali­tätsprinzip nicht unein­geschränkt gilt, und bereits bei menschli­chem Erkennen au­ßer Kraft ge­setzt ist. Denn das Denken und Erkennen ist nicht blind von den Gesetzen einer Naturkausalität getrie­ben, sondern macht sich davon unabhängig, indem es sich aktiv und keineswegs passiv von Fragstellungen und Begriffen nach logischen Gesichtspunkten leiten läßt. Und vor diesem Hintergrund seine Erkenntnisurteile fällt. Im Denkex­periment mit nachfolgender Bezugnah­me auf das Kausalitätsproblem gegebenen­falls mit dem Re­sultat, daß das menschliche Erkennt­nisvermögen in gar kei­ner Weise ei­nem ana­logen Naturme­chanismus zwanghaft folgt, wie er ver­gleichsweise für Stei­ne und che­mische Vorgänge gelten mag, - und selbst für letztere hat das mas­sive Fol­gen, wenn sich die Brüchig­keit des Kau­salitätsprinzips an nur einer Stelle heraus­stellt, die je­dermann leicht zu­gänglich ist. Wer indessen nur Stei­ne und chemi­sche Vor­gänge un­tersucht, und den Menschen analogisierend bloß als Naturmechanismus betrachtet, wird das frei­lich nie begrei­fen, und die Natur in­folgedessen nie in die­sem entscheiden­den As­pekt der Natur­kausalität, wo ihre Reichweite durch die empirische Beob­achtung des Den­kens drama­tisch einge­schränkt wird, ken­nen ler­nen. Wer wie­derum überhaupt nie nach dem tiefer­en Grund der Welt­phänomene fragt, son­dern nur nach Nutzanwen­dungen, wie sie Alexan­der Unzicker hier dem an­glo-amerikanischen Utilita­rismus zu­schreibt, der wird eben­falls nicht weit kom­men mit der Er­kenntnis des Denkens und je­ner Kräfte, die die Welt von innen trei­ben. Wer zu­dem über die er­kenntnistheoretische Ge­brechlichkeit ei­nes von Kant und Hume problemat­isierten Kausalitäts­prinzips gar nichts weiß, so daß er es mit der Beob­achtung des Denkens auch nicht in Verbin­dung bringen kann, der kommt ebenfalls nicht weit da­mit und dem «Durch­schauen des Weltgesche­hens» im Sinne Steiners. Bei allen Beobachtun­gen, die er mit seinem Denken sonst noch vorneh­men mag.

Das Beobach­tungsunterfangen zur philo­sophischen Klärung ei­ner Wahr­nehmung des Den­kens kann unter Umstän­den viele lange Jahre in Anspruch neh­men. Beispielsweise wenn man erlebt, daß die Gedanken und Erkenntnisse aktiv hervorgebracht wer­den, und darauf aufbauend sol­che weit gesteck­ten, aber für das Weltver­ständnis folgenreichen Pro­blemstellungen in den Blick nimmt. Johannes Volkelt benötigte mehr als 30 Jahre dazu, wenn man seine Ausgangsfrage nach der erlebten Kausalität von 1886 (S. 82 f) mit der Antwort seiner 1918 (hier S. 140 ff letzten Fassung seiner Erkenntniswissenschaft vergleicht. Mit Denkprozessen hatte sich Volkelt bereits 1886 sehr eingehend beschäftig. Und die Antwort von 1918 sieht sehr anders aus als 1886. Das lag einerseits an Methodenfragen der inneren Beobachtung, an denen Volkelt selbst regen Anteil hatte. Und liegt auch an der dabei allmählich erst gewonnenen philosophischen Überzeugung in psychologischer, na­turwissenschaftlicher und ethischer Hinsicht.

Das alles dauert schon we­gen der Tat­sache, daß man sich so unge­heuer breit und ein­gehend über jene oft fach­fremden Pro­blemstellungen aufklä­ren muß, die da­mit ver­bunden sind. Was im Zeit­alter des blin­den Spezia­listentums, das zwar im eigenen winzi­gen Metier in ungeahn­te Tiefen dringt, aber im üb­rigen über sei­nen mikros­kopisch kleinen Tellerrand nie hinaus­kommt, und schon die Fra­gen von gleich nebenan weder kennt, noch beantwor­ten kann, umso schwie­riger wird. Es ist ja das, was Steiner im Kapitel 12 der Grundlini­en der bloßen «Verstandeserkennt­nis» zu­schreibt, die eine große Scheu davor habe, solche Verbin­dungen zu an­deren und umfas­senderen philoso­phisch-naturwissenschaftlichen Pro­blemkreisen in den Blick zu neh­men und die Verständnisfäd­en dort­hin zu ziehen. Das ist eine Eigenart der wissenschaftlic­hen Perspektiven­verengung, die nicht nur für den ge­wöhnlichen Wissen­schaftsbetrieb gilt, son­dern vielfach auch für den anthro­posophischen, wie man exempla­risch am Beispiel der Denk-Beob­achtung und ihrer Übertragung auf Kants Kausalitätsprob­lem studieren kann. Die eigent­lich, obwohl eine Schlüs­selstelle von Steiners Grundle­gungsschriften, von solchen Rezipient­en nie dort vorge­nommen wird, obwohl Steiner selbst in die­sen Früh­schriften mehr als genug erklär­ten und unübersehbar­en Anlaß dazu ge­geben hat, die empirische Be­obachtung des Denkens mit dem Kau­salitätsproblem zu verknüp­fen. Was ja schon über Steiners Eingangsfrage im ersten Kapitel der Philosophie der Freiheit klipp und klar gemacht wird. Daneben über den Aus­druck des «Zusammenh­angs von Wirkendem und Bewirktem», der sich bereits aus akutem phi­losophischem Anlass in den Grund­linien. von 1886 gleich nach dem Kant-Ka­pitel im Folgekapitel 15 fin­det. In Goethes Weltanschauung (S. 69 ff) sieht es nicht anders aus. Gleichwohl wurde das so gut wie nie zur Interpre­tation von Steiners Grund­schriften beigezogen. Was vorran­gig auch für idealist­isch orien­tierte Philo­sophen wie Hart­mut Traub, Eck­hart Förster, Jaap Sij­mons und andere gilt, die sich mit oder gerade we­gen ihrem ein­gegrenzt-spezialisierten philosophischen Sachverstand auf einem en­gen aka­demischen Fachgebiet, - sogar des Idealismus mei­netwegen, - hart­näckig weigern, die empirische Psycho­logie des Den­kens zur Klä­rung grundle­gender Fra­gen bei Steiner, in der Natur­philosophie und der Geisteswissen­schaft, so­wie der Kausalitätspro­blematik der Naturwissen­schaften allge­mein ein­zubeziehen, weil sie davon als Spezia­listen ihres be­schränkten (philosophi­schen) Metiers schon nichts mehr verstehen. Oder gera­de so viel wie ein Robbenfäng­er der Inuit vom Ana­nas-Anbau. Was als wissenschaftli­cher Perspektiven­reduktionismus ein leidi­ges Dauer-The­ma nicht nur bei den Anthroposo­phen ist. Man muß sich nicht darüber verwundern, dass sol­che Philosophen Steiners Empirismus nie begreifen werden. Schon wegen ihrer abwertend philo­sophischen Haltung gegen jeden Empirismus des Denkens, von dem sie dann auch sachlich nichts verstehen, aber gleichwohl ihre eigene kognitive Mängellage blind auf Steiner übertragen, ihm dasselbe unterstellen und damit lauter abstruse Interpretationsresultate zu Steiners Frühwerk ge­nerieren.

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Mancher wird darüber auch zum wortmächtigen anthroposophischen Ikarus à la Swasssjan, nur weil er offenbar bei sei­nen intellektuellen Stratosphärenflügen den Hö­henmesser vergaß und die Bodenstation nicht kontaktierte. So daß man dann auf ca 370 Seiten kaum ein klären­des Wort zum Gedankengang von Steiners Grundlagen hört. Dafür aber in der Auseinanders­etzung mit Thomas Meyer auf S. 364 ff so verstiege­ne Scho­lastizismen, ob ich von Rudolf Stei­ner ge­dacht wer­de, und ob Ru­dolf Steiner der einzige Mensch ist, der die Welt­schöpfung vollendet. (Die Diskussion ist im Online-Archiv des Europäers Jahrgang 2006 noch zu le­sen.)

Da taucht dann zwar (S. 350 ff) die an sich sehr vernünftige Frage auf nach der seelischen Beob­achtung in Steiners Philosophie der Freiheit, freilich ohne einen Blick in die Grundlini­enzu werfen, wo sie 1886 schon längst beantwortet wurde, und sogar im Nachgang von 1924 (S. 142) noch einmal erwei­ternd und präzisierend auf die An­throposophie bezo­gen. So daß man schon den Eindruck hat, Swassjan redet da über ei­nen ent­scheidenden psychologi­schen Aspekt von Steiners Grund­lagen, den er nicht nur nicht besonders gut kennt, sondern der ihn auch nicht wirk­lich erwär­men kann, obwohl es ein Kernaspekt von Steiners Begründungss­chrifttum ist. Was gleichermaßen für Steiners induktive Vor­gehensweise gilt, die Swassjan auf diesen Seiten (351 ff) ebenso abzu­lehnen scheint, obwohl Steiner ausdrück­lich (GA-1, S. 126) betont, daß die Ide­en einer induktiven Methode zugänglich seien. (In der Kürscher­ausgabe von 1887 auf S. IV f): „Das objektiv Gegebe­ne deckt sich durch­aus nicht mit dem sinnlich Gegebe­nen, wie die mechanische Welt­auffassung glaubt. Das letztere ist nur die Hälfte des Gegebe­nen. Die an­dere Hälfte desselben sind die Ideen, die ebenso Gegenstand der Erfah­rung sind, frei­lich einer höheren, deren Organ das Denken ist. Auch die Ideen sind für eine induktive Me­thode erreichbar.“ So Steiner dort. - Was denn nun? In­duktiv oder nicht? Mit dem von Steiner vorgelegten Lösungsan­satz zum Kant-Humeschen Kausa­litätsproblem scheint Swass­jan auch nichts am sprichwörtlichen Hut zu haben, obwohl es bei Stei­ner bei sämtliche Begründungs­schriften in Gestalt eines erlebten Zu­sammenhangs von Wirken­dem und Bewirktem grell her­ausleuchtet. Mehr als im Kapitel 14 der Grundlinien… kann man es kaum noch beto­nen. Man hat damit natürlich auch Steiners induktiven Weg zu den Ide­en vor sich, der in dieser Schrift ebenso eindrucksvoll beschritten wird.

Da scheinen ei­nige empirische / psychologi­sche Zusammenhänge über Steiners Vorgehensweis­e bei Swassjan noch einer Klärung gar sehr be­dürftig. Was auf der anderen Sei­te wiederum zu den scho­lastischen Ent­gleisungen passt, die Swassjan da gelegentlich zum Bes­ten gibt. Wäre es anders, dann hätte Swassjan sich nämlich weit mehr über die Psycholo­gie in Steiners Grundschriften aus­gebreitet, und täte nicht so er­staunt über eine seeli­sche Beobach­tung, die gar nicht zu über­sehen ist und nicht nur in sämt­lichen Grundschriften Steiners regelr­echt in die Augen springt, sondern wo auch von Steiner lang und breit darge­legt wird, war­um das so ist. Darüber allerdings, warum das überhaupt dort auftaucht, wundert sich Swassjan nun et­was. Darüber, warum in der Phi­losophie der Frei­heit von «seelischer Beobachtung» die Rede ist. Wor­an man eben sieht, die seelische Be­obachtung gehört nicht wirklich zu Swass­jans Spe­zialgebieten und Lieblingsprojekten, sonst wür­de er sol­che iso­lierten Fragen nicht stellen, son­dern als Thema so ausführlich entfalten, wie es an­gemessen wäre. Und damit wäre sein Buch auf über 370 Seiten längst voll gewesen, und seine ver­schrobenen und für das Verständ­nis nutzlo­sen scholastischen Exkurse über die Person Steiners hätte er sich schen­ken können. Ir­gendwie erinnert das auch ein wenig an den Eskimo und den Ana­nas-Anbau. - Nun, man­cher weiß noch nicht so recht, daß Stei­ner gar nicht wie ein Gott verehrt und geliebt, sondern ver­standen wer­den woll­te. Wo es wiederum bei den Anthroposophen gewal­tig ha­pert, das ist nicht mangelnde Steiner-Verehrung, sondern Verständnis für sei­ne wissen­schaftlichen Grundlagen. Da helfen erfah­rungsgemäß sämt­liche Hu­sarenritte durch die Jahrtausend­e der Philosophieges­chichte und altehr­würdige okkulte Strömungen nicht weiter, wenn man noch nicht einmal weiß, was der Mann in seinen Frühschrif­ten mit der empirischen Aktpsy­chologie sei­ner Zeit eigentlich vorlegt, wo er sein Begründungs-Vorha­ben doch so gut wie nir­gends an diese Jahr­tausende der Philoso­phiegeschichte anbindet. Abgese­hen vom Idea­lismus Goe­thes, den er mit dieser empirischen Aktpsycho­logie seiner Zeit engstens erkenntniswissenschaft­lich verknüpft. Beim Verständnis dieser Verknüp­fung aller­dings, das werden wir dann bei Witzen­mann neuer­lich in un­serer anthro­posophischen Debakelsammlung erleben, klemmt es bei den An­throposophen bis hin zum eigenen vernichtenden Unter­gang.

So viel auch zum The­ma Steinerverehrung. Mit dieser Ver­ehrung, ob von Steiner oder etwa sogar Witzenmanns, zumal wenn sie auch noch hoch suggestiv daherkommt, ist kein Blumen­topf zu ge­winnen. Damit kann man vielleicht opportunistische anthroposophische Be­ziehungen knüpfen, aber keine Verbindungen zur Wahrheit. Aus lau­ter Verehrung für diese Vorbilder, an­statt selbst zu den­ken, hat man schließlich in sei­ner Verständnislosigkeit alles kraftvoll vor die Wand gefahren. Wo dann die blinde Steiner-Verehrung inzwi­schen teils durch die noch weit tum­bere Witzenmann-Verehrung er­setzt wurde, und die Leute mit ihren Wit­zenmann-Kappen auf dem Kopf (siehe wei­ter unten) schließlich allen Erns­tes öffentlich be­haupten, Wit­zenmann habe Stei­ner weiter entwickelt, obwohl sie Stei­ner erklärter­maßen gar nicht kennen. - So et­was gehört dann eher doch ins philosophische Gruselkabinett und die Samm­lung «Kondi­tionierung» und «Ge­hirnwäsche» aber nicht zur Kate­gorie der Aufklärung. Mit Swassjans Unterstützung werden die Schwärmer dann Steiner noch mehr vereh­ren, und verstehen wer­den sie ihn immer noch ebenso wenig wie vorher schon.

Mit seiner psychologischen Absti­nenz folgt Swassjan leider nur ei­nem weithin üb­lichen eingefah­renen Re­zeptionsmuster von zahllo­sen ande­ren Anthroposo­phen, die das Psychologi­sche eben­so we­nig se­hen kön­nen und sich dafür ebenso we­nig interes­sieren wie offen­sichtlich Swass­jan. Denn: Bereits in den Grundli­nien ... nimmt die seeli­sche Beobach­tung eine erklärte Spitzen­position ein in der Erfas­sung des Geistes: „Die ers­te Wis­senschaft, in der es der Geist mit sich selbst zu tun hat, ist die Psychologie. Der Geist steht sich betrachtend selbst ge­genüber.“ So Steiner nämlich dort gleich eröffnend im Psychologieka­pitel 18 in der Erstausgabe von 1886 auf S. 79.

Ich bitte meinen Leser, dies besonders zu beachten: Nicht die Philo­sophie, sondern die Psy­chologie ist hier für Steiner die erste Wissen­schaft, in der es "der Geist mit sich selbst zu tun hat". Nun, möchte man sagen, die Philosophie hat es vorrangig nur noch mit theoret­ischen Geist-Kon­strukten und toten Begriffen darüber zu tun. So weit zumindest bin ich mir wahr­scheinlich mit Swassjan einig. Wäh­rend die Erfah­rungswissenschaft «Psycholog­ie» nach wie vor in der Lage ist, sich zum real wirksamen Geist ins Verhältnis zu setzen, was die Philoso­phie schon seit langer Zeit verlernt hat. Daß «die Seele als Tat­sache nicht da war», wie Swassjan (S. 362) von der Philosophie der Frei­heit schreibt, läßt sich für 1886 und aus dem Gesamtzusam­menhang der Grundschrif­ten also schlecht behaupten. Wo war sie also in der Zwi­schenzeit? Wo doch alle Frühschriften laut Steiners Erklärung aus der Schrift Von Seelenrät­seln (S. 58 f) in einem ausdrücklichen Gesamtzu­sammenhang stehen, also eine Ein­heit in der Grundlagenforschung bil­den, und die Sache seiner Auffassung nach so liegt: „daß alle in mei­ner «Phi­losophie der Freiheit» vorge­brachten Grundanschauungen be­reits in meinen früheren Schriften aus­gesprochen und in dem genann­ten Buche nur in einer zusammenfassend­en und sich mit den philosophisch-erkennt­nistheoretischen Ansich­ten vom Ende des neunzehnt­en Jahrhun­derts auseinandersetzenden Art vor­getragen sind. Ich wollte in dieser «Philosophie der Freiheit» in sys­tematisch-organischer Glie­derung zur Darstellung bringen, was ich in den früheren, fast ein ganzes Jahrzehnt umfassenden Ver­öffentlichungen an erkennt­nistheoretischer Grundle­gung und an ethisch-philosophischen Fol­gerungen für eine auf die Er­fassung der geistigen Welt zielende An­schauung nieder­gelegt hat­te.“ Da­nach wäre freilich die «allerwichtigste Beobachtung» aus der Philoso­phie der Freiheit auch problemlos im Psycholo­giekapitel der Grundlini­enunterzubringen gewesen, wo­nach man „eine wahr­hafte Psycho­logie nur gewin­nen kann, wenn man auf die Beschaffenheit des Geistes als ei­nes Täti­gen ein­geht.“ Man hätte das Kapitel nur entsprechend erwei­tern müssen, und schon wäre man im Ka­pitel Drei der Philosophie der Frei­heit gewesen.

Schon so gesehen war der Untertitel Seeli­sche Beob­achtungsresultate von 1918 ausgespro­chen passend. Er wäre auch ebenso passend gewe­sen in den restlichen Grundschriften. Daß Steiner sich 1894 wohlweislich nicht an der Fachpsychologie orientierte, erklärte er 1894 in der Philo­sophie der Freiheit bereits im Kapitel Drei auf S. 29 f. Das «alltägliche Bewußt­sein», auf das er sich dort, und 1918 immer noch im Kapitel Zwei (hier S. 21) beruft, kennt die scharfen Unterschei­dungen der Fach­wissenschaft nicht. Und kennt natürlich auch nicht die hinfälligen Hypothe­senbildungen, so möchte man ergänzen, die regel­mäßig in sol­chen fach­wissenschaftlichen Un­terscheidungen ste­cken. Die morgen schon nichts mehr gelten, wie­der vergessen und durch an­dere ersetzt sind. Was Steiner eben nicht hindert, möglichst unbe­lastet von solchen vergänglichen Fachtheori­en und -hypo­thesen mit kurzer Halbwerts­zeit, an den grundlegenden psy­chologischen Tatsa­chen anzuset­zen. Samt und sonders in al­len Früh­schriften. Die er­sichtlich empirisch-psy­chologisch operie­rende Erkennt­nistheorie Stei­ners wirkt nicht zufäl­lig und seit An­beginn der Psycholog­ie so naheste­hend. Wie es in jener Zeit übrigens ausserordent­lich häufig der Fall war, wie der Leser in mei­ner längeren Stu­die nach­lesen kann. Verbunden ist das auch mit promi­nenteren Namen wie Johan­nes Vol­kelt, Wilhelm Dil­they, Franz Brenta­no und vielen an­deren.

Daß Steiner wegen der Vor­aussetzungslosigkeit in der Philoso­phie der Frei­heit kei­ne Seele kennt, wird man schlecht bele­gen können, denn die Voraussetzungslosigkeit wird in Philoso­phie der Freiheit nicht mehr explizit in Anspruch ge­nommen. Während man aber die seeli­sche Beobachtung der Sache nach doch wegen ihrer psy­chologischen Vor­gehensweise so kennzeichnen könnte: Voraussetzungslos, wie es Steiners methodisches Vorbild Volkelt in dieser Angelegenheit getan hat, der noch 1918, S. 38 f von «immanent psychologischer Erkenntnistheorie» spricht, «die ebenso gut ein Psychologe durchführen könnte». Die er aber gleichwohl als «voraussetzungslos» verstand. Als Erkenntnistheoretiker der reinen Erfahrung freilich ohne da­bei die etablierten Auffassungen einer fachwissenschaftlichen Psychologie vorauszusetzen. Denn das darf er natürlich nicht bei einer voraussetzungslosen Erkenntnistheo­rie. Weswegen ihn aber auch niemand hindern kann, seelische Tasachen vor­aussetzungslos zu un­tersuchen. Dasselbe wie bei Volkelt geschieht bei Steiner seit mindestens 1886. Dessen Untersuchungen kann ohne weiteres auch ein Fachpsychologe in Angriff neh­men. Während der Erkenntniswissenschaft­ler mit An­spruch auf Vorausset­zungslosigkeit nie­mals an die Fachwissenschaft und ihre dort verkündeten Wahrheiten appel­lieren bzw. diese voraussetzen darf. Was aber einen nachträglichen Vergleich zwecks Prüfung der jeweiligen For­schungsresultate ohne wei­teres möglich macht – wie es bei Volkelt auch regelmäßig über die Jahrzehnte hin und mit teils gravierenden Folgen der Fall war.

So ausgestattet untersucht auch der «immanent psychologisch» operierende Steiner den Zu­stand «vor dem Erkennen», und baut insbesondere auf der Beobachtung eines rein erfahrenen Den­kens auf. In sämtlichen Grundschriften. - In Wahr­heit und Wissen­schaft wie­derum wird Vorausset­zungslosigkeit nur in dem Maße in An­spruch ge­nommen, «so weit das bei der Natur des menschlichen Erkenntnisver­mögens möglich ist» - wie es ein­gangs (Vorbe­merkungen) hier S. 13 heißt. Im Rahmen dieser voraussetzungslosen Untersuchung kann er selbstredend auch kein geltendes Kausalitätsprinzip voraussetzen. Das übrigens damals «und heute» ohne­hin einen mehr als fragwürdi­gen bis starkwindigen erkenntnistheoretischen Status hatte. Das ist wichtig zu wissen, bei Steiners Suche nach den «wirkenden Kräften im eigenen Inneren». Ebenso bei seiner Betonung der Tatsache, daß das Hervorbringen von Gedanken «unmittelbar gegeben» sein muß, und diesbezüglich «keinerlei Schlußfolgerungen erlaubt» sind, wie es im Kapitel Vier von Wahrheit und Wissenschaft auf hier S. 37 heißt.

Stei­ners immanent psycholog­isierendes Vorbild Jo­hannes Volkelt wieder­um, bei dem er sich in Wahr­heit und Wis­senschaft (hier in der Einlei­tung S. 7) sogar mit Nach­druck für seine wertvolle Vorarbeit bedankt hat, spricht bei al­ler betonten Voraussetzungslosigkeit aus gutem Grund und analog wie Steiner, (eben­falls noch im Jahre 1918) auf S. 38 f von ei­ner «imma­nent psychologi­schen Erkenntnistheo­rie». Die Volkelt in die­ser Form bereits seit den 1870er Jahren pflegte. Und darin von Steiner bereits in den Einleitungen in Goethes Naturwissen­schaftliche Schriften (Kap. Goethes Erkenntnistheo­rie) eben­so aufmerk­sam wahrgenommen wurde wie in den Grundlinienvon 1886. Wäh­rend Steiner (1918) in der Zweitaufl­age der Philo­sophie der Freiheit ihre seeli­sche Beob­achtung nach­drücklich noch einmal her­vorhebt, die selbst­redend 1894 ebenso wie in den Grundlinienvon 1886 als immanent psychologi­sche Methode längst vorhan­den war. Wo also Volkelts im­manent-psychologisch operierende, und vorausset­zungslose Erkenntnistheor­ie dieser Jahre, schon her­ausleuchtet.

Die­se imma­nent psy­chologische Orient­ierung in der Er­kenntnistheorie fin­det man aus sachli­chen Notwendigkeiten in sämt­lichen Grundlegungswerk­en Stei­ners genau so wie beispiels­weise bei Jo­hannes Volkelt. Auch als «voraussetz­ungslose» kann also so eine Erkenntnistheor­ie em­pirisch psycho­logisch ope­rieren, in­dem sie etwa wie in Wahrheit und Wis­senschaft erklär­termaßen, nach dem Be­wußtseinszustand «vor dem Er­kennen des Den­kens», also nach seiner «reinen Erfahrung» re­spektive dem «unmittelbar Gegebenen des Den­kens» fragt. Und in den Grund­liniennach dessen «rei­ner Erfahr­ung», was sach­lich dassel­be be­deutet. Was wiederu­m beim Den­ken auch am allerleichtest­en mög­lich ist, weil ich es vor je­der Beobacht­ung des Denkens mit so ei­nem Zu­stand «vor jedem Erken­nen des Denkens», also mit sei­ner rei­nen Erfahrung zu tun habe, wie der Le­ser leicht nachprüfen kann.

Es mag zudem auch gut sein, daß Steiner 1918 die Seele mit besonderer Betonung in den Un­tertitel der Philoso­phie der Frei­heit aufgenommen hat, weil seine drei­ßigjährige For­schung, die auch «anthropo­logischer» Natur war, ihm das noch einmal besonders nahe gelegt hat. Insbesondere die Tatsa­che, dass er dem «rein Seelischen» in der 1917 erschienenen Schrift Von Seelenrät­seln einige wissenschaftliche Aufmerksamkeit gewidmet hat. Dieses «rein Seelische» zeigt sich wiederum und insbesondere (nicht nur, aber auch) im «denkenden Su­chen nach der Wahrheit». Bei einem Wollen, das sich an den Gesetzen der Logik orientiert und nicht an de­nen des Leibeslebens. GA-21, S. 132: „Man sieht: im gewöhnlichen Bewußtsein verschläft man das Wollen, wenn man durch den Leib ein Wollen nach außen entwickelt; man ver­träumt das Wollen, wenn man im Denken nach Überzeugungen sucht. Doch erkennt man, daß in letzterem Falle dasjenige, wovon man träumt, kein Leibliches sein kann, denn sonst müßten die logischen Gesetze mit den physiologischen zusammenfallen. Faßt man den Begriff des im denkenden Suchen nach der Wahrheit lebenden Wollens, so ist dieser Begriff der eines see­lisch Wesenhaften.“ -

So beschreibt Steiner die Verhältnisse um das «rein Seelische» und das wollende Suchen nach Wahrheit in dieser Schrift. Das wäre 1. bereits ein sehr guter Grund, die seelische Beobach­tung in den Untertitel der Philosophie der Freiheit aufzunehmen, die in zweiter Auflage ein Jahr später, 1918 erschien. Denn darum, um das den­kende und wollende Suchen nach der Wahrheit, geht es dort ja von Anfang bis Ende.

Das 2. anläßlich der Suche nach dem Ursprung des Denkens und den wirkenden Kräften der Natur im eigenen In­neren. Auch das rechtfertigt die ausdrückliche Betonung einer seelischen Beobachtung.

Mit dem 3. übergeordneten freiheitsphilosophischen Ziel, die Frage zu klären: „Ist der Mensch in seinem Denken und Handeln ein geistig freies Wesen oder steht er unter dem Zwange einer rein naturgesetzlichen ehernen Notwendigkeit?“

Diese gewollte Suche im Inne­ren wieder­um basiert 4. und das scheint mir fast das Interessan­teste zu sein, bezeichnenderweise auf einer erkenntniswissenschaftlichen Methode, die bei Stei­ner seit spätestens 1886 zu Anwendung kam, von Johannes Volkelt entlehnt war, und von letzterem 1918, S. 38 f dann als «immanent psychologische» Methode der Erkennt­nistheorie bezeichnet wurde. Dieser Methode bediente sich auch Steiner in den Begründungsschriften.

Also sehr viele Gründe für Steiner, - mindestens vier hier aufgezählt, - in der Zweitauflage der Philosophie der Freiheit von seelischer Beobachtung zu sprechen, nachdem ihm nach drei­ßigjähriger Forschung auch die seelischen Verhältnisse weit klarer waren als 1894, wo der Untertitel in dieser Beziehung viel zurückhaltender war. Davon wird unten in einem Extrakapitel auf S. 149 ff im Zusam­menhang mit Johannes Volkelt und der Schrift Wahrheit und Wissenschaft noch etwas zu reden sein.

Doch wie ge­sagt: Schon 1886 war die Seele längst da. Methodisch findet sich das Psychologi­sche als Forschungsmittel und Gegen­stand in sämtlichen Frühschrif­ten. Steiners Wunsch von 1917 (GA-21, S. 171) nach ei­nem «profa­nen» psy­chologischen Labora­torium als «Wunsch ei­nes je­den, der auf dem anthroposophis­chen Ge­sichtspunkt steht», zu erwäh­nen und zu beden­ken, wäre also in je­dem Fall sehr hilf­reich gewes­en, um etwas mehr Sta­bilität unter das Flug­werk Swassjans zu be­kommen. Was folg­lich will Stei­ner da, um «beste Grundla­gen» zu le­gen, wie er S. 170 f sagt? Und warum? Und wie? Und warum jemand, der wie Steiner 1917 in diesem Buche (GA-21, S. 150) schreibt: „Ich darf wohl sa­gen, daß ich damit die Ergeb­nisse einer drei­ßig Jahre wäh­renden geisteswissen­schaftlichen For­schung ver­zeichne.“ Warum also nimmt er 1917, - um «beste Grundla­gen» im Labor zu legen, - so eindrucksv­oll den Faden zur Psycholog­ie wieder auf, den er 1886 schon ohne Labor in der Hand hielt? Trotz dreißigjährig­er Geistesforschung. Ich könnte es ja nie be­greifen, wenn ich nur Swass­jans Flugakro­batik folge.

Treten wir dazu der Sa­che nur ein­mal etwas näher, indem wir Steiners Aussage aus den Einleitun­gen in Goe­thes Naturwissenschaftlic­he Schrif­ten folgen (GA-1, S. 126 f), wo­nach einers­eits «die Ideen einer indukti­ven Metho­de zu­gänglich» seien. Und ferner der Mensch «bei der Be­obachtung des Den­kens das Weltgesche­hen durch­schaut», wie es in Goe­thes Weltan­schauung von 1897 S. 70 heißt. Das «Geschehen», das er da­bei durch­schaut, ist wiederum «die Idee selbst, wes­wegen er keine ande­ren suchen muß». Da scheint doch der induktive Weg zu den Ideen be­reits zur Anwen­dung gelangt sein, so daß er jetzt nicht nur das Ideenge­schehen, sondern sogar das Weltge­schehen durch­schaut. Warum aber möch­te jetzt der Anthroposoph und induktive Idea­list / Anthro­posoph Steiner dazu 1917 am liebsten in ein psychologisches Labor gehen? Was hat dieser Labor­wunsch mit dem induktiven Zugang zu den Ideen und zum durchschau­ten Weltge­schehen zu tun? Wobei ja unübersehbar ins Auge fällt, wie sehr Steiner in der Schrift Goethes Weltanschauung S. 61 ff bei aller Gemeinsamkeit mit Goethes Anliegen auch seine metho­disch / erkenntniswissen­schaftlichen Differenzen zu Goethe her­ausstellt, nachdem er bereits in Wahrheit und Wissenschaft seine ge­dankliche Un­abhängigkeit von Goe­the erklärt hatte, die sich selbstverständlich bereits in den Grundlinienbemerkbar macht, so weit Steiner dort auf der Be­obachtung des Denkens auf­baut und dazu auf zeitgenös­sische Phi­losophen wie Volkelt und andere rekurriert.

Ich frage mich vor solchen Hintergründen auch, warum bei Swassjan nicht von Steiners aller­wichtigster Beobach­tung aus der Phi­losophie der Freiheit die Rede ist. Desgleichen auch nicht von der Unbeobachtbar­keit des ge­genwärtigen Denkens, die vor allem Witzenmann und sei­nem An­hang, aber nicht nur diesen, sondern ganzen Generatio­nen anthroposo­phischer Steinerinterpret­en so ungeheu­re Verständnis­probleme berei­tet. Oder habe ich das bei Swass­jan über­sehen? Dann bitte ich um entspre­chende Hinweise. - Ich traue Karen Swassjan übri­gens durch­aus zu, daß er ein An­liegen wie Steiners Laborwunsch beant­worten kann, wenn er sich denn dafür er­wärmen könnte. Ob er sich aller­dings auch fak­tisch so ein La­bor wünscht, und was er damit will, wird nicht ge­klärt. Ist folg­lich doch eine Frage wert, wenn Steiner so ein­dringlich dorthin will, um bes­te Grund­lagen zu legen. Und andererseits Swassjan Steiner so unge­heuer und über alle Maßen schätzt, so daß man unbeding den Ein­druck bekom­men muß, ihn dränge es mindestens ebenso mächtig dort­hin wie den ver­ehrten Steiner selbst.

Der Mann ist mir ja nicht unsympathisch, trotz allem abwegigen und für das Verständnis nutz­losen Zinnober, den er da bisweilen um die Person Steiners veranstaltet. Wie gesagt, viel Flug­talent hat er, aber der Kon­takt zur Bo­denstation ist doch sichtlich abhan­den gekomm­en. Die Schrift Von See­lenrätseln wird zwar freudig be­grüßt und wort­reich um­armt, nur das Laborator­ium nicht, von dem dort auf S. 170 f als For­schungsstätte für beste Grundla­gen zu le­sen ist. Swassjan ist litera­risch und philoso­phisch einerseits an­spruchsvoll, scheut aber er­sichtlich den Ab­stieg von der in­tellektuellen Hochat­mosphäre ins irdisch Konkre­te, weil er schein­bar gar nicht weiß, wie er von dort oben wie­der herun­ter kommen soll. Und verliert in die­ser essayistis­chen Stratosphären-Raser­ei sogar den Men­schen aus dem Bei­sitz, von dem er S. 369 sagt, nur Ru­dolf Steiner sei einer, und wir erst auf dem Wege dahin. So was gibt`s bei den An­throposophen! Und viel literarisches Gedüse von hier nach dort und wie­der ganz wo­anders hin. Wie ein Derwisch. Nie Ruhe. Als wäre ihm der Wider­wille ge­gen das «Verweile doch, du bist so schön» in Mark und Bein gefah­ren: „Heu­te hier, mor­gen dort. Bin kaum da, muß ich fort. Hab mich niemals … “; - ohne zu be­denken, daß das lange Verwei­len auf dem Gedanken ein Kern­merkmal der Medi­tation und ebenso des Verste­hens von Stei­ners Gedan­kengängen der Grundla­gen ist. Da gilt doch eher: «Das Was bedenke. Mehr beden­ke wie.» Das «Warum» sei noch hinzu­gefügt. Dazu braucht es be­trachtende Ruhe, aber kei­ne phi­losophischen Der­wischtänze in der Luft. Dazu müsste man beispielsweise das Hand­werk dieser psychologischen Laboratori­umsforschung ein­schließlich Steiners Zielen damit kennen, und nicht nur literarische Schnappschüsse aus der Psychologiegeschich­te machen, die darüber nichts herge­ben. Doch statt ruhiger Betracht­ung strobosko­partiges Ge­flitze durch die Philosop­hie- und Wissen­schaftsgeschichte, und nichts wirk­lich im hand­greiflichen Zusamm­enhang, so daß jemand Stei­ners Grund­werke auch verste­hen könn­te. Beeind­ruckend schon ir­gendwie. Aber nie­mand wird an­hand die­ser phi­losophischen Geistes-Show die ganz konkret­en Ge­danken Rudolf Stei­ners in ihrem Be­gründungszusammenhang be­greifen. So daß man dann am Ende auch nicht mehr recht weiß, ob Swassjans Resümee von S. 372, Ru­dolf Stei­ners Erken­nen sei ein Mys­terium, Aus­druck von Stei­ner-Überhebung in überbor­dendem Per­sonenkult, oder von schierer Ver­zweiflung am fragwürdig­en Er­folg einer literari­schen Selbst­inszenierung Swass­jans, inklus­ive Strömungs­abriss ist. Und nur noch die Reste­verwertung von in der Son­ne ge­schmolzenem Flugge­rät ohne Fall­schirm, Lande­klappen und Navigatio­n? - Scha­de eigent­lich, denn es hät­te wirklich mehr daraus werden kön­nen, als nur eine beein­druckende und nicht ganz unberechtigt­e gesell­schaftkritische Donner-Schau mit al­lerlei scho­lastischen Sturzflugeinla­gen, Strobo­skopeffekten, logi­schen Loo­pings und qualmend­en Flü­geln. (Karen Swassjan, Rudolf Steiner ein Kommender, Neuausgabe 2017)

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Kehren wir wieder auf den Boden der ganz profanen Tatsachen zurück. Ohne spezielle philoso­phische Pro­blemkenntnis der Naturerklärung und ohne empi­risch psy­chologische Fach- und Pro­blemkenntnis ist so eine Beobachtung wie die oben genannte: - «Was hat das Denk-Er­lebnis des Hervorbringens von Gedanken und Erkenntnissen mit Kants und Humes Kausalitäts­problem zu tun?» - nicht mög­lich. Das einfa­che Wahrnehmungsu­rteil «Es gibt Er­lebnisse beim Den­ken!» reicht dazu je­denfalls nicht aus, wie der Leser leicht verstehen wird. Und selbst die ein­fache Be­obachtung «Es gibt auch er­lebte Wirksam­keitszusammenhänge im Denken!», was philo­sophisch bereits sehr anspruchs­voll ist, kann mit ih­rer absch­liessenden Be­wertung unter Umständ­en jah­relang weiter ge­hen. Bei Jo­hannes Vol­kelt, der 1886 in der Schrift Er­fahrung und Den­ken etwa S. 81 auch nach Kausalzu­sammenhängen in den In­nenerlebnissen suchte, dau­erte es wie gesagt mehr als dreißig Jah­re, bis er mit der Beobach­tung in eine ge­wisse Nähe dessen gelangte, wie Sie sei­ner Schrift Ge­wißheit und Wahr­heit von 1918 ab S. 141 ff entneh­men kön­nen.

Als erlebtes inneres Tun wird das Denken und seine Erkenntnis von Stei­ner auch in sämtli­chen Frühschriften dargetan. Einschließlich Goe­thes Weltan­schauung von 1897 in ihrem dor­tigen Ka­pitel Die Metamor­phose der Welterscheinungen (hier S. 69 ff ). Wenn er in der Phi­losophie der Freiheit im Kapitel Die Konsequen­zen des Monis­mus, im zwei­ten Zu­satz von 1918 vom in­tuitiv er­lebten Denken hier auf S. 181 schreibt, es ist «eine Wahrneh­mung, in der der Wahr­nehmende selbst tä­tig ist, und es ist eine Selbstbe­tätigung, die zu­gleich wahrgenomm­en wird», so kann man dasselbe als Sach­auskunft bereits 32 Jahre zuvor in Stei­ners Originalaus­gabe der Grundlin­ienvon 1886 im Rückblick von Kap. 15 (hier S. 56) re­spektive im Kap 8 (hier S. 24 ff) nachlesen. Des­gleichen in Wahrheit und Wis­senschaft, Kap. 4., hier S. 37. Die spä­teren Zusätze von 1918 zur Philo­sophie der Freiheit werden zwar gern von ihren Interpre­ten in­folge unge­nügender Werk­kenntnis, und deswe­gen unberechtigt der späte­ren Anthroposop­hie zuge­schlagen; die aller­dings in diesem Begründungsbu­che laut Steiners Vor­rede zu GA-4 hier S. 5 und seiner dezidier­ten Aus­kunft in der späte­ren Geheim­wissenschaft (GA-13) hier S. 343 f gar nicht zu fin­den ist. Von weni­gen Aus­blicken darauf abgese­hen, die er in der Zweit­auflage der Philoso­phie der Frei­heit in der Tat ja gibt. Davon abgeseh­en aber findet sich die Passage mit der wahr­genommenen Selbstbetäti­gung wie ge­sagt sach­lich bereits 32 Jahre früher in Steiners Grund­linienvon 1886, dahinge­hend, daß Wir­kendes und Be­wirktes beim Denkprozeß unmittelbar zu erleben sei. Auch eine sehr frühe kausalitätsphilosop­hische Feststellung Steiners, über den Zusammenhang von er­lebter Denk­tätigkeit und dabei er­wirktem Resultat. So daß wirklich nie­mand auf die spä­tere Anthroposop­hie «hin­schielen» (Stei­ner) muß, um die Philo­sophie der Frei­heit und ihre Dar­stellungen zur erlebten Denkbetät­igung zu versteh­en und an­nehmbar zu finden. In der Regel aber werden Steiners Vor­gängerschriften oder Goe­thes Weltan­schauung lei­der kaum oder gar nicht zur wissenschaftli­chen Analyse sol­cher Fra­gen um die Beobach­tung des Denkens heran­gezogen. Ob­wohl Steiner den für jeden nachvollziehba­ren Gesamt-Zusam­menhang aller Grundschrift­en in der Schrift Von Seelen­rätseln (GA-21, S. 58 f) selbst ausdrücklich darge­legt hat.

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Beschreibung des Denkens durch deskriptive Begriffe

Die zum Begreifen des Denkens notwendigen beschreiben­den Be­griffe wiederum wer­den zu­meist überhaupt erst ge­sucht, ganz analog wie man in der Biologie lange Zeit nach charakterist­ischen morphologischen Kri­terien gesucht hat, um Bauprinzipien und Verwandt­schaftsbeziehungen von Lebewesen zu eruieren. Um Ihnen nur ein Beispiel von vielen möglichen zu geben: Ein solcher deskriptiver Begriff ist etwa der von Bühler verwendete des «Beziehungsbewußtseins (hier S. 343), Regelbewußtsein (hier S. 334 ff)» und ähnli­che. Was eben heißt, ich habe während des pro­blemlösenden Denkens ein unmittelbares Wissen von begrifflichen und anderen Zusammenhän­gen verschiedenster Art. Wobei diese Bewußtheiten sich überwiegend ganz unanschaulich prä­sentierten. Gewonnen wurde das auf der Grundlage von zahlreichen Erlebnisbeschreibungen sei­ner Versuchspersonen dazu, die der Leser in Bühlers Publikation gleich mit in Augenschein neh­men kann.

Wenn Steiner wiederum bereits in den Grundlinien von 1886 im Kapitel 15 rückblickend (hier S. 86) vom «erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem» beim Denken spricht, dann haben Sie ebenfalls eine rein deskriptive Behandlung von unmittelbaren Erfahrungen des Denkens vorliegen. Wie er nachfolgend in Wahrheit und Wissenschaft im Kapitel V (hier S. 40 f) ebenfalls betont, daß «die Wissenschaft des Denkens in einer Beschreibung des Denkens bestehe». Eine Sicht, die damals weit verbreitet war und besagte, dass eine Erkenntnis des Denkens nur anhand seiner unmittelbaren Erfahrung zu gewinnen sei, und keine Außenerklärungen herangezogen werden dürfen. Was natürlich auch für Kausalerklärungen des Denkens gilt, die inzwischen regelmäßig von außen über das Denken gestülpt werden. Sie haben dort nichts zu suchen, da sie nicht aus der unmittelbaren Erfahrung des Denkens stammen. Das dritte Kapitel der Philosophie der Freiheit wiederum geht wesentlich solchen Fragen nach, und wendet sich de­monstrativ am Ende auch noch (hier S. 36 f) gegen Außenerklärungen Eduard von Hartmanns, mit dem Hinweis, „Die unbefangene Beobachtung ergibt, daß nichts zum Wesen des Denkens gerechnet werden kann, was nicht im Denken selbst gefunden wird. Man kann nicht zu etwas kommen, was das Denken bewirkt, wenn man den Bereich des Denkens verläßt.“ Eine unmißverständliche Ableh­nung jeder Außenerklärung des Denkens und damit zugleich das Kernargument für seine rein de­skriptive Behandlung auf dem Wege von unmittelbaren Erfahrungen des Denkens. Was der Leser wiederum in Diltheys Vortrag von 1894 S. 1309 ff weitläufiger erkenntniswissenschaftlich dargelegt findet unter dem Stich­wort «erklärende und beschreibende Psychologie». Die Nähe Diltheys zu Steiner ist in dieser Fra­ge unübersehbar.

Dieses "An­schauen" des Denkens unter be­schreibenden Ka­tegorien ist nicht etwa bloß metapho­risch zu nehmen. Es han­delt sich hier zwar um eine meta­phorische Über­tragung aus der Sphä­re der gegen­ständlichen Beob­achtung in die der Denk-Beobach­tung, aber wenn wir uns klar ma­chen, unter welchen erkenntnistheoreti­schen Bedin­gungen wir ei­nen her­kömmlichen Gegen­stand überhaupt er­kennend "an­schauen" kön­nen, dann müssen wir doch zuge­stehen, daß zu die­ser er­kennenden Sin­nes-Anschauung de­skriptive Begriffe / individua­lisierte Vor­stellungen er­forderlich sind, die sich in diesem Fall eben auf norma­les Sinnliches beziehen. (Zur Beach­tung: Es geht um An­schauung und nicht le­diglich um reine vi­suelle Erfahrungen, die völlig frei von Be­griffen ist. Siehe dazu etwa: Der se­hende Blinde, in, Der Spie­gel, Nr. 47, 18.11.2002 S. 190 ff). Wenn uns die Tatsachen der sinnlichen Wahrneh­mung etwas sagen sollen, dann be­nötigen wir dafür nicht nur ihre rei­ne Wahrnehmung, sondern auch die dazu geltenden Be­griffe. Beim un­mittelbar erfahre­nen / wahrgenommenen Denken ver­hält es sich nicht an­ders. Zum Begreifen des Denkens benötigt man ebenfalls Begriffe, die anhand konkreter Erfahrungen des Denkens gewon­nen sind. Mit einem wesentli­chen Unter­schied. Bei der gewöhnlic­hen Sin­neswahrnehmung und ih­rer Er­kenntnis ist der naive Rea­lismus auch von Steiner nicht zu­gelassen. Bei der Erkenntnis des Denkens ist er es gleichwohl (GA-4, Kap. V, hier, S. 71). - Dazu weiter unten noch.

Wenn wir das Denken "anschauen" oder "betrachten" wollen, dann be­nötigen wir verständlicher­weise auch dazu beschreibende Begrif­fe, die sich entspre­chend auf das Denken be­ziehen. Will man sich anhand kon­kreter Bei­spiele dieses "Anschauen" des Den­kens ver­deutlichen, dann kann man ohne weiteres auf Steiners epistemologisch-psychologi­sche Be­schreibungen des Denkens zu­rückgreifen. Beispiele dieser Art wur­den in dieser Ar­beit schon exempla­risch ange­führt, und das ließe sich natür­lich fortführen und über Stei­ners Darstel­lungen hinaus er­weitern. Wenn er bei­spielsweise in den «seelischen Beobachtungsresultat­en» der Philo­sophie der Frei­heit ausführt, daß sich das Denken nach Begrif­fen richtet und nicht nach den Zustän­den der Hirn­physiologie, dann ist das eine ex­emplarische Beschreibung von Denkpro­zessen, die nur als seeli­sches Beobachtungsr­esultat an fakti­schen Denk­prozessen gewonnen werden kann. Ein physikalistischer Hirnphysiologe wird so et­was nicht sa­gen, aber der beobachtet auch nicht sein Denken, selbst wenn er so et­was womögl­ich glau­ben soll­te. Sondern der redet dann le­diglich wie ein Blinder über die Far­be, wie Stei­ner bemerkt.

Steiner verwendet für die Beschreibun­gen des erlebten Denkens auch den Aus­druck ideel­les Ge­genbild. Etwa hier, S. 99 der Philosophie der Frei­heit, Kapitel VIII, Zusatz von 1918. Altern­ativ in GA-04, Dornach 1995, S. 142 f. Wobei der Ausdruck «Gegenbild» ver­schiedene semanti­sche Variationen in der Schrift annimmt. So spricht Steiner im Kapitel IX, hier S. 102 etwa auch von ei­nem «leiblichen Gegenbild». Und in be­sonders bemer­kenswerter Form in Kap. VII, von den ideel­len Gegenbil­dern für die Wahrnehmungen, hier auf S. 85. An jener Stelle insofern nicht nur be­merkenswert, da «die Individuen kommen und ge­hen, wäh­rend das scheinbar nichtssagende und unwirkliche ideelle Ge­genbild der Tulpen­gattung sich als blei­bend behauptet.» Bemerkenswert ist diese Passage Steiners vor allem auch, da er im Ka­pitel V (hier auf S. 71) im Gegensatz zu allen ande­ren Wahrnehmungsgegebenhei­ten aus­drücklich den naiven Realismus gegenüber dem Denken gelten läßt. Was er übri­gens schon in Wahrheit und Wissenschaft bemerkte (Kap. V, hier S. 40; a) alternativ die Disser­tation Kap. V, hier S. 29 f, wonach «die Wissen­schaft des Denkens in ei­ner Be­schreibung des Denkens be­stehe» – also ei­nen rein deskripti­ven Charakter habe. Was ja bereits ei­nen naiven Rea­lismus des Den­kens si­gnalisiert. Schon 1892 / 93 ist folglich der nai­ve Realismus des Den­kens die Basis und deskrip­tive Standardorientie­rung zwecks Er­kenntnis des Denkens. Das aber ist auch 1892 f alles nicht neu, sondern läßt sich bereits 1886 für die Grundlini­enaufzei­gen.

Die Metaphorik des "Sehens" findet sich überdies so eng verbunden mit Steiners Begriff der Denk-Beobachtung, daß man sicherlich von einer weitreichenden Überschneidung der Ausdrüc­ke "Beobachtung", Be­trachtung" und "Anschauung" des Denkens ausgehen kann. - Am Rande ge­sagt wird diese Metaphorik des Sehens von Steiner auch in spe­zifisch übersinnli­chen Zusammenhän­gen, zwar nicht durchgängig, aber sicher­lich auch nicht zufällig beibehal­ten in Ausdrücken wie "Hell­sehen" oder "Geist-Anschauung" usw. . Und das reine Denken selbst wird von ihm, wie er etwa in GA-35, 1984, S. 321 ausführt, ausdrücklich dem übersinnl­ichen, schauenden Bewußtsein zugerechnet: "Meine frühe­ren Schriften be­handeln das reine Denken so, daß ersichtlich ist, ich zäh­le dieses durchaus zu den Verrich­tungen des «schauen­den Bewußtseins». Ich sehe in diesem reinen Denken die erste, noch schattenhafte Offenba­rung der geistigen Erkenntnisstufen."

Steiner spricht im Zusammenhang mit dem Spaltungsargument des drit­ten Kapitels der Philoso­phie der Freiheit von ei­nem "Zusehen" beim ge­genwärtigen Denken, das nicht gleich­zeitig mög­lich sein soll. Ferner ver­wendet er die Ausdrücke "Beobachtung des Den­kens" und «denken­de Be­trachtung des Denkens» - wie wir in Anmerkung 54 ge­zeigt haben - weitge­hend synonym. Daher spricht einiges dafür, daß die­ses "Zuse­hen", das "Anschau­en", die "Betrach­tung" und die "Beob­achtung" des Den­kens voneinander nicht allzu ver­schieden sind, sondern sachlich in etwa das­selbe meinen. - Auch in der englischen Über­setzung der Philo­sophie der Freiheit von Michael Wilson werden die Unterschie­de der Ausdrück "Zusehen" und "Beobacht­en" weitgehend aufgehoben. 107a - Anders ge­sagt: der Begriff der "Beobach­tung" des Denkens rückt auch in eine deut­liche Nähe zum "Anschau­en" des Denkens und ist zu er­heblichen Teilen deckungsgleich zu ihm. Ein Unterschied mag darin lie­gen, daß der Beobacht­ungsbegriff einen klaren wissenschaftlich-metho­dischen Akzent hat und der Anschauungsbeg­riff nicht.

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Motiv versus Methode des Erkennens, und der «Ausnahmezustand» der «gegenüberstellenden Betrachtung» des Denkens

Erinnern wir uns noch einmal: „Beobachtung und Denken sind die bei­den Ausgangspunkte für al­les geistige Streben des Menschen, insoferne er sich eines solchen bewußt ist.“ So erläut­ert Steiner (hier in der älteren Ausgabe der Philosophie der Freiheit von 1958 auf S. 23) die Grundbe­griffe von Beobachtung und Denken. Hinter dem Beob­achten steht erklärtermaß­en ein spezifi­sches Er­kenntnisinteresse. Bei Steiner ein "be­wußtes geistiges Stre­ben". Wohl­gemerkt: ein geis­tiges Stre­ben, „insofer­ne er sich eines solchen be­wußt ist.“ Also steht dahin­ter eine be­stimmte Erkenntnisab­sicht bzw. eine Fra­gehaltung als Mo­tiv des geisti­gen Stre­bens, um das der Beobach­ter auch genau weiß. Was natürlich ebenso für jeden Beobacht­er des Den­kens gilt, der das Denken er­kennen will. Es wird dabei vorausge­setzt, daß der Beoba­chter des Denkens sei­ne eige­nen Erkennt­nismotive auch kennt. Er muß demnach wis­sen, was er tut und war­um er es tut. Was, wie wir ein­gangs schon im Zusammen­hang mit Chris­tian Cle­ment be­merkten, eben im Umkehr­schluss heißt, daß man ohne bewusstes Er­kenntnismotiv bei der Beob­achtung des Den­kens nicht weit kommt, da man ohne so ein klares Mo­tiv gar nicht darauf ver­fiele, eine Erkennt­nis des eige­nen Den­kens via Beob­achtung über­haupt zu er­streben. Eine voll­kommen motivlo­se, aber zielge­richtete wissen­schaftliche Beobachtung, zu­mal des Denkens, ist schlech­terdings nicht möglich, sondern so realis­tisch wie eine Taschen­uhr ohne Zeiger, Uhr­werk und Gehäuse. Wie ge­sagt: Prüfen Sie das selbst, lieber Le­ser, ob dem so ist. Oder ob es mög­lich ist, ohne jedes Motiv das eigene Den­ken erken­nen zu wol­len.

Ohne Motiv kommt man also nicht weit mit der Beobachtung des Den­kens. Eine andere Fra­ge ist, ob man ohne eine adäquate Methode weit kommt. Das Erkenntnismotiv ist eine Sache und die Me­thode eine ande­re. Wenn man den Autoren der Würzburger Schule folgt, die ja am Be­ginn des 20. Jahrhunderts als erste in Deutschland die systematische ex­perimentelle Beobacht­ung Denkens aka­demisch etablierten, dann war die Lage um die beobachtende Er­kenntnis des Denkens die, daß man es schon gern Wollen wollte. Nur Können konnte man nicht. Weil es bis da­hin keine adae­quate empirische Methode dafür gab. Nachzulesen ist das bei Karl Bühler in seiner um­fangreichen Habilitati­onsarbeit von 1907 / 08 gleich zu Be­ginn, S. 297 ff. Desglei­chen bei Os­wald Külpe, dem da­maligen Lei­ter des Würzburger Instituts, in einem his­torischen Über­blick über die Genese der modernen Denkpsy­chologie im Anhang seiner Vor­lesungen über Psy­chologie, ab S. 297 ff. Um nur exempla­risch diese zwei zu nen­nen. Was bei­de, Bühler und Külpe zu­sammen mit den ande­ren Beteilig­ten des Würzburger Instituts me­thodisch vor­schlugen und in dieser Zeit etablier­ten, ent­sprach dem, was Ru­dolf Stei­ner schon 1886, also mehr als 20 Jahre vor ihnen die «gegenüberstel­lende Betracht­ung» oder Beobacht­ung von Er­fahrungen des Denkens nann­te. Mit dem wesentli­chen Unter­schied, daß die Würz­burger als er­fahrene akade­mische Psy­chologen zur experimentell­en Untersuc­hung im La­bor vor al­lem mit pro­fessionellen Versuchsperson­en ar­beiteten. Mit ausge­bildeten Psycho­logen, die in der Selbstbeobach­tung sehr erfahren wa­ren. Ein Vor­schlag, den man dann ähnlich auch 1917 von Steiner in der Schrift Von Seelen­rätseln (GA-21) vorge­legt be­kam, auf S. 170 f. Zwar nicht als aus­schließlich möglichen methodi­schen An­satz, aber gleich­wohl mit sehr gro­ßer Dringlichkeit vorge­bracht, und in Anlehnung an die paralle­len, aber erfolglo­sen Bemü­hungen Franz Brentan­os um ein psychologi­sches Labor. So daß Stei­ner dort vom Wunsch nach ei­nem echten psychol­ogischen Laboratorium spricht, «bei jedem, der auf dem anthroposophis­chen Gesichts­punkt steht.» Was wohl hinrei­chend für sich selbst spricht.

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Steiners Sprachgebrauch erscheint ja mitunter den Nachgeborenen etwas vage, insbesondere mit Blick auf den An­schauungsbegriff, wie wir in früheren Abschnitten schon be­merkt haben. Richtig spannend und sehr viel klarer wird es aber auf jeden Fall dann, wenn es um die eben genannte «gegenüberstellen­de Be­trachtung» = Beobach­tung des Denkens geht. Hochinteres­sant und erhell­end, weil sich das entsprechende methodi­sche Verfahren seit 1886 unverändert und ganz explizit in Stei­ners Grund­schriften fin­det. Wonach es natürlich das Den­ken selbst ist, das sich den­kend zwecks Erkenntnis be­trachtet und sich dazu seinen eige­nen Denk-Erfah­rungen «gegenübers­tellt». Genauer, der Den­ker stellt sich zwecks Er­kenntnis denkend den eigenen Denk-Erfahrung­en gegen­über. Das kann auch gar nicht anders sein. Dazu kom­men wir nachfol­gend. Vorab aber noch ein il­lustrierender Aus­blick mittels späteren Aus­führungen des «Anthroposop­hen» Steiner dazu, was ein wenig die aus­gesprochene Kontinuität seines frühen Beobacht­ungsprozederes be­leuchtet.

Am 15. Fe­bruar 1917 führte Steiner in Berlin mit ausdrück­lichem Blick auf das «gegenüberstellen­ende Betrachten und Erkennen des Den­kens» und im Zusammenhang mit der Behand­lung des Psy­chologie-Pioniers Fechner in GA-66, Dornach 1988, S. 16 f folgendes aus: „Wer nicht nur in flüch­tigem Rückblick auf den Erkennt­nisakt auf das Den­ken hin­schaut, son­dern sich in die Lage versetzt, gewisserma­ßen von dem Denkakt zurück­zutreten, aber so, daß das Den­ken, das er im Er­kennen pflegt, wie eine Art Erinnerungsvor­stellung so, daß sie genau beob­achtet wer­den kann, vor der See­le steht; wer also nicht ver­harrt im Den­ken, wo man es nicht erkennen kann, sondern wer ge­wissermaßen vom Den­ken zurücktritt, der erkennt, daß er, indem er denkt, so in diesem Den­ken lebt, wie - um die­sen Vergleich, den ich hier schon öfter brauch­te, noch einmal zu brau­chen - man in sich lebt, wenn man vor einer Spiegelflä­che steht.“ - Mit seiner Spiegelmeta­pher werden wir uns hier nicht be­fassen, sondern nur mit dem Er­kenntnisprozedere, welches auf die Er­kenntnis des Denkens gerichtet ist. Dieses Erkennt­nisprozedere, und so viel geht aus der Passa­ge von 1917 her­vor, benötigt zwei Denk­schritte in Form ei­ner gegenüber­stellenden Betrach­tung. - Wobei nicht zu ver­gessen ist, daß es das Den­ken selbst ist, mit dem sich der Denker einem vergange­nen Denken ge­genüberstellt, um es zu erkennen. Er hat es hier folglich nicht nur mit ei­nem vergangenen Den­ken zu tun, das er be­trachtet. Son­dern natürlich auch mit dem erlebten ge­genwärtigen, mit dem er diese erkennend­e Betrachtung vornimmt.

Wenn man nur im Denken verharrt, so Steiner, dann kann man es nicht erkennen. Sondern man muß vom Denken zurücktreten, so daß man es wie eine Art Erinnerungsvorstellung vor sich hat. Dann erst ist diese Er­kenntnis möglich. - «Betrachtende oder denkende Gegenüberstell­ung» lautet das entsprechende methodische Erkenntnisprinzip, das sachlich seit 1886 in den Frühschriften Steiners zur Erkenntnis des Denkens aus­geführt wird. Was sich 1917 im­mer noch bei Steiner fin­det. (Sehr viel aus­führlicher siehe dazu hier auf der­zeit S. 1237-1243.) Be­ginnend aber be­reits mit den Grundlinien … von 1886, im vierten Kapitel hier auf S. 11 f. Es ist das Denken, das sich den eigenen Denkerfahrun­gen betrach­tend gegenüberstel­len muß, um sich selbst zu erkennen. Oder un­verfänglicher gesprochen, und weil das Erken­nen ja seine ganz per­sönliche Erkenntnis-Angelegen­heit ist: Der Denker stellt sich denkend den Erfahr­ungen des eigenen Denkens gegen­über, um es zu er­kennen. Man darf ergänzen, daß es sich hier um eine be­gründende erkenntniswissenschaftli­che Me­thode han­delt, die laut Stei­ners häufigen Erläute­rungen den em­pirischen Nach­weis des schauenden Be­wußtseins und der Leib­freiheit des be­grifflichen Denkens, - was bei­des zusammen­gehört, - er­bringen sollte. So wird auch sein La­borwunsch von 1917 in der Schrift Von Seelenrät­seln vorge­bracht, wo es um die «Veranlagung zum Schau­en» geht. Und die Veran­lagung zum schauen­den Bewußt­sein liegt nun einmal im begrifflichen Denken einschließlich jener inne­ren Produktivi­tät, ohne die es kein be­griffliches menschliches Denken bei Steiner gibt. In der spezi­fisch anthroposop­hischen Methode, die auf der frühen For­schung auf­baut, wie Sie hier in GA 255b ab S. 295 ff anschaulich lesen können, werden die Verhältnisse noch wesentlich komplexer.

«Aus­nahmezustand» nennt Steiner das Forschungsverhalten der Beob­achtung des Denkens wie­derholt in der Philosophie der Frei­heit, was sach­lich dasselbe bedeutet: Nämlich sich in Erkennt­nisabsicht den (eige­nen) Denkerfah­rungen betrachtend gegenüber zu stellen, um es zu be­greifen. Und dabei kommt es zu einer einzigartigen erkenntniswissen­schaftlichen Sachla­ge, die es nirgend­wo sonst gibt. Wahrnehm­ung und Begriff fallen bei der Erkenntnis des Den­kens zu­sammen, wie Stei­ner in der Philoso­phie der Freiheit am Beginn des 9. Kapitels, hier Seite 101 f ausführt. Und nicht nur das, sondern der Mensch erlebt dabei laut Stei­ner auch ei­nen Zusam­menhang von Wir­kendem und Bewirktem, der eben­falls in dieser Form und Si­cherheit einzig­artig ist im menschli­chen Er­kenntnisleben. Weswegen Steiner darauf im dritten Kapitel das Fun­dament der Welterklä­rung gründet.

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Intuitives Denken und intellektuelle Anschauung bei Steiner

Zwei Dinge sind nun zu beachten, wenn es um das «Zusammenfallen von Wahrnehmung und Be­griff» geht: Zunächst einmal ist da die Tatsa­che zu beachten, dass auch Begriffe und Ideen für Steiner geistige Wahr­nehmungsgegebenheiten sind. Das Denken als tätiges Auffassungsorg­an nimmt be­kanntlich Ideen wahr «wie das Auge das Licht», wie der Leser in GA-1 nachle­sen kann. Das alles darf inzwi­schen als be­kannt voraus­gesetzt wer­den. Näheres und ausführli­cher dazu auch hier. Die Wahr­nehmung ist in­haltlich in diesem Fall etwas rein Be­griffliches, Ide­elles. Meinetwe­gen der reine Begriff der «Kausalität», der ja des öf­teren in Steiners Grundschriften einer Betrach­tung unterzogen wird, wie in den Grundlinien (Kap 14), oder in Wahrheit und Wissenschaft. Und in­sofern ist es selbstverständlich zu sagen, daß Wahr­nehmung und Be­griff zu­sammenfallen. Inso­fern der reine Begriff eben als ideelle Wahrneh­mung / In­halt des wahr­nehmenden Denkens («intel­lektuelle Anschauu­ng» laut GA-3, Kap. IV, S. 37) auftritt, und wahrgenommen wird. Wo aber in die­sem Frühwerk (Wahrheit und Wissenschaft) die si­multane Wahrneh­mung der eigenen Denktä­tigkeit ebenfalls als selbstver­ständliche und un­erlässliche Tatsa­che mit ge­nannt wird. Mit jedem rei­nen Be­griff tritt gleich­zeitig die eige­ne erwirkende Denktätig­keit auf, und der dadurch «wahrge­nommene» reine Be­griff nicht ohne diese. Was wieder­um ein definito­risches Kenn­zeichen für die intellek­tuelle An­schauung dort ist. Wobei wir es hier im vorliegenden literarischen Zu­sammenhang von Wahr­heit und Wissenschaft auch mit einem Spezial­fall zu tun ha­ben, in­sofern natürlich der reine Be­griff der «Verursa­chung» oder «Kausali­tät» ebenfalls durch eine erlebte innere Akti­vität wahr­genommen wird. Auf die er dann auch sogleich ange­wendet wer­den und eingehend diskut­iert könnte, dahingehend, um wel­che Form von Kausa­lität respektive Verur­sachung es sich hierbei ei­gentlich han­delt, wenn reine Begriffe «tä­tig» wahrgenommen werden. (Eine ex­emplarische Über­sicht der großen Viel­falt von Verursachungsfor­men fin­den Sie von Robert Reinin­ger in des­sen Schrift Locke, Berke­ley, Hume von 1922 auf S. 168 - 170 wieder­holt am Beispiel von David Hume er­läutert. Siehe dazu auch meine län­gere Studie etwa auf S. 1259 ff.)

An der Sachlage der tätigen Wahrnehmung reiner Begriffe ändert sich erkenntnistheoretisch nichts. Wird in den späteren Zu­sätzen der Philoso­phie der Frei­heit von 1918 noch einmal ei­gens betont. Nur ist die «in­tellektuelle An­schauung» aus Wahrheit und Wis­senschaft im Jah­re 1918 sprachlich zwischenzeitlich zum «intui­tiv er­lebten Den­ken» ge­worden. Wobei hinzuzufüg­en ist, daß beide Wendungen (intellektuelle Anschau­ung und Intuition) in jener Zeit eine spirituell / idea­listische / eso­terische Konnotation hatten. Sie standen sich von der Bedeutung her ausgespro­chen nahe. Während wie­derum die mehr am dama­ligen akade­mischen Sprachgeb­rauch orientier­te Schrift Wahrheit und Wissen­schaft, die et­was überarbeitete veröf­fentlichte Dis­sertation Stei­ners war, die sich im vor­liegenden Fall speziell auf Kant und seinen Anhang bezog. Wo, das ist zu er­wähnen, der Sprachgebrauch schon bei Kant al­lein al­les ander­e als einheitlich war, so daß sich in dessen Kritik der Urteilsk­raft die ver­schiedensten Termini dafür, für die «übersinnli­che Wahrneh­mung», fan­den. So neben dem Ausdruck «hö­herer» (§77), «in­tuitiver» (§ 77) oder «urbildlicher» (§ 77) Verstand auch das Vor­bild des von Goethe verwen­deten Ausdrucks der «anschauenden Urteils­kraft», der sich wie­derum an Kants intellec­tus archetypus oder urbildli­chen anlehnt­e. Sie­he dazu hier auf derzeit S. 13 ff in den Einzelheit­en aus­führlicher. Eben­so bei Karl Vorländers Ausgabe dieser Schrift Kants, der die­se Zusammen­hänge auf S. xxviii erläutert.

Steiner, dem die verschiedensten Ausdrücke für übersinnliche Wahrneh­mungen auf Grund sei­ner Goetheforschung natürlich nicht fremd waren, hat es ab 1894 vor­gezogen, für sein ei­genes Werk dauerh­aft den bedeu­tungsnahen Intuiti­onsausdruck zu verwen­den. So daß aus der «intel­lektuellen An­schauung» von GA-3 terminolo­gisch 1918 dann das «intui­tiv er­lebte Den­ken» geword­en ist. Was es der Sache nach in der Philoso­phie der Frei­heit aber be­reits 1894 war, wo ja der Intuitions­begriff im dama­ligen Ka­pitel VI, S. 94 be­reits als erkenntniswissen­schaftlicher Ter­minus einge­führt und ver­wendet wur­de, nach dem er sich in den Grundlinie­nvon 1886 im Ka­pitel 16 über die organische Natur schon fand. Und des­gleichen in den Einlei­tungen in Goethes Naturwissen­schaftliche Schrif­ten. Siehe Steiner dort über Goethes Organik in Anleh­nung an Spi­noza und nach­folgend Kants «in­tuitiven Verstand» bzw. «intell­ectus ar­chetypus» aus der Kri­tik der Ur­teilskraft in GA-1, S. 76 ff, im Kapitel IV, Über das Wesen und die Be­deutung von Goethes Schriften über or­ganische Bil­dung, das bereits 1884 erschienen war.

Was bei Goethe mit spirituellem Hintergrund als «anschauen­de Urteils­kraft» respektive «intuit­iver Verstand» teils auf Kant und Spi­noza histo­risch zurückgehend, und von Steiner zu­nächst noch für die Organik re­serviert war, das wird als «Intuition» von Steiner mindestens ab 1894 für jede Form von ideeller Wahrnehmung des begrifflich-erken­nenden Den­kens reserv­iert. Und zwar als erkennt­niswissenschaftlicher Aus­druck der frühen Jahre noch fern von jeder später publizierten Eso­terik des Anthro­posophen Steiner. Sondern in den Frühschriften des Idea­listen und Goe­theanisten von Steiner verwendet als Term für aktive ideelle Wahrnehmung­en. Von Steiner als einem goetheanis­tischen Weltbeob­achter, der laut dortiger Programm­atik des zweiten Kapitels hier S. 20 f der Zweit­auflage / bzw. des drit­ten Kapitels der Erstauflage S. 28, und in Anleh­nung an Goethes Auf­satz Die Natur, die (geistig) wirken­den Kräfte der Natur im Inneren er­forscht. Was später dann zur Anthroposo­phie gewor­den ist, die wie­derum auf der Vorläuferstufe des Hellsehens, nämlich dem reinen oder in­tuitiven Den­ken aufbaut, wie es Steiner nicht selten, und besonders ein­drücklich 1921 in GA-255b ab S. 295 ff dar­legte.

Erkenntniswissenschaftlich verwendet wird der Intuitionsbegriff in den Begründungswerken Stei­ners nicht nur in den späteren Zusätzen von 1918 dahingehend, daß «durch das in­tuitive Denken eine jegliche Wahr­nehmung in die Wirklichkeit erken­nend hineingestellt wird», wie es im 2. Zu­satz von 1918 (hier S. 180) hieß. Sondern bereits im vierten Kapi­tel, wo es bei sei­ner Einführung heißt, „Intuition und Be­obachtung sind die Quellen un­serer Er­kenntnis. Wir stehen ei­nem beob­achteten Dinge der Welt so lan­ge fremd gegenüber, so lange wir in unser­em Innern nicht die ent­sprechende In­tuition haben, die uns das in der Wahrneh­mung feh­lende Stück der Wirklichkeit er­gänzt. Wer nicht die Fähigkeit hat, die den Dingen ent­sprechenden Intuitionen zu finden, dem bleibt die volle Wirklichkeit verschlossen. Wie der Farben­blinde nur Hellig­keitsunterschiede ohne Farbenqualitäten sieht, so kann der Intuitionslos­e nur unzusammenhäng­ende Wahrnehmungsfrag­mente beob­achten.“ (In der Erstausgabe von 1894, Kap. VI, S. 94 f; in der Zweit­ausgabe von 1918, Kap. V, S. 66). So daß er in der späteren Theosophie (GA-9, hier S. 29 f) ebenfalls ausdrückl­ich betont, «daß der einfachste Gedanke be­reits Intui­tion enthält.»

So heißt es dann schließlich 1918 in der Zweitauflage der Philosophie der Freiheit, das intui­tiv er­lebte Denken sei «eine geistige Wahrneh­mung, in der der Wahr­nehmende selbst tätig ist, und eine Selbstbetäti­gung, die zu­gleich wahrge­nommen wird.» (hier S. 181) Die reinen Be­griffe treten dort wie schon in den frühen Vorgängerschriften nie unab­hängig von der erlebt­en Akti­vität des Den­kens auf. So daß wir da schon, und zwar aus­drücklich dort von Steiner auch ein­gefordert, zweierlei gleichzeitige Wahrneh­mungen beim reinen Den­ken vorliegen ha­ben. Ei­nerseits den begriff­lichen In­halt, und ande­rerseits das eigene den­kende Hervorbrin­gen die­ses begriffli­chen Inhalts. «Wirken­des und Bewirk­tes», die dort simultan auftreten, wie es Steiner bereits 1886 schreibt. Steiner ist da auch ganz und gar unmissverständ­lich im nachfolg­enden Früh­werk von 1892 / 93, sei­nem laut GA-21, S. 58grundlegenden“ Werk Wahr­heit und Wis­senschaft. Und - das ist eben hervorzuhe­ben: Das war er be­reits 1886 schon, rund sechs Jahre zuvor. Ist es 1894 in der Phi­losophie der Frei­heit immer noch. Wird es auch 1897 in Goe­thes Weltanschau­ung blei­ben. Wird es in den spä­teren Zusätzen zur Phi­losophie der Frei­heit eben­so bleiben. Und für den späteren Anthro­posophen gilt nichts ander­es, wenn der auch die Ver­hältnisse dann im Rahmen der anthropo­sophischen Geis­tesforschung sehr viel kom­plexer dar­legt als in seinem Frühwerk. Und der Intuition dort noch eine andere Dimension in Gestalt der höchsten geistigen Wahrnehmung beilegt, die erst auf dem an­throposophischen Übungswege erreicht wird, wie Stei­ner nicht müde wird in seinen späte­ren Schulungsschriften zu beto­nen. Während die Intuition der erkenntniswissenschaftlichen Früh­schriften bei jedem vorliegt, «der eine beliebige Wahrnehmung in die Wirklich­keit er­kennend hin­einstellt», wie es in den Zusät­zen von 1918 zur Philo­sophie der Freiheit hieß. Deswegen ist jeder begrifflich denkende Mensch von Natur aus und ohne daß er das extra einüben müsste, im Prinzip schon ein Hellse­her, wie Steiner nicht nur im eben erwähnten Vortrag GA-255b ab S. 295 ff dar­legte: „Wer dasjenig­e, was ich als Forschungsmethode meiner an­throposophischen Geisteswis­senschaft zugrun­de lege, Hell­sehen nennt, der muß auch schon das gewöhnliche reine Den­ken, das durchaus aus dem All­tagsleben heraufströmt in das menschliche Bewußtsein, das hinein­strömt in das menschli­che Han­deln, Hellsehen nennen. Ich selber sehe qualitativ kei­nen Un­terschied zwi­schen dem rei­nen Denken und demjenigen, was ich als Hellsehen be­zeichne. Ich sehe die Sa­che so, daß der Mensch sich zuerst an dem Vorgang des reinen Den­kens eine Pra­xis her­anbilden kann, wie man in sei­nen inneren Vor­gängen unabhängig wird von seiner Leibesorga­nisation, wie man in dem rei­nen Denken etwas vollführt, woran der Leib kei­nen An­teil hat." (Sie­he dort S. 298 ff). Man muß also schon in die Niederungen, - wenn man so will, - des alltäglichen begriff­lichen Denkens eintauchen um das zu ver­stehen, was Steiner «übersinnliche Wahrnehmung» nennt, und dann sys­tematisch vom rei­nen Denken aus­gehend als Anthroposophie fortent­wickelt hat. Wo dann die Begriffe in­folge des Übungsweges nicht nur als vom Denker unabhängige Enti­täten, sondern auch als unabhängig wir­kende und kraftende Wesenheiten erlebt wer­den. Wäh­rend sie im ge­wöhnlichen reinen Denken in toter und abge­lähmter Form, aber gleich­wohl unabh­ängig vom denkenden Subjekt auf­treten. Immer aber verbun­den mit der erlebten Aktivität des Denkens.

Der «erlebte Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem» beim Den­ken und Erkennen, das will ich deswegen noch einmal beto­nen, durchzieht kontinu­ierlich und mit fundamentaler Bedeu­tung Stei­ners sämtliche Frühwerke. Sie werden schlichtweg keins finden, wo das nicht mit al­lem Nachdruck von Steiner hervorgehoben wird. Natür­lich auch in den späteren Überar­beitungen die­ses Frühwerkes, wo Steiner das wie in der Philosophie der Freiheit in aller Klar­heit und Entschie­denheit noch ein­mal akzentuiert und nachhaltig verstärkt. Etwa dahin­gehend: „Mag es das Wesen des Denkens immerhin notwendig machen, daß dieses ge­wollt wird: es kommt darauf an, daß nichts gewollt wird, was, indem es sich vollzieht, vor dem «Ich» nicht restlos als seine eige­ne, von ihm überschaubare Tätigkeit erscheint. Man muß so­gar sagen, we­gen der hier geltend gemachten Wesenheit des Denkens erscheint dieses dem Beob­achter als durch und durch gewollt.“ So heißt es dazu präzisierend in der Überarbeitung am Ende des dritten Kapitels der Phi­losophie der Frei­heit.

Es ist wohl überhaupt das Kernpro­blem insbe­sondere von akade­misch orientierten Anthroposo­phen, vor allem wenn die­se aus dem einflussrei­chen philoso­phischen Um­feld Her­bert Witzen­manns stammen, dass die­ser «er­lebte Zusammen­hang von Wir­kendem und Be­wirktem» und des­sen na­tur- und geistes­wissenschaftliche Schlüs­selbedeutung für Rudolf Stei­ner vor al­lem un­ter dem maßgebl­ichen Ein­fluß Her­bert Witzen­manns vollstän­dig ver­loren gegan­gen ist. Wir wer­den das ei­nige Sei­ten später anhand der Be­sprechung ei­ner Übersetzung der Struktur­phänomenologie durch Johan­nes Wagemann wie­der ganz ein­drücklich vor Augen ha­ben.

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Die spätere Erkenntnismethode der An­throposophie reift ja erst heran auf der Grundlage der Früh­schriften, wie Steiner im­mer wie­der beteuert. Für die Idee des Er­kennens wie­derum hat er in den Anmer­kungen von 1924 der Grundlinieneigens (hier auf S. 136 ff) hervorgehob­en, daß diese Idee des Erkennens prinzi­piell auch für die anthro­posophische Form des Erkenn­ens gilt: „Ein Un­terschied tritt nur inso­fern auf, als die Sinneswahr­nehmung durch den Ge­danken gewisserma­ßen nach oben zum An­fang des Geistigen hin in Wirklichkeit vollen­det, die geisti­ge Anschau­ung von diesem Anfang an nach unten hin in ih­rer wahren Wesenh­eit er­lebt wird. Daß das Erleben der Sin­neswahrnehmung durch die von der Natur gebil­deten Sinne, das der Anschauung des Geistigen durch die erst auf seeli­sche Art ausgebil­deten geis­tigen Wahrneh­mungsorgane ge­schieht, macht nicht einen prin­zipiellen Unter­schied. [] In Wahrheit ist in mei­nen späte­ren Veröffentli­chungen kein Verlassen der Idee des Er­kennens vorhan­den, die ich in dieser Schrift ausgebildet habe, son­dern nur die Anwen­dung dieser Idee auf die geisti­ge Erfah­rung.“

Vom letzten Hinweis Steiners jetzt abgesehen: Es ist auf jeden Fall der Umstand zu beachten, daß das indi­viduelle Den­ken als Erkenntnishand­lung und inneres Tun selbst eine Wahrnehmungsgege­benheit für sich ist. Wahrnehmungsgegebenheiten sind sowohl das begriffli­che Ele­ment, als auch die eigene Aktivität, die dabei zum Einsatz kommt. Auch dazu ausführlic­her hier. Insofern bedeu­tet die Wahrneh­mung des Denkens er­kenntnistheoretisch und mit Blick auf Stei­ners Grund­lagen eben nicht le­diglich dasselbe wie die Wahrnehm­ung von tä­tig hervorgebracht­en Be­griffen und Ide­en. Sondern die innere Tätigkeit als sol­che tritt als weite­re aktuelle und unmittelbare Wahrneh­mung jenes Tätigkeitspro­zesses hin­zu, durch welchen Be­griffe und Ideen erst gewonnen werden. Worauf Steiner ausdrück­lich auch hin­weist mit der Be­merkung hinsichtl­ich sei­ner Differ­enz zu Hegel, ein­gangs von Kapitel IV der Philo­sophie der Freiheit, (hier S. 57 f; alterna­tiv hier, S. 38).

Der erlebte Prozeß, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden

So schreibt er dort bezüglich seiner Differenz zu Hegel: Ich muß ei­nen besonderen Wert dar­auf legen, daß hier an dieser Stelle beachtet wer­de, daß ich als meinen Ausgangs­punkt das Denken be­zeichnet habe und nicht Begriffe und Ide­en, die erst durch das Denken gewonnen werden. Diese setzen das Den­ken bereits voraus. Es kann daher, was ich in be­zug auf die in sich selbst ruhende, durch nichts bestimmte Natur des Den­kens ge­sagt habe, nicht einfach auf die Begriffe übertragen werden. (Ich be­merke das hier aus­drücklich, weil hier meine Diffe­renz mit He­gel liegt. Dieser setzt den Begriff als Erstes und Ursprüngliches.)“. - So Stei­ner dazu. Nur das Den­ken ist in sich selbst ruhend und durch nichts be­stimmt. Begriffe und Ide­en, die erst durch das Denken gewonnen werden müssen, sind es nicht. Da­mit ver­schiebt sich bei Stei­ner im Ver­gleich zu Hegel der empiri­sche Fo­kus des Erkenntnisinteresses auf je­nen «Pro­zess», durch den Begriffe und Ideen erst ge­wonnen wer­den. Das aber ist bereits 1886 in den Grundli­niender Fall. Nachzule­sen dort in Ka­pitel 8, im Kapitel 16 und im Psycholo­giekapitel 18.

Der er­lebte Prozess wiederum, durch den Begriffe und Ide­en erst ge­wonnen werden, ist aber «auch der­selbe er­lebte Prozess, durch welchen das Denken selbst beobacht­et, erkannt und begrif­fen wird», wenn es in Er­kenntnisabsicht auf sich selbst gerichtet wird. - Nachdrücklich hervorge­hoben im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit.

Es ist dies ein ganz maßgebliches Unterscheidungsmerkmal Steiners ge­genüber Hegel. Der Unter­suchungsstandort Steiners ist damit ausgespro­chen empirisch, induktiv und sehr viel ba­saler als der­jenige Hegels. Wer näm­lich den Produktionsprozess von Be­griffen und Ideen un­tersucht, der unter­sucht natürlich nicht vornehm­lich Begrif­fe und Ide­en meinetwegen auf ihren logischen Zusam­menhang oder ihre Reichwei­te und Geltung hin, sondern vor allem in­duktiv auf empirischem Wege die Art, wie sie im menschli­chen Be­wusstsein erschei­nen / zur Erschei­nung gebracht wer­den. Und wie in diesem Fall «Wir­kendes», - das ist der Pro­zess, - und «Be­wirktes», - das ist das Resultat dieses wirkenden (Er­kenntnis) - Pro­zesses miteinan­der zusamm­enhängen. Das aber ist für Steiner vorran­gig auch eine An­gelegenheit einer komple­mentären Naturfor­schung, die sich durch sämtliche seiner Begründungsschriften hin­zieht. Wozu natür­lich auch ge­hört, daß Begriffe und Ideen bei aller Wahrnehmungsabhängigk­eit vom tätigen Denker geich­wohl unabhängig von ihm und seiner wahrnehmenden Tätigkeit sind. Ohne meine Denk­tätigkeit er­scheinen sie mir zwar nicht. Aber dennoch sind sie in­haltlich nicht von dieser Tä­tigkeit abhän­gig, sondern lediglich ihrer Erschein­ungsweise nach. So daß sie demzufolge nicht lediglich sub­jektive, son­dern objekti­ve Enti­täten darstellen. Ein Dreieck behält seine mathematis­che Gesetz­mäßigkeit ganz unabhän­gig davon, ob ich sie pro­duktiv den­kend wahr­nehme und zur Erscheinung bringe. Sie sind in ih­rer Gesetzmä­ßigkeit also nicht meine subjektiven Erzeugnisse. Das ist ja ein Punkt, der von den Inter­preten Stei­ners in der Re­gel auch richtig verstand­en wird.



Der erlebte Denkprozeß im Umfeld des Kausalitätsproblems

Wiederum der «Pro­zess», durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen wer­den, bzw. - der er­lebte Zusammenhang von Wirkendem und Bewirk­tem, - gehört zu einer ge­nuin naturwissen­schaftlichen Fragestellung, die Steiner als sol­che bereits in den Grundli­nienim Zusammen­hang mit Kant im Kapi­tel 14 behan­delt. (Siehe gleich nachfolgend.) Wobei wiederu­m das Prozedere des individuel­len Den­kens als innere Aktivi­tät oder «Wirkendes» ein psychologis­ches ist, wie wir in den Grund­linien ... auch schon gehört ha­ben. Dort im Ka­pitel 18 über das psycho­logische Erken­nen. Wonach es vor al­lem darauf ankä­me den Men­schen als einen Täti­gen zu begreifen. Oder wie Steiner dort auch (S. 120) sagt: „Die ein­heitliche Seele ist uns ebenso erfahrungsgem­äß ge­geben wie ihre ein­zelnen Hand­lungen. Jedermann ist sich dessen bewußt, daß sein Den­ken, Fühlen und Wollen von sei­nem «Ich» ausgeht. Jede Tä­tigkeit unse­rer Persön­lichkeit ist mit diesem Zen­trum unseres We­sens ver­bunden. Sieht man bei einer Handlung von die­ser Verbindung mit der Persönlichk­eit ab, dann hört sie überhaupt auf, eine Seelenerscheinung zu sein. Sie fällt entweder unter den Begriff der unorganischen oder der or­ganischen Na­tur. Liegen zwei Kugeln auf dem Tische, und ich stoße die eine an die andere, so löst sich alles, wenn man von meiner Absicht und mei­nem Wollen ab­sieht, in physikali­sches oder physiologisches Ge­schehen auf. Bei allen Manifestatio­nen des Geis­tes: Denken, Fühlen, Wollen, kommt es darauf an, sie in ihrer We­senheit als Äußerungen der Per­sönlichkeit zu er­kennen. Darauf beruht die Psycholo­gie.“ Auf der an­deren Seite ist dort (S. 118) wie­derum die Psychologie «die erste Wis­senschaft, in der es der Geist mit sich selbst zu tun hat». Wenn Stei­ner in den Anmerkun­gen von 1924 (hier S. 142) darauf hin­weist, daß er sich sei­nerzeit unter der «Psy­chologie» sehr viel Wei­teres vor­gestellt habe, was später Thema seiner anthroposo­phischen For­schung wurde, dann min­dert das natürlich nicht den Wert seiner frü­hen psycholog­isch orientiert­en Grundlagenfors­chung, sondern zeigt nur, wo sie hin führt. Zu­dem gibt es da ja auch die schon erwähnte Tatsache, daß sich Steiner 1917 in der Schrift Von See­lenrätseln (GA-21, S. 171 f) eindringlich ein psycho­logisches Laborator­ium wünschte, um dort die «Veranla­gung zum Schauen» gründ­lich wei­ter zu erarbei­ten. Was natürlich ganz un­missverständlich nicht nur die Konti­nuität seines psychologisch / geis­tigen An­liegens von 1886 de­monstriert, son­dern insbeson­dere das Fak­tum, wel­che Rolle er dabei ei­ner ganz nor­malen empir­ischen Psycholo­gie der in­neren Beob­achtung beilegte, die es 1886 freilich in der von ihm 1917 ge­dachten institutional­isierten Form «nach dem Vorbild der Wün­sche Brenta­nos» noch gar nicht gab.

Die «in sich selbst ruhende Tatsache des Den­kens» hat etwas mit dem Produktions­prozess von Be­griffen und Ideen zu tun. Was wie gesagt be­reits ein The­ma der Grundlini­envon 1886 im Kapi­tel 8 ff ist. Das, um es noch einmal zu betonen, hat wie gesagt eine psychologi­sche Di­mension, die von Steiner genauso, und zwar im Psychologiekap­itel 18. der Grundlinie­n ..., (hier S. 118 ff) erläu­tert wird. Dahin­gehend, daß «die Psycholo­gie die erste Wissenschaft sei, in der es der Geist mit sich selbst zu tun habe». Und man nur eine «wahr­hafte Psycho­logie ge­winnen kön­ne, wenn man auf die Beschaffen­heit des Geistes als eines Täti­gen ein­geht» (S. 120). Wenn die Philoso­phie der Freiheit später als «seelische Beobach­tungsresultate» gekenn­zeichnet wird, dann ist das nicht nur aus sachli­chen Gründen zu versteh­en, son­dern auch aus der werk-geneti­schen Per­spektive. Und ebenso ist es zu verste­hen, wenn Steiner im zweiten Kapi­tel der Philosophie der Freiheit die Na­turwirksamkeit im menschlichen Inneren sucht. (Siehe hier S. 20 f.) Auch das ist ein grundlegen­des Anliegen seiner komplementär-naturwis­senschaftlichen Erkenntniswissen­schaft.

Das Denken und Erkennen nur als Vorgang und Prozess betrachtet, hat eine psychologische Di­mension, eine geistige, eine naturwissenschaftli­che, und natürlich eine ethische und freiheitsphilo­sophische. Fragen des Erkennens und der damit verbundenen «Naturwirk­samkeit» hängen in­sofern als grundlegende Er­kenntnisfragen im emi­nentesten Sinne mit einander zusamm­en. Dahingehend: Wer oder was er­wirkt ei­gentlich mein Erkennen? Ist das bereits ein kausal natur­determinierter Pro­zess? Einer, der sich mit zwanghafter Naturnotwendig­keit voll­ziehen muß? Wie es gleich im ersten Kapitel der Philosophie der Freiheit dazu fra­gend heißt. - Eine Frage nach den Naturwirksamkei­ten, die ich gar nicht beantworten könnte, wenn ich nicht in der Lage wäre, meine eigene Erkenntn­is- und Denkaktivität unmittelbar zu erleben. Denn von außen kann ich sie als Naturwirks­amkeit nicht erleben. Sondern ich muß dazu im Prozeß des Denkens und Erkennens «mit­ten drin stehen», wie Stei­ner das regelmäßig seit min­destens 1886 betont. Während ich im Prozeß der von außen gegebenen Naturtatsachen und unterstell­ten Wirksamkei­ten «nie drin ste­he», wie er ebenso regelmäßig seit mindes­tens 1886 hervor­hebt. Ein entscheidender naturwissen­schaftlicher Hinter­grund, der zu berücksicht­igen ist, ange­sichts der Existenz eines primiti­ven Phy­sikalismus, der zwar im Brust­ton der Gewißheit alles Den­ken und Erken­nen auf rein physikali­sche Naturwirks­amkeiten bzw. auf die Hirnphysiolog­ie zu­rückführen möchte, aber um plausible empiri­sche Begrün­dungen dafür im höchsten Maße verle­gen ist. Weil er nie in den wirkenden Na­turtatsachen und ihren Kräften drin steht. Und in­sofern auf das Den­ken und Er­kennen ein physika­listisches Kau­salitätskonzept zur Anwen­dung bringt, das er als sol­ches an den Tatsachen nie sicher be­legen, son­dern ohne jede Einsicht in die Verhältnisse lediglich dog­matisch be­haupten kann, wie Steiner bereits im Ka­pitel 14 der Grundli­nien ... im Zusam­menhang mit Kant erläutert. Wäh­rend einzig im Den­ken der Zusamm­enhang von Wirkendem und Be­wirktem unmittelbar und sicher er­kenntniswissenschaftlich greifbar ist: „Wir erinnern uns, warum eigent­lich das Den­ken in unmit­telbarer Erfah­rung bereits sein We­sen ent­hält. Weil wir inner­halb, nicht au­ßerhalb je­nes Prozesses ste­hen, der aus den einzelnen Ge­dankenelementen Gedankenverbind­ungen schafft. Da­durch ist uns nicht allein der vollen­dete Pro­zeß, das Bewirkte gegeben, son­dern das Wir­kende.“ So heißt es gleich im Folgekapi­tel 15 der Grundli­nien, im Anschluß an die Auseinan­dersetzung mit Kant.

Wer das Denken beobachtet, der beobachtet also nicht nur Begriffe und Ideen für sich genomm­en, sondern vor allem auch den Prozeß des Den­kens selbst. Und damit in diesem Fall den Zusammen­hang von Wirken­dem und Bewirktem. Der von Steiner schon im Kapitel III der Philoso­phie der Freiheit zur allerwichtigsten Beobachtung erklärt wird, die der Mensch ma­chen kann. Es ist die Beobachtung der produktiven Art und Weise, wie Be­griffe und Ideen ge­wonnen werden, um bei Steiners He­gel-Bemerkung von oben zu blei­ben. Und das wieder­um ist jener see­lisch / geistige Prozess, der schon 1886 in den Grundlinienbeson­ders nachdrüc­klich im Kapitel 15 von Steiner in Erinnerung gerufen wird. Weil näm­lich in die­sem Pro­zess Wirkendes und Bewirktes in ihrem er­lebten Zusammen­hang vorlie­gen: „Wir er­innern uns, warum ei­gentlich das Denken in unmittelbar­er Er­fahrung be­reits sein Wesen ent­hält. Weil wir innerhalb, nicht au­ßerhalb je­nes Pro­zesses ste­hen, der aus den ein­zelnen Gedanken­elementen Gedankenverb­indungen schafft. Da­durch ist uns nicht allein der voll­endete Pro­zeß, das Be­wirkte gegeben, sondern das Wir­kende.“ So Stei­ner im Kapitel 15 hier auf S. 86. Wohlgem­erkt, auch das Wirkende ist bereits 1886 «gegeben».

Der dem Skeptizismus Kants und Humes innewohnende Befund, daß ich unmittelbar an das Wir­kende und seine Verbindung mit dem Be­wirktem ja nie herankomme, gilt damit nicht mehr. Ande­rerseits kann sich die äu­ßere Naturwissenschaft erfah­rungswissenschaftlich unter sol­chen Voraus­setzungen wie von Kant und Hume unterstellt, natürlich nie selbst tragen, son­dern ist stets auf eine empiris­che Grundlage im Menschenin­neren angewiesen, die den Zusamm­enhang von Wirkendem und Be­wirktem sicher und exemplarisch zeigen kann. Was ja auch der An­laß für Steiners Bemer­kung im zweiten Kapitel der Philosophie der Frei­heit ist, daß wir „die Natur außer uns nur finden, wenn wir sie in uns erst ken­nen, ...“. Was jenen kau­salitätsphilosophischen Hintergrund hat, der in den Grundlini­enbereits for­muliert und dort prinzipiell auch ge­löst wurde. - Man muß zu­erst «die treibenden Gewalten sehen, die ihn vom Mittel­punkte des Weltganzen heraus an die Periphe­rie brin­gen», wie es dazu im Kapitel 15 der Grundlinien(S. 86) heißt.

In ih­rer Un­mittelbarkeit sind diese und ihr Zusammenhang mit dem Be­wirkten nur im In­neren des Men­schen zu finden. Die begründende inne­re Naturwis­senschaft und die äußere stehen so­mit kom­plementär zuein­ander. Wäh­rend die äußere ihre basalen Gewissheiten nur aus der in­neren ziehen kann, wie Steiner nicht müde wird in den Frühschriften zu be­tonen. Und besond­ers anschaulich in seiner theosophischen Zeit noch ein­mal her­vorhob im Aufsatz Theo­sophie und gegenwärtige Geis­tesströmungen von 1908. Wo er mit Blick auf die Philoso­phie der Frei­heit in der Zeit­schrift Luci­fer Gnosis, GA-34, auf S. 296 f aus­drücklich das Un­vermögen seiner philosophischen Zeitgenos­sen aufspiesst, sich die­ser Tatsa­che zu stellen:Unsere Philosophie ist un­fruchtbar in bezug auf ein frei­es Denken, das den Tatsachen der sinnlichen Erfahrung mit souverä­ner Ur­teilskraft entgegen­treten könnte. Sie ist von einer den Phi­losophen un­bewußten Ängstlichkeit belastet, den sicheren Boden un­ter den Füßen zu ver­lieren. Sie sieht sich überall nach Stützen und Unterla­gen für ihre Aussagen um, nur nicht da, wo sie zu finden sind, in ge­wissen inneren Tatsachen des sich selbst produzierenden und sich selbst sei­ne Gewiß­heit ge­benden Denkens.“ Was dort keinesfalls abs­trakt philosop­hisch und rationalistisch, sondern em­pirisch zu nehmen ist, wie in sei­nen Früh­schriften bereits. Siehe dazu sehr viel ausführli­cher hier auf derzeit S. 232 ff.

Dass so etwas, - die empirische Fundierung der Naturwissenschaft an­hand der inneren Erfah­rung von zusammenhängenden Wirksamkeiten, - aus naheliegenden Gründen nicht nur Stei­ners, son­dern überhaupt auch ein mächtiges The­ma der «Psychologie von Be­wußtseinsakten» im ausgehen­den 19. Jahr­hunderts und darüber hin­aus war, will ich hier nur mehr andeu­ten. Wir werden weiter unten noch einmal am Beispiel Edith Steins die Lage noch näher betrachten. Weit aus­führlicher finden Sie das in meiner längeren Studie dargelegt. Im Zu­sammenhang mit Os­wald Kül­pe, der sol­che inner­en Wirksamkei­ten suchte und beobachtete, ha­ben wir es ja wei­ter oben auch schon kurz zum Ausdruck gebracht. Auch Wil­helm Dilthey kann man als einen namhaf­ten Zeitge­nossen Stei­ners dazu gesellen, der 1894 in er­staunlicher Nähe zu Stei­ner ei­nen langen Vor­trag zur Psycholog­ie und zu erkenntnistheo­retischen Grundfragen gehal­ten hat. Wil­helm Dil­they, - Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psycholo­gie. Hier im Original ab S. 1309 und hier auf der Webseite von Wilhelm Hu­merez in verschiede­nen besser lesbaren Formaten abzuru­fen. Für den von Steiner geschätzten Johannes Volkelt, dessen Schriften Sie eben­falls bei Hume­rez aufru­fen können, gilt dasselbe. Und damit haben wir nur am promi­nenteren und in Steiners Nähe liegen­den Rande dieser Strö­mung etwas ge­zupft.

In dieser philosophisch-psycho­logischen Tra­dition, die nach erlebten in­neren, zusammenhängen­den Wirksamkeiten sucht, ist Stei­ner als Vertret­er des naturwissen­schaftlichen Idealismus natür­lich ebenfalls an­zusiedeln. Und zwar nicht nur via Fichte, wie der Le­ser ebenfalls in ei­ner län­geren Un­tersuchung hier auf meiner Webseite ausführl­ich studie­ren kann. Als explizi­ter Ver­treter einer Psy­chologie / Philosophie der Be­wußtseinsakte spielt Fichte eine weitge­hend untergeordnete Rol­le, wie Sie selbst dort nachlesen können. Einzig in der Dissertation bzw. in Wahrheit und Wissen­schaft hat Steiner ihm auf respektablen ca 11 Sei­ten das Kapitel VI ge­widmet (hier ab S. 46). Und ihn dabei auch noch in ent­scheidenden Fragen kri­tisch kor­rigiert. Danach und vor die­ser Schrift taucht Fichte freilich in den Begründungsschriften sel­ten auf, und das fast nur in Gestalt eines Kri­tisierten. Steiner war in der Epoche der neu aufgekommen­en empiri­schen Psychologie, die es in der Ära Goethes, Fichtes und Kants ja noch nicht gab, mit seinem empirisch psychologi­schen Be­gründungsvorhaben respektive als «in­duktiver Idea­list» weit mehr als bei Fichte auch einge­bettet in eine philo­sophische / seelen­wissenschaftliche Strömung des Empi­rismus, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, das seit Kant und Hume als em­pirisch un­einlösbar gelten­de Kau­salitätsprinzip / bes­ser wohl: das Kausali­tätsproblem von Kant und Hume auf dem Wege der in­neren Be­obachtung zu be­wältigen. Mit an­deren Worten das Grundlegungspro­blem der Naturwissenschaft. Wo Kant an Stelle einer empiri­schen Ant­wort auf die­ses Grundlegungs-Pro­blem al­ler Naturwis­senschaften eine le­diglich meta­physische gab, wie er hier in seinen Prole­gomena in der Vorre­de ab S. 6 eigens im Zusammen­hang mit Da­vid Hume erläu­tert. Das wiederum war für viele Empi­risten, und eben auch für den idealisti­schen Empiristen Steiner ein völlig un­möglicher Lö­sungsweg für die empi­rische Er­kenntnis der Welt. Näm­lich ihr funda­mentales Prinzip der naturwissens­chaftlichen Kausaler­kenntnis ledigl­ich metaphysisch und dogmatisch schein­begründen, aber nicht em­pirisch und sach­lich begründ­en zu kön­nen. Wovon das Ka­pitel 14 der Grundli­nienbereits besonders deut­lich zeugt, mit sei­nem kri­tischen Hinweis auf den Dog­matismus der Of­fenbarung und der Erfahr­ung, «die an die Sache nie her­ankommen». Desweg­en bei Steiner die regelmäßige Beto­nung des erleb­ten Zusam­menhangs von Wirken­dem und Bewirk­tem re­spektive der er­lebten in­neren Aktivität des Den­kens seit 1886, was ja dann im dritten Kapitel der Phi­losophie der Frei­heit zur «allerwichtigs­ten Beob­achtung wird, die der Mensch ma­chen kann.»Denn er beob­achtet et­was, dessen Hervor­bringer er selbst ist; er sieht sich nicht ei­nem zu­nächst frem­den Gegen­stande, sondern seiner eige­nen Tätigkeit gegen­über. Er weiß, wie das zustande kommt, was er beobach­tet. Er durch­schaut die Verhältnisse und Beziehun­gen. Es ist ein fester Punkt gewon­nen, von dem aus man mit begründe­ter Hoffnung nach der Erklä­rung der übrigen Welterschei­nungen suchen kann.“ (Hier S. 31 f) -

Der erlebte Denkprozeß im Zusammenhang mit dem Kausalitätsproblem und seine stiefmütterliche Behandlung in der Steinerforschung

Man möchte angesichts der Re­zeptionslage um Steiners Begründungs­werk er­gänzend hinzufüg­en: Zur allerwich­tigsten Beobach­tung des Men­schen wird, sofern er sich auch die­ses Pro­blems von Kant und Hume be­wußt ist! Was eben bei den an­throposophischen Interpreten in den allerseltens­ten Fällen zu­trifft. Wie beson­ders ein­drucksvoll auch bei Jaap Sij­mons deut­lich wird, der als relat­iv sehr jun­ger und mit viel Auf­wand ar­beitender Interpret von Stei­ners dies­bezüglichen naturwis­senschaftlichen Intentionen und sei­nem psychologisch / erkenntniswissen­schaftlich ein­gelösten kausa­litätsphilosophischen Anlie­gen nicht den al­lergeringsten Schim­mer hat­te. So daß sich in der reich­haltigen Inhalts­angabe seiner Dissertation von 2008 kein ein­ziges Stichwort auf das von Stei­ner an­dauernd implizit und explizit thematisierte Kausalitäts­problem und den erlebten Zusammen­hang von Wirkendem und Bewirk­tem fin­det. Und, - das ist noch viel er­staunlicher: Noch weni­ger zur Fra­ge, wie weit die Frei­heits- und Erkenntnisfrag­e überhaupt et­was mit die­sem Kausalitätsprob­lem zu tun haben könnten, obwohl Stei­ner mit die­ser Fra­ge gleich im ersten Kapit­el der Philosophie der Frei­heit star­tet: „Ist der Mensch in seinem Denken und Handeln ein geistig freies We­sen oder steht er unter dem Zwan­ge einer rein naturgesetzli­chen ehernen Notwendig­keit?“ Schon diese ein­leitenden Bemerkung­en Steiners, hät­ten jeden akade­misch orientierten Stei­nerinterpreten dazu mo­tivieren müssen, sich mit Vorrang das von Steiner behandelte Kausalitäts­problem vorzunehmen, an­statt es gar noch durchgängig zu ignorieren. - So ist es kein Wunder, daß so ein junger und hoch engagier­ter In­terpret wie Sij­mons unter sol­chen Voraussetzungen dann Schiff­bruch er­leidet, in­dem er (S. 328) be­hauptet, «das Denken sei für jeden das Best-Be­kannte überhaupt», („weil wir es selbst hervorbringen ist es uns immer schon bekannt“). Während Steiner mit Mühe und Not und mit psychologi­schen Mitteln seinen An­hängern überhaupt erst einmal bei­zubringen sucht, wie man nur die aller­ersten Schritte zu seiner Er­kenntnis zurück­legt, obwohl wir es selbst her­vorbringen. Obwohl wir es selbst hervor­bringen kennen wir es nicht, sondern müssen es durch Beobachtung erst kennenlernen. Und selbst das letz­tere, das Hervorbringen, liegt für vie­le, wie man an Witzenm­ann und sei­nem Anhang sieht, noch tief im Eiskel­ler eines ver­meintlichen «Erzeugungsp­roblems» verborgen, das nichts anderes ist, als das Kausalitätsp­roblem Kants und Humes, wie wir unten noch sehen werden. Wie ich an ande­rer Stelle S. 291 ff in der An­merkung 209 schon darge­legt habe, ver­wechselt Sijmons in fataler Wei­se das Können des Den­kens mit dem Kennen des Denkens. - Ein folgen­schwerer Irrtum.

Bei all dem steht jeder Gedanke Steiners an eine «Naturwissenschaft von in­nen» wie sie etwa im zwei­ten Kapitel der Philosophie der Freiheit ausgesprochen wird, auf einsam verlorenem Posten. Es sind, wie man an so etwas sieht, eben auch bei den An­throposophen viele ausgewiesene Ex­perten bild­lich ge­sprochen als po­lare Robben­fänger un­terwegs, wäh­rend Steiner ihnen et­was über den tropi­schen Ananas-An­bau vorträgt. Wes­wegen die «aller­wichtigste Beoba­chtung» der Philo­sophie der Frei­heit inzwi­schen ein re­gelrechtes Mauer­blümchendasein fris­tet, und oft auch schon gar nicht mehr von den Interpre­ten der An­throposophen erwähnt wird, wie etwa von Heus­ser oder Wa­gemann, Förster (letz­terer auch hier) und an­deren, die von Stei­ners Grundlag­en, und spe­ziell von solchen Zusammenhän­gen der «aller­wichtigsten Beob­achtung» mit Hu­mes und Kants Kausalitätspro­blem herzlich wenig ver­stehen. Auch Christian Clement kann in den Kommentar­en der histo­risch kriti­schen Ausgabe (Bd. 2; S. 294) nichts naturwiss­enschaftlich Sinnhaltiges mit Steiners innerem Naturfor­schungsprojekt des zweiten Kapitels be­ginnen. Na­turwissenschaftliche Intentionen Steiners liegen auch dem histo­risch kriti­schen Heraus­geber und Kom­mentator Stei­ners in seinen dorti­gen An­merkungen völ­lig fern, obwohl Steiner in die­sem zweiten Kapi­tel di­rekt an Goethes Es­say Die Natur an­knüpft. Was, und warum das dort ge­schieht, Clement gänzlich fremd zu sein scheint. Und zu Stei­ners «aller­wichtigster Beobacht­ung, die der Mensch machen kann», aus dem drit­ten Kapitel der Philosop­hie der Freiheit, wo ausdrü­cklich der erlebte Zusammenhang von Wirken­dem und Bewirktem im Mit­telpunkt des Ganzen steht, ist ihm schlicht kein einziger sinnhaltiger Ge­danke eingefall­en. Da gähnt nur noch eine kolos­sale, grosse Leere. The great void of scientific an­throposophical inter­pretation.

Tabula rasa allerorten, wie man sieht, wenn es um den erlebten Zusam­menhang von Wirken­dem und Bewirktem und Steiners inneres Naturfor­schungsprojekt geht. Darin scheinen sich die meisten Interpreten ei­nig zu sein: Sie können damit schlicht nichts anfan­gen, weil sie die ent­sprechenden Zu­sammenhänge mit Stei­ners Früh­werk gar nicht ken­nen. Und demgemäß auch weitestgehend entleert sind von Steiners eige­nen zum Verständnis unerläss­lichen Grundlagen, trotz aller mitunter hochtönen­den Ankündi­gungen diesbe­züglich. - Es stellt sich die Frage: ob und wie weit Steiners Frühschriften überhaupt der Philosophie zuzu­rechnen sind? Da halte ich es durchaus mit dem oben kritisch betrachte­ten Swassjan, der diese Frage nach der Philosophie Steiners in seiner Schrift Ru­dolf Steiner ein Kommender, Neuausgabe 2017, auf S. 65 ff mit ei­nem ge­wissen Recht abschlägig behandelt. Daß Stei­ner als komplem­entärer Na­turforscher und «philosophischer Beobachter», aber nicht als akademi­scher Fach­philosoph der traditionellen Art bereits in den be­gründenden Früh­schriften in Erschei­nung tritt, sagt Swassjan so weit ich sehe noch nicht. Da ließe sich aber sicher­lich eine Brücke bau­en, die über Goethes «Geist-Na­tur» führt, die man laut Steiner bekannt­lich «im Äu­ßeren nur dann finden kann, wenn man sie in sich bereits kennt». Und die Philoso­phie über den Men­schen kann, so berichtet es Steiner in der Schrift Von Seelenrätseln, (S. 29 – 33) nicht am An­fang, sondern erst am Ende re­spektive als Resultat solcher komplementären Naturforschung­en stehen.

Für eine Erkenntnistheo­rie wieder­um, die für alles Erken­nen gilt, wie diejeni­ge Stei­ners, ist es al­lerdings leicht nachvollziehb­ar, daß Steiner sich be­reits im Kapi­tel 14 der Grund­linienvon 1886 (hier S. 81 ff) mit Blick auf Kant das Kau­salitätsproblem vor­genommen hat. Da geht es näm­lich nicht min­der um den erlebten Zusam­menhang von Wirken­dem und Bewirk­tem. Folg­lich hatte Steiner sehr gute Gründe dafür, ei­nen kri­tischen Blick in dieser Fra­ge auf Kant zu werfen. Siehe dazu auch meine längere Studie. Dort etwas kürzer gefasst speziell auch im Exkurs ab der­zeit S. 1219 ff.

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Eine zusätzliche Bemerkung noch zu diesem zurückliegenden Ab­schnitt: Für den gewöhnli­chen Be­obachter des Denkens dürfte es nicht allzu schwierig sein, Stei­ners grundle­gende Gedanken­gänge zur metho­dischen Beobach­tung des Den­kens in Form der «gegenüberstellenden Betrach­tung» nachzuvollzieh­en, wenn er dessen Frühwerk hinreichend sorgfäl­tig stu­diert. - Steiners «Ausnahmezustand», der an sich gar nichts Besonderes ist, wie Steiner selbst sagt, sondern nur darin besteht, das Denken auf die Erfahrungen des Denkens zu richten, um es zu erkennen. Im Prinzip ist das nämlich simpel, auch in Steiners eigener Ausdrucksweise. - Et­was anders ist, wie wir sehen, die Sachlage, wenn es um Stei­ners philoso­phisch – naturwissenschaftlic­he Hintergrün­de und Kon­klusionen seiner Beob­achtungen geht. Hier ist die Haupt-Sache eben die, daß man schon «philo­sophischer Beobacht­er» sein muß, wie Steiner das in GA-30, S. 69 ff; insbes. auch S. 83 f speziell mit Blick auf Goethe nannte. Man muß die Beobachtung auch mit ent­sprechenden philo­sophischen Kernfragen in Verbindung brin­gen können und wollen. Und das gilt natürlich auch für Steiner selbst, der seine «philosophi­schen» Be­gründungsschriften niemals ohne den na­turwissenschaftlichen Blick auf die Be­gründungs-Schwachstellen des Empiris­mus verfasste, wie man an sei­ner Behand­lung Kants nicht nur im Kapi­tel 14 der Grundlinien ... sieht. Was man am Projekt der «Kant-Überwin­dung» in der Schrift Wahrheit und Wissenschaft ebenso sieht. Des­gleichen an den «seeli­schen Beobacht­ungsresultaten nach naturwissen­schaftlicher Me­thode» in der Philo­sophie der Frei­heit, wo das im Untertitel von 1918 eigens noch ein­mal hervorgehoben wur­de. Wo ja zu­dem die «aller­wichtigste Beob­achtung» des dritten Kapitels den erlebten Zusammen­hang von Wir­kendem und Bewirktem eigens thematisiert, und auf dieser Ba­sis Steiners archimedi­scher He­bel der Welterklärung veranlagt wird in Form der Selbsterklärungsfähigkeit des menschli­chen Den­kens. In wel­chem der erlebte Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem wie­derum die Schlüsselrolle spielt, die wir hier behandeln. - Also bei nähe­rer Betrach­tung als «allerwichtigst­e Beobachtung» die erkenntnistheore­tische Lö­sung von Kants und Hu­mes Pro­blem mit der Kausalit­ät dar­stellt. Das in­sofern auch das «natur­wissenschaftliche Sichere als Brücke zum Geisti­gen» bil­det, von dem Steiner am 25. Mai 1921 in Stuttgart (GA-255b, Dor­nach 2003, S. 295 ff, dort spezi­ell auf S. 298 f) ausdrü­cklich noch einmal sprach, - als Voraus­setzung sei­ner geisteswissenschaftlic­hen Ver­öffentlichungen. «Nur vom naturwissen­schaftlich Si­cheren aus, so sagt er dort, sei es ihm möglich gewesen, die Brücke zum Geisti­gen zu fin­den». Wo er zugleich damit den Ein­stieg in eine kom­plementäre Natur­wissenschaft eröffnet, die der Geist-Natur und ihren wirkenden geis­tigen Kräf­ten im In­neren nachgeht, wie es in der Philo­sophie der Freiheit im Kapitel II wortwört­lich auch erklärt und pro­grammatisch projek­tiert wird. - Übrigens al­les Vorha­ben, die inzwi­schen in großer Einmütigkeit von anthroposo­phischen Forschern zur Phi­losophie der Freiheit und ander­en Steinerschen Früh­schriften so gut wie nie themati­siert wer­den. Was ja schon hinreichend signa­lisiert, wel­che Lichter dort in­zwischen leuchten. Eins der besten Beispiele dafür ist der ge­meinsam von Loren­zo Ravagli und Günter Röschert herausgege­bene Band Konti­nuität und Wandel, Stutt­gart 2003, wo kein Wort zu diesen Dingen zu lesen ist. Und gar die Be­hauptung aufgestellt wird, die Kapi­tel 1 und 2 der Philo­sophie der Freiheit seien eigenständig und ver­bindungslos. (Röschert dort auf S. 171. Siehe dazu ausführlicher hier derzeit S. 1054 ff; ebenso S. 1200, Anm 396) Da fehlt jedes Verständnis für die naturwissenschaftl­iche Problemlage, die von Steiner in dieser Schrift be­handelt wird. Die ganze komplementärwissenschaftli­che Kon­zeption und Programm­atik dieser Schrift liegt den bei­den Auto­ren wei­testgehend fern; die zudem beide aus der philosophi­schen Regi­on Her­bert Witzen­manns stammen. Was kein Zufall ist. Desglei­chen bei den zahlrei­chen anderen nicht, die um dasselbe goldene Kalb Witzen­manns tanzen. (Sie­he dazu ebenfalls hier auf derzeit S. 593 ff.)

Der «ge­wöhnliche» Beob­achter des Denkens kommt ohne wissen­schaftsgeschichtliche Kennt­nis der Kernprobleme des Empiris­mus natürl­ich nicht so ohne weite­res auf jene funda­mentalen natur­wissenschaftlichen Kon­fliktfelder, die sich um die Kausalerklärung ran­ken, wenn er keine entspre­chenden wissen­schaftsgeschichtlichen Erfahrung­en mit­bringt. Er sieht dann die Verbindung­en zwischen der er­lebten Denk,- und Erkenntnistätigkeit, Steiners «aller­wichtigster Be­obachtung», und der Lösung des Kausalproblems nicht, ob­wohl es in bei­den Fällen um den Zu­sammenhang von Wirkendem und Bewirktem geht. Beim Denken und Er­kennen ebenso wie in der Naturwissens­chaft. So daß der wissen­schaftshistorisch Unerfahrene folglich nicht erkennt, daß das naturwis­senschaftliche Kau­salproblem Kants auch ein unmit­telbar zu beantwort­endes jener empi­risch psy­chologisch orientiert­en Erkennt­nistheorie Stei­ners ist, die auf der inneren Tätigkeit des Den­kens und Er­kennens auf­baut. Wo sich ganz na­turgemäß die Fra­ge nach dem er­lebten Zusam­menhang von Wirkendem und Bewirktem stellt: Da­hingehend: Wer oder was erwirkt eigentlich mein Denken und Erken­nen? Eine Frage, die besonders dringlich auch im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit aufgeworfen wird.

Und erst recht nicht kommt der Unerfahrene darauf, daß die genannte Problem­zone des Empiris­mus in der Stein­erzeit re­gelmäßig, und nicht nur von Steiner auf­gegriffen wur­den. Und dann eben­falls kon­struktiv mit empi­risch psychol­ogischen Mit­teln. Das alles liegt auch den heuti­gen Anhän­gern Steiners in der Regel völlig fern, selbst wenn sie viel­leicht akademisch wie etwa Eckart Förster noch so sehr als Spezia­listen aus dem deutschen Idealismus stam­men. Ein anthroposophi­scher Inter­pret arbeitet sich dann auch wie Reto Sa­voldelli 2019 oder Jaap Sijmons hoff­nungslos an sol­chen Grund­werken Steiners ab, ohne die leiseste Im­pression davon zu ha­ben, wor­um es da über­haupt in empirist­isch / natur­wissenschaftlicher Hin­sicht geht. Inzwi­schen hat Sa­voldelli seinen Arti­kel zwar mit Stand vom 19. April 2020 wohl neu­erlich aktuali­siert. Ver­standen davon hat er aber immer noch nichts, sonst würde er seine abs­trusen Hymnen auf die para­doxe Verbin­dung zu Witzenmanns Struktur­phänomenologie nicht sin­gen. (Siehe dazu ausführlicher auf un­serer Web­seite auch hier ab S. 771.) Und so krebst Savoldelli dann in seinem Artikel mit margi­nalen Inter­pretations- und Plausibilisierungsvers­uchen von mikroskop­ischen Dimensionen herum, die zum Wesent­lichen gar nicht vorstoßen: der Tatsache näm­lich, daß das gegenwärtige Den­ken in der Phi­losophie der Freiheit zwar nicht zu beobach­ten ist. Weil das grund­sätzlich nicht geht, wie Steiner sagt. Aber gleich­wohl un­mittelbar zu er­leben ist, wie es durchgängig dazu auch in sämtli­chen wei­teren Früh­schriften Steiners heißt. Es liegt als reine Erfahrung un­mittelbar vor. Und das ist doch die entscheiden­de Tatsa­che für den Em­piristen; den des Denkens zumal. Entscheidend ist doch, daß die eige­ne Wirk­samkeit der Denkaktivität unmittelbar in der Erfah­rung vor­liegt. Und deswe­gen Wir­kendes und Bewirktes beim Denken in ihrem Zusammen­hang unmittel­bar erlebt werden. Sol­che Ausdrücke wie «er­lebter Zu­sammenhang von Wir­kendem und Bewirktem» sind Savol­delli, - wie Witzenmann seit 1948 auch schon, - in Jahrzehnten nie über den Weg gekomm­en. Ob­wohl das überall bei Steiner steht, und in sämtli­chen Frühschriften Stei­ners ein­schließlich Goethes Welt­anschauung von 1897 der Sache nach hoch pla­kativ zu finden ist. Und so wirkt Sa­voldelli ebenso schock­gefroren wie ein sibi­risches Mammut wie sein Meis­ter Witzen­mann schon, der in dieser Angel­egenheit über das Stadi­um ei­nes Prose­minaristen bis in die 1980er Jahre ein­schließlich sei­ner Strukturphäno­menologie nie hinaus gekom­men ist, und wie Savol­delli und Kant «an die Sache nie heran», wie es im Kapitel 14 der Grundlini­enheißt. Da ist für die Sa­che Stei­ners nichts zu gewinnen.

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Warum Witzenmann an die Sache nie heran kam

So ein Interpret kommt dann eben auch als Anthropo­soph nicht dar­auf, daß und warum Stei­ner die Beobachtung des eigenen Denkens die «al­lerwichtigste» nennt, «die der Mensch ma­chen kann». Er versteht auch nicht, warum Steiner bei der Beobachtung des Den­kens nicht nur «das Weltge­schehen beob­achtet», sondern es sogar «durchschaut», wie es in Goethes Weltanschauu­ng (1897, S. 69 f) heißt. Dem Interpreten ist ein­fach nicht klar, daß der­jenige das Weltgeschehen grundsätz­lich nie durchschauen kann, wer «an die Sache gar nicht heran­kommt», sprich: an den erlebten Zu­sammenhang von Wirkendem und Bewirk­tem, wie es Stei­ner im Kapi­tel 14 der Grundli­nienge­genüber Kant geltend mach­te. Was auch für Witzenm­ann galt, der seinerseits und erklärtermaßen «an die Sache nie her­an kam». Denn wer den er­lebten Zusam­menhang zwischen Wir­kendem und Bewirk­tem beim Denken grundsätz­lich nicht auf der unmittelbaren Erfah­rungsebene erreicht, son­dern ihn sogar wissenschaftsp­hilosophisch in Abrede stellt, und obendrein auch noch die verschro­bene Fra­ge, «Wie kann Unbeobachtbar­es zur Erinnerung wer­den?» zur «erkennt­nistheoretischen Grund­frage» erklärt (Witzenmann, Goethes universalästhetischer Impuls, Dornach 1987, hier, S. 356, S. 386, S. 397), der hat im Kern und speziell an dieser erkenntniswissen­schaftlichen und na­turwissenschaftlichen Schlüs­selstelle jede Verbin­dung mit Steiner verlo­ren. Da fehlt jeder Durch­blick und je­der Einblick in Stei­ners An­liegen. Als Interpret Stei­ners hat er nicht ein­mal Steiners Grund­frage der Erkennt­nistheorie gefaßt, die da lautet: «Was ist Erken­nen?» (Siehe GA-1, S. 143; GA-1, S. 157 f; S. 195 f ; GA-2, S. 137 f)

Wie wir sehen, hat im Falle Witzenmanns die aus einem Interpretations­irrtum der Denkbeobach­tung er­wachsene Ent­gleisung seiner «erkennt­nistheoretischen Grundfrage» weder mit Stei­ner sach­lich irgend etwas zu tun, noch weiß Witzenmann über­haupt wor­um es diesem in den Früh­schriften mit der Beobachtung des Den­kens ging. Nicht zuletzt, weil schon das gan­ze Pro­zedere dieser Be­obachtung im «Ausnahmezu­stand» ihm ein Buch mit sieben Siegeln ge­blieben ist, wie insbeson­dere aus dem en­geren Kontext von Witzen­manns Goethebuch er­sichtlich wird, aus dem heraus er seine verstiegene «Grund­frage» entwickelt hat. Das, da erst­mals 1987 er­schienen, mehr eine ver­spätete, aber ausgespro­chen wichtige Dokumentation sei­ner Verschro­benheit und der Ab­wege sei­ner erkenntniswissenschaft­lichen Interpretationen in Richtung Strukturphä­nomenologie dar­stellt. Wo sich im Kapitel 12 zum Thema Unerinner­barkeit allge­meiner Begriffe, S. 366 ff; auf S. 368 auch seine psycholo­gisch unbelegte, aben­teuerliche Be­hauptung von der Unerinnerb­arkeit der All­gemeinbegriffe findet, die in nichts mit dem zusamm­enstimmt, was Stei­ner etwa in GA-35, S. 279 zu diesem Thema ge­sagt hat. Mit et­was Wohlwollen könnte man hier vermuten, daß Wit­zenmann Steiners späte­re Anthro­posophie, die ja in GA – 35 ab S. 276 von den unerinner­baren le­bendigen Begriffen; genau­er: der geistigen Wirk­lichkeit; «Wil­lenswirklichkeit» (S. 277) respektive auf S. 288 ff vom «le­bendigen Den­ken» spricht, von Witzenmann in höchst unangemesse­ner Wei­se und grässli­cher Anthroposo­phentradition mit Steiners früher Erkenntnistheo­rie zusammenges­taucht und verschnitten wur­de. Für die als empirisch er­kenntnistheoretische Grundlage natürlich ganz an­dere Voraussetz­ungen und Tat­sachen gelten, da sie ja erst die Grundlagen für die höhere Geistesf­orschung er­arbeiten soll, aber doch nicht deren Er­gebnisse. Die Re­sultate der höheren For­schung las­sen sich nun einmal nicht unbesehen mit ihren Grundlagen vermengen, ohne für kolos­sale Ver­wirrung zu sor­gen, was zudem logisch natürlich ein Unsinn ist. Denn ich kann die Resultat­e ei­ner späteren (Geistes)for­schung, für die Steiner teils mehr als dreißig For­schungsjahre benötigte, aus jenen Grundlagen ja nicht logisch ablei­ten oder in sie hinein­schieben, respektive das Später­e zur Verständ­nisvoraussetzung jener Grundlagen machen, die doch die methodi­schen Ver­fahren erst er­öffnen sollen, aber nicht die nachfol­genden Inhalte und Forschungs­ergebnisse bereits vorweg neh­men kön­nen, die auf dieser be­gründeten For­schungsmethode erst ba­sieren. Das ver­ständnislos ver­worrene Ver­schneiden und Zusammen­stauchen von Anthroposophie und ihren Grundlagen hat bei den Anthro­posophen al­lerdings gro­ße Traditi­on, und ragt nach­weislich sogar bis in Eckart Förs­ters Vorwort von Cle­ments historisch kritischer Aus­gabe der Philosop­hie der Frei­heit hinein, wie der Leser hier auf S. 1232 ff eingehen­der stu­dieren kann. Das ist dort eng ver­bunden mit den Na­men Frank Teich­mann und Karl Martin Dietz. Ein derart verwor­renes Ver­ständnis wie Teichmann scheint in­des auch Witzen­mann umgetrieben zu ha­ben, wie wir noch wei­ter unten se­hen werden. Jedenf­alls ist Witzen­manns Be­hauptung von der Unerinner­barkeit von Allgemein­begriffen nicht nur mit Steiner vollkommen in­kompatibel, sondern auch nicht mit dem zusammenzub­ringen, was der Denkpsycho­loge Karl Büh­ler, und zwar ganz im Einver­nehmen mit Ru­dolf Steiners Auffas­sung zur Erinnerbar­keit von Begrif­fen des gewöhnli­chen Be­wußtseins ge­sagt hat. Dies in seiner o. g. Un­tersuchung im Teil III (al­ternativ der Teil III hier bei Hu­merez). Was Witzenmanns Schüler frei­lich nicht davon abge­halten hat, Witzen­manns Mär von der Unerin­nerbarkeit von Allgemeinbe­griffen während vie­ler Jahre in schö­ner Re­gelmäßigkeit durchzureic­hen.

Wenn man sich wiederum an Steiners Grundlinienhält, wo Steiner bereits am Ende von Kapi­tel 8 (hier S. 47) die Tätigkeit unseres Be­wußtseins“ als «tätigen Gedankengehalt der Welt» be­zeichnet, dann ist die gegen­wärtig erlebte Denktätigkeit gewis­sermassen die verdünnt­este Form, in welcher der «Gedankengehalt der Welt» oder die «allumfassen­de Idee» in seiner / ihrer Wirksam­keit un­mittelbar erfahrbar ist. Oder wie es dort später (Kap. 13, S. 77) heißt: „Unsere Erkenntnis­theorie führt zu dem positiven Ergebnis, daß das Denken das Wesen der Welt ist und daß das indi­viduelle menschliche Denken die einzelne Er­scheinungsform die­ses Wesens ist.“ Ergänzend dazu als Resümee aus Stei­ners kurzer Kontroverse mit Eduard von Hartmann: „Die Kraft kann uns nur da ent­gegentreten, wo die Idee zuerst an einem Wahrneh­mungsobjekte er­scheint und erst unter dieser Form auf ein anderes Objekt wirkt. Der Gegens­atz hierzu ist, wenn diese Vermittlung weg­fällt, wenn die Idee un­mittelbar an die Sin­nenwelt herantritt. Da erscheint die Idee selbst verursac­hend. Und hier ist es, wo wir vom Willen spre­chen. Wille ist also die Idee selbst als Kraft aufge­faßt. Von einem selbständigen Wil­len zu spre­chen ist völlig unstatthaft.“ (GA-1, Dornach 1987, hier S. 197; im Origi­nal der Kürsch­nerausgabe, Bd. 34 von 1887, und dort be­reits kursiv ge­setzt auf S. XLV) – Da wo menschli­cher Wille wirkt, wirkt die Idee, «diese als Kraft aufgefaßt». So die frühe idealisti­sche Sicht der Dinge.

Die Frage ist dann nur noch und ganz prag­matisch gese­hen, wie man diese extrem verdünnte indi­vidualisierte Form des Weltwesens in Ge­stalt der willentlich ausgeübten und erlebten Denktätig­keit in eine ver­dichtete metho­disch dergestalt überführen kann, so daß sie wesent­lich besser zu beob­achten ist. Was ja dann durch den an­throposophischen Schulungs­weg ge­schieht auf den Stei­ner im ge­nannten Auf­satz von GA-35 rekur­riert, nachdem er ab S. 269 die Bedarfsl­age einer sol­chen quali­tativen Ver­dichtung und Beobachtungsver­besserung am Bei­spiel der zeitgenös­sischen Psycholo­gie erörtert hat. Was sich vergleichbar auch im Skizzenhaft­en Ausblick von GA-18 (S. 594 ff) findet. Wonach es eben «nicht ausreicht, nur nach dem In­neren zu schauen». Siehe dort S. 602 ff. Wenn ich frei­lich selbst die «verdünnte» Form der Ideen-Wirk­samkeit gar nicht vorliegen habe, sei es, weil ich meine aktuelle Denktä­tigkeit nicht zu er­fahren glaube, oder weil ich wie der Ideen- und Wil­lensdualist Edu­ard von Hart­mann nur kraftlose Ideen kenne, und ande­rerseits wie Hus­serl und Brentano gar nicht zum Begriff des ur­sächlich wirken­den und erleb­ten Willens als «Ideen­kraft» durch­gedrungen bin, dann bleibt es aus­sichtslos, der «wirkenden und kraften­den Idee» an die­ser Stelle wei­ter em­pirisch nachzuge­hen, da ich sie schon aus konzeptio­nellen Grün­den nicht in meinem Denken als kraftende Wirk­samkeit fin­den werde. Siehe Stei­ner diesbezüglich in GA-21, S. 78 ff, so­wie die entspre­chenden Er­gänzungskapitel über Brentanos Unvermö­gen, in sei­ner Psy­chologie so et­was wie den menschlichen Willen anzu­erkennen. Vergleichba­res galt für Husserl bis in die 1920er Jah­re, wie Sie hier bei Christopher Gut­land, Denker­fahrung, München 2018, S. 403 nachlesen können. Analog dazu verhält es sich auch bei Witzen­mann. Während es bei Stei­ner von An­fang an um den «erlebten Zusam­menhang von Wir­kendem und Be­wirktem» geht, auf dem er seine Welt­anschauung nebst «aller­wichtigster Beobachtung» erkenntniswis­senschaftlich grün­det.

Das ganze Desaster der «Witzenmanngemeinde» mit Witzenmanns In­terpretationen wurde jüngst wieder in der englischen Übersetzung von Witzenmanns Strukturphänomenologie durch Johannes Wagemann of­fenbar, wo Witzenmanns «Erzeugungs­problem» letztlich als Kausali­tätsproblem zu­tage tritt, ohne daß dem Übersetzer und Kommen­tator Wage­mann auch nur von ferne klar gewor­den wäre, daß Steiner in sämt­lichen Frühschriften die Lösung dieses Problems um den Zusammen­hang von Wir­kendem und Bewirktem anhand der Beobachtung des Den­kens prä­sentiert. Siehe dazu nachfolgend eini­ge Seiten spä­ter. - Wichtig für den Erkenntniswiss­enschaftler ist doch vor al­lem, daß die Denktätig­keit überhaupt in ihrer «verdünnt­en» Form und Wirksam­keit jederzeit un­mittelbar zu erle­ben ist. Worauf Steiner in sei­nen sämt­lichen Frühschrift­en ausnahmslos hin­weist, weil darauf sein empiristi­scher An­satz des «indukt­iven Idealis­mus» fußt: Auf dem un­mittelbar er­lebten Zusammenh­ang von Wirken­dem und Be­wirktem beim Denken. Ich kann je­dem Le­ser nur dringend raten, wenn er Stei­ners Erkenntnis­wissenschaft ernst­lich studieren will, sich an Stei­ners Originals­chriften und -auf­sätze zu halten, anstatt sich von dem heil­los verworre­nen Ver­schnitt Witzen­manns und sei­ner Schüler pausen­los in die Irre füh­ren zu lassen. Wir wer­den später unten im Zusammen­hang mit dem Intuiti­onsbegriff noch mehr solcher ver­schnittenen Verworrenhei­ten Witzen­manns be­trachten, durch die je­des Verständnis von Steiners Grundla­gen konterkar­iert wird.

Das erwähnte Goethe­buch Witzenmanns, Goethes universalästhetischer Im­puls von 1987 ist ein skurriler Re­port des ge­danklichen Wer­degangs von Witzen­mann, in dem ja der unverstan­dene Steiners­che Be­griff der «Denkbeob­achtung» den philosophischen Nähr­boden dieser «Grundfra­ge», - «Wie kann Unbeob­achtbares zur Er­innerung wer­den?», - bildet. Anstatt daß der Mann bei Steiner dem Be­griff und der Tatsache der «rei­nen Erfahrung des Denkens» nach­gegangen wäre, die er nie behan­delt hat. Was sich in seinen gedank­lichen Konse­quenzen in Witzen­manns Goetheschrift ab S. 354 über annähernd 60 Seiten hin­zieht, und auf S. 402 auch noch zur Grund­lage seiner eigenen sozialwissenschaftli­chen Konzeption ge­macht wird, die auf einer weit­gehend unverstande­nen Er­kenntniswissenschaft Stei­ners aufbaut, und als «Goethea­nismus» dem Leser ange­priesen wird. Witzen­mann ist schlechterdings nicht klar ge­worden, daß die unmittel­bare Er­fahrung der eigenen Denk­tätigkeit ja die Wahrneh­mung eines vom Den­kenden selbst initiierten aktuellen Gesche­hens ist bzw impliziert, einschließlich sei­ner In­itiierung durch ei­nen Denk-Entschluß, wie wir eingangs schon bemerkten, wo das un­mittelbare Prozess­geschehen doch nicht erin­nert wird, son­dern als un­mittelbare Gegeben­heit der eige­nen Tätigkeit vor­liegt, wie es Steiner seit 1886 be­schreibt. «Ich stehe mitten drin im Pro­zess», wie Steiner re­gelmäßig in den Früh­schriften betont. Was in der Schrift Wahr­heit und Wis­senschaft ausdrü­cklich auch einge­fordert wird, dahin­gehend, dass «das ei­gene Her­vorbringen unmittelb­ar gegeben sein müs­se». (GA-3, Kap. IV, S. 37) Da wird nicht an Erin­nerungen an ein vergan­genes Ge­schehen ap­pelliert, sondern an den erleb­ten gegenwärti­gen, selbstinitiiert­en Pro­zess des Denkens und Erkennens, der sich als solcher auch nur in der Gegen­wart vollzieht, - wo sonst? Wer et­was anderes be­hauptet, der ver­läßt das Ge­biet des un­mittelbar er­fahrenen Den­kens und be­tritt auf der Su­che nach anderen Erklärungsg­ründen das der empi­risch uneinlösbar­en Hypothe­senspekulationen, wie es bei Edu­ard von Hart­mann der Fall war. Wie es Steiner ihm am Ende von Kapi­tel III der Phi­losophie der Frei­heit auch attes­tierte. Was natürlich auch für alle Physi­kalisten gilt, die beim Den­ken ein­zig kausale Hirnproz­esse geltend ma­chen.

Eine «erkenntnistheo­retische Grundfra­ge», «Wie kann Unbeobachtba­res zur Erinnerung wer­den?», mit der sich Wit­zenmann in seiner Goethe­schrift de fac­to ersatz­weise selbst als «füh­render Anthro­posophenphilosoph» an Stei­ners Stel­le setz­te. Und zwar ohne daß beim Verfas­ser Wit­zenmann über mehr als 30 Jahre das Bemü­hen er­kennbar wäre, auch nur ei­nen Funken Problemlösungs-Re­cherche in Steiners restli­che Früh­schriften zu investier­en, um das von Stei­ner Gemeinte zu begreif­en. Über den Schlüsselbe­griff der «reinen Erfahrung des Den­kens» werden Sie bei Witzen­mann kein Ster­benswort zu lesen bekommen. Dazu ge­sellt sich der «er­lebte Zusam­menhang von Wir­kendem und Bewirk­tem», - eine weitere unverzicht­bare Schlüs­selbegrifflichkeit in Steiners sämtli­chen Früh­schriften, - über die Sie bei Witzenmann und sei­nen Schülern ebenfalls nichts er­fahren werden – siehe weiter unten Wage­mann. Auch bei sei­nen Schülern wer­den sie bei all dem ins Lee­re grei­fen. Witzen­mann hatte ebenso wie sei­ne Schüler schlicht keine Vorstel­lung davon und auch kei­nerlei Interesse daran. Seit annä­hernd siebzig Jahren – näm­lich mindestens seit Februar 1948 - philosophische Allot­ria, die mit Stei­ners Grundlagen dort anhaltend getrieben wer­den.

Weil Witzen­mann das alles nie verstand­en hat, sich auch nachweislich nie dafür und für ein gründ­liches Literaturstudium in Steiners Grundla­genschrifttum inter­essierte, aber über ein hin­reichend aus­geprägtes Po­tential zur Selbst­blendung über die ei­gene in­tellektuelle Grösse ver­fügte, hielt er sich für beru­fen, anlässlich seines per­sönlichen Denk-Beobachtungsprob­lems und voll­kommen fern von jeder gründli­chen quellenba­sierten Problem­recherche, die auch Stei­ners restli­che Grund­werke sorg­sam ein­bezieht, eine eige­ne «er­kenntnistheoretische Grundfrag­e, Wie kann Unbeob­achtbares zur Erin­nerung werden?» vor sei­nen anthroposophis­chen An­hängern aufzubau­en, die im Verhält­nis zu Stei­ner, zu des­sen Vorha­ben und zu des­sen Begründ­ungen ent­legener, ein­fältiger und de­struktiver kaum sein könn­te. Siehe dazu Herbert Witzen­mann, Metho­dische Kon­sequenzen der Goetheschen Metamorpho­senidee, in: Goethes universa­lästhetischer Impuls, Dornach 1987, S. 397: "Die Möglichkeit des Erin­nerns aus Un­beobachtbarem, worin die erkenntniswissenschaft­liche Grundfrage zu erblicken ist, wurde durch die voraus­gehenden Aus­führungen anhand seelischer Beobachtun­gen zum Ver­ständnis gebracht. Sie erklärt sich daraus, daß der nicht beob­achtbare Grundvor­gang der Strukturbild­ung seine Spuren in den erinne­rungbildenden Konditionen und Dis­positionen hinterläßt." Ent­sprechend lautet der Untertitel seiner dies­bezüglichen Arbeit auch kon­sequenterweise: Die er­kenntniswissenschaftliche Fundamentalbedeutung der Erinnerungsk­unde. - Ein haarsträubend­er Blödsinn im Vergleich zu Stei­ners ei­genen Gedankengängen der Frühschrif­ten.

Der Mann plat­zierte sich da­mit, - und noch weit frü­her mit analogem un­verstandenen Nonsense bereits im Heft 1 von Die Drei, 1948, - philoso­phisch selbst an Steiners Stel­le, hat­te aber schlicht keine Ahnung von Stei­ners Kerngedanken zur empirisch-ideal­istischen Begründ­ung ei­ner komple­mentären Naturwis­senschaft. Ob­wohl das überall in Steiners Früh­schriften zu lesen ist, wie wir se­hen. Konstruiert­e statt des­sen seit 1948 sei­nen eigenen philo­sophischen Ho­kuspokus, den er bis zu seiner Struktur­phänomenologie der 1980er Jah­re kon­sequent weiter ver­folgt hat, und zwar weiter­hin ohne je­den hermeneuti­schen Klärungsver­such an Stei­ners Frühwerk.

Dem «neuen Platzhal­ter» hat man bei sol­chen ka­tastrophalen gedankli­chen Irrläu­fen dann ausge­rechnet auch noch das Geistesstreben der (an­throposophischen) Ju­gend anver­traut: Ein einzigarti­ges Debakel der an­throposophischen Bewe­gung, der Steiner-Interpretation und der Steiner-Rezep­tion! Die letzt­lich dann auch noch im po­litischen Miß­brauch der Anthroposop­hie en­dete. Ausgel­öst von ei­nem in­tellektuellen Grossgim­pel in die­ser Bewe­gung, der es in seiner Selbstblend­ung schlichtweg nicht für nö­tig hielt, Stei­ners Früh­schriften einmal sorg­sam zu studier­en, um herme­neutische Klarheit zu seinen persönli­chen Verständnisproble­men zu er­langen. Wie wir es heu­te auch weit­hin ver­gleichbar se­hen, wenn sich akademische Welt­erklärer über Stei­ners Werk herma­chen.

Äusserst fatal, daß man so einem gründ­lich ent­gleisten und in seiner Selbstü­berhebung abgestürz­ten Steiner-Int­erpreten wie Witzen­mann zu allem Überfluß dann auch noch das Geistess­treben der Jugend und die Sozialwissenschaften an­vertraute: «„Drei Jahre lang lei­tete er die Zeit­schrift Die Drei (1948-51). 1963 wurde er durch Albert Steffen in den Vorstand der AAG berufen, wo er die Lei­tung der „Sekti­on für das Geis­tesstreben der Jugend“ und der „Sektion für Sozialwissenschaf­ten“ über­nahm. Da konnte er zahlrei­che Interes­sierte für seine eigeneErkennt­niswissenschaft“ und „Sozia­lästhetik“ um sich sam­meln, wobei die Mehr­zahl sei­ner Gefolgsleute zur gehobenen in­tellektuellen Schicht zu rech­nen war. So entstand eine Ansamml­ung von – zum Teil aus rei­chen Fa­milien kommenden – Aka­demikern.» So heißt es dazu in einem Arti­kel des Lochmann-Verlages vom 10. 02. 22.

Auch im Anthrowoki ist zu lesen, daß Witzenmann von 1948-1951 die Zeitschrift Die Drei «gelei­tet» habe. „Von 1948 bis 1951 leitete er die Zeitschrift Die Drei,“ so heisst es noch am 24.07.22 im Anthrowiki. Von einer «Her­ausgeberschaft» oder «Leitung» der Zeitschrift Die Drei steht in der aus­führlichen Biographie von Klaus Hartmann Bd. 1, in der Über­sicht S. 393, (sie­he nachfol­gend) zunächst nichts, sondern nur von einer «Wirksamkeit» für die­se Zeit­schrift, die damals unter der Herausgeber­schaft von Dr. Erich Schwebsch stand. Und 1951 im­mer noch. Das kann man auch den Heften dieser Jahre entnehmen, die heute noch be­zogen wer­den können. In Witzenmanns Au­tobiographie Lichtmaschen ist auf S. 121 zu lesen, «er habe mit Schwebsch eine Zeit lang gemein­sam die Drei herausgegeben», ohne das näher zu spezifizieren. Eine ausführli­che Behandlung von Witzenmanns Wirk­samkeit als «Redaktionsm­itglied» für Die Drei un­ter der Leitung von Schwebsch findet sich dann in Hart­manns Bd. 1, S. 255 ff; und S. 270 ff in ei­nem eigenen Ka­pitel. Hart­mann schreibt auf S. 270 dazu: „Erster Redaktor der vom Ver­lag Freies Geistesleben heraus­gegebenen Zeit­schrift wurde nach dem Krieg Erich Schwebsch. Er hatte zwar mit Wit­zenmann eine gemeinsa­me Schriftlei­tung vereinbart, diese konnte aber im Impressum erst auf­scheinen, nach­dem alle Schwierigkei­ten und For­malitäten mit der über Veröffentli­chungen wachenden ame­rikanischen Militärbe­hörde geklärt wa­ren.“ Im wei­teren S. 290 ff Erhellendes über die Krise der Zeit­schrift. In der An­merkung 4 auf S. 334 schreibt Hartmann dann prä­zisierend: „In den Hef­ten von 1949 und 1950 hatten Erich Schwebsch und Herbert Witzen­mann (gemäß Impress­um) ge­meinsam die Schriftlei­tung der im Auf­trag der anthropo­sophischen Gesell­schaft herausgegebe­nen Zeit­schrift.“ Das klärt die Verhältnisse einigermassen präzise und nachprüf­bar. Danach ver­lief Witzen­manns Herausgeber­schaft mit Schwebsch zu­sammen und offiziell über annä­hernd zwei Jahre. Bleibt noch Witzen­manns eigene, knappe Aus­kunft aus den Lichtmaschen, S. 121, über eine vorüberge­hende gemein­same Herausgeberschaft mit Schwebsch.

Übrigens steht der im Lochmann-Artikel genannte, und diesmal mit gu­tem Grund dort in der An­merkung 4 infrage gestellte Hinweis, Witzen­mann sei von Stei­ner persönlich das Studium der Phi­losophie anempfohl­en worden, im­mer noch im Anthrowiki mit Stand vom 24. Juli 2022. („Steiner, den er in Stuttgart trifft, rät ihm, sich mit philosophi­schen Fra­gen zu beschäft­igen.“ - so das An­throwiki am 24.07.22) Und zwar dort nach wie vor ohne jeden Be­leg, also völlig frei aus der Luft gegrif­fen. Während die vom Loch­mann-Artikel genannte Witzenmann-Bio­graphie von Klaus Hart­mann im ersten Band, (Her­bert Witzenmann, Bd. 1, 2010, S. 65 ff), und zwar gestützt auf Wit­zenmanns eigene Dar­stellungen, uns dazu ab S. 67 eine ganz andere Geschicht­e über diese «Stutt­garter Be­gegnung» erzählt, und zwar das ge­naue Ge­genteil: Wit­zenmann fragte Rudolf Stei­ner nach Lebensorien­tierung, Stu­dium und Beruf. Bei der Rückfrag­e, womit er sich denn bis­her be­schäftigt habe, verblüffte ihn Witzen­manns Antwort: «Mit nichts.» Als er dann aber nach genauer Rü­ckfrage sein Bemühen um schriftstellerische Formulie­rung nicht ver­schwieg, sagte ihm Rudolf Steiner: «Sie müssen im­mer mit der Litera­tur in Ver­bindung bleiben.» Bedeutete diese Ant­wort, dass er ein Dichter werden könne oder sol­le? Witzenmann hat Rudolf Stei­ners offen lassen­de Ant­wort ge­schätzt: «Er hatte auf meine in­nigste See­lenfrage weder beja­hend noch verneinend geant­wortet. In dem Einen hätte sich ein Man­gel an Vertrau­en, in dem Ande­ren eine er­leichternde Er­munterung ohne tie­fen Ernst aus­gesprochen. Dage­gen war Rudolf Stei­ners Antwort eine völlig frei­lassende. Sie wandte sich an meine Ak­tivität und gab mir eine Lebens­regel, deren Gehalt ich nur selbst er­schließen konnte. Sie wandte sich an die meditative Kraft mei­ner Seele. Sie emp­fahl mir die Grundme­ditation meines Lebens: «Im Anfang war das Wort.» Musik- und Kunst­geschichte nannte Ru­dolf Stei­ner als Studi­enfächer, nicht aber Philoso­phie. Bibliothekar oder Di­rektor einer Mu­sikhochschule oder Gemäldegaler­ie könne er werden. Von Dichtung, Philo­sophie und prakti­scher Tä­tigkeit sprach Rudolf Steiner zu Witzen­manns Enttäuschung nicht. «Sonst kann ich nicht viel hinter Ih­nen fin­den», be­merkte Ru­dolf Stei­ner «mit deutlicher Iro­nie» zum Ab­schluss ihres Ge­spräches. «Mein Ur­teil war ge­sprochen. Ich war begabt für Li­teratur, Kunst und Mu­sik und sonst für nichts. Damit hatte ich nun zu le­ben», kommentiert Wit­zenmann humorvoll das Fazit sei­nes Ge­sprächs mit Ru­dolf Steiner.“ - So weit Klaus Hart­mann auf S. 67 zu die­sem Beratungsge­spräch zwi­schen Stei­ner und dem jungen Her­bert Wit­zenmann. Die entsprechende Episo­de fin­det sich genau so auch dargestellt in Wit­zenmanns kurzer, von Jut­ta Knobel-Weitz 2005 herausgegeben­er Auto­biographie, Licht­maschen, auf den Seiten 89 ff.

Zur Literatur hat Steiner ihm geraten. Zu Musik- und Kunstge­schichte. Zur Philoso­phie leider nicht. Was von Witzen­mann (laut Eigendarstel­lung) und laut Hart­mann mit eini­ger Enttäu­schung aufgenom­men, wenn auch mit einer ge­wissen Selbst­ironie hu­morvoll wiedergegeben wurde. - Wem da mehr Glaubwürdig­keit zu­kommt, Klaus Hartmann oder dem unbelegten An­throwiki, fällt jeden­falls schon in­folge der Quellenlage eindeutig zu­gunsten Hartmanns aus. Während das An­throwiki in diesem Fall der von Steiner angeblich per­sönlich angera­tenen Phi­losophie nur mit einer frei herbeifantasierten Behaup­tung auf­wartet. Obwohl das Anthrow­iki jederzeit leicht bei Klaus Hartmann hät­te nachprüfen kön­nen. Oder noch früher bei Jutta Kno­bel-Weitz. Denn Hartmanns ungewöhn­lich ausführliche Witzen­mannbiographie exis­tiert ja schon seit 2010. Und die Autobio­graphie Witzenmanns, auf die sich Hartmann dabei be­zieht, sogar seit 2005. - Fra­ge: Warum ist das bei so einem krassen Ge­gensatz in diesem an­geblichen Anthroposophie-Lexi­kon bis zum Som­mer 2022 nie geschehen? Ob­wohl sie Wit­zenmanns Au­tobiographie Lichtmaschen im Literatur­verzeichnis ihres Witzen­mannartikels eben­falls stehen haben. Sie hätten also nur hineinschauen müssen. Und so lang ist sie auch wieder nicht, son­dern nur 156 Seiten. Die entsprechen­den Passa­gen sind im Inhaltsverzeichn­is auch auf Anhieb zu finden. (Ei­nen ähnlich dubiosen Fall aus Info3, bei dem sogar Klaus Hartmann selbst betei­ligt war, habe ich vor einigen Jahren in meiner längeren Stu­die ab derzeit S. 487 ff ausführlich auf mehreren Seiten analysiert.) Aber obwohl das heute noch un­belegt behauptet wird: Es gab für Wit­zenmann von Stei­ner di­rekt weder eine Studienemp­fehlung zur Philoso­phie, noch gar zu Hus­serl, laut Witzenmanns eigener Auskunft. Witzen­mann hatte laut Auto­biographie in die­ser Frage er­sichtlich gar kein In­teresse daran, sei­ne Be­ziehung zur Phi­losophie durch den Rat­geber Stei­ner ebenso so hoch zu stilisieren und mit My­then über angeb­liche philosophieorien­tierte Rat­schläge Steiners zu adeln wie mancher spätere Be­richterstatter und Le­xikonartikel-Schreiber. Wo doch das vollständige Fehlen solcher Emp­fehlungen zur Beschäfti­gung mit Phi­losophie und philosophische Rat­schläge durch Stei­ner genau das war, was Witzen­mann am meisten be­troffen gemacht hat: Es kam in dieser augen­fällig erhofften Richtung nichts von Steiner, sondern Wit­zenmann wurde voll­kommen ent­täuscht: «Mein Ur­teil war ge­sprochen. Ich war begabt für Li­teratur, Kunst und Mu­sik und sonst für nichts. Da­mit hatte ich nun zu le­ben». (Lichtma­schen, S. 97) - Was Wit­zenmann als Menschen ja durch­aus ehrt, wenn er diese für ihn enttäu­schenden Verhältnisse so unges­chminkt offen spä­ter darlegt, ohne den Hauch ei­ner Selbstbe­weihräucherung durch Begeg­nungen mit und Rat­schläge von Steiner, die Beschäft­igung mit der Philoso­phie betref­fend. Man muß Witzenmann of­fensichtlich auch vor sei­nen ei­genen Schülern und An­hängern be­wahren, weil sie den 1988 Verstor­benen ja mit er­fundenen Legenden sogar noch im Nachhin­ein und über den Tod hinaus schädi­gen. Zumal, wenn man sieht, auf wel­chen zweifel­haft ge­genaufklärerischen und zerstöreri­schen politi­schen Fel­dern der propa­gandistischen Lügen­beutelei die sich heu­te teil­weise sonst noch tum­meln. Die Witzen­mann ganz sicher nicht gebil­ligt hätte, wenn er ge­wußt hätte, wie es um die Lage wirklich stand und heute noch steht.

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Witzenmanns seltsame Entdeckung der Erinnerungslehre als erkenntniswissenschaftliche Fundamentalwissenschaft

Witzenmanns Autobiographie Lichtmaschen, und das scheint mir zum Verständnis nicht unerheb­lich zu sein, könnte zudem schon in ihren ers­ten Kapiteln ei­nen deutlichen Hinweis dar­auf geben, warum er die Fra­ge «Wie Un­beobachtbares zu Erinnerung werden kann?» später in der Schrift Goe­thes universaläs­thetischer Impuls zur «erkenntnistheoreti­schen Grundfrag­e» erklärte. Es scheint einen biographischen Hinter­grund für Wit­zenmanns ausuferndes Inter­esse an Erinnerungs­fragen zu geben, der in seiner Autobiographie auch klar dargelegt wird. Witzen­mann wurde näm­lich von Erinnerungsfragen und -problemen heftig um­getrieben. Denn er war laut autobiographi­scher Darstellung be­reits in frühes­ter Kindheit von intensiven Er­lebnissen, und teils albtraumarti­gen Erinner­ungen «an seine Geburt», wie er dort S. 11 ff schreibt, über­wältigt oder förmlich auch heimgesucht. So daß ihn das Erinne­rungsgebiet nachvoll­ziehbar au­ßerordentlich fesselte, und auch seine erkenntniswis­senschaftlichen Inten­tionen nachhaltig prägte. Was ja in der Tat ein hochinteress­antes psychologisches Ge­biet sein kann, quälende oder tief beeindruckende frühkind­liche Erin­nerungen zu haben, von denen man nicht weiß, wo sie herkommen. Und dann nach auf­klärerischen / thera­peutischen Lö­sungswegen dafür zu su­chen, dahingehend, was das alles zu be­deuten hat.

Was also an sich keine schlechte Sache ist. Denn stellen Sie sich vor, Sie werden als Kind stän­dig von «Erinnerungen» bedrängt, für die Sie kei­ne Er­klärung finden. Es könnten ja auch (spontane) Erinnerungen an ein ver­gangenes Leben sein, wie Steiner sie in Vortragsform wie­derholt un­serer und der entfernteren nach­folgenden Zeit prognostiziert hat wie in GA-152, S. 117 ff. Zum Teil in den dortigen Christusvorträgen auch in relativ jüngeren vergangenen Zei­ten angesiedelt. Wo in den Men­schen dann «erin­nerungsartige» Er­lebnisse auftauchten, die sie sich durch den bisherigen Le­bensverlauf nicht plausibilisieren konnten, son­dern auf das Chris­tusereignis in Palästina bezo­gen, an dem sie achtlos vorüber gang­angen waren. Es könn­ten aber auch Zukunftsprojektionen für das derzei­tige Leben sein, die aus dem Inneren eines Kleinst-Kindes auf­steigen. Siehe zu zwei Formen (Vergangenheitsrückschau nach dem Tode und Zu­kunftsvision vor der Geburt), Rudolf Steiner in 93a, Dor­nach 1987, Vortrag Berlin 18.10.1905, S. 158 f.

Schauen wir nur kurz und zur Illustration auf folgende Schilderun­gen Steiners hin: „Der Mensch würde sich viel mehr an seine Erlebnisse ge­dächtnismäßig erinnern können, wenn nicht die Au­ßenwelt fortwäh­rend seine Erlebnisse auslöschte. Der Mensch hat seine Vorstel­lungen nur nicht immer vor sich, weil er seine Aufmerksamkeit nach außen richtet. Wo er auf­hört, das zu tun, nimmt er wahr, was in seinem Ätherkörper aufgespeichert ist. Alles was der Mensch von der Au­ßenwelt aufgenom­men hat, das ist in seinem Ätherleib eingegraben. Er richtet zunächst sei­ne Auf­merksamkeit nach außen und nimmt die Eindrücke in seinen Äther­leib auf. Das vergißt er aber zum Teil wieder. Wenn nun im Tode der physische Leib abgelegt wird, nimmt er in dem Augen­blicke alles das wahr, was in seinem Ätherleib aufge­speichert ist. Das ist der Fall, nachdem sein Ich mit dem Astralleib und dem Ätherleib sich vom physi­schen Leib getrennt hat. Gleich nach dem Tode also ist Gelegenheit ge­boten zur vollkommenen Erin­nerung an das vergangene Leben. [ ] Nun müssen wir noch einen ähn­lichen Moment zu verste­hen suchen, nämlich den Moment der Geburt, wo der Mensch in eine neue Inkarnati­on hineink­ommt. Da tritt etwas anderes ein. Da bringt er alles dasjeni­ge mit, was er auf dem Devachanplan sich erarbeitet hat. Wie Glocken schwir­ren die sich verkör­pernwollenden As­tralleiber an den Lebens­äther heran und bil­den nun ei­nen neuen Ätherleib. Wenn nun der Mensch mit sei­nem zu­künftigen Ätherleib sich verbindet, dann tritt ein Mo­ment der Schau ein, geradeso wie er vorher beim Tode auf sein ver­gangenes Le­ben zurück­schaute. Das drückt sich aber nun ganz anders aus, nämlich als ein Vor­ausschauen in die Zu­kunft, ein Vorauswissen. Bei etwas psy­chisch ver­anlagten Kindern kann man manchmal in der frühesten Zeit solche Er­zählungen hören, solange noch nicht die materia­listische Kul­tur auf die Kinder gewirkt hat. Ein Vorausschauen des Daseins ist das. [ ] Das sind zwei wichti­ge, wesentli­che Momente, denn sie zeigen uns, was der Mensch, wenn er herunter­kommt, um sich zu inkarnie­ren, mit sich bringt. Wenn er gestorben ist, ist das Wesentli­che eine Erinne­rung. Wenn er sich rein­karniert, ist das Wesentliche eine Zukunftsvision. Die­se beiden ver­halten sich zueinan­der wie Ur­sache und Wirkung. Alles was der Mensch im letzten Mo­ment des Todes er­lebt, ist die Zusam­menfassung aller vorhergehenden Leben. Diese wer­den im Devachan aus einer Vergangenheitssa­che in eine Zukunftssache umgear­beitet. Die­se beiden Momente können einen wichtigen Fin­gerzeig geben für ganz bestimmte Zusammenhänge in zwei oder mehre­ren aufeinan­derfolgenden In­karnationen.“

Steiner berichtet hier, „bei etwas psychisch veranlagten Kindern kann man manchmal in der frü­hesten Zeit solche Erzählungen hören, solange noch nicht die materialistische Kultur auf die Kin­der gewirkt hat. Ein Vorausschauen des Daseins ist das.“ Von seiner eigenen «psychi­schen Veran­lagung» spricht auch Witzenmann in seiner Autobiographie, und illustriert das in den Eingangska­piteln auch entsprechend. Wie soll so ein hilfloses Kind von wenigen Mona­ten oder Tagen das nun beurtei­len, was in ihm an Erlebnis­sen in allerfrühester Zeit, bei der Geburt so­gar, auf­steigt? Wit­zenmann schreibt dazu in den Lichtmaschen und auf das Deu­tungsproblem hinweisend (S. 15): „Meine Geburt habe ich auf zwei­fache Wei­se wachend ge­träumt. Einmal als ernste Feier, nicht ohne Dro­hung, doch voll der Erlösung, als Herrlichkeit. Davon vermag ich jetzt nicht zu sprechen. Das andere Mal als Gebrest, das sich so lange wie­derholte, bis ich es wenigstens im Empfinden begriff, wonach es zerging. Mit dem deutenden Vorstellen ver­stand ich es freilich erst sehr viel spä­ter.“ Da­nach folgen unter ande­rem allerlei verklärende li­terarische Ge­dankensplitter über die «bleibenden Spuren der menschlichen Ge­burt». Was na­türlich als hypothetische Konklusion zu­nächst einmal alles zu hinterfra­gen wäre, ob das so überhaupt zutrifft, und woran er sein psycholo­gisches Verständnis dessen je­weils fest macht. Nicht nur das der unmittel­baren Geburts­erlebnisse, sondern auch ihre späte­ren Deutungen, die ja nicht aus dem Nichts kom­men, und aus der unmittel­baren Geburtserf­ahrung kön­nen die Deutungen auch nicht kom­men, - wie er selbst sagt. Sondern seinen eige­nen Worten zufolge be­griff er das Erlebte erst viel später.

Philoso­phisch und biographisch interessanter noch scheint mir an dieser Stelle zu sein, daß er sich in je­nem Kapitel faktisch auf die schicksalhaf­te «rei­ne Er­fahrung seiner Ge­burt» beruft, ohne, daß ihm seinen eigenen Wor­ten zu­folge da­mals ein angemesse­ner Deutungsrah­men zur Verfü­gung ge­standen hät­te. Was ja viel Anlass hätte geben können, sich mit der Frage der rei­nen Erfah­rung vor allem des Den­kens in­tensiver ausein­anderzusetzen. Doch ist es so, daß wir mit Witzenmann einen sehr nam­haften Anthroposo­phen vor uns ha­ben, der als em­pirische Il­lustration für die «reine Er­fahrung» regel­mäßig in seinem Schrifttum auf die «Schrecksekund­e» ver­weist, aber nie wie Stei­ner schwerpunkt­mäßig auf das unmit­telbar erleb­te, das «rein er­fahrene» Denken, wo die Sach­lage auch viel angemes­sener und unendlich viel leichter zu über­prüfen wäre. (Siehe zur Schreckskunde und reiner Erfah­rung bei Wit­zenmann u. a. Struktur­phänomenologie, S. 42; Goethes universaläs­thetischer Im­puls, S. 354; aus­führlicher behan­delt hier, S. 213 ff .) Was in dieser Gegen­sätzlichkeit schon erstaunlich ist, weil die rei­ne Erfahrung des Denkens vor allen an­deren eine so fun­damentale Rolle in Steiners Begrün­dungsschriften spielt. Es somit also mehr als kurios ist, wenn Witzen­mann sich zwar auf die prägende reine Erfahrung sei­ner Geburt und auf Schreckse­kunden beruft, aber nie wie Steiner in den Grund­schriften auf das philo­sophische «Schlüs­selerlebnis des rein erfahre­nen Den­kens», das bei Wit­zenmann schlech­terdings nicht zu finden ist. Weder im Rah­men seiner Stei­nerinterpretationen, noch im Rahmen der eigenen Philosophie-Ent­würfe. So daß Witzenm­ann an die Stelle dieser erkenntniswissenschaftli­chen Schlüsse­lerfahrung Steiners schließlich dann in der Strukturphä­nomenologie sein «Erzeugungspro­blem» setzt. Das hin­länglich bekannte Kausali­tätsproblem Kants und Hu­mes, dessen Lösung in Stei­ners Früh­schriften längst gezeichnet war, wie wir nach­folgend noch weiter sehen werden. Aber nur so viel dazu an dieser Stel­le, denn all das wäre im bio­graphischen Kontext um Witzen­mann schon ein länge­res und spannen­des The­ma für sich.

Die Frage wäre auf jeden Fall: Wenn, wie er selbst sagt, der «Deutungs­rahmen fehlt» im Fall der unmittelbaren, reinen Erfahrung der Geburt, was als Erklä­rung noch übrig bleibt, wenn man nicht in der Lage ist, ei­nen Hin­tergrund wie den an­throposophischen zur Verfü­gung zu haben, der sie ver­ständlich ma­chen könnte durch den Reinkar­nationsaspekt oder ande­res, was in die Lebens-Zu­kunft weist. Sind solche Projektio­nen in die Vergangenheit oder Zukunft dann wiederum realis­tisch, oder nur symbolisch zu nehmen? Es gäbe aus anthropo­sophischer Sicht dafür grundsätzlich min­destens zwei mögliche Denkansätze, wenn es sich um vermeintl­iche Er­innerungen handelt. Es könnte etwas Ver­gangenes sein, was dahinter steht, oder auch um die Vorschau auf etwas Künfti­ges. Was im Falle Wit­zenmanns ja auch vorstellb­ar ist, wenn man bedenkt, wie verzweifelt die Fa­milie Witzen­mann sich durch den ersti­ckenden Tunnel der Na­zizeit ringen musste. Wo Witzen­mann wegen Rüstungssa­botage denun­ziert, und ihm die Ent­eignung der Firma und ein mögli­cher mörde­rischer Ein­satz an der Ost­front ins Aus­sicht ge­stellt wurde, wie Klaus Hartmann in der Wit­zenmannbiographie schreibt (sie­he un­ten). Das sind ja absolut tödli­che Bedrohungsszenarien und Vernichtungs­perpektiven, wie sie ähnlich ein Kind durchleben mag, das sich dem Er­sticken nahe durch den engen Geburts­kanal seiner Mut­ter quält. Daß er mit seiner an­throposophischen Wirk­samkeit nicht immer segens­reich agierte, wäre bei Träumen und Zukunftsprojektionen dieser Art ja auch noch zu be­denken. Das alles möchte ich al­lerdings hier nur mehr als Arbeitshypo­these und nebenbei er­wähnen.

Nur hat das Erinnerungs­problem, und darauf kommt es mir an, mit Stei­ners Erkenntnis­theorie und ei­ner erkenntnistheoreti­schen Grundfra­ge nichts zu tun. Sondern das Erin­nerungsproblem ist bei Witzenmann er­kenntnistheoretisch laut seiner Goetheschrift erwachsen aus einem un­verstandenen Beobachtungsbe­griff der Philosophie der Freiheit, der sich mit hermeneuti­schen Mitteln leicht und ohne weiteres klären läßt. Im Rückgriff auch auf Steiners restliche Früh­schriften. Was aber bei Wit­zenmann nie stattgefunden hat. Das Pro­blem dar­an im Falle Wit­zenmanns ist eben, daß er ohne solche Klärungsbemühungen mit diesem un­übersehbaren und biogra­phisch ba­sierten Eigeninteres­se an der Fra­ge der Er­innerung, woher sie immer stammen und letztlich zu bedeuten ha­ben moch­ten, einen fundamenta­len, aber gänz­lich un­verstandenen Teil der Erkenntniswissens­chaft Stei­ners ver­mengte. Und da­mit sein Le­ben lang Steiners Be­gründungswerk in para­doxer und extre­mer Wei­se überformt­e, verunstal­tete, sei­nen eige­nen Er­innerungs-Interessen opferte und da­bei ihrer er­kenntniswissenschaftlichen Sub­stanz beraubte. Indem er sein per­sönliches Erinnerungs­problem fak­tisch zur «erkenntnis­theoretischen Grund­frage» Stei­ners mach­te, - dahinge­hend, «Wie kann Unbeobachtbar­es zur Erinnerung wer­den?» Was eben quä­lende Erinne­rungen eines Men­schen be­treffen mag, der solche hatte wie Witzen­mann, ohne ihren sach­lichen Auslöser zu ken­nen. Und dann so etwas als Grundfrage an die Spitze der Steiner­schen Erkenntnistheo­rie setzt, ohne den Er­kenntnis-Intentionen Stei­ners je­mals gründ­lich nach­zugehen und ihnen nahe zu kom­men, so daß er ihn in den Sachfragen ver­standen hät­te. Er führte ihn in­folge der sinn­freien Überla­gerung von mas­siven Interpretationsi­rrtümern und -zerrbil­dern mit sei­nen erinnerungstheoreti­schen Eigenambition­en voll­kommen ad absur­dum, ge­langte nie zum Be­greifen von Stei­ners erkenntnis­wissenschaftlichen Intention­en und Begrün­dungswegen. Son­dern formte aus sei­nen Mißverständ­nissen heraus, und ver­bunden mit der ho­hen An­teilnahme an der Fra­ge der Erinn­erung eine ei­gene Philos­ophie. Die er zu­dem nicht nur höchst un­angemessen mit der späteren An­throposophie, son­dern auch noch mit der Philoso­phie Hus­serls ver­schnitt, und dann ent­sprechend Strukturphänome­nologie nann­te. Die mit Steiners erkennt­nistheoretischer Pro­grammatik, ihren idealis­tischen Grundla­gen und Grundfra­gen defini­tiv nichts zu tun hat, die ja den wir­kenden (geis­tigen) Kräf­ten der Na­tur im eige­nen Inne­ren nach­geht. Das, was Steiner in den Einleitun­gen zu Goe­thes natur­wissenschaftlichen Schriften (GA-1, Dor­nach 1987, S. 126) «in­duktiven Idea­lismus» nann­te: „Auch die Ideen sind für eine induktive Me­thode er­reichbar." Wobei wiederum zu beach­ten ist, daß schon die eigene Denk­tätigkeit bei Stei­ner in den Grundlini­en, (Kap 8, hier S. 47) als «täti­ger Gedanken­gehalt der Welt» augefaßt wird: „Das eine Mal er­scheint er als Tätigkeit unse­res Bewußtseins, das ande­re Mal als unmittelba­re Er­scheinung ei­ner in sich vollendeten Gesetzmäßigk­eit, ein in sich be­stimmter ideeller In­halt.“ Wo also der empi­risch / indukti­ve er­kenntniswissenschaftliche Ein­gangsschlüssel zu die­sem Kräftever­ständnis die un­mittelbar er­lebte und beobach­tete eige­ne Aktivit­ät des Den­kens ist. Erkenntniswissen­schaftlich von Steiner dargel­egt als erleb­ter Zusam­menhang von Wir­kendem und Bewirktem. Was ja dann in Goe­thes Weltan­schauung von 1897 (S. 70) als «durch­schautes Weltge­schehen» bezeich­net wird. Das, was er be­reits in der Philoso­phie der Frei­heit im Kapitel Drei die «aller­wichtigste Beob­achtung» nannte. Wie es eben bei Stei­ner besond­ers un­missverständlich klar und prägnant schon in den Grundlini­en... von 1886, sowie im Kom­mentar zum Goe­theschen Essay Die Na­tur S. 6 der Kürschnerausgabe von 1887, dar­über hin­aus im zwei­ten Kapitel der Phi­losophie der Frei­heit, so­wie in der Schrift Goe­thes Weltanschau­ung im Kapitel Die Me­tamorphose der Welterschei­nungen zuta­ge tritt. Vom gro­ßen Rest seines Frühwerkes gar nicht wei­ter zu re­den. Wo es letztlich in der späteren anthro­posophischen For­schung etwa darum geht, anhand der Beobachtung der eigen­en Denkaktivi­tät zur Be­obachtung wirkender unabhängiger und lebend­iger Geist­kräfte zu ge­langen, wie es Steiner in GA-35, S. 269 ff darlegt. - Daß dies von der un­mittelbar erleb­ten ei­genen Denkakti­vität bei Steiner sei­nen Aus­gang nahm, dem erleb­ten Zu­sammenhang von Wirkendem und Bewirk­tem, das alles ist Witzenm­ann nie klar gewor­den. Sondern das alles wirft er aus Stei­ners Erkenntnis­wissenschaft hin­aus und setzt an dessen Stel­le sein eigenes Erinnerungsanlie­gen in­klusive «Erzeugungs­problem» und «Pa­radoxie der Selbstgebung», was mit Steiners In­tentionen und Be­gründungen de­finitiv nichts zu tun hat, son­dern weit jenseits des­sen liegt und im vollendet­en Gegensatz dazu. So daß mit Witzen­manns Strukturphänomen­ologie dann fak­tisch auf der Grundlage von Irrtüm­ern, Fehlinterpretation­en und mas­siver Fahrlässig­keit der For­schung der Ruin von Stei­ners Anlie­gen besie­gelt wird. Von Witzen­manns Anhäng­ern und Sie­gelbewahrern wi­der jede Ver­nunft und ohne jeden prü­fenden Ver­gleich mit Steiners eige­nem Werk enthusias­tisch behütet, be­sungen und kulti­viert. Und als «neues Evangelium der An­throposophie» inzwi­schen in englischer Spra­che in alle Welt hinaus po­saunt. Siehe nach­folgend.

Witzenmanns Schü­ler fol­gen insofern jetzt erkennt­nistheoretisch, - et­was sarkas­tisch über­zeichnet, - nicht Steiners indukti­vem Idea­lismus ei­nes Goetheanisten, und seiner «allerwich­tigsten Beobach­tung, die der Mensch machen kann», sondern Witzenmanns Erinnerungsalb­träumen aus frühester Kindheit, die er infolge seiner Missverständnisse zur abstrusen «er­kenntnistheoretischen Grundfrage» nobili­tiert hat «Wie Unbeobachtbares zur Erinnerung wer­den kann?» (Goethes universalästhetischer Impuls, S. 356, S. 386, S. 397), und dem daraus er­wachsenen philosophischen Konzept der Strukturphänomenologie. Ei­nem Verschnitt von gründ­lich miss­verstandener, zusammengerührter Steiner­scher Erkennt­nistheorie und Anthro­posophie mit den Erinnerungs­fragen und Alb­träumen, quel­lend aus Wit­zenmanns frühes­ter Kind­heit. Sowie Hus­serlschen Philo­sophemen, die mit Steiner nicht zur Deckung zu bringen sind, da sich Husserl, an­ders als Steiner, für wir­kende Kräfte und die Geist-Natur im Inneren des Menschen nie interessier­te.

Diesem verworrenen Verschnitt fol­gen jetzt Wit­zenmanns Schü­ler, an­statt den nüch­tern dar­gelegten geistig-welter­kennenden und an­throposophischen In­tentionen Stei­ners, die er als sys­tematisches For­schungsanliegen unver­kennbar über sämtliche Früh­schriften hinweg vorgelegt hat. Die sich dort auch leicht auffin­den las­sen, so­bald man nur einiger­massen gründ­lich liest. Wäh­rend uns Her­bert Wit­zenmann in sei­nem Buch über Goethes universalästhetischen Im­puls ab S. 334 irgend einen Hokus­pokus erzählt von der «erkenntniswissen­schaftlichen Fun­damentalbedeutung der Erinnerungskun­de.» Was zwar mit Wit­zenmanns kindli­chen Albträu­men viel zu tun haben mag, aber mit Stei­ners Erkenntniswissens­chaft und Zielen definitiv nichts. Genau­er: gerade so viel, daß voll­kommen un­verstandene Gedan­kengänge Steiners von Witzen­mann be­nutzt wur­den, um sei­ne seit frühester Kind­heit vorhan­denen Erinnerungsfra­gen und -fesseln zum erkenntnistheoreti­schen Hauptanlie­gen der anthro­posophischen Grund­lagen Steiners zu ma­chen, von denen er nichts begriff. Was man wohl auch als philo­sophische Ka­perfahrt be­zeichnen kann. Oder wenn man nicht ganz so grob sein möchte, als ei­nen philo­sophischen Eklektizismus von un­verstandenen Philosophemen im Dienste ei­nes Eigeninteres­ses. Thomas Kuhn würde viel­leicht dazu sagen, daß hier inkom­mensurable Theorieteile mit einan­der verwoben wurden, die sach­lich und logisch zwangsläu­fig mit­einander kollidieren müs­sen und auf lauter Widersprü­che führen. So ist es bei Witzen­mann auch.

Man muß sich nur klar machen, was es bedeutet, wenn Rudolf Stei­ner 1921 im Rückblick auf sei­ne Philosophie der Freiheit erläutert, «aus dem vollen Erleben der Aktivität des Denkens» seien die Worte ge­schrieben, „Im Denken haben wir das Weltgeschehen selber an einem Zip­fel erfaßt!“ (GA-78,Dornach 1968, [1986] S. 41 f. Vortrag vom 30. August 1921). Eine Tatsa­che, die ja be­reits im Rückblick der Erstaufla­ge der Grundlinienim Kapitel 15, S. 56 phi­losophisch ausge­sprochen wurde in den Worten: „Wir erinnern uns, warum eigentlich das Denken in unmittelba­rer Erfahrung bereits sein Wesen enthält. Weil wir inner­halb, nicht au­ßerhalb je­nes Prozesses stehen, der aus den einzelnen Ge­dankenelementen Gedankenverbin­dungen schafft. Dadurch ist uns nicht allein der vollendete Pro­zeß, das Bewirkte gegeben, son­dern das Wir­kende.“ Die von Steiner im Vortrag von 1921 vetretene Auffassung hat dem­nach Bestand im veröffentlichten Frühwerk seit mindestens 1886. Geht aber noch viel weiter zurück. Nämlich bis mindestens zu Steiners Fichterezeption am Beginn seiner Wiener Studi­enzeit 1882, als er damit begann «Fichte umzuschreiben». (Siehe weiter unten.)

Man muß sich vor diesem Hintergrund wirklich ein­dringlich verdeutlichen, was es bedeu­tet, wenn dann Her­bert Witzen­mann an die Stelle Stei­ners seine eigen­e «er­kenntnistheoretische Grund­fage» setzt. Dahingehend, «Wie kann Unbe­obachtbares zur Erin­nerung wer­den?» (Goe­thes universalästhetischer Impuls, Dornach 1987, S. 356, S. 386, S.397 und öfter). - Der Ge­gensatz und die damit wie an einer Litfaßsäule pla­katierte Verständnislos­igkeit Witzen­manns könnte krasser kaum ausfallen. Witzenmann hat nachweislich niemals begriffen, was Steiner mit der Beobachtung / Erkenntnis des Denkens überhaupt meinte. Setzt demgemäß an die Stelle Steiners eine eigene abstruse «erkenntnistheoretische Grundfrage», «Wie Unbeobacht­bares zur Erinnerung werden kann?». Wo schon im sprachlichen Ausdruck die verständnislo­se Genese seines Elaborats eingepreist ist. Was nachfolgend bis in die späte Strukturphäno­menologie von 1983 bei Wit­zenmann Bestand hat, und als Sammelsurium von konzen­triertem Unverstand dort unter dem Terminus «Grundstruktur», «Erzeu­gungsproblem» und «entschei­dende Schwierigkeit» als «neues wissenschaftstheoretisches Konzept» vorgelegt wird, dem jetzt Witzenmanns blinde Anhänger zu Füßen liegen, und diesen zerstörerischen Nonsens auch noch mit großem Einsatz in der ganzen Welt verbreiten.

Witzenmann hat also aus seinem eigenen Unverstand ein philosophisches Konzept gemacht, dem seine Anhänger bis heute kritiklos folgen. Was eigent­lich bei diesen Anhängern nur Er­folg haben kann, wenn genü­gend einfältige und inter­esselos / opportunistische Hel­fer da sind, die so eine ah­nungslose Persön­lichkeit nebst ihren abstrusen Exegesen nach oben schieben, zum Leitin­terpreten für Stei­ners Werk verklä­ren, und das in ih­rer abge­schotteten Echokam­mer jahrzehn­telang auch entsprec­hend bis heute kultivie­ren. Bis hin zur Be­hauptung, Witzen­mann sei die Be­schäftigung mit der Phi­losophie «von Stei­ner per­sönlich an­geraten» wor­den. Letzteres völ­lig frei er­funden, während in Wirk­lichkeit und zur Ent­täuschung Wit­zenmanns das ge­naue Gegen­teil der Fall war, wenn man Wit­zenmanns eige­ne Dar­stellung dazu liest. (Siehe Witzen­manns Au­tobiographie Lichtmaschen, S. 89 ff, sowie die Witzen­mannbiographie von Klaus Hartmann, Bd 1, S. 65 ff.)

Witzenmanns Strukturphänomenologie und die gepflegte Unkenntnis über ihre kontradiktorische gedankliche Verbindung zu Steiners Erkenntniswissenschaft

In­zwischen gibt es, wie seit Jahren bereits angekündigt, Witzen­manns abstruses Rezeptionsre­sultat «Strukturphä­nomenologie» unter dem Titel Structure Phenomeno­logy in der Überset­zung von Johannes Wa­gemann auch auf Englisch. Als Er­scheinungsdatum wird der 22. Sep­tember 2022 genannt. Als PdF hier zu bekommen. Lesenswert ist vor allem die relativ lange Einlei­tung respektive Ein­führung Wagemanns (S. VIII ff) - die wenig preis gibt vom Verhält­nis Wit­zenmanns zu Stei­ner. Die uns aller­lei berichtet, was Witzenmann mit Husserl zu tun hatte und mit Brenta­no. Nur was er mit Steiner selbst zu tun hatte, wo er ihn vollkommen ver­fehlte, und welches Hauptin­teresse im Kontrast dazu der innere Na­turwissenschaftler Steiner auf welchem Wege ver­folgt hat, dar­über hört man erwartungsgemäß fast nichts.

Es existiert bei den Vertretern Witzen­manns bislang keinerlei ernst zu nehmende Vergleichs­basis, um Steiners erkenntniswissen­schaftliche Positionen mit dem abzustimmen, was Wit­zenmann als angeblicher Vetreter von Steiners Erkenntniswissenschaft daraus geformt hat. Sie wis­sen es schlichtweg nicht. Unabhängig davon, ob sie zum inneren Kern einer glühen­den Anhängerschaft Witzenmanns gehören, oder sich lediglich als Seilschafter an diese drange­hängt haben, und für Witzenmann aus opportunistischem Eigeninteresse die Trommel rühren. Um die Wahrheit und um Steinerverständnis geht es in all diesen Fällen nicht. Wäre es näm­lich so, dann hätten sie den Beweis dafür längst anhand einer seriösen Steinerforschung nebst kontrastierendem Vergleich mit Witzenmann geliefert, denn Zeit gab es dafür in den zurück­liegenden fünf Jahrzehnten wahrlich genug. Dem jedoch ist nicht so: Diese Grundlagenforschung steht nicht auf ihrer Agenda, sondern davon sind sie inzwischen meilenweit entfernt.

Sie wissen alle­samt über das Verhältnis Witzenmanns zu Steiner nichts Belastbares, ob­wohl es die unerläss­liche Vorausset­zung nicht nur für eine seriö­se Stei­nervertretung durch Witzenmanns Steiner­deutungen wäre, sondern vor allem für eine legi­time und sachlich be­rechtigte Übersetzungs­förderung. Wo diese sachliche Be­rechtigung nur auf einem geklär­ten Verhältnis zwischen Witzen­mann und Steiner basieren kann. Dazu nämlich müssten sie Stei­ners philosophisch-na­turforschende und frühe idealisti­sche Programma­tik erst ein­mal selbst in Augen­schein neh­men, um einen soli­den Vergleich mit dem anzu­stellen, was davon bei Her­bert Wit­zenmann über­haupt hängen geblie­ben ist, und was die­ser dann gegebe­nenfalls daraus ge­macht hat. Wo aber statt des­sen Wage­mann (auf S. L f) lediglich mit dem Fazit und der Absichtser­klärung aufwar­tet:Ho­wever, a compre­hensive compari­son of Wit­zenmann’s ap­proach with Stei­ner would go beyond the scope of this introducti­on and hence remains one of the re­search desid­erata of the fu­ture.“ - Auf deutsch: „Ein umfassen­der Ver­gleich des Ansat­zes von Wit­zenmann und Stei­ner wür­de jedoch den Rahmen die­ser Ein­führung sprengen und bleibt da­her ein For­schungsdesiderat für die Zukunft.“

So ein Ver­gleich sprengt nicht nur im vorlie­genden Fall den Rahmen seiner Einführung, son­dern ist bei den Witzen­mannanhängern auch sonst nirgend­wo ernsthaft vorhanden und nicht ernsthaft in Sicht. War auch nie ernsthaft beab­sichtigt. Das seit inzwischen mehr als einem halben Jahrhun­dert. Aufklärung darüber bleibt für den Witzenmann­vertreter Wa­gemann auch nicht mehr als ein Forschungsd­esiderat für die laue Zu­kunft. Null Ver­ständnis, hohle Töne und leere Sonn­tagsversprechungen al­lenthalben bei den Wit­zenmannvertretern mit ihrem hoch dubiosen Konkur­renzunternehmen zu Steiners Anthroposophie! Nichts anderes ist es. Nichts anderes als lediglich einen abstru­sen weltan­schaulichen knock-out-Ri­valen zur An­throposophie innerhalb der an­throposophischen Bewe­gung prä­sentieren Wit­zenmanns Anhän­ger bislang. Et­was an­deres ist derzeit auch gar nicht in Sicht­weite, sondern es wird in einer akademi­schen Floskel nur vage dahin­gehend an­gedeutet, daß es viel­leicht auch noch et­was mehr werden könnte. - Nichts als unver­bindliche Akademi­ker-Phrasen. Flankierende Ankün­digungen ohne jede Einlösungsga­rantie, wie sie auch in der Politik gebräuchlich sind.

Alles wieder ein­mal auf den St. Nim­merleinstag ausgela­gert, als gäbe es dafür Zeit ohne Ende. Die For­schungsprioritäten sind hier ordentlich ge­gliedert. Wie in Wagemanns Witzen­mann-Dissertation schon. Oder klar ge­sagt: Es besteht auf dieser Seite keinerlei Interesse an ernst­zunehmender Steiner­forschung, die Witzenmanns Verhältnis zu Steiner, spe­ziell auch im Zu­sammenhang mit der behandelten Schrift, Strukturphänome­nologie gründlich klärt. Son­dern der Status der Dunkelh­eit, der al­lein bei dieser Schrift inzwi­schen schon seit annähernd 40 Jah­ren be­steht, bleibt be­wußt erhalten. Wie aber will man so etwas allen Ernstes einem an­throposophischen Pu­blikum glaubwürdig präsentie­ren? Und vor sol­chen Hinter­gründen die von den An­throposophen «großzügig» geförder­te Über­setzung einer Schrift rechtfertigen, von der selbst ihre energi­schen Ver­fechter aus den anthroposo­phischen Reihen nicht einmal wis­sen, was sie mit Steiner überhaupt zu tun hat? Wo die Überset­zer, wie Wagemann frei­mütig be­kennt, in manchen Fäl­len nicht einmal wissen, was in die­ser Schrift Wit­zenmanns über­haupt drin steht.

Derartige Ver­haltensparadoxien mag ver­stehen wer will: In ganz unsinniger und auf­wändiger Weise als angeblicher «An­throposoph» eine «Bibel» der Witzenmannge­meinde in fremde Spra­chen überset­zen (lassen), von der niemand weiß was sie mit der An­throposophie und Steiners eigenen Grundlagen ei­gentlich zu schaf­fen hat!? Und wo man noch nicht einmal ge­nau weiß, was dar­in steht. Ge­linde gesagt ist das nicht nur ein unüberseh­barer Fall von kogni­tiver Dissonanz und hochgradigem Wirklichkeitsverlust, sondern auch von fort­geschrittener und destrukti­ver anthroposo­phischer Dekadenz, wie man sie al­lenthalben jetzt auch auf allen ande­ren Fel­dern des kultu­rellen und sozialen Lebens feststellen kann. - Cancel Culture / geis­tige Substanzzerstörung auch inner­halb der anthroposo­phischen Bewegung. Das seit Jahr­zehnten schon.

Wenn man sich nun Wagemanns Erläuterungen zu Witzenmanns Struk­turphänomenologie ab S. 9 (1.2 The Basic Structure in the Light of Ru­dolf Steiner’s Epistemology) ansieht, dann wird man sehr schnell bemer­ken daß von Steiners Begriff der «reinen Erfahrung des Den­kens» eben­so wenig zu hören ist wie bei Witzenmann schon. Obwohl Steiner auf diesem Be­griff und der dadurch zum Ausdruck gebrachten Tatsache auf­baut, wie jeder Leser wissen sollte, der Steiners Grundlinienschon einmal gelesen hat. Also nicht nur auf der «reinen Sinneserfah­rung», sondern vornehmlich und in entscheidendem Maße doch auf dem der rei­nen Erfahrung des Denkens. Dieser Unterschied wird bei Wage­mann weder thematisiert, noch etwa in ihren Konsequenzen weiter ver­folgt.

Ob­wohl Wagemann hier Witzenmanns soge­nannte Grundstruk­tur an­geblich im «Lichte der Steiner­schen Erkenntniswissenschaft» be­trachtet. In ei­nem Lichte allerdings, das bei Wagemann gar nicht leuchtet. Sondern wo die für Steiner entschei­denden Kompo­nenten – näm­lich der erlebte Zusammen­hang von Wirkendem und Be­wirktem, der sich bereits in Steiners Grundlinienvon 1886 fin­detaus­nahmslos weggelassen sind. Von «Licht» kann man da also schlecht reden. Eher doch von «Finsternis», die Wagemann dort über seinem Leser ausgießt. Denn alles das bleibt uner­wähnt und wird ge­strichen, was für Steiners Erkenntnis­theorie zwecks Welterkenntn­is ab­solut un­erläßlich und fundamental ist.

Was nicht nur die «rei­ne Erfah­rung» des Den­kens betrifft, sondern ebenso den von Steiner in diesem Zusam­menhang der Grundlinienzum Ausdruck gebrachten «er­lebten Zusammen­hang von Wir­kendem und Be­wirktem» beim rein er­fahrenen Denken. Was dann, - man höre und staune, - bei Wit­zenmann resultie­rend aus sei­nen folgenreichen Auslassungen in der Strukturphänomenologie als «entschei­dende Schwierig­keit» daher­kommt, (in der Überset­zung: The Cru­cial Difficul­ty. The Problem of Generati­on), ohne Stei­ners dies­bezügliche Aus­führungen je­mals gewür­digt zu haben. Das übrigens seit 1948 schon bei Wit­zenmann. Mit an­deren Wor­ten: Exakt an die Stel­le von Stei­ners er­lebtem Zusammen­hang von Wirken­dem und Be­wirktem im Denken und Erkennen pfahlt Witzen­mann sei­ne «entscheiden­de Schwierig­keit»! Es ist genau jenes Kausalitätsprob­lem, für das er von Stei­ner in sämtli­chen Frühschrif­ten die Lö­sung prä­sentiert be­kommt, ohne sie je­mals auch nur zu er­wähnen, ge­schweige denn sie zu begreifen und entsprechend zu re­spektieren. Der Anhang Witzenmanns, in diesem Fall Wagemann, bemerkt das freilich nicht, was er da vorliegen hat. Aus einem leicht nachvollziehbaren Grund: Es interessiert ihn gar nicht und hat ihn auch noch nie ernsthaft interessiert, wie eigentlich diese Angelegenheit bei Steiner behandelt wird. - Steinerforschung nahe Null.

Witzenmanns soge­nannte «Grundstruktur» mit ihrem angeblichen «Erzeugungsproblem» und der «entscheidenden Schwierigkeit» existiert allerdings weder als Terminus noch als erkennt­niswissenschaftliche Tatsache bei Stei­ner. Weit entfernt davon: Vielmehr ist sie der erkennt­niswissenschaftliche Gegenpol zu Steiner. Und steht in­folgedessen nur exemplarisch für Wit­zenmanns Zerstörung der erkenntniswis­senschaftlichen Grundlagen Steiners. Aus lauter Un­verstand und Gleichgül­tigkeit. Daran nun fes­selt sich seit annähernd 40 Jahren der akademi­sche Anhang Witzen­manns mit seinem Halo von ver­ständnislosen akade­mischen Mitläufern und Seilschafts-Op­portunisten, welche diesen Widersinn Wit­zenmanns mit ei­nem riesigen Aufwand an Zeit- und Geldverschwendung jetzt auch noch ins Englische übertragen lassen.

Darin vor allem liegt die ganze Tragik und der Widersinn dieses Irrwe­ges: Wo Steiner das Kausa­litätsproblem löst und die idealistischen Wege zur empirischen Geisterkenntnis über das erlebte aktive Denken eta­bliert, da wird von Witzen­mann (und seinem An­hang) infolge ihrer Mißverständnisse und Aufklärungsunwilligkeit das Problem jetzt erst richtig instal­liert und mit ganz großem Tatam in der ganzen Welt verbreitet. Der empirische Weg zum Geist wird damit so gründlich blockiert, als sei das überhaupt ihr eigentliches Ziel des ganzen Manövers. Der Über­setzer Wage­mann in­dessen weiß scheinbar nichts von all­edem. Keinen Schimmer von dieser Lage. Woher auch? - Wie gesagt: Kei­nerlei Licht vorhanden bei seinem Beleuch­tungsversuch. Eine siebzigjährige Totalblocka­de oder Voll­bremsung in lau­fender Fahrt gewis­sermassen we­gen Witzen­manns Studienblack­out, seit ge­nau genom­men 1948. Denn so lange min­destens geht das bei Wit­zenmann schon in dessen Publikatio­nen. Dar­über wieder­um zer­martern sich seine Anhänger seit rund vier Jahr­zehnten einschließl­ich Wage­mann das Hirn, eben­falls ohne je­mals einen klären­den Blick in Steiners eigen­es Werk zu werfen, wir wir es soeben wieder von Wage­mann zu hö­ren beka­men, der das irgendw­ann für die Zukunft viel­leicht ein­mal in Aus­sicht stellt.

An­throposophische Realsatir­e wie­der einmal. Man möchte sich biegen vor La­chen, wenn`s nicht so gruse­lig wäre. Womit man auch diese Kommentar­e der «Aufklä­rung» von Wage­mann schon wie­der schließen könnte. Was insofern eben bemer­kenswert ist, als das Folgeka­pitel 2 auf S. 17 ff bei Wage­mann beti­telt ist: The Crucial Diffi­culty. The Pro­blem of Genera­tion. Und wenn wir das ins Deutsche übertra­gen, dann be­deutet das wie bei Witzen­manns deut­scher Strukturphänomenolog­ie schon: Die entschei­dende Schwierig­keit. Das Problem der Erzeu­gung. Man kann gleichran­gig sa­gen: «Das Pro­blem der Kausa­lität.» «Das Pro­blem der Verur­sachung». Oder wenn wir uns an Ru­dolf Steiner selbst halten: «Das Pro­blem des Zu­sammenhangs von Wir­kendem und Be­wirktem.» Eine Spur, auf der Wage­mann noch nie ei­nen Milli­meter mit dem Stei­nerverständnis vor­an ge­kommen ist, und auch nur rein rhetorisch für die Zu­kunft in Aus­sicht stellt, sich über­haupt und vielleicht dereinst einmal da­mit beschäf­tigen zu wol­len. - Ganz großes Grusel­theater wieder ein­mal auf der Witzen­mann-Bühne auf­geführt.

Witzenmann und seinem Schü­ler ist dieses Problem von Wirkendem und Bewirktem und sei­ne Lö­sung bei Steiner offen­sichtlich noch nie begeg­net, ob­wohl es sich ebenfalls schon in Stei­ners Grundlinienbe­handelt fin­det. Und nicht nur dort. Und das nicht zu knapp. Hoch be­deutsam ist da­bei auch, daß Steiner gleich nach dem Kant-Kapitel 14 in den Grund­linienvon 1886 im Rückblick auf die zu­rückliegenden Partien seiner Schrift auf S. 86 das Resümee zieht: „Wir erin­nern uns, warum eigent­lich das Denken in un­mittelbarer Er­fahrung bereits sein Wesen enthält. Weil wir inner­halb, nicht außerhalb jenes Prozesses ste­hen, der aus den einzel­nen Gedankenele­menten Ge­dankenverbindungen schafft. Dadurch ist uns nicht allein der voll­endete Pro­zeß, das Be­wirkte gege­ben, son­dern das Wir­kende." Das erstreckt sich sachlich mit immer gleichem Resul­tat durch sämtliche Frühschrif­ten Stei­ners bis hin zu Goe­thes Welt­anschauung von 1897, wie wir schon dar­getan haben. Von all dem, daß der Zusamm­enhang von Wir­kendem und Bewirktem im rein erfahrenen Den­ken bereits vorliegt, und das bei Stei­ner seit 1886, ist aber weder bei Witzen­mann jemals ein Wort erklun­gen, noch wird dieser As­pekt von Wa­gemann be­leuchtet. Sondern die­ser schreibt über Steiners diesbezüg­liche Auffas­sung nichts, sondern be­merkt lediglich auf S. 21: „The ques­tion of the relationship between process and result is ancient. It has been part of a di­ligent and veracious endeavor since this en­deavor freed itself from lethargic and timid acquies­cence and took up the questions of being and becoming. The pro­blems of duration on the one hand, and co­ming to be and pas­sing away on the other are of general scientific inte­rest. It would gre­atly ex­ceed the scope of this trea­tise to explore them in their many ramificat­ions. ... Rat­her, wi­thin the confines of the inquiry un­dertaken here, the question of generation and emergence shall be pur­sued in the interconnectio­n of the formation of structure, observation, and objec­tivity. It will become apparent that this particular observation will shed light on a much larger area.“ - Auf deutsch sinn­gemäß: «Die Frage nach dem Ver­hältnis von Prozess und Ergebnis [Wirken­dem und Bewirktem, MM] ist uralt. Sie ist Teil eines emsigen und gewissen­haften Bemühens, seit sich die­ses Bemühen aus der lethargi­schen und ängstli­chen Duldung be­freit und die Fra­gen des Seins und des Werdens aufge­griffen hat. Die Proble­me der Dauer auf der einen Seite und des Wer­dens und Vergehens auf der anderen Seite sind von allge­meinem wissenschaftlic­hen Interes­se. Es würde den Rah­men die­ser Abhandlung bei weitem sprengen, sie in ihren zahlreichen Verästelungen zu erfor­schen. ... Vielmehr soll im Rah­men der hier unternommen­en Untersu­chung die Frage der Entsteh­ung und des Entste­hens in der Verbindung von Struk­turbildung, Beob­achtung und Objekti­vität verfolgt werden. Es wird sich zeigen, dass die­se spezielle Beob­achtung ein viel größeres Ge­biet beleuchten wird.» -

Nur leeres Gerede und akademische Schaumschlägerei bei einem Vertret­er Witzenmanns und an­geblich auch Steiners. Wenn man nun ver­ständlicherweise das Pro­blem nicht in sämt­lichen Veräs­telungen ver­folgen kann, so wäre es doch gerade in diesem Kommentar-Zusammen­hang außeror­dentlich hilfreich gewesen, sich we­nigstens Rudolf Steiner dazu einmal anzuhören, wo es von An­beginn an thematisiert und auch positiv beantwortet wurde. Nämlich bereits in den Grundlinienvon 1886. Wo es ja im Kapitel 14 sogar mit Blick auf Kant noch einmal aus­drücklich kausalitäts­philosophisch akzentuiert ist. Bei Witzenmann und sei­nem Schüler herrscht da gähnende Leere. Tabu­la rasa. Die ganz basa­len, ein­fachsten und al­lerwichtigsten Sach­verhalte in Steiners Schrift­tum wur­den von beiden vollständig ignoriert. Es gibt also gar kein «Licht der Steinerschen Er­kenntnistheorie», mit dem Wagemann im ge­nannten Ka­pitel The Basic Structure in the Light of Ru­dolf Stei­ner’s Epistemology Witzenmanns Strukturphä­nomenologie beleuchtet. Son­dern da herrscht weitgehende Finsternis. Allertiefste Finsternis spe­ziell in der Frage des erlebten Zusam­menhangs von Wir­kendem und Bewirk­tem.

Wenn man die Angelegenheit etwas analyti­scher betrachtet, dann läßt sich auch leicht erken­nen, warum das so ist. Es ist Witzenmann in all diesen Jahren nie gelungen das Beobachtungsp­roblem des Denkens zu lösen und Steiners diesbezügliche Gedankengänge zu verste­hen, so daß er wie Steiner zwischen der reinen Erfah­rung und der erkennenden Beobacht­ung des Denkens unterschei­den könnte. Was ja durchgängig bei Steiners frühem Schrifttum der Fall ist. Die Fol­ge dieses Un­terscheidungsmangels ist ein «Erzeugungspro­blem» bei Witzen­mann, weil er zwangsläufig auf den «erlebten Zusammenhang von Wirken­dem und Bewirkt­em» nicht mehr stößt, von dem fortwäh­rend in Steiners grundle­genden Schriften die Rede ist. Und mit diesem seit 1948 anhal­tenden Ver­ständnisblackout Witzen­manns war dann auch Ende der Vor­stellung in seiner Strukturphänome­nologie der 1980er Jahre. Und ist es bei sei­nem Schüler Wage­mann heute (2022), fast 40 Jahre nach der Struktur­phänomenologie noch ganz genau so. Das darf man wohl mit Blick auf das Kern­anliegen Steiners einen nachhaltig­en Grad an verblin­dender Wirk­samkeit Witzenm­anns bei ei­nem in anthroposophischen Krei­sen in­zwischen nam­haften Akademiker der Alanus­hochschule nen­nen. So daß man bei Wagem­anns Übersetzung auch gut von einer «Doppelblind­studie» spre­chen könn­te: Der Übersetzer und Kommenta­tor weiß nichts über Steiners komplemen­tärwissenschaftliches Kernan­liegen, des­sen al­lerwichtigste Be­obachtung und den erlebten Zusam­menhang von Wirkend­em und Bewirktem, und der Übersetzte wußte ebenso we­nig dar­über.

Man kann sich weiter dazu anhören, was Wagemann auf S. 18 mit Wit­zenmann sagt: Self-gi­ving. Temporalization. Depresentification. (Sinn­gemäß auf deutsch) „Selbstgebung. Temporal­isierung. Entgegen­setzung. ... Wer den generativen Charakter der Grund­struktur kennt, ist sich eines Pro­blems bewußt, das sich auch im Hin­blick auf das Denken, also die Begriffsbil­dung, stellt. Das Her­vorgebrachte (sei es die Grund­struktur oder das Denken selbst) kann erst dann als solches beob­achtet werden, wenn es hervorgebracht wurde. Mit die­ser scheinbar harmlosen Prämis­se sind er­hebliche Schwierigkeiten ver­bunden, die tiefgreifende und weit­reichende Un­tersuchungen auslö­sen können.“ Das ist nun O-Ton Wit­zenmann. - Frage: Wo bleibt da Stei­ners reine Erfahrung des Denkens? Und noch einmal: Wo bleibt Steiners erlebter Zusammen­hang von Wir­kendem und Be­wirktem in der reinen Erfahrung des Denkens?

Wie gesagt ist das Witzenmanns Sicht der Dinge, die dort dargelegt wird. Der dabei ganz überse­hen hat, daß das Denken eben nicht nur beob­achtet, sondern auch unmittelbar er­fahren wird, und infolge seiner Nachlässigkeit lediglich auf dem Begriff der «Beobach­tung» aufbaut. Dabei zwangs­läufig übersieht, daß bei Steiner Wirkendes und Bewirktes bereits in ihrem Zusammenh­ang bei der unmittelbar er­lebten Erfahrung des Den­kens vorliegen. Und auch dann noch, wenn vergan­genes Den­ken beob­achtet wird. Weil er nämlich den mit dem Denken we­sensgleichen, begreifen­den Beobach­tungsprozess eben­falls unmit­telbar als reine Erfahr­ung er­lebt: „Wenn ich aber mein Denken betrachte, so ist kein sol­ches unberücksichtigtes Element vorhanden. Denn was jetzt im Hinter­grunde schwebt, ist selbst wieder nur das Denken. Der beobachtete Ge­genstand ist qualitativ derselbe wie die Tätigkeit, die sich auf ihn richtet. Und das ist wieder eine charakteristische Eigen­tümlichkeit des Denkens. Wenn wir es zum Betracht­ungsobjekt machen, sehen wir uns nicht ge­zwungen, dies mit Hilfe eines Qualitativ-Verschiedenen zu tun, sondern wir können in demselben Element verbleiben.“ (GA-4, Kap. III, hier S. 30.) Anders gesagt, wenn der Erkennende sein eige­nes Denken erken­nend betrach­tet, dann hat er es selbstverständlich ebenfalls mit ei­nem erlebt­en Zusam­menhang von Wir­kendem und Bewirktem zu tun: Der eige­nen unmittel­bar erlebten erkenn­enden Denkaktivität, den in der Folge dieser erkennenden Aktivität sich ergebenden Erkenntnisres­ultate, und jenen Erfahrun­gen des Denkens, die er in Erkenntnisabsicht den­kend be­trachtet. Oder wie es in der Philoso­phie der Freiheit (eingangs Kap. IX) dazu heißt: weil Wahrnehmung und Be­griff dort zusamm­en fal­len. „Im Betrachten des Denkens selbst fallen in eines zu­sammen, was sonst im­mer getrennt auf­treten muß: Be­griff und Wahr­nehmung.“

Wäh­rend bei Witzenmann nur vergangenes Den­ken «beob­achtet» wird, und die dabei erlebte (wahrgenommene) Gegen­wart der eigenen erken­nenden Denk­tätigkeit / Beobachtungstätig­keit aus­geblendet bleibt. Das «Wirkende» folglich nie erreicht wird. Woraus Witzenmann dann sein «Erzeugungs­problem» konstruierte. Wo­mit er in der üblichen irrealen Hypothesenphilosop­hie ste­cken blieb, die «an die Sache nie heran­kommt», wie Stei­ner im Ka­pitel 14 der Grund­linienge­genüber Kant kritisch darlegte. Witzenmann (und sei­nen Schü­lern) geht es mit Witzen­manns «Er­zeugungsproblem» ganz ge­nau so wie Kant. Das, um es noch einmal her­auszustreichen, unverän­dert seit mindestens 1948. Da Witzen­mann zu­dem die akademisch ori­entierten Anthroposo­phen mit seiner Sichtweise in besonderer Weise und mit Vorrang an­sprach, sind inzwi­schen ganze Ge­nerationen von akademisch gebildeten An­throposophen in dieser Weise verblindet und daran ge­hindert worden, die maßgebli­chen Ge­dankengänge Stei­ners überhaupt zu verstehen. Dies umso mehr, je weniger sie sich um das Studium von Stei­ners eigenen Begründungs­schriften küm­merten, da sie ja die bereits vorgefer­tigte «Alternativ­e» Wit­zenmann zur Hand hatten, die ihnen alles Den­ken und ei­gene Untersuc­hen von Stei­ners Begründungen abnahm. So daß sie sich Jahr­zehnte lang um Steiners eigenes Begrün­dungswerk und dessen Ver­hältnis zu Witzenmann nie kümmerten, und das überhaupt erst für die Zu­kunft vage in Aussicht stellen, wie wir von Wagemann hörten. Wie ge­sagt: ein einziga­rtiges Desaster in der an­throposophischen Bewe­gung, das inzwi­schen seit annä­hernd siebzig Jah­ren anhält. - Da­mit wie­derum könnte man die erkenntnistheo­retische Akte «Wit­zenmann» und dessen Verhält­nis zur Erkenntniswissens­chaft Stei­ners ei­gentlich schlie­ßen. Denn sein Über­setzer und Kommen­tator Wa­gemann registriert Steiners entschei­dende Differenz zu Wit­zenmann in diesem Punkt eben­falls nicht. Be­merkt nicht Steiners Lösungs­weg zum Kausalitäts­problem, das sich in sämtli­chen Frühschriften Stei­ners leicht finden läßt. Das Problem von Wir­kendem und Bewirktem, das Grund­problem Kants und Humes; eine Pro­blemstellung, die sich wie ge­sagt, durch sämtliche Frühschriften Stei­ners erstreckt, und dort auf dem Wege der Akt-Psycho­logie ganz an­ders beant­wortet wird als bei Wit­zenmann oder Kant, wird in der Lö­sungs-Variante Stei­ners schlicht und ergrei­fend von Wa­gemann und Witzen­mann nicht behand­elt. Unter sol­chen Um­ständen ist leicht zu ver­stehen, daß Steiners «allerwichtigste Be­obachtung, die der Mensch ma­chen kann», schlußendlich bei Witzen­mann aus schierer Igno­ranz und Ver­ständnislosigkeit zur «ent­scheidenden Schwierig­keit des Erzeugungspro­blems» mu­tierte, weil er nichts von dem begriff, ge­schweige denn über­haupt wahrgenommen hat, was Stei­ner dazu schrieb. Was sein Schüler Wa­gemann, bei dem es bislang nicht besser aus­sieht, ebenso we­nig be­merkte wie Wit­zenmann selbst.

Wenn Wagemann in seinen einleitenden Bemerkungen behauptet, daß Witzenmann Steiner «wei­ter entwickelt» habe, so bleibt das nur eine substanzlose Behauptung. Eine leere Phrase, die zudem nicht überzeu­gender wird, indem man sie beliebig oft wiederholt. Denn eine Weiter­entwicklung Steiners könnte man gegebe­nenfalls doch nur jeman­dem zuerkennen, der Stei­ners begrün­dendes An­liegen überhaupt adae­quat er­faßt hat. Denn nur darauf ist der Ausdruck «Weite­rentwicklung Stei­ners» le­gitim anwendbar. Und dazu wiederum muß man erst ein­mal Steiner selbst hinreichend kennen, wenn man sich ein Urteil dazu bil­den will. Mit Steiner aber will sich Wage­mann vielleicht in ferner Zu­kunft einmal beschäftigen: „Howev­er, a compreh­ensive com­parison of Wit­zenmann’s approach with Stei­ner would go beyond the scope of this in­troduction and hence remains one of the re­search desider­ata of the fu­ture.“ (Wage­mann S. L f) - Ein «Forschungsdeside­rat für die Zu­kunft». Er weiß es also selbst nicht, was Witzen­mann mit Steiner über­haupt zu schaffen hat. Was man bereits Wagemanns Dissertatio­n über Witzen­mann, Gehirn und menschliches Bewusstsein, von 2010 ablesen konnte, die noch nicht einmal ein eigenständiges Kapitel über Steiner enthielt. Gleichwohl wird in vor­auseilender Gewißheit schon einmal ohne jede Urteilsgrundlage behauptet, daß Witzen­mann Steiner «weiterentwi­ckelt» habe. Akademi­sche Sprechblasen und nichts weiter. Das alles ist also nicht ernst zu neh­men, sondern die philo­sophische Realsatire bei an­geblichen «Anthro­posophen» nimmt kein Ende. Denn derart unbe­gründete philoso­phische Verheißungen von Steiners Weiterentwick­lung durch Witzen­mann pre­digen Witzen­manns Anhänger seit Jahr­zehnten schon, ohne dem Ver­ständnis Steiners bis heute jemals ernsthaft nach­gegangen zu sein. Wie wir es von Wage­mann neuerlich und ganz expli­zit bestätigt be­kommen.

Nach allem, was wir also sehen, ist von Stei­ners Intention­en kaum et­was bei Wit­zenmann und sei­nem Schüler Wa­gemann verstan­den wor­den, son­dern wenn, dann über­wiegend nur Zerrbil­der, die sich schlechter­dings nicht als Weiterentw­icklung qualifi­zieren lassen, son­dern ledig­lich als funda­mentale De­struktion. Das gilt ganz besonders für Steiners «al­lerwichtigste Beob­achtung, die der Mensch machen kann», vom drit­ten Kapitel der Philo­sophie der Frei­heit, aus der Wit­zenmann in seinem Un­verstand in der Strukturphäno­menologie ein «Erzeugungsprob­lem» und die «entschei­dende Schwie­rigkeit» formte: Philoso­phischer Interpretati­ons-Zinnober und verständ­nisloses ge­dankliches Gerümpel in Ge­stalt ei­nes Kausalitäts- und Erzeugungspro­blems dort, wo Steiner des­sen Lö­sung anhand des erlebten Zusammenhangs von Wir­kendem und Bewirkt­em in sämtlichen Frühschriften unmißverständ­lich darlegte. So sieht im wesentlic­hen die soge­nannte «Weiterent­wicklung» Stei­ners durch Wit­zenmann aus. Sie fährt in vol­ler Fahrt vor die Wand. Indem sie vor Stei­ners Anthropos­ophen ein skeptizisti­sches Kausalitäts­problem nach Art Kants und Humes auf­türmt, dessen Lö­sung Steiner bereits 1886 vorge­legt hatte. - Wo Witzenmanns Anhän­ger bei alle­dem aber regelmä­ßig über Gene­rationen nach Art von Schü­lern wie Savol­delli, Schie­ren und Wa­gemann ein Witzenmann-Jo­deldiplom vor­legen, weil sie glau­ben, da­mit et­was Eige­nes zu ha­ben. Und nur nicht wissen, was das sach­lich alles mit Stei­ner und seiner Erkenntniswissens­chaft zu tun hat. - Näm­lich substantiell so gut wie nichts. (Siehe Wagemann auch hier.)

Das Wenige, was Wagemann aus Steiners Fundus mit Recht anzubieten hat, sind Teile aus dem Begriffsverständnis Steiners, dahingehend, daß Begriffe keinen Abbildcharakter haben, dergestalt daß man sie als quasi photographische Spiegelungen der Sinneswirklichkeit betracht­en könn­te. Weiter ist ihm auch darin zuzu­stimmen, wenn er (S. xviii) aus­führt, daß es keine theorie- oder be­griffsfrei Beobachtung gäbe. Was sich in­sofern von selbst versteht, bei einer erkennen­den Beob­achtung, die ganz gene­rell auf reine Erfahrungstatsachen Begriffe an­wendet, die nicht wiederu­m aus den Wahrnehmungen, sondern nur aus der Intui­tion stammen kön­nen. Und natürlich auch auf das rein erfahrene Denken Be­griffe anwen­den muß, um es zu begreifen. Folglich gehört das be­griffliche Ele­ment nicht nur bei jeglicher reinen Erfahrung, sondern speziell auch bei der reinen Erfahrung des Denkens beim beobachtenden Begrei­fen des Den­kens dazu. Denn ohne Begriffe kein Begrei­fen, das gilt ganz gene­rell.

Was sich bei der Beobachtung des Den­kens freilich insofern et­was spe­ziell ausnimmt, weil ich ja im selben Element des Denkens verbleibe, und gegebenenfalls reine Begriffe, die mir als geisti­ge Wahrnehmun­gen vor­liegen, wiederum mit deskriptiven (reinen) Begrif­fen be­schreibe, die ihrer­seits wiederum nur aus diesem geistigen Ele­ment ge­nommen sind. Oder ganz allge­mein das erleb­te Denken mit Begriffen beschreibe, die nur aus diesem Denken ge­nommen werden können. Wor­auf bei Steiner die Selbsterklärungsfähigkeit des Denkens ruht. Wesweg­en bei Stei­ner auch der nai­ve Realismus bei der Er­kenntnis des Den­kens, - und nur dort, - auch zugelassen ist, wie er im Ka­pitel V der Phi­losophie der Freiheit schreibt. In der GA-04, Dor­nach 1995 auf S. 101 ff: „Dem Den­ken ge­genüber kann der Mensch auf dem nai­ven Wirklich­keitsstandpunkt ver­bleiben. Tut er es nicht, so ge­schieht das nur des­halb, weil er be­merkt hat, daß er für anderes diesen Standpunkt ver­lassen muß, aber nicht ge­wahr wird, daß die so ge­wonnene Einsicht nicht an­wendbar auf das Denken ist. Wird er dies gewahr, dann eröffnet er sich den Zugang zu der anderen Einsicht, daß im Den­ken und durch das Den­ken dasjenige er­kannt werden muß, wofür sich der Mensch blind zu machen scheint, indem er zwischen der Welt und sich das Vorstellungs­leben einschieben muß.“ (S. 103)

Was Wagemann völlig übersehen hat, ist die «rei­ne Erfah­rung» eines Sachverhalts. Und das gilt im aller­höchsten Maße für das Denken selbst, das im Mo­ment seiner un­mittelbaren, blo­ßen Erfah­rung grund­sätzlich theoretisch nicht befrachtet wer­den kann. Worauf Steiner in der Phi­losophie der Freiheit (hier, Kap. V, S. 71 f) ei­gens noch einmal hin­weist. Diese reine Erfahr­ung des Den­kens wiederum ist in sich zusammenhän­gend und klar ge­gliedert – und zwar nicht nur in begriffli­cher Hinsicht, sondern auch nach der Be­ziehung von Wirken­dem und Bewirkt­em. Ganz ohne jede Denktheorie, die erst nach dieser reinen Erfahr­ung dar­auf angew­andt wer­den kann. Alles schon im Kapi­tel 8 und nachfolgen­den in Steiners Grundliniennachzules­en. Oder in Wahr­heit und Wis­senschaft, Kapitel Vier. Auch das ist ein Fund Stei­ners, der Wit­zenmann und sei­nen Schülern of­fensichtlich völ­lig fremd und fern ge­blieben ist. Der ganze prominente Witzenmann-Kader weiß schlech­terdings nichts über solche Zusam­menhänge und Ansichten bei Steiner. Und die rei­ne Er­fahrung des Den­kens scheint Wage­mann dem­gemäß so wenig zu in­teressieren wie Wit­zenmann schon. Erst recht nicht in des­sen Strukturphänomenol­ogie.

Von Steiners inne­rem Natur­forschungsanliegen re­spektive indukti­vem Idea­lismus ist Wage­mann zu­sammen mit Witzen­mann Licht­jahre ent­fernt. Das liegt dort noch voll­ständig hinter dem Wahr­nehmungs-Horizont ihres inneren Univer­sums. Obwohl das Kau­salitätsproblem, wie man sieht, selbst bei ihnen bereits als «entscheidende Schwierigkeit» hinter die­sem Hori­zont wetterleuch­tet. Als geläufiges Nachleuchten ei­nes Jahr­hunderte alten Pro­blems der empiris­chen Wis­senschaft, mit dem Wit­zenmann dann in all seinem Un­verstand auch noch Steiners Grundla­gen unzugänglich machte und bei seinen Anhängern dauerhaft in Ge­stalt ei­nes angebli­chen Erzeugungs­problems verriegelte. Eine von Wage­mann gar nicht erst bemerk­te Tatsache, wenn man sich Wage­manns Aus­lassungen dazu von S. 21 sei­ner Witzenmann­übersetzung zu Gemü­te führt. Denn was bei Wa­gemann ebenso wie bei Wit­zenmann nicht ein­mal von ferne glimmt, ist Steiners ständig wieder­holte und über sämtli­che Früh­schriften sich erstreckende empirische Lösung die­ses Kausalitätspro­blems von Hume und Kant.

Was also soll man weiter dazu sagen, wenn Johannes Wagemann in sei­ner Einführung auf S. XIV davon spricht, daß Witzenmanns Wurzeln nicht auf Husserl, sondern auf auf Steiners Goethefor­schung zurückge­hen? Aber nichts darüber zu berichten vermag, daß Steiner an Goe­the zwar an­knüpft, aber, - ganz abgesehen davon, daß er sich in der Schrift Wahrheit und Wis­senschaft am Schluß der Vorrede (hier S. 6) in den Be­gündungsfragen ausdrücklich ge­danklich unabhängig ge­macht hat von Goethe, - zu seiner Geistesforschung / seinem indukti­vem Idealis­mus ei­nen Weg be­schreitet den Goethe nie eingeschlagen hat, nämlich den der Beobacht­ung des erlebten Denkens. Und zwar in beton­ter Ab­sicht einer geisti­gen Naturkräf­teforschung von innen, die in dieser Form für Goethe schon zeitbedingt nicht möglich war. Die auch Witzen­mann nicht mög­lich war, weil er dieses innere / komplementäre / spirituelle Naturforschungsa­nliegen Stei­ners und dessen Methode nie verstanden hat.

Was soll man nun schlußendlich noch dazu sagen, wenn sich so ein Übersetzungspro­jekt dann über 4 Jahre lang höchst aufwen­dig und zeit­raubend hinzieht, großzügig unter­stützt auch von der anthroposophi­schen Gemeinschaft, - “The financial re­sources for this work were generousl­y provi­ded by the research fun­ding of the Anthro­posophical Socie­ty in Germany (ASG) and by the GLS Treuhand Foun­dation ...“ (Wa­gemann, S. XI), - und in all diesen Jah­ren keinen Milli­meter in der Stei­nerforschung voran kommt. Son­dern wo man auch nach der ener­vierenden Übersetzungs-Knoc­henarbeit wie explizit Wa­gemann über Stei­ners Verhält­nis zu Witzen­mann nichts wei­ter sa­gen kann, son­dern alles Not­wendige der Auf­klärung in eine unbek­annte, ferne blaue Zu­kunft schiebt. So daß es doch eher als be­schwichtigende, aber un­verbindliche aka­demische Rhetorik auf­zufassen ist. Denn diese Binsenforder­ung nach Aufklär­ung über Steiners Grund­lagen existiert als akademi­sche schon lange, und sogar aus dem direk­ten Umfeld Witzen­manns. Entsprechen­des wuß­te und forder­te man also weit früher schon. Nicht nur ich selbst, be­gründet aus der ei­genen Stei­nerforschung her­aus, son­dern auch vom re­lativ promi­nenten Witzen­mannanhänger Ma­celo da Veiga, der immer­hin selbst über Stei­ners Grundlagen promovierte, konnte man das hören, der sei­ne Leser be­reits vor elf Jah­ren im Dezem­ber 2011 dazu aufrief, daß man sich endlich einmal um die Er­forschung von Stei­ners Grundla­gen küm­mern sollte, weil man davon kaum eine Ahnung hat. Aufklärung fordern und sie konsequent zu realisieren klaf­fen bis­weilen doch weit ausein­ander. Be­wirkt jedenfalls hat das da­mals offen­sichtlich wenig. - Nun, die Leu­te von der anthropo­sophischen Gemein­schaft ha­ben offen­sichtlich Wichti­geres zu tun, als Steiner­forschung zu den eige­nen an­throposophischen Grund­lagen zu be­treiben. Steiner­forschung auch zu betrei­ben, um Stei­ners phi­losophische Bezie­hung zu Witzen­mann über­haupt erst ein­mal selbst zu begreifen und be­urteilen zu kön­nen, bevor sie einen Witzen­mann mit unerhörtem Auf­wand an Zeit, Geld und menschli­chen Res­sourcen ins Englische übertra­gen las­sen, von dem die Financiers, För­derer und Übersetzer selbst nicht einmal wissen, was er ei­gentlich mit Steiner und seiner An­throposophie zu schaf­fen hat. Das ist wissen­schaftlich so vollkommen absurd und lä­cherlich, weil au­genfällig jegli­che inner­e Orientier­ung und jeder nach­vollziehbare Maß­stab für essenti­elle Not­wendigkeiten der philoso­phischen Aufklärung fehlen. Woran man eben sieht: Mit und durch Her­bert Witzen­mann und sei­nem enger­en und ferneren Anhang ist die Steiner­forschung inzwis­chen so gründ­lich auf den Hund gekommen, dass sie nachweislich schon nicht mehr zu wissen scheint, was sie tut.

Wie man sieht, be­mühen sich die «Anthroposophen» faktisch nach Kräf­ten, Stei­ners Weltanschau­ung und ihren Grundlagen endlich den Garaus zu ma­chen. Stei­ner ist in Wagemanns Übersetzung letztlich nur noch ein «Anre­ger», - Influenzer auf neudeutsch, - für Witzenmann, wie es im Begleittext der Internet­präsentation von Bloomsbury heißt: „Influ­enced by the wri­tings of Ru­dolf Steiner and Johann Wolfgang von Goe­the, Witzenmann's innovati­ve approach casts new light on a number of philo­sophical, psychologi­cal, and scientific is­sues ...“. Nun, darauf und auf den «Influ­enzer» Steiner können sich mit Recht inzwi­schen unüberseh­bar vie­le be­rufen. Hunderte, vielleicht auch Tausende wohl inzwi­schen, die ir­gend einen Unsinn zu und wegen Rudolf Steiner präsentier­ten. Nichtssagender geht es also kaum noch. Es wird im vorlie­genden Fall überhaupt kein An­spruch mehr er­hoben auf ir­gend eine tie­fere Gemeinsamk­eit der Forschungsziel­e Witzen­manns und Stei­ners. Ziele, die man bei Steiner na­türlich auch nicht kennt, wie wir hier sehen und explizit von Wagemann und weit früher schon von da Veiga hör­ten. Die Leute schei­nen nichts besseres zu tun zu haben, als jetzt auf­wändig auch die ganze eng­lischsprachige Welt mit einem mehr als frag­würdigen Ela­borat von Her­bert Witzen­mann zu überzeugen, von dem sie keinerlei substan­tiierte Vorstellung ha­ben, wie es über­haupt mit Stei­ner zusammenzu­bringen ist. Das scheint jetzt ganz oben auf der Agenda der diesbezügli­chen Ent­scheider der «Anthropsophen» zu stehen. Wa­chere Geister wür­den hier mit guten Gründen von geisti­ger Sabotage spre­chen. Denn nichts anderes ist es ja, wenn man die Verhältnisse nä­her betrach­tet. Die Frage muß deswe­gen wohl sein, wel­che Kräfte innerhalb der anthroposop­hischen Bewegung und von aus­serhalb treiben diese aber­witzige Ent­wicklung so energisch derart voran, so daß Steiners anthroposop­hische Grundla­gen nie gründ­lich aufgearbeitet, und in einer verstande­nen Form an die Öffentlichkeit ge­bracht werden? Sondern stattdessen lauter Ab­surditäten, und mit viel finanzieller Unterstüt­zung aus den eige­nen Rei­hen Zerstörungswer­ke an Steiners Grundlagen? Und warum tun sie das selbst dann noch, wenn sie in aller Öffent­lichkeit zu­geben, daß sie über Stei­ners Grundla­gen und deren Verhältnis zu Witzenm­ann nichts wissen, und entsprechende Aufklä­rung als Desiderat in die Zu­kunft schieben, aber gleichwohl und im selben Atemzug Witzen­mann als «Weiter-Ent­wickler» Steiners ver­kaufen, ob­wohl sie das er­klärtermaßen gar nicht be­urteilen können? Das ist nicht nur absurd, son­dern ein wahr­lich skanda­löser Vorgang. Man fragt sich, welcher Un­geist diese Leute bloß geritten hat!

Wie dem auch sei. Daß Stei­ners An­hänger nicht immer die hellsten Ker­zen auf der Torte sind, hat nicht nur Stei­ner selbst oft genug verzweifelt festgestellt, son­dern auch sein kriti­scher Bio­graph Gerhard von Becke­rath, der das Elend um Stei­ner und seine Anhänger in seinem Buch Ru­dolf Steiners Leidens­weg, Dor­nach 2011 nachzu­zeichnen such­te. Da Witzenmann mit sei­nem Konzept nie­mals bei Steiners Anthropo­sophie ankommen kann, kann es seinen Anhäng­ern letztlich nur dar­um gehen, sie abzuschaffen, indem man ihn zum golde­nen Kalb der An­throposophie verklärt. - Ich frage mich ernst­lich, was Herbert Witzenmann nach seinen üblen Erfahrungen mit der Nazi­zeit wohl heute dazu sagen wür­de, wenn er sieht, was seine Anhän­ger im politischen Umfeld der Rot­grünen jetzt alles damit treiben.

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So sehr ich übrigens den oben zitierten Artikel vom Lochmann-Ver­lag in sei­nen berechtigten auf­klärerischen Intentionen hinsichtlich der zerstörer­ischen Umtrie­be in der anthroposophi­schen Be­wegung nach­vollziehen kann und für un­bedingt lesenswert erachte, so sehr wün­sche ich den Au­toren dort, daß sie Steiners eigenen philosophischen Grundla­gen mit dem Verständn­is etwas nä­her kämen. Durch so eine sachliche Klä­rung der Grundlagen wür­de näm­lich ihre dringend notwend­ige Auf­klärungsarbeit zu den Zer­setzungen der Anthroposo­phie noch weit frucht­barer wer­den. Wenn sie mit kritischem Blick auf die Anhänger Witzen­manns und spe­ziell den Gideon Spicker Verein nun (S. 2 ) aller­dings schrei­ben: „Wer könnte sich ein­bilden, «die ur­sprünglichen Inten­tionen» Ru­dolf Steiners zu ken­nen?“, so ist das natürlich nicht nur in die­ser Pau­schalität ab­wegig, sondern auch, weil sie sich damit selbst den argumen­tativen Boden unter den Füßen weg­ziehen. Denn schließ­lich hat Stei­ner höchst­persönlich seine ei­genen wissenschaftli­chen Intentio­nen unmissver­ständlich in den Frühschriften und späteren im­mer wieder dar­gelegt. Und irgend­welche geheimnis­vollen In­tentionen, die er nicht öffent­lich darge­legt hat, muß auch niemand su­chen, weil das ande­re zum Ver­ständnis ja schon ein­mal völlig reicht. Von die­sen ursprüngli­chen und leicht nachlesbar­en wissenschaftlic­hen Intent­ionen Steiners aber hat­te Witzenmann keine Ah­nung, wie wir demonstrieren. Und des­sen An­hänger ebenso we­nig.

An dieser Stelle scheint mir deswegen auch ein weiterer «Hase begra­ben» zu sein, wie sie das beim Lochmann-Verlag nennen: Hier wird näm­lich beim Lochmann-Verlag das Kind mit dem Bade aus­geschüttet, und den wis­senschaftlichen Erarbeitern von Steiners Werk, sowie ihnen selbst das stabi­le Fundament unter den Fü­ßen zerschlagen. Ich kann mir aber mit Blick auf Steiners Werk schwerlich eine Sachkritik an seinen Geg­nern erlau­ben, wenn ich noch nicht einmal Steiners Früh­werk und die dort darge­legten Intentionen Steiners er­kenne und verste­he, auf dem die gan­ze An­throposophie laut Steiner erst be­gründet auf­baut. Wenn ich nun aber ernstlich glaube, daß nie­mand Stei­ners ur­sprüngliche Intentio­nen ken­nen kann, dann stehe ich komplett im selben Nebel wie Herr Cle­ment, von dem wir ein­gangs sprachen, und munitionier­e auch noch argu­mentativ mei­ne eigenen respektive Stei­ners Gegner. (Siehe dazu aus­führlich hier auf derzeit S. 760 ff). Ich könnte also die Pforten der Auf­klärung hinter mir gleich wie­der schließen, wenn ich diesen Glau­ben ernsthaft ver­treten wollte, und eine eigene Geheimgesells­chaft von in sich abgeschlos­senen anthroposo­phischen Rät­sellösern bilden, die sich von nicht überprüfbaren Geheimeinsichten in Stei­ners Motive und Inten­tionen leiten las­sen. Ein nicht nur unwissen­schaftliches, son­dern auch vollkommen aussichtsloses Unterfan­gen. Sie kämpfen damit nur Rücken an Rücken und Hand in Hand mit ihren eigenen Geg­nern, ob­wohl sie ge­nau das Gegenteil davon wollen. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, daß es ihnen vorrangig auf «gestaltendes Denken» an­kommt, und am Ende verlieren sie dar­über auch noch Steiners Inten­tionen der Frühwer­ke: „Denn wer könnte sich einbil­den, die «ur­sprünglichen Intentionen» Rudolf Steiners zu kennen?“ (S. 2) - und damit wäre das schö­ne Lied der Aufklärung gemein­sam im Chor mit Christian Cle­ment auch schon zu Ende ge­sungen, weil jede gedankliche Klar­heit über Stei­ners Frühwerke fehlt, die ja überhaupt erst Schu­lungsschriften nach Art von Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? möglich ma­chen sollten, wie Steiner im Stutt­garter Rechtfertigungsvortrag von 1921, S. 295 ff (GA-255 b) darlegt. Und wahrlich nicht nur dort. Son­dern sogar in der Philo­sophie der Freiheit selbst, wenn er die Le­ser in der Vorrede von 1918 darauf aufmerksam macht, daß niemand auf seine spätere Anthropo­sophie «hinschie­len» muß, um dieses Begründungs­werk an­nehmbar zu fin­den.

Wer also von vornherein glaubt, daß es eine bloße Einbildung sei, Stei­ners ursprüngliche Intentio­nen zu kennen, der hat den Kampf mit Stei­ners Gegnern schon verloren, bevor er ihn über­haupt aufgenommen hat, indem er sich damit zu ihnen gesellt und die Kenntnis von Stei­ners frü­hen In­tentionen für Chimäre hält. - Dem ist aber doch nicht so, und es besteht dazu kei­nerlei legiti­me Ver­anlassung. Denn ich muß Stei­ners In­tentionen nur da su­chen, wo sie wohl­begründet aufzufind­en und von ihm selbst in aller Öffentlichk­eit darge­legt sind. Und das ist schon im wissenschaftlic­hen Frühwerk mit einiger Leichtig­keit zu schaffen. Da muß nie­mand künstliche Nebel­wände auf­richten, und sich damit auch noch sei­nen eigenen Gegen­spielern in die Arme werfen. Und so ist denn auch vom Inhalt der begrün­denden Früh­werke Steiners in diesem Text vom Lochmann-Verl­ag so gut wie keine Rede, sondern statt dessen viel mehr vom «gestaltenden Denken der Anthropos­ophie» (S. 3 ff). Von dem überhaupt viel in diesem Text die Rede ist, nur nicht von den In­halten und Intentionen der Steiner­schen Frühschriften. Die Folgen lie­gen auf der Hand und sind absehbar. Das Cha­os wird dadurch nicht klei­ner son­dern nur noch größer. Bei allen guten aufkläre­rischen Ab­sichten.

Es ist ja klar: wenn schon über Stei­ners wissens­chaftliche Grund­lagen nur Kon­fusion bei den An­throposophen herrscht, dann läßt sich umso leich­ter auch Steiners Gesamtwerk zerstö­ren, weil den Leuten die wis­senschaftliche Orientie­rung schlichtweg fehlt, die sie zum Verständ­nis der Anthro­posophie benötig­en. Was na­türlich hochgra­dig für die intel­lektuell führenden und einflussreichen Akademiker in dieser Bewe­gung gilt, die mit Blick auf Steiners Grundla­gen wenig Ahnung haben. Doch nicht nur Witzenmann drehte mit dem Ver­ständnis der begründend­en Früh­schriften Steiners frei in der Luft bei seiner ei­genen «Erkenntnistheo­rie auf ob­skuren Grundla­gen», und nicht nur des­sen di­rekte, mittel­bare oder ent­ferntere Schü­ler und Husserl+Witzenmann-Sympathisant­en wie Sij­mons drehten in der Nachfolge dieses du­biosen Lehrers so frei, sondern für Prokofieff etwa galt dasselbe. Proko­fieff wehrte sich zwar viel­fach da­gegen, ver­stand aber selbst von Stei­ners erkennt­niswissenschaftlichen Grundlagen, wie viele andere und mehr noch als die letzte­ren Witzenmann­anhänger, schlicht­weg nichts. So daß er sich in all sei­nem Unver­stand ganz un­geniert und in der Sa­che äußerst abträglich dar­über aus­ließ, wie wir an anderer Stelle hier und hier auf dieser Web­seite zeig­ten. Und so­gar un­bedingt den nur philosophis­chen Zu­gang zur Phi­losophie der Frei­heit «überwinden» wollte, wie es bei ihm hieß. Der freilich gar nicht vorhanden war, da alle mit Proko­fieff und Witzen­mann zusam­men im selben Nebel stocherten. Und «überwin­den» läßt sich der phi­losophische Begrün­dungszugang der Steinerschen Früh­schriften und speziell der Philoso­phie der Freiheit ohne­hin nicht. So eine Forde­rung als solche ist, - erhoben auch noch von einem Anthropos­ophen aus dem Goetheanumsvorstand, - letztlich ein sinnfreier Quark. Man könnte die Philosophie der Freiheit höchstens präzi­sieren und dif­ferenzieren, wie Steiner selbst im Brief Nr. 402, GA-39 an Rosa Mayre­der schrieb. Das Vorhan­dene verbessern, und aus jedem Kapit­el der Philosop­hie der Freiheit «ein ganzes Buch ma­chen», wie es in die­sem Briefwechs­el heißt. Wie es auch in Steiners Schrift Von Seelenrät­seln (GA-21) in mancherlei Teilen ver­sucht wurde, die ja 1917 ausdrü­cklich und mit be­sonders mar­kanter Be­tonung am Ende (S. 170 f) je­nen Fa­den zur Psy­chologie wie­der auf­nimmt, den er schon 1886 aus gu­tem Grund verfolgt hat.So könnte man Steiners Grundlagen als «lehr­hafte Natur» erwei­tern, wie es im Briefwechsel mit Rosa Mayreder hieß. Vor­ausgesetzt al­lerdings, man hat das An­liegen von Steiners erkenntniswissens­chaftlichen Früh­schriften über­haupt ver­standen. Da sehe ich aller­dings in der Hauptsache nur kämp­fende an­throposophische Schattenfi­guren im Tun­nel, da sich kaum je­mand von diesen für Steiners Grund­lagen ernst­lich interessiert(e). Das gilt auch für Prokofieff. Der sich per­sönlich in all sei­ner schil­lernden Ignoranz dann auch ganz konse­quent zum anthro­posophischen Versteher der Philosop­hie der Frei­heit auf­warf, was wir hier eingehen­der behan­delt ha­ben. Ein gene­relles Unverm­ögen auf al­len Seiten, das aber vor al­lem für jene im Arti­kel des Lochmann-Verla­ges angesproche­ne akade­mische Welt gilt, die zu erheb­lichen Tei­len vom erkenntnistheoretis­chen Widersinn Wit­zenmanns langjäh­rig be­einflusst und geblen­det war, und weiterhin ist. Doch wenn nun schon die Anthroposo­phen als ver­ständnislose An­hänger Stei­ners wis­senschaftlich frei in der Luft drehen, und ihnen der wissen­schaftliche Bo­den un­ter den Fü­ßen voll­kommen fehlt, dann ha­ben es ihre Gegner umso leichter, de­ren Kon­fusion für ei­gene Zwecke zu miss­brauchen. Was man überall beobach­ten kann, wie auch der Arti­kel des Lochmann-Verlages an­schaulich de­monstriert. Daß bei unbe­darften, aber einfluss­reichen An­throposophie-Schreddern und Churchill-Verehrern wie Wit­zenmann als geisti­gem Übervater dann auch von Steiners Dreiglieder­ung nicht mehr viel zu hö­ren ist, son­dern bei dessen Schü­lern dann schließ­lich Witzen­mann, So­ros und rot­grüner Fa­schismus an die Stelle von Stei­ners An­throposophie und seiner Drei­gliederung tre­ten, und da­mit das Werk des Deutschenhass­ers Churchill vollendet wird, das ist an­gesichts der geschild­erten Verhältnis­se und so viel umlau­fender maßlo­ser Gleich­gültigkeit und Ahnungslosig­keit leicht zu erklä­ren.

Von Stei­ners frühen komplementär naturwissenschaftlich-idealistischen Intention­en, Konklusion­en und methodischen Handreichungen hatte der grosse Inspira­tor der Witzenmann­gemeinde nach­weislich keine Kennt­nis. Und sei­ne Schü­ler ebenso wenig. Bleibt die Frage, wo bei deren Kri­tikern diese Ahnung und das Verständnis für Steiners Werk und vor al­lem für des­sen frühe Grundlegung ruht. Bei aller Berechtig­ung, mit der sie den frag­würdigen Bezie­hungen Witzenmanns und sei­ner Riege zum Deutschen­hasser Churchill nachgehen. Was ein er­hellendes Licht darauf werfen könn­te, warum ausgerechnet Anthropo­sophen sich zu den rot­grünen Deutschenhassern und Russland­vernichtern so eindringlich hingezo­gen fühlen. Denn damit betreten sie zur Zeit gerade erneut je­nes Portal in den braunen Faschismus, den sie durch diese angloamerikani­sche Pforte zu verlassen glaubten. Weil sie nicht ahnen, daß es die Anglo-Amerika­ner waren, denen sie sich an den Hals werfen, die den Nazi Hit­ler erst im anglomeri­kanischen Eigeninteresse im Anschluß an Ver­sailles installier­ten. Um jetzt gemein­sam mit dummen anthroposophi­schen Irr­läufern und Rotgrünen die braune sozialdarwinisti­sche Euge­netik als glo­bale Fa­schisten neu zu installieren. Wie gesagt, ich lege Ih­nen, lieber Le­ser, den Auf­satz aus dem Lochmann-Verlag sehr ans Herz. Schon we­gen sei­ner erhellen­den historis­chen Be­züge, die er zeichnet.

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Ich will bei Anbetracht von Klaus Hartmanns Witzenmannbiographie (vor allem Band 1, dort etwa die Kapitel V und VI) auch gar nicht aus­schließen, daß Herbert Witzenmann, der laut Hartmann alles andere als ein Nazi war, von den Nationalsozialisten so schwer gebeutelt war, daß er die An­glo-Amerikaner tatsächlich für die Befreier Deutschlands hielt. Das gilt insbesond­ere für den Inha­ber einer Firma für Metallschläuche, (laut Firmenangaben 2019 Welt­marktführer für flexible metallische Bau­teile), die eine beachtliche Anzahl, - auch laut Hart­mann, - von Pa­tenten darauf be­saß. Metallschläu­che wiederum sind nicht nur in Du­schen und ande­ren zahlreichen zivi­len Anwendungen wie Fahrzeugbau und Pum­pen sehr ge­fragt, son­dern stellen auch ein außerordentlich rüstungsrele­vantes Gut dar, das die Firma Witzen­mann prinzipiell herstel­len konn­te. Als Spezi­al-Zulieferer somit grund­sätzlich auch zu den Schlüs­selunternehmen der modernen Rüstungs- re­spektive der militäri­schen Waffenin­dustrie der Natio­nalsozialisten gehörte, weil ohne robus­te Metallschläu­che dort nichts geht, was schon die gro­be Wikipe­dia-Übersicht deutlich macht. Und bei den Nationalsozial­isten folglich gro­ße Begehr­lichkeiten auf de­ren Pro­dukte weck­te. Inso­fern, als Metall­schläuche na­türlich drin­gend für den militärischen Luft- Rake­ten- und Fahr­zeugbau, sowie für all jene Waffengattun­gen und an­dere Rüstungs­produktionsbetriebe benöt­igt wurden, bei denen es um ro­buste Schlauchver­bindungen mit Me­tallummantelungen ging. Weil ohne sol­che stabilen, flexiblen Schlauch­verbindungen bei Flüssigkeitskreisläu­fen dort Funkti­on und Be­trieb eben nicht si­cher ge­stellt werden konnte. Zumal im Kriegseinsatz, wo es auf hinrei­chenden Schutz und Panze­rung von Schlauchverbindun­gen bei mi­litärischem Gerät ankommt. Ge­setzt also den rea­listischen Fall, Witzen­mann zö­gerte bei der Produktionsorientier­ung auf die von den Nazis mit Ve­hemenz nachge­fragten rüstungsrelev­anten Gü­ter seiner Fir­ma, dann muss­te ihm das über kurz oder lang gro­ße Schwie­rigkeiten einbringen. - Was auch so war, und laut Hart­mann (Bd. 1 S. 188 f) bis zur Denuntiati­on Witzen­manns durch ehema­lige Mit­arbeiter der Firma führ­te. Der Vor­wurf ei­nes Denuntian­ten laut Hart­mann: «Sabota­ge der Rüstungsfer­tigung». Übri­gens von Witzen­mann selbst auch in der Sache bestätigt. Siehe dazu auch die ausführli­chen An­merkungen Hartmanns im Bd. 1 ab S. 258. Witzenmann ver­suchte laut den dortigen Anmerkun­gen (etwa die aus­führliche Anm. 90, S. 264, die sich mit Witzenmanns aktivem Wider­stand gegen die Nationalsoz­ialisten be­faßt) in der Tat die Zusammenar­beit mit der natio­nalsozialistischen Rüs­tungswirtschaft nach Kräften zu sabotieren und zu un­terbinden, wie er dort aus­führt. Die Famil­ie Witzen­mann be­fand sich demnach laut Hartmann in ei­ner ausge­sprochen exis­tentiellen Zwangsla­ge, und mußte sich in die­sem Fall im Wider­spruch zwi­schen der eige­nen Überzeug­ung und den Begehr­lichkeiten der Na­zirüstung ir­gendwie hin­durchlavieren. Das wird als sensi­bles Thema von Hart­mann in diesen Kapiteln, ins­bes. S. 188 f zum Teil ganz expli­zit ausges­prochen und ebenso aus­führlich in den ge­nannten Anmerkun­gen. Es spricht also eini­ges dafür, daß die Din­ge da­mals so la­gen. Die Fir­menchronik selbst sagt, abgesehen von der Firmenver­bindung zum VW-Kon­zern, öf­fentlich nicht viel über die fraglic­he Zeit.

Daß Witzenmann sich (früher oder später) zu den Angloamerikanern hingezogen fühlte, ist inso­fern verständlich. Nicht nur aus rein geschäft­lichen Grün­den. Verständlich auch, daß er dann 1951 in der Zeitschrift Die Drei, Heft 6, 1951, S. 278-293 un­ter dem Titel Churchills tragische Größe in unserer Zeit eine annähernd 15-seitige Hommage an den Füh­rer der Briten aus «be­deutender Familie» schrieb, wo er ihn mit dem rö­mischen Feldherrn Scipio Africanus verglich. Als engagier­ter Dreiglie­derer hätte er vielleicht im Falle Churchills eher von den völlig aus der Zeit gefallenen «Nibe­lungenwilden» (GA-190, Dornach, 1980, S. 162; S. 175 ff) gesprochen, die heute noch mit katastrophalen Folgen und an­tiquiertem Denken die Ge­schicke eines Lan­des leiten und weltweit über­all Welt-Herrschafts-Kriege anzet­teln, wie die Briten bis auf unse­ren Tag. Und damit mit al­ler Macht für den Untergang der menschli­chen Zi­vilisation sorgen, wie es sich jetzt (2022) gerade vollzieht. Die britische Mon­archie wiederu­m mit angepfropfter Demokratie zeugt ja nur davon, daß diese archetypi­sche Ausge­staltung eines «gemischten Königs» der gesellschaftlichen Kräfte bis heute nicht weiß, wo sie hin­gehört. In die alte Nibe­lungenzeit als unentwirrba­res und zerstöre­risches Gemisch mit Monarchisten, Eugenetikern, Weltherrschaftskrie­gern, Sozialdarwinis­ten und Manchesterkap­italisten, oder in die neue. Zur Zeit sind die neofeu­dalen Ni­belungen ja wie­der mas­siv mit den Manchesterkapitalist­en, Sozia­ldarwinisten und Eugene­tikern auf dem Vor­marsch. Aber Drei­gliederer war der Redaktions­mitarbeiter Wit­zenmann damals au­genfällig nicht, sonst hätte er die­sen Widers­pruch und diese Zeitsym­ptomatik si­cherlich näher themati­siert. Ob­wohl er in diesem Ar­tikel öf­ter von der «Auf­gabe der Mitte» spricht, die Churchill nicht erfaßt habe. Nur von Drei­gliederung eben nicht, die Ru­dolf Steiner für unse­re Zeit und die kom­mende als ab­solut not­wendig er­achtet. Über­haupt war die Dreiglie­derung zu­sammen mit dem Goethea­nismus auch schon ab Heft 4, 1948 als pro­grammatische Titel­gebung von der Zeitschrift Die Drei wieder verschwund­en. Sie kehrte im Jahr 1959 dort vor­übergehend wie­der zu­rück, um im Jahre 1970 neuerlich zu ver­schwinden und bis 1988 die Anthro­posophie gleich mit, die dann als Allein­stellungsmerkmal 1988 auf­tauchteohne die an­deren. So geht das in weite­ren weni­gen Ände­rungsschritten voran. Von Steiners Drei­gliederung ward dort seit 1970 nichts mehr ge­sehen. Und von Goethea­nismus seit 1948 nichts mehr, der nach dem Heft zwei dort auf Dauer ver­schwand. So weit man den Titelbil­dern der dort auf­geführten Hefte folgt und die das überhaupt kor­rekt wiedergeb­en – was allerdings nur in Teilen zutrifft, wie ich fest­stellte.

Von den Briten / Angloamerikanern war Witzenmann wo­möglich schon wegen ihrer vermute­ten Befreiungsf­unktion angezo­gen, und nicht ah­nend, daß die­se angebl­ichen Befreier mit ihrem Sozialdar­winismus, ih­rer Eugenetik, ihrem Rassis­mus und ih­rer menschenverach­tenden Euthana­sie-Ideologie, so­wie ih­rer mörderis­chen Geopolitik tatsächl­ich die För­derer und Lehrer eben jener Na­zis waren, von denen Witzen­mann und seine Fami­lie ge­quält wurde, und von de­nen sich Wit­zenmann jetzt durch die Anglo-Amerikaner befreit glaubte. Be­freit von den Nazis durch die Schöpfer und Väter der Nazis! - «Be­freit» von jenen Nazis, welche die «Be­freier» zuerst erst selbst in Stel­lung brach­ten, um Deutschland dann davon zu «befreie­n», und sich selbst dort an de­ren Stelle in einer Art Kolonie zu in­stallieren. Um das ganze wenige Generation­en später aufs neue in ihrem Kampf gegen Rußland aufzurol­len, und in der Hitlertra­dition ste­hende ukrainische Na­zis und Asow-Na­zis zusam­men mit den deut­schen Rot­grünen als deut­schem Rammbock ge­gen Ruß­land zu mobilisie­ren und in Stel­lung zu bringen, wie vormals schon den Hitler, unter dem Witzen­mann litt.

Das von Anglo-Amerika inszenierte Nazi­tum hat also Kontinuität in Deutschland und Europa über Generationen hinweg, und wird soeben und vorbereitend schon seit Jahren im Asow-Na­zi-Krieg gegen Rußland neu belebt, wo­möglich ohne daß die betei­ligten «rotgrünen» Anthro­posophen das in ihrer Einfalt überhaupt gewahr würden. In die­sem Fall wäre Witzen­mann mit sei­nen nachfol­genden Schülern unaufg­eklärt den Fallstri­cken der sozialdar­winistischen und eu­genetischen anglo-amerika­nischen Geo­politik von Weltherrschaftskriegern aufge­sessen. Und es ist zu erwarten, daß die in we­nigen Jahren hoffentlich noch über­lebenden Anthroposo­phen die ver­trauliche Ver­bindung von faschistophi­len, an­geblichen An­throposophen zu den rotgrü­nen deutschen Neunazis un­serer Zeit in ana­loger Weise werden aufarb­eiten müs­sen, wie sie ähn­liche Ver­bindungen von Anthropo­sophen zu den Natio­nalsozialisten des letz­ten Jahrhun­derts schon in den vergange­nen Jahren haben aufarb­eiten müs­sen. Offensicht­lich ohne zu je­nem his­torischen Kern der Angelegen­heit vorzudrin­gen, wie er von Hermann Ploppa, Willy Wim­mer, Wolf­gang Effenberger, Mar­kus Fied­ler, Peter Haisenko und vielen ander­en mit Ve­hemenz ein­gefordert, und be­reits so gut das geht durch histori­sche For­schung freigel­egt wird. Es ge­hört wohl zur besonderen Tragik Wit­zenmanns, daß ausge­rechnet er, der den Nationalso­zialisten mit so viel Wi­derstand ent­gegenging und darun­ter gelitten hat, Schüler hervor­bringt, die in ihrer unaufgeklärten Dumm­heit schon wieder den rotgrü­nen Neun­azis von heute auf den Leim ge­hen, ohne zu ahnen was da vor ei­nem dreiviertel Jahrhundert über­haupt geopolitisch durch den Anglo-Amerikanismus vorgegangen ist, und heute immer noch weiter vorgeht. Oder um es et­was allgemeiner mit dem stellvertretenden Fi­nanzminister der frühe­ren Reagan-Regier­ung, Paul Craig Roberts festzu­stellen: „War­um verhaftet sich die deutsche Re­gierung nicht selbst, weil sie gegen deutsches Recht ver­stößt und mit ihren Waf­fensystemen und ihrer diplo­matischen Unter­stützung für die ukrainischen Nazis den Nazism­us aktiv unterstützt?“ - Eine Frage, die man auch an manchen rot­grünen Sympa­thisanten unter den Anthroposophen wei­terreichen könnte.

Was mit dem Irr­läufertum Witzen­manns hinsichtlich Stei­ners Grundla­gen zu­nächst nichts zu tun haben muß, wo er mit sei­nen Schülern erst ein großes Fest der Ignoranz bezüg­lich Stei­ners Grund­lagen feiert, und im Gefolge davon dann auch noch Stei­ners Anthroposo­phie und Drei­gliederung abschafft, die ja ohnehin nicht aus Witzen­manns obsku­rer Ei­genphilosophie zu ent­wickeln wären. Da alle Kern­elemente für Stei­ners Freiheitsphilosophie, Anthroposop­hie und kom­plementärer Na­turwissenschaft dort bereits hinausgeworfen wurden. Ob Witzen­mann in diesem Fall auch «so gute anglo-amerikanische Berater» zur Hand hat­te, wie sie heu­te von sei­nen Schülern vorgeschlagen und be­klatscht wer­den, um den Anthroposophen dann das kleine Ein­maleins der Nebel-Anthroposop­hie wie Förster (siehe hier derzeit S. 716 ff; so­wie hier), und von Steiners unauffindbaren Motiven (Clement) beizu­bringen, sei dahin ge­stellt. Witzenm­anns An­hänger Heis­terkamp jeden­falls gab sich in der Vergangen­heit ja auch schon alle Mühe, den An­throposophen ei­nen Ken Wil­ber aufzuschwat­zen, der wundersamer­weise dann auch noch seinen Weg in die Witzenmann-Dis­sertation von Wa­gemann ge­funden hat, wäh­rend Steiner dem doktorier­enden Wit­zenmannphilosophen kein ein­ziges Ka­pitel wert war. Und ein kritischer Vergleich Stei­ners mit Wit­zenmann schon gar nicht. Womit eigentlich schon ziemlich klar wird, wohin die Reise der heu­tigen Witzenmann­gemeinde gehen soll: Zu Stei­ners Grund­lagen und seiner Anthro­posophie jeden­falls nicht. Völlig aus­schließen mag ich solche «hilfreichen» Berater bei Wit­zenmann dann auch nicht mehr. Bleibt doch auf jeden Fall die Fra­ge, warum er sich über mehr als dreißig Jahre lang an einem Verständ­nisproblem mit ei­nem unverstande­nen methodi­schen Schlüsselbegriff Stei­ners hat festbei­ßen kön­nen, ohne je­mals ei­nen klärenden Blick in Stei­ners restli­che Frühwerke zu werfen, wo es leicht zu lösen gewesen wäre.

Für die gesell­schaftswissenschaftlichen Umtriebe Witzenmanns und sei­ner Schü­ler spricht mehr noch das Hinge­zogensein zum Angloamerika­nismus, wie es bei Witzenmann schon er­kennbar war, und im Falle Heis­terkamps und Schierens gewisse aberwitzige Höhepunkte er­reichte. Wer einen Bericht von Frau Dithfurt über die Amerikahörigkeit und US-Wur­zeln der deutschen Grü­nen liest und ähnliches bei Willy Wim­mer (S. 141), der wird auf noch mehr An­lässe für diese Auffassung sto­ßen. Ob Witzenmann als Unternehmenserbe und mit Schü­lern aus rei­chen Fami­lien mit einer eigenen Sozialphilosophie mit Steiners Drei­gliederung über­haupt kompatibel war, ist eine speziel­le Frage, die sich mehr an Dreigliederer wendet. Denn daß die Interessenlage von einfluß­reichen Unternehmererben innerhalb der Anthroposo­phie sich nicht un­bedingt mit den Intentionen von Steiners Dreigliederung deckt, liegt auf der Hand und wäre deswegen eigens zu untersuchen.

In jedem Fall aber käme es der Geopolitik eines material­istischen und eugenetisch-sozialdarwinistis­chen An­glo-Amerika äußerst gelegen, wenn Stei­ners Anthroposo­phie zugrund­e geht, und die­se Schmutzarbeit auch noch von Stei­ners ei­genen Leuten besorgt wird. Siehe zu die­sem Thema auch den Eu­ropäer, Heft 8, 2022, S. 27 ff und Frieder Sprich zur Fra­ge: Weleda und die seltsam-zerstö­rerischen Hintergrundverbindun­gen zu Bill Gates. Wenn sie noch mögen, dann schauen Sie einmal in das Alverde Magazin des DM-Drogerie­marktes, wo Sie inzwischen die Ko­lumnen des von Bill Gates fi­nanzierten Klimakomikers Hirschhau­sen studieren können. Inzwi­schen sind wir auch so weit, daß die digitalisiert­e Fassung von Steiners Gesamtausgabe, die ich selbst noch mit al­len Such­funktionen etc vor etlichen Jahren kaufen konnte, nur noch ge­gen einen happigen Betrag zu mieten ist. Damals (2007) bezahl­te ich etwa 800 € für die wissenschaftliche Dauernutzung und heute ver­langt man 144 € Miete allein für ein Jahr. Das Modell Gates, «Sie wer­den nichts mehr be­sitzen, aber ich alles!», scheint auch hier langsam zukunftsorient­ierte Früch­te zu tragen. Ob die elektronische GA ir­gendwann auch nur gegen passende Sozialpunkte heraus­gerückt wird, wer­den wir viel­leicht schon sehr bald er­leben können. Und wenn niemand mehr et­was besitzt, so daß er sich auch nichts mehr kaufen kann, dann ist das Thema mit der Anthroposop­hie ohnehin sehr bald auf natürli­chem Wege vom Tisch und nur noch gewissen Stän­den vorbehalten, die sich mit dem Sys­tem ge­mein ma­chen. Daß man so etwas aus Steiners so­zialer Drei­gliederung und freiem Geis­tesleben herleiten kann, darf wohl be­zweifelt werden. Aus dem kommenden Neo-Feuda­lismus der Globalmilliard­äre schon eher.

Wie ge­sagt, die fragwürdig enge Be­ziehung von «An­throposophen» zur materia­listisch totalitär­en Ideolo­gie eines euge­netisch orientierten An­gloamerika, dem erklärten antagonistis­chen Ge­gensatz zum Goetheanis­mus, wie Steiner hier in GA-181, S. 478 ff un­missverständlich deutlich macht, harrt noch ihrer weiteren Aufarbei­tung. Und wird zur Zeit in we­nigen Ansät­zen sichtbar. Es ist al­lerdings auch zu befürchten, und dafür gibt es bereits eine Reihe klarer Indizien, daß diejenigen in­nerhalb der anthroposo­phischen Bewegung, die aus dem Lager Wit­zenmanns kom­mend zur Zeit dort Macht und (auch politi­schen) Einfluß haben, al­les unterdrüc­ken werden, was der gedie­genen inneren und auch philosophi­schen Aufklä­rung über Steiners Grundlagen dient, um am derzei­tigen Staus Quo nichts zu ändern. Was allerdings nicht nur für die Anhänger Witzenmanns gelten muß. Inzwischen be­stimmt offensicht­lich auch hier von den verschiedensten Seiten her die anglo-ameri­kanische Geopolitik zu­sammen mit Globalmilliar­dären, wo es lang geht. - Ein deutliches Bild die­ser Unter­drückungs-Szene zeich­nete Dirk Pohl­mann 2021 für die po­litisch-soziale Aufklärung im Januar und Fe­bruar 2021 hier und hier. Ähnlich Frau Sommerfeld bereits einige Jahre zuvor im April 2017. Da muß sich bei solchen Hintergründen auch niemand mehr über Hirsch­hausen-Kolumnen, dazu passende Spendenkonten bei der GLS Bank und Gates-Angriffe auf Weleda, - wie im Europäer be­schrieben, - und die an­throposophische Medi­zin wundern. Ebenso wenig über solche auf Stei­ners erkenntniswissen­schaftliche Grundlagen. Ein Mensch mit einem ge­sunden kri­minalistischen Gespür wird da eher nicht an Einzel­fälle und Zufälle denken, son­dern wohl mehr an ei­nen organisierten Zusammen­hang. Zumal, wenn spezi­elle «anthroposophische» Spielmacher ausge­rechnet in Zeiten von politischen Großverschwö­rungen und sol­chen von Globalmilliardä­ren und WEF bei den Anthro­posophen auch noch gegen «Verwörungstheoret­iker» in aller Öffentlich­keit Stellung bezie­hen. Und gut organisiert für eine begleitende grup­penspezifische Vorbereitung dieser weltweiten Konspiration gegen die Freiheit des Menschen durch massive Ver­blindung und Ver­blödung ihrer anthropo­sophischen Klientel sorgen. Indem sie politische und philosophische Schlafmittel und Ross­täuschereien unter den Anthroposop­hen verteilen in Zeiten, wo Steiners An­hänger auf diesen Feldern hellwach sein müss­ten. Nun, dann dürfte auch al­len an­deren allmäh­lich ein Licht aufge­hen. Den von Frau Sommerf­eld ge­nannten Band der GA-333 zur Dreiglieder­ung und freiem Geistesle­ben finden Sie hier, sowie alternativ hier und hier.

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Witzenmanns Problem mit dem durchschauten Weltgeschehen

Daß der hermeneutische Irrläufer Witzenmann mit seinem Steinerver­ständnis na­türlich auch das Welt­geschehen nicht durch­schaute, von dem er nicht ein­mal wusste, was Stei­ner über­haupt da­mit meinte, das ver­steht sich von selbst. Auch Wit­zenmann kam wie Kant «an die Sache nie her­an», um mit Steiner zu sprechen. Witzen­manns Schüler ebenso wenig, wie wir oben aus al­lerjüngster Zeit wieder anhand von Wage­manns Wit­zenmann-Übersetzung de­monstrierten.

Im Gegensatz dazu kommt der­jenige aber «an die Sa­che her­an», der Wirkendes und Bewirk­tes in ihrem Zusam­menhang unmit­telbar er­lebt. Das ist trivial. Dass er dann als Be­obachter dieses Ge­schehens zugleich auch das Weltgesche­hen durch­schaut, liegt in der Natur dieser Sache, bleibt aber in aller Re­gel einem Steinerinterpreten (und nicht nur Savol­delli oder Wa­gemann) ein Buch mit sie­ben Sie­geln, weil er die ganzen philosophi­schen Zusam­menhänge und Lö­sungsbemühungen um das Kausalitäts­problem nicht kennt. Und dem­zufolge auch die denk-psycho­logischen Lösungs­bemühungen Steiners nicht versteht, weil er sie mit den paral­lelen Bemühungen von Stei­ners Zeit­genossen zudem auch nicht in Ver­bindung zu brin­gen vermag. Die entspre­chende Problemges­chichte der naturwissen­schaftlichen Kau­salerkenntnis muß er sich erst geson­dert an­eignen, um die natur­erklärende Reichweite der Beobach­tung des Den­kens in Stei­ners frühen Begründungsschrift­en verste­hen zu kön­nen.

Es geht dabei aus­nahmslos immer auch um das neuzeitliche Kausalitäts­problem und dessen Lö­sung, wie man schon eingangs der Philoso­phie der Freiheit gleich im ersten Kapitel, und ebenso ein­gangs ihres dritten Kapitels zu lesen bekommt. „Ist der Mensch in sei­nem Denken und Han­deln ein geistig freies Wesen oder steht er unter dem Zwange ei­ner rein naturgesetzli­chen ehernen Not­wendigkeit?“ So fragt ihr Verfas­ser direkt zu Beginn des Wer­kes im Kapi­tel I. Was dann auf den ersten Sei­ten ihres dritten Kapitels in etwas veränder­ter Form und mit ei­nem Blick auf den physio­logischen Psychologen und erklärten Kant-Hume-Anhän­ger Theo­dor Ziehen neuerlich vorge­bracht wird. (Siehe Ziehen speziell in dessen Handbuch der physiologi­schen Psychologie, S. 170 f, wo er nicht als einziger einen Mecha­nismus des Denkens gel­tend macht.) Nur kön­nen sich anthroposo­phische und andere Interpret­en in der Regel dar­auf kei­nen Reim machen, weil sie die neuzeitliche Problemges­chichte der empi­ristischen Kausal­erklärung eben nicht kennen. Auch nicht die Tatsa­che, daß man zu Stei­ners Zeit dieses Problem ana­log wie Steiner auf dem Wege der inneren Beob­achtung auf empirisch psycholo­gischem Wege zu lösen suchte. So daß der psychologische Zeitge­nosse Steiners, Os­wald Külpe, von dem wir oben auf S. 9 bereits deswegen sprachen, auf S. 311 f mit Blick auf die mechanisti­schen Psy­chologen seiner Zeit nach Art Ziehens und F. A. Lan­ge schreibt, sie gä­ben den Philosophen «Steine statt Brot». Und sei­nerseits in diesem Arti­kel S. 312 ff spricht von der «monarchischen Struktur des Seelenle­bens». Das alles schei­nen die anthroposophis­chen Interpreten nicht zu kennen. Als In­terpreten können sie Steiners Kausalitäts-Anlieg­en dann erst recht nicht begrei­fen, wenn sie dazu auch noch im Vor­feld dessen am Ver­ständnis der Beob­achtung des Den­kens gehind­ert wer­den, und vor der Frage ste­hen, wie je­mand das Weltge­schehen durchschaue­n kön­nen sollte, wo er doch noch nicht einmal das aktu­elle Den­ken laut Stei­ner beob­achten kann. Und dann wie Witzen­mann in all seiner Ver­ständnislosigkeit mit einem «Er­zeugungsproblem» darauf reagieren. (Siehe Wagem­ann oben, der­zeit S. 48 ff.) Wo es dann eben darauf an­kommt, was Steiner un­ter einer Be­obachtung des Denkens überhaupt ver­steht, damit sol­che Mißverständ­nissse nicht aufkomm­en, und der In­terpret womög­lich glaubt, daß man das unbe­obachtbare ge­genwärtige Denken womög­lich auch gar nicht er­fahren kann. Siehe Witzenm­ann! - Auch bei Anthroposop­hen ist das eine re­gelmäßig und häu­fig anzutref­fende Fehl­interpretation. Daß ih­nen da­mit und bei all ihrer wissenschaftsges­chichtlichen Un­kenntnis auch Stei­ners kausali­tätsphilosophischer Lö­sungsansatz nebst seinem inneren Naturforschungsanlieg­en ganz zwangs­läufig und unver­standen durch die Hände rinnt, liegt auf der Hand. Da bleibt eben auch Steiners unverstan­dene «aller­wichtigste Be­obachtung» aus der Philosophie der Freiheit inwis­chen regelm­äßig auf der Strecke. Zu­mal dann, wenn sie aus der Schule Witzen­manns stam­men, wo solche Denk­ansätze Stei­ners ange­sichts von Wit­zenmanns bi­zarrer «erkenntnistheoretis­chen Grundfrag­e», «Wie Unbe­obachtbares zur Erin­nerung wer­den kann?» schon prinzipi­ell jen­seits al­ler Möglich­keiten lie­gen. Da ist am Ende des Tun­nels über­haupt kein Licht mehr sichtbar.

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Wir können die Sachlage hinsichtlich des Zusammenfallens von Wahr­nehmung und Begriff inzwi­schen noch viel weiter eingrenzen und präzi­sieren. Stei­ner spricht wie gesagt bei der «erkenn­enden Betrachtung des Denkens» auch von ei­ner «Gegenüberstellung». Das nicht nur in der Phi­losophie der Freiheit im Kapitel III, hier S. 26 ff, bzw. in der Erst­auflage von 1894 im Ka­pitel IV hier S. 39, sondern bereits rund acht Jahre zuvor in den Grundli­nienvon 1886 am Ende des Kapitels 4, auf S. 28 f, wo es diesbezüg­lich heisst: „Auch das Denken selbst er­scheint uns zu­nächst als Erfah­rungssache. Schon indem wir forschend an unser Den­ken heran­treten, setzen

wir es uns gegenüber, stellen wir uns seine erste Ge­stalt als von ei­nem uns Unbe­kannten kommend vor. [] Das kann nicht an­ders sein. Un­ser Den­ken ist, beson­ders wenn man sei­ne Form als indivi­duelle Tätig­keit inner­halb unseres Bewußtseins ins Auge faßt, Betracht­ung, d. h. es richtet den Blick nach außen, auf ein Gegenüberste­hendes. Dabei bleibt es zu­nächst als Tätigkeit stehen. Es würde ins Lee­re, ins Nichts bli­cken, wenn sich ihm nicht etwas gegen­überstellte. [] Dieser Form des Gegenüberstellens muß sich alles fügen, was Ge­genstand unseres Wis­sens werden soll. Wir sind unvermögend, uns über die­se Form zu erhe­ben. Sollen wir an dem Denken ein Mittel gewin­nen, tie­fer in die Welt einzu­dringen, dann muß es selbst zuerst Er­fahrung wer­den. Wir müssen das Denken innerhalb der Er­fahrungstatsachen selbst als eine solche aufsuchen.- «Wir müssen das Denken in­nerhalb der Er­fahrungstatsachen selbst als eine solche aufsuchen», die dann als Erfah­rungstatsache «gegenüber­stellend zu be­trachten ist»; um bei Steiners ei­gener Aus­drucksweise und Methode zu bleiben. Denn wer das Denken erforscht, so Steiner, «der muß es sich gegenüberstel­len». Und es dann den­kend be­trachten.

Diese Verfahrensweise der betrachtenden Gegenüberstellung gilt also nicht nur 1886, son­dern gleichermaßen 1894 in der Philosophie der Frei­heit. Und ebenso in ihrer Zweitaufla­ge von 1918. Bei den Grundli­nien ... bleibt es damit also nicht, sondern derselbe zwingend­e methodi­sche Hin­weis zur gegenüberstellenden denkenden Be­trachtung des Den­kens findet sich auch im dritten Ka­pitel der Philoso­phie der Freiheit. So an zentraler Stelle der Zweitauflage von 1918, auf S. 43 f / in der Ausga­be von 1958 auf S. 27: „Zwei Dinge vertragen sich nicht: täti­ges Hervor­bringen und be­schauliches Gegenüberstellen. Das weiß schon das erste Buch Mo­ses. An den ersten sechs Weltta­gen läßt es Gott die Welt her­vorbringen, und erst als sie da ist, ist die Möglichkeit vorhanden, sie zu beschau­en: «Und Gott sahe an alles, was er ge­macht hat­te; und siehe da, es war sehr gut.» So ist es auch mit unserem Denken. Es muß erst da sein, wenn wir es beobachten wollen“ So heißt es in der Zweitauflage von 1918. Und das­selbe auch auch in der ersten Erstaufla­ge von 1894 im Kapitel IV, S. 39 f.

Nun ist das Denken eben nicht nur der nachträglich begreifenden, gegen­überstellenden Beobach­tung zugänglich, sondern selbstverständ­lich auch der unmittelbaren Erfahrung. Auch das be­reits in den Grundli­nienvon 1886. Dort im Kapitel 8., hier S. 44 f. Vorgebracht dort mit den Worten: „Tritt nun das Denken wirklich in einer Weise an uns heran, wird es un­serer Indiv­idualität so be­wußt, daß wir mit vollem Rechte die oben her­vorgehobenen Merkmale für dasselbe in Anspruch nehmen dür­fen? Je­dermann, der seine Aufmerksam­keit auf diesen Punkt richtet, wird fin­den, daß ein wesentlicher Unterschied zwischen der Art besteht, wie eine äuße­re Erscheinung der sinnenfäl­ligen Wirklichkeit, ja selbst wie ein an­derer Vorgang unseres Geisteslebens bewußt wird, und je­ner, wie wir un­ser eigenes Denken gewahr werden. Im ers­ten Falle sind wir uns be­stimmt bewußt, daß wir einem fer­tigen Dinge gegenübertre­ten; fertig nämlich insoweit, als es Erscheinung gewor­den ist, ohne daß wir auf die­ses Wer­den ei­nen be­stimmenden Einfluß ausgeübt haben. Anders ist das beim Denken. Das erscheint nur für den ersten Augenblick der übri­gen Erfahrung gleich. Wenn wir irgend einen Gedan­ken fassen, so wis­sen wir, bei aller Unmittelbarkeit, mit der er in un­ser Bewußtsein ein­tritt, daß wir mit seiner Entstehungsweise innig verknüpft sind. Wenn ich ir­gend einen Einfall habe, der mir ganz plötzlich gekommen ist und des­sen Auf­treten daher in ge­wisser Hinsicht ganz dem eines äußer­en Er­eignisses gleichkommt, das mir Augen und Ohren erst vermit­teln müs­sen: so weiß ich doch immerhin, daß das Feld, auf dem dieser Gedanke zur Erschei­nung kommt, mein Be­wußtsein ist; ich weiß, daß meine Tä­tigkeit erst in Anspruch genommen wer­den muß, um den Ein­fall zur Tat­sache werden zu lassen. Bei jedem äußeren Objekt bin ich ge­wiß, daß es mei­nen Sin­nen zunächst nur seine Außenseite zuwendet; beim Gedanken weiß ich ge­nau, daß das, was er mir zuwendet, zugleich sein Alles ist, daß er als in sich vollendete Ganzheit in mein Bewußt­sein ein­tritt. Die äußeren Trieb­kräfte, die wir bei einem Sinnenob­jekte stets vorauss­etzen müs­sen, sind beim Gedanken nicht vorhanden. Sie sind es ja, denen wir es zuschreiben müs­sen, daß uns die Sinneserscheinung als et­was Fertiges entgegentritt; ihnen müssen wir das Werden derselben zu­rechnen. Beim Gedanken bin ich mir klar, daß je­nes Werden ohne meine Tä­tigkeit nicht möglich ist. Ich muß den Gedanken durcharbei­ten, muß seinen Inhalt nachschaffen, muß ihn innerlich durchleben bis in seine kleinsten Teile, wenn er über­haupt irgendwelche Bedeu­tung für mich haben soll.“ - Da­mit haben wir einen re­lativ langen und hoch interes­santen Sachver­halt vor uns.

Der Gedanke zeigt «sein Alles». Weil wir es hier «nicht mit unzugängli­chen äußeren Trieb­kräften zu tun haben, sondern mit der erlebten eige­nen Tätigkeit», die ihn erst zur Erschei­nung bringt. Wir haben demnach beim Denken Wirken­des und Bewirktes unmittelbar im Be­wußtsein vor­liegen. Was laut Steiner bei keiner einzigen «äu­ßeren» Tatsache der Welt der Fall ist. (Das­selbe noch ein­mal mit besonderer Emphase her­vorgehoben in Goethes Weltan­schauung von 1897, S. 67 - 72; in der späteren GA-6 von 1990 auf S. 83 ff.) Es ist dies der Grund, warum laut Steiner das Denken bereits in un­mittelbarer Er­fahrung sein We­sen ent­hält, wie er rückbli­ckend im Kap 15, S. 86 der Grundlinienei­gens noch ein­mal an­führt: „Wir er­innern uns, war­um eigentlich das Den­ken in unmittelba­rer Erfahrung be­reits sein We­sen ent­hält. Weil wir inner­halb, nicht außer­halb jenes Pro­zesses stehen, der aus den einzelnen Ge­dankenelementen Gedanken­verbindungen schafft. Da­durch ist uns nicht al­lein der vollen­dete Pro­zeß, das Be­wirkte gege­ben, sondern das Wir­kende.“ In Goe­thes Weltanschauung wird das Anliegen der Grundli­nienund sei­ner Ausgestaltung in der Phi­losophie der Frei­heit gewis­sermaßen noch einmal kombiniert, und gleichzeitig mit einer Kritik an Goethe ver­knüpft, die es weder in den Grundlinien, noch in der Philosop­hie der Freiheit gab. Nur in mittelbarer Form in Wahrheit und Wis­senschaft (am Ende der Vorrede, S. 6) dahingehend, dass Steiner dort seine gedankli­che Unabhän­gigkeit von Goethe in Anspruch nahm, die in der «kombi­nierten» Varian­te von Goethes Weltanschauung dann noch einmal spezi­ell beleuchtet wird. Dahin­gehend, daß Goe­the den Weg über die Beob­achtung des Denkens nie habe gehen wollen / und können. Dar­in wieder­um unterscheidet sich Steiner von ihm natürlich fundamen­tal über alle Grundschriften hinweg. So daß man mit Steiner auch von Goe­the sa­gen muß, er hat die «wirkende Idee» in der Gestalt des eige­nen, sich selbst tätig beobachtenden Denkens nie zum Thema ge­macht, und in dieser Weise Steiners natürlich auch das «Weltgesche­hen» nie durch­schaut. Bei al­lem Idealism­us und Ideenrealismus Goe­thes.

Das alles sollte man im Auge behalten ange­sichts Steiners oben erwähn­ter kritisch abgrenzen­der Bemerkung zu He­gel, daß es ihm (Steiner) vor­nehmlich darum gehe, den Pro­zeß ins Auge zu fas­sen, durch den Begriff­e und Ideen erst gewonnen werden. In die­sem Pro­zeß wie­derum, - und das ist jetzt die naturwissenschaftliche Dimension des Erkenntnisprob­lems, - liegt ein er­lebter Zusam­menhang von Wirkendem und Be­wirktem vor, der in der Aus­prägung eines Kausalzusammenhan­ges, der ja ebenfalls ein Zusammenhang von Wirkendem und Be­wirktem ist, eine endlo­se Heraus­forderung der naturwis­senschaftlichen Grundlagen­forschung dar­stellte, wie Steiners Hinweis auf Kant und die Dogmatis­men von Of­fenbarung und Erfah­rung im Ka­pitel 14 der Grundlinienzeigt. Die «an die Sa­che nie herankommen», wie es bei Steiner heißt (hier S. 82).

So schreibt er dort: „Fassen wir einmal streng ins Auge, wie eine Be­hauptung der Wissen­schaft zustande kommen kann. Sie verbindet zwei Dinge: ent­weder einen Begriff mit einer Wahrneh­mung oder zwei Be­griffe. Von letzterer Art ist z. B. Die Behauptung: Keine Wir­kung ohne Ursa­che. Es können nun die sachlichen Gründe, warum die beiden Be­griffe zu­sammenfließen, jenseits dessen liegen, was sie selbst enthalten, was mir da­her auch allein ge­geben ist. Ich mag dann noch immerhin ir­gend welche formelle Gründe haben (Wider­spruchslosigkeit, bestimmte Axiome), wel­che mich auf eine bestimmte Gedankenverbindung leiten. Auf die Sa­che selbst aber haben diese keinen Einfluß. Die Behauptung stützt sich auf etwas, das ich sachlich nie er­reichen kann. Es ist für mich daher eine wirkliche Einsicht in die Sache nicht möglich; ich weiß nur als Außenstehen­der von derselben. Hier ist das, was die Behauptung aus­drückt, in ei­ner mir unbekannten Welt; die Behauptung allein in der meinig­en. Dies ist der Charakter des Dogmas. Es gibt ein zweifaches Dog­ma. Das Dog­ma der Of­fenbarung und jenes der Erfah­rung. Das ers­tere überliefert dem Men­schen auf irgendwel­che Weise Wahrheiten über Dinge, die seinem Gesichtskreise entzogen sind. Er hat keine Ein­sicht in die Welt, der die Behauptun­gen entspringen. Er muß an die Wahrheit der­selben glauben, er kann an die Gründe nicht her­ankommen. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Dogma der Erfahrung. Ist je­mand der An­sicht, daß man bei der bloßen, reinen Erfahrung ste­hen bleiben soll und nur deren Veränderun­gen beobachten kann, ohne zu den bewirken­den Kräften vorzu­dringen, so stellt er ebenfalls über die Welt Behaup­tungen auf, zu deren Grün­den er keinen Zugang hat. Auch hier ist die Wahrheit nicht durch Einsicht in die innere Wirk­samkeit der Sache ge­wonnen, sondern sie ist von einem der Sache selbst Äußerli­chen aufge­drängt.“ - So Steiner im Kap. 14, und macht da­bei gleich mit deutlich, daß es ihm dabei zu­gleich um die «bewir­kenden Kräfte» geht, deren Er­kenntnis anzustreben sei. Deren Erkennt­nis aber ist in beiden dargeleg­ten Formen des Dog­matismus ausgeschlossen.

Mit Kant ist bei der Kausalerkenntnis und der Erkenntnis wirkender Kräfte also empirisch nichts zu holen, lautet sein Fazit. Weil er mit sei­nen Mitteln an die Sache nicht heran­kommt. Nicht heran­kommt an den Zusammenhang von Wir­kendem und Bewirktem repektive an die «be­wirkenden Kräfte». Was ja auch Kants persönlicher Auffassung ent­sprach wie Sie beson­ders prägnant seinen Prolego­mena schon in der Vorrede (ab S. 6) entnehmen können. Ich ge­stehe frei, die Erinnerung des David Hume war eben dasjenige, was mir vor vielen Jahren zu­erst den dogmatischen Schlum­mer unterbrach, und meinen Untersuchungen im Felde der spe­kulativen Philosophie eine ganz an­dere Richtung gab. … Ich versuchte also zuerst, ob sich nicht Hu­mes Einwurf [gegen die kausale Naturerklärung, MM] allgemein vorstellen ließe, und fand bald: daß der Begriff der Verknüpfung von Ursache und Wirkung bei weitem nicht der einzige sei, durch den der Verstand a priori sich Verknüpfun­gen der Dinge denkt, viel­mehr, daß Meta­physik ganz und gar daraus be­stehe." Die ganze Kritik der reinen Vernunft, sein kriti­sches Hauptwerk, war Kants Worten zufolge darauf an­gelegt, das «Humesche Pro­blem» der Kausalerkenntnis auf einer allgemeineren Ebene und fern von jeder empirischen Erkenntnis, näm­lich rationalistisch / metaphysisch zu lö­sen. So Kant dort in der Kirchman­nausgabe auf S. 8.

Daß Kant darüber hinaus auch von der empirischen Psychologie als ei­ner ernst zu nehmenden Wissenschaft nicht viel hielt, läßt sich ganz un­missverständlich seiner Vorrede zu den Metaphysi­schen Anfangsgrün­den der Naturwissenschaft entnehmen. Kant, der schon von (S. 6) der Chemie nichts hielt, und ihr damals den Rang einer Wissenschaft ver­wehrte, sie­delte die Psy­chologie noch weit unterhalb ei­ner Chemie an, die seiner Einschät­zung zufolge nie in den Stand einer soliden mathe­matisierbaren Natur­wissenschaft würde gelan­gen kön­nen. Für die Psy­chologie sah es seiner Auffassung nach noch um ein Vielfaches düs­terer aus: „Noch wei­ter aber, als selbst Chemie, muss empirische Seelen­lehre jederzeit von dem Ran­ge einer eigentl­ich so zu nennenden Naturwis­senschaft ent­fernt bleiben, erst­lich, weil Mathematik auf die Phä­nomene des inneren Sin­nes und ihre Gesetze nicht an­wendbar ist, [...] Aber auch nicht ein­mal als systematische Zergliederungs­kunst oder Expe­rimentallehre kann sie der Chemie jemals nahe kommen, weil sich in ihr das Man­nigfaltige der inneren Beobachtung nur durch blosse Gedankenthei­lung von einander absondern, nicht aber abgesondert aufbe­halten und belieb­ig wiederum verknüpfen, noch weniger aber ein an­deres denkendes Sub­ject sich unse­ren Versu­chen, der Absicht ange­messen, von uns unter­werfen lässt, und selbst die Beobacht­ung an sich schon den Zustand des beobachteten Gegen­standes al­terirt und ver­stellt. Sie kann da­her niemals etwas mehr als eine historische, und, als solche, so viel mög­lich syste­matische Na­turlehre des inneren Sin­nes, d. i. eine Naturbe­schreibung der Seele, aber nicht Seelenwissen­schaft, ja nicht einmal psychologische Expe­rimentallehre wer­den; ..." (Vorre­de, S. 7) Mit dem selbstbeobachtenden psycholo­gischen Erken­nen des eigenen Den­kens ei­nen empiri­schen Weg zur Lösung des Kausali­tätsproblems zu suchen, wäre ihm schon von da­her ganz unmöglich ge­wesen. Die Suche nach den Kräften der Na­tur im Menschenin­neren, wie es in Steiners Kapitel II der Philosophie der Freiheit ganz ausdrü­cklich for­muliert wird, wäre deswegen für Kant schlech­terdings ein Un­ding ge­wesen. Während für Steiner die Ver­hältnisse vollkommen anders lagen. Das Er­kennen und Erleben von wir­kenden Kräften ist laut Steiner al­lein mög­lich bei der er­lebten Erkennt­nis des Den­kens. Weil da für Steiner be­reits dieser Zusammen­hang von Wirkendem und Bewirk­tem in der un­mittelbaren Er­fahrung vorliegt und nir­gendwo sonst. Daß Stei­ner bei der im Kapi­tel 14 der Grundlini­enschon ange­deuteten kantia­nistischen Misere der em­pirischen Na­turwissenschaft dann in der 1894 nachfolgen­den Philoso­phie der Frei­heit die Beobacht­ung des Den­kens zur «Aller­wichtigsten er­klärt, die der Mensch ma­chen kann», ver­steht sich ange­sichts der 1886 am Beispiel Kants be­handelten empi­rischen Zwangslage mit ihrem Erklär­ungsnotstand des kriti­schen / skepti­schen Em­pirismus weitge­hend von selbst. Denn die «allerwicht­igste Beobach­tung» aus der Philo­sophie der Frei­heit rekur­riert ganz explizit auf den er­lebten Zusam­menhang von Wir­kendem und Bewirkt­em im Den­ken. Es geht dort um erlebte und durchschaute schöpferische Pro­duktivität im Denken. Et­was, was Kant als erklär­ter Metaphy­siker von Naturwissens­chaft und Kausa­lerkenntnis zu­sammen mit Hume nie­mals fand. Und erst recht nicht auf empiri­schem Wege im erlebten Den­ken. Der Umschwung von Kant der nicht ein­mal eine sichere Kausalerkennt­nis für möglich hielt, zu Steiner ist so gesehen wirklich gewaltig. Inso­fern, als Steiner sogar die Naturwissens­chaft – das «naturwissenschaft­lich Si­chere», - mit den Mitteln ei­ner seelischen Beobach­tung begrün­dete, vor der Kant sich damals buch­stäblich, so möchte man sa­gen, be­kreuzigte.

Als Ergänzung dazu noch einmal der Hinweis, daß Steiner bereits in der frü­hen Auseinanderset­zung mit Eduard von Hartmann (1887) von der «verursa­chenden Idee» spricht. Und damit im Zu­sammenhang den menschlichen Willen als «Idee» bezeichnet, „diese als Kraft aufge­faßt.“ (GA-1, Dor­nach, 1987, S. 196 ff). Dasselbe bereits dargelegt in den Grundlinienvon 1886 (siehe nach­folgend). Ein Analogon dazu fin­det sich wiederum im spä­ter skizzierten an­throposophischen Schu­lungsweg, wo Steiner an­lässlich der Gedankenübung von einer «Wil­lenswirklichkeit» spricht, die «ihre Wirklichkeit in sich selbst trägt». (GA-35, S. 276 f) Für ei­nen Ide­enrealisten wie Stei­ner, für den die gesamte Natur einen organisier­ten Weisheitszus­ammenhang der «umfassen­den Idee» dar­stellt, ist es natürlich naheliegend, die wir­kenden Kräfte (Ideen) der Welt und ihres «Urgrun­des» zuallererst mit ihrer Wirksamkeit in Form kraftender und wirken­der Ideen im eigenen Den­ken zu suchen; - dort wo auch Ideen unmittelb­ar erleb­bar schöpferisch hevor­gebracht werden. Und dieses ideenrealistisch-naturwissenschaftl­iche For­schungsziel läßt sich bei Stei­ner von Anfang an eindeu­tig belegen. Insbesond­ere natür­lich in den Grund­linienvon 1886. Ganz unmissver­ständlich dort ausge­sprochen schon im Ka­pitel 8 mit seiner Aussage von der Denktätig­keit als «täti­gem Gedan­kengehalt der Welt». (GA-2, S. 46 ff) Wenn er dann 11 Jahre später in Goethes Weltan­schauung S. 70 vom «durch­schauten Weltgeschenen anhand der Beobachtung des Denkens» spricht, dann liegt das auf der Hand. Wie es ebenso auf der Hand liegt, wenn er ebendort im selben Zu­sammenhang von der «durschauten Idee bei der Beobachtung des Den­kens» spricht: „An dem Zustandekommen aller üb­rigen Anschauungen ist der Mensch unbeteiligt. In ihm le­ben die Ideen dieser Anschauun­gen auf. Diese Ideen würden aber nicht da sein, wenn in ihm nicht die pro­duktive Kraft vorhanden wäre, sie zur Erschei­nung zu bringen. Wenn auch die Ideen der Inhalt dessen sind, was in den Din­gen wirkt; zum er­scheinenden Dasein kommen sie durch die menschli­che Tätigkeit. Die eigene Natur der Ideenwelt kann also der Mensch nur er­kennen, wenn er seine Tätigkeit anschaut. Bei je­der ande­ren Anschau­ung durchdringt er nur die wirkende Idee; das Ding, in dem gewirkt wird, bleibt als Wahr­nehmung außerhalb seines Geistes. In der Anschau­ung der Idee ist Wir­kendes und Bewirktes ganz in seinem In­nern ent­halten. Er hat den gan­zen Prozeß restlos in seinem Innern ge­genwärtig. Die Anschau­ung er­scheint nicht mehr von der Idee hervorge­bracht; denn die Anschau­ung ist jetzt selbst Idee. Die­se Anschauung des sich selbst Her­vorbringenden ist aber die Anschau­ung der Frei­heit. Bei der Beobach­tung des Denkens durchschaut der Mensch das Weltgesche­hen. Er hat hier nicht nach einer Idee dieses Geschehens zu forschen, denn dieses Geschehen ist die Idee selbst. Die sonst erlebte Einheit von Anschauung und Idee ist hier Erle­ben der anschaulich gewordenen Geistig­keit der Ideenwelt.“ Im Prinzip war das alles bereits 1886 in den Grundli­nienschon so aus­gesprochen.

Nun, Dogmatiker von Offenbarung und / oder Erfahrung sind neben Me­taphysikern unter den Wissenschaftsphilosophen wie Kant auch alle na­turwissenschaftlichen Physikalisten, weil sie «nie an die Sache heran­kommen», wenn sie einen Kausalzusammenhang behaupten, ohne eine wirkli­che Einsicht in die sachlichen Gründe dieses Zusammen­hangs zu haben. Und dann auf Kant oder Hume und deren gegenwärtige Ab­kömmlinge in Begründungsfragen setzen. - Was Steiner in je­nem Kapi­tel 14 der Grundliniendarlegte, gilt heute noch ganz genau so. Inso­fern ist es natur­wissenschaftlich und werkgene­tisch von besonderer Tragwei­te, wenn Steiner bei der Beob­achtung des Denkens schon 1886 einen «erleb­ten Zusammenhang von Wir­kendem und Bewirktem» gel­tend macht, und davon 1897 in Goethes Welt­anschauung (hier S. 70) schreibt, daß «der Beobach­ter des Denkens das Weltgesche­hen durch­schaut». In­sofern muß man sich über das vor­rangig in­duktiv naturwis­senschaftliche Anliegen von Stei­ners früher Er­kenntniswissenschaft, das in allen sei­nen damaligen Begründungswer­ken regel­recht in die Au­gen springt, wirklich nicht mehr strei­ten. Es geht in diesen Begründungsschrift­en um den em­pirischen Naturforschungs-Zugang zu ei­ner Geist-Natur, wie er es in An­lehnung an Goethes Essay Die Natur im zweiten Kapitel der Phi­losophie der Freiheit eben­falls formulierte.

Was hin­reichend verdeutlicht, dass der unmittelbar erlebte Zusammen­hang von Wir­kendem und Bewirktem, wie er von Steiner be­tont wird, von ausser­ordentlicher Bedeutung für die em­pirisch-naturwissenschaftliche Welter­klärung ist. Weil er anderswo eben nicht zu erleben ist. Was wieder­um verständlich macht, daß der Mensch als komplementärer Na­turforscher laut Goe­thes Weltan­schauung «bei der Be­obachtung des Den­kens das Weltgeschehen durch­schaut», wie es 1897 (S. 70) hieß. Weil er bei der Beobachtung des Denkens eine unmittelbar­e Einsicht nicht nur in die lo­gischen Verhältnisse, sondern, und das gilt ja für den Naturwissens­chaftler vor allen Dingen und mit Vorrang: Vor allem in den Zusam­menhang von Wir­kendem und Bewirktem hat. Mit der Logik allein und ihren Prinzipen, das zeigt Stei­ners Ka­pitel 14 der Grundlini­en, kommt man beim Verständ­nis von Naturwirksam­keiten nicht weit. Man kann und muss sich sich zwar an logischen Prin­zipen wie Widerspruchsfreih­eit etc orientieren, das allein reicht indessen nicht. Denn was nützt es, wenn man die eigentli­chen sachli­chen Erklä­rungsgründe nicht kennt und zudem auch noch behauptet, sie niemals kennen zu kön­nen. In diesem Fall baut man nur noch hypothetisch-il­lusionäre Welterklä­rungsluftschlösser, die auch beliebig anders ausse­hen können, so weit sie eben formal-logisch einigermassen konsistent sind. Unter derar­tigen Voraus­setzungen kann man mit Kant auch gleich wie hier S. 6 ff Meta­physiker der Naturwissen­schaft blei­ben, ohne ir­gend et­was zu ihrem wirklichen em­pirischen Ver­ständnis beitra­gen zu können. Und mit seinen logi­schen Zau­bereien damit dann ganz zwangs­läufig beim Ir­realismus eines uner­kennbaren Dinges an sich en­den.

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Den Prozeß des Denkens und ebenso sein Resultat, den Gedankeninhalt, habe ich in unmittel­barer Erfahrung vorliegen. - So Steiner bereits 1886 auf S. 56 der Grundlinien. «Wir ste­hen inner­halb, nicht außerhalb je­nes Prozesses, der aus den einzelnen Gedan­kenelementen Gedankenverbin­dungen schafft. Und infolgedessen ist uns nicht allein der vollen­dete Prozeß, das Be­wirkte gegeben, sondern auch das Wirken­de.» Eine Fest­stellung im Kapitel 15, die wahrlich nicht ganz zufällig gleich dem Kapi­tel mit der kritischen Be­trachtung zu Kants Kausalitätsprob­lem und den beiden Dogmatismen nachfolgt.

Diese Sachlage vom «erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Be­wirktem» fir­miert spä­ter in der Philosophie der Freiheit (hier S. 181, oder alternativ hier, S. 256) auch unter dem Terminus «intuitiv er­lebtes Denken», als einer «Wahrneh­mung, in der der Wahrnehmend­e selbst tä­tig ist. Und einer Selbstbetätigung, die zugleich wahr­genommen wird.» Dort zwar in den Zusätzen von 1918 platziert, aber der Sache nach längst schon, wie der Leser sieht, in den Grundlinienvon 1886 vor­handen un­ter dem Stich­wort «erlebter Zusam­menhang von Wir­kendem und Be­wirktem.» Was 1886 bereits in den Grundlinienzu le­sen war, das wird dort in den Zusätzen von 1918 noch einmal auf­genommen und zu­sätzlich be­kräftigt.

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Man kann das gar nicht oft genug wiederholen wenn es um die Frage der Beob­achtung des Den­kens bei Steiner geht. Denn es wird schon 1886 klipp und klar gesagt, daß der Tätig­keitsprozeß des Denkens na­türlich ebenfalls in der un­mittelbaren Erfahrung als «Wirken­des» vor­liegt und nicht nur das von ihm «Bewirkte». Was ja in Wahrheit und Wis­senschaft im Kapit­el IV hier S. 37 ausdrück­lich noch einmal und neuer­lich im Rü­ckgriff und im Zusammen­hang mit dem Begriff der Kausali­tät wieder­holt wird. Desgleichen in der Philoso­phie der Frei­heit. Sowie 1897 dann noch einmal in aller Dringlich­keit und Prägnanz in der Schrift Goe­thes Weltanschauung im Kapitel Die Metamorphose der Welterscheinun­gen (hier in der Erstauflag­e von 1897, S. 70; in der GA-06 von 1990 auf S. 85 ff). Wenn Sie sich jetzt noch ein­mal Stei­ners Ausein­andersetzung mit dem Kausali­tätsproblem Kants im Kapitel 14 S. 81 ff der Grund­linienansehen, dann wird Ihnen wie ge­sagt einiges noch weit kla­rer wer­den, was Steiner mit dem erlebten Zu­sammenhang von Wirken­dem und Be­wirktem und der Beob­achtung des Denkens mit Blick auf das Weltge­schehen alles verbin­det. Eine weit ausführli­chere Betrach­tung dazu fin­den Sie wie gesagt in meiner län­geren Studie, Bil­dende Kräfte und Ru­dolf Steiners Philosophie der Freiheit, die der Fra­ge der inneren Kausa­lität im Zusammen­hang mit der Beobachtung des Denkens ausge­dehnt auch phi­losophiegeschichtlich und im Zusammen­hang mit dem Kausali­tätsproblem von Hume und Kant nach­geht. Hier im vor­liegenden Kapitel würde uns das jetzt zu weit füh­ren. Weswe­gen ich hier 2022 nur einiges ergänz­e, was mir zur Präzisierung des seit cir­ca 10 Jahren hier vorliegen­den Kapitels sehr wich­tig er­schien.

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Das Denken wird demnach, wenn man bei Steiners Ausdrucksweise bleibt, vom Denken "gese­hen". In diese Richtung zielt auch sein Hin­weis von Kap. IX, hier, S. 101 der Philo­sophie der Freiheit: "Im Be­trachten des Denkens selbst fallen in eines zusammen, was sonst immer getrennt auftreten muß: Begriff und Wahrnehmung." Der unmittelbar vorange­hende sachli­che Kontext des Zitats ist der Frage gewidmet, wo­mit oder wo­durch das Den­ken zu erklären sei. Das Den­ken, so Steiner auf könne "un­mittelbar angeschaut" wer­den und weist hirnphysiologis­che Erklä­rungen eben­so zurück wie Ansätze, die das Denken auf unbe­wußte Vor­gänge zurückf­ühren wollen. Das Zusammen­fallen von Wahr­nehmung und Begriff steht hier also im Konnex mit der Selbsterklä­rung bezie­hungsweise Er­kenntnis des Denkens und bedeutet, daß der be­schreibende Begriff, der mir bei der Beobachtung des Den­kens aufgeht, gleichzu­setzen ist mit der Anschauung des Den­kens. Das Denken kann also nur durch Begriffe «anges­chaut» oder «gesehen» wer­den. Oder wenn wir noch präziser sein wollen: begriffen werden! Denn darum geht es ja im vorliegenden Fall. Und zwar auf einer rein deskriptiven Ebene. Wie es zu­dem beim Begreifen bei Steiner ganz allgemein not­wendig ist, gehört dazu auch die Wahrnehm­ung der individuellen be­greifenden Denktätig­keit, ohne welche das Den­ken gar nicht zu begreif­en ist. Schon gar nicht induktiv auf empirischen Wege.

Letzteres sage ich auch hier in ausdrücklicher Abgrenzung von Herbert Witzen­mann, der im Kapi­tel Intuition und Beobachtung im gleichnami­gen Band Nr. 1, Stuttgart 1977 auf S. 83 in der An­merkung 83 seinem Leser er­klärt: „Das Denken kann nicht, wie es die materialisti­schen Den­ker an­streben, »durch einen bloßen Beobachtungsprozeß« in dersel­ben Art wie die an­deren Gegen­stände des Weltinhaltes gefunden wer­den. Viel­mehr entzieht es sich der »nor­malen Be­obachtung« und ist nur ei­nem »Aus­nahmezustand« des Beobachtens, nämlich der Intuition zu­gänglich.“ - Da­mit hat Witzenmann Steiners Frühschriften faktisch auf das bloße Niveau jener klassischen Meta­physik degradiert, die für ihre rationalen Konstruktionen keine empirische Grundlage, sondern es nur mit ausgedachten Gegenständen zu tun hat. Und für begriffliche Kon­struktionen, auch der rein metaphysischen Art, sind nun einmal Intuitio­nen zuständig, weil ich die natürlich für meine Be­griffsbildung benöti­ge. Auch für eine rein meta­physische. Das wäre auch bei Rudolf Steiner nicht anders. Begriffe allein aller­dings, das wis­sen wir auch von Stei­ner, garantieren noch längst keine Wahrheit, sondern bieten nur eine halbe und gegebenen­falls nur ausge­dachte Schein-Wirklichkeit. Deswe­gen war der Empirist Steiner auch kein Meta­physiker. Was bei Witzen­mann aber eher so ist. Wäh­rend Steiner ganz anders vorgeht als Wit­zenmann. Wir wer­den auch gleich sehen, warum dem so ist. Und war­um sich das bei Stei­ner so voll­kommen anders verhält als bei Witzen­mann: Im Gegen­satz nämlich zu Witzen­mann exis­tiert bei Steiner eine Wahrneh­mung der eigenen Denkakti­vität, die es bei Witzenmann nicht gibt. Des­wegen ist Steiner auch kein rationalistischer Metaphy­siker mit «Erzeugungsproblem­en» wie Witzen­mann, son­dern Empirist und induk­tiver Ideen- re­spektive Geistesfor­scher.

Ein maßgebliches Unter­scheidungskriterium zwischen Stei­ner und Wit­zenmann ist die Wahrneh­mung der ei­genen Denk-Akti­vität, des «Wir­kenden», wie Steiner in den Grundlinien, Kap. 15 (S. 86) schreibt, die bei Witzenmann in einer unmittelbar erlebten Form schlechter­dings nicht exis­tiert, sondern lediglich in einer erdachten. Während Stei­ner grundle­gend dar­auf, auf der unmittel­baren Erfahrung der eigenen Akti­vität des Denkens aufbaut. In sämtli­chen Früh­schriften Steiners ist das so. Wenn der Leser sich erst einmal darum bemüht, wird er hoch er­staunt darüber sein, wie klar und regelmäßig diese Sachlage von Steiner ausgesproc­hen wird. Die erlebte Aktivität des Denkens ist bei Steiner der ent­scheidende em­pirische Bezugspunkt seiner Erkenntniswissen­schaft, - «als das volle Erleben der Aktivität des Denkens», wie es bei ihm später rückbli­ckend auf seine Philosophie der Freiheit noch heißt (GA-78, Dor­nach 1968, S. 41 f. Vor­trag vom 30. August 1921.) Wäh­rend es die­se er­lebte Aktivität des Denkens, die von Steiner beständig und mit großem Nachdruck in den Frühschriften betont wird, bei Wit­zenmann, - und vor al­lem laut dessen Steine­rinterpretationen erklärter­maßen gar nicht gibt, ob­wohl Steiner von 1886 bis 1897 in den Früh­schriften kon­tinuierlich darüber spricht und daran alles wei­tere fest macht. Stattdessen existiert bei Witzen­mann nachweislich seit 1948 ein in Steiners Begründungs­werk hineininterpretiertes «Er­zeugungsproblem» bis 1983 anhaltend, und den Denk­-Akt ledig­lich in einer eben­so interpretier­ten, rein rationa­listischen Va­riante als erdachten Denk-Akt. Wenn ich aber keine Wahrnehm­ung mei­ner eigen­en Denkak­tivität habe, wie Wit­zenmann, dann bleiben na­türlich nur noch jene begriffli­chen Kon­struktionen an­hand von Intuitio­nen üb­rig, die Witzen­mann dann für sei­ne erschlosse­nen Denkak­te be­nötigt, die er in Wirk­lichkeit und laut ei­genen Aussa­gen nie erlebt, son­dern lediglich begrifflich erdichtet hat. Wie gesagt sind das ganz über­wiegend In­terpretationen Witzen­manns, in denen Steiner eine solche Auffassung unterstellt wird. Wäh­rend es sich bei Steiner komplett an­ders verhält. In dieser empirischen Schlüs­selfrage sind Witzenmanns Steiner­exegesen nachweis­lich falsch, wie sich leicht am Originalwerk Steiners überprüfen läßt.

Übrigens sind solche exegeti­schen Verstie­genheiten à la Witzenmann in der anthroposophi­schen Bewegung kei­ne Sel­tenheit, wie wir auch in den übrigen Kapi­teln dieser Studie etwa im Ka­pitel 6. 4 am Beispiel Kühle­winds ge­sehen haben. Der davon sprach, daß im ers­ten Teil der Philoso­phie der Frei­heit von der Tätig­keit des Denkens gar kei­ne Rede sei. Wäh­rend in Wirk­lichkeit das Ge­genteil der Fall ist, wie der Leser leicht evaluieren kann. Bei ei­nem ande­ren be­kannteren anthropo­sophischen In­terpreten, Helmut Kiene, findet sich in des­sen Buch, Grundli­nien einer essen­tialen Wissen­schaftstheorie von 1984 auf S. 150 sogar sehr ähnlich wie bei Witzen­mann die hermeneuti­sche, logische und em­piristische «Meisterleis­tung» formuliert, «daß sich das Denken dem Bewußts­ein entzieht, weil man es selbst hervor­bringt». So ein Un­sinn kursiert heu­te noch unveränd­ert als anthroposo­phisches Schrifttum auf dem Markt, weil es wie im Fall Wit­zenmanns of­fenbar im­mer noch die Men­talität vieler Men­schen aus den Reihen der Anthro­posophen an­spricht, und die Ver­fasser ebenso wie die späteren Heraus­geber und Le­ser sol­cher abs­trusen Inter­pretationen selbst auch nichts dazu ge­lernt ha­ben. Dazu ler­nen hätten können al­lein dadurch, in­dem sie Steiners erkenntniswissen­schaftliche Grundla­gen nur einmal an­gemessen in Au­genschein neh­men. Sich aber statt­dessen wie die Anhän­ger Witzen­manns seit vielen Jahr­zehnten hart­näckig wei­gern, das über­haupt zu tun, wie wir ganz explizit von Wage­mann oben neuerlich ge­hört ha­ben.

Treten wir der Sache etwas näher: Zunächst einmal ist der von Witzen­mann oben angeführte Ge­dankengang, das Denken sei nur in ei­nem »Aus­nahmezustand« des Beobach­tens, nämlich der In­tuition zugäng­lich“, in mehrfacher Hin­sicht verwir­rend und auch irreführend. Zum ei­nen, weil der von Steiner genannte «Aus­nahmezustand» in der «gegen­überstellenden Betracht­ung von Erfahrung­en des Denkens» be­steht, wie wir oben bereits anläßlich Steiners Grundlinienerläutert ha­ben, wo er auch schon existiert. Dar­auf beruft sich Steiner auch in der Philosophie der Freiheit vor allem mehrfach im dritten Kapitel, und am markantes­ten hier: „Zwei Dinge vertragen sich nicht: tätiges Hervorbringen und be­schauliches Gegenübers­tellen.“ (hier S. 27) Soll sagen: Ich kann nicht zwei Aktionen zu­gleich ausführen: Nämlich auf der einen Seite mei­ne Begriffe tätig her­vorbringen, und mir gleichzeitig dieses aktuelle Her­vorbringen der Begriff­e be­trachtend gegen­überstellen. Denn das (die er­kennende / be­trachtende Gegenübers­tellung) verläuft auch nur den­kend, was ja auch der Sinn die­ser gegenü­berstellenden Betrach­tung schon in den Grundli­nien von 1886 ist. Nämlich durch die gegen­überstellende Betrach­tung von Erfah­rungen des Den­kens das Denken zu begreifen. Wie ich es vor über zwanzig Jah­ren (2001) im Resümee zu dieser Studie schon gesagt habe, geht es folglich um ein doppeltes Begreifen bei der Erkennt­nis des Denkens. Nämlich um das er­kennende Betrachten meines er­kennenden Denkens. Das wiederum ist in beiden Fällen eine Aufgabe des Denkens, die ver­ständlicherweise nicht gleichzeitig, sondern nur in zwei Schrit­ten verlaufen kann, wie Steiner im dritten Kapitel der Philo­sophie der Freiheit ausführt. Die­se betrachtende Gegenüberstellung kann aber auch, und das ist Steiners Kernargument zu die­ser Beobach­tung, qualitativ nicht ver­schieden sein vom erkennenden Denken.

Was als Sachverhalt natürlich einleuchtend ist, und von je­dem Leser auch faktisch nachvollzog­en werden kann. Dazu muß er weder Psycho­loge, und schon gar nicht Philosoph sein, um die Sachla­ge für sich hand­fest zu überprüfen und als Tatsachenfeststellung für sich selbst wasser­dicht zu ma­chen. Probieren Sie es aus! -

Die Erfah­rungen des Den­kens einschließlich der Aktivitätserfahrung wiederum müssen als sol­che natürlich vor­handen sein, sonst könnte der Mensch nicht denken, sondern wäre ledig­lich ein biolo­gischer Automat, wie vielfach geglaubt wird. Könnte die­ses Denken auch nicht beob­achten und gegenüberstellend betrachten, denn dazu gehört die Erfahrung des eigenen Denkens nicht nur als Objekt, sondern auch als Tätigkeit dazu, da ja Beobachtungstätigkeit und Objekt dieser Beobach­tung in der Philosophie der Freiheit laut ihrem drit­tem Kapitel we­sensgleich sind.

Also ist in der bloßen Erfahrungsform bereits das Den­ken, – aller­dings noch unbegriffen, – bei je­dem vorhanden. Auch als innere Aktivität. Auf der Ebene der «rei­nen Erfahrung des Den­kens», wie Steiner das über mehrere Kapitel der Grundliniennennt. Natür­lich auch er­lebte Intuitio­nen, - die ebenfalls unbe­griffen, - bei je­dem be­grifflichen Denk­prozeß vorhanden sind. Nur in den Grundlinien, wie wir oben schon er­läutert haben, noch nicht so genannt, son­dern erstmals in der Philoso­phie der Freiheit von 1894 im damaligen Kapitel VI, hier S. 94 und öf­ter. Die «gegenüber­stellende Be­trachtung» (im Ausnahm­ezustand) wie­derum findet sich eben­falls be­reits in den Grundlini­en von 1886 darge­legt im dortigen Kapitel 4; aller­dings dort nicht mit dem Aus­druck «Aus­nahmezustand» bezeich­net, sondern nur mit dem des «Gegenüberstell­ens»: „Dieser Form des Ge­genüberstellens muß sich al­les fügen, was Gegenstand unseres Wis­sens werden soll. Wir sind un­vermögend, uns über diese Form zu erhe­ben. Sollen wir andem Denken ein Mittel ge­winnen, tiefer in die Welt einzu­dringen, dann muß es selbst zuerst Erfah­rung werden. Wir müssen das Den­ken innerhalb der Erfah­rungstatsachen selbst als eine sol­che aufsu­chen.So Steiner. (hier S. 28 f) In der Philo­sophie der Frei­heit findet es sich dann, wie wir sahen im drit­ten Kapi­tel. Dort wird die gegenüberstellen­de Be­trachtung des Den­kens noch zusätz­lich «Ausnah­mezustand» ge­nannt. Ein «Ausnahmezu­stand» ist es auch nur inso­fern, weil er etwas unge­wöhnlich ist, und sich das Denken nor­malerweise eben nicht den (eige­nen oder fremden) Denk-Er­fahrungen gegenübers­tellt, um sie in Erkenntnisabs­icht zu beobacht­en / zu betrach­ten und das Denken als sol­ches zu be­greifen. Letz­teres ist ja das aus­drückliche Anliegen des so­genannten Ausnahme­zustandes.

Stei­ner macht gar kein geheimn­isvolles Gewese um diesen Ausnahme­zustand, und sti­lisiert ihn nicht sonderlich hoch, son­dern spricht Kap. III, hier S. 25 le­diglich von «einer Art Ausnahmezu­stand», weil wir norma­lerweise nicht über unser Den­ken mit Erkennt­nisabsicht nach­denken, dahin­gehend, was Denken ei­gentlich ist. Als beobachtende Bewußtseins­haltung ist er im Prinzip so­gar sehr ein­fach herzustellen und macht eben­falls keinerlei be­sondere Ansprü­che. Vielmehr ist er für je­den «erreich­bar, der das nur will» und das Denken begrei­fen möch­te, wie Stei­ner im drit­ten Ka­pitel selbst sagt. Ohne grö­ßeren Aufwand ist er zu erreic­hen, ob­wohl in die­sem Ausnahmez­ustand wiederum die «aller­wichtigste Be­obachtung» ge­macht wer­den kann, die dem Men­schen dort laut Steiner mög­lich ist, (hier S. 29).

Indes bei letz­terem sieht die Sa­che doch sehr anders aus als bei der Be­wußtseinshaltung des Aus­nahmezustandes, wie man am noto­rischen Un­verständnis dieser «aller­wichtigsten Beob­achtung» erkennen kann. Der Ausnahmezustand der Beobachtung ist leicht herzustellen; das Be­greifen der allerwichtigs­ten Be­obachtung im Rah­men des Ausnahme­zustandes, wie wir wei­ter oben schon sa­hen, unglü­cklicherweise aber nicht. Zumin­dest, wenn man den (anthroposop­hischen) Steinerinter­preten re­spektive der Steinerre­zeption folgt, ist sie bis heute weitestgeh­end unbegriffen, und inzwi­schen bei ihren namhaf­ten Vertretern wie etwa Pe­ter Heus­ser auch regel­mäßig schon gar nicht mehr er­wähnt. (Siehe spezi­ell zu Heus­ser ausführlich hier, etwa S. 1025 ff; S. 1156 ff; S. 1168 ff; S. 1185 ff und sehr viel öfter.) Sehr viel anders sieht es in einem von Heus­ser und Weinzirl 2013 herausgegebenen Sammel­band, Rudolf Steiner Seine Be­deutung für Wissenschaft und Leben heute, Schattauer Verlag 2013, auch nicht aus. Da bemüht sich auf S. 76 ff ein Herr Sijmons aufopfe­rungsvoll darum, dem Leser etwas von Steiners «dia­lektischer Me­thode der Philo­sophie der Frei­heit» auf­zubinden, wäh­rend Rudolf Stei­ner per­sönlich seinem Leser etwas von seiner «naturwiss­enschaftlichen Me­thode» und «seelischer Be­obachtung» schon gleich im Untertitel der Philosop­hie der Frei­heit ins Stammbuch schreibt, und in den Vorgänger­schriften seit 1886 in lan­gen Kapi­teln so­wieso. Wovon wiederum Herr Sijmons nichts auf seinem dialek­tischen Schirm hatte. Wäh­rend Re­natus Ziegler den Le­ser ausdrücklich auf S. 55 auf die Zirkularität jedes psychologi­schen An­satzes in der Erkenntnis­theorie aufmerksam macht, ohne Stei­ners seeli­sche Beobach­tung der Frühschriften auch nur entfernt zu ken­nen und dazu Stel­lung zu nehmen. Lauter «psycholo­gisch hoffnungsl­ose» Fälle? Oder kognitive Dissonanz? - Viel­leicht sollte man so weit nicht gehen, denn bekanntlich stirbt die Hoff­nung ja zu­letzt.

Mit der Realität des Steinerschen Denkens ist bei Steinerer­klärern die­ser Provenienz, so weit man diesem Sammelband folgt, augenfällig nicht sehr viel Staat zu ma­chen, und man wür­de manchmal gerne wissen, was solche Leute wohl zu Steiners Wunsch nach einem psychologi­schen Laboratori­um aus GA-21, S. 170 sagen wür­den, und mit wel­chen akademi­schen Kunst­griffen sie so ei­nen eindringli­chen Wunsch Steiners auch noch aus der Realität entsor­gen wür­den. Von Stei­ners allerw­ichtigster Beobach­tung jedenfalls hört man dort so weit ich sehe oh­nehin nichts. Derart wurscht und unzugäng­lich ist Steiners heuti­gen He­rolden das geword­en. - Al­len voran Witzen­mann mit seinem nähe­ren oder fer­neren An­hang aus ganz grundsätzlic­hem Anlaß. Suchen Sie ein­mal nach Stei­ners «allerwich­tigster Be­obachtung, die der Mensch ma­chen kann» aus dem drit­ten Ka­pitel der Philosophie der Freiheit in Witzenm­anns Struktur­phänomenologie! Sie finden dort das genaue Ge­genteil davon: näm­lich Witzen­manns «Erzeu­gungsproblem» und seine «Pa­radoxie der Selbstge­bung». Das ist jener ausge­kochte Nonsense Wit­zenmanns, den die Anthropo­sophen heute mit reich­lich Manpower, jah­relangem Zeitauf­wand und großzügi­ger finanzi­eller Förderung durch die GLS-Bank ins Eng­lische übertra­gen lassen, wie uns ihr Übersetzer Wa­gemann oben berichtet hat.

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Daß Sie sich auch fremden Denker­fahrungen gegenüber­stellen können, se­hen Sie an der empiri­schen Psy­chologie des Denkens, wo sich die Ver­suchleiter dann den mitgeteilten Denk-Erfahrun­gen ihrer Versuchs­personen gegenüber­stellen, um das Denken zu begreifen. Ähn­lich wie so ein Versuchsleiter können Sie sich natürlich auch in weniger syste­matischer Form den Denkerfahrun­gen einer beliebigen Person gegenü­berstellen. Oder, und das ist ja der Kernas­pekt im Kapitel III der Philo­sophie der Freiheit: Sie stellen sich Ihren eigenen Denkerfahrun­gen ge­genüber, um das Denken zu begreifen.

Der Unterschied zum fremden Denken ist, daß Sie bei letzteren immer auf Erfahrungsberichte aus zweiter Hand angewiesen sind. Das gilt auch für die innere Aktivität des fremden Den­kers, die er nur selbst wahrneh­men und dann darüber gegebenenfalls berichten kann. Wenn Sie den Zusam­menhang von Wirkendem und Bewirktem beim Denken im Ori­ginal erleben wollen, dann gelingt das bei fremdem Denken also nur teilwei­se. Teilweise insofern, als sie das Her­vorbringen der Be­griffe des beobach­teten Denkers natürlich nicht erleben können, sondern nur das, was er ih­nen davon mitteilt. Das Wirkende können Sie nur anhand des eige­nen Denkens erleben und hernach beobachten. Und im Falle der Be­obachtung des Denkens eines anderen Denkers können Sie das Erwir­kende Ih­rer eige­nen Be­griffsbildung im Rahmen Ihres Erkennt­nisprozesses erle­ben, den Sie über das Denken des fremden Denkers anstellen, wenn Sie sich dar­über Ihre klä­renden Gedanken machen. Denn wer sich klärende Gedan­ken über etwas macht, der erlebt seine eigene Aktivität des Den­kens, so­fern er dabei nicht schläft. Folglich er­lebt er sie auch, wenn er sich über Er­fahrungen des Denkens, - seien es mitgeteilte fremde oder die eige­nen, - seine begreifenden Gedanken macht.

Gegebenenfalls kann man zwecks wissenschaftlicher Absicherung auch einer Ver­suchsperson den Auftrag geben, ihr eigenes Denken nicht nur zu erleben und darüber zu berich­ten, son­dern es auch zu beobachten und damit zu erkennen. Das geht prinzipiell ja auch im Labor­maßstab. So eine Ver­suchsperson wird dann nicht nur ihre Erfahrungen des Den­kens aktiv re­flektieren, sondern auch eine Wahrnehmung ihrer aktiven Be­griffsbildung über solche Erfah­rungen des Denkens haben. Wenn so eine Versuchsperson dann auch noch die Frage nach der Kau­salität ihrer eige­nen Denker­fahrungen beantworten soll, dann werden Sie, bzw. wird die Versuchspers­on feststellen, daß sie ihrem Denken wie bei der gewöhnli­chen Beobachtung des Denkens schon, eine ganz ande­re Rich­tung geben muß, um so eine Frage beantworten zu kön­nen. Es reicht dazu nicht aus, wie wir oben schon erläuterten, daß man nur nach den Erlebniss­en des Denkens schaut, ob solche vorhanden sind oder nicht, sondern man muß umfas­sendere Fragestellungen dazu beantwor­ten, wie etwa die nach dem ursäch­lichen Veranlasser der eige­nen Denkaktivität. Was unter Umstän­den wie bei Jo­hannes Volkelt (1918, hier S. 141 ff ) lan­ge Jahre benötigt, um schlüssi­ge Ant­worten dazu auf wis­senschaftlichem Ni­veau zu er­halten und sie empi­risch / phi­losophisch in das Welt­bild einer umfas­senden «Naturwissen­schaft» ein­zugliedern. Auch im weiten Sinne Goe­thes und Steiners. Das ha­ben wir ja wei­ter oben auch schon ausführ­licher behan­delt.

Egal aber, wie Sie verfahren: Zur Erkenntnis des Denkens gehört Intuiti­on wie bei jeder ande­ren Erkenntnis auch. Ob Sie sich sinnliche oder ge­dankliche Wahrnehmungen vornehmen, das spielt dabei keine Rolle. So­bald es um die Begriffsbildung und Erkenntnis anlässlich ei­ner Wahrneh­mung geht, benötigen Sie Intuitionen. Ohne Intuitionen gibt es keine Begriffsbil­dung, wie Sie schon der Erstausgabe der Philosophie der Freiheit entnehmen können.

Hier ist Witzen­mann also irreführend, weil natürlich die Erkennt­nis von Wahrnehm­ungen jegli­cher Art, seien sie äußerer oder in­nerer, oder geis­tiger Natur, nur auf dem Wege des rei­nen Den­kens und der Begriffsbil­dung via Intuitionen möglich ist, wie Steiner im Kapi­tel V. der Philoso­phie der Freiheit anlässlich der Einführung des Intuitionsbe­griffs aus­drücklich hervor­hebt. Siehe hier S. 65 ff. Alternativ GA-4, Dornach 1995, S. 94 ff: “Wir stehen einem beobach­teten Dinge der Welt so lange fremd gegenüber, so lange wir in unse­rem Innern nicht die entsprechen­de Intui­tion haben, die uns das in der Wahrnehmung feh­lende Stück der Wirk­lichkeit ergänzt. Wer nicht die Fähigkeit hat, die den Dingen ent­sprechenden Intuitionen zu finden, dem bleibt die volle Wirklich­keit ver­schlossen.“ Was gleichermaßen für äußere Wahr­nehmungen gilt, wie auch für innere und geistige. - Diesbezüglich haben wir ebenfalls oben schon auf Steiners Anmerkungen zur Neuaufla­ge der Grundlini­en... von 1924 in GA-2, Dor­nach 2003, S. 137 f zum Wesen des Erken­nens hinge­wiesen: “Die Sin­nenwelt ist in ihrer Er­scheinung für das menschliche Anschauen nicht Wirklich­keit. Sie hat ihre Wirklichkeit im Zu­sammenhange mit dem, was sich im Menschen über sie ge­danklich of­fenbart. Die Gedan­ken gehören zur Wirklichkeit des Sinnlich-Ange­schauten; nur daß sich, was im Sinnensein Gedan­ke ist, nicht draußen an diesem, son­dern drinnen im Menschen zur Erschein­ung bringt. Aber Gedanke und Sinneswahrnehmung sind ein Sein. In­dem der Mensch sinnlich an­schauend in der Welt auftritt, son­dert er von der Wirklichkeit den Gedanken ab; die­ser erscheint aber nur an einer an­deren Stelle: im Seelen-Innern. Die Trennung von Wahrnehmung und Gedank­e hat für die objekti­ve Welt gar keine Bedeutung; sie tritt nur auf, weil der Mensch sich mitten in das Dasein hin­einstellt. Für ihn ent­steht dadurch der Schein, als ob Gedanke und Sinneswahrnehm­ung eine Zweiheit sei­en. Nicht anders ist es für die geistige Anschauung. Wenn diese durch die Seelenvorgänge auftritt, die ich in meiner späteren Schrift «Wie er­langt man Er­kenntnisse der hö­heren Welten?» beschrie­ben habe, dann bildet sie wieder die eine Seite des - geistigen - Seins; und die entspre­chenden Gedanken vom Geistigen bilden die an­dere Sei­te. Ein Unter­schied tritt nur in­sofern auf, als die Sinneswahrnehmung durch den Ge­danken gewissermaß­en nach oben zum An­fang des Geisti­gen hin in Wirklichkeit vollendet, die geisti­ge An­schauung von diesem Anfang an nach unten hin in ihrer wahren Wesenheit er­lebt wird. Daß das Erleben der Sinneswahrneh­mung durch die von der Natur gebildeten Sin­ne, das der An­schauung des Geistigen durch die erst auf seelische Art ausgebil­deten geistigen Wahrneh­mungsorgane geschieht, macht nicht einen prinzipi­ellen Un­terschied.“

Wie gesagt gilt das auch für die erlebte Intuition selbst, die ja bereits im ganz gewöhnlichen, unge­schulten Denk-Bewußtsein auftritt, sobald sich der Mensch begrifflich denkend betätigt. (Weswe­gen Steiner ja schon das gewöhnliche begriffliche Denken «Hellsehen» nennt, wie nicht nur aus seinem Rechtfertigungsvortrag von 1921, S. 295 ff hervorgeht.) Auch die Intuition­en müssen als solche durch die Beobach­tung erst er­kannt und in ihrer Funktion und Be­deutung begriffen wer­den. Obwohl sie beim tätigen erkennenden Denken ständig erlebt wer­den. Etwas an­deres ist nicht mög­lich. Denn, wie Stei­ner in Kap. VII schreibt: „Man wird aus dem schon Vorangehenden, aber noch mehr aus dem später Ausge­führten er­sehen, daß hier alles sinnlich und geistig an den Men­schen Heran­tretende als Wahrnehmung aufgefaßt wird, bevor es von dem tätig erar­beiteten Begriff er­faßt ist.“ Kap. VII, hier S. 94. Ein Sach­verhalt, der in den Zusätzen von 1918 dann eigens noch ein­mal bekräf­tigt wird durch Stei­ners Bemer­kung über das «intui­tiv er­lebte Denken», dem rein geis­tig erlebbaren intuiti­ven Den­ken, durch das eine jegliche Wahr­nehmung in die Wirklich­keit erken­nend hineinge­stellt wird.“ (Zweiter Zusatz von 1918 im Kapitel Die Kon­sequenzen des Monismus, hier S. 180.) Eine jegliche Wahrnehmung wird durch dieses intuitiv er­lebte Denken in die Wirk­lichkeit erken­nend hin­ein ge­stellt, - was selbst­redend auch für die Er­kenntnis des eigenen Den­kens und die Intuitionser­fahrung im engeren Sinne gilt: Wenn Sie keine Intuitionen erle­ben / wahrneh­men, dann kön­nen Sie verständli­cherweise auch keine begreif­en. Wenn Sie wiederum Ihre Denk­betätigung nicht erleben, dann können Sie auch über Ihre Intui­tionen wenig Substantielles aussa­gen, da Steiner die Intuition auf das Engste mit der inneren Tätigkeit verknüpft. Dahin­gehend, «das in­tuitiv erlebte Denken sei eine Wahrnehmung, in der der Wahrnehmende selbst tätig ist. Und es sei eine Selbstbetätigung, die zugleich wahrge­nommen wird.» (Hier S. 181) Was übrigens in Wahrheit und Wissen­schaft (hier S. 37) bereits mit der «intellektuellen An­schauung» im Kapi­tel IV der Fall war, wie wir weiter oben schon darlegten. Womit es sich natürlich fragt, wie Herbert Witzenmann (und dessen be­liebiger Stellver­treter) ei­gentlich In­tuitionen nachweisen will, wenn er gar keine Tätig­keitserfahrung beim Denken kennt, son­dern statt­dessen ein Erzeu­gungsproblem hat? Er könnte ja Assoziationen oder Gedankenbild­er gar nicht mehr von tätig hervorgebrachten Begrif­fen unter­scheiden, wenn er erklärtermaß­en wegen einem Erzeugungs­problem über die Tätig­keitserfahrung nicht verfügt.

Das Begrei­fen der In­tuition findet frei­lich wiederum durch das tätige in­tuitive Denken und da­bei erlebte Intuitionen statt. Weil die Intuitionen ausdrücklich zu «jeglichen Wahrnehmun­gen» (dies­mal geistiger Art) da­zugehören. Aber ebenso ist die Intuition erfor­derlich für die Erkennt­nis von Schnecken und Lö­wen, die nun ein­mal ebenfalls in das Feld von «jeglichen Wahrnehm­ungen» hinein ge­hören. An Schnecken und Lö­wen veranschau­licht Steiner schließ­lich auch die Bedeutung und Rolle der In­tuition für jegliche Er­kenntnis im V. Ka­pitel der Phi­losophie der Frei­heit (hier S. 65 f):

Ohne das funktionierende Denken erscheint uns das rudimen­täre Organ des Tieres, das ohne Be­deutung für dessen Leben ist, gleich­wertig mit dem wichtigsten Körpergliede. Die einzel­nen Tat­sachen tre­ten in ihrer Bedeutung in sich und für die übrigen Teile der Welt erst hervor, wenn das Denken seine Fäden zieht von Wesen zu Wesen. Die­se Tätigkeit des Denkens ist eine inhaltvolle. Denn nur durch einen ganz bestimmten konkreten Inhalt kann ich wissen, warum die Schnecke auf einer niedri­geren Organisationsstufe steht als der Löwe. Der bloße An­blick, die Wahrnehmung gibt mir keinen Inhalt, der mich über die Vollkommen­heit der Or­ganisation belehren könnte. Die­sen Inhalt bringt das Denken der Wahrnehmung aus der Be­griffs- und Ideenwelt des Men­schen entge­gen. Im Gegensatz zum Wahrnehmungsinhalte, der uns von außen gege­ben ist, erscheint der Gedankeninhalt im Innern. Die Form, in der er zu­nächst auftritt, wollen wir als Intuition bezeich­nen. Sie ist für das Den­ken, was die Beobacht­ung für die Wahrnehmung ist. Intuiti­on und Beob­achtung sind die Quellen unserer Er­kenntnis. Wir stehen ei­nem beob­achteten Dinge der Welt so lange fremd gegenüber, so lange wir in un­serem Innern nicht die entsprechende Intuition haben, die uns das in der Wahrneh­mung fehlen­de Stück der Wirklichkeit ergänzt. Wer nicht die Fähigkeit hat, die den Dingen entsprechenden Intuitionen zu finden, dem bleibt die volle Wirklichkeit ver­schlossen.“

Im Prinzip kennen wir das alles bereits aus den Grundlinien von 1886. Bis auf den Intuitionsaus­druck, der in dieser speziellen und generalisier­ten Weise erst 1894 in der Erstausgabe der Philoso­phie der Freiheit er­schien, wie wir oben auf den Seiten 24 ff schon dargetan haben. Ohne Intuition gibt es keine reinen Begriffe bei Steiner und ebenso auch kei­nerlei Erkennt­nis, die ja in der Zu­sammenführung von Wahrnehmun­gen und intuitiv gewonnenen reinen Begrif­fen besteht. Die In­tuition ist folg­lich kein Alleinstel­lungsmerkmal für die Er­kenntnis des Den­kens, son­dern sie ist vielmehr zu je­der Erkenntnis erforder­lich, wie Steiner im V. Kapitel der Philosophie der Freiheit unmißverständlich dargelegt hat.

Damit von der anderen Seite gesehen: Auch für die Er­kenntnis des Den­kens gilt, daß sie in der Zu­sammenführung von Wahr­nehmung und Be­griff besteht. Wie gesagt gilt das im enge­ren Sinne auch von der Intuiti­on, die, obwohl beim tätigen begrifflichen Denken ständig er­lebt, eben­falls zu begreifen ist, und vor allem auf dem höheren Schulungswege der Anthropos­ophie als höchste Form der geistigen Erkenntnis entsprechend selbst auch ein be­sonderer Gegenstand des Begreifens ist. Das Begrei­fen durch Intuition und Wahrnehmung macht natürlich vor der Intuition selbst nicht Halt, die zunächst wahrzunehmen und anschlie­ßend weiter zu begreifen ist. Grenzen des Erken­nens gibt es für Steiner bekanntlich laut Kapitel VII der Philosophie der Freiheit nicht. Auch keine hinsicht­lich der spirituellen Er­kenntnis. Folglich auch keine, welche vor der In­tuition errichtet werden. Da ist es natürlich besonders fatal, wenn solche Grenzen be­reits weit im Vorfeld und vor der «Wahrnehmung» des eige­nen tätigen Denkens errichtet wer­den, wie bei Witzenmann und Ver­wandten. Wer noch nicht einmal die eigene Aktivität des Denkens zu er­leben vermag, wie Witzen­mann mit seinem «Erzeugungsproblem» be­hauptet, der hat gar keine Aussicht jemals Nä­heres über die Herkunft sei­ner Gedanken und den «Ur­sprung des Den­kens», (laut Steiners Pro­grammatik aus dem ersten Kapitel der Philoso­phie der Freiheit, hier S. 14 f) empirisch in Erfahrung zu bringen. Es könnte ange­sichts solcher Voraus­setzungen, wie Witzenmann sie be­hauptet, auch ein einge­impfter neurowirksamer micro-Schaltkreis von Pfizer und ir­gend ein 4 / 5 G Funk­mast sein, die ihn glauben machen zu den­ken, während er in Wirk­lichkeit aus der Fer­ne ge­steuert wird, in der Weise, wie Herr Hara­ri und an­dere satanische Phantasten sich das der­zeit zu­sammenträumen und vorbe­reiten.

Wer wegen einem angeblichen Erzeugungspro­blem nämlich kei­ne Wahrnehm­ungen seines tä­tigen Denkens hat, wie ganz explizit Herr Wit­zenmann, der kann dort auch nicht die Wahrnehm­ung sei­ner Denkaktivi­tät mit Be­griffen er­kennend zusammenfüh­ren, sondern allen­falls wie ein Rationa­list und Metaphysiker nur Begriffe mit Begrif­fen, deren tätiges Hervor­bringen er im Original nicht er­lebt hat. Das muß man wissen, da natürlich auch Witzenmann regelmä­ßig von «Denkak­ten» redet. Die Tat­sache allerdings, ob jemand darüber redet, ist nicht ent­scheidend. Ent­scheidend ist für Stei­ner vielmehr, ob er sie auch er­lebt hat, oder nur lo­gisch folgernd erschlossen ohne eine unmittelba­re Erfahrungsgrundla­ge seiner eigenen Denktätig­keit. Letzteres, die «un­mittelbar erlebte Gegeben­heit der Denkaktivität» fordert Steiner desweg­en auch im vierten Ka­pitel von Wahrheit und Wis­senschaft, (hier S. 37), ganz ausdrü­cklich ein, wie wir ebenfalls schon dargelegt haben. (Von Wit­zenmann freilich nie beachtet.) Diese Lage ist in allen Früh­schriften Stei­ners stets diesel­be: Es geht um die erlebte Ak­tivität des Denkens. Um einen «erlebten Pro­zeß; Wirkendes und Be­wirktes; die man voll­ständig im Inneren gegen­wärtig hat», wie es in Goethes Welt­anschauung von 1897, S. 70 heißt. Und nicht nur dort. Daß Steiner in all diesen Schriften von der real er­lebten Ak­tivität des Den­kens spricht, daran kann gar kein Zweifel auf­kommen.

Bei den Philosophen allerdings muß das nicht immer so sein. Da gibt es bisweilen einen richtigge­henden akademischen Etikettenschwindel. Die reden bisweilen von «Denkakten», mei­nen aber keine, die man auch real erle­ben könnte. Auch Husserl sprach bis in die 1920er Jah­re regelm­äßig von «Ak­ten» des Bewußtseins, schloß aber den (erlebten) Tätigkeitsas­pekt ausdrückl­ich von diesen Ak­ten aus, wie wir oben, S. 39, bei Chris­topher Gut­land, Denkerfah­rung, Mün­chen 2018, S. 403 hörten. Der dort schreibt: Um zu verstehen, was ein Akt ist, ist es lehrreich, auf eine Bedeutungsw­andlung zu achten, die dieser Ausdruck bei Husserl nahm. In den Logi­schen Untersu­chungen definiert Husserl Akte als intentiona­le Erlebnisse, nicht als Tätig­keit. Er schreibt: »Was andererseits die Rede von Akten anbelangt, so darf man hier an den ursprünglic­hen Wortsinn von actus natürlich nicht mehr den­ken, der Gedan­ke der Betätig­ung muß schlech­terdings ausgeschlos­sen bleiben.«“ Laut Gutland ging das bei Husserl bis in die 1920er Jahre so. Bis annähernd 5 Jahre vor seinem Ru­hestand.

Was ja bereits eine merkwürdige Sache ist. Von «Akten» zu reden, wo der ursprüngliche Wortsinn von «actus» / «agere» bereits unmißver­ständlich die Aktivität und einen Handlungsg­esichtspunkt zum Aus­druck bringt, zu solchen zu erklären, die gar keine sind, weil «der Ge­danke der Betäti­gung schlech­terdings aus­geschlossen bleiben muß». Damit kann na­türlich auch jeder «Denkakt» zu einem solchen «intentio­nalen Erleb­nis» erklärt werden, von dem jede innere Tätigkeit des Den­kenden aus­geschlossen werden kann. Pech für den Leser solcher phi­losophischen Erzeugnisse, wenn er diese Veränderung im Sprachgebrauch nicht kennt. Der glaubt dann womöglich beim Wortgebrauch «Denk-Akt» an eine rea­le Denk-Tä­tigkeit, obwohl diese schon sehr frühzeitig und katego­risch von dem großen Phänomenologen entsorgt wurde. Die Psy­chologie Franz Brenta­nos, die keinen Willen kennt, und aus dessen Schule wie­derum Husserl stammt, läßt so etwas frei­lich inso­fern zu, als man dort dann von «in­tentionalen Erleb­nissen» spricht, die keinen Wil­lensbezug haben kön­nen, weil der Wille in diesen psychologis­chen Konzep­ten nicht exis­tiert. (Steiners kriti­sche Betrach­tungen zum feh­lenden Wil­len bei Bren­tano können Sie in GA-21 im langen Nachruf auf Bren­tano ab S. 78 und in den entspre­chenden Ergän­zungskapiteln studie­ren.)

Wäh­rend bei Steiner ein menschliches Denken ohne Wil­lens- und Hand­lungsbezug schlechter­dings nicht vor­stellbar ist. «Wille sei die Idee selbst, diese als Kraft aufgefaßt» heißt es deswegen bereits 1887 in den Einleitungen in Goethes naturwissenschaftliche Schriften (GA-1, Dor­nach 1987, S. 197) gegen Eduard von Hartmann gerichtet. Das wird auch so blei­ben. So daß bei Steiner dann auch spä­ter und vortragsweise mit speziellem Blick auf die Philo­sophie der Freiheit das nor­male reine Denken auch als reines Wollen betrachtet wird. (Siehe etwa GA-202; auf S. 202. Vor­trag vom 19.12.1920.) Aus der anthroposophischen / theosophi­schen Sicht wiederum spricht er 1907 davon «daß der Weltenwille als Urkraft im menschli­chen Willen lebt». (GA, 98, S. 53). Von der «Ur­kraft im Denken» ist freilich auch in den Grundlinienvon 1886 be­reits im Ka­pitel 13 (S. 79) die Rede. Was indessen auch in seinen kriti­schen Bemer­kungen von 1887 gegenüber Eduard von Hartmann zum Ausdruck kam, und ähnlich in der Schrift Goethes Weltanschauung, (1. Ausgabe 1897, S. 69 f; in der GA-6 von 1963 auf S. 57), wenn dort vom «durchschauten Weltge­schehen» und der «durch­schauten Idee bei der Beobachtung des Denkens» die Rede ist. Vor die­sem Hinter­grund ist nicht nur bemer­kenswert Stei­ners Ergän­zung zum dritten Ka­pitel der Philoso­phie der Frei­heit, wo­nach es dar­auf ankäme, daß nichts gewollt wird, was, in­dem es sich voll­zieht, vor dem «Ich» nicht restlos als seine eigene, von ihm über­schaubare Tätigkeit er­scheint. Man muß sogar sa­gen, wegen der hier geltend gemachten We­senheit des Denkens er­scheint dieses dem Beob­achter als durch und durch gewollt.“ Was ja, - und das ist noch bemer­kenswerter, - be­reits sachlich in den Grundli­nien von 1886 zu lesen ist in der Ausdruckswei­se vom «erleb­ten Zu­sammenhang von Wirken­dem und Bewirktem beim Denken», worauf wir hier mehr­fach schon hingewiesen haben. Das sind alles Welt-Perspektiven des willentlich tätigen mensch­lichen Den­kens, die bei Steiner ein un­übersehbares Maß an Kontinuität bis in sein an­throposophisches Schaf­fen haben, auch wenn die Gesichts­punkte dort noch von anderen Fra­gestellungen geistiger / seeli­scher Art umrahmt und gewaltig erweitert werden.

Von der anderen Seite stellt sich die Frage: Warum spricht man dann bei intentionalen Erleb­nissen überhaupt noch von «Akten», wenn das ent­scheidende Merk­mal des Agierens fehlt, und der Aus­druck «intentiona­les Erleb­nis» völ­lig gereicht hätte, um die Angele­genheit «ohne akti­ve Betäti­gung» hinrei­chend zu kenn­zeichnen. Inso­fern ist es natür­lich nur noch ein leeres und in sich wider­sprüchliches aka­demisches Wortgeklin­gel, wenn man wie Husserl von «Akten» spricht, aber jeden Ge­danken an Betätigung ausdrücklich dar­aus streicht. Aus­gemachter sprachlich akademischer Un­sinn, der von Husserl allerdings jahrzehnte­lang in sei­nen promi­nentesten Schrif­ten ge­pflegt wurde. Bis etwa 1923, wie Gut­land schreibt.

Nur auf diese Proble­matik will ich hinweisen: Was un­ter akademischen Phi­losophen dieser Grö­ßenordnung so alles mög­lich ist, und man nicht un­bedingt bei deren stark geprägten Schü­lern, zu denen auch Witzen­mann gehörte, so ein Wort wie «Denk-Akt» auf die Gold­waage le­gen sollte. Da ist wie bei Husserl schon, ebenfalls alles mög­lich. Man muß sich wirklich sehr genau im Detail an­schauen, wie sie aus die­ser Vor-Prä­gung heraus dann im Einzelfall als Interp­reten mit Steiners wissen­schaftlichen Grundlagen und mit dem verfahren, was Steiner persön­lich unter «Denktätig­keit» ver­steht, und wie dieser sie in seinen Grundle­gungsschriften kennzeichnet. Wofür Witzen­mann nun wirk­lich eine der unso­lidesten aller prominenten Quel­len ist. Zumal, wenn es um das Zen­trum des Steinerschen Begründungsden­kens geht.

Denn da sieht es bei Wit­zenmann alles andere als überzeugend und um­sichtig aus. Im allerhöchs­ten Maße erstaunlich ist es vielmehr, daß Wit­zenmann in seinen soge­nannten «Interpretat­ionen» ausnahmslos al­les dasje­nige weggelassen hat, was in sämt­lichen Frühschrif­ten Stei­ners ganz un­mißverständlich als «unmittelbares Tätig­keitserlebnis des Den­kens» ge­kennzeichnet und in diesem Sinne auch eingehend darge­legt wird. Wovon es bei Stei­ner in al­len Früh­schriften bis 1897 wahr­lich, wahrlich nicht we­nig gibt. Das alles jedoch ist in Witzen­manns «Inter­pretationen» buchstäb­lich ausge­löscht und keines Wortes gewürdigt wor­den. Er hat das, - und so weit ich sehe durchgän­gig, - fortgelassen, und aus dem gesamten Begrün­dungszusammenhang Steiners schlicht heraus­getrennt. (Siehe dazu auch nachfolgend auf S. 88 Witzenmanns Behandlung von Steiners Zusätzen von 1918 zur Philosophie der Frei­heit.) Wie ja auch von der «rei­nen Er­fahrung des Den­kens», auf der Stei­ner aufbaut, von Witzenm­ann schon nie die Rede war. Und schon gar keine Interpretatio­nserzeugnisse exis­tieren, die herme­neutisch irgend ei­nen Anspruch auf enge Orientie­rung am Ori­ginal Steiners ma­chen könn­ten. - Aufschluss­reich ge­nug ist so eine durchgängige Un­terlassung, die sich bei Witzen­mann über nahezu 40 Jahre bis in seine Strukturphäno­menologie er­streckt.

So etwas freilich, das über beträchtliche zeitliche Distanzen sich erstre­ckende systematis­che Aus­blenden und Unter­schlagen von essen­tiellen und unver­zichtbaren Werkzusammen­hängen und Be­gründungs-Aussagen Stei­ners, die in ihrer Fülle und Unzwei­deutigkeit bei Steiner gar nicht zu überse­hen sind, be­ruht nicht mehr auf Zufällen und läßt sich auch nicht mehr als tem­poräre Unauf­merksamkeit oder Nach­lässigkeit bezeichnen, die na­türlich jedem unterlauf­en kann. Wem Feh­ler bei der Interpretation pas­sieren, und ihm ist die Sa­che ernst, der wird sich nach Kräften um herme­neutische Korrekt­ur bemüh­en. Das jedoch ist bei Wit­zenmann in all den vie­len Jahren und Jahr­zehnten überhaupt nicht er­sichtlich. Weit in­teressanter ist da­her, daß Witzen­mann sein weitestgeh­end unbrauch­bares Interpretations­elaborat über die Dekaden seit 1948 und bis zum Schluß mit al­ler Ener­gie bis zur Strukturphänomeno­logie fort­geführt hat, die der großen Mängelsamml­ung an Fehlinterpretatio­nen dann auch noch die sprichwörtl­iche Kro­ne aufsetz­te. Ein ausge­machter Eti­kettenschwindel um Steiners Werk. Und das mit­ten aus der Anthropo­sophie heraus. So jedenfalls würde es ein weniger freundlicher Zeitge­nosse bewerten. Mit Steiners Grundlagen jedenfalls hat das alles nichts mehr zu tun. Denn wer ernstlich Erzeu­gungsprobleme beim Denken als Interpreta­tionsresultat seines Steinerstu­diums be­hauptet, der kann nicht nur überhaupt keinen Anspruch mehr auf empirisch erlebte Denk-Akte erheben. Sondern erst recht keinen Anspruch, Steiners Grundlegungs­schriften je­mals ernsthaft studiert zu haben. So etwas nämlich, wie Wit­zenmanns Er­zeugungsproblem, werden Sie bei Steiner niemals erleben, wenn Sie dessen Grundschriften auch nur halbwegs sorgfäl­tig durchge­hen. Und vor allem kein Anfänger in dieser Angelegenheit mehr sind, wie Witzenmann. Was man nach 40 Jahren Steinerstudium Witzen­manns vielleicht nicht un­bedingt erwarten sollte. Was aber faktisch so ist.

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Ähnliche Probleme wie der missweisende Wortge­brauch im Fall von «Bewußtseinsakten» oder «Denkakten» finden sich ganz allgemein im Gebrauch von theore­tischen Kon­strukten, die dann wie eine ganz reale Sache behandelt und «verding­licht» werden (Hypostasen). Ein in der Philoso­phie und den Naturwis­senschaften ge­bräuchliches Verfahren, wo die Grenze zwi­schen theoreti­schen Model­len oder hypothetischen Kon­strukten und der Erfahrungsgegebenh­eit voll­kommen ver­schwindet. Ausdrücke wie «Ur­knall» oder «Dunkelmate­rie», «menschengemacht­er Klimawan­del» usw. werden regel­mäßig wie eine ganz reale Angelegen­heit behan­delt, ob­wohl ohne jede hin­reichende Erfahrungs­grundlage nur ei­ner kosmolo­gischen oder klimahistor­ischen Hypothesenbil­dung ent­sprungen, die im Fall des Urknalls nie beweisbar sein wird, (wie alles übrige in den ge­wöhnlichen Na­turwissenschaften im strengen Sinne ebenfalls nicht). Analoges gilt für den Klima­wandel, wo inzwischen spe­kulative, mitunter auch betrügerische Rechen­modelle zuneh­mend die Realität ersetzen und poli­tisch bis zum kom­pletten gesell­schaftlichen Desaster handlungsleitend wer­den, weil feh­lerhafte und hoch re­duktionistische Re­chenmodelle die komplexen und vielfach gar nicht bekannten Wirkzusam­menhänge des glo­balen Klimas natürlich nicht ersetzen kön­nen, sondern mit ihren Rück­wärts- und Vorwärts-Hy­pothesen alles mögliche wie­dergeben – nur eben nicht die glo­bale Rea­lität des vergangenen und künftigen Kli­mas und seiner Wirkmechanis­men. Der Nach­weis wiederum für die postu­lierte und wie eine konkrete Sache be­handelte Dunkelmater­ie ist bis heu­te eben­falls nicht er­bracht, trotz aller dahinge­henden Versuche und Erfolgsmeldung­en, die dann wie­der in der Ver­senkung verschwin­den. So daß vom «Urknall bis zum wissenschaft­lichen Durch­knall» nur noch ein kurzer Sprung ist, wie Alex­ander Unzi­cker trefflich sichtbar macht.

Ähnliches läßt sich von Denk-Akten sagen, «die sich dem Be­wußtsein entziehen, weil man sie selbst hervorbringt». (Helmut Kiene, S. 150, sie­he oben.) Da ist der «Durch­knall» mehr noch als beim Ur­knall gewisser­maßen schon bei der For­mulierung eingepreist, weil so ein Ge­danke ohne jede Erfahrungsanbin­dung natür­lich nicht konsistent und em­pirisch überzeu­gend sein kann, und als psy­chologische Grundlagen-Be­hauptung in dieser Form ex­trem selbstwiders­prüchlich ist. Letztlich nichts weiter als eine empi­risch voll­ständig leere, willkür­liche Setzung. An die Spitze ei­ner Er­kenntnistheorie gestellt und als Basis für jede em­pirische Wis­senschaft. Weh` dem, der sich solche erkenntniswissens­chaftlichen Grund­lagen, den archime­dischen Hebel gar für die Welter­klärung aus­denkt. Steiner war es jeden­falls nicht, der sich im vorlie­genden Fall zu diesem eklatant lee­ren Selbstwider­spruch verstie­gen hat, wie er sich dann in Kienes misslunge­ner Interpre­tation findet.

Auch Kiene, obwohl er den Faden dorthin bereits in der Hand hielt, kam augenfällig an dieser Stelle nicht mit der Unterschei­dung zwischen er­kennender Beobachtung des eigenen Denkens und der bloßen Erfahrung dieses Denkens zurecht. Mit der Folge, daß er einen von ihm nicht wei­ter disku­tierten Nebenaspekt zur Kernbegründung Steiners machte. So daß sich dann laut Kiene das Denken paradoxerweise «dem Bewußtsein ent­zieht, weil man es selbst hervor­bringt.» Das ist aber nicht die Begrün­dung Steiners für die Unbe­obachtbarkeit des gegenwärtig­en Den­kens. Sondern das Ver­schlafen der eigenen Denktätigkeit wird von Stei­ner dort le­diglich als eine der Möglichkei­ten angegeben, warum man das ei­gene Denken so regel­mäßig unbeachtet läßt und keine erinnerba­re Wahr­nehmung der eigenen Aktivität oder anderer Ein­zelheiten des Den­kens hat. Man hat schlicht kein Interesse daran, sondern lediglich am bedach­ten Gegenstand. Eine Sachlage, die sich bei engagierten Denkpsycholo­gen wie bei­spielsweise Hans Aebli oder Karl Bühler, wie wir weiter oben sahen, schon ganz anders dar­stellt, die von vornherein ein professio­nelles Interesse an der Er­kenntnis und am Erleben des Denkens mitbringen. Der Grund indessen, den Steiner für die Unbe­obachtbarkeit des gegen­wärtigen Denkens angibt, ist ohne das Verständ­nis der «gegenüberstellen­den, erkennenden Be­obachtung» nicht zu begrei­fen. Auf je­den Fall behauptet Steiner nicht, daß sich das Den­ken «dem Be­wußtsein entzieht, weil ich es selbst hervorbringe». Sondern er behaup­tet ledig­lich, daß ich es im selben Augenblick, indem ich es vollziehe, nicht beob­achten, sondern le­diglich erfahren kann. Also: sofern ich beim Denken nicht schlafe, ist es schon bewußt, in­dem ich es vollziehe. Denn darauf kommt es beim Denken an, „daß nichts ge­wollt wird, was, indem es sich vollzieht, vor dem «Ich» nicht restlos als seine eigene, von ihm überschaubare Tätigkeit erscheint. Man muß sogar sagen, we­gen der hier geltend gemachten We­senheit des Denkens er­scheint dieses dem Beob­achter als durch und durch gewollt." Wie es am Ende des drit­ten Ka­pitels der Philoso­phie der Freiheit heißt. Nur ist es damit allein, nur mit der reinen Erfahrung, eben noch nicht er­kannt, weil das Erkennen erst die Aufgabe der Beob­achtung ist. Falls sich «das Denken dem Be­wußtsein entzieht, weil man es selbst hervorbringt», wie es bei Kiene heißt, dann sind über diese Tatsachen seiner Herkunft kei­nerlei empiri­sche Aussagen mehr zu machen, weil sie ja gar nicht er­lebt wurden. Da­mit stehen wir dann genauso auf dem sprich­wörtlichen «Schlauch» wie Witzenm­ann mit seinem «Erzeugungsproblem», das dieser seit 1948 in die Welt hin­aus posaunt hat und daraus seine eigene mißratene «erkenntnistheor­etische Grundfra­ge» formte, «Wie Unbeobachtba­res zur Erinnerung werden kann?» - Halten wir also fest: Die blo­ße Erfah­rung des Denkens ist psy­chologisch / erkenntnis­wissenschaftlich eine ganz ande­re Sachla­ge, als die Beob­achtung des Den­kens, wo es erklär­termaßen um seine Er­kenntnis geht.

Man kann so viel über die Beobachtung des Denkens reden, wie man will. Man kann den von Stei­ner genannten «Ausnahmezustand» wie Witzenmann in seiner Monographie zur Philoso­phie der Freiheit, Die Philosophie als Grundlage des künstlerischen Schaffens, Dor­nach 1988, (wiederholt ab S. 144 ff) «überwachen Ausnahmezustand» nennen. Das nützt ja wenig, wenn man nicht weiß, wie er herbeizuführen ist und worin er besteht. Woran sich auch Witzenmann ohne ernsthaftes Quel­lenstudium und ohne konstruktives Re­sultat zeitlebens die Zähne ausge­bissen hat. Obwohl Steiner das sehr ge­nau erläutert. Die Folge davon mag dann sein, daß Wit­zenmann in sei­nem spe­ziell an Kunst­schaffende adressierten Buch von Steiners «allerwichtigst­er Beobach­tung, die der Mensch machen kann», schon gar nicht mehr spricht. Ob­wohl ausge­rechnet sie in diesem «über­wachen Ausnahme­zustand» ge­macht wird. Dazu müßte man also schon konkre­ter wer­den und sich nicht mit Meta­phern wie «Überwachheit» zufrieden ge­ben, die über das kon­krete Beob­achtungs- und Erkenntnis-Prozedere im «Ausnahm­ezustand» doch nichts aussagen. Auch nichts über Stei­ners naturforschende Intentio­nen anhand der Beobachtung des Denkens her­geben. Ein Künst­ler kann damit wie je­der andere nichts beginnen, sich aber an Stelle des­sen sehr viel einbil­den und zu­sammenfantasieren, wie es seiner jeweili­gen künstlerischen Seelenlage eben entsprechen mag. Ge­holfen ist ihm mit so vieldeutigen und wenig fasslichen Sprach­bildern wie «Überwach­heit» also nicht, wenn sie nicht an das konkrete Prozede­re anknüpfen und eingebettet sind in Steiners Natur­forschungsanliegen, um das es ja dort im Ausnah­mezustand bei dieser Beobachtung geht.

Wer zudem we­gen einem Erzeu­gungsproblem Schwierigkeit­en mit der erleb­ten Denkaktivität hat, der ist ohnehin au­ßerstande, in die Phase der «Über­wachheit» einzutreten, denn dazu ge­hört die er­lebte Ak­tivität des Den­kens dazu. Ist sie nicht vorhan­den, dann kann es entspre­chend auch kei­nen «überwachen Ausnahmezustand» und keine «allerwichtigste Beobacht­ung» geben, weil man das Hervorbrin­gen ja gar nicht erlebt. Wo­mit dann auch die Erfah­rungsbasis für sol­che weltbedeuten­den und wis­senschaftlich gesicherten Überzeu­gungen fehlt. Sowohl für den Fall der bloßen Erfah­rung des Denkens, wie auch für den Fall der Beob­achtung des Den­kens, die ebenfalls der unmittel­baren Erfahrung zugänglich sein muß, und es laut Steiners Worten natürlich auch ist. Was dann empirisch dazu führt, im er­lebten Den­ken und über das er­lebte Den­ken mehr zu er­kennen, als man vorher dar­über wußte, so lan­ge man es nicht beobachtet­e. Bis hin zum «durch­schauten Weltge­schehen» anhand der Beobach­tung des Denkens, wie Stei­ner ausführt.

Indes, wenn ich ein angebliches Erzeugungspro­blem mit dem Denken habe, dann kann ich über die Herkunft meines Denkens schlicht nichts mehr aussa­gen, weil ich ja nicht dabei war. Kann dann aber auch über die «al­lerwichtigste Beobachtung» erklärlicherwei­se nichts mittei­len, denn das ist ja jene, die den er­lebten, produktiven Vorgang des Denkens und seine Bedeut­ung im Welt­geschehen betrifft. In Steiners Worten aus den Grundli­nien… den «erlebten Zu­sammenhang von Wir­kendem und Be­wirktem». Wer ihn freilich nicht erlebt, diesen Zusamm­enhang von Wirken­dem und Be­wirktem, der wacht auch nicht auf, selbst wenn er noch so viel über das Aufwachen und «überwache Zustände» redet wie Wit­zenmann, sondern das leere Ge­rede von unverstandenen überwachen Zu­ständen schläfert ihn und seinen Leser nur noch wei­ter ein.

Da wäre es wohl für die Künst­ler hilfreicher ge­wesen, wenn Witzen­mann ihnen erst einmal ein Buch über Steiners Grundlinienvorgelegt hätte, um ihnen den dort be­handelten «erleb­ten Zu­sammenhang von Wir­kendem und Be­wirktem» nebst Steiners dorti­ger Kant-Kritik des Ka­pitels 14 in Verbin­dung mit dem problematischen Kausalitätsbegriff nahe zu bringen. Da­mit sie erst einmal etwas von Stei­ners inne­rem Na­turforschungsanliegen begrei­fen. So aber, wie die Ver­hältnisse lie­gen, hat Witzenmann zwar gegen Ende sei­ner an die Künst­ler adres­sierten Schrift (S. 202) einen ul­trakurzen Abstecher in die Zu­sätze der Philoso­phie der Frei­heit plat­ziert, und die von Steiner dort (S. 180 f) themati­sierte «er­lebte Selbstbetäti­gung» not­dürftig ge­streift, kann aber da­mit psy­chologisch, freiheitsphi­losophisch und auch naturwis­senschaftlich er­sichtlich überhaupt nichts be­ginnen. Sondern läßt Steiners Erläute­rung wie eine Sternschnup­pe so plötz­lich und unerwartet wie­der in der Dun­kelheit verschwind­en, wie sie auf­leuchtete. Weil er zu diesem Zusatz schlicht­weg nichts zu sagen hat­te. Anstatt dem Leser den von Steiner ge­meinten, er­lebten Zusammen­hang von Wirken­dem und Be­wirktem in ei­nem Längs­schnitt durch Stei­ners Frühschrift­tum seit 1886 an­hand die­ser Passage weiter verständlich zu machen. Bis hin zum «durchschau­ten Weltge­schehen» von S. 70 in Goethes Weltan­schauung von 1897. Letz­teres ge­schieht frei­lich in Wit­zenmanns Buch für die Künstler nicht. Sondern erkenntnisw­issenschaftlich, naturwissenschaftl­ich und psy­chologisch blieb die­se bedeu­tende präzisierende Textergän­zung Steiners von 1918 für Witzen­mann unwirksam und ohne jede Funkti­on. Abge­sehen davon, daß er dem Le­ser dabei wie ein mo­derner Spinoza­ noch etwas von «frei­er Not­wendigkeit» auf den Tisch legt, ob­wohl davon in die­sem Kontext bei Stei­ner wirklich nicht die Rede ist. Schon gar nicht im Zusam­menhang mit der Freiheit und der er­lebten Selbstbe­tätigung im intuit­iven Denken. Witzen­mann schien wie mit Pat­tex ausschließlich an den Den­kinhalten festge­leimt zu sein, aus de­nen er solche freien Notwendig­keiten herleite­te. So daß Steiners «Weltgeschehen» bei Wit­zenmann über rund 40 Jahre komplett durch den Rost fiel. Wohingeg­en der «seelische Beob­achter» und «innere Naturkräftefor­scher» Steiner sein er­kenntniswissenschaftliches Hauptau­genmerk jenem «Pro­zeß» zuwendet, «durch den Begriffe und Ideen erst ge­wonnen wer­den», wie er in der Philoso­phie der Freiheit auch klarstel­lend im Kapitel IV (hier S. 38) ge­genüber He­gel ausführt. In Steiners Augen wiederum ist «der Pro­zeß, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden» (auch) ein «Weltgesche­hen». Schon im Kapitel Drei der Philosophie der Freiheit (hier S. 31 und öfter) ist be­kanntlich davon die Rede. Vor allem auch im Kapitel Zwei, wenn dort (S. 20 f) von der «Suche nach den wirkenden Kräften der Natur im Inne­ren» die Sprache ist. Besonders aufschlussreich und überblicksartig dann noch ein­mal hervorgehob­en in der Schrift Goethes Weltanschauung von 1897 auf S. 70. Im Gegensatz zu Witzenmann ging es Steiner bei dem «Prozeß, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden» um ein Weltgeschehen und um den «erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Be­wirktem», wie es in den Grundliniendazu hieß. Damit aber auch um die Lösung des naturwis­senschaftlichen Kausali­tätsproblems, wie er sie im Kapitel 14 der Grund­linienim Rahmen sei­ner Kant-Kritik skizzierte.

Dieses «Weltgeschehen», durch welches Begriffe und Ideen erst gewon­nen werden, wieder­um ist ja auch derselbe Prozeß, von dem er in der Phi­losophie der Freiheit fragt, ob er als Tä­tigkeit unse­re eigene sei, oder ob die moder­nen Hirn­physiologen wie Theodor Ziehen (siehe nachfol­gend, S. 91 ff) recht ha­ben, mit ihrem zwanghaften Assoziationsmechan­ismus des Den­kens. Ob er also frei sei, oder nach naturge­setzlicher Notwen­digkeit ver­läuft, und gar nicht unser Tun ist, sondern wir uns das nur ein­bilden? Wäh­rend Witzenm­ann zur erleb­ten freien Ak­tivität des Den­kens respektive zu diesem «Weltgeschehen» sowohl psycholo­gisch, wie auch zu ihren naturwissenschaftlic­hen Im­plikationen und Kon­sequenzen schlech­terdings nichts zu sagen hat­te. Obwohl das al­les bei Stei­ner in den be­gründenden Früh­schriften von Anfang an zu lesen ist, und in den genannten Er­gänzungen von 1918 aus­drücklich noch ein­mal präzisiert wurde. Em­pirische Aufklä­rung über Freiheitsfragen nach Art Stei­ners auf dem Wege einer «inneren Na­turwissenschaft» kann es von Witzen­manns Seite, - und zumal ange­sichts sei­nes «Erzeugungs­problems», - er­klärlicherweise gar nicht geben. Sondern statt­dessen hat man aus lau­ter Unver­stand mit Witzenmanns Hilfe aus dem inneren Natur­forscher Steiner eine lä­cherliche lah­me Ente der Philoso­phie gemacht. Bis­weilen wie bei Hart­mut Traub & Co nichts weiter als einen hochstapeln­den intellektuellen Plagiator. - Das je­denfalls sind die Fak­ten, die sich anhand der Steinerre­zeption Witzen­manns (und seiner Anhänger) zei­gen. An­gemessener for­muliert: das Licht in wel­chem Steiner jenen aus­senstehenden Philoso­phen und Be­arbeitern erscheinen muß, die ebenso unverständig und ah­nungslos sind, wie der desinter­essierte und ah­nungslose Wit­zenmannanhang selbst.

Der ganze As­pekt der empiri­schen, in­neren Naturer­kenntnis, die Suche nach den Kräften der «Na­tur» (im Sin­ne Goethes) im eigenen Inneren, den Steiner über den erlebten Zusammenh­ang von Wir­kendem und Be­wirktem seit 1886 und nicht nur in der Philosophie der Freiheit von An­fang an ins Zentrum seiner Über­legung stellt, ist bei Witzenmann kom­plett unter den Tisch gefallen. Da fehlte, - wie bei Wit­zenmanns nachfol­genden Schülern, - schon bei Wit­zenmann selbst jedes Ver­ständnis da­für. So daß Witzenmann sich dann auch noch in kompo­sitorischen Fra­gen der Textge­staltung einer unverstande­nen Philosophie der Frei­heit ver­liert, anstatt dem Leser die allerwich­tigste Beobachtung dieser Schrift im Kapitel Drei und Stei­ners inneres Naturforschungsa­nliegen aus Kapi­tel Zwei zu erhellen. Und ihnen zu er­läutern, was das alles mit jener Naturkausalit­ät zu tun hat, die bei Steiner als übergeordnete Frage gleich ein­leitend im ersten Kapitel den Rahmen ab­steckt: „Ist der Mensch in sei­nem Denken und Handeln ein geis­tig freies Wesen oder steht er un­ter dem Zwange einer rein naturgesetzlichen eher­nen Notwen­digkeit?“ -

Je­doch: Steiners «Er­forschung von wirkenden Kräften der Natur im In­neren», sucht der Künst­ler in der an ihn adres­sierten Schrift Witzen­manns ver­geblich. Was erklärlich ist für ei­nen Steiner-In­terpreten wie Witzen­mann, der zwar ein 400sei­tiges Buch über «Goethes universaläs­thetischen Impuls» schrieb, dort ebenso fruchtlos wie recherchefrei auf S. 346 f über Steiners «Ausnahmezu­stand» sinnierte, aber kein einziges Wort findet, um Stei­ners Er­forschung der wirkenden Kräf­te der Natur im Inneren zu beleuch­ten, wel­che Steiner di­rekt in An­lehnung an Goethes Essay «Die Na­tur» in der Philosophie der Freiheit (Kap. II) als sein ei­genes Vorhaben in diesem Bu­che vorstellt. Von all die­sen Projekten der Steinerschen Na­turforschung erfährt der von Witzen­mann adressierte Künstler in Wit­zenmanns Schrift über die Philosophie der Freiheit nichts. Und noch viel weniger über das «durchschaute Weltges­chehen» von 1897, S. 70 f in Steiners Schrift über Goethes Weltanschauung.

Stattdessen wartet Witzenmann auf S. 346 in seinem Buch über Goethes universalästhetischen Impuls wie schon 1948 mit der Ana­lyse auf, daß es in der Beobachtung des Denkens nur ein erin­nernd re­präsentierendes, aber kein originäres Erleben vom Gesche­hen gäbe. So schreibt er mit Blick auf den «Ausnahmezustand» im dritten Kapitel der Philo­sophie der Freiheit: „In die­sen Be­merkungen fällt der Begriff »Ausnahmezu­stand« auf, der hier nur negativ als das Unge­wohnte (ge­genüber dem ge­wohnten Nichtbeobachteten) charak­terisiert zu sein scheint. Offenb­ar aber ist da­mit eine bestimmte in einem Zeitintervall durch­geführte Betä­tigungsart ge­meint. Der Blick hierauf kann weiterführen. Denn es han­delt sich dabei nicht um ein unbefragt­es und unbefragendes Betäti­gen, sondern um ein Beobachten, welches diesem Betäti­gen als dem Be­fragten (in unserem Bei­spielfall der Sprachhandlung und ihrem Inhalt) befra­gend zugewandt ist. Dies scheine ich mir be­reits verdeutlicht zu ha­ben, sowie auch, daß, eben­so wie beim Inhalt der Betätigung, auch von ihrem Akt keine Be­obachtung ihres gegenwärti­gen Geschehens möglich sei, also kein unmittelba­res und origina­les, sondern nur ein mittelba­res erinnernd repräsentierendes Bewußtsein, - wobei sich bei die­sem das Problem, wenn ich seiner beob­achtend inne werden will, von neuem zu stellen scheint.“ -

«Vom Denkakt gibt es kein unmittelbares und origina­les, sondern nur ein mit­telbares erin­nernd re­präsentierendes Bewußt­sein.» So das dortige haar­sträubende Fazit Witzenmanns. Ohne jede weite­re prüfende Recher­che in Steiners restlichen Frühschriften, bleibt anzumer­ken. - Was Stei­ner frei­lich nie be­hauptet hat, daß es vom Denkakt und während seiner Beob­achtung nur ein erinnernd re­präsentierendes Bewußtsein gäbe. Son­dern es ist das­selbe Pro­zeß-Bewußtsein, wie beim gewöhnli­chen Denken auch, das bei der Beobachtung des Denkens erlebt wird, weil die ja ebenfalls ein Denken ist: Wesensgleich mit dem gewöhnlichen Den­ken. Wit­zenmann ist wie seine Anhän­ger und Mit­streiter mangels Grundla­genforschung demselben Fehlschluß auf­gesessen wie Kiene oben. Dem näm­lich, daß die Unbeob­achtbarkeit des gegen­wärtigen Den­kens gleich­bedeutend sei mit sei­ner Unerfahrbar­keit. Wäh­rend, was in Witzen­manns Passage als ominöse „Betätigungs­art“ daher­kommt, bei Steiner klipp und klar ge­kennzeichnet wird als «wesens­gleich mit dem Den­ken». Wit­zenmanns dunkle «Betäti­gungsart» nennt Stei­ner im Ka­pitel Drei der Philoso­phie der Freiheit (hier S. 30) ganz unmißv­erständlich und explizit „Den­ken“: „Denn was jetzt im Hinter­grunde schwebt, ist selbst wieder nur das Denken. Der beob­achtete Ge­genstand ist qualitativ der­selbe wie die Tä­tigkeit, die sich auf ihn richtet. Und das ist wieder eine charakteristi­sche Eigentümlichkeit des Denkens. Wenn wir es zum Betrachtungso­bjekt machen, sehen wir uns nicht ge­zwungen, dies mit Hilfe eines Quali­tativ-Verschiedenen zu tun, sondern wir können in demsel­ben Element ver­bleiben.“ Von diesem qualitativ selben Denken wird laut Stei­ner die Beob­achtung des Denkens im «Aus­nahmezustand» vorgenomm­en. Dar­an ist nichts dunkel und mißzuverste­hen. Weswegen sie als be­trachtende und erkennen­de Denk­betätigung in der glei­chen Weise auch un­mittelbar zu er­fahren ist, wie jede andere Denkbetäti­gung in ihrem «Normalzu­stand» auch. - Das alles bleibt Wit­zenmann völlig fern und wird keiner näheren Analyse unterzogen. Stattdessen erscheint dann (S. 397) als paradoxer Höhepunkt seiner Exegese Witzenmanns «Er­kenntnistheoretische Grund­frage: Wie aus Unbe­obachtbarem Erinne­rungen werden kön­nen?» - Auch so ein vollendeter wissens­chaftlicher «Durch­knall», um mit Alexander Unzi­cker zu sprechen. Mit solchen Ex­zessen von Un­vernunft, Gleichgültigkeit und Verständnislo­sigkeit setzte sich Witzenmann bei den Anthroposop­hen faktisch an Steiners Stelle. Wo er eine ein­flußreiche Anhängerschaft von ebenso Unverständig­en und Gleichgülti­gen um sich herum scharte, die sich überall an Schlüssel­stellen der An­throposophen festsetze, aber es bis heute nicht für nö­tig hielt, Steiners Früh­werk einmal gründ­lich anzuschauen und aufzuarbei­ten, wie wir es neuer­lich von Wage­mann oben bestätigt bekamen.

Jene fol­genreiche Fehl­interpretation Witzen­manns, existierend seit min­destens 1948, die dar­an krankt zwi­schen Be­obachtung und Erfah­rung des Den­kens nicht unter­scheiden zu kön­nen, fin­det sich 1983 im­mer noch als Kernaussage in Witzen­manns Struktur­phänomenologie, die so­eben mit viel personel­lem Tamtam und Finanzhilfe von den «Anthropo­sophen» ins Engli­sche über­setzt wor­den ist. Daß aus solchen exegeti­schen Fehlkonstruktionen für Stei­ners Freiheitsf­orschung, für sein inne­res Na­turforschungsprojekt, für sei­ne Erfors­chung der wirken­den Kräf­ten der Welt im In­neren, auch im Rahmen seiner anthroposophi­schen Geis­tesforschung nichts mehr zu ho­len ist, liegt auf der Hand. Daß wie­derum akademische anthropo­sophische Erkennt­nistheoretiker sich viele Jahrzehnte lang und ohne jedes seriöse quellenkritische Stu­dium über­haupt ernstlich auf sol­chen herme­neutischen Spuk à la Witzen­mann ha­ben einlass­en können, wo dann die Frage «Wie Unbe­obachtbares zur Er­innerung wer­den kann?» als «ex­egetische Meisterleist­ung» zur «erkenntnistheo­retischen Grundfra­ge» er­klärt wird, das ge­hört wohl mit zu den ganz gro­ßen Rät­seln in der jünge­ren Geistesgeschichte.

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Lassen wir es erst einmal dabei. Konkret gesprochen liegt der Grund für die Unbeobachtbar­keit des ge­genwärtigen Den­kens darin, daß ich mir mein aktu­ell täti­ges Den­ken nicht gleich­zeitig be­trachtend gegenüber­stellen kann, weil das ja eben­falls ein (erkennen­des) tätiges Den­ken ist, nur mit einer ganz an­deren Rich­tung und Problemstellung als das be­trachtete: „Zwei Dinge vertragen sich [näm­lich] nicht“, wie Steiner sagt: „tätiges Hervor­bringen und beschaulic­hes Gegenüberstel­len. Das weiß schon das erste Buch Mo­ses.“ (Kap III, hier S. 27)

Auf den Gedan­ken der Richtungs­verschiedenheit des betrachten­den Denkens zum betrachtet­en ist ver­dienstvollerweise Da Veiga Greuel in sei­ner im Ka­pitel 6.5 behandelten Dissertation ja schon ge­kommen. Lei­der aber damals noch nicht weiter, so daß er in dieser Frage noch in An­lehnung an Wit­zenmanns «Erzeugungsproblem» von einem «Grundle­gungsproblem der empi­rischen Wissen­schaft» sprach. Er schrieb sei­nerzeit auf S. 43, „Das hier auftretende Erzeug­ungsproblem in der Beob­achtung des Denkens stellt die Mög­lichkeit einer sich auf Er­fahrung gründenden Erkenntnis­wissenschaft in Frage. Die in der Beobach­tung ansetzende Selbstrefle­xion des Denkens scheint durch die Tätigkeitss­truktur des Denkens nicht durch­führbar zu sein." - Da fehlte eben­falls die Un­terscheidung zwischen reiner Erfahrung und Be­obachtung des Den­kens.

Worum es aber wirklich bei der Unbeobachtbarkeit des gegenwärtigen Denkens laut Steiner geht: Man kann nicht gleichzeitig zwei verschiede­ne tätige Denkprozesse in divergierende Richtungen unterhalten, son­dern muß bei der Beobachtung den ersten unterbrechen. Das war auch eine sehr bemerkenswerte Feststel­lung Da Veigas. Sozusagen die Hälfte der Wahrheit, aber eben nicht zu Ende gedacht, so daß er damals noch über Witzenmanns «Erzeugungspro­blem» stolperte und zu­sammen mit Witzenmann glaubte, es gäbe da ein Erzeugungsproblem und die Be­gründung der em­pirischen Wissenschaft sei dadurch hoch gefährdet. Was Witzen­mann bis in seine berüchtigte und «von vielen seiner Anhän­ger heiß verehrte» Strukturphänom­enologie glaubte.

Um die Frage aber zu Ende zu denken, dazu muß man wiederum wis­sen, was Steiner mit dem «be­schaulichen Gegenüber­stellen» meint, das nicht gleichzeitig zum Denken möglich ist, aber den­noch wesens­gleich mit dem Den­ken ist. - Es ist laut Steiners Auskunft «in keiner Weise qualita­tiv verschie­den vom Denken», wie er im dritten Kapitel ausdrückl­ich hervorh­ebt: „Wenn ich aber mein Den­ken betrach­te, so ist kein solches unberücks­ichtigtes Element vor­handen. Denn was jetzt im Hin­tergrunde schwebt, ist selbst wieder nur das Denken. Der beob­achtete Gegenstand ist quali­tativ derselbe wie die Tä­tigkeit, die sich auf ihn richtet. Und das ist wie­der eine charakteristische Eigentüm­lichkeit des Denkens. Wenn wir es zum Betrachtungso­bjekt machen, se­hen wir uns nicht gezwungen, dies mit Hilfe eines Qualitativ-Verschie­denen zu tun, sondern wir kön­nen in demsel­ben Element ver­bleiben.“ (So Steiner in Kap. III, hier S. 30.) Das Denken wird laut Steiner be­trachtet / beobachtet durch das Den­ken. Woraus eben folgt, daß ich nicht gleichzeitig verschiedene Denk­prozesse vollzie­hen kann: Ei­nen tätigen Denkprozeß, und gleich­zeitig ei­nen täti­gen zweiten beob­achtenden, der in Er­kenntnisabsicht über den ersten nachdenkt, Fragen dazu stellt und ent­sprechende Begrif­fe bil­det. Sondern letz­teres geht nur nacheinander in zwei Schrit­ten, wie Steiner dort sagt. Denn bei bei­den Schritten handelt es sich um akti­ve Denk­prozesse mit jeweils ganz ver­schiedenen Fra­gestellungen.

Und so, wie der erste als Tätigkeit erlebt wird, wird es natürlich auch der zweite, der den ers­ten zu begreifen versucht. Weil ich aber bei­de nicht gleich­zeitig tätigen kann, deswegen ist die Beobach­tung / Betrachtung des gegenwärti­gen Denkens nicht mög­lich, seine Erfahrung aber gleich­wohl! - Bitte probie­ren Sie es aus, lie­ber Leser: Sie werden in beiden Fällen Ihre Aktivit­ät des Denkens er­leben. Sofern, - das gebe ich hier noch einmal aus­drücklich zu be­denken, - Sie sich Ihres Erkennt­nismotivs bewußt sind, wie es Steiner im dritten Kapitel der Philosophie der Frei­heit ein­fordert. Ist Ih­nen das Erkennt­nis-Motiv nicht bewußt, so lau­fen Sie Ge­fahr, die eige­ne Aktivität des Den­kens zu verschlafen. (Was sich im La­bor ebenfalls experimentell über­prüfen läßt.)

Werden wir noch eine Stufe konkreter: Wenn Sie, lieber Leser, darüber nachdenken, wie Sie ein Dreieck in einen Kreis verwandeln können, dann sind Sie vollständig mit einer mathematis­chen Problem­stellung be­schäftigt. Sofern Sie dabei nicht schlafen, dann erleben Sie natür­lich Ihren akti­ven Denkprozeß. Wieviel Sie hinterher noch davon erinnern können, das ist bei jedem sehr ver­schieden, wie Sie auch an Merijn Fa­gards Untersuchungen hier auf meiner Webseite gut und plas­tisch darge­legt finden. Wenn Sie aber anschließend Ihr Denken beob­achten wollen, dann müssen Sie das The­ma auf jeden Fall wechseln: Fort nämlich vom mathe­matischen Problem, und hin zur Frage nach den Eigenart­en des Denkens, die sich Ihnen an­hand Ihrer Er­fahrung des Denkens zei­gen. Dann geht es also nicht mehr um das mathematis­che Umwand­lungsproblem von Dreiecken in Kreise, sondern das Pro­blem lautet jetzt: Was habe ich in­nerlich getan, um so ein mathe­matisches Pro­blem zu lösen? Und wie habe ich das getan? Was hat das möglicherwei­se mit dem Pro­blem der Kausalität / der Verur­sachung zu tun?

Wie Sie sehen haben Sie es hier mit zwei völlig verschiedenen Frages­tellungen zu tun. Das norma­le Denken betätigt sich im angegebenen Fall an der Frage, wie man Dreiecke in Kreise verwandeln kann. Wäh­rend das beobachtende Denken sich mit der Frage beschäftigt, was man dabei tut, wenn man so ein Problem löst und was diese Tätigkeit mit dem Pro­blem der Kausali­tät und mit physio­logischen Vorgängen zu tun hat, wie es bei Steiner im Kapitel Drei der Phi­losophie der Freiheit der Fall war. (Andere Fragestellungen sind natürlich ebenfalls möglich.) Beant­worten können Sie solche Fragen des betrachtenden Denkens an das betrach­tete Denken wiederum nur auf dem Wege des tätigen Den­kens und anhand der erlebten un­mittelbaren Er­fahrungen des Denkens, was als Sachver­halt nicht schwer zu verstehen ist. Es handelt sich da­bei um eine empi­risch psychologische Fragestellung der seelischen Beobacht­ung mit philosop­hischem und weitreichendem naturwissen­schaftlichem Hinter­grund.

Letztere, die Frage nach dem Verursacher des Denkens / Handelns, ist ja auch die einleitende Fra­ge Steiners gleich im ersten Kapitel der Philoso­phie der Freiheit: «Freiheit oder zwanghaft­e Na­tur-Notwendigkeit?» Die, einge­bettet in die Szene mit den Billardkugeln, im Beginn des drit­ten Kapi­tels neuerlich als Frage nach dem Verursa­cher auftaucht, nach­dem die Grund­frage nach dem «Ursprung des Denkens» schon am Ende des ers­ten Kapitels mit allem Nach­druck aufgeworfen worden war, und das zweite Kapitel mit der Suche nach den wirkenden Kräften der Natur im Inne­ren endete. So heißt es dann ganz folgerichtig im dritten Kapitel (hier S. 22): „Ob diese mei­ne Tä­tigkeit wirklich der Ausfluß mei­nes selb­ständigen Wesens ist, oder ob die mo­dernen Phy­siologen recht ha­ben, welche sa­gen, daß wir nicht denken kön­nen, wie wir wol­len, son­dern denken müs­sen, wie es die ge­rade in unserem Be­wußtsein vor­handenen Gedan­ken und Gedan­kenverbindungen be­stimmen (vergleiche Ziehen, Leitfaden der physiolo­gischen Psy­chologie, Jena 1893, S. 171), ...“.

Die Frage nach dem Verursacher mei­nes Denkprozesses findet sich hier noch einmal als Stei­ners Kern-Frage­stellung an den physiologi­schen Psy­chologen Theo­dor Zie­hen, gleich zu Be­ginn des drit­ten Kapi­tels der Philoso­phie der Freiheit. «Ist das meine selbständige Tätigkeit, oder ha­ben die Physiologen recht mit ihrem Determinismus des Den­kens?» So Steiners Frages­tellung dort sinngemäß wiedergegeben. Denn Ziehen war als An­hänger der Humeschen Schule ein klassischer Determinist und überzeugt von einem ganz mechanistischen Den­ken. Wobei noch zu er­gänzen ist, daß Theodor Ziehen an der von Stei­ner ge­meinten Stelle sei­nes Bu­ches (S. 171) wört­lich von „As­sociationen“ spricht, was schon noch eine sehr ei­gene und engere phy­siologische Be­deutung hat, als nur eine «Gedan­kenverbindung» zu sein, die auch rein begrifflich-logischer Na­tur sein kann, aber von Zie­hen so nicht gemeint wird. Wie Sie dort auch zu Be­ginn (im Vorwort) der Schrift Zie­hens lesen können, argu­mentiert Zie­hen aus der Sicht der bri­tischen As­soziationspsychologie, de­ren Anhän­ger er war, ebenso wie er in der Ur­sachenfrage (S. 213) auch ein Ge­folgsmann Kants war. Dergestalt ist er in die britische Assoziat­ionspsychologie eingebettet, daß er auch seinem Le­ser (S. 108) die Werke Da­vid Hu­mes ausdrück­lich zum psychologi­schen Studi­um emp­fiehlt.

Das alles sollte man im Auge behalten, wenn man auf Stei­ners Verweis auf Theodor Ziehen stößt, und übrigens wie­derholt (Kap. I, S. 8; und Kap. IV, S. 38) auf Herbert Spencer, der eben­falls ein sehr bekannter Anhän­ger Humes und der deterministischen britischen Assoziati­onspsychologie war. Die freilich zusammen mit Kant und Hume in der Kausalitätsf­rage voll­kommen im Dunkeln tappte, wie Steiner bereits im Kapitel 14 der Grundlini­enmit speziel­lem Blick auf Kant darge­tan hatte. Da­hingehend, daß sich Kausalität empirisch gar nicht sicher feststellen lie­ße, so die Auf­fassung Kants und Humes, wie wir weiter oben schon behandelt ha­ben.

- Das sozu­sagen noch einmal der wissenschaftsgeschichtlichen Orientie­rung wegen kurz in Paren­these hier angeführt. Warum das Thema «Kau­salität» in ei­ner empirischen Variante, nämlich der seelischen Beobach­tung, die Philoso­phie der Freiheit permanent durchzieht. Wer nun wie Steiner im zweiten Kapitel der Philosophie der Freiheit ganz ausdrück­lich nach den wirkenden Kräften der Natur im Inneren sucht, der ist ohne jede Frage auch ein empirischer Naturforscher. Auch dem eigenen Selbstverständ­nis nach. Auf dieses enge Verhältnis von see­lischer Beob­achtung und Na­turforschung weist Steiners Untertitel der Philoso­phie der Freiheit auch ganz unmißverständlich hin. Ein klassis­cher, rational­istischer Meta­physiker wie der Skeptiker Kant und des­sen eben­so skepti­sches Anhängerkollektiv war Steiner in dieser Frage ganz sicher nicht. Und auch kein rein metaphysischer Idealist, wie viele sei­ner berühmt­en Vor­gänger. Sondern er war als Verfasser sei­ner Begrün­dungsschriften ein empiris­tischer, komple­mentärer Na­turforscher und Idealist, wie er es im zweiten Kapitel der Philoso­phie der Freiheit auch ankün­digte. Das aber wirklich nicht nur dort, wie wir hier schon dar­legten. Auch darauf sollte man schau­en, wenn man Stei­ners Untertitel zur Phi­losophie der Freiheit be­trachtet. - Ein Anhänger jenes Husserl wie­derum, dem es nie um Kau­salitätsfragen, in­nere Natur­forschung und das da­mit verbun­dene Frei­heitsproblem gegangen ist, war Steiner schon gar nicht. Ebenso wenig, wie er ein Anhänger jenes Husserl war, der einen aus­gesprochenen Widerwillen gegen die Experimentalpsychologie hat­te. Auch im engeren Sinne ge­gen die des Denkens. (Siehe dazu unsere längere Studie, insbesondere die Kap. 13.1.e; 13.1.f; 13.3.b). Abneigun­gen und akademische Abwehrstrategien Husserls, die dann als antipsychologisti­sche Aversionen von manchen anthroposophisch tingierten Proselyten Husserls auch erfolgreich in die Anthroposo­phie hineingetra­gen wurden. Ein solcher Anhänger des Phäno­menologen war Stei­ner ganz und gar nicht, wie Sie auch an Stei­ners eindringlichem Wunsch nach einem psychologi­schen Labo­ratorium zur anthroposophischen Grundlagenfor­schung in der Schrift Von Seelenrät­seln, S. 170 f lesen können. Niemals gehörte er zu den Anhängern und Sympathisan­ten Husserls, wie man wenigstens vortragsweise von ihm selbst auch 1921, in GA-73a, auf den Seiten 501 f hö­ren kann. Auch wenn ihm so eine Verbin­dung re­gelmäßig von Verirrt­en und Begriffstut­zigen aus dem Sympa­thiekreis Witzen­manns unters­tellt wird. Die von dort im­mer wie­der beschworen­e Ver­bindung Steiners zu Husserl, und den aus die­sem Umfeld immer wie­der auf­lodernden Kampf ge­gen den an­geblichen «Psychologism­us» von Steine­rinterpreten, die Stei­ners see­lische Beobacht­ung ernst nehmen, können Sie ge­trost zu den Akten le­gen. Das Den­ken empi­risch unter Naturfor­schungs- und Kausalitätsgesichts­punkten introspek­tiv zu untersuchen wie Steiner, das wäre wirk­lich das Allerletzt­e gewe­sen, wozu Husserl sich herbei / herab gelas­sen hät­te. Das können Sie et­was einge­hender im Kapitel 13.3.b), Humes Problem und seeli­sche Kausalit­ät bei Husserls Schü­lerin Edith Stein ab S. 536 ff, am wissenschaftl­ichen Schick­sal sei­ner Assis­tentin Edith Stein stu­dieren, wo es um genau diese Frage geht. (Ergänzend zum Hintergrund emp­fehle ich Ihnen sehr das Kapitel 13.1. e) auf den Seiten 458 ff in meiner ge­nannten Studie.) Was auch einiger­maßen er­klären könnte, war­um es von Stei­ner zu Hus­serl nie eine Ver­bindung gege­ben hat. Schon gar kei­ne, die Steiner expli­zit und aus Überzeugung selbst gezog­en hätte. Da herrscht wirklich nachweis­lich und sehr begründet weitestg­ehend ta­bula rasa. (Ausführli­chere Ein­zelheiten auch dazu in meiner län­geren Studie.) Husserl hatte auch gar kei­nen Anlaß nach inne­rer Kausalität zu fra­gen wie Steiner. Da es für den Brentano­schüler Husserl im Gegen­satz zu Steiner keinen Willen im Steinerschen Sinne gab. So daß die Frage seiner Assistentin Edith Stein nach in­nerer Kausalität sich für Husserl schon psycholo­gisch konzeption­ell verbot, wie wir oben auf S. 83 ff schon kurz andeuteten. Hus­serls psychol­ogisches Gedankenge­bäude ließ Kausalitäts- und Frei­heitsforschung auch nach Art des frühen Steiner gar nicht zu. (Zu Hus­serls phänomenologischem Freiheitsver­ständnis siehe überblicks­artig etwa Tobias Keiling, Phänomenologische Freiheit in Husserls Ide­en... .)

Aber kehren wir zu unserem Beobachtungsbeispiel zurück: Wie der Le­ser an unserem Musterbei­spiel mit der Dreiecksver­wandlung schon be­merken kann, liegt bei der «beobachtend­en Gegen­überstellung» so ei­nes Denk-Prozes­ses ein zweiter Denkprozeß mit ei­ner ganz anderen Rich­tung und Frage­stellung vor als beim ersten, dem ma­thematischen. Fra­gen an einen Denkproz­eß gibt es wiederum unzählige, von denen wir eben nur exem­plarisch eine extrem sparsa­me Aus­wahl präsent­iert haben. Wovon die nach dem Verursacher meines Denkpro­zesses zweifellos zu den al­lerwichtigsten und bedeutendsten naturwis­senschaftlichen und philoso­phischen Fragen ge­hört, die man überhaupt daran stellen kann. Die auch regelmä­ßig an pro­minenter Stelle in Steiners Früh­schriften vor­handen sind. Nicht nur als Einleitungsf­rage Stei­ners gleich im ersten Ka­pitel der Phi­losophie der Freiheit. Und nicht nur anlässlich der «al­lerwichtigsten Beobach­tung», die man laut ihrem dritten Kapitel «über­haupt machen kann». Sondern sie findet sich in geradezu spektaku­lärer Wei­se auch ausgesprochen in den Er­gänzungen der Philoso­phie der Frei­heit von 1918 zum Kapi­tel IX, (hier S. 102 f). Gekenn­zeichnet dort als «zu­rückdrängende Wirksamkeit des Den­kens». Und so unzweideutig in ei­ner Form darge­legt, die jedem mo­dernen, physi­kalistisch orientier­ten, kausa­len Determi­nismus des Denken buchstäblich ins Gesicht schlägt. Eine Sicht, die auch vom «An­throposophen» Steiner regelmäßig vertre­ten wird. (Siehe exemplarisch dazu GA-78, Dornach, 1986, S. 141 ff mit kri­tischem Blick auf das physikalistische Energieerhaltungskon­zept.) Schließ­lich und endlich ist da auch noch vom «durch­schauten Weltge­schehen» und der durchschauten «wir­kenden Idee an­läßlich der Beob­achtung des Den­kens» die Rede. Drei Jahre nach der Philoso­phie der Frei­heit in der Schrift Goethes Weltanschau­ung von 1897, S. 69 f. Auch die engere Tex­tumgebung die­ser Goethe­schrift von 1897 enthält lauter unzweideu­tige Schlüsselpassa­gen, die zum Ver­ständnis von Stei­ners frü­hem Begrün­dungsschrifttum ganz unerläßlich sind.

Jetzt, lieber Leser, nehmen Sie sich einmal Steiners Einleitungsfrage aus dem ersten Kapitel der Philosophie der Freiheit vor. Nehmen Sie sich auch seine Frage vom Ende des ersten Ka­pitels vor, das ist die nach dem Ur­sprung des Denkens. Nehmen Sie sich auch seine Frage nach den wirken­den Kräften der Natur im Menscheninneren aus dem zweiten Kapitel vor. Fragen Sie sich anges­ichts dieser Forschungsziele Steiners, was die wohl mit der allerwich­tigsten Be­obachtung aus dem Kapitel Drei zu tun haben könnten. Und werfen Sie abschlie­ßend auch ei­nen Blick in Goe­thes Weltanschauung, wo anläßlich der Beobachtung des Den­kens vom duch­schauten Weltgeschehen die Rede ist, und überlegen Sie sich, was das alles mit Steiners seeli­scher Beobachtung und Natur­wissenschaft zu tun hat. Ich bin einigermaßen zuversichtlich, daß Ihnen da doch das eine oder an­dere Licht noch aufgehen wird, was die «allerwichtigste Beob­achtung» Steiners alles zu bedeuten hat. Zumal, wenn Sie Ihr Studium auch noch eingehend um das Kapitel 14 der Grundlinien er­gänzen.

Worauf Helmut Kiene mit sei­nen bis da­hin vor­liegenden Überle­gungen zur Er­kenntnis des Den­kens und von der gan­zen Anlage seiner Schrift durch­aus hätte kommen kön­nen. Auf dem Wege dahin war er ja ganz unzweid­eutig. Es ist aber vollstän­dig klar, daß ich solche Fragen nach dem Verursacher angesichts von Witzen­manns und Kienes «Erzeu­gungsproblem», wo sich das Denken parado­xerweise «dem Be­wußtsein entzieht, weil man es selbst hervor­bringt», empirisch gar nicht beantwor­ten könnte.

Natürlich wird das Denken, und das gilt für beide Varianten, betrachten­des / gegenüberstellend­es Denken und gewöhnliches betrachtetes Den­ken, auch bewußt wahrgen­ommen, - sofern man nicht schläft, - und «ent­zieht sich nicht etwa dem Bewußtsein, weil man es selbst hervor­bringt». Es ist ein erlebtes erken­nendes Den­ken, das sich im Falle der Beob­achtung betracht­end den Erfahrun­gen des Denkens gegenüber­stellt, wie wir sa­hen. Und wie gesagt auch als betrachtendes Denken ein­schließlich der eigenen Denkaktivität erlebt wird. Darüber hinaus ist es ei­gentlich nichts beson­deres, abgesehen davon, daß die­ses ganz gewöhnlic­he menschliche Denken als einziges Weltge­schehen in der Lage ist, sich als beob­achtendes Denken selbst zu be­greifen und auf die­ser Grund­lage archimedi­sche He­bel der Welt­erklärung zu veranla­gen. Wie Steiner zudem in Goethes Welt­anschauung (hier S. 70) dar­über sagt, auch in der Lage «das Welt­geschehen und das Ge­schehen der Idee zu durchschauen und zu begrei­fen». Dar­auf, auf die­ser Selbsterklärungs­fähigkeit des Den­kens ba­siert ja auch Stei­ners ar­chimedischer He­bel der Welterklä­rung. Hätte al­lerdings der Denker von diesem Den­ken und sei­ner Denk-Tä­tigkeit kei­ne Wahr­nehmung, «weil er es selbst hervor­bringt», dann wüßte er natür­lich auch nicht, daß er überhaupt irgend et­was damit zu tun hat, und wo seine Gedank­en herkommen. Das aber wird ja schon in den Grundlini­en im Kapi­tel 8 von Stei­ner ausdrück­lich behan­delt und (S. 46) dahinge­hend beant­wortet, daß der Gedanke «sein Alles zeigt», näm­lich auch sei­ne Her­kunft anhand der erlebten Denktä­tigkeit, und nicht nur seinen In­halt.

Wie wir ein­gangs dieses Kapitels schon sagten, liegt in der Phi­losophie der Freiheit dem gegen­überstellenden Betrach­ten des eigenen Denkens im «Ausnah­mezustand» laut Stei­ner auch ein be­wußtes Motiv zu­grunde, dahinge­hend, es auch betrachtend erken­nen zu wollen. Das muß man na­türlich bei die­sem Beobachtungsproze­dere einkalkulieren. Denn wer, - zum Bei­spiel als professio­neller Denkpsychologe, - dem eigenen bewußt­en Erkennt­nismotiv zwecks Erkenntnis des erlebten Denkens sys­tematisch folgt, und dabei auch noch die ganze denkpsy­chologische For­schungslage überschaut, wie seinerzeit Karl Bühler oder Oswald Kül­pe, der über­sieht ver­ständlicherweise die Ein­zelheiten nicht so leicht wie je­mand, der in die­ser Hin­sicht nur beiläu­fige Zufalls­funde macht, ohne sein Erkenntnis­motiv ausdrücklich in Richtung auf das Erkenn­en des Denkens zu artikulie­ren, und zudem auch gar nicht weiß, wie er dazu zwecks Erkennt­nis überhaupt vorgehen sollte. Die Bewußtheit des Mo­tivs und das Methodenw­issen spielen er­klärlicherweise eine ganz entschei­dende Rolle. Es macht eben ei­nen großen Unter­schied, ob man weiß, was man, warum und wie vorhat, oder ob man in die­ser Hinsicht komplett im Nebel steht.

Das­selbe Problem mit dem aktuellen Denken wie bei Kiene zeigt sich über all die Jahre bei Wit­zenmann. Was frei­lich bei Kiene insofern er­staunlich ist, da er sich deutlich mehr als zahl­reiche Interpreten aus den anthroposo­phischen Reihen auch um andere Frühschriften Stei­ners be­müht hat. Und seine Erläuterungen zum Erken­nen des Denkens ab S. 149 sehr klar und kon­sequent um diese Erkennt­nis des Denkens kreisen. Erstaunlich vor die­sem Hinter­grund ist eben die Tatsache, daß er den Wahrneh­mungsaspekt bezüglich der eigenen Denktä­tigkeit dort völlig übersehen hat, der sich durch alle Frühschriften Steiners hinzieht, und in der Philosop­hie der Freiheit hoch plakativ noch einmal dem Leser vor Augen ge­führt wurde. Beginnend aber bereits 1886 in den Grundlini­enwie wir sa­hen. Dann in der Schrift Wahr­heit und Wis­senschaft, die nur kurz vor der Philosophie der Freiheit erschien, im Kapitel IV. (S. 37) derma­ßen zugespitzt, so daß man schon von einer be­wußten rhetori­schen Überzeich­nung der fraglic­hen Sach­lage sprechen könnte. Was ja nur illus­triert, wie außeror­dentlich zen­tral diese Tatsa­che der Wahrneh­mung der Denktätigkeit im Zusam­menhang mit dem reinen Denken und der intellektuellen An­schauung für Steiner war. So daß Stei­ner dort selbst dem Wahnsinnigen nicht zu­traut die eigene Tätigkeit beim be­grifflichen Denken zu überse­hen, wie er dort ausführt: „Wir müssen uns voll­ständig klar darüber sein, daß wir dieses Hervorb­ringen in aller Unmittelb­arkeit wieder gege­ben haben müssen. Es dürfen nicht etwa Schluß­folgerungen nötig sein, um dasselbe zu erken­nen. Daraus geht schon her­vor, daß die Sin­nesqualitäten nicht unse­rer Forde­rung ge­nügen. Denn von dem Umstande, daß diese nicht ohne un­sere Tätigkeit entste­hen, wis­sen wir nicht unmittel­bar sondern nur durch physikali­sche und phy­siologische Erwäg­ungen. Wohl aber wissen wir unmittelbar, daß Be­griffe und Ideen immer erst im Erkennt­nisakt und durch diesen in die Sphäre des Unmittelbar-Gegeben­en eintreten. Daher täuscht sich auch kein Mensch über diesen Cha­rakter der Begriffe und Ideen. Man kann eine Halluzination wohl für ein von außen Gegebenes halten, aber man wird niemals von seinen Begrif­fen glau­ben, daß sie ohne eigene Denkar­beit uns gegeben werden. Ein Wahnsinniger hält nur Dinge und Ver­hältnisse, die mit Prädikaten der «Wirklichkeit» ausge­stattet sind, für real, ob­gleich sie es fak­tisch nicht sind; nie aber wird er von seinen Be­griffen und Ideen sa­gen, daß sie ohne ei­gene Tätigkeit in die Welt des Gegebe­nen eintre­ten.“ - Der Wahnsinnige erlebt dieser Bemerkung zu­folge mit Blick auf die Wahr­nehmung der ei­genen Denktätigkeit offen­bar grundle­gende Din­ge, die Steiners Inter­preten regelmäßig entge­hen und seit weit über 100 Jahren schon entgan­gen sind, weil sie solche Schriften Steiners gar nicht lesen, geschweige denn: ernst nehmen. Und dann natürlich auch Stei­ners Be­gründungen und Hinweise auf das un­mittelbar erlebte täti­ge Denken nicht sehen. - Wie Sie als Leser schließ­lich auch se­hen, sehen Sie von all dem, was Steiner dazu ganz unmißver­ständlich und mehr als eindringlich dem Leser nahe bringt, auch in Her­bert Witzen­manns «angeb­lich so vor­bildlichen Steiner-Inter­pretationen» buchstäb­lich rein gar nichts.

Man kann dar­an jeden­falls studieren: Phi­losophen und wissen­schaftliche Denker sowie Inter­preten Steiners ge­nerieren biswei­len ziemlich konfus­e ge­dankliche Chimären, ohne je­den Realitätsrück­halt. Indem sie etwa «Akte» des Bewußtseins postulie­ren, wo von Betäti­gung nicht die Rede sein darf. Oder wo gar die Akte des Denkens nicht erfahrbar sind, weil man sie selbst hervorbringt. Das wie­derum war mit Blick auf die betäti­gungslosen Bewußtseinsakte das phi­losophische Milieu Hus­serls, von dem der junge Witzen­mann stark be­eindruckt und beeinf­lußt war. Da ist am Ende mancherlei an Konfusio­nen mög­lich. Schon allein weil Hus­serl aus der Brentanoschule stammte, und ähnlichen Denkfiguren der Intentio­nalität verhaftet war, wie es Brentano war. - Für Steiner wä­ren sol­che paradoxen philosophi­schen Konstruktion­en ganz un­vorstellbar ge­wesen. Man soll­te die Tatsa­che, daß auch Witzenmann regel­mäßig von «Denk-Ak­ten» spricht, jedenfalls nicht allzu hoch hän­gen. Sondern weit wichtiger ist es die Frage zu stellen, wie er eigent­lich dar­auf gekom­men ist, wenn er ein ekla­tantes Wahrnehmungsproblem bei der Denktätigkeit hat. Und ob da nicht auch ein analoger einge­preister «Durchknall» vor­liegt wie bei Hel­mut Kiene, der ihm ja auch schon vom Wort­gebrauch in dieser Fra­ge sehr nahe kam. Insofern als der eine (Wit­zenmann) in der Struktur­phänomenologie von 1983 (S. 25) von der «ent­scheidenden Schwierigkeit des Erzeu­gungsproblems» spricht, und Kiene im selben Sachzusammen­hang ein Jahr später (S. 150) von ei­ner «grund­sätzlichen Erschwernis». Bei Witzenmann jeden­falls läßt sich zeigen, daß seine postu­lierten Denk-Akte nur begriffliche Konstrukte ohne jede Wahrneh­mungsgrundlage sind, also Hypostasen im oben ge­nannten Sin­ne. Wo­mit sie sich den be­tätigungslosen Akten Hus­serls in ge­wisser Weise nä­hern, insofern als sie bei Wit­zenmann empirisch nicht wahrnehmb­ar, und demzu­folge auch im empirischen Sin­ne keine sind, son­dern bei Witzenmann empi­risch leere Konstrukte. Witzenmanns Denkakte sind empi­risch völlig gehaltlos, weil nicht wahrgenommen. Während sie bei Stei­ner in sämtli­chen Grund­schriften sehr gut nachvollziehb­ar ganz rea­le Erleb­nisse der Denk­tätigkeit zur Er­fahrungsgrundlage haben: den «er­lebten Zusammenhang von Wirkendem und Be­wirktem», den es bei Wit­zenmann schlech­terdings nicht gibt. Der aber als empiri­scher Sach­verhalt bei Steiner schlichtweg nicht zu überse­hen ist. Ich be­tone es deswe­gen noch einmal mit allem Nachdruck: In ausnahmlos al­len Frühschrif­ten Rudolf Steiners ist das so! Zudem wird in den spä­teren Vor­trägen diese Sachla­ge von ihm ausdrücklich und regelmäßig bestä­tigt! Einige repräsentativ­e Beispiele dazu ha­ben wir schon vorgelegt.

Wie­der andere anthroposophis­che Autoren, wie der im Kapi­tel 6.4 be­handelte Kühle­wind se­hen in der Frage der Beobachtung des Den­kens eine große sach­liche Dif­ferenz zwischen der Erst- und Zweitaufla­ge der Philo­sophie der Frei­heit. Ins­besondere, was die Beob­achtung und Erfahr­ung des ge­genwärtigen Denkens anbelangt. Eine von Kühle­wind be­hauptete Diffe­renz, die man allerdings bei Stei­ner nicht nur nicht er­kennen kann, son­dern Steiner hat die Verhält­nisse ja schon in den vor­angehenden Früh­schriften seit 1886 längst unmißver­ständlich klar ge­stellt. So daß schon deswegen niemand zu solchen angenommenen, aber in­existenten schwer­wiegenden Brüchen in den Aufla­gen seine Zu­flucht neh­men muß, wenn es um die er­lebte ge­genwärtige Denktätigkeit geht. Daß Stei­ner im ersten Teil der Philosophie der Frei­heit nicht von der Tä­tigkeit des Denkens spricht, sondern nur vom Gedachten, wie Kühle­wind da aus der Schrift herausliest, das ist beim bes­ten Wil­len nicht am Text Steiners zu bele­gen, sondern ent­springt lediglich der Phantasie Kühle­winds und sei­ner Ratgeber, wie der Leser auch unserem Kapitel 6. 4 ent­nehmen kann. Bei Kühlewind liegt das Kern­problem ebenfalls in der mangelnd­en Un­terscheidung zwi­schen er­kennender Be­obachtung und Erfah­rung des Den­kens, so daß er dann in seiner Erklä­rungsnot und ge­gen alle Eviden­zen zu massiven Dif­ferenzen in den ver­schiedenen Aus­gaben der Philo­sophie der Frei­heit greift. - Auch Kühle­wind soll übrig­ens bei der Ab­fassung sei­ner kon­fundierenden Schrift, wie ich mir vor vielen Jahren von einem Mitstu­denten aus dem Witzen­mannumfeld habe sagen lassen, der ihn und das Witzenmannmil­ieu aus nächster Nähe gut kannte, auch unter dem «hilfrei­chen» Einfluß Witzen­manns und un­ter der Betreuung sei­ner Schüler ge­standen ha­ben. Man muß ein­fach konsta­tieren, daß Witzenm­ann für zahllose Entglei­sungen dieser Art bis auf den heutigen Tat eine entscheidende Quelle und Leitfi­gur war. Eine an­dere, exemplarische dieser Entgleisun­gen fin­det sich bei Günter Röschert in der Schrift Kon­tinuität und Wandel, S. 171, wo der Philoso­phie der Frei­heit beispiels­weise «Verbindungslo­sigkeit zwischen dem ersten und zweiten Kapi­tel» unter­stellt wird. Um nur eine von mancherlei gravierenden Verständnislo­sigkeiten daraus zu benen­nen. (Mehr dazu hier, S. 1053 ff und S. 1199, Anmerkung 396) Al­les eine Folge der Tatsa­che, wie sehr selbst Stei­ners en­gagierte Leser wie Röschert neben der Spur liegen, wenn sie un­ter dem Einfluß Herbert Witzen­manns ste­hen. So daß ihnen, - so auch bei Röschert, - die augen­fälligsten sachli­chen Zusammen­hänge in dieser Schrift mit ihrem plakativ dargelegten inneren Naturfor­schungsanliegen völlig ver­loren gehen. Am aller­meisten natür­lich bei Witzenmanns un­mittelbaren Schülern / Vereh­rern, von de­nen nicht we­nige existieren und seine exegeti­schen Fehlleis­tungen emsig weiter trans­portieren wie der oben behan­delte Wa­gemann. Wie wir ja auch bei Da Veiga im Kap. 6. 5 dieser Stu­die schon dargelegt ha­ben. Dem inzwischen immer­hin klar ge­worden ist, daß die Witzenmann-Inter­preten Steiners auf dem Holzweg sind, und über Steiner herz­lich we­nig wissen, wie Sie hier von Da Veiga selbst lesen können.

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Es fragt sich angesichts dessen und vorab, wie weit Witzenmann, der ja laut Klaus Hartmanns Witzen­mannbiographie (Bd. 1, S. 104) stark von Husserl be­einflußt war, bei seiner Konzepti­on von unwahrnehmbaren Bewußt­seinsakten mögli­cherweis von Husserl darin bestärkt war, da es bei Stei­ner für so eine Sichtweise im frühen erkenntniswissenschaftli­chen Schrifttum keinerlei Anhalt gibt. Ganz im Gegenteil.

So schreibt Klaus Hartmann im Bd. 1 seiner Witzenmann-Biographie auf S. 104: „Der Brentan­o-Schüler Husserl war, als Witzenmann in Frei­burg zu stu­dieren begann, bereits 66 Jahre alt. Er hat­te seine Logischen Untersu­chungen (1900/1901) und seine Ideen zu einer rei­nen Phänome­nologie und phä­nomenologischen Philosophie (1913) schon vor der Frei­burger Zeit ver­fasst, vertiefte aber in den Folgejahren seinen For­schungsansatz mit gro­ßer Akribie und weiteren Veröffentlichungen. So war es nicht zu ver­wundern, dass Witzenmann in seinen Se­minaren als Kommilitonen durchaus einigen Menschen aus der Elite der späteren deut­schen Philo­sophie wie Hannah Arendt, Eugen Fink und anderen be­gegnete und mit ihnen in densel­ben Husserlschen Lehrveranstaltungen saß. Doch hat Witzenmann später nie darauf Bezug ge­nommen, auch auf sein Studium bei Husserl nicht. Dabei wird ihm Husserls Den­kungsart und Methode, die die Beobachtung des Denkens ein­bezieht, wenn man von dem tro­ckenen philoso­phischen Stil der Darstellung absieht, nicht fremd gewe­sen sein. Ja, man kann sagen, dass Wit­zenmann eine ganze Reihe spezi­fischer Fragestellun­gen Husserls in seiner Art und im Kon­text der Er­kenntnis-und Geisteswissenschaft aufgegriffen und weiterge­dacht hat. Viele der späteren Veröffentlichungen Witzenmanns, von In­tuition und Be­obachtung über die Voraussetzungslo­sigkeit der Anthro­posophie, die Strukturphänomenologie bis zu Sinn und Sein zeigen den an Husserl ge­schulten Blick für die Methoden und Inhalte der Philo­sophie. Akt und Inhalt, Vor­aussetzungslosigkeit, Evidenz, Selbstgebung, Adäquation und vieles mehr sind Themen, die man in ähnlich ausführli­cher Darstel­lung bei Husserl und, wenn auch in an­derer Art, bei Wit­zenmann fin­det.“

Wahrlich nicht wenig, was Witzenmann im Zweifel an zentralen Überle­gungen über Steiner stülp­te, ohne sich über die Herkunft seiner husserl­schen Philosopheme bei sei­nem Leser zu er­klären. Sogar für die Unter­scheidung nach «Akt und In­halt» und «Selbstgebung» vermutet Hart­mann, der ganz unverdächtig ist ein Gegner Witzenmanns zu sein, auch die Quelle Hus­serl. Kein Wun­der wäre es zumindest, wenn ein der­art bei Husserl vorge­formter Blick Witzenm­anns für die entschei­denden Details bei Steiner keine Aufmerk­samkeit und auch gar kein Interesse mehr hat. Sondern beides, Husserl und Steiner ohne jede Klarheit für diese un­terschiedlichen Quel­lenlagen, sowie ihre hoch verschiedenen sachlichen In­tentionen, Konse­quenzen und Implikationen mun­ter ver­quickte, und ohne dem Le­ser ir­gend et­was über diese sei­ne, auf Hus­serl zurückgehen­den Verände­rungen an Stei­ners eigenen Original-Gedankenbild­ungen zu be­richten. Zu­mal, wenn er wie Wit­zenmann auch noch die allerwich­tigsten und empi­risch auskunftsreichsten Teile von Stei­ners frü­hem Begrün­dungsschrifttum schlicht­weg ignorier­te und in die sprichwörtliche Tonne trat. Über die Konfusio­nen bei einer von Witzen­manns «In­terpretations-Cocktail» ge­prägten Steinerre­zeption je­denfalls müsste da schon al­lein deswegen nie­mand mehr er­staunt sein, denn es ist ein einziges un­entwirrbares, weil von Witzen­mann nie beleg­tes Durchein­ander. Wenn Sie dann auch noch erle­ben, wie we­nig sich die An­hänger Witzen­manns für Stei­ners eigenes Werk interessie­ren, wie wir oben an­läßlich Wagemanns Übersetzung der Strukturphänomenolo­gie neuerlich hörten, sondern nur Mißin­terpretationen Witzenm­anns und ir­gend einen unerklärten Husserl­verschnitt als Steiner­sches Gedanken­gut verkaufen, dann be­kommen Sie eine Ah­nung da­für, wohin bei derar­tigen An­hängern letzt­lich die Reise geht: Nämlich in ein erkenntniswis­senschaftliches Kraut- und Rü­ben- Projekt, das ganz si­cher nicht zum Verständnis und zur an­gemessenen Weiter­führung von Stei­ners Grund­lagen oder gar bis zur Anthroposophie Stei­ners führt. Wo­vor Sie sich als Le­ser nur schützen können, wenn Sie auf so eine in­tellektuelle Kraut- und Rüben-Lieferung verzichten, und Stei­ner, wie es sich für jeden gewissenhaften Menschen und jeden ernst zu nehmenden Wis­senschaftler ge­hört, ordent­lich im Origi­nal stu­dieren, bevor Sie sich vor­schnell von mißweisender Sekundärliterat­ur in die Irre führen lassen. Mit Husserl und Wit­zenmann ver­gleichen können Sie ihn dann im­mer noch, wenn Ihnen daran liegt.

Sauber in allen Einzelheit klären wer­den wir diesen verworrenen Quel­lenverschnitt Witzen­manns hier allerdings nicht können, da Witzen­mann auch laut Hartmann über die nicht zu übersehenden Husserlein­flüsse in seinen Steinerinterpretationen eben nie Auskunft gegeben hat. Was nun das Al­lerletzte ist, was man von einer seriösen, gewissenhaf­ten und wissenschaftl­ich ernst zu nehmenden Erarbeitung grundlegender Werke Ru­dolf Steiners erwar­ten sollte, die sich bei Witzenmann über annähernd 40 Jahre erstreckte und in Teilen davon gar in der Funktion als Goethe­anumsvorstand entworfen. Woraus sich noch ganz besondere Ver­pflichtungen bezüglich der akribischen For­schungsarbeit er­geben. Dar­um frei­lich, um Quellent­reue, scherte sich der Goetheanumsvorstand und «Be­treuer der anthroposophischen Ju­gend», Witzenmann, laut Hart­mann herzlich wenig.

Das alles muß man wissen: Wenn jemand als Philo­soph von «Denk-Ak­ten» spricht, dann muß das nicht zwangsläufig auch einen empirischen Hin­tergrund haben. Sondern dahinter steht un­ter Um­ständen bloß ein rein ratio­nalistischer oder anderswo entlehnter wie bei Wit­zenmann. Sprache ist bekanntlich ge­duldig. Wichtiger als der bloße Aus­druck ist deswegen die Frage, auf welchem Wege er überhaupt dazu kommt, dar­über in sol­chen Ausdrü­cken wie «Denk-Ak­ten» zu spre­chen. Denn wenn jemand als Steinerinterpret mit «Denk-Ak­ten» auf­wartet, die man auf der reinen Tätig­keits- und Wirk­samkeitsebene nicht erfahren kann, son­dern statt des­sen wie Witzen­mann ein «Er­zeugungsproblem» und eine «Parado­xie der Selbst­gebung» postu­liert, während Steiner in sämtli­chen Frühschriften das ge­naue Gegenteil, näm­lich die erlebte Tätigkeit des Denkens im Blick hat und darauf unmissver­ständlich aufbaut; wenn Witzenmann in seinem Buch über Goethes univer­salästhetischen Im­puls (S. 346) an­lässlich des Ausnah­menzustandes und der Beobachtung des Denkens von einer ominösen «Betätigungsart» spricht, Steiner hin­gegen beim Ausnahmezustand und an der von Witzen­mann interpretier­ten Stelle klipp und klar vom «qualitativ gleichwertigen Denken», aus dem sein Interpret Witzenmann dann irgend eine nebelhafte «Betäti­gungsart» kon­struiert, dann wird es für ei­nen Empiris­ten und gewissen­haften Stei­nerinterpreten verständlicher­weise höchst pro­blematisch.

Also ist es schon er­heblich, ob je­mand wie Witzen­mann den Denkakt erst «über Denkakte zum Bewußt­seinsinhalt» macht, die er gar nicht un­mittelbar erlebt hat, oder ob er «aus dem vollen Erle­ben der Aktivität des Den­kens» spricht, wie es Steiner ausdrücklich spä­ter von sei­ner Phi­losophie der Freiheit sagt (GA-78, Dornach 1968, [1986] S. 41 f. Und wahr­haftig nicht nur dort im späteren Vortrag. Son­dern per­manent und ohne Aus­nahme in allen Grund­schriften, wenn man erst ein­mal einen gründli­chen Blick darauf wirft. - Insofern war natür­lich auch Büh­lers Fra­ge nach den Wahr­nehmungen / Erlebnis­sen des Denkens so wichtig – auch für Anthrop­osophen. Um noch einmal den Faden zu frü­heren Passagen dieses Kapitels aufzunehm­en.

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Fahren wir erst einmal mit unseren Ausgangsüberlegungen dieses letz­ten Abschnittes zur Rolle der Intuition für die Erkenntnis des Denkens fort: Daß Witzenmann der In­tuition eine Sonder­funktion für die Er­kenntnis des Denkens zuweist, die ihr erkenntniswissenschaftlich von Stei­ner au­genfällig in gar kei­ner Wei­se zugebilligt wird, ist relat­iv leicht zu erklä­ren. Für Witzen­mann gab es nämlich kei­ne Wahr­nehmung des aktuellen Denkens, wie wir oben noch einmal eindrucks­voll anhand der Überset­zung Wage­manns gesehen ha­ben: An die Stelle von Steiners Wahrneh­mung der ak­tuellen Denkbetätigung setzte Wit­zenmann sein «Erzeugungsp­roblem» der Strukturphänomeno­logie. Dem seit 1948 verschiede­ne Vorläufer einer skurrilen Denkakt-Denkerei vor­angingen, die in der Sache alle auf das selbe hinauslaufen, bzw. diesel­be Wurzel hat­ten: näm­lich die fehlende Wahrnehmung der eigenen Denkaktivität. Es fehl­te als Fol­ge ei­nes missverstandenen Beob­achtungsbegriffs, und viel­leicht nicht nur deswe­gen, bei Witzen­mann die Wahrneh­mung des aktu­ellen Den­kens. Seit mindestens 1948 unverän­dert bis in die Strukturphänomenolo­gie der 1980er Jahre mit ihrem expli­ziten «Erzeugungsprob­lem». Wenn ich aber keine Wahr­nehmung meines gegenwärti­gen Den­kens bzw. mei­ner real wirkenden Denk-Aktivität habe, wie Wit­zenmann irtüm­lich be­hauptete, dann kann ich auch keine Wahr­nehmungen mei­nes aktuellen Denkens mit je­nen Be­griffen vereini­gen, zu de­nen ich im Ver­lauf meiner Beobachtung des Denkens gelan­ge. Kom­me also nicht in der em­pirischen Selbsterklä­rungsfähigkeit des Denkens an wie Stei­ner im dritten Kapitel der Philosop­hie der Freiheit oder in Goethes Weltan­schauung. Sondern lande ohne Wenn und Aber im «Erzeu­gungsproblem» Witzen­manns, und kann mir damit belie­bige und endlose Hy­pothesen darüber auss­pinnen, wer oder was wohl der ei­gentliche Verursac­her meiner Ge­dankenbildung war, ohne jemals irgend ei­nen empiri­schen Anhalt dafür zu haben. «Man bringt dann nur noch Denkak­te durch Denkakte her­vor», die man gar nicht wahrgenommen hat, bzw. die kein Bewußt­seinsinhalt wa­ren, wie es bei Witzenmann fortlaufend seit 1948, S. 40 heißt. Denn der erlebte / wahrgenom­mene Denkakt wird bei Witzen­mann ausdrück­lich in Abrede gestellt. - Das heißt: Der ganze er­kenntniswissenschaftliche Empirismus Steiners und dessen Selbster­klärungsfähigkeit des Den­kens lösen sich an ihrer Schlüsselstel­le bei Witzen­mann in lau­ter Luft auf. Infolge einer hartnä­ckigen Fehlinterpre­tation, die sich seit 1948 über annähernd 40 Jahre bis in Witzenm­anns Strukturphäno­menologie von 1983 hin­zog, und dort als «Erzeu­gungsproblem» ihre neue alte Aufwart­ung macht. Was kurios ge­nug ist, angesichts der Tatsa­che, daß Steiner permanent in sämtlichen Früh­schriften auf die unmittel­bare Er­fahrung der Denkakti­vität hin­weist, und davon außerordentlich viel abhän­gig macht. Indes, was Witzenm­ann dar­aus geformt hat ist an­gesichts die­ser Tatsache nicht nur völ­lig unver­ständlich und bi­zarr, son­dern das al­les ist kru­dester Hypothesenrelativis­mus des fakti­schen Den­kens, und weit, weit weg von al­lem, was Stei­ner jemals dazu gesagt und ge­schrieben hat. Dieses Pro­gramm Witzen­manns läuft inzwi­schen bei den Anhän­gern Witzenmanns und ver­stärkt seit an­nähernd 50 Jah­ren, beginnend schon weit früher im Jahre 1948 mit sei­ner Erstauflage von In­tuition und Beob­achtung.

Während Steiner die Wahrnehmung der Selbstbetätigung beim Denken ausdrücklich in den Zusät­zen von 1918 zur Philosophie der Freiheit noch einmal be­tont, wird sie von Witzen­mann ebenso nachdrücklich in seinem Aufsatz Intuition und Beobachtung in der zweiten Auf­lage von von 1977 neuer­lich abgewiesen. Und zwar unter Hin­weis auf vermeintli­che Aussa­gen von Steiner persön­lich.

Steiner haben wir dazu inzwischen schon häufiger gehört. Hier S. 181, wo er das intuitiv erlebt­e Denken als «Wahr­nehmung», kennzeichnet, «in der der Wahrnehmende selbst tätig ist, und als Selbstbetätigung, die zugleich wahrgenommen wird.» Das Tätigkeitserleben ist eine ganz unerläßlic­he Eigenschaft des intuitiv erlebten Denkens. Während anderer­seits wiederum, - auch darin wie­derholen wir uns jetzt noch einmal, - laut Steiners Phi­losophie der Freiheit hier Kap. VII, S. 94, alles sinn­lich und geistig an den Men­schen Her­antretende als Wahrneh­mung auf­gefaßt wird, be­vor es von dem tätig erarbeiteten Begriff erfaßt ist.“ Wie ich hier in­zwischen auch schon wieder­holt dargelegt habe, war das in der Überarbeit­ung der Philoso­phie der Freiheit von 1918 al­les nichts Neues, son­dern der­selbe Gedankengang durchzieht Steiners gesamtes Begrün­dungswerk seit mindestens den Grundlinien von 1886. Dort als «er­lebter Zu­sammenhang von Wirkendem und Bewirktem» eigens noch ein­mal hervor­gehoben im Kapitel 15. (S. 56) mit den Wor­ten: „Wir erin­nern uns, war­um eigentlich das Denken in un­mittelbarer Erfahrung bereits sein Wesen enthält. Weil wir innerhalb, nicht außerhalb jenes Prozesses ste­hen, der aus den einzelnen Gedankenele­menten Gedankenverbindun­gen schafft. Dadurch ist uns nicht allein der vollen­dete Pro­zeß, das Be­wirkte gege­ben, sondern das Wir­kende.“ Das Wirkende in diesem Pro­zess ist im vorliegenden Rückblick die erlebte, eigene Aktivi­tät des Den­kens, die ja bereits im achten Kapitel dieser Schrift (hier ab S. 24) charakter­isiert wird. Was sich dann in Goethes Weltanschauung von 1897 (S. 70 f) höchst eindrucksvoll noch ein­mal wiederholt, dahin­gehend daß bei der Beobachtung des Denkens «der ganze Prozeß restlos im Inneren gegenwärtig ist». Folglich das Wirkende unmittelbar er­lebt und das «Weltgesche­hen» durchschaut werde als «Geschehen der Idee». Was wir inzwi­schen ja auch schon hinläng­lich kennen: „An dem Zustandekom­men aller übrigen Anschauung­en ist der Mensch unbeteiligt. In ihm le­ben die Ideen dieser Anschau­ungen auf. Die­se Ideen würden aber nicht da sein, wenn in ihm nicht die produktive Kraft vorhanden wäre, sie zur Er­scheinung zu bringen. Wenn auch die Ideen der Inhalt dessen sind, was in den Din­gen wirkt; zum erscheinenden Dasein kom­men sie durch die menschliche Thätigkeit. Die ei­gene Natur der Ideenwelt kann also der Mensch nur erkennen, wenn er seine Thätigkeit an­schaut. Bei je­der ande­ren An­schauung durch­dringt er nur die wirkende Idee; das Ding, in dem gewirkt wird, bleibt als Wahrnehmung außer­halb seines Geistes. In der An­schauung der Idee ist Wirkendes und Bewirktes ganz in seinem In­nern enthal­ten. Er hat den ganzen Prozeß restlos in sei­nem Innern gegenwär­tig. Die Anschauung er­scheint nicht mehr von der Idee hervorgebracht; denn die An­schauung ist jetzt selbst Idee. Diese An­schauung des sich selbst Hervorbrin­genden ist aber die Anschauung der Freiheit. Bei der Beobachtung des Den­kens durch­schaut der Mensch das Weltge­schehen. Er hat hier nicht nach einer Idee dieses Ge­schehens zu for­schen; denn die­ses Gesche­hen ist die Idee selbst.“ So Steiner dort.

Von Akten und Betätigungen, die wie bei Husserl gar keine sind, und je­der Gedanke an Tätigk­eit ausgeschlossen bleiben muß, ist hier aus gu­tem Grund keine Rede. Und erst recht kei­ne von Wit­zenmanns ausge­dachten Denk-Akten, die erst über Denk-Akte «zum Bewußt­seinsinhalt» wer­den. Witzenmanns Erzeu­gungsprobleme und Paradoxien der Selbst­gebung existieren deswegen bei Steiner aus ebenso guten Grün­den nicht. Son­dern: „es kommt darauf an, daß nichts gewollt wird, was, indem es sich vollzieht, vor dem «Ich» nicht restlos als sei­ne eigene, von ihm über­schaubare Tätigkeit er­scheint. Man muß sogar sagen, wegen der hier gel­tend gemachten Wesenheit des Den­kens erscheint dieses dem Beob­achter als durch und durch gewollt.“ wie es in der Ergänzung am Schluß des dritten Kapitels der Philosophie der Freiheit heißt (hier S. 36 f). Die­se Be­merkungen nur noch ein­mal als Einrahmung, weil das den Kon­trast im philosophischen Rea­litätsbezug etwas erhöht: Stei­ner spricht nicht von phi­losophisch virtuellen Kräften, Prozessen und er­dachten Schein­tätigkeiten, die keine sind, son­dern von echten. Die er unmittel­bar er­lebt (wahrnimmt) und beobachtet.

Dem steht zum Beispiel kontradiktorisch die Interpretation gegenüber, die Witzen­mann in sei­nem überarbeiteten Aufsatz Intuition und Beob­achtung Bd. 1, 1977 auf S. 74 vorlegt. So schreibt er dort: „Nennt man den Gesamt­umfang des menschlichen Bewußtseins Erfahrung ..., so las­sen sich in­nerhalb seiner zwei Gebiete unterscheiden. Die Objekte des ei­nen Ge­bietes sind ohne Zutun ... des Subjekts, also (was ihr Gegeben­sein an­langt) fertig ..., die des anderen Gebiets nur auf Grund einer Betät­igung des Subjekts, also hervorgebracht ge­geben. Die fertig gege­benen Objek­te (nicht die ihnen zugeordneten Tätigkeiten - Akte - un­seres be­wußten Verhaltens) [Hervorhebung, MM] nennt Rudolf Stei­ner Wahr­nehmungen … Von ih­nen hebt sich das Gesamtge­biet des Her­vorgebracht-Gegebenen ... nur als Ergebnis unse­rer Eigentätigk­eit Auf­tretenden, das Denken... ab.“ Wie Sie sehen schließt Witzen­mann hier ganz ausdrück­lich und unter Hinweis auf angebliche Aussagen Stei­ners die in­dividuelle Aktivität des Den­kers von der Wahrnehmung aus: „Die fer­tig ge­gebenen Objekte (nicht die ihnen zugeordne­ten Tätig­keiten - Akte - un­seres bewuß­ten Verhaltens) nennt Rudolf Steiner Wahrnehm­ungen … [Hervorhebung, MM]„.

Der fragwürdige Punkt an Witzenmanns Charakterisierung ist nicht die Tatsache, daß er hier von «fertig gegebenen Objekten» spricht. Denn das ist ja auch ein Hauptunterscheidungsmerkm­al bei Rudolf Steiners Kenn­zeichnungen des «Gegebenen». Be­ginnend schon im Kapitel 8 der Grundli­nien, S. 44 ff. Und speziell auf die GrundlinienStei­ners be­zieht sich Witzenmann an dieser Stel­le. Der kritische Punkt ist vielmehr, daß Witzenm­ann hier zugleich betont, Steiner würde die den Wahrneh­mungen bzw. den fertig vorge­gebenen Objekten «zuge­ordneten Akte un­seres Verhaltens nicht als Wahrnehmung bezeich­nen». Denn das trifft durchgängig nicht zu. Auch für die speziell von Witzen­mann gemeinten Grundlinientrifft das nicht zu, wie der Leser in besonderer Weise in den Kapiteln 8 und 15 überprüfen kann. Welche ausdrücklich die Wahr­nehmung der inneren «Triebkräfte» (Kap. 8, S. 45 f) zum Thema haben: „Die äußeren Triebkräfte, die wir bei einem Sinnenobjekte stets voraus­setzen müssen, sind beim Gedanken nicht vorhanden. Sie sind es ja, de­nen wir es zu­schreiben müs­sen, daß uns die Sinneserscheinung als etwas Ferti­ges entgegentritt; ih­nen müs­sen wir das Werden derselben zurech­nen. Beim Gedanken bin ich mir klar, daß jenes Wer­den ohne meine Tä­tigkeit nicht möglich ist. Ich muß den Gedanken durcharbeiten, muß sei­nen In­halt nach­schaffen, muß ihn innerlich durchleben bis in seine kleinsten Teile, wenn er über­haupt ir­gendwelche Bedeutung für mich ha­ben soll.“ Deswegen zeigt der Gedanke, wie Stei­ner dort be­tont, auch «sein Alles» Nicht nur seinen Inhalt, sondern auch seine Herkunft, die wir unmittelbar als Denkaktivität erleben. - Im Kapitel 15 (S. 86) wird diese Sachlage von Stei­ner dann eigens noch ein­mal kurz rück­blickend zusammenge­faßt, dahin­gehend: „Wir er­innern uns, warum eigent­lich das Denken in unmittelba­rer Er­fahrung bereits sein Wesen ent­hält. Weil wir inner­halb, nicht au­ßerhalb jenes Prozesses ste­hen, der aus den einzelnen Ge­dankenelementen Gedankenverbindun­gen schafft. Da­durch ist uns nicht allein der vollen­dete Prozeß, das Bewirkte gegeben, sondern das Wir­kende.“ Wenn «das Wirkende gegeben ist», wie Steiner sagt, dann wird es selbstredend auch wahrgenommen über jenen «inne­ren Sinn», „für das Wahrnehmungsvermö­gen der inneren Erleb­nisse“ von dem in die­sem Buche be­reits im Kapitel 7 (hier S. 40) die Rede war. Und was als «Triebkräfte» oder «Wirkendes» wahrge­nommen wird, das ist be­kanntlich auch eine Wahrneh­mung. Was in den nachfol­genden Grund­schriften Steiners dann ja auch durchgängig und bruchlos weiter ver­folgt, bestätigt und präzisiert wird: Daß beim tätigen Denken Wirkendes und Bewirktes unmittelbar in ihrem Zu­sammenhang er­lebt werden. Was er dann in der Zweitaus­gabe der Philo­sophie der Freiheit ausdrücklich unter dem Ausdruck «intuitiv erlebtes Denken» dem Leser hinter die Oh­ren schreibt: «Das intuitiv erlebte Denken sei nämlich eine Wahrneh­mung, in welcher der Wahr­nehmende selbst tätig ist und eine Selbstbetä­tigung, die zugleich wahrgenom­men wird.» Da geht es nicht um die hö­here Geistesforschung Steiners, sondern um das, was Stei­ner der Sa­che nach schon 1886 geschrie­ben hat in der Weise, «weil wir in­nerhalb, nicht au­ßerhalb jenes Prozes­ses ste­hen, der aus den ein­zelnen Gedanken­elementen Ge­dankenverbindungen schafft. Da­durch ist uns nicht allein der vollen­dete Prozeß, das Bewirkte gegeben, sondern das Wir­kende.» Die Aktivi­tät des Denkens hat bei Steiner bereits 1886 unter dem Termi­nus «Wirken­des, das als Gegebenes vorliegt» un­übersehbaren Wahrneh­mungsstatus. Den Steiner in sämt­lichen erkenntniswissens­chaftlichen Folgeschriften der 1890er Jahre wieder aufnimmt, dort als Schlüsselstel­le be­tont, und bezüg­lich der Wahrnehmungsgegebenheit auch sprachlich wei­ter poitiert, bis in die Zu­sätze der Phi­losophie der Freiheit von 1918.

Es ist das komplette Ge­genteil von dem, was Witzenmann 1977 in der zitierten An­merkung seiner Schrift auf S. 74 behauptet, wennn er sich dort auf vermeintliche Aussagen Steiners be­ruft. Denn daß bei Steiner die Denkaktivi­tät einen ausgesprochenen Wahrnehmungsstatus hat, ist schon ganz un­übersehbar in den Grundlini­en von 1886 der Fall: Die Tä­tigkeit des Denkens wird dort ganz explizit wahrgenommen, bzw. ist «als Wirkendes gegeben». Eine extrem essent­ielle Tatsache, die sich bei Steiner in sämtlichen Frühschriften ausgesprochen fin­det. Im Rückblick der Grundlinien bezeichnenderweise auch noch gleich im Anschluß an das Kantkap­itel und das von Kant ungelöste Kausalitätsproblem hervor­gehoben. Und schließ­lich als «aller­wichtigste Beobachtung» der Philo­sophie der Frei­heit und dort spekta­kulär als «Ar­chimedischer He­bel der Welterklärung» ausge­zeichnet. Während sich bei Witzen­mann der kom­plette Gegensatz dazu, nämlich die unwahrnehm­baren Denkakte von 1948 an bis in seine Strukturphänome­nologie von 1983 erhalten ha­ben. - (Womit sich eben die Frage stellt, wie denn die Akte des Bewußt­seins über­haupt ins Be­wußtsein ge­langen soll­ten, wenn sie gar nicht wahrge­nommen werden, also unsere inneren Erkenntnis-Aktiv­itäten, keine Wahrneh­mungen sind.)

Witzenmann wiederholt 1977 nur noch einmal, was er bereits 1948 in der Erstauflage seines Auf­satzes geschrieben hat. Daß nämlich der Denkakt erst Bewußtseinsinhalt wird, «wenn ich ihn in ei­nem zweiten Denkakt denke». Im Unterschied zu 1948 wird 1977 vom «erkannten» Denkakt ge­sprochen. Freilich war der Denkakt auch 1977 immer noch nicht bewußt erlebt. Denn auch hier wird er nur «mittelbar» durch einen zwei­ten Denkakt bewußt und erkannt. Da fragt es sich natür­lich: Wo war denn der Denkakt, bevor ich ihn in einem zweiten Denkakt be­wußt machte, und an­geblich erkannte? Worauf stützt sich dann dieses ver­meintliche Erken­nen, wenn es vorher gar kei­ne Wahrnehmung der Denk­tätigkeit gab? - Jedenfalls nicht auf die reine empirische Erfahrung der Denktätigkeit. Während es sich, wie Sie sehen, bei Steiner komplett an­ders verhält, der aus dem «vollen Erleben der Aktivität des Denkens» sprach. Das nicht erst in der Nachbetrachtung späterer Vorträge, son­dern bereits in den Grundlinien von 1886 selbst, wenn er im Kapitel 15 (S. 86) noch einmal resümiert: "Wir erinnern uns, warum eigentlich das Denken in un­mittelbarer Erfahrung be­reits sein Wesen enthält. Weil wir inner­halb, nicht außer­halb jenes Prozesses stehen, der aus den einzelnen Gedankenele­menten Gedankenverbindung­en schafft. Dadurch ist uns nicht allein der vollendete Pro­zeß, das Bewirkte gege­ben, sondern das Wirkende."

So ein «Wirkendes», bzw. den «erlebten Zusammenhang von Wirken­dem und Bewirktem» werden Sie in Witzenmanns «Interpretationen» vergeblich suchen. Und damit auch alles dasjen­ige nicht finden, was Steiner an freiheitsphilosophischen, kausalitätsphilosophischen Über­legungen, und An­liegen zum spirituellen Goetheschen Naturverständnis verknüpfte. Dass in­folgedessen bei Wit­zenmann und in seiner Struktur­phänomenologie die «allerwichtigste Be­obachtung» nicht existiert, «die der Mensch laut Steiner machen kann», sondern stattdessen ein Erzeu­gungsproblem und eine Paradoxie der Selbstgebung, das versteht sich aus dem Vorangeh­enden ganz von selbst. Zu dieser «Paradoxie der Selbstgebung» bzw. zu Witzen­manns «Erzeugungsproblem» gibt es in Steiners sämtlichen frühen Begründungs-Schriften kei­ne ein­zige Paralle­le!

Stei­ner berichtet in Wirklich­keit und in sämt­lichen Frühschriften seit min­destens 1886 das ex­akte Gegen­teil von dem, was Witzenmann dar­aus gemacht hat. Und diese «Tätig­keit des be­wußten Ver­haltens», näm­lich des Den­kens, wird als «wahr­genommene Tätigkeit» hoch ein­drucksvoll als «Wirkendes» im Kapitel 15 der Grundlinien (S. 86), und in der Zweit­auflage der Phi­losophie der Frei­heit so­gar noch einmal mit allem Nach­druck hervorgehoben! Näm­lich «als Selbst­betätigung, die zu­gleich wahrge­nommen wird». Wo Steiner die Wahrneh­mung der eige­nen Akti­vität faktisch zum de­finitorischen Ken­nzeichen des intuitiv er­lebten Den­kens macht. Was sich wie gesagt bereits wie­derholt 1886 in den Grund­linien von 1886 fin­det. Wie wir es neuerlich hö­ren, und von Stei­ner mit aller Emphase betont in Wahrheit und Wissen­schaft, im Kap. IV (hier S. 37) dahinge­hend, «daß das Hervorbringen von Begrif­fen unmittel­bar ge­geben sein müsse. Und nicht etwa das Re­sultat von Schluß­folgerungen sein dürfe.» Schließlich mit besonderer Hervorhebung noch ein­mal ausge­sprochen in der Zweit­auflage der Philo­sophie der Freiheit, nicht nur, wenn er von der Wahr­nehmung des in­tuitiv erlebten Den­kens spricht. «Als Selbstbetäti­gung, die zu­gleich wahrgenomm­en wird», son­dern auch am Ende des Dritten, wo es heißt, es käme beim Denken dar­auf an, „daß nichts ge­wollt wird, was, indem es sich voll­zieht, vor dem «Ich» nicht restlos als seine eige­ne, von ihm überschau­bare Tätigkeit er­scheint. Man muß so­gar sa­gen, we­gen der hier geltend ge­machten We­senheit des Denkens er­scheint dieses dem Beob­achter als durch und durch ge­wollt.“ Die Passa­gen aus Goe­thes Weltan­schauung von 1897 (S. 69 f) nehmen diesen Bezug zu den Vorgängers­chriften noch einmal be­sonders klar und konzentriert auf. - Die Aktiv­ität des Den­kens, und was ist das anderes als die höchste Form des «erken­nenden Verhaltens», die den gegebenen Din­gen er­kenntniswissenschaftlich zu­geordnet werden kann, liegt bei Stei­ner stets als «Wir­kendes», «Erlebt­es», «Gegebenes» oder wortwörtlich eben als «Wahrnehm­ung» vor. Wo Steiner zudem in der Philoso­phie der Freiheit alles sinn­lich und geistig gege­bene als Wahr­nehmung be­zeichnet, be­vor sie vom tätig erar­beiteten Begriff erfaßt wor­den sind. Wozu selbstredend auch die Wahrnehm­ung des tätigen Den­kens gehört. Wie gesagt seit mindest­ens 1886 in sämtli­chen Grund­schriften Stei­ners.

Das Sonderbare bei Witzenmann ist indessen, dass er nicht nur die den fertig vorgegebenen Ge­genstände zugeordneten Aktivitäten im allgemei­nen durch Stei­ner von der Wahrnehmung aus­schließen läßt, son­dern so­gar die Aktivi­tät des Denkens von der Wahrnehmung exkludiert. Wäh­rend Steiner sie geradezu definitorisch einbezieht. Dagegen ist bei Wit­zenmann die Tätigk­eit des Den­kens kein Ge­genstand der Wahrneh­mung! In der Erst­auflage des Aufsatzes In­tuition und Be­obachtung von 1948 wird der Denkakt auf S. 40 ausdrücklich als «nicht be­wußt» gekenn­zeichnet: „Der Denkakt kann als ein Hervorbringen selbst nur ein Hervorge­bracht-Gegebenes sein. Damit er Bewußtseinsinhalt sei, muß ich ihn selbst zum inhaltlichen Ergebnis eines auf ihn abzielenden Ak­tes ma­chen. Ich muß also den (zur Hervor­bringung ei­nes zuvor gedachten Be­griffs erforderli­chen) vorangehenden Denkakt denken.“ Der nicht be­wußte, sondern nur nachträglich gedachte Denkakt Witzenmanns ist hier nichts ande­res als eine Hypostase: Ein begriffliches Konstrukt, und kein Er­lebnis, sondern nur im Nachgang verding­licht. In der unmittelba­ren Wahrneh­mung als erlebte Ak­tivität nicht vor­handen, son­dern ledig­lich er­dacht. Erdacht von einem «zweiten Denk-Akt», den er logischer­weise eben­falls nicht wahrge­nommen haben kann. - "Ich bringe also im Den­ken eines Aktes einen Akt durch einen Akt als dessen Inhalt hervor" So lautet die berüchtigte Denkakt Kon­struktionsformel Witzen­manns von 1948, S. 40. Die­selbe Lage immer noch in der Zweit­auflage von 1977, S. 79, wo er ebenfalls «nur mittelbar» durch ei­nen zweiten Denk-Akt be­wußt ge­macht wird, der unter sol­chen Prämis­sen selbstredend auch nicht erlebt worden sein kann.

Witzenmann bringt virtuelle Denkakte durch nicht erlebte Denkak­te her­vor, während Steiner das Hervorbringen von Begriffen und Ideen durch die Denktätigkeit ganz konkret und unmit­telbar er­lebt. Siehe exempla­risch dazu Wahrheit und Wissenschaft, wo S. 37 das Hervorbrin­gen von Be­griffen und Ideen unmittelbar gegeben sein muß. Wie gesagt nur ex­emplarisch hier angeführt, denn die Denktä­tigkeit wird bei Stei­ner seit 1886 über sämtli­che Begründungss­chriften hin­weg als be­wußte Wahr­nehmung / Erfahrung dargestellt. In der Zweit­auflage von 1918 noch ein­mal ganz besonders unter dem Wahrnehmungsstich­wort expli­zit ge­macht, wäh­rend sie 1886 in der Sa­che zwar gleichlau­tend, aber un­ter dem Stichwort «Erlebter Zusammenh­ang von Wirken­dem und Be­wirktem» vermittelt wird. Im Kapitel 15 (hier S. 86) durch den Verweis auf vergange­ne Pas­sagen, wo er insbe­sondere im Kapitel 8 (hier S. 45 f) lang und breit er­läutert wird, und un­ter Verweis auf die er­lebten inneren Triebkräfte dahinge­hend, daß der Gedanke «sein Alles zeigt». Auch sei­ne Herkunft, - weil die ei­gene Tä­tigkeit des Denkens un­mittelbar erlebt wird.

Während es bei Witzenmann schlicht­weg keine Wahrnehmung von Ak­ten des Bewußtseins im all­gemeinen gibt, und in Sonderheit auch keine von der Aktivität des Denkens. Stattdessen le­diglich eine gedachte und rein theoretisch mittelbar erschlos­sene ohne eine unmittelbare Erfahrungs­grundlage der Aktivität des eigenen Denkens. Seit 1948 und durch­gängig bis zur Strukturphänom­enologie von 1983, wo dieser Sach­verhalt dann un­ter dem Stich­wort «Erzeugungsprob­lem» und «Pa­radoxie der Selbst­gebung» erscheint. - Auf S. 25 der Strukturphäno­menologie Wit­zenmanns von 1983 heißt es deswegen entsprechend: „Wer sich mit dem Erzeug­ungscharakter der Grund­struktur bekannt gemacht hat, wird eines Problems gewahr, das ganz ähnlich auch im Hin­blick auf das Den­ken, die Begriffsbildung auf­tritt. Denn das Hervor­gebrachte (dies ist ebenso die Grund­struktur wie das Denken selbst) kann als ein solches ja erst beobachtet werden, nach­dem es hervorg­ebracht wur­de.“ Eine Wahrneh­mung der Selbstbetätig­ung im Den­ken existiert bei Witzen­mann auch 1983 nicht. Auch keine unmittelbare Wahrneh­mung jener Beobachtungstätig­keit, die bei Steiner ja ebenfalls ein Denken ist – «qualitativ identisch» mit der Denktätigkeit: „Der beobachtete Gegen­stand ist qualitativ der­selbe wie die Tätigkeit, die sich auf ihn richtet. Und das ist wieder eine charakteristische Ei­gentümlichkeit des Denkens. Wenn wir es zum Betrachtungsob­jekt machen, sehen wir uns nicht ge­zwungen, dies mit Hilfe eines Qualitativ-Verschiedenen zu tun, sondern wir kön­nen in demselben Ele­ment verbleiben.“ So Steiner dazu im Ka­pitel Drei der Philosophie der Frei­heit, hier auf S. 30. Die von Steiner durchgängig beton­te Tat­sache, daß man das Den­ken in seinem Vollzug erleben kann und muß, wenn auch nicht gleich­zeitig beobachten kann, findet, wie man sieht, bei Wit­zenmann bis zum Ende seines schriftstel­lerischen Schaf­fens keinerlei Berücksichti­gung. Wie gesagt ist das nicht nur gänzlich abwe­gig, son­dern auch in beson­derer Weise kurios, weil die von Steiner ge­schilderte Sachlage in Steiners sämtlichen Frühschrift­en überhaupt nicht zu überseh­en ist. Witzenmanns Steinerinterp­retationen sind in dieser Fra­ge über fast vier Dezen­nien beherrscht von interesseloser Will­kür.

Mit anderen Worten: Witzenmann hat Steiners Erkenntnistheorie in ihrem em­pirischen Kern, ihren Intentionen und ih­rer Methode der Be­obachtung des Denkens sein Leben lang nicht be­griffen. In den restli­chen Arbeiten Witzenmanns sieht es diesbezüglich nicht an­ders aus, was wir hier und in anderen Abhandlun­gen auf dieser Websei­te zur Ge­nüge be­handelt haben. An anderer Stelle (hier S. 594) habe ich Witzen­manns, - ebenso an den Haaren herbeigezogene, wie bei vielen anthroposop­hischen Rezipienten feder­führende, - Steinerinterpretationen desweg­en auch eine fun­damentalphilosophische Mogelpackung ge­nannt, weil es dazu allen drin­genden Anlaß gibt. Denn es ist an­gesichts der re­gelmäßigen Her­vorhebung der er­lebten Denkaktivität durch Steiner, die ja in sämtli­chen Frühschriften gar nicht zu übersehen ist, eine mehr als son­derbare Ange­legenheit. - Eine wahrlich absurde, annähernd 40 Jahre wäh­rende und nie überprüfte intel­lektuelle Konstruktio­n Witzenm­anns. Das ange­sichts von Stei­ners eigen­en Darstellungen, die sich in der Sa­che im­mer gleichlautend und ohne Aus­nahme durch sämt­liche Früh­schriften hin­ziehen bis zu Goethes Welt­anschauung von 1897 und dar­über hin­aus. (Sie­he dazu auch aus­führlicher hier, etwa auf den Sei­ten 593 ff; und S. 1164, Anm. 392, so­wie dort an vielen wei­teren Stellen.)

Die Intuition ist es also nicht, die exklusiv nur bei einer Erkenntnis des eige­nen Denkens infrag­e kommt, weil die Intuition für jede Erkenntnis benö­tigt wird. Um präziser zu sein: Es nützt nichts, hier nur unspezifi­ziert von «Intuition» zu reden, ohne den näheren Zusammen­hang zu be­trachten, in dem das Wort bei Steiner fällt. Man muß genauer hinsehen, was Stei­ner damit meint, wenn er schreibt, daß die «Wesenheit des Den­kens nur durch eine Intuition erfaßt werden könne», wie ein­gangs des IX. Kapi­tels der Philosophie der Freiheit. Man muß da­nach nämlich erst verstehen, was Steiner im Zusammenhang von Kapitel IX der Philosop­hie der Freiheit verknüpft, wenn es dort vorangehend heißt: „Ein richtiges Ver­ständnis dieser Beob­achtung kommt zu der Einsicht, daß das Den­ken als eine in sich beschlossene Wesenheit un­mittelbar ange­schaut werden kann. Wer nö­tig findet, zur Erklärung des Denkens als solchem etwas anderes her­beizuziehen, wie etwa physische Gehirnvor­gänge, oder hin­ter dem beobacht­eten bewußten Denken liegende unbe­wußte geistige Vorgän­ge, der verkennt, was ihm die un­befangene Beob­achtung des Denkens gibt. Wer das Den­ken beobachtet, lebt während der Be­obachtung un­mittelbar in einem geistigen, sich selbst tragen­den Wesenswe­ben darin­nen.“ - Um Steiners Bemerkung zur Intuition, durch die man allein die Wesenheit des Denkens erfassen könne, angemessen aufzunehmen, dazu wieder­um muß man das Beob­achten des Den­kens erst richtig verstehen. Das ist die Voraus­setzung zum Verständnis des Nach­folgenden, die Intuition betreffend. So viel geht aus Steiners Worten hervor. Wer das indes­sen mit der Beobachtung des Denkens schon nicht ver­steht, wie bei­spielsweise Witzen­mann bis in die Strukturphänomen­ologie hin­ein, der be­greift infolgedessen auch nicht Stei­ners nachfolg­endes Erkenntnis-Resümee, die Intuition betreffend. Das ist ganz selbstverständ­lich. So daß man in aller Entschiedenheit konsta­tieren kann, daß jemand mit einem «Erzeu­gungsproblem» wie Witzen­mann, mit seinem Verständnis mei­lenweit davon entfernt ist, was Stei­ner mit dem «Er­fassen der We­senheit des Den­kens durch die Intuition» dem Le­ser über­haupt vermitteln will.

Was laut Steiner allerding für die Er­kenntnis des Den­kens in beson­derer Weise bei seiner Beob­achtung in Betracht kommt, ist die Tatsa­che, daß dabei Wahrneh­mung und Begriff zusammenfall­en, wie es dort in diesem einleitenden Zusammenhang von Kapitel IX ebenfalls heißt. In­sofern näm­lich, als der Den­ker nicht nur ei­nen Be­griff zwecks Begreifen des ei­genen Den­kens tä­tig erar­beitet, sondern zu­gleich bei der tätigen / beob­achtenden Begriffserar­beitung den eige­nen beobach­tenden, tätigen Denkpro­zeß, - das Wirken­de, - auch unmit­telbar als tä­tig er­lebt - «ihn wahr­nimmt». Der gesamte Prozeß, sei es der des Denkens oder der sei­ner Beobacht­ung, wird daher von Steiner als «Weltgeschehen» betrach­tet. Als ein erlebter Zusammen­hang von Wirkendem und Be­wirktem, wie in den Grundlinienvon 1886 bereits dargetan. Das gilt in den Überarbei­tungen der Philo­sophie der Freiheit von 1918 nach wie vor. So daß die In­tuition als sol­che nur eintritt auf der Grundlage eines sol­chen erlebten Weltgesche­hens. Wer freilich von diesem Weltgeschehen schon nichts wahrnimmt, weil er da mit Witzenmann ein Erzeugungs­problem hat und so­gar seine eige­ne Aktivität des Denkens nicht erlebt, dem muß das alles völlig fremd bleiben. Er mag dann in der Struktur­phänomenologie mit Husserl zu­sammen nach Schichten graben, aber vom erlebten «Welt­geschehen», wie Stei­ner das in al­len frühen Begrün­dungsschriften darlegt, und besonders ein­drucksvoll noch einmal 1897 im Zu­sammenhang mit Goethes Idealismus auf den Seiten 69 ff zu­sammenfasst, davon hat er gar keinen Be­griff. Steiners inneres Naturfor­schungsanliegen aus dem Kapitel II der Philosophie der Freiheit lag Witzenmann völlig fern. Und er hatte, so weit er­sichtlich, auch gar nicht die Absicht, sich damit jemals ernsthaft auseinanderzusetzen. Sonst wäre er in seinen Steiner-Stu­dien weit, weit gründlicher vorgegangen. Denn obwohl das realtiv einfach doch aus dem Werk Steiners hervor­geht, sieht man davon bei Witzenmann nichts.

Oder wie es bei Steiner (hier S. 30) über die Wesens­gleichheit von Denken und beobachten­dem Den­ken heißt: „Während wir die an­dern Dinge beob­achten, mischt sich in das Weltge­schehen - zu dem ich jetzt das Beob­achten mitzähle [Her­vorhebung, MM] - ein Prozeß, der überse­hen wird. Es ist etwas von allem andern Geschehen verschiedenes vor­handen, das nicht mitberücksichtigt wird. Wenn ich aber mein Den­ken betrachte, so ist kein solches unberück­sichtigtes Ele­ment vor­handen. Denn was jetzt im Hintergrunde schwebt, ist selbst wieder nur das Den­ken. Der beobach­tete Gegenstand ist qualitativ der­selbe wie die Tätig­keit, die sich auf ihn richtet. Und das ist wieder eine charakteristische Ei­gentümlichkeit des Denkens. Wenn wir es zum Be­trachtungsobjekt ma­chen, sehen wir uns nicht gezwungen, dies mit Hilfe eines Qua­litativ-Verschiedenen zu tun, son­dern wir können in demsel­ben Element verbleiben.“ Wie Stei­ner auch an späterer Stelle der Schrift (hier S. 175) schreibt: „Wenn wir denkend beob­achten, vollziehen wir einen Prozeß, der selbst in die Reihe des wirklichen Geschehens ge­hört.“ - Im Denken liegt demnach ein „Weltgesche­hen“ vor, das in der Lage ist, sich selbst zu begreifen, weil Wirkendes und Bewirktes in ihrem Zusam­menhang unmittelbar erlebt und be­griffen wer­den. Das aber gilt im vorliegenden Fall vom «intui­tiv erlebten Denken», und es gilt auch auch für die Be­obachtung des Denkens, die ja nichts ande­res ist als ein intutiv erleb­tes Denken, das sich in Erkenntnisintention auf die Erfahrungen des Den­kens richtet, um sie zu begreifen.

Nicht nur der tätige Denkprozeß im allgemeinen ist für Steiner ein er­lebtes „Weltge­schehen“, son­dern der Prozeß der quali­tativ gleichwerti­gen Be­obachtung des Denkens ist es natürlich ebenso. So daß wir es hier ganz generell mit einem „Weltge­schehen“ zu tun haben, das nicht nur als Tä­tigkeit wahrgenommen, son­dern im Rah­men der Beob­achtung durch das quali­tativ gleichwertige Weltge­schehen namens «Den­ken» auch als ein un­mittelbar erlebter Zusammen­hang von Wir­kendem und Bewirk­tem wahrge­nommen und be­griffen wird. Was bei kei­ner ein­zigen äuße­ren Wahr­nehmung jemals der Fall ist. Und schon gar nicht in dieser Si­cherheit. -

Man sollte sich das besonders energisch noch einmal vor Augen führen angesichts Steiners kriti­schen Bemerkun­gen zu Kant und dessen dogmatischer Handhabung des Kausalitätspro­blems im Kapitel 14 der Grundlinien . Wo Steiner den Dogmatismen von Offenbarung und Erfah­rung vorhält, den entschei­denden Zusam­menhang von Wirken­dem und Bewirktem sachlich nie errei­chen zu können. Sondern an des­sen Stelle lediglich ein gedachtes, äußerli­ches Kon­strukt zu setzen, das mit der Sache gar nichts zu tun hat. Für Kant (und Hume, an den Kant ausdrückl­ich in der Vorrede der Prolegomena anknüpft) ist das Weltge­schehen grundsätzlich und in der Tat nie wirk­lich zu begreifen, weil sie beide mein­ten an den Zusam­menhang von Wirkendem und Bewirktem nie heran­zukommen. So daß Kant an die Stelle dessen und in An­lehnung an Hume sein unerkenn­bares «Ding an sich» setzte. Als Ausdruck eines unbegriffenen und ewig unbegreiflichen Weltge­triebes.

Während bei Steiner das sichere Begreifen des Weltgeschehens ganz explizit mit der «allerwich­tigsten» Beobachtung des Denkens einsetzt, worauf er seinen archimedischen Hebel der Welter­klärung verankert. Im erkennen­den Betrachten des «Welt­geschehens Denken» sind folg­lich auf empi­rischem Wege funda­mentale naturwissenschaft­liche Klärungen und des Kausali­tätsproblems ins­besondere möglich, die weder von der gewöhn­lichen Naturwissens­chaft, noch von ihren bishe­rigen philosophi­schen Zuarbeitern ha­ben gelöst werden können. Auch das ge­hört selbst­redend un­ter das Motto vom zweiten Kapitel der Philosophie der Frei­heit, wo­nach wir «die äußere Natur erst fin­den können, wenn wir sie in uns bereits kennen». - Vorausgesetzt allerdings, wir haben das Beob­achten des Denkens richtig verstanden, und wis­sen, daß es sich dabei um eine qualitativ iden­tische und erlebte Tätigkeit handelt wie das Denken selbst.

Dieses «Weltgeschehen» in Form von erlebtem und beobachtetem Den­ken entspricht wieder­um dem, was Steiner in den Zusätzen von 1918 zur Philosophie der Freiheit bezeichnete als „Wahr­nehmung, in der der Wahrnehmende selbst tätig ist, und ... eine Selbst­betätigung, die zu­gleich wahr­genommen wird.“ Das ist nicht nur das Kennzeichen des in­tuitiv erlebten Den­kens, sondern auch der Intuition. Und zwar durchgän­gig seit 1886, - damals noch nicht so ge­nannt, sondern dort vor allem in der Form eines «erlebten Zusammenhangs von Wirken­dem und Be­wirktem» sprach­lich geprägt. In Wahrheit und Wissenschaft tritt das­selbe, wie wir sahen, im Kapitel IV als «intel­lektuelle Anschauung» auf. Das ist: als übersinnliche Wahr­nehmung. Und zwar charakterisiert da­hingehend, daß dabei nicht nur die hervorbringende Denk-Tätigkeit un­mittelbar ge­geben sein muß, sondern auch der dadurch hervorgebrachte / wahrge­nommene be­griffliche Inhalt. - Letztlich nichts anderes als ein intuitiv erlebtes Den­ken, wie es dann in der Philosophie der Freiheit genannt wird.

Was in den Vorgängerschriften bereits dargelegt war, firmiert dann in der Philosophie der Freiheit als «intuitiv erlebtes Denken». - Wie wir wei­ter oben schon besprochen haben ist das nur eine an­dere Ausdruckswei­se für das, was Steiner in Wahrheit und Wissenschaft in Anleh­nung an den zeit­genössischen Sprachgebrauch der Philosophen die «Intellektuel­le Anschau­ung» nannte. – Nämlich eine «übersinnliche Wahrneh­mung», die sich dadurch auszeichnet, daß sowohl die eigene Tätig­keit des Denkens, als auch der begriffliche Inhalt gegeben sein müssen. Was dann in den Zusätzen von 1918 lediglich noch einmal an verschiedenen Stellen der Philosophie der Freiheit sprachlich beson­ders pointiert wird. Nicht nur im dritten Kapitel (hier S. 36) in der Wendung, „daß nichts ge­wollt wird, was, indem es sich vollzieht, vor dem «Ich» nicht restlos als seine eigene, von ihm überschau­bare Tätigkeit er­scheint. Man muß so­gar sa­gen, wegen der hier geltend gemachten We­senheit des Denkens er­scheint dieses dem Be­obachter als durch und durch gewollt.". Ferner dann in der Wendung eingangs von Kapitel IX hier, S. 101: Im Be­trachten des Denkens selbst fallen in eines zusammen, was sonst im­mer getrennt auftreten muß: Begriff und Wahr­nehmung.Wo die Wahrnehmung eines «Weltges­chehens» mit einem Begriff zu diesem «Weltgeschehen» namens Denken zusammenfal­len. Und um ein drittes Beispiel ohne Vollständigkeitsansprüche neuerlich vorzubringen: In der Wendung vom «intuitiv erlebten Denken, das eine Wahrnehmung sei, in wel­cher der Wahrneh­mende selbst tätig ist. Und eine Selbstbetäti­gung, die zugleich wahrgenommen wird.» - Wie gesagt ist das nichts anderes als wir in den genanntenVorgängerschriften be­reits gele­sen und aufgezeigt haben: Die Wahrnehmung der Selbstbetäti­gung gehört zum «Den­ken», zur «in­tellektuellen Anschauung» und zur «Intuition» not­wendigerweise dazu. Jeden­falls gilt das ohne Wenn und Aber für jeden, der das Denken erkennen will.

Denn einerseits: Wenn ich von meiner Aktivität des Denkens keine Wahrnehmung habe, dann kann ich auch nicht mehr von Intuitionen re­den. Denn zur Intuition gehört mein Erleben der Her­kunft meines Ge­dankens unbedingt dazu. Wer also von seiner Denktätigkeit keine Wahr­nehmung hat, der kann darüber auch kein empirisch fundiertes Urteil abgeben, wo seine Ge­danken eigent­lich herkommen. Er hat aber auch damit keine Ein­sicht in das Wirkende des Weltgeschehens.

Andererseit, und das habe ich an anderer Stelle ab S. 681 ff ausführli­cher unter dem Aspekt des Humeschen und Kantschen Problems der Kausa­lität behandelt: Das intuitiv erlebte Den­ken enthält zunächst ein­mal eine erste empirische Lösung dieses Kausalitätsproblems, inso­fern, als ich mir über die ursächliche Herkunft der Gedanken in einer empiri­schen Si­cherheit Rechen­schaft ablegen kann, die es bei em­pirischen Er­kenntnissen, die sich mit Wirksamkei­ten und ihren Zusammenhän­gen befassen, sonst niemals gibt. Was ja Steiners Grundlagens­tandpunkt ist: Ich muß wissen, was ich tue, und wer oder was mei­ne Gedanken hervor­bringt. Ohne das gibt es keinen «archimendi­schen Hebel der Weltauf­fassung» bei Steiner.

Wiederum: Ohne die Lösung dieses Hume­schen / Kantschen Pro­blems der Verursachung gibt es auch kein «intuitiv erlebtes» Den­ken, keine «in­tellektuelle An­schauung» und auch keinen «erleb­ten Zusammenh­ang von Wirkendem und Bewirktem», wie Steiner letzteres noch in den Grundlini­enim Kapi­tel 15 (hier S. 86) nannte: „Wir erinnern uns, warum eigentlich das Denken in unmit­telbarer Erfahrung bereits sein Wesen enthält. Weil wir innerhalb, nicht außerh­alb jenes Prozesses ste­hen, der aus den einzelnen Gedankenelementen Gedankenverbin­dungen schafft. Dadurch ist uns nicht allein der vollendete Prozeß, das Bewirkte gegeben, son­dern das Wirkende.“ Nun, der Leser kennt das inzwischen ja bereits. In der höheren Varian­te dieser Un­tersuchung des «Weltgesche­hens namens Denken», die dem anthroposo­phischen Schu­lungsweg angehört, zeigt sich der leben­dige / we­senhaft wirkende Cha­rakter des Gedan­kens noch in einer ganz ande­ren, qualita­tiv viel ge­sättigteren Weise. - Ich schätze, daß wir da­mit auch mit unse­rem Verständnis der Tatsache etwas näher kom­men, wenn Stei­ner in den Zu­sätzen eingangs des neunten Kapitels der Philosop­hie der Freiheit schreibt: „In­tuition ist das im rein Geisti­gen verlau­fende bewußte Erle­ben eines rein geis­tigen Inhaltes. Nur durch eine In­tuition kann die We­senheit des Denkens erfaßt werden.“ - Durch den erleb­ten Zusammen­hang von Wirkendem und Bewirktem im intuitiv erlebten Denken.

Letztlich, das zeigen diese Untersuchungen und Steiners kennzeichnen­de Worte, geht es maßgeb­lich um eine empirische Untersuchung des­sen, was Steiner in der Philosophie der Freiheit «Intuiti­on» nennt. Denn bei der «Intuition», und im speziellen beim «intuitiv erlebten Den­ken» geht es um jenen Ursprung des Denkens, den Steiner am Ende von Kapitel Eins der Philoso­phie der Freiheit zum vordringlichen Ziel sei­ner Forschung erklärt in den Worten: „Wir mö­gen die Sache an­fassen wie wir wollen: immer klarer muß es werden, daß die Frage nach dem We­sen des menschlichen Handelns die andere voraussetzt nach dem Ursprunge des Denkens.“ - Das heißt die Frage nach dem Verursa­cher oder Produzenten respektive Schöpfer meines Den­kens wird hier zur al­lerersten erklärt. Was sich wiederum in zahl­reichen As­pekten die­ser Schrift zeigt. Ein ganz zentraler davon ist die Intuition und im enge­ren Sinne das intui­tiv erleb­te Denken, das sich ja ausdrück­lich mit dem Ur­sprung dieses Den­kens befaßt, wenn davon die Rede ist, daß es «eine Wahrnehmung sei, in welcher der Wahrnehmen­de selbst tä­tig ist. Und eine Selbstbetätigung, die zugleich wahrgenom­men wird.» Bei der er­kennenden Be­obachtung des Denkens via intuitiv erlebtem Denken geht es selbstver­ständlich weiter um diesen Ur­sprung des Denkens.

Für den weiteren er­kennenden Eintritt in die geistige Welt benö­tige ich folglich Intuitionsfor­schung, die sich mit der schöpferischen Herkunft meiner Gedanken und den dar­in wirkenden Kräf­ten eingehend weiter empirisch befaßt. Bekanntlich fin­det das statt im Rah­men der metho­disch vertie­fenden anthroposophi­schen Geis­tesforschung im Zusam­menhang mit und auf dem anthropo­sophischen Übungswege. Weil es, wie wir wissen, nicht reicht «nur nach dem Inneren zu schauen, das stets vorhanden ist». Sondern man muß auf dem Wege ei­ner spezifischen See­lenpflege von Denken, Fühlen und Wollen bestimmte Eigenarten seines Seelenlebens metho­disch erst ausbilden, um darin Erfolg zu ha­ben, wie Steiner im Skizzenhaften Ausblick am Ende der Rätsel der Philoso­phie schreibt.

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Nun haben wir es ja bei der Beobachtung des Denkens laut Steiner mit nichts anderem zu tun, als um ein qualitativ gleichwertiges Denken, das sich mit den Erfahrungen des Denkens erkenn­end auseinandersetzt. Von diesem qulitativ gleichwertigen Denken gilt natürlich ebenso, was eben vom intuitiv erlebten Denken gesagt worden ist. Nämlich «Wahrnehmung zu sein, in der der Wahrneh­mende selbt tätig ist. Und eine Selbstbetätigung, die zugleich wahrgenom­men wird.» - Anders ge­sagt, auch die Beobachtung des Denkens gehört, und zwar zwangsläu­fig, zum intuitiv erlebten Denken. Wenn dieses Denken sich jetzt um die aus Kapitel Eins be­kannte Herkunftsfrage bemüht, dann hat es vor­dringlich etwas mit der Intuition und dem intui­tiv er­lebten Denken zu tun. Dahinge­hend, daß sie dem Ursprung des Denkens in der Intui­tion immer weiter vertiefend nachgeht. Das heißt: der aktiven und wirksa­men Wesenheit des Den­kens em­pirisch nachgeht. Denn die spricht sich in der Intuition und im intuitiv erleb­ten Denken unmit­telbar als «Welt­geschehen» aus. Zur ver­tiefenden Forschung dieses Weltge­schehens können Sie als Leser und Studierender des Steiner­schen Begründungs­werkes auch seinem anthroposop­hischen Schulungsweg nachgehen, welcher das Weltgeschehen des Den­kens mit einer elaborierten Metho­de weiter verfolgt. Und wovon das Frühwerk Steiners sei­nen Worten zufolge ja nur die empirische Begründung darstellt.

Ein plastisches Beispiel für Steiners eigene Sichtweise vom erlebten Denken findet sich am Ende des dritten Kapi­tels der Philosophie der Frei­heit (hier S. 36), wo er in Verbindung mit seiner Hart­mannkritik schreibt: „es kommt darauf an, daß nichts ge­wollt wird, was, indem es sich voll­zieht, vor dem «Ich» nicht restlos als sei­ne ei­gene, von ihm über­schaubare Tä­tigkeit er­scheint.“ Der unmittelbar erlebte Vollzug des Denkens ist eine durch und durch erfahrene, und keines­wegs er­schlossene Angelegenheit. Was ja ausdrücklich in Wahrheit und Wissen­schaft (Kap. IV, S. 37) schon eingefordert wurde. Was gleichwohl in den Überar­beitungen von 1918 längst bekannt war, desgleichen auch in Wahrheit und Wis­senschaft schon. Da er das be­reits in der Erstauf­lage der Grundlinien... auf S. 56 resü­mierend dahin­gehend zusammen­fasste: „Wir erin­nern uns, warum ei­gentlich das Den­ken in unmittelbar­er Erfah­rung bereits sein Wesen ent­hält. Weil wir in­nerhalb, nicht außerhalb je­nes Prozes­ses stehen, der aus den ein­zelnen Gedanken­elementen Gedan­kenverbindungen schafft. Da­durch ist uns nicht al­lein der vollendete Pro­zeß, das Be­wirkte gegeben, sondern das Wirkend­e.“ - Dieser erlebte Zusammenhang von Wir­kendem und Be­wirktem gilt bei Steiner über alle Frühschriften kontinuierlich für das Denken im allgemeinen und natürlich auch für das begreifende Betracht­en des Den­kens im speziellen. In bei­den Fällen ha­ben Sie Wirken­des und Bewirktes in ihrem Zu­sammenhang vorliegen.

Was Sie übrigens exemplarisch am Begiff der «Verursachung» studieren können: Wenn Sie den reinen Begriff der «Verursachung» denken, dann haben Sie zwei Formen davon vorlie­gen. Einmal als Wahrnehmung des Erwirkenden den unmittelbar erlebten, er­wirkenden Denk­prozeß selbst, den Steiner in Wahrheit und Wissenschaft (hier S. 37) mit der «intellektuellen Anschau­ung» vergleicht. Und ein­mal den reinen Begriff der «Verursachung» als erwirktes (und zu­gleich wahrgenommenes) Resultat dieses erwirkenden Prozesses. Ein Denk-Prozeß, der sich fassen läßt unter Steiners Kenn­zeichnung aus den Zu­sätzen der Philosophie der Frei­heit dahin­gehend, daß es sich hier um eine geistige Wahrnehmung handelt, in welcher der Wahrnehmen­de selbst tätig ist. Und um eine Selbstbetätigung, die zugleich wahrgenom­men wird. Was von der argumentativ-charakterisieren­den Seite her be­reits in Wahrheit und Wis­senschaft zu lesen ist. Was Sie sich wie ge­sagt im Prinzip auch von ei­ner Ver­suchsperson be­stätigen lassen kön­nen, der Sie den Auftrag gege­ben ha­ben, ihr eigenes Denken nicht nur zu erleben, sondern auch zu beobach­ten und zu einer entsprechenden Begriffsbil­dung bezüglich des Den­kens zu kommen.

Witzenmanns Erzeugungspro­bleme liegen Steiner aus ver­ständlichen Gründen völlig fern, da er ja das Wirkende der eige­nen Denktätigkeit unmittel­bar er­lebt. Auch das Wir­kende des Beobach­tungsprozesses, bzw. der erken­nenden Begriffsbil­dung anhand der Er­fahrungen des Den­kens. Der von Steiner vorgetrage­ne «erlebte Zusam­menhang von Wir­kendem und Be­wirktem» ist freilich von Wit­zenmann nie the­matisiert worden, ob­wohl sich das bei Steiner in sämtli­chen Begründungs­schriften völlig problem­los und an entscheiden­den Stellen fin­det.

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Sie können so viel über ve­getative schöpferi­sche Prozesse und Kräfte in Blumen und Bäumen nach­denken wie Sie wollen. Die Pflanzen beob­achten, so viel Sie wol­len. Die wir­kenden Kräf­te in die­sen Pflanzen erle­ben Sie nicht unmittel­bar, son­dern sie bleiben Ihnen ein Äuße­res, wie Steiner bereits in den Grundlini­en …, Kap. 8 (hier S. 48 f) und beson­ders markant dann in Goethes Welt­anschauung (1897; hier S. 67-70; alterna­tiv in GA-6; S. 83 f) noch ein­mal her­vorhebt:

Goethe macht einmal die Bemerkung: «Wer sie [meine Schriften] und mein Wesen über­haupt verstehen gelernt, wird doch bekennen müssen, daß er eine gewisse innere Freiheit gewonn­en.» … Damit hat er auf die wirkende Kraft hingedeutet, die sich in allem menschlichen Er­kenntnisstreben geltend macht. Solange der Mensch dabei stehen bleibt, die Ge­genstände um sich her wahrzuneh­men und ihre Gesetze als ihnen einge­pflanzte Prinzipien zu betrachten, von denen sie beherrscht werden, hat er das Gefühl, daß sie ihm als unbekannte Mächte gegenübers­tehen, die auf ihn wirken und ihm die Gedanken ihrer Gesetze aufdrängen. Er fühlt sich den Dingen gegenüber unfrei; er empfindet die Gesetzmäßig­keit der Natur als starre Not­wendigkeit, der er sich zu fügen hat. Erst wenn der Mensch gewahr wird, daß die Naturkräfte nichts anderes sind als For­men desselben Geistes, der auch in ihm selbst wirkt, geht ihm die Ein­sicht auf, daß er der Freiheit teilhaftig ist. Die Naturgesetzlichkeit wird nur so lange als Zwang empfunden, so lange man sie als fremde Ge­walt an­sieht. Lebt man sich in ihre Wesen­heit ein, so empfindet man sie als Kraft, die man auch selbst in seinem Innern betätigt; man empfin­det sich als produktiv mitwirkendes Element beim Werden und We­sen der Din­ge. Man ist Du und Du mit aller Werdekraft. Man hat in sein ei­genes Tun das aufgenommen, was man sonst nur als äußeren An­trieb empfin­det. Dies ist der Befreiungs-Prozeß, den im Sinne der Goethe­schen Welt­anschauung der Erkenntnisakt bewirkt.“

Weiter geht es dann unter Hinweis auf die produktive Kraft im Men­schen, die ja nichts ande­res ist als jene geistige Kraft, die auch allen Na­turerscheinungen zugrunde liegt: „Den Unter­schied zwi­schen Denken über das Denken und Anschauung des Denkens hat Goethe nicht ge­macht. Sonst wäre er zur Einsicht gelangt, daß man gerade im Sinne sei­ner Weltanschauung es wohl ablehnen könne, über das Denken zu den­ken, daß man aber doch zu einer Anschau­ung der Ge­dankenwelt kom­men könne. An dem Zustandekommen aller übrigen Anschauun­gen ist der Mensch unbetei­ligt. In ihm leben die Ideen dieser Anschauungen auf. Diese Ideen würden aber nicht da sein, wenn in ihm nicht die pro­duktive Kraft vorhanden wäre, sie zur Erscheinung zu bringen. Wenn auch die Ideen der Inhalt dessen sind, was in den Dingen wirkt; zum erschein­enden Dasein kommen sie durch die menschliche Tätigkeit. Die eigene Na­tur der Ideenwelt kann also der Mensch nur erken­nen, wenn er seine Tä­tigkeit anschaut. Bei jeder anderen An­schauung durchdringt er nur die wir­kende Idee; das Ding, in dem ge­wirkt wird, bleibt als Wahr­nehmung außerhalb seines Geistes. In der Anschauung der Idee ist Wir­kendes und Be­wirktes ganz in seinem Innern enthalten. Er hat den gan­zen Prozeß restlos in seinem Innern ge­genwärtig. Die Anschauung er­scheint nicht mehr von der Idee hervorge­bracht; denn die An­schauung ist jetzt selbst Idee. Diese Anschauung des sich selbst Hervor­bringenden ist aber die Anschauung der Freiheit. Bei der Beobachtung des Denkens durch­schaut der Mensch das Weltgeschehen. Er hat hier nicht nach ei­ner Idee dieses Geschehens zu forschen, denn dieses Geschehen ist die Idee selbst.“

Was in den Dingen wirkt ist Geist. Und was in der menschlichen Denk- und Erkenntnistätig­keit wirkt, ist ebenfalls Geist. Oder der tätige Gedan­kengehalt der Welt, wie es am Ende des 8. Kapi­tels der Grundli­nienbereits heißt. Der Mensch er­lebt somit die schöp­ferischen geisti­gen Kräf­te beim eige­nen Den­ken und seiner Beobach­tung unmittel­bar. Wes­wegen man bei der Beobachtung des Denkens auch «das Weltges­chehen durch­schaut», wie es an der be­treffenden Stelle in Goethes Weltanschau­ung heißt. Weil man dabei die wirkenden Kräfte während der Beobach­tung in Wahr­nehmungsform auch unmittel­bar er­leben kann. Und inso­fern fallen Wahr­nehmung und Be­griff dort zu­sammen: - Die ei­gene Denkak­tivität des beob­achtenden Denkens als Wahrnehmung des Wirken­den. Und das Er­kenntnisresultat dieses er­kennenden Denkens als Be­wirktes. Was Stei­ner wie ge­sagt ei­gens noch ein­mal in seiner Schrift Goethes Weltanschau­ung von 1897 auf S. 70 und in ihrer späteren Neu­auflagen eben­so wie in der GA-6, Dornach 1990, S. 83 ff her­vorhebt. Was, wie wir sa­hen, aber bereits 1886 zum fundamental­en Be­stand der Grund­linienge­hörte. Nur beim Den­ken wird der Zusam­menhang von Wir­kendem und Be­wirktem un­mittelbar er­lebt, wie es be­reits in den Grundlini­envon 1886 hieß. Und das ist das entscheiden­de Alleinstellungsmerkm­al bei der Erkennt­nis des eigen­en Den­kens. Daß Wirkendes (der erlebte beob­achtende Denkprozeß) und Be­wirktes (der dabei er­arbeitete und er­kannte Be­griff respek­tive die Er­kenntnis) in ihrem Zusammenh­ang un­mittelbar erlebt werden. Und das Weltgesche­hen inso­fern auch durch­schaut wird, weil hier ein schöpfe­rischer «Na­turprozeß» unmit­telbar er­lebt und er­kannt wurde. Oder wie Steiner es ebenfalls in Goethes Welt­anschauung (S. 69) in diesem Zusamm­enhang in kri­tischer Anleh­nung an Goe­thes ausdrücklichen Ver­zicht auf die Be­obachtung des Denkens skizziert: „Aber so wie die schöpferischen Na­turkräfte «nach tausend­fältigen Pflan­zen» noch eine machen, worin «alle üb­rigen enthal­ten» sind, so bringen sie auch nach tausendfälti­gen Ideen noch eine her­vor, worin die ganze Ideenwelt ent­halten ist. Und diese Idee erfaßt der Mensch, wenn er zu der An­schauung der andern Dinge und Vorgänge auch diejenige des Denkens fügt.“

Die Intuiti­on ist wie gesagt in al­len Fällen von «Sinneserwahrnehmun­gen», äußeren wie inne­ren und geistigen, erforder­lich, über die zur ge­gebenen Wahr­nehmung der ergänzend­e Be­griff hinzu­gefügt wird. Das ei­gene erlebte / wahrgenom­mene Denken macht dabei keine Aus­nahme. Nur ist dieser Zusammenhang bei Witzen­mann völlig verlo­ren gegan­gen und ab­geschafft wor­den, weil er meinte, von seiner Denk­tätigkeit kein unmittelba­res Be­wußtsein, - keine unmittel­bare Wahrneh­mung, - zu ha­ben. Das auf der Basis eines ganz unverstandenen Beobachtungs­begriffs. Weswegen er in seiner Schrift Goe­thes universaläs­thetischer Impuls, Dornach 1987, (S. 356, S. 386, S. 397) die im Zu­sammenhang mit Stei­ners Frühschriften vollkommen abwe­gige Frage, «Wie Unbeob­achtbares zur Erinnerung werden kann?» zur «erkenntnistheoretis­chen Grundfra­ge» erklärte. Wo­mit er jede gedankliche Verbin­dung mit Stei­ner und dessen er­kenntniswissenschaftlichen Intentio­nen nachweis­lich abge­schnitten hat. Wie bereits gesagt, ohne jede weitere klärende Untersu­chung des problematischen Sachver­halts an Steiners restli­chen (Früh)-Werken. Was bis zur finalen Strukturphänomeno­logie Witzen­manns auch so blei­ben wird, die von Witzenmanns Schü­lern viel­fach hoch und heilig gehal­ten wird. Der Mann hat in Wirklich­keit nichts be­griffen von dem, wor­um es Steiner mit seiner «inne­ren Naturwis­senschaft» geht, und wie er das einlöst. Witzenmanns Anhäng­ern geht es damit bis heute in ge­nau gleicher Weise, wie wir sahen.

Wo­hingegen Steiner in sämtlichen Begrün­dungsschriften das ge­naue Ge­genteil von dem dar­legt, was Witzenmann darüber referriertnäm­lich die Bewußtheit des Denkprozesses in Form seiner unmit­telbaren Er­fahrung / Wahrneh­mung. Re­spektive als «unmit­telbare Gege­benheit» in Wahrheit und Wis­senschaft, Kap. IV, S. 37: „Wir müssen uns vollstän­dig klar dar­über sein, dass wir dieses Her­vorbringen in aller Unmittel­barkeit wieder ge­geben haben müssen. Es dür­fen nicht etwa Schlussfol­gerungen nötig sein, um dassel­be zu erkennen.“ Oder eben als «erleb­ter Zusam­menhang von Wirken­dem und Be­wirktem» in den Grundlini­envon 1886. In der Philosophie der Freiheit war das also schon 1894 alles nichts Neues.

Man muß sich bei alldem nur verdeutlichen, daß wir es hier, bei den grundlegenden erkenntniswis­senschaftlichen Schriften Steiners und der dort thematisierten Wahrnehmung der Ak­tivität des in­dividuellen Den­kens immer noch im Vorfeld der späteren Geistesforschung des An­throposophen Steiners befinden. In der Schrift Von Seelenrätseln (GA-21, S. 11 ff) spricht Steiner im Kapitel Anthropologie und Anthroposophie von einem «gemeinsamen Gebiet und Forschungs­feld» wo Verständigung möglich sei, zwischen den beiden, der Anthropologie auf der einen Seite und der Anthroposophie auf der anderen. In diesem gemeinsamen Forschungsf­eld sind auch die seelischen Beobachtung von Steiners Früh­schriften anzusie­deln, in denen laut Steiner nur erst die Grundlagen ge­legt werden für die spätere geistige Forschung auf der Basis dieser frü­hen Untersu­chungen, wie Steiner immer wieder betont. Über diese Grundlagenfors­chung kann man sich pro­blemlos verstän­digen. Es ist dies ja auch der Anlaß, warum Steiner am Ende dieser Schrift, S. 170 f so eindring­lich den Wunsch nach einem psy­chologischen La­boratorium äu­ßert, von dem er sich so viel für die Grundlagenforschung ver­sprach. Wo im en­geren Sinne die Veranlagung zum Schauen untersucht und de­monstriert werden sollte. Für die höhere Geistesforschung ist der an­throposophische Übungsweg uner­läßlich, der qualitativ noch ganz ander­e Zugänge zum seelischen und Geistigen ermöglicht, wie Steiner speziell und aus­führlich im Skizzenhaften Ausblick auf eine Anthroposo­phie in der Schrift Die Rätsel der Phi­losophie (GA-18, S. 594 ff) dar­legt.

Man muß sich darüber klar sein, daß die Intuition bei Steiner etwas mit dem Willen und dem Welt­geschehen zu tun hat. Was ja bereits in Steiners kurzer Replik von 1887 auf Eduard von Hartmann sichtbar wird, die ihn zu dem Urteil führte, daß «der menschliche Wille die Idee selbst sei, diese als Kraft aufgefaßt». (GA-1, S. 196 f) Die Untersu­chung des Denkens beginnt bei Steiner mit sei­nen Frühschriften. Ist aber dort natürlich nicht abgeschlossen, wie er selbst 1921 ausführt: „Man gelangt zur vollen, zur ganzen Wirklichkeit von dem, wovon man bis zu einem gewissen Grade sich eine Vorstellung, eine empirische Vorstellung verschaffen kann auch auf die Art, wie ich es versucht habe darzustellen in meiner «Philosophie der Freiheit». Da habe ich versucht, auf das rei­ne Denken hinzuweisen, auf dasjenige Denken, das in uns auch leben kann, bevor wir gerade diese Partie des Denkens mit irgend­einer äußeren Wahrnehm­ung zur vollen Wirklichkeit zusammenge­bracht haben. Ich habe hingewiesen dar­auf, daß dieses reine Denken sel­ber als innerer Seeleninhalt wahrgenommen werden kann; aber was es seinem Wesen nach ist, das läßt sich erst erkennen, wenn die wirkli­che Intuition auf dem höheren Erkenntniswege in der Seele auftritt. Dann durch­schaut man gewissermaßen die­ses eigene Denken; man lebt sich jetzt erst durch Intuition in dieses eigene Denken hinein, denn die Intuition besteht eben darinnen, daß man sich in ein Übersinnli­ches mit seinem eige­nen Wesen hineinlebt, daß man in dieses Übersinnliche untertaucht.“ (GA-78, Dornach 1986, S. 141 f) Hier spricht er von der «wirklichen Intuition des höheren Erkenntniswe­ges». Das «Einleben in das Übersinnliche» beginnt allerdings bereits mit der Intuition des gewöhn­lichen Denkbewußtseins. Was er in GA-21, S. 61 auch gegenüber Max Dessoir vorbringt mit Blick auf seine Philosophie der Freiheit und den Intuitionsbegriff dort:Mir gilt eben Intuition nicht «bloß» als die «Form, in der ein Gedankeninhalt zu­nächst hervortritt», sondern als die Offenba­rung eines Geistig-Wirkli­chen, wie die Wahrnehmung als diejenige des Stofflich-Wirklichen.“ Von der frühen Intuition der Begründungsschriften gelangt man dann bis zur «höheren» Intuition, auf deren Grundlage Steiner das Weltgeschehen in einer Weise beurteilt die einem allgemeingülti­gen Kausalitätsprinzip der materiellen Welt noch klarere Grenzen setzt, als es ja schon in den Früh­schriften der Fall war. (Siehe GA-78, S. 142 f)

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Werden wir abschließend in dieser Passage noch etwas konkreter und mit etwas Gegenwarts­bezug durch ein bekanntes Beispiel. Die Tatsac­he, daß ich mich beim Denken nicht nach der Hirnphysio­logie richte, son­dern nach den Inhalten von Begriffen, ist an sich völlig trivial und leicht zu verifi­zieren. Der von Steiner diesbezüglich hergehobene Sach­verhalt ist eine Erkenntn­is über das Den­ken auf einer rein deskriptiven Ebene und an der unmittelbaren Erfah­rung des Denkens ge­wonnen. Doch so tri­vial und einleuchtend er auch ist, gibt es genügend Blinde, die über die Farbe reden, weil sie nach wie vor glauben, dass es das Ge­hirn sei, wel­ches denkt. Ohne einen einzigen Beweis an der unmittelbar­en Erfah­rung des Denkens dafür je­mals vorlegen zu können. Das ist der regel­mäßige Sachstand heute, wenn physikalistische Welterklärer und Ethi­ker mit un­belegbaren hirn­physiologischen Hypothesen und mit ei­nem na­turwissenschaftlichen Kausalitätsprinzip ganz ratio­nalistisch über das Denken her­fallen, von dem sie wegen ihrer Blindheit nicht die leiseste Vorstel­lung haben. «Der Rationalismus ... in­terpretiert in die Erschei­nungswelt Ursa­chen und Zusammen­hänge hinein, die nicht in derselb­en sind. Verliert damit den sicheren Boden unter seinen Füßen und ver­fällt der Willkür der Einbildungskraft und des subjektiven Einfalles.» So Steiner Goethe re­ferierend dazu in GA-1, hier S. 188, anlässlich der Be­handlung von Goethes «Urphänomen». Eine dogmatisch-fantasti­sche Vorgehenswei­se, die er bereits im Kapitel 14 der GrundlinienKant vorgeworfen hatte, der mit seinen dogmatisch-metaphysischen Kausal­erklärungen «an die Sachen nie herankam» und an die Stelle der Tatsa­chen rationalitische Phantastereien setz­te. Das geht im Prinzip seit min­destens Humes Zeiten schon so, und treibt zur Zeit un­ter dem globalfa­schistischen und an­geblich brillanten Vorden­ker des Herrn Schwab, Ha­rari, auf einen nie dage­wesenen totali­tären Höhepunkt zu, wo ein mate­rialistischer Blinder aus dem Welt­wirtschaftsforum über die Far­be redet, gegen die menschli­che Freiheit kämpft, und sich bei sei­nen menschen­verachtenden ideologi­schen Ex­zessen auf die Naturwissen­schaft, und unter an­derem auf die Versuche von Libet beruft:Geist ist für Harari in seinen ersten beiden Bü­chern etwas, das entsorgt werden sollte, zu­sammen mit Seele und Gott. Doch nun zeichnet sich ein Ernst­nehmen von geistig-see­lischen Phä­nomenen ab. Gleichwohl betrachtet Harari die In­halte des Bewusst­seinsflusses nach wie vor als reine Informatio­nen und unterstellt, dass wir letztlich doch nur informationsverar­beitende Maschi­nen seien, die besser von maschinel­len Algo­rithmen «gesteu­ert» werden soll­ten.“ So schreibt Ger­not Böh­me dazu in der neu­en Züri­cher Zeitung vom 15.01.22. Begriffe wie Freiheit und Seele ge­hören für Ha­rari entsorgt. Dass neben den von ihm vorgebrachten Al­gorithmen, die man dann ge­gen nutzlose Esser zur An­wendung bringt, viel­leicht noch ganz an­dere Ideen im Kopf des Herrn Harari herum spu­ken, kann man einem länge­ren Hinterg­rundartikel über Transhumanis­mus und syntheti­sche Spiritua­lität ent­nehmen.

In solchen vorhersehbar perversen Exzes­sen des Materia­lismus, deren physiologische Wur­zeln sich bereits in der physiologischen Psy­chologie seiner Zeit her­ausbildeten, lag auch ein engerer An­lass für Stei­ners Ka­pitel 14 in den Grundlinien, wo er das Kausa­litätsproblem zwar mit Blick auf Kant diskutiert. Doch dieser wie­derum fußt in die­ser Frage ganz explizit auf David Hume, wie Sie hier in Kants Pro­legomena in der Vor­rede S. 6 ff nachlesen kön­nen. Wonach Kau­salität überhaupt nicht empirisch nach­weisbar sei, weswegen wie­derum Kant nach dieser Steilvorlag­e Humes die Flucht in die Metaphysik angetreten hat, wie er in den Prolegomena schreibt. We­der Kant noch Hume waren in Lage, Na­turkausalität in der äu­ßeren Natur empi­risch zu finden, weil sie die «Na­tur» gar nicht kannten, um mit Steiners zweitem Kapitel der Philo­sophie der Frei­heit zu reden. Wohin­gegen wie­derum Steiner in der Philosop­hie der Frei­heit (Kap. II, hier S. 21) ausdrücklich betont: „Es kann nur ihr eigenes Wirken sein, das auch in uns lebt. ... Wir kön­nen die Na­tur außer uns nur finden, wenn wir sie in uns erst kennen.“ Das weist ganz unmissvers­tändlich auf Stei­ners naturforschenden Weg nach in­nen, wie er ihn dort auch verfolgt hat. Wer nun aber nach dem Vorbild der Natur­wissenschaft materialisti­sche / hirnphysiologi­sche Kausalit­ät im mensch­lichen Denken rationalistisch gel­tend macht, aber ge­mäß Kant und Hume erkenntnistheo­retisch Kausalität gar nicht empirisch be­legen kann, und nachfolgend nur fantasti­sche naturwissens­chaftliche Hypothe­sen darüber und die Kausalbe­stimmtheit des menschlichen Den­kens auss­pinnt ohne auch letzteres zu ken­nen, der kann auch über Freiheits­fragen, das Menschenb­ild und künftige sozia­le Verhältnisse an­hand ei­ner pseu­dodarwinistischen Ethik und mit ei­nem ra­tionalistischen Kausa­litätsprinzip be­waffnet nur fan­tastisch sub­stanzloses und mörderi­sches Zeug ausspin­nen. Wie es Stei­ner schon den «Maschi­nendenkern» des zeitgenössi­schen Sozialis­mus und Bolschewis­mus attes­tierte. Deren psychol­ogische Hilfs­truppen, wie etwa der physiologi­sche Psy­chologe Theodor Ziehen, damals diesel­be Spur leg­ten, der heu­te ein Herr Harari in seinen tödli­chen transhumanistischen Phantastereien folgt, dem alles Menschliche völlig fern liegt. (Siehe Steiner etwa in GA-174, S. 298 ff; siehe dazu auch GA-174 b, Dornach 1994, S. 301 ff)

Laut Steiner legte als namhafter zeitgenös­sischer Vordenker für den Bol­schewismus Theodor Zie­hen, seines Zeichens physiolo­gischer Psycholo­ge und ebenso Kant- und mehr noch Hume-Anhänger, da­mals mit diese Spur, wie sie heut­zutage etwa Li­bet für den Primitiv-Darwinis­ten, Vul­gär-Historiker, Techno-Phantasten und «Schwab-Berater» Hara­ri legt, der mit gro­ßem Tamtam in die Öffentlichkeit gedrückt wird. An die­ser le­bensbedrohlichen Per­spektive einer Menschheit, die «die Natur gar nicht kennt, da sie sie in sich selbst nie gefunden hat», hat sich seit Stei­ners Zeit nicht viel geän­dert, sondern seither noch erheb­lich ver­schärft, weil an­geblich fa­mose Geister über das Denken immer noch wie die Blinden über Far­ben reden, wie im aus­gehenden 19. Jahrhun­dert schon. Und infolgedess­en als globalistische «Maschi­nendenker» drauf und dran sind, auch die ganze Menschheit physikalistisch zu ruinie­ren und zu menschlic­hen Maschinen zu formen. So wie es Herr Schwab und sein mechanistischer Vortänzer Harari ganz offen propagieren. Wieder­um ganz vorne mit dabei die deutsche Re­gierung unter einer in­zwischen Ex-Kanzlerin Merkel nebst EU-Präsidium und vor allem die deutschen Rot­grünen, die jetzt mit den nicht minder faschistoiden angeblichen Libera­len bei dieser Umfor­mung des Menschen zur algorithmisch gesteu­erten Ma­schine aus Deutschland heraus maßgebli­che Assis­tenz leisten.

Wir ste­hen gegen­wärtig buch­stäblich mit­ten im menschlichen Überle­benskampf ge­gen Maschinen­denker wie Schwab, Harari und ihresglei­chen. (Siehe dazu auch Prof. Dr. Peter Cul­len im Corona-Ausschuß Nr. 109 ab Std 3:05. ) - Und mit Blick auf die Er­kenntnis von Denken und Frei­heit ist diesbe­züglich zu konstatie­ren: Von Herrn Witzenmann und des­sen exegeti­schen Ent­gleisungen und philosophi­schen Verballhornun­gen Stei­ners ist dabei keinerlei Hilfe zu erwarten. Da ist in die­ser Frage mit Wit­zenmanns «Erzeugungspro­blem» und seiner «Paradox­ie der Selbst­gebung» aus der Strukturphäno­menologie zur Rettung wirklich nichts zu holen. Ganz im Gegen­teil.

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Nun, was vor der ei­gentlichen Anschauung des Denkens durch empi­risch gewonnene Begriff­e aus innerer Beobachtung liegt, ist seine be­griffslose "reine Erfahrung". Wer nichts über das Den­ken weiß, der kann zwar er­folgreich und bisweilen sehr brillant denken, hat aber auf der Ebe­ne sei­nes Begreifens nichts weiter als un­begriffene reine Erfahrun­gen davon. Und selbst das ist ihm als Tat­sache in al­ler Re­gel alles andere als klar, so lange er sich nicht in den «Aus­nahmezustand» der be­trachtenden Gegen­überstellung begibt, um das Denken auch mit­tels des Den­kens zu begreif­en. Darauf beruht die sich selbst tragende Na­tur des Den­kens, von der Stei­ner oben im Zusammen­hang mit Hegel sprach, und be­merkte, daß diese sich selbst tra­gende Natur nicht einfach auf Be­griffe und Ideen übertragen wer­den können, sondern nur für das Denken gilt, durch wel­ches Be­griffe und Ideen erst ge­wonnen werden. Man muß hin­zufügen: Auch die moderne Physik kann sich natürlich nicht selbst tra­gen, son­dern muß zuges­tehen, daß sie von ihrer Beobach­tungsposition aus den unmittelbaren Zusammenhang von Wirkendem und Be­wirktem niemals sicher feststel­len wird, weil ihr die viel zu fern lie­gen. Die von ihr un­tersuchten äußeren Triebkräfte sind ihr schlechter­dings nicht un­mittelbar er­reichbar, wie Stei­ner schon 1886 im Kapitel 8 der Grundlini­en … und öfter schrieb. Diese Tatsache geht auch aus Steiners Ausein­andersetzung mit Kants Kausa­litätsproblem hervor, dem des Ka­pitel 14 der Grundlini­en … gewidmet ist. Der ein­zige Ort, wo ein erlebter Zusamm­enhang von Wir­kendem und Be­wirktem sicher fest­stellbar ist, das ist laut Steiner das menschliche Den­ken. Was natür­lich enorme Auswir­kungen auf die Be­gründung der Naturwis­senschaften ha­ben muß. Man kann die äußere Na­tur nur finden, wenn man sie in sich erst kennt. Wie Steiner im zweiten Ka­pitel der Philosophie der Freiheit sagt. Was sei­nen Worten zu­folge ein­schließt, dass man dort «mehr fin­det, als nur Ich».

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Schauen wir uns jetzt im ergänzenden Durchgang sozusagen die Angele­genheit noch einmal etwas aus der Nähe an: Da Steiner auch in ande­ren Kon­texten ein Zusammenfallen von Wahr­nehmung und Begriff hervor­hebt, und es hier beachtenswerte Diffe­renzen gibt, sei der Klar­stellung halber folgendes ange­merkt: Leser, die mit Steiners philosophi­schen Grund­schriften etwas ver­traut sind, werden wissen, daß er dort dem Den­ken die Fähigkeit zu­schreibt, Begriffe und Ideen wahrzuneh­men - man könnte auch sagen: sie zu beobachten. Denn dahinter steht ja eben­falls ein Erkenntnisint­eresse, auf den spezifischen Charakter von Begrif­fen und Ide­en hin orientiert. Jenen geistigen Wahrnehmungen die an den Menschen herantreten, und so lan­ge als Wahrnehmung auf­zufassen sind, bevor sie von dem tätig erar­beiteten Begriff erfaßt sind. Stei­ners Aussa­gen dazu sind so zahl­reich, dass sie hier nicht alle angeführt wer­den kön­nen. Nur ei­nige exemplarische Fäl­le:

  • "Der Geist nimmt also den Gedankengehalt der Welt wahr, wie ein Auffassungsorgan. Es gibt nur einen Gedankeninhalt der Welt. Unser Bewußtsein ist nicht die Fähigkeit, Gedan­ken zu er­zeugen und aufzubewahren, wie man so vielfach glaubt, sondern die Gedanken (Ideen) wahrzunehmen." (Grundlinien einer Er­kenntnistheorie der Goethe­schen Weltan­schauung, GA-2, 2003, Kap. 13, S. 76 f)

  • "Wer dem Denken seine über die Sinnesauffassung hinausgehen­de Wahrnehmungsfähig­keit zuerkennt, der muß ihm notgedrun­gen auch Objekte zuerkennen, die über die bloße sin­nenfällige Wirklichkeit hinaus liegen. Die Objekte des Denkens sind aber die Ideen. In­dem sich das Denken der Idee bemächtigt, ver­schmilzt es mit dem Urgrunde des Weltenda­seins; das, was au­ßen wirkt, tritt in den Geist des Menschen ein: er wird mit der objek­tiven Wirk­lichkeit auf ihrer höchsten Potenz eins. Das Gewahr­werden der Idee in der Wirklich­keit ist die wahre Kommu­nion des Menschen. Das Denken hat den Ideen gegen­über diesel­be Be­deutung wie das Auge dem Lichte, das Ohr dem Ton ge­genüber. Es ist Or­gan der Auffas­sung." (Einleitungen in Goe­thes Naturwissenschaftl­iche Schriften, GA-1, 1987, S. 125 f)

  • "Das objektiv Gegebene deckt sich durchaus nicht mit dem sinn­lich Gegebenen, wie die mechanische Weltauffassung glaubt. Das letztere ist nur die Hälfte des Gegebe­nen. Die an­dere Hälfte des­selben sind die Ideen, die ebenso Gegenstand der Erfahrung sind, freilich ei­ner höheren, deren Organ das Denken ist." (GA-1, 1987, S.125).

  • "Der Ideengehalt der Welt ist auf sich selbst gebaut, in sich voll­kommen. Wir erzeu­gen ihn nicht, wir suchen ihn nur zu erfas­sen. Das Denken erzeugt ihn nicht, sondern nimmt ihn wahr. Es ist nicht Produzent, sondern Organ der Auffassung." (GA-1, 1987, S. 164)

  • Das objektiv Gegebene deckt sich durchaus nicht mit dem sinn­lich Gegebenen, wie die mechanische Weltauffassung glaubt. Das letztere ist nur die Hälfte des Gegebe­nen. Die an­dere Hälfte des­selben sind die Ideen, die ebenso Gegenstand der Erfahrung sind, frei­lich ei­ner höheren, deren Organ das Denken ist. Auch die Ide­en sind für eine induktive Methode erreichbar.“ (GA-1, Dornach 1987, S. 126)

Auch bei dieser ideellen Wahrnehmung fallen Wahrnehmung und Be­griff zusammen, wie Stei­ner ausführt: "Im menschlichen Bewußtsein ist der Begriff selbst das Wahrnehmbare. An­schauung und Idee decken sich. Es ist eben das Ideelle, welches angeschaut wird." (GA-1, 1987, S. 284) Da scheint jetzt auch etwas zusammen zu fallen. Insofern, als sich Anschau­ung und Idee decken. - "Im menschlichen Bewußtsein ist der Begriff selbst das Wahrnehmbare.“ Angeführt hier lediglich als Aus­druck der Tatsache, daß Begriff und Ideen nicht konstruiert, sondern eben tätig denkend «wahrgenommen» werden.

Das Ideelle, Begriffliche ist bekanntlich bei Steiner ebenfalls ein «Wahrnehmungsgegens­tand» für das menschliche Denken. In welchem Ver­hältnis steht jetzt dieses «sich Decken» von Wahrneh­mung und Be­griff zu je­nem «Zusammenfallen», von dem in den Zu­sätzen der Philo­sophie der Freiheit von eingangs Kap. IX hier S. 101 die Rede ist?: “Im Be­trachten des Den­kens selbst fallen in eines zusammen, was sonst im­mer getrennt auftreten muß: Begriff und Wahrnehmung.“? Man könnte leicht zu der Auffassung gedrängt werden, es sei in all die­sen oben aufgezähl­ten Fäl­len je­weils vom selben Sachverhalt die Rede, wo der Be­griff eben «wahr­genommen» wird. Das ist aber nicht der Fall. Das heißt: die Wahr­nehmung oder Beob­achtung von Begriffen und Ideen ist nicht per se das­selbe wie die Beobachtung des Den­kens. Denn bei der Beob­achtung des Den­kens haben wir es vorrangig mit jenem begreifen­den «Pro­zess zu tun, durch den Begriffe und Ideen erst ge­wonnen wer­den», um Steiners obige Diffe­renz zu Hegel noch einmal aufzunehmen. Wäh­rend es uns bei der Wahrnehmung von Begrif­fen und Ideen zu­nächst keineswegs vorran­gig um den Prozeß geht, durch den sie erst gewon­nen werden. Im Gegenteil. Sondern Denkprozesse, auch wenn es da­bei nur um rein begrifflic­he, meinetwegen mathematische oder philo­sophische Fragestel­lungen geht, zielen vor­rangig auf etwas Ide­elles, Be­griffliches – auf die gedankliche Lösung von Fragen und Problemstellung­en. Der konkrete Prozeß des Denkens interessiert den Denker dabei in der Re­gel am aller­wenigsten, geschweige denn die Frage, wer denn der Verursacher seines Denkprozes­ses ist. Sondern lediglich das vordergründige Ziel seiner Fragestellungen interessiert ihn. Desweg­en wird die Tätigkeit des Denkens und seine sonstigen Eigenarten ja auch regelmäßig übersehen, wie Steiner im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit schrieb. Wie Sie zu­dem beim oben zi­tierten Karl Büh­ler, S. 297 lesen können, glaubten die meisten Philo­sophen und Psycho­logen sei­ner Zeit (um 1907 /08), dass es beim Den­ken ohnehin nichts zu erleben gab. Erst wenn der Denker sich in den oben behandel­ten «Aus­nahmezustand» der gegenüberstellend­en Be­trachtung versetzt, was auch Bühler damals an­hand von Versuchsper­sonen tat, wird der Prozeß des (eigenen) Den­kens zum Thema und zum em­pirischen Untersuchungsgeg­enstand für ihn, wie es das dritte Kapitel der Philoso­phie der Freiheit darlegt. Wo­mit Steiner seiner Zeit schon in den Grund­linienvon 1886 um rund 20 Jahre voraus voraus war.

Es gibt demnach in Steiners Frühschriften zwei Formen des Zusammen­fallens von Wahrneh­mung und Begriff, die man miteinander folgenreich ver­wechseln könnte. Nämlich dann, wenn man aus sprachlichen Grün­den die eben zitierten rein «begrifflichen Wahrnehmungen» mit der «Wahrneh­mung der Aktivität des Denkens» ver­wechselt, von der Stei­ner eben­falls seit 1886 regel­mäßig spricht. Die er in der Ergänzung von 1918 zu Be­ginn des IX Kapitels der Philoso­phie der Freiheit im Zusam­menhang mit der Beobachtung des Denkens dahinge­hend thematis­iert, «daß bei der Be­obachtung des Denkens zusammenfällt, was sonst immer getrennt auftre­ten muß – nämlich Begriff und Wahrnehmung». Bei der Beobach­tung des Den­kens liegen die­se dagegen ungetrennt vor. Näm­lich die Wahrneh­mung des aktiven Denkens und der Begriff des Den­kens, im selben täti­gen Prozeß, so weit er uns bei der denkenden Be­obachtung des Denkens im Rahmen der empiri­schen Untersu­chung auf­geht. So daß eben der Tätigkeitsprozeß des Denkens als solcher wahrge­nommen wird, und ebenso jener Begriff be­züglich des Den­kens, der uns bei seiner Beobachtung durch das tätige Denken offenbar wird. Was man leicht unter die Ergänzungen von 1918 bringen kann: Als eine «Wahrnehmung, in welcher der Wahr­nehmende selbst tätig ist. Und eine Selbstbe­tätigung, die zugleich wahrge­nommen wird.» Was eigent­lich nicht schwer zu verstehen sein sollte, da der Den­ker ja bei der Be­obachtung des Den­kens sein beob­achtendes Den­ken ebenfalls erlebt, respektive wahr­nimmt.

Die Präzisie­rungen Steiners im IX Kapi­tel der Philosophie der Freiheit von 1918 fal­len im Ver­gleich zu ihrer Erst­auflage von 1894, – damals war es das X. Kapitel, - ganz be­sonders ins Auge. Zumal Steiner das Verständnis dieser Passage von 1918 an das Verständnis der Beob­achtung des Denkens knüpft. Dahin­gehend: „Ein richtiges Verständnis die­ser Beobachtung kommt zu der Ein­sicht, daß das Denken als eine in sich beschlossene Wesenheit unmittelbar ange­schaut werden kann. Wer nötig findet, zur Erklärung des Denkens als solchem etwas an­deres her­beizuziehen, wie etwa physische Gehirnvor­gänge, oder hinter dem beob­achteten be­wußten Denken liegende unbe­wußte geistige Vorgänge, der verkennt, was ihm die unbefangen­e Beob­achtung des Denkens gibt. Wer das Denken beobachtet, lebt während der Beobach­tung unmittelbar in einem geistigen, sich selbst tragenden Wesensweben darinnen. Ja, man kann sagen, wer die Wesenheit des Geistigen in der Gestalt, in der sie sich dem Menschen zu­nächst darbie­tet, erfassen will, kann dies in dem auf sich selbst beruhenden Denken. [ ] Im Betrachten des Denkens selbst fallen in eines zusammen, was sonst immer getrennt auftreten muß: Begriff und Wahrnehmung. ...“

Erinnern wir uns an jene Stellungnahme Steiners aus dem Kapitel 15 der Grundlinien, wo Stei­ner (hier S. 86) rückblickend den erlebten Zusammen­hang von Wirkendem und Bewirk­tem im Prozeß des Denkens hervor­hob: „Wir erinnern uns, warum eigentlich das Denken in unmit­telbarer Erfahrung bereits sein Wesen enthält. Weil wir innerhalb, nicht außer­halb jenes Pro­zesses stehen, der aus den einzelnen Gedankenelementen Gedankenverbindun­gen schafft. Da­durch ist uns nicht allein der vollen­dete Pro­zeß, das Bewirkte gegeben, sondern das Wirkend­e.“ Eine analoge Festel­lung, diesmal mit Blick auf das intuitiv erlebte Denken und die geistige Wahrnehmung dann in den Zusätzen zur Philosophie der Freiheit von 1918, hier S. 181: „Denn, wenn auch einer­seits das in­tuitiv erlebte Denken ein im Menschengeiste sich vollzieh­ender tä­tiger Vorgang ist, so ist es ande­rerseits zugleich eine geistige, ohne sinnliches Or­gan erfaßte Wahrnehmung. Es ist eine Wahrneh­mung, in der der Wahrnehmende selbst tä­tig ist, und es ist eine Selbstbetäti­gung, die zugleich wahr­genommen wird. Im intuitiv erleb­ten Den­ken ist der Mensch in eine geistige Welt auch als Wahrnehmender versetzt.„ - In bei­den zitier­ten Fällen liegt der erlebte Zusammenhang von Wir­kendem und Bewirktem vor. Die erlebte Tätigkeit des Denkens (des «Wirkenden») ist eine uner­lässliche Bedingung des intui­tiv erleb­ten Denkens, das im Zusatz bereits als «geistige Wahrneh­mung» ge­kennzeichnet wird. Voraus­blickend dabei auf das, was in seinen anthro­posophischen Schriften dann in wei­ter vertiefter Form als geistige Wahrneh­mung bezeichnet wird. Versehen ist der gesamte Pas­sus mit einem «zugleich»: „… eine Selbstbetäti­gung, die zugleich wahrgenomm­en wird.“ Das heißt, zeitlich fällt die Wahrnehmung der Selbstbetätigung mit der Wahrnehmung der begriff­lich / geistigen Enti­täten zusammen. So daß wir hier eine Wahrnehmung der begrifflichen En­tität haben, die mit der Wahrnehmung der Selbstbetätigung (zeitlich) zusammenfällt. Sie fal­len zusammen in jenem «Prozeß, durch den Be­griffe und Ideen erst gewonnen werden», wie Steiner abgrenzend ge­genüber Hegel vor­bringt. In beiden genannten Fällen (Grundlinien und Philosophie der Freiheit) wird klar gesagt, daß die Gegebenheit respek­tive Wahrneh­mung der Selbstbetätigung zur Wesenserkenntnis des Den­kens dazuge­hört.

Weiter ist zu bedenken, daß in jener Erweiterungspassage vom Beginn des IX. Kapitels die klare Rede davon ist, daß das Denken nur aus sich selbst heraus erklärt werden könne: „Ein richtiges Verständnis dieser Beobachtung kommt zu der Einsicht, daß das Denken als eine in sich beschlos­sene Wesenheit unmittelbar angeschaut werden kann. Wer nötig findet, zur Erklär­ung des Denkens als solchem etwas anderes herbeizuziehen, wie etwa physische Gehirn­vorgänge, oder hinter dem beobachteten bewußten Denken liegende unbewußte geistige Vor­gänge, der verkennt, was ihm die unbefangene Beobachtung des Denkens gibt. Wer das Den­ken beobachtet, lebt während der Beob­achtung unmittelbar in einem geistigen, sich selbst tra­genden Wesensweben darinnen. Ja, man kann sagen, wer die Wesenheit des Geistigen in der Gestalt, in der sie sich dem Menschen zu­nächst darbietet, erfassen will, kann dies in dem auf sich selbst beruhenden Denken.“ So daß sich des weiteren die Frage stellt: Was wird aus die­ser Wesenserkennt­nis, wenn die Wahrneh­mung der Selbstbetätigung gar nicht auftritt, son­dern so­gar bestritten wird, etwa im Zuge eines mißverstanden­en Beob­achtungsbegriffs? So dass die Fragen aus der Philosophie der Freiheit nach dem Ur­sprung des Denkens und den wirkenden Kräften der Natur im Inneren gar nicht mehr zu stellen wären. Schon gar nicht un­ter Verursa­chungsgesichtspunkten zu betrachten wären. Bzw. wenn, dann nur hoch spekulativ zu beant­worten, weil ein empirisch erlebter ursächlicher Zusam­menhang gar nicht mehr vor­liegt. Ein Fall den nicht nur Witzenmann infolge seines mißverstanden­en Beob­achtungsbegriffs in der Strukturphänome­nologie in Anspruch nimmt, und dort schon aus grund­sätzlichen Überlegun­gen heraus kei­ne Zusam­menhänge von Wirkendem und Bewirktem zu erle­ben meint. Aus an­deren Grün­den auch bei Eduard von Hartmann vorliegend, der fest davon über­zeugt war, daß ur­sächliche Zusammenhänge auf der Ebene der reinen (Denk)-Er­fahrung nie­mals gegeben sei­en könnten, sondern lediglich Täuschungen seien. Analog auch der oben be­sprochene Theodor Ziehen.

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Man kann sich den Unterschied zwischen einer rein ideellen Wahrneh­mung und einer Wahrneh­mung der Denk-Aktivität mit Blick auf das Zu­sammenfallen von Wahrnehmung und Be­griff auch auf folgen­dem Wege verdeut­lichen: Jeder Denker, der dem In­halt von Begrif­fen und Ideen nach­spürt, nimmt sie nach Steiners Auffas­sung ge­nau genom­men wahr. Bei ihm kom­men Wahrnehm­ung und Be­griff in dem vorhin ge­nannten Sinne zur Deckung, inso­fern Begrif­fe und Ideen eben «wahrge­nommen» werden. Nur: - der Denker weiß in der Re­gel nichts davon. Er kann sein Leben lang weitläufig und gewis­senhaft mit diesen Entitä­ten Um­gang pflegen und kommt doch nie da­hinter, daß er unabhängiges Ide­elles wahr­nimmt, son­dern glaubt womöglich, es sei sein subjekti­ves Er­zeugnis, eine Konstruk­tion oder derglei­chen. Viel­leicht gar ein kausa­les Ereignis seiner Hirn­phyiologie, wie damals und heute regel­mäßig von den Materialisten behauptet wird. Und nicht eine eigen­ständige, auf sei­nen eige­nen Gesetzen beruhende Wesenheit, die er da hand­habt. Oder er ist vielleicht erst auf dem Wege zu dieser Einsicht, wie der renom­mierte bri­tische Mathem­atiker, Physiker und Kosmo­loge Roger Penro­se, der die von Steiner betonte Wahrnehm­barkeit zumindest für mathemati­sche Ide­en in seinem Buch Computerdenken (Heidelberg 1991, S 92 ff; S. 418) öf­fentlich an­erkennt. Der Schritt Steiners über Penrose hin­aus geht da­hin, beispiels­weise für die Idee der Freiheit die­selbe Ei­genständigkeit einzu­räumen, wie sie Penrose auf S. 93 für die Mandel­brot-Menge kon­zediert. 107b Der Beobachter von Begriffen und Ideen kann also den In­halten dieser Entitäten erfolg­reich nachgehen, ohne auch nur die gerings­te Ah­nung davon zu haben, was er da eigent­lich tut und in wel­chem Ver­hältnis diese Gegenstände zu ihm als Den­ker ste­hen, weil sein Erkenntnisi­nteresse restlos auf die Inhalte des Den­kens hinorientiert ist und nicht auf die spezifis­chen Bedingungen oder Umstände ihres Da­seins. Oder um Stei­ners Hegelbemerk­ung noch ein­mal präzisierend an­zuführen: Nicht auf den Prozeß, durch den Begrif­fe und Ideen erst ge­wonnen wer­den.

Nun ist eben laut den Zusätzen von 1918 zur Philosophie der Freiheit mit den darin enthalte­nen Erweiterungen des Wahrnehmungsbe­griffs im Kap. VII (hier S. 133; alternativ hier S. 94) die Sachlage die, „daß hier alles sinnlich und geistig an den Menschen Herantretende als Wahrneh­mung aufgefaßt wird, bevor es von dem tätig erarbeiteten Be­griff er­faßt ist.“ Je­der Begriff ist zu­gleich auch eine geistige Wahrneh­mung. Was aus die­ser Perspektive trivial, weil per definitionem selbst­verständlich ist. Wer also «Begriffe und Ideen mit dem tätigen Denken wahr­nimmt, wie das Auge das Licht», wie oben dargetan, der hat es laut Stei­ner mit geisti­gen «Wahr­nehmungen» zu tun. Mit einer «intellektuellen An­schauung», um beim Sprachge­brauch von Wahrheit und Wissen­schaft (Kap. IV, hier S. 37) zu bleiben. Tätig hervorgebrach­te geisti­ge Wahrnehmungen. Denn nichts ande­res sind Begriffe und Ideen, aus Steiners empi­rischer Sicht; nicht nur in Wahrheit und Wissenschaft. Begrif­fe und Ideen, die an den Denker bewusst­seinsphänomenologisch betrach­tet in einem tätigen Pro­zeß als geistige Wahrnehmung­en heran­treten, «be­vor sie neuerlich vom tätig er­faßten Be­griff erarbeitet wor­den sind».

Der Be­griff fällt zunächst dem Men­schen seinem Inhalt nach als «Wahrneh­mung» oder «rei­ne Er­fahrung» ins denkende Be­wußtsein. Was dem ge­wöhnlichen Denker dabei natür­lich nicht zugleich und un­mittelbar ne­ben dem Begriffsinhalt ins Bewußt­sein fällt, ist der Wahrnehm­ungscharakter von Begriffen und Ideen, oder der Charakter seiner «Denktä­tigkeit als tä­tigem Gedankengehalt der Welt» und so wei­ter und so fort. Das muss er sich natürlich alles erst ge­sondert klar ma­chen, wie jeder verstehen wird. Er muß also alles, was ihm über das tä­tige Den­ken zu­nächst als blo­ßer Be­griffsinhalt bewußt wird, zum Gegen­stand neuerli­cher Denkar­beit ma­chen, um zu weitergehenden Auffas­sungen darüber zu gelangen: Dass Begriffe und Ideen wiederum rezep­tiv und doch tätig ge­wonnene «Wahr­nehmungen» des Denkens sind und keine mechanisti­schen Aus­schwitzungen des Hirns, muß ich mir schließlich auch erst klar machen auf dem Wege der empi­rischen Selbstbeob­achtung meines Denkens. Dann kann ich dazu die entspre­chenden empirischen Belege vorweisen. Wie ich mir ebenso erst klar ma­chen muß, daß die menschli­che Denktä­tigkeit der «kraftende Ge­dankengehalt der Welt» ist, wie es im Kap. 8 der Grundli­nienheißt. Oder dass „der menschlic­he Wille die «Idee selbst ist, die­se als Kraft aufge­faßt», (Einleitungen Goethes Naturwissenschaftl­iche Schriften, hier S. XLV; alternativ hier in GA-1, Dornach 1987, S. 197)

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Auf der einen Seite haben wir also den Wahrnehmungscharakter von Be­griffen und Ideen bei Stei­ner ausgesprochen. Und insofern heißt es dann auch mit Recht: „Im menschlichen Bewußts­ein ist der Begriff selbst das Wahrnehmbare. Anschauung und Idee decken sich. Es ist eben das Ide­elle, welches angeschaut wird." (GA-1, 1987, S. 284) Hier fallen also Wahrneh­mung (Anschauung) und Begriff zusammen, weil der Begriff selbst als eine geistige Wahrnehm­ungsgegebenheit betrach­tet wird. Daß Wahrnehmung und Begriff zusammenfallen ist vor diesem Hintergrund selbstverständ­lich. Wie sollte es anders sein wenn dem Be­griff selbst der Charakter einer «geistigen Wahrneh­mung» zugeordnet wird?

Bleibt die andere Seite dieser geistigen Wahrnehmung; nämlich die Tä­tigkeitsseite jenes «Prozes­ses, durch den Begriffe und Ideen erst gewon­nen werden». Mit anderen Worten: die Tätig­keitsseite der geistigen Wahrnehmung von Be­griffen und Ideen. In diesem Sinne gibt es wie schon erwähnt bereits im Kapitel IV der Philosophie der Freiheit die be­merkenswerte Klarstell­ung Steiners, die gegenüber­stellende Betrach­tung des Denkens be­treffend. Insoweit, als er im Zu­sammenhang mit Hegel deutlich macht, daß es ihm (Steiner) nicht um Be­griffe und Ideen, sondern um das Den­ken geht, jenen Prozeß, durch welchen Be­griffe und Ideen erst ge­wonnen wer­den. Das ist: Um etwas Erwirkendes. Denn die geistige Wahr­nehmung von Begriff­en und Ideen wird vom willentlichen Denken er­wirkt. Diese Wirksamkeit des individu­ellen Denkens ist nun ebenfalls Gegenstand einer Wahrnehmung, wie Steiner schon in den Grundlinienklar hervorhob. Nicht nur dahingehend, daß der Gedan­ke laut dortigem Kapitel 8 «sein Alles zeige». Also nicht nur seinen In­halt, sondern auch seine Herkunft aus dem tätigen Denkprozeß: „Die äu­ßeren Triebkräfte, die wir bei einem Sin­nenobjekte stets voraussetzen müssen, sind beim Gedanken nicht vorhanden. Sie sind es ja, denen wir es zu­schreiben müs­sen, daß uns die Sinneserscheinung als etwas Ferti­ges entgegentritt; ihnen müs­sen wir das Werden derselben zurechnen. Beim Gedanken bin ich mir klar, daß jenes Werden ohne meine Tätigkeit nicht möglich ist. Ich muß den Gedanken durcharbeiten, muß seinen In­halt nach­schaffen, muß ihn innerlich durchleben bis in seine kleinsten Teile, wenn er über­haupt irgend­welche Bedeutung für mich haben soll.“

Im Gegensatz zu den äußeren Triebkräften hinter den gewöhnlichen Sinnesgegenständen, sind die inneren Triebkräfte beim Denken unmit­telbarer Gegenstand der Erfahrung. Was ja, wie mehrfach schon er­wähnt, im Kapitel 15 (hier S. 86) zu dem Resüme führt: „Wir erinnern uns, warum eigent­lich das Denken in unmittelbarer Erfahrung bereits sein Wesen enthält. Weil wir innerhalb, nicht außerhalb jenes Prozesses stehen, der aus den einzelnen Gedanken­elementen Gedankenverbindun­gen schafft. Dadurch ist uns nicht allein der vollendete Prozeß, das Be­wirkte gegeben, sondern das Wirkende.“

Das begriffliche Denken als «tätige Wahrnehmung» verstanden: ein Ge­sichtspunkt, den Stei­ner bereits in den Grundlinienim Kapitel 9 (hier S. 51) darlegte, wonach man zwischen der eige­nen Denktätigkeit und der unabhängigen, aber tätig wahrgenommenen ideellen Enti­tät zu unter­scheiden habe: „Wir müssen uns zweierlei vorstellen: einmal, daß wir die ideelle Welt tä­tig zur Er­scheinung bringen, und zugleich, daß das, was wir tätig ins Dasein rufen, auf seinen eigenen Ge­setzen beruht. Wir sind nun freilich gewohnt, uns eine Erscheinung so vor­zustellen, daß wir ihr nur passiv, beobachtend gegenüberzutreten brauchten. Allein das ist kein unbeding­tes Erfordernis. So ungewohnt uns die Vorstellung sein mag, daß wir selbst ein Objektives tä­tig zur Erscheinung brin­gen, daß wir mit anderen Worten eine Erscheinung nicht bloß wahr­nehmen, son­dern zugleich pro­duzieren: sie ist keine unstatthafte.“

Hier geht es um den Unterschied zwischen der objektiven Tatsache und Unabhängig­keit der be­grifflich-ideellen Welt, und der Tatsache, daß diese unabhän­gigen und objek­tiven ideellen Entitä­ten erst durch unsere individuelle Tätigkeit des Den­kens zur Erscheinung kommen. In den abgren­zenden Worten zu He­gel aus der Philosophie der Freiheit: Um den Prozeß, durch den Be­griffe und Ideen erst gewonnen werden, und des­sen Ver­hältnis zu den davon zwar unabh­ängigen ideellen In­halten, die freilich nur durch diesen er­lebten Prozeß zur Erscheinung kommen. Um die­sen erwir­kenden Prozeß geht es Steiner wiederum in der Philosophie der Freiheit, wenn er da­nach fragt, ob dieser Prozeß von uns selbst getä­tigt wird, oder etwa ledig­lich das Resultat einer zwang­haften Na­turnotwendig sei. Von diesem erwirkenden Pro­zeß wie­derum gilt, daß bei der Beobacht­ung des Denkens respektive bei seiner Betrach­tung Wahrneh­mung und Begriff zusammenfal­len.

Steiner geht erkenntnistheo­retische be­kanntlich ja nicht wie Hegel von Begriffen und Ideen aus, son­dern vom Denken, durch welches Begriffe und Ideen erst gewonnen / wahrge­nommen werden, wie er im Kapitel IV der Philosophie der Frei­heit dar­legt: „Ich muß einen besonde­ren Wert darauf legen, daß hier an dieser Stelle beachtet werde, daß ich als meinen Ausgangs­punkt das Denken be­zeichnet habe und nicht Begriffe und Ideen, die erst durch das Denken gewon­nen werden. Diese setzen das Denken bereits voraus. Es kann da­her, was ich in bezug auf die in sich selbst ruhende, durch nichts be­stimmte Natur des Denkens gesagt habe, nicht einfach auf die Begrif­fe übertragen wer­den. (Ich be­merke das hier ausdrücklich, weil hier meine Diffe­renz mit Hegel liegt. Dieser setzt den Be­griff als Erstes und Ur­sprüngliches.)“ (hier S. 57 f ;al­ternativ hier S. 37).

Bei der Beobachtung des Denkens geht es also nicht mehr darum, sich den Inhalt von Begrif­fen auf einer rein sematischen, logischen oder me­taphysischen bzw. erkenntniswissenschaftli­chen Ebene klar zu machen, sondern darum, sich die produktiv-schöpferischen Eigentümlichk­eiten des Denkens selbst klarzumachen, durch welche Be­griffe und Ideen erst gewonnen wer­den, wie Stei­ner kontrastierend zu Hegel ausführt. Wie­derum kann „die in sich selbst ru­hende, durch nichts be­stimmte Natur des Denkens ... nicht einfach auf die Begriffe übertra­gen wer­den“, wie Stei­ner dort ausdrücklich bemerkt. Die in sich selbst ruhende Natur des Den­kens liegt in der Selbsterklärungs­fähigkeit jenes Prozesses, durch den Be­griffe und Ideen erst ge­wonnen werden. Während Begriffe und Ideen als solche, so wie sie uns vorliegen, sich nicht selbst erklären kön­nen. Wie soll das auch gehen? - Sondern dabei von dem Prozess des Den­kens ab­hängen, der sich selbst zu erklären ver­mag, und sie zur Er­scheinung bringt.

Wenn jetzt hier, bei der Beobachtung des Denkens, «Wahrnehmung und Begriff zusammenfall­en», dann haben wir eine ganz andere Sachlage, als wenn wir nur Begriffe und Ideen als Wahrnehmun­gen be­trachten. Denn wenn wir das Denken beobachten, dann beobach­ten wir insbeson­dere auch jenen Produkti­onsprozeß, durch den Begriffe und Ideen erst gewonn­en werden, wie Steiner gegen­über Hegel geltend macht. Das hat natürlich auch Konse­quenzen für das Ver­ständnis des Zusam­menfallens von Begriff und Wahr­nehmung bei der Be­obachtung des Denkens. Es geht da näm­lich nicht um sich selbst erklä­rende Begriffe und ihre Zu­sammenhänge, die sich laut Steiner aber nicht selbst erklären können, son­dern um ein sich selbst erklärendes Denken. Also um jenen Produkti­onsprozeß, durch den Be­griffe und Ideen erst gewonnen werden, wie es sei­tens Steiner gegenüber Hegel heißt. Dieser Produktionspro­zeß, «durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden», soll sich jetzt selbst erklä­ren. Und das geschieht erfolgreich, «weil Wahrnehmung und Begriff des Produktionsprozesses beim Be­trachten des Denkens zusammenfall­en». - Was heißt das jetzt wenn hier Wahrneh­mung und Begriff zusammenfal­len? - Es bedeutet, daß die Wahr­nehmung und der Begriff je­nes Produktio­nsprozesses zusammenf­allen, durch den Begriffe und Ideen erst ge­wonnen wer­den. Das aber ist das, was wir vom Denken je­weils dabei be­greifen, wenn wir die Erfahrung­en des Den­kens denkend be­trachten. Es geht um den beim Denken erlebten Zusammenhang von Wir­kendem und Bewirktem, wie es schon in den Grundlinienresümierend hieß.

Hören wir noch einmal Steiner vom Beginn des Kapitels IX der Philoso­phie der Freiheit:

Der Begriff des Baumes ist für das Erkennen durch die Wahrnehmung des Baumes bedingt. Ich kann der bestimmten Wahrnehmung gegen­über nur einen ganz bestimmten Begriff aus dem allge­meinen Begriffs­system herausheben. Der Zusammenhang von Begriff und Wahrnehm­ung wird durch das Denken an der Wahrnehmung mittelbar und objek­tiv be­stimmt Die Verbindung der Wahrnehmung mit ihrem Begriffe wird nach dem Wahrnehmungsakte er­kannt; die Zusammenge­hörigkeit ist aber in der Sache selbst bestimmt. [] Anders stellt sich der Vorgang dar, wenn die Er­kenntnis, wenn das in ihr auftretende Verhältnis des Men­schen zur Welt betrachtet wird. In den vorangehenden Ausführun­gen ist der Ver­such gemacht wor­den, zu zeigen, daß die Aufhellung die­ses Verhältnis­ses durch eine auf dasselbe gehende unbefang­ene Beob­achtung möglich ist. Ein rich­tiges Verständnis dieser Beobachtung kommt zu der Ein­sicht, daß das Denken als eine in sich be­schlossene Wesenheit unmittel­bar an­geschaut werden kann. Wer nötig findet, zur Erklärung des Den­kens als solchem etwas anderes herbei­zuziehen, wie etwa physi­sche Ge­hirnvorgänge, oder hinter dem beobachteten bewuß­ten Den­ken lie­gende unbe­wußte geistige Vorgänge, der verkennt, was ihm die unbe­fangene Beobacht­ung des Den­kens gibt. Wer das Denken beobachtet, lebt wäh­rend der Beobachtung unmittelbar in einem geisti­gen, sich selbst tragen­den We­sensweben darin­nen. Ja, man kann sagen, wer die Wesen­heit des Geisti­gen in der Gestalt, in der sie sich dem Men­schen zu­nächst darbie­tet, er­fassen will, kann dies in dem auf sich selbst beru­henden Denken. [] Im Be­trachten des Denkens selbst fallen in eines zu­sammen, was sonst im­mer getrennt auftreten muß: Begriff und Wahrnehm­ung. Wer dies nicht durchschaut, der wird in an Wahrnehmung­en erarbeite­ten Begrif­fen nur schattenhafte Nachbildungen die­ser Wahrnehm­ungen sehen kön­nen, und die Wahrnehmungen werden ihm die wahre Wirklichkeit ver­gegenwärtigen. Er wird auch eine meta­physische Welt nach dem Muster der wahr­genommenen Welt sich auferb­auen; er wird diese Welt Ato­menwelt, Willenswelt, unbewußte Geistwelt und so weiter nen­nen, je nach seiner Vorstel­lungsart. Und es wird ihm entge­hen, daß er sich mit alledem nur eine metaphysische Welt hypo­thetisch nach dem Muster seiner Wahr­nehmungswelt auf­erbaut hat. Wer aber durchschaut, was be­züglich des Den­kens vorliegt, der wird er­kennen, daß in der Wahrneh­mung nur ein Teil der Wirk­lichkeit vorliegt und daß der andere zu ihr ge­hörige Teil, der sie erst als vol­le Wirklich­keit erschei­nen läßt, in der denkenden Durchset­zung der Wahrnehmung erlebt wird. Er wird in demjenigen, das als Den­ken im Bewußtsein auf­tritt, nicht ein schatten­haftes Nachbild ei­ner Wirklichk­eit sehen, sondern eine auf sich ruhen­de geistige Wesen­haftigkeit. Und von dieser kann er sa­gen, daß sie ihm durch Intuition im Be­wußtsein ge­genwärtig wird. In­tuition ist das im rein Geistigen verlau­fende bewuß­te Erle­ben eines rein geistigen Inhaltes. Nur durch eine Intui­tion kann die Wesenheit des Den­kens erfaßt wer­den.“

Anthroposophischen Autoren scheint dies nicht immer hinreichend deut­lich zu sein. Wenn Günter Röschert in seinem Buch (Anthroposo­phie als Aufklärung, München 1997, S. 41) mit Blick auf eine Textstelle des drit­ten Kapitels der Philosophie der Freiheit schreibt, das Den­ken sei "intim bekannt ohne Beobachtung", so ist diese Angabe sicherlich etwas irre­führend oder zumindest nicht glücklich gewählt. Röschert schreibt dort: "Der wirklich herbeigeführte Aus­nahmezustand macht aber mittelbar darauf aufmerksam, daß das Denken intim bekannt ist ohne Beobach­tung, nämlich durch Intuition." Röschert verwechselt hier wie mancher an­dere Steinerinterpret das «Können» des Denkens mit seiner «intimen Bekanntheit». Und die Frage stellt sich in solchen Fäl­len natürlich, war­um wir laut Steiner Kap. III, (hier S. 31) «durch Be­obachtung erst kennenler­nen müssen», was angeblich längst intim bekannt ist. (Bei Jaap Sij­mons stellt sich die­selbe Frage.)

Ich meine also das trifft in dem von Röschert genannten Sinne nicht zu. Eine «intime Bekannth­eit» kann daher gar nicht zutreffen, wenn Steiner das Denken erst durch Beobachtung kennen lernen will, wie ausdrück­lich ja im Kapitel Drei der Philosophie der Freiheit hervorgeh­oben wird. Analo­ges gilt laut zeitge­nössischen Denkpsychologen wie Bühler, die Ver­gleichbares berichten wie Stei­ner. (Siehe hier seine Untersu­chung von 1907 f. Hier auch die Teile II und III bei Wilhelm Humerez.) Wäre das Denken wirk­lich intim bekannt ohne Be­obachtung, dann hät­ten die Würzbur­ger sich nicht mit der Frage aus­einandersetzen müssen, «was wir beim Denken überhaupt erle­ben?». Das alles wäre längst be­kannt gewesen. Dem war nach Bühler aber keineswegs so, wie er schrieb: "Es gibt wohl kaum eine andere einzelwissens­chaftliche Frage, auf die man so viele ver­schiedene Antworten erhalten kann als auf die: was ist Denken? Denken ist Verknüpfung, Denken ist Zerlegung. Den­ken ist Urteilen. Denken heißt Ap­perzipieren. Das Wesen des Denkens liegt in der Abstraktion. Denken ist Be­ziehen. Denken ist Aktivität, ist ein Willensvorgang. Fragt man aber spezieller nach den Inhal­ten der Denkerlebnisse, dann lautet die Antwort sehr einmütig, spezi­fische Den­kinhalte gebe es nicht. Es gibt nur ganz wenige Forscher, die diesen Satz nicht anerken­nen würden." So Bühler in seiner Einleitung dazu. Die meisten fachli­chen Zeitgenossen waren laut Bühler regelmäßig der An­sicht, daß es da­bei gar nichts zu erleben gab – (siehe dazu auch ein­gangs unseres Kapi­tels oben, S. 4 ff.) Den «Prozeß, durch den Begriffe und Ideen erst ge­wonnen wer­den» (Stei­ner), den kannten die meisten wissenschaftlichen Zeitgenossen laut Bühler also gar nicht, und stellten diesbezüglich nur substanzlose Behauptungen auf. Wes­wegen Bühler mit seiner denk­psychologischen Untersuchung angetreten war, hier überhaupt erst einmal empiris­che Klar­heit in dieser Frage zu schaffen. Bei «inti­mer» Bekannt­heit des Denkens hätte man freilich längst ge­wußt, was man beim Denken erlebt, und müßte nicht lange Forschungs­reihen zu dieser weitgeh­end offenen Frage anstellen. Was nur ein trivia­les Bei­spiel aus der Geschichte der Denkpsycholog­ie für diese Sachlage ist. Also: Weder laut Steiners Begrün­dungen selbst, noch für die zeitgenössis­che Denkpsychologie ist das Den­ken in­tim be­kannt ohne Beob­achtung. Wie gesagt: Nicht das Denken ist intim be­kannt, son­dern seine Inhalte! In begrenztem Um­fang, je nach den in­dividuellen Voraus­setzungen des Denkers. (Denn der ist ja nicht all­wissend.) Die Begriffe wieder­um, sofern bekannt, auch nur in ihrer blo­ßen Inhalt­lichkeit, nicht aber in ihrem Ver­hältnis zum denktätigen Ich oder in sons­tigen Eigen­schaften, so daß von einer intimen Be­kanntheit des Den­kens gar keine Rede sein kann.

Das selbe Mißverständnis scheint mir auch hinter einer Bemerkung Röscherts zu stehen, die er im Rahmen seiner Husemann-Kritik macht, wenn er dort schreibt, das heuristische Prinzip des soge­nannten Ausnah­mezustandes habe bei Steiner die Auf­gabe, "auf die be­obachtungsfrei mögliche In­tuition des Denkens als An­schauung hinzu­führen". (Siehe: Günter Röschert, An­throposophische Gegenaufk­lärung, in Jahrbuch für anthroposophische Kritik, 2000, S. 176.) Auch hier soll nach Steiner an­geblich das Denken beobachtungs­frei, durch In­tuition ange­schaut wer­den. Und zwar in jenem «Ausnahmezustand», in dem bei Steiner laut Kapitel III der Philosophie der Freiheit die Beobachtung und Erkenntnis des Denkens stattfindet.

Nun gibt es hier lediglich zwei Möglichkeiten. Entweder erlebe ich mein eigenes Denken unbeob­achtet in der Form seiner reinen Erfah­rung. Was ja der Normalzustand des Denkens ist. Und seit 1886 von Steiner behandelt. Dann erlebe ich zwangsläufig auch Intuitionen, weil de­ren Auftreten im Verständnis Steiners der Regelfall des begrifflichen Denkens ist. Ohne Intuit­ionen gibt es we­der Begriffe, noch überhaupt Erkenntnisse, wie er im Kapitel V (hier S. 65 ff) der Philo­sophie der Freiheit lang und breit ausführt: „Ohne das funktionierende Den­ken er­scheint uns das rudimentäre Organ des Tieres, das ohne Bedeutung für dessen Le­ben ist, gleichwertig mit dem wichtigsten Körpergliede. Die einzelnen Tatsachen treten in ih­rer Bedeu­tung in sich und für die übrigen Teile der Welt erst hervor, wenn das Denken seine Fäden zieht von Wesen zu Wesen. Die­se Tätigkeit des Denkens ist eine inhaltvolle. Denn nur durch einen ganz bestimmten konkreten Inhalt kann ich wissen, warum die Schnecke auf ei­ner niedrigeren Organisationsstufe steht als der Löwe. Der blo­ße Anblick, die Wahrnehmung gibt mir keinen Inhalt, der mich über die Vollkom­menheit der Or­ganisation belehren könnte. [] Diesen Inhalt bringt das Denken der Wahrnehmung aus der Be­griffs- und Ideenwelt des Menschen entgegen. Im Gegensatz zum Wahrnehmungsinhal­te, der uns von außen gegeben ist, erscheint der Ge­dankeninhalt im Innern. Die Form, in der er zu­nächst auf­tritt, wollen wir als Intuition bezeich­nen. Sie ist für das Denken, was die Beobachtung für die Wahrnehmung ist. Intuition und Be­obachtung sind die Quellen unserer Erkenntnis. Wir ste­hen ei­nem beob­achteten Dinge der Welt so lange fremd gegenüber, so lange wir in unserem Innern nicht die entsprechende Intuiti­on haben, die uns das in der Wahrnehmung fehlende Stück der Wirklich­keit ergänzt. Wer nicht die Fähigkeit hat, die den Dingen entsprechenden Intuitionen zu fin­den, dem bleibt die volle Wirklichkeit verschlossen.“

Mancher Leser wird sich noch an meine eigenen Schwierigkeit mit dem Verständnis dieser Passa­ge erinnern, betreffend die kontrastierende Ge­genüberstellung von Intuition und Beob­achtung. In­zwischen glaube ich, die Verhältnisse doch etwas klarer zu sehen, zumal dann, wenn man Steiners eigene klarstellende Erläuterungen zu dieser Passage einbe­zieht, die er in der Schrift Von Seelen­rätseln (GA-21, S. 61 ) gegenüber der Kritik von Max Dessoir vorbracht­e, wo er zur dieser Passa­ge aus der Philosophie der Freiheit erläuternd schrieb: „Ich sage also hier: Intuition wolle ich als Ausdruck für die Form gebrauchen, in der die im Gedan­keninhalt verankerte geistige Wirklichkeit zunächst in der menschlichen Seele auftritt, bevor diese erkannt hat, daß in dieser gedanklichen In­nenerfahrung die in der Wahrnehmung noch nicht gegebene Seite der Wirk­lichkeit enthalten ist. Deshalb sage ich: Intuition ist «für das Denken, was die Beobachtung für die Wahrnehmung ist»“ Steiner dann ebendort weiter: „Mir gilt eben Intuition nicht «bloß» als die «Form, in der ein Ge­dankeninhalt zunächst hervor­tritt», sondern als die Offenbarung eines Geistig-Wirklichen, wie die Wahrnehmung als dieje­nige des Stofflich-Wirklichen.“ - Das nun entspricht dem, was Steiner über die Erkenntnis­leistung als Synthese von Wahrnehmung und Begriff in den Frühschrif­ten behan­delt. Wobei er den Aus­druck Intuition wie schon gesagt erst­mals in der Philosophie der Freiheit von 1894 für dieses Sachlage reserviert, und dann auch beibehält: Die Intuition bringt demnach von der geistigen Seite jenen begrifflichen Anteil der Wahrnehmung entgegen, der dann in der Er­kenntnis mit der Wahrnehmung vereinigt wird. Oder wie Steiner in GA-21 sagt: „daß in die­ser ge­danklichen Innenerfahrung die in der Wahrnehmung noch nicht gegebene Seite der Wirklichkeit ent­halten ist. Deshalb sage ich: Intuition ist «für das Denken, was die Beobach­tung für die Wahr­nehmung ist.“

Betrachten wir diese Darstellungen weiter: Ich beobachte mein Denken gegenüberstellend in Er­kenntnisabsicht. Dann habe ich es letztlich mit nichts anderem zu tun als mit einem gewöhnl­ichen erkennenden Denken, das sich in diesem speziellen Fall um die Erkenntnis des Denkens bemüht. Denn das beobachtende Denken ist mit dem Denken wesensgleich, laut drit­tem Kapitel der Philo­sophie der Freiheit. Wobei wir wiederum den Fall vorliegen haben, daß bei dieser betrachtenden Erkentnisbemühung des Denkens «Wirkendes und Bewirktes in ihrem Zusammenhang erlebt wer­den», wie es bereits in den Grundlinien … hieß. Und auch hier gilt, daß Erkenntnisse des Denkens nur in der Synthese von Wahrnehmungen des Den­kens mit ent­sprechenden Begriffen bestehen kön­nen. Mit einem maßgeblichen Unterschied: Im Vergleich zu allen übri­gen Erkenntnissen habe ich beim Denken und seiner Erkenntnis Wir­kendes und Bewirktes stets in jenem «Prozeß vorlie­gen, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen wer­den», um neuerlich an Steiners Hegel-Be­merkung anzuknüpfen. Seit mindes­tens 1886 ist das alles in Stei­ners Frühwerk nachzulesen. Viel Raum, im Sinne Röscherts oder Sij­mons da viel hinein zu geheimnissen besteht ersichtlich nicht. Weder in die Intuition noch in irgend eine ominöse Bekanntheit des Denkens, die laut Steiner gar nicht existiert, bevor man es denkend beobachtet.

Nun Steiners «Ausnahmezu­stand» aus der Philoso­phie der Frei­heit (Kap. Drei) dient bei Stei­ner dem Begreif­en des Den­ken, indem sich der Denker denkend den Erfahrungen seines Den­kens ge­genüberstellt. (Siehe dazu etwa un­sere Studie hier ab S. 1206 ff.) Daß er natür­lich bei jedem be­grifflichen Denkvorgang Denken Intuitionen hat, wie Steiner regelmä­ßig hervorhebt, und laut Stei­ners Theosophie (GA-9) selbst der ein­fachste Gedanke Intuition enthält, ge­hört ebenfalls zu den Beobachtungsresulta­ten des Denkens, die selbst vielen Anthroposophen nicht be­kannt sind oder lange Zeit nicht waren. So daß Steiner sich be­müßigt sah, diesen Sachverhalt eigens in der Zweit­auflage der Philoso­phie der Freiheit noch einmal hervorzuhe­ben. Dahinge­hend, «daß durch das in­tuitive Den­ken eine jegliche Wahrnehmung in die Wirk­lichkeit erkenn­end hin­ein gestellt wird». (Hier S. 180 im zweiten Zusatz von 1918.) Worin Röschert bei­zupflichen wäre, falls er es so ver­standen wissen wollte, ist die Tatsache, daß die Beobachtung des Denkens eine Er­kenntnisleistung ist. Und insofern, weil es ohne Intuitionen keine Erkenntn­isse gibt, selbstredend auch die Erkennt­nis des Denkens Begriffe und Intuitio­nen be­nötigt, um das Denken zu begreifen. Was ja hier weit­läufig das Thema ist.

Es scheint sich aber bei der Auffassung Röscherts eher um eines der hart­näckigsten Mißverständ­nisse von Anthroposophen bezüglich der Beob­achtung des Denkens, beziehungsweise hin­sichtlich der Interpreta­tion des dritten Kapitels der Philosophie der Freiheit zu handeln.

Bei Röschert wird wie gesagt die Bekanntheit der gedanklichen Inhalte (das unmittelbare Wis­sen im Sinne des dritten Kapitels der Philosophie der Freiheit, hier S. 29) mit der Be­kanntheit des Denkens verwechselt. Bei Steiner heißt es diesbezüglich: "Der Grund, der es uns unmög­lich macht, das Denken in seinem jeweilig gegenwärtigen Verlauf zu beobach­ten, ist der glei­che wie der, der es uns unmittelbarer und intimer erkennen läßt als jeden an­dern Prozeß der Welt. Eben weil wir es selbst hervorbringen, kennen wir das Charakteristi­sche sei­nes Verlaufs, die Art, wie sich das dabei in Betracht kommende Geschehen vollzieht. Was in den übrigen Beobachtungs­sphären nur auf mittelbare Weise ge­funden werden kann: der sachlich-entsprec­hende Zusammen­hang und das Ver­hältnis der einzelnen Gegenstände, das wis­sen wir beim Denken auf ganz unmit­telbare Weise. Warum für meine Beobachtung der Don­ner auf den Blitz folgt, weiß ich nicht ohne weiteres; warum mein Den­ken den Be­griff Don­ner mit dem des Blit­zes verbindet, weiß ich unmit­telbar aus den Inhalten der beiden Begrif­fe." - Um das Denken zu kön­nen und zu wissen wie ich dabei verfahre, dazu brauche ich es nicht zu beob­achten, son­dern ich kann es eben einfach. Und das ist ja für jeden den­kenden Menschen der Normalzu­stand. Selbst wenn der im übrigen rein gar nichts über das Denken weiß, kann er es! Zum «Kön­nen» des Denkens ist kein Wissen über das Den­ken notwendig. Der Kontrast zwischen ei­ner «intimen» (Röschert) oder «besten Bekanntheit» (Sij­mons) des Den­kens zu dem, was Steiner selbst darüber im dritten Kapitel berichtet, könnte gar nicht größer sein: „Was bei der Natur unmöglich ist: das Schaffen vor dem Erkennen; beim Den­ken voll­bringen wir es. Wollten wir mit dem Denken warten, bis wir es erkannt haben, dann kä­men wir nie dazu. Wir müssen reso­lut darauf losdenken, um hinterher mittels der Beobachtung des Selbstgetanen zu seiner Erkenntnis zu kommen. Der Beobachtung des Denkens schaffen wir selbst erst ein Objekt. Für das Vorhandensein aller anderen Objekte ist ohne unser Zutun ge­sorgt wor­den." So Steiner dazu (hier S. 31) mit speziellem Blick auf Schelling. Wie Steiner übrigens auch 1921 in sei­nem schon er­wähnten Stuttgarter Vortrag 255b, S. 297 ff rückbli­ckend noch einmal vorträgt. Um Den­ken zu können braucht man keine Schulung und kein Studium des Den­kens. Hö­ren wir ihn dazu noch einmal an:

Was der Mensch in sei­nem Den­ken vollzieht, von dem stellt sich zu­letzt doch heraus, daß es ein Vorgang ist, der un­abhängig von der physi­schen Organisation des Menschen ab­läuft. Und ich glaube, daß sich mir durch diese «Philoso­phie der Freiheit» nichts Geringeres ergeben hat als die übersinnliche Natur des menschlichen Denkens. Und hatte man die­se übersinnliche Na­tur des menschlichen Denkens erkannt, dann war da­mit der Beweis geliefert, daß der Mensch im gewöhn­lichsten Alltagsle­ben, wenn er sich nur erhebt zum wirklichen Denken, durch das er durch nichts ande­res als durch die Motive des Denkens selbst be­stimmt wird, daß er dann ein übersinnliches Element in diesem Denken vor sich hat. Richtet er sich dann im Leben nach diesem Denken, ent­wickelt er sich so, wird er so erzogen, daß er über die Mo­tive seiner physi­schen Organi­sation, über Triebe, Emotionen, In­stinkte hinaus Motive des rei­nen Den­kens sei­nen Handlungen zu­grunde legt, dann darf er ein freies We­sen ge­nannt wer­den. Den Zusam­menhang zwischen dem übersinn­lich reinen Denken und der Freiheit darzule­gen, das machte ich mir da­zumal zur Aufgabe. [ ] Man kann nun dabei stehenbleiben, einen sol­chen Gedankeng­ang bloß theore­tisch zu verfolgen. Wenn man aber ei­nen sol­chen Gedank­engang nicht bloß theoretisch ver­folgt, sondern wenn er ei­nem Er­füllung des ganzen Lebens wird, wenn man in ihm ge­radezu eine Of­fenbarung der mensch­lichen Na­tur selber sieht, dann ver­folgt man ihn nicht bloß theo­retisch weiter, dann verfolgt man ihn prak­tisch weiter. Was ist dieses praktische Weiterverfol­gen? Nun, man lernt erkennen - hat man einmal die übersinnlic­he Natur des Denkens erfaßt -, daß der Mensch imstande ist, sich in einer gewissen Be­tätigung unab­hängig von seiner Lei­besorganisation zu machen. Man kann nun den Versuch anstell­en, ob der Mensch außer dem reinen Denken noch fähig ist, eine sol­che Tätigkeit zu entfalten, welche nach dem Muster die­ses reinen Den­kens ist. Wer dasjeni­ge, was ich als For­schungsmethode mei­ner an­throposophischen Geisteswissenschaft zugrunde le­ge, Hellsehen nennt, der muß auch schon das gewöhnli­che reine Denken, das durchaus aus dem Alltagsle­ben herauf­strömt in das menschliche Be­wußtsein, das hin­einströmt in das menschliche Han­deln, Hellsehen nennen. Ich selber sehe qualitativ keinen Unterschied zwi­schen dem reinen Denken und demjeni­gen, was ich als Hell­sehen bezeichne. Ich sehe die Sa­che so, daß der Mensch sich zuerst an dem Vorgang des rei­nen Denkens eine Praxis her­anbilden kann, wie man in seinen inneren Vorgängen unab­hängig wird von seiner Leibesorganisati­on, wie man in dem reinen Den­ken et­was vollführt, woran der Leib keinen Anteil hat. Ich ha­be 1911 auf dem Philosop­henkongreß in Bologna auf eine ganz philosophische Weise ausein­andergesetzt, daß schon das reine Denken etwas ist, was im Men­schen vollzogen wird, ohne daß die Leibesor­ganisation daran Anteil hat. Und ich habe hier in einer großen Anzahl von Vorträgen die­ses von den ver­schiedensten Seiten her bekräftigt. [ ] Dann aber, wenn man den Vor­gang kennt, durch den man zu solchem reinen Denken kommt, kann durch das, was wah­re tieferge­hende Philoso­phie gibt, et­was aus­gebildet wer­den, was ich dann in der ver­schiedensten Wei­se als Erkenntn­ismethode für die höheren Wel­ten dargestellt habe in mei­nem Buch «Wie er­langt man Er­kenntnisse der höheren Welten?» und in meiner «Geheim­wissenschaft». Ge­radeso, wie aus den gewöhnlichen Alltagsbetäti­gungen der menschlichen See­le zuletzt das reine Denken hervorgeht, zu dem man keine besondere Schulung braucht, kann man, wenn man diesen Vorgang weiter ausbildet, zu dem kommen, was ich in dem ge­nannten Buch und im zweiten Teil meiner «Ge­heimwissenschaft» die Stufen der höheren Er­kenntnis - also Imaginati­on, In­spiration, Intuition - ge­nannt habe. Was sich im reinen Den­ken äu­ßert, das wird uns Menschen einfach eigen da­durch, daß wir ge­boren sind; es ist uns in unserem jetzigen Stadium der Mensch­heitsentwicklung vererbt. Dasje­nige, was nach dem Muster dieses reinen Denkens auftreten kann als Imagination, Inspirati­on, Intuiti­on, das muß eben­so heran­erzogen werden durch den er­wachsenen Menschen, wie gewisse Fä­higkeiten natur­gemäß heranerzogen wer­den beim Kind. [Hervorhe­bung, MM]

Steiner schildert in diesem Vor­trag gleichsam in groben Zügen seinen For­schungsweg der Beob­achtung des Denkens, wie er in seinen begrün­denden Frühschrif­ten den Ausgang ge­nommen hat. Wie Sie daraus ent­nehmen können, benötigt das reine Denken keine spezielle Schulung, sondern wird aus dem allgemeinen Kulturstrom heraus angeeignet und vererbt. Die Menschen können das Denken in dieser Kultur handhaben, ohne viel darüber zu wissen. Und schon gar nicht zu wissen, daß sie mit diesem Vermögen eigentlich bereits elementare Hellse­her sind, und das regelmäßig ge­übte und unbekannte Denken sogar unabhängig von ihrer Leiblichkeit ist. Von all dem wissen die Menschen normalerweise nichts. Von den weiteren naturwissen­schaftlichen Implikationen, die Steiner in diesem Vortragsausschnitt mit andeutet, gar nicht zu reden.

Kehren wir zurück zur Philosophie der Freiheit. Steiner spricht an der von Günter Röschert ange­führten Textstelle kei­neswegs davon, daß das Denken "intim bekannt sei ohne Beobach­tung", son­dern er sagt ledig­lich, daß wir das "Cha­rakteristische seines Ver­laufs" kennen - also einen ganz ba­salen, wesentlichen, typischen, aber verein­zelten Aspekt des Denkens, neben dem es eine endlose Zahl wei­terer gibt, die wir noch nicht kennen. Und diese Denkwege, so viel sagt er auch in seinem zi­tierten Stuttgarter Vortrag, kennen wir, weil wir denken können. „ … es ist uns in unserem jetzi­gen Stadium der Menschheitsent­wicklung ver­erbt ...“ Das be­deutet nicht, das wir das Denken vorher beobachten müs­sen, sondern wir haben es als Denk­vermögen mit dem allgemeinen Kultur­strom aufgenommen. Es bedeutet natürlich auch nicht, daß wir da­mit schon über jedes denkpsy­chologische, bewußtseinsphänomenologi­sche oder lo­gische Detail des Denkverlaufs bescheid wis­sen, nur weil wir denken können. Und schon gar nicht wissen wir ohne Beobachtung, was unserer Den­ken mit dem Kau­salitätsproblem und der Leibesunabhän­gigkeit zu tun hat. Es ist dies ja, auch laut dem eben zi­tierten Stutt­garter Vortrag Steiners, jener Aspekt, - die leibliche Unab­hängigkeit des Den­kens, - eine der Fragen, die er in seiner frühen Grundlagenforschung mit Vor­rang geklärt hat, als Voraus­setzung sei­nes aus die­ser Unabhängig­keit des Denkens sich ergebenden Schulungs­weges. Selbst die meisten Anhän­ger Steiners wissen das alles nicht, trotz oftmals jahrzehntelanger Zugehörigk­eit zur Anthropo­sophie, wie ich von vielen weiß und auch gelesen habe. Die hier und andern­orts behandelte an­throposophische Se­kundärliteratur mit ihren notorischen Auslassungen spricht regelrecht Bän­de zu diesem Thema.

«Bekannt ohne Beobachtung», um auf Röschert zurück zu kommen, ist am Denken also herz­lich wenig. Was man be­sonders deutlich wiederum daran sieht, daß Karl Bühler 1907 f extra eingehend unter­suchen muss­te, was wir beim Denken überhaupt erleben, da kaum jemand das da­mals wußte, und die meisten wissenschaftlichen Zeitgenossen ohnehin bestritten, daß es da­bei irgend etwas zu erleben gab.

Ins Umgangssprachliche übersetzt: Wir wissen, weil wir es ohne Beob­achtung zwar nicht ken­nen, gleichwohl aber können, welche gedankli­chen Wege zu beschreiten sind, um von ei­nem Begriff zum nächsten zu kom­men, wie es Steiner entsprechend am Bei­spiel von Blitz und Don­ner de­monstriert. Diese Kenntnis des charakteristischen Denkverlaufs haben wir - und zwar notwendi­gerweise, denn sonst könnten wir gar nicht den­ken - "ganz un­mittelbar" - das heißt: ohne vorange­hende Beob­achtung des Denkens. Läge sie nicht in dieser unmittelba­ren Form vor, wir könn­ten sie der Beobachtung des Denkens ja niemals entneh­men, da wir dann eben auch über keine begriffli­chen Inhalte verfügten und gar nicht denken könnten. Eine andere Fra­ge ist, wie wir dazu kommen uns ein Wissen über diese Tatsache zu verschaffen. - Das wieder­um ist na­türlich eine Beobach­tungsangelegenheit.

Zunächst noch einmal anders gewendet: Das Verfügen über begriffliche Inhalte überhaupt ist gleich­bedeutend mit der Kenntnis der Gedanken­wege, die bei ihrem Durchdenken zu gehen sind. Das Wissen um diese Inhalte ist dasselbe wie das Wissen um die Gedankenwege - oder wie Stei­ner sagt: den "charakteristischen Denkverlauf". Ein Begriff ist aus Steiners Perspektiv­e zugleich eine mentale Handlungsanweisung, ein Verlaufsplan beziehungsweise eine Regel des Denkens. Und diese Kenntnis wieder­um ist erst die Vorbedingung oder die Grundlage dazu, das Denken "in­timer und unmittelbarer zu erkennen als jeden anderen Ge­genstand". Von ei­ner "intimen Bekannt­heit" des Denkens ließe sich doch erst spre­chen, wenn sich unser Wissen zu­mindest auf ei­nen be­trächtlichen Teil seiner noch unbekannten Seiten er­streckt. Also: - die Kenntnis der charakteristis­chen Seite des Denkverlaufs bzw. das Können des Denkens ist schon noch etwas ande­res als eine "in­time Be­kanntheit des Denkens".

Steiner zielt hier auf die unmittelbare Bekanntheit der gedanklichen In­halte ab und das ursprüngli­che - man könnte sagen: archaische - Wissen darum, was zu tun ist, um von Begriff A nach Be­griff B zu kommen. Die­ses Wissen ist so naturhaft-elementar, daß Schopenhauer der Auffass­ung war, es sei überhaupt sinnlos mit Hilfe der Logik richtiges Denken zu ler­nen oder jeman­dem beizubringen. Die Logik, schreibt er, sei "bloß das Wissen in abstracto des­sen, was jeder in con­creto weiß. Daher so wenig als man sie braucht, einem falschen Räson­nement nicht beizustimm­en, so wenig ruft man ihre Regeln zu Hilfe, um ein richtiges zu ma­chen, und selbst der gelehrteste Lo­giker setzt sie bei seinem wirkli­chen Denken ganz beisei­te. ... Praktischen Gebrauch von der Logik ma­chen wollen, hieße also das, was uns im einzel­nen unmittelbar mit der größten Sicher­heit be­wußt ist, erst mit unsäglicher Mühe aus allgemei­nen Regeln ablei­ten wollen: Es wäre gerade so, wie wenn man bei sei­nen Bewegun­gen erst die Mechanik und bei der Verdauung die Physio­logie zu Rate ziehen wollte; und wer die Logik zu praktischen Zwe­cken er­lernt, gleicht dem, der einen Bieber zu seinem Bau abrichten will." (Ar­thur Schopen­hauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, München 1912, S. 57.)

Richtig denken kann also im Prinzip jeder von Natur aus, weil er die In­halte seiner Begriffe kennt und sie handhaben kann. Deswegen ist er allerdings noch längst kein Logiker, der über die logi­schen Gesetze sei­nes Denkens oder seine sons­tigen Eigenschaften Auskunft geben könn­te. Dieses natürlich-unmittel­bare Wissen ist, um es noch einmal zu sa­gen, nach Steiner explizit erst die Vor­aussetzung dazu, um das Denken intimer zu erken­nen als je­den anderen Gegenstand und nicht etwa schon die Erkenntnis selbst. Die Er­kenntnis des Denkens hat also erst noch stattzu­finden. Als Aufklärung über ein, wenn man so will, natürlich ge­gebenes hell­seherisches Vermögen, wie Stei­ner in GA-255 b sagt, das uns vererbt wurde, und das wir als solches noch nicht einmal üben müs­sen, weil wir es können. „Was sich im reinen Den­ken äu­ßert, das wird uns Menschen einfach ei­gen da­durch, daß wir ge­boren sind; es ist uns in unse­rem jetzigen Stadium der Menschheitsent­wicklung vererbt.“ Das soll unsere Problem­stellung hier nur illustrieren.

In einen vergleichbaren Fehlschluß wie Günter Röschert verfällt auch Jaap Sijmons in seiner an­spruchsvollen Dissertation Phänomenologie und Idealismus, Utrecht 2004. Sijmons Arbeit könnte gleichermaßen An­laß zur Bewunderung wie zur Verzweiflung sein. Zur Bewunderung we­gen der enormen Fülle an Details, die er da so sorgsam und kenntnis­reich zusammenträgt. Es ist nach mei­nem Verständnis eine der gedie­gendsten und ertragreichsten Arbeiten, die seit vielen Jahren zur Einbet­tung der Steinerschen Philosophie in ihren zeitgeschichtlichen philosop­hischen Kontext ver­öffentlicht wurde. Sie hat auf jeden Fall ihren Wert in sich, ganz un­abhängig von der Kritik, die ich hier anbringe. Und zur Verzweif­lung gibt sie Anlaß, weil of­fenkundig wird, daß auch das An­rufen aller Heiligen der Philosophiegeschichte kaum etwas nützt, das dritte Kapitel der Philoso­phie der Freiheit in seinem Kern - der Beob­achtung des Den­kens - und damit die entscheidende Verbindung zwi­schen Philosophie und Anthroposo­phie, aber auch die eigentliche Grund­lage der Steiner­schen Freiheitsphilosophie im sich selbst erken­nenden und tragenden Denken zu begreifen. Gerade die beeindruckende Gründ­lichkeit, mit wel­cher der Autor vorgeht, rückt diese Tatsache in ein be­sonders grelles Licht. Es scheint manchmal so, als ob ihm durch die vor­rangige Beschäfti­gung mit den Grundfra­gen der Philo­sophie die Sicht verstellt wird auf die einfachsten und alltäg­lichsten Tatbestän­de des gewöhnlic­hen Be­wußtseins, von denen im dritten Kapitel der Philo­sophie der Freiheit ja die Rede ist. Manchen guten Faden hält er in der Hand, aber er bekommt sie noch nicht zusam­men. Und am Ende haben sich die Dinge teilweise bis ins Absurde hinein verwickelt und ver­wirrt.

Dazu nur ein Beispiel: Sijmons kommt ähnlich wie Günter Röschert auf S. 326 anhand der von Steiner betonten Tatsache, daß wir das Charakte­ristische des Denkverlaufs kennen, zu dem Schluß, das Denken sei "sich ... das best Bekannte überhaupt". Fügt dann hinzu: "Ohne dass wir das Den­ken kennten, gäbe es ja auch keine Erkenntnis (Denken) über et­was anderes. Wie sollte es nun un­bekannt sein? Weil wir es hervorbrin­gen, ist es uns bekannt." Das scheint bei diesem Text irgend­wie nahelie­gend, aber es stimmt eben nicht, bzw. diese Inter­pretation greift daneben - und zwar gründlich.

Der Autor setzt hier vergleichbar mit Röschert faktisch das Können des Den­kens mit dem Ken­nen des Denkens gleich. Ein jeder, der denken kann, kennt auch das Den­ken, weil er es selbst hervor­bringt. Und zwar unver­gleichlich gut, sonst wäre es nicht das best Bekannte. Zu­dem wird hier die Bekanntheit des Den­kens gar zur Voraussetzung von Erkenntnis überhaupt erho­ben. Das heißt: Wer das Den­ken nicht erkannt hat, der er­kennt auch nichts ande­res. Und ich glaube, das alles liegt sehr weit ab­seits von dem, was Stei­ner in der Passage meint.

Möglich, daß Sijmons selbst zwischen Bekanntheit und Erkenntnis des Denkens noch einmal dif­ferenziert. In der Philosophie wird ja gelegent­lich etwas hintersinnig zwischen Kennen und Erken­nen unterschieden. Ich sehe allerdings nicht, daß Steiners Erkenntnisbegriff Raum für eine solche Unterscheidung ließe. Man könnte vielleicht eine vereinzelte Pas­sage Steiners aus dem Fichte-Ka­pitel von Wahrheit und Wissen­schaft (S. 85) in diese Richtung deuten, vor dem Hintergrund, daß diese Schrift schon dem Titel und auch der Vorrede nach vorrangig dem wis­senschaftlichen Erken­nen gewidmet ist. So daß sich das vorwissen­schaftlich Bekannt­e von ei­nem wissenschaftlich Er­kannten abgrenzen ließe. Wie sich das allerdings stringent Steiners Er­kenntnistheorie ein­gliedern läßt, bleibt mir eine Frage. Denn was be­kannt ist, muß in ir­gend ei­ner Weise schon begrifflich durchdrungen sein, sonst wäre es nicht be­kannt; und ein best Be­kanntes gar muß dies mehr sein als alles andere sonst. In der Phi­losophie der Freiheit schließ­lich wird eine derarti­ge explizite Fokus­sierung auf wissen­schaftliches Erkennen - sie­he die Vor­rede von 1918 und das Ende von Kapitel II. - auch nicht mehr vorgen­ommen. Dort ist zwar die Untersuchungsmethode der seelischen Beob­achtung dem Geiste der Naturwissen­schaft ver­pflichtet; untersucht aber wird das ganz alltägli­che Bewußtsein "wie sich das­selbe stündlich darlebt." (S. 35)

Bezogen auf die oben erwähnten begrifflichen Inhalte: Wer über Begrif­fe verfügt, und somit den­ken kann, der verfügt eben nur über Begriffe in ih­rer inhaltlichen Form, aber er hat kein Metawis­sen über Begriffe, weil er sich damit noch nie gedanklich befaßt hat. Er kennt also kei­ne Begrif­fe, - weiss nicht, was sie sind und welche allgemeinen Eigen­schaften sie ha­ben -, son­dern er hat nur welche.

Das ist ein entscheidender Unterschied, der in der Umgangssprache oft nivelliert wird. Und das läßt sich paradigmatisch auf alle Eigenarten des alltäglichen Denkens ausdehnen. Logi­sche Geset­ze z. B. kennt auch nie­mand, der sie nicht eigens studiert, obwohl jedes klare Den­ken eines logis­chen Laien sich daran orientiert. Steiner selbst ist in dieser Bezie­hung schrift­stellerisch nicht gera­de entgegenkommend, wenn er (hier S. 27 f) in etwas miss­verständlicher Weise vom bekann­ten charakteristischen Denkver­lauf spricht. Den nämlich kennt auch nur je­mand, der sich dar­über schon sei­ne Gedanken gemacht hat, wie es an dieser Stelle auch bei Steiner ge­schieht. Denn wir haben es ja auch hierbei mit «Beobach­tungsresultaten» Steiners zu tun. Der Denker muß sich seine Denkver­läufe also schon be­trachtend gegenüber gestellt haben, um dar­über zu befin­den, was daran typisch und charakte­ristisch ist und was nicht. Ohne diese betrach­tende Gegenüberstellung weiß er das alles nicht; was der Leser jederzeit und leicht selbst prü­fen kann. Und schon gar nicht weiß er das alles bloß deswegen, weil er zu denken vermag. Wie bereits gesagt ist ja auch Stei­ners Re­süme über den charakteristischen Denkver­lauf ein Re­sultat sei­ner den­kenden Beobach­tung und stellt sich als Beobachtungsres­ultat ei­ner gegenüberstellend­en Betrachtung dar. Und nur wenn dies ge­schieht, dann hat ein Mensch ein echtes (Meta)-Wissen von sei­nem Denkver­lauf. Vor­her übt er sein Den­ken aus oder vollzieht es, wäh­rend das Cha­rakteristische die­ses Verlaufs ihm unbe­kannt bleibt als ei­nes der zahllo­sen unbeobachte­ten Details unseres ge­wöhnlichen Den­kens. Was der Le­ser auch aus­gezeichnet der eben erwähnten Studie Karl Büh­lers entnehmen kann. Wo ja insbeson­dere anhand der Erleb­nisse von Ver­suchspersonen spezi­fische Denkverläufe nachgezeich­net wur­den, die man man vorher nicht kannte infolge der vorherr­schenden Auf­fassung, daß es beim Den­ken gar nichts zu erleben gab.

Das alles kann übrigens der Leser jederzeit an seinem eigenen Denken studier­en, indem er sich zu einem beliebigen Denkvorgang fragt: Was ist denn das Charakteristische meines Denkver­laufs? So ein Versuch ist nicht schwierig und in Eigenregie oder mit jedem Partner oder Freund durchzu­führen, aber er ist sehr erhellend. Wenn man sieben Personen nach dem Cha­rakteristischen dieses Verlaufs fragt, dann wird man etwa fünf verschiedene Antworten be­kommen. Oder auch fünfzehn, je nach­dem, was den Befragten so an Sinnvollem dazu ein­fällt. Und: Man muß diese Dinge wirk­lich auch einmal tun, denn so eine Versuchserfahrung ist au­ßerordentlich aufschluß­reich. Weil dar­an erkennbar wird, wieviel Ent­scheidungen und Urteils­unsicherheiten eine solche Frage im kon­kreten Fall nach sich zieht.

Klar gesagt: Kein Mensch kennt seinen charakteristischen Denkverlauf, es sei denn, er hat sich wie Steiner beobachtende Gedanken dazu ge­macht. Oder er be­zieht sein diesbezügliches Wis­sen wo an­ders her, z. B. aus der philoso­phischen Tradition. Und letzteres wird leicht ver­gessen. Dem Lai­en ist der Ausdruck charakteristischer Denkverlauf nicht a prio­ri verständ­lich, und auch dem Fachmann nur dadurch in relativ ein­deutiger Weise, weil Steiner anschlie­ßend selbst den erläutern­den Hin­weis auf die begriffli­chen Inhalte gibt. Ohne diesen spezifi­zierenden Fin­gerzeig hätte auch ein Experte für Denkverläufe mit ziemlicher Si­cherheit meh­rere Kandi­daten im Gepäck mit An­spruch darauf, charakte­ristisch für den Denkverl­auf zu sein. Wer vielleicht einmal Gelegenheit hatte die Den­kuntersuchungen Karl Bühlers zu stu­dieren (Vergl. Karl Büh­ler, Tatsa­chen und Pro­bleme zu einer Psychologie der Denkvorgän­ge I., Über Gedan­ken. In: Archiv für die gesamte Psychologie, 9, 1907), der wird feststel­len, daß dort eine ganze Reihe charakteristischer Denkver­läufe beschrie­ben werden. Ver­gleicht man diese mit Steiners Schil­derung, dann kann man zu­nächst den Eindruck bekommen, beide be­richten von völlig ver­schiedenen Dingen, obwohl jeweils von Denkpro­zessen die Rede ist. Das muß nicht zwangs­läufig für oder gegen eine be­stimmte Sichtwei­se sprechen. Bühler ist als empirischer Denkpsy­chologe, der mit Versuchspersonen arbei­tete, nur viel konkreter als Steiner. Das soll hier auch nur demonstrieren, daß es nicht selbstvers­tändlich ist, was man un­ter ei­nem charakteristi­schen Denkverlauf versteht. Zur Klä­rung dieser Fra­ge ist eben sehr viel Denk­arbeit erfor­derlich; das heißt: es gibt keinen Er­kenntnisautomatismus in der Kenn­zeichnung be­stimmter Bewußtseins­erscheinungen als charakte­ristischer Denkver­lauf. Und schon gar nicht kann man davon ausge­hen, daß diese Verläufe dem Den­ker ohne weitere Un­tersuchung bekannt sind. Man muß eben auch bei dieser Frage in Betracht ziehen, daß Stei­ner hier Beobacht­ungsresultate vorlegt, und Steiners Wunsch nach einem psychologischen Labora­torium in GA-21, S. 170 f wiederum maßgeb­lich von dem Ziel geprägt war, die Verhältnisse sehr viel einge­hender dazulegen, als es im frühen Schrifttum und in den späteren Vorträgen möglich war.

(Eine kurze, aber sehr sachliche und lesenswerte Entgegnung auf die hier von mir vorge­brachte Kritik gibt Jaap Sijmons im Internet unter der Adresse http://ibs.modulaware.com/a/?m=select&id=3796522637
Dafür gilt ihm mein herzlicher Dank. Wenn ich ihm darin auch nicht zu­stimme, so halte ich seine Gedankengänge doch für bemerkenswert und der Klärung sehr dienlich. Vor allem für diejenigen unter meinen Le­sern, die sich mit den dadurch aufgeworfenen Problemstellungen ernst­haft ausein­ander setzen wollen.)

Wäre das Denken tatsächlich "intim bekannt ohne Beobachtung" oder sich das "best Bekann­te überhaupt", wozu sollten wir es dann noch ein­mal erkennen? - "Was bei der Natur unmög­lich ist: das Schaffen vor dem Erkennen; beim Denken vollbringen wir es. Wollten wir mit dem Denken warten, bis wir es erkannt haben, dann kämen wir nie dazu. Wir müssen resolut darauf losdenken, um hinterher mittels der Beobachtung des Selbstgetanen zu seiner Erkennt­nis zu kommen. Der Be­obachtung des Denkens schaffen wir selbst erst ein Objekt. Für das Vorhan­densein aller anderen Objekte ist ohne unser Zutun gesorgt worden." heißt es entspre­chend in der Philosophie der Frei­heit gegen Schelling ins Feld geführt, (hier S. 31). War­um sollten wir "durch Beobachtung erst kennenlernen" (PdF, hier S. 24), was längst klar ist? Wieso etwa soll­ten wir es dann erst begreifen müs­sen, (hier S. 32)? Der von jeder Beobach­tung des Den­kens Un­berührte weiß gar nicht, was Be­griffe und Ideen sind, so wenig wie er sagen könnte, was Denken ist, eine Intuition oder ein cha­rakteristischer Denk­verlauf. Und dennoch vermag er richtig zu denken. Er kennt also das Denken nicht, obwohl er es richtig handzuhaben versteht und weiß nichts von In­tuitionen, obwohl er sie ständig hat. Sinn und Zweck der Beobachtung des Denkens ist ja gerade, sich mit diesen spe­ziellen Ei­genarten und Ei­genschaften des Den­kens bekannt zu machen. (Siehe hierzu auch Kapitel 6.1 in diesem Aufsatz.)

Wenn es irgend einen Sinn hat von einer Paradoxie des Denkens zu spre­chen, dann besteht sie dar­in, daß der Denker etwas mit so großer Si­cherheit und Selbstverständlichkeit handhabt, von dem er selbst so we­nig weiß. (Siehe zu diesem Thema auch die sehr ausführliche und ertragreic­he empiri­sche Studie von Merijn Fagard hier auf dieser Internetsei­te.)

Was hier in den letzten Abschnitten ausgeführt wurde, und, wie ich mei­ne, einleuchtend ist: - Die Philosophie der Freiheit stellt, bezogen auf das Denken, erst den Beginn einer Erkennt­nis des Denkens dar - wird auch von Steiner in einem Vortrag von 1921 hervorgehoben. Er führt dort am 05. September 1921 in Stuttgart (GA-78, Dornach 1968, hier S. 140 ff) aus, daß man vom Denken in der Philosophie der Freiheit "bis zu ei­nem ge­wissen Grade sich eine Vorstel­lung, eine empiri­sche Vorstel­lung ver­schaffen kann" (S. 141) Und er fährt dann (S. 142) fort: " aber was es [das Denken, MM] seinem Wesen nach ist, das läßt sich erst er­kennen, wenn die wirkliche Intuition auf dem höheren Erkennt­niswege in der Seele auftritt. Dann durch­schaut man gewissermaßen dieses eige­ne Den­ken; ..." . (Das alles wird dort übrigens auf den Folge­seiten noch ergänzt von Steiners unmissverständlicher Aussage über die be­grenzte Gel­tung von Naturkausalität und Energieerhal­tungsprinzip. Was man als Frage und Aussage zur leiblichen Unabhängigkeit des Denkens bereits in Steiners Grundschriften vorgelegt be­kommt.)

Man hat demnach zwischen verschiedenen Graden einer Erkenntnis des Denkens zu unterschei­den: Seiner mehr oder weniger anfänglichen Er­kenntnis, etwa im Sinne der Philosophie der Frei­heit, und seiner umfas­senden Erkenntnis im Zuge der Ausbildung höherer Erkenntnisst­ufen. Das in der Wendung von Günter Röschert und Jaap Sijmons zutage tre­tende Miß­verständnis mag viel­leicht einer der Gründe dafür sein, war­um sich Anthroposophen so we­nig mit der Psychologie des Denkens be­fassen, obwohl sich Steiner in der Schrift Von See­lenrätsel (S. 170 f) so dringlich selbst zwecks Grundlagenforschung dorthin wünschte – in ein psy­chologisches Laboratori­um in der Art wie es Brentano zwar vor­schwebte, aber dieser nicht verwirkli­chen konnte. Wer aber glau­bens ist, das Denken sei ohne Beob­achtung intim be­kannt, dem ist gewiß schwer­lich klar zu ma­chen, daß er über das Den­ken ei­gentlich sehr we­nig weiß. Da­bei reicht es ja schon, sich nur Stei­ners Kernfragen aus der Philoso­phie der Frei­heit vorzu­nehmen; die Fragen nach dem Verursa­cher des Denkens, nach seinem Ursprung und die nach den wirkenden Kräften der Natur im Menscheni­nneren. Das reicht bereits, um daran deutlich zu machen wie unbekannt den In­terpreten das Denken und Steiners philoso­phisch / naturwis­senschaftliche Interessen­lage ist. Zumal dann, wenn sie, wie regelmäßig zu beob­achten ist, mit derlei Kernfragen Steiners überhaupt nichts be­ginnen können. Schauen Sie einmal in Sijmons oder Röscherts und Witzen­manns Publikationen und fra­gen Sie sich, wohin Steiners Kernfra­gen dort bloß verschwunden sein mögen. (Zu Röschert und Ravagli siehe auch hier, S. 1054 ff; sowie S. 1201, Anmerkung 396.) Bei anderen Autoren sieht das kaum anders aus.



Über einen obskuren Sammelband aus der Alanushochschule zu den angeblichen Quellen der Anthroposophie

Von den wenigen anthroposophisch orientierten Autoren, die überhaupt in eine gewisse Nähe sol­cher Fragen Steiners kommen, will ich hier nur Salvatore Lavecchia nennen, der sich im Sammel­band, Die Quellen der Anthroposophie (S. 33 ff) die Verbindung Platons und der An­throposophie vornimmt. Dabei u. a. auf Steiners GrundlinienBezug nimmt, wo so eine Un­tersuchung, wie überhaupt im Kontext der Steinerschen Goethefor­schung ja auch nahe liegt. Leider hat es Lavec­chia da­bei versäumt, die Schrift Goethes Weltanschauung aus dem Jahre 1897 zu sichten, wo die­ser Verbindung zu Platon von Steiner sehr viel aus­führlicher und auf­schlussreicher nachgegangen wird. Was im Kapitel Die Metamor­phose der Welter­scheinungen (hier S. 61 ff) sich dann zu einer Art Syn­these verdichtet des Goetheschen Plato­nismus mit den Kernfragen der Grundlinien... und der Philosophie der Freiheit. Mit ei­nem speziellen Akzent auf der Beobacht­ung des Denkens, so­wie einer modernen Naturwissens­chaft im Inneren, die dort den Kräf­ten der Natur bei der Beob­achtung des Den­kens nicht nur nachgeht, sondern (1897) das «Weltgeschehen und die Idee da­bei auch zu durchschauen» bean­sprucht. Also die Ideenlehre methodisch mit der Psychologie des Den­kens und einer inneren Na­turforschung verknüpft. Wie es ja in den Grundlinienvon 1886 be­reits unübersehbar der Fall war. 1897 indes in sel­tener Klarheit auch seine eigenen (Steiners) Grenzen zu Goethe da­bei klar beleuch­tend, die ja von Steiner bereits in Wahrheit und Wissen­schaft (hier S. 6) her­ausgestellt wur­den, dahinge­hend, „dass mein Ge­dankengebäude eine in sich selbst begrün­dete Ganzheit ist, die nicht aus der Goetheschen Weltanschauung abge­leitet zu wer­den braucht.“ Das scheint mir auch natur­wissenschaftlich weit aussagekräftiger zu sein, als die von Lavec­chia dort besprochene, nach­träglich gefundene und schwer zu datieren­de Gedan­kenskizze Stei­ners Der Einzelne und das All (GA-40, S. 13 ff), von der auch laut Herausge­bern nicht ganz si­cher ist, wo sie zeitlich ein­zuordnen ist. Der man hermeneutisch zweifellos eine gewis­se flankie­rende Bedeutung beilegen kann, während der Kern der Sache von Stei­ner in der Schrift Goethes Weltanschauung doch auch in syste­matischer Hinsicht und im Zusammenh­ang der Grundschriften klipp und klar ge­macht wird. Da wäre si­cherlich ein weiteres nach­weisliches Bekenntnis Steiners auskunftsreich gewesen, in Form des Sendschreibens Die Natur und unsere Ideale (GA-30, S. 237 ff) aus dem Jahre 1886 stammend und von Steiner der Dichterin M. E. delle Grazie gegenüber zum Aus­druck brin­gend: „Oh, wir sollten doch endlich zugeben, daß ein Wesen, das sich selbst er­kennt, nicht unfrei sein kann! Indem wir die ewige Gesetzlichkeit der Natur erforschen, lö­sen wir jene Substanz aus ihr los, die ihren Äußerungen zugrunde liegt. Wir sehen das Gewebe der Geset­ze über den Dingen walten, und das bewirkt die Notwendigkeit. Wir besitzen in unserem Erken­nen die Macht, die Gesetzlich­keit der Naturdinge aus ihnen loszulösen und soll­ten dennoch die willen­losen Sklaven dieser Gesetze sein? Die Naturdin­ge sind unfrei, weil sie die Gesetze nicht erken­nen, weil sie, ohne von ihnen zu wissen, durch sie beherrscht werden. Wer sollte sie uns aufdrän­gen, da wir sie geistig durchdringen? Ein erkennendes Wesen kann nicht unfrei sein.“ - Ein Send­schreiben, in dem in gewisser Beziehung auch eine maßgebliche Differenz Steiners zu Goethe in der Freiheitsfra­ge bereits 1886 herausklingt, die er dann 1892/93 mehr mittelbar, und 1897 in Goethes Weltanschauung, S. 69 ff noch sehr viel stärker, und ebenso wortwörtlich wie methodisch auf den Punkt bringt: Weil sich Goethe niemals um Steiners methodischen Weg einer Beobachtung des Den­kens hätte bemü­hen können, war es ihm auch nicht möglich klare Gedanken zur Frei­heitsfrage zu entwickeln, wie Steiner schreibt. Mit allen weiteren Folgen, die das für die Frei­heitsfrage und die Geistesf­orschung Stei­ners hatte. Die aus dem damaligen Goetheanismus eben nicht zu entwi­ckeln waren ohne die Zuhil­fenahme von Forschung von ganz anderer Sei­te, wie den gleich noch zu nen­nenden Johannes Vol­kelt. Steiners methodisches Gedankenge­bäude einer Beob­achtung des Den­ken, womöglich noch im Labor, wie er sich das 1917 in der Schrift Von See­lenrätseln (S. 171) wünschte, war in der Tat von Goethe ziemlich weit entfernt, wie er ja schon in Wahr­heit und Wis­senschaft betont. Und noch viel weiter weg von allen Platonisten der vergangenen Zeit. Was man allerdings in den Grundlinienschon erken­nen kann, wenn man sich nur Steiners wissenschaftli­chen Weg über die reine Erfahrung und Be­obachtung des Denkens anschaut, den auch der Erfah­rungs-Idealist Goethe in dieser Form nie gegangen ist. Wie man es dem Vorgehen der Philo­sophie der Freiheit ebenfalls ent­nehmen kann, und wie es in Goe­thes Weltanschauung dann in dieser Synopse der Grundschrift­en im Kapi­tel Die Metamorphose der Welterschei­nungen auch ganz un­verblümt noch einmal aus­gesprochen wurde. So daß man sich schon ein wenig darüber wundert, war­um es bei Lavec­chia nicht einmal einen Li­teraturhinweis auf die Schrift Goe­thes Weltanschau­ung, (in späterer Auflage GA-6) gibt, wo diese Dinge ja ganz offen und ausführ­lich behandelt wer­den.

Der Steiner der Grundschriften ein Scholastiker? - Und über das beredte Schweigen Steiners in einem Sammelband zu den «Quellen» der Anthroposophie.

Ins­gesamt muß man von der ganzen Aufsatzsammlung in dem ge­nannten Sam­melband sa­gen, daß die Autoren, - manchmal wie bei Klünkers zweifachem Auftritt (S. 11 ff; S. 51 ff) offen­bar gar keins, - nur ein ausge­sprochen dürres und anekdo­tisches Wissen von Steiners eige­nen Grundlagen, ihrem sachli­chen Auf­bau, den Intentionen und Rezeptions­quellen ha­ben. So daß man bei Klünker über Stei­ner selbst und dessen begründende Werkgenese gar nichts mehr zu hören be­kommt, und Stei­ner dazu in seinen Aufsätzen im wesentlichen doch schweigt. Auch Klünkers Literaturver­zeichnis gibt nicht einen einzigen Hin­weis auf Steiners eigene Grundlagen. Was nichts anderes hei­ßen kann als: Klünker kennt sie nicht, sie interessieren ihn augenfällig auch gar nicht und haben ihn ersichtlich auch noch nie interessiert, sonst hätte er sie zumindest erwähnt. Denn lange Jahr­zehnte ist er bei den Anthroposophen ja schon dabei. Zeit genug, um schon einmal ir­gend etwas von Stei­ners Begründungsschriften gehört zu haben. Um sie wenigstens im Literatur­verzeichnis zu erwäh­nen. Herr Klünker indes gönnt sich als anthroposophischer «Grundlagenforscher» den Luxus, Stei­ners Grundlagen gar nicht erst auf den Tisch des Hauses zu bringen, und auch sonst keinerlei Ver­bindung herzustellen zwischen Steiner, dessen Rechtfertigungen und dem, was Künker über ver­gangene Zeiten der Scholastik und davor darlegt, denn nichts von solchen Verbindungen zu Steiner ist in Klünkers Vorträgen wahrzunehmen. Das ist schon hoch be­merkenswert, jemanden Namhaf­ten wie Klünker von S. 11 – 31 über anthroposophische Wissenschafts­grundlagen und entsprechend­e wissenschaft­liche Rechtferti­gungsbegehren reden zu hören, der gar kei­ne rechtferti­genden Grund­lagen davon aufzeigen kann, sondern nur wenige Aspekte der Anthro­posophie selbst, die erst noch zu begrün­den wä­ren! So spricht er dann über die Bedürftigkeit der Anthropos­ophie nach ei­ner wissenschaftlic­hen Be­gründung, ohne einen einzigen Blick auf jene Grundlagen zu wer­fen, die Stei­ner erklärtermaßen selbst gelegt hat. Klünker kennt sie nicht, obwohl sie seit mindes­tens 1886 vor seinen Füßen liegen, und er nur nicht hingeschaut hat. Weil ihm Steiners eigene Grundla­gen au­genfällig voll­kommen fern liegen. Denn auch von dem, was Klünker im zweiten Beitrag (S. 51 ff) be­richtet steht da nichts drin. Obwohl es angeblich laut Autorenvita von S. 333 ff Klünkers Aufga­be wäre, sich damit zu befassen, führt kein einziges Fädchen den Leser in Klün­kers bei­den Arti­keln zu Steiners ei­genen Grundlagen und Rechtfertigungen der Anthroposophie und da­mit zu seinen Quellen. - Wie also soll das je­mand be­greifen, der nach wissen­schaftlichen Rechtfer­tigungen der Anthroposophie sucht? Es ist nicht zu begreifen bei dem, was Klün­ker vor­trägt! Unter Rechtfertigungs- und Quellenge­sichtspunkten sind Klünkers beide Artikel vollkom­men sinnfrei, weil gar keine Zusammenhänge mit Steiners Grundlagen sichtbar werden. Totalausfälle! Bei al­lem wenigen, was er im übrigen im ersten Artikel die An­throposophie und ihre menschen­kundlichen und weite­ren As­pekte betreff­end vorbringen mag, das mit Stei­ners eige­nen wissen­schaftlichen Be­gründungen ebenfalls defini­tiv nichts zu tun hat. Wo soll so et­was ei­gentlich hin­führen? Wenn noch nicht einmal bei einem nam­haften und langjährig darin akti­ven, wissen­schaftlich ori­entierten Anthropo­sophen, - Professor gar «für Erkenntnisgrundlagen der Anthroposophie», - die erkenntnis­wissenschaftlichen Wurzeln des eige­nen anthroposophischen Un­ternehmens bekannt sind, obwohl diese seit gut 150 Jahren vorlieg­en und seine eigene Professur ihn sogar dazu verpflichtet, sich das anzusehen. Doch der Be­treffende redet dann öffentlich von der Begründungsbedürftigkeit der An­throposophie, ohne auch nur einen Hauch von den tatsäch­lich vorliegenden Begrün­dungen Stei­ners zu demonstrieren, obwohl er seit langen Jahr­zehnten schon dabei ist. Der «Professor für Erkennt­nisgrundlagen der Anthroposophie» mag zwar manches wis­sen über die Scholastik und ihre Vorläufer. Aber er weiß augenfällig rein gar nichts von Stei­ners eige­nen Erkenntnisgrundlagen der Anthroposophie, sonst wären sie zumindest in homöopathi­scher Ver­dünnung dort sichtbar gewor­den. Zumal in einem Quellenband. In Wirklichkeit erscheint davon aber definitiv nichts. Will­kommen im Club der philosophischen Luftbucher! Wieder ein Stück anthropo­sophischer Realsatire, wie man sie besser nicht hätte dich­ten kön­nen. Vom «Na­turwissenschaftler» Steiner, der vom «natur­wissenschaftlich Sicheren» aus eine Brücke zur Wis­senschaft des Geistes schlägt, so wie Stei­ner nicht nur sich selbst ein­schätzte, sondern wie es schon seinem wissen­schaftlichen Wer­degang ent­sprach, und wie es auch aus seinen Grundlegungsschrif­ten über­deutlich hervortritt, ist nicht nur bei Klünker keine Rede. Sondern, so weit ich sehen kann, auch sonst nirgendwo in diesen Quellen-Beiträgen, die in dieser Beziehung allesamt ebenfalls Totalausfälle sind.

Man läßt nicht Steiner re­den, son­dern die Herren reden lieber einigermaßen verständnislos über ihn und über anderes, wie es bei Hart­mut Traub neuerlich wieder einmal der Fall ist, bei al­lem ange­strengten Bemühen irgend­wie die Psy­chologie the­matisch zu mobilisieren, was in die­ser Form zu nichts Brauch­barem führt. Wieder einmal zum Abwinken, konfuses Gerede über Psychologie, so dass man den Eindruck hat, Traub spiele in diesem merkwürdigen Reigen, wie 2011 schon, nur den Advocatus Diaboli. Und trotz Aristote­les und Fichte, die dort aus Steiners Aufsatz Philosophie und Anthroposo­phie (GA-35, Dornach 1984, S. 66 ff) in Verbind­ung mit der Univer­salienfrage behan­delt werden, in dieser zu­sammenhanglosen Art und losge­löst vom rest­lichen Be­gründungswerk auch nicht viel er­hellen können. Obwohl der «erlebte Zusamm­enhang von Wir­kendem und Bewirk­tem» aus Steiners Grundlinie­n(S. 86) dort, unter Fichte und Aristoteles, bequem unterzubringen wäre, trotz seiner sehr anderen argumentativen und literaris­chen Aus­gangslage in den Grundlini­en. Von bei­den (Aristoteles und Fichte) ist nämlich dort nicht die Rede, sondern Steiner baut dazu in den Grundlinienaus sehr gutem Grund auf Vol­kelts Begriff der «reinen Erfah­rung», und im engeren Sin­ne auf dem erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem im Den­ken und Er­kennen auf, die ihrerseits wiederum auf Vol­kelts immanent psy­chologischer Vorarbeit der Erkenntnistheorie fußen, wie man dort se­hen kann, und wie wir gleich von Steiner noch selbst hö­ren werden. Wovon freilich neben dem Psychologie-Referenten Traub auch sonst nie­mand unter den restlichen Autoren des Sammelbandes auch nur den blassesten Quellen-Schimmer hat. Schließ­lich auch geht es in der Universa­lien-Passage im von Traub behandelten Aufsatz Steiners (GA-35, S. 100 ff) nicht nur um das «Set­zen des Ich», sondern um sein «Erkennen mittels einer Tathandl­ung des Er­kennens». Exakt an die­ser Problemstelle hatte Steiner Fichte be­reits in Wahrheit und Wissen­schaft kri­tisch korrigiert und Fichtes Tathandlung (hier S. 46 ff) in die «Tathandlung des Erken­nens» umgewan­delt (siehe auch weiter unten). Auf der Grundlage von Volkelts immanent-psycho­logischer Vorar­beit. Einer psychologischen Sichtmöglichkeit in der Er­kenntniswissenschaft, wovon Fichte zu sei­ner Zeit natürlich schon aus wissenschaftsgeschichtli­chen Gründen noch meilenweit entfernt war. Dafür kam Fichte schlicht zu früh. Und Hartmut Traub kam bis heute dort auch nicht an.

Analoges gilt auch für die scholastischen Quellen und ihre Vorläufer, die in dem Sammelband von anderen Autoren wie Klünker erörtert werden. Sie werden, trotz all seiner Hochschätzung der Ide­enlehre im allgemeinen, als Leser in Steiners Frühwerk ein­schließlich Philosophie der Freiheit und den Einleitun­gen in Goe­thes naturwissenschaftliche Schriften von Thomas von Aquin oder von der Scholastik rein gar nichts lesen, was Steiner in seinem konkreten erkenntniswissenschaftli­chen Vor­haben als explizite Quelle gedient hätte. Schon gar nicht in Wahrheit und Wissenschaft und ebenso wenig in der Philosophie der Freiheit, wo noch nicht einmal von «Ideen» die Rede ist, die an den Platonismus angebunden wären wie im übri­gen Frühwerk. Auch die „stolzen Gedan­kengebäude Fichtes, Schellings und Hegels stehen ... ohne Fundament da“, so Steiner gleich zu Beginn von Wahrheit und Wissenschaft in der Vorrede (hier S. 4). Was für die zeitgenössischen Vertreter des Idealismus galt, das galt natürlich noch weit mehr für ihre historischen Vorläufer. Es gab folglich überhaupt keine Veranlassung für Steiner, sich zu Begründungszwecken an diese oder gar an die Scholastik oder Aristoteles zu halten. Deswegen hört man davon auch nichts in Steiners Begründungs­schrifttum. Und die mehr als spärlichen Reste, die man im frühen Schrifttum Steiners explizit überhaupt dazu findet, kann man getrost vernachlässigen. Sie demonstrieren allenfalls, das Steiner das zwar kannte, - schon wegen seiner Goethearbeit, - aber nicht für sein Begründungsvor­haben verwendete.

Schauen Sie beispielsweise weiter etwa auf Steiners Be­merkungen von 1897 im wissenschaftkriti­schen Kapitel Goethe gegen den Atomismus, in Subkapitel 8, GA-1, Dornach 1987, speziell S. 326 ff. Die weni­gen affirmativen und teils kri­tischen Worte zur Scholastik stam­men aus je­ner Zeit (1897), als Stei­ner auch seine historisch ori­entierte Schrift Goethes Weltanschauung erst­mals veröf­fentlicht hat. In der letzteren Schrift finden sich auf S. 16 auch knap­pe Worte zu Thomas von Aquin, die rein gar nichts dazu hergeben, daß das ir­gend eine unmit­telbare Quelle für Steiners Grundlagen hätte gewesen sein können. Das wiederum zu einer Zeit, 1897, als Steiner bereits der Frage «Goethe und der Platonismus?» monographisch in dieser Schrift nachge­gangen war. Mit der Feststellung von S. 27 ff versehen, dass Goethe sich die scholastische Sichtweise nie zu eigen ge­macht habe und seine sehr individuellen Vorstellungen vom Verhältnis der platonischen Idee zur Erfahrung ausgebildet hatte, die damit kaum zur Deckung zu bringen waren. Dasselbe gilt für Steiner, der sich die jen­seitsgläubige Variante des Platonismus so wenig wie Goethe ins eigene Programm geschrieben hatte.

Die Zeit war nicht mehr danach, um diese alten Formen des Denkens, so wie sie ihrer­zeit im Mit­telalter und weit früher waren, zu Begründungszwecken auf­greifen zu können. Folglich macht es auch kei­nerlei Sinn auf sol­che Quellen dieser scho­lastischen Art umfänglich hinzuweisen, und dar­an ausgie­big wie Klün­ker herumzukneten, wenn man sie wie Klünker et al auf keine Weise mit Steiners Frühwerk ver­knüpfen kann: Weil Klünker erstens ersichtlich keine brauch­baren Kenntnis­se von Steiners Frühwerk hat. Und zweitens solche scholastischen Quellen aus sehr guten Gründen auch so gut wie nie in diesem Frühwerk Steiners auftauc­hen. Weil damit natürlich keine erkennt­nistheoretischen Fundamente zu bauen waren, wie sie Steiner vorschwebten und wie er sie zu sei­ner Zeit als naturwissenschaftlich geprägter empiristischer Zeitgenosse für notwendig hielt. So ist es also hoch er­staunlich, wenn Klünker als «Professor für an­throposophische Erkenntnisgrundla­gen» in beiden seiner Artikel nicht nur kein einziges Stichwort zu Steiners eige­nen anthroposophi­schen Erkenntnis­grundlagen fallen läßt, sondern nicht einmal einen einzigen Litera­turhinweis auf diese Erkennt­nisgrundlagen Steiners gibt. Quellenforscher dieser Art können sich ja nur noch selbst des­avouieren, denn die Leser müssen doch irre werden an solchen nebelhaften Erzählungen, die ihnen als akade­misch anthropo­sophische etwas von Steiners Quellen präsentieren, die der Leser aber in Steiners Grund­legungswerk mit al­ler Mühe nicht finden kann, weil es sie dort auch gar nicht gibt. Das grenzt dann schon an akademi­sche Rosstäusche­rei. Weil es in Steiners Begründungswerk näm­lich aus ge­gebenem An­laß und aus triftigen Gründen so gut wie gar keine Belege dafür gibt. Denn Steiner baute schlechterd­ings nicht auf der Scho­lastik, Thomas von Aquin oder auf Aristote­les auf. Er wurde auch als An­throposoph natürlich kein Aristoteliker, Thomist oder Scholastiker, so sehr und so oft in seinem späte­ren Werk von ihm selbst auch historische Lini­en dorthin gezogen wurden, wie etwa in der Schrift Von Seelenrätseln (GA-21, S. 138 ff), wo er unter dem Stichwort «Abläh­mung der lebendigen Begriffe» den Bogen schlägt zum Universalien­realismus der Scholastik und weiter zurück. Wenn Sie als Leser von Steiner Näheres zu den Vorgängerströmungen des Idealis­mus und seine geistesgeschichtliche Einschätzung dazu hören wollen, dann schauen Sie in Steiners Rätsel der Philosophie (GA-18; alternativ hier und hier). Zu Begründungszwecken waren diese Zeiten für Steiner vorüber und über­lebt. Die Aufga­be der Anthro­posophie Stei­ners bestand nicht darin, die idealisti­schen Gedankenge­bäude aus frühe­ren Jahrhun­derten neu auf­zuwärmen, und sei­ne Leser zu katholischen Thomisten, Aristotelikern und Platonikern zu formen, sondern dem seit­her veränderten menschli­chen Be­wußtsein der heutigen Gegenwart ganz andere und heute zeitge­mäße Wissen­schaftsformen für die Geisterkennt­nis an die Hand zu geben, die da­mals nicht vorla­gen, die aber heute dringend nötig und auch mög­lich sind. Auch und ganz beson­ders wegen der naturwissenschaftlichen Entwicklung, die nach solchen adap­tierten Methoden ver­langte. Inso­fern ist es natürlich kein Zufall, dass der «Naturwissenschaftler» Steiner sich um sol­che modernen Me­thoden bemühte, die ausdrücklich an die Naturwissenschaft seiner Zeit angebun­den waren. Wovon im vorlie­genden Sammelband aus der Alanushochschule freilich so gut wie nie die Rede ist. Der «Natur­wissenschaftler» Steiner scheint dort gänzlich unbe­kannt zu sein, und der darin in Dunkel­heit gehüllte Herr Klünker scheint seinen dortigen Publikatio­nen zufolge und via universitärem Aufgabenbe­reich als nomineller «Experte für die Er­kenntnisgrundlagen der Anthroposophie» die­sen akademi­schen Reigen der Ahnungslosen auch noch anzuführen. Man muß angesichts solcher Tatsachen auch nicht darüber erstaunt sein, wenn heute im Goetheanum an der Sektion für Goethea­nismus Menschen wirken, die von den Erkennt­nisgrundlagen des Steinerschen Goetheanismus ungefähr ebensoviel wissen wie der «Professor für die Erkenntnisgrundlagen der Anthroposo­phie»: Nämlich ersichtlich so gut wie gar nichts. (Siehe dazu auch hier, S. 602 ff)

Als Quelle für Steiners Grundlagen der Anthroposophie kommt die Scholastik nicht in Betracht und ist dort ebenso wenig zu finden wie Aristoteles oder eine direkte Anknüpfung an Platon. – In letzterer Frage abgesehen von Goethes Ideenverständnis. Allerding, und das ist eine ganz andere Sichtweise, kann man vor dem naturwissenschaftlichen Hinter­grund der Steinerschen Grundlagen mit Recht und ganz all­gemein gesehen mit Steiner von ei­ner «aristotelischen oder pla­tonischen Strö­mung» des Idealismus sprechen, die sich gegen­wärtig in Steiners Anthroposophie treffen und darin gewisser­maßen fortleben. So, wie Steiner es 1924 darlegte, wie etwa hier im Arnheimer Vortrag vom 19. Juli 1924 (GA-240). Es emp­fiehlt sich sehr, den vorangehen­den Vortrag vom 18. Juli 1924 aus der GA-24 dazu zu neh­men, wo er den historisch-ge­netischen Bogen zum selben Thema weit zurück bis in vorchristliche Zei­ten spannt.

Man muß sich zudem entsprechend klar machen, dass der Naturwissenschaftler Steiner, der sich um streng erkenntniswissenschaftliche Begründungen in seiner eigenen Zeit bemühte, natürlich nicht mehr an die Ideenlehre zweier zurückliegender Jahrtausende anknüpfen konnte, wie sie in diesen früheren Zeiten vorlag. Denn damals gab es keine naturwissenschaftlichen Begründungsan­forderungen; so wenig, wie es damals überhaupt eine Naturwissenschaft gab. Das aber änderte sich grundle­gend mit Steiners eigenem Zeitalter und mit dem Aufkommen der modernen Naturwissen­schaften in den vorangehenden rund zwei bis drei Jahrhunderten und den Vorläufern davor.

Steiner, und das ist eine weitere zeitgenössische Quellenperspektive die Naturwissenschaft betref­fend, war auch keineswegs der erste und einzige unter sei­nen Zeitgenossen, die sich um die (auch er­kenntniswissenschaftliche) Ver­knüpfung der modernen Naturwis­senschaft mit dem Idealis­mus alter Zeiten bemühten. Der sei­nerzeit überaus prominente und von Steiner hoch geschätzte Eduard von Hartmann gehörte eben­falls dazu, dem er sogar (hier S. 3) seine Schrift Wahrheit und Wissen­schaft gewidmet hat. Hart­mann freilich hatte in seiner viele Auflagen erlebenden Philosophie des Unbewußten einen «induktiv-spekulativen» Weg dieser Ver­knüpfung eingeschlagen. Wäh­rend Stei­ner einen direkten Weg dorthin beschritt über die Beobachtung des realen Denkpro­zesses. 1918 im Untertitel spezifi­ziert um den Ausdruck seelische Beobachtungsresultate. Vordringlich Beob­achtungsresultate jenes Prozesses, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden, wie es in der Philo­sophie der Freiheit dazu in Abgrenzung zu Hegel hieß. Unter anderem mit dem Ziel, die Lei­besunabhängigkeit des menschlichen Denkens nachzuweisen, wie Steiner in seinem Stuttgarter Vortrag von 1921 in GA-255b, S. 295 ff öffentlich erläutert: „Ich legte zunächst alles beiseite, was sich mir etwa ergeben konnte an Schau­ungen einer geistigen Welt. Ich wollte vor allen Dingen eine si­chere philosophische Grund­legung haben, die im Einklang steht mit der naturwissenschaftli­chen Forschung der neueren Zeit. Und von diesem Gesichts­punkt ausgehend, untersuchte ich vor allen Dingen die Na­tur des mensch­lichen Denkens. Ich versuchte alle möglichen Wege, um her­anzukommen an die Beantwor­tung der Frage: Was ist seiner Wesenheit nach eigentlich dieses menschliche Denken? [] Wer nun meine «Philosophie der Freiheit» durchliest, wird finden, wie diese We­ge zur Er­gründung der Natur des menschlichen Denkens gesucht worden sind. Und für mich stellte es sich heraus, daß nur derjenige das menschliche Denken richtig verstehen könne, welcher in den höchsten Äußerungen dieses Denkens etwas sieht, das sich unabhängig von unserer Körperlichkeit, von unserer leiblichen Organisation vollzieht. Und ich glaube, es gelang mir nachzuweisen, daß die Vorgänge des reinen Denkens im Menschen sich unab­hängig von den leiblichen Vorgängen vollziehen. In den leiblichen Vorgängen walten Naturnotwendig­keiten. Was aus diesen leiblichen Vorgängen hervorgeht an trüben Instinkten, an Willensim­pulsen und so wei­ter, es ist in einer gewissen Beziehung naturnotwendig be­stimmt. Was der Mensch in sei­nem Denken vollzieht, von dem stellt sich zuletzt doch her­aus, daß es ein Vorgang ist, der unabhängig von der physischen Organisation des Menschen abläuft. Und ich glaube, daß sich mir durch diese «Philosophie der Freiheit» nichts Gerin­geres ergeben hat als die über­sinnliche Natur des menschlichen Denkens. Und hatte man diese übersinnli­che Natur des menschlichen Denkens erkannt, dann war damit der Beweis geliefert, daß der Mensch im gewöhnlichsten Alltagsleben, wenn er sich nur erhebt zum wirklichen Denken, durch das er durch nichts anderes als durch die Motive des Denkens selbst bestimmt wird, daß er dann ein übersinnliches Element in diesem Denken vor sich hat. Richtet er sich dann im Leben nach diesem Denken, entwickelt er sich so, wird er so erzo­gen, daß er über die Moti­ve seiner physischen Organisation, über Triebe, Emotionen, In­stinkte hinaus Motive des rei­nen Den­kens seinen Handlungen zugrunde legt, dann darf er ein freies Wesen genannt wer­den. Den Zusammenhang zwischen dem übersinnlich reinen Den­ken und der Freiheit dar­zulegen, das machte ich mir dazumal zur Aufgabe." So Steiner auf S. 299 ff zu dem, was er sich in seinen Grundlegungsschriften zur vordringlichen Aufgabe ge­macht hatte.

Auch da ist von der Scholastik und den Lehren vergangener Zeit keine Rede. Sondern es ging um ein Anliegen, - die «Leibesfreiheit des menschlichen Denkens nachzu­weisen», - das als hochgradig naturwissenschaftlich verankerte Problemstellung nur innerhalb die­ser Fragestellung der modernen Naturwissenschaft gelöst werden konnte. Keineswegs aber ohne Bezug­nahme darauf. Und mit Mitteln, die in seiner Zeit vor­lagen. Wenn Sie, lieber Leser, sich das Nach­wort zum achten bis elften Tausend in Stei­ners Schu­lungsbuch Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten (GA-10, Dornach 1992, hier auf S. 214) ansehen, dann werden Sie lesen, dass die­ser Schulungsweg letztlich auf Tatsachen wie den hier geschilderten aufbaut: Auf der Leibesun­abhängigkeit des menschlichen Denkens, die im Mit­telpunkt der frühen Forschung Steiners stand. Von einem Natur­wissenschaftler werden Sie wieder­um nicht erwarten, dass der die gesamte Natur­wissenschaft sei­ner Zeit dabei ignorierte. Des­wegen werden Sie vermutlich umso er­staunter sein, daß der Sammel­band der Alanushochschule rein gar nichts zu die­sen Fragen zu sagen hat. Auch Herr Klün­ker nicht, der für diese Aspekte laut Aufgabenbeschreib­ung eigentlich ganz speziell zu­ständig sein müsste. Die Frage steht damit natür­lich im Raum: Woher rührt die kolossale Blindheit und Igno­ranz für die naturwissenschaftlichen Problemstellungen Steiners, nicht nur auch bei allen restlichen Beteiligten die­ses Sammel­bandes, sondern ganz spezi­ell auch bei einem anthroposophischen Pro­fessor, bei dem die­se na­turwissenschaftliche Thematik exakt in seinen Forschungsbereich «für die Erkenntnis­grundlagen der Anthroposophie» fällt?

In der Frage des menschlichen Denkens, seiner Beobachtung und der Einschätzung der menschli­chen Freiheit gab es auch die heftigsten Dissonanzen zwischen Steiner und Eduard von Hartmann. Die Klärung solcher Fragen gehörten bei Steiner zur naturwissenschaftli­chen Seite dieser Verknüp­fung mit dem Idealismus / Pla­tonismus, die nicht auf Spekulation beruht wie bei Eduard von Hart­mann, mit dem Steiner sich bis in die Philosophie der Freiheit hin­ein argu­mentativ dar­über ausein­ander setz­te. Was in Hartmanns kritischen Bemerkungen zur Erstausgabe der Philo­sophie der Freiheit kulmi­nierte, die in verschiedenen Aspekten von Steiner in ihrer Zweit­auflage aufgenom­men wurden, wie etwa am Ende ihres dritten Kapitels (hier S. 36 f). Mit einer forschungsperspekti­vischen Replik Steiners, die man wohl als heuristischen Leitstern seiner ganzen inneren For­schungshaltung dazu betrachten muß: Daß nämlich «nichts zur Erklärung des Denkens herangezo­gen werden darf, was nicht im Denken selbst gefunden werden kann». Womit er eine unmissvers­tändliche und wohlbe­gründete Stellung gegen jede hypothesenbasierte Erklärung des Den­kens ze­mentiert, die von Au­ßen an das Denken herangetragen wird, was ja bei Hartmanns Vorwür­fen, Illustrationen und Ein­wendungen unzweideutig der Fall war. Und weit subtiler noch in Hartmanns assoziationspsycholo­gischen Erklärungen eines definitiv unbewußten Denkens, die laut Hartmann erst recht nicht und niemals direkt zu prüfen sein sollten. -

Aber darüber hinaus offenbaren Steiners Entgegnungen auch unter kausalitätsphilosophischen Per­spektiven eine unmißverständliche Positio­nierung Stei­ners. In Worten wie diesen: „Man kann nicht zu etwas kommen, was das Denken bewirkt, wenn man den Bereich des Denkens verläßt.“ Auch das Erwirkende des Denkens kann nur im Denken selbst gefunden werden. Was bereits 1886 bei Steiner zu lesen ist. (Siehe spe­ziell zu dieser Thema­tik auch hier, S. 88 ff.) Wo­mit Steiner mit seiner Replik auf Hartmann an dieser Stelle des dritten Kapitels der Philosophie der Freiheit vorwegnehmend schon unterstreicht, was er dann im vierten Kapitel gegenüber Hegel geltend macht. Daß es ihm (Steiner) vornehmlich um den Prozess geht, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden. Letztlich aber sind dies unmißverständ­liche Hinweise darauf, dass weder eine hypothesenb­asierte Naturwissenschaft, noch irgend eine Meta­physik von außen ir­gend etwas zur empiri­schen Klärung des menschlichen Denkens beitragen kann. Was sachlich auch Steiners Kapitel 14 der Grundlinienabzulesen ist, wo es mit speziel­lem Blick auf Kant um den sicher er­kannten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem geht. Fragen und Stellungnah­men wie diese hätten eigentlich gleich zu allererst und vordringlich in den Quellenband der Alanus­hochschule hineingehört. Aber wie man sieht, sieht man dort definitiv nichts davon.

Bei Steiner wird, wie man auch an solchen kritischen Bemerkungen gegenüber Hartmanns Außen­erklärungen erkennt, die Beobachtung kon­kret wirkender Ideen im realen Denken als empirisch be­gründender Aus­gangspunkt ver­standen, und auch zum Ziel weite­rer, sich dann späterer anthroposo­phisch geistes­wissenschaftlich nennen­der Forschung erhoben. Die Verbindung zum Universalienrea­lismus liegt damit auf der Hand, auch wenn Steiner in der Philosophie der Freiheit nie expli­zit daran an­knüpft, sondern erst wieder in der Schrift Goethes Weltanschauung von 1897. Die natur­wissenschaftlichen Intention­en des Brückenbaus und der Grund­legung sind auch später durchweg ge­blieben. Was beim späteren Stei­ner in GA-21, S. 170 f dazu führt, jene aus dem wissenschaftli­chen Umfeld, «die auf dem anthropo­sophischen Ge­sichtspunkt stehen», mit großer Energie zur «Grundla­genforschung im psychologischen Laboratori­um» zu motivieren, um dort «beste Grundla­gen» zu legen. Ein Vorha­ben an der Verbindungsstelle und daher dem «ge­meinsamen Forschungsf­eld» von Naturwissen­schaft und anthroposophischer Geisteswissenschaft, - von «Anthro­pologie und Anthroposophie», wie es in GA-21, hier S. 12 heißt. Was prinzi­piell frei­lich schon seit Steiners Grundlinien... von 1886 ganz unmißverständlich als Forschungs­projekt vorge­stellt wird, wenn man es denn zu sehen vermag.

Die wissenschaftliche Verknüpfung von moderner Naturwissenschaft mit dem Idealismus / Plato­nismus war in Stei­ners Zeit also keineswegs neu und ungewöhnlich, und findet sich als Synthese von platonisti­scher und aristoteli­scher «Strö­mung» insofern na­türlich sehr früh schon in GA-1, hier S. 126, im «induktiven Zu­gang zu den Ideen» - (in der Kürschner Originalausgab­e von 1887 ent­spricht dem die Vor­rede, siehe dort S. IV f). Der auch in sämtlichen Frühschriften Steiners gegen­wärtig ist, und etwa in den Grundlini­envon der Be­obachtung des wirklichen Den­kens seinen Ausgang nimmt. Auch in der Philoso­phie der Freiheit, ob­wohl dort von «Ideen» in expliziter An­bindung an den Platonismus nicht die Rede ist, sondern ohne solche historischen Verknüpfungen. Abgesehen einmal von Stei­ners illustrierendem Hinweis auf Goethes Essay «Die Natur» im zwei­ten Kapitel der Philosophie der Freiheit, der freilich dort ausdrücklich keinen Begründungs­status hat. Dasselbe gilt für die «Idee der Erkennt­nis» aus Wahrheit und Wissenschaft (etwa hier im Kap. VI. S. 46 und öfter), die auch dort nicht di­rekt mit dem Platonismus verknüpft wird. Von die­ser «Idee des Erkennens», so schreibt Steiner im Fichte-Kapitel, S. 46: „Unmittelbar gegeben ist diese Idee nun im menschlichen Bewusstsein, inso­fern es sich erkennend verhält. Dem «Ich» als Mittel­punkt des Bewusstseins ist die äußere und in­nere Wahrnehmung und sein eigenes Dasein unmittel­bar ge­geben. ... Das Ich fühlt den Drang, in diesem Gegebenen mehr zu finden, als was unmittelb­ar gege­ben ist. Es geht ihm gegenüber der ge­gebenen Welt die zweite, die ders Denkens auf, und es verbindet die beiden dadurch, dass es aus freiem Entschluss das verwirklicht, was wir als Idee des Erkennens festgestellt haben.“

In diesen beiden Schriften (Wahrheit und Wissenschaft und Philosophie der Freiheit) wird keine ausdrückliche historische Verbindung zum Platonismus respektive Aristotelismus im Sinne der Arnheimer Vorträge hergestellt. Da­für gibt es nun in Goethes Weltanschauung in der Synthese von 1897 auf S. 69 ff ein geradezu schlagendes Bei­spiel für dieses Zusammenströmen, dahinge­hend dass «bei der Beobachtung des Denkens das Weltgeschehen durchschaut werde», und darüber hinaus «dieses Geschehen die Idee selbst sei». Eine perfekt illustrierende Kombination von Natur­wissenschaft und Platonismus. Oder sagen wir: einem induktiv naturwissenschaftlichen Platonis­mus, wie er von ei­ner modernen Naturwissenschaft eben gefordert wurde. Eine analoge Passage geht dem im selben Kapi­tel von Goethes Weltanschauung direkt voran. Wo es in Steiners kriti­scher Behandlung von Goe­the hier auf S. 69 f heißt: „Aber so wie die schöpferischen Naturkräfte «nach tausendfältigen Pflanzen» noch eine machen, worin „alle übrigen enthalten" sind, so bringen sie auch nach tau­sendfältigen Ideen noch eine hervor, worin die ganze Ideenwelt enthalten ist. Und diese Idee erfaßt der Mensch, wenn er über sein Denken nachdenkt. Eben weil Goethes Denken stets mit den Ge­genständen der Anschauung erfüllt war, weil sein Den­ken ein Anschauen, sein Anschauen ein Denken war: des­halb konnte er nicht dazu kommen, das Denken selbst zum Gegen­stande des Denkens zu machen.“

Daß das Nachdenken über das erlebte Den­ken, bzw. über jenen «Prozeß, den man restlos im Inne­ren gegenwärtig hat», sich aus dieser Perspekti­ve dem «tätigen Ideenge­halt» der Welt zuwendet, das konnte man schon Jahre zuvor im 8. Kapitel von Steiners Grundlini­ener­fahren. Weiter in den resümierenden Bemerkungen vom dortigen Kapitel 15, S. 86: „Wir erinnern uns, warum ei­gentlich das Denken in unmittelbarer Erfahrung bereits sein Wesen enthält. Weil wir innerhalb, nicht außerhalb jenes Prozesses stehen, der aus den einzelnen Gedankenelementen Gedankenver­bindungen schafft. Dadurch ist uns nicht allein der vollendete Prozeß, das Bewirkte gegeben, son­dern das Wirkende.“ Des­gleichen im dortigen Kapitel 13 (hier S. 78) die Über­zeugung: „Unsere Er­kenntnistheorie führt zu dem posi­tiven Ergebnis, daß das Denken das Wesen der Welt ist und daß das individu­elle mensch­liche Den­ken die einzelne Erscheinungsform dieses Wesens ist.“ - Von Pla­ton, Aristote­les und Scholastikern ist da nicht die Rede. Dafür aber im Psy­chologiekapitel 18 (S. 118) die vor­gebrachte Sicht­weise, dass nicht etwa die Philoso­phie, sondern «die Psy­chologie, die erste Wissen­schaft sei, wo es der Geist mit sich selbst zu tun hat.» Mit dem resümierenden Hinweis aus der Neuauflage von 1924 (S. 143) versehen: „Nachdem ich nunmehr die verschiedenen Gebiete des­sen, was ich «Anthroposop­hie» nenne, bearbeitet habe, müßte ich - schriebe ich dies Schriftchen heute - diese «Anthroposop­hie» hier einfügen. Vor vierzig Jahren, beim Schreiben desselben, stand mir als «Psycho­logie», in einem allerdings ungebräuchlichen Sinne, etwas vor Augen, das die An­schauung der ge­samten «Geistes-Welt» (Pneumatologie) in sich einschloß. Daraus darf aber nicht geschlossen werden, daß ich damals diese «Geistes-Welt» von der Erkenntnis des Menschen aus­schließen wollte.“ - Von der empirischen Psychologie dieser Zeit führt ein direkter Weg zu Steiners anthro­posophischer Geisteswissenschaft, mehr will er damit ja nicht sagen. Und nicht etwa von Platon, Aristoteles oder der Scholastik führt der direkte Weg seiner Begründungsschriften dahin. Davon ist eben nicht die Rede. Selbst vielen akademischen Anhängern Steiners will das seit rund hundert­dreißig und mehr Jahren nicht in den Kopf, obwohl man es kaum unmiß­verständlicher darlegen könnte als Steiner in diesen Frühschrif­ten. Von all dem hören Sie auch im vorlie­genden Sammelband kein Sterbenswort. Als ob die dortigen Referenten auf einem ganz fer­nen Plane­ten lebten, wo es Stei­ners Begründungsschriften gar nicht gibt. Und so ähnlich wird es wohl sein. Das Dumme an der Sache ist nur, mit solchen Handgriffen der Ahnungslosigkeit kann man Stei­ners Anthroposophie nicht mehr begründen, sondern nur noch erfolgreich ruinieren.

Vom Platonismus, Aristotelismus oder gar der Scholastik hören Sie im Psychologiekapitel der Grund­liniendefinitiv nichts. Andererseits gilt: Deut­licher als in den genannten Passagen von Goethes Weltanschauung, denen man noch die letzten Ab­schnitte vom 8. Kapitel (hier S. 47) der Grundlinienvon 1886 mit ihrer Hervorhebung der «Denktätigkeit als tätigem Gedan­kengehalt der Welt» zur Seite stellen könnte, läßt sich das Zusam­mengehen des induktiven Aristo­telismus mit der Ideen­lehre des Plato­nismus kaum auf den Punkt bringen. In der Schrift Goethes Weltanschauung ist in den genannten Passagen die Verknüpfung geradezu idealtypisch zum Ausdruck gebracht. In Gestalt einer Beob­achtung des «Prozes­ses, durch den Be­griffe und Ideen erst gewonnen werden», wie es in der Philo­sophie der Freiheit (hier, S. 38) dazu heißt. Denn da ist der wirkliche und wir­kende Geist zu erle­ben, wie es ja schon im Psychologiekapitel der Grundlinien und vorange­hend hieß: im Erleben des tätigen Gedankengehalts der Welt. Was später über den anthroposophis­chen Schu­lungsweg noch weit, weit ela­borierter zu erleben und zu erkennen ist. Sich aber in dieser späteren anthroposophischen Gestalt keineswegs Eins zu Eins auf den Idealismus eines Platon ab­bilden läßt. Und erst recht nicht auf den der Scholastiker. - Wie gesagt, es handelt sich um aristoteli­sche und platonistische «Strömungen», die einander in der Anthroposophie begegnen. Und die können viele Jahrhunderte später natürlich eine Form annehmen, welche die ursprünglichen Varianten kaum noch erkennen läßt. Nicht nur weil die ur­sprünglichen Lehren und Weistümer als solche im Laufe der Zeit voll­kommen verbogen und ver­dreht wurden, wie man es jetzt bei Steiners Anthropo­sophie und ihren Grundlagen in kaum hun­dert Jahren bereits er­leben kann, die in der Alanushochschule schon nicht mehr wieder zu erken­nen sind. Sondern auch weil das Be­wußtsein der heutigen Men­schen natür­lich nicht mehr das­selbe ist wie vor mehr als zweitausend Jah­ren, und auch nicht mehr dasselbe wie bei den Scholasti­kern im Mittelalter. Von der wissen­schaftlichen Entwicklung seit­her, hin zur modernen Naturwissens­chaft, gar nicht weiter zu reden, für die es in früheren Zeiten überhaupt kein Analogon gab. Das al­les aber ist zu berücksichtigen, wenn man von der «Synthe­se des Aristotelismus mit dem Plato­nismus» spricht, wie Steiner in den Arnheimer Vorträgen. Diese Synthese wiederum kommt vor allem in Steiners Frühwerk ausgesprochen facet­tenreich zum Ausdruck, - wenn man denn einen Blick dafür hätte.

Ein Blick in den Sammelband der Alanus-Hochschule freilich demonstriert das genaue Gegenteil davon: Nämlich daß erstens für Steiners Grundlagen überhaupt keinerlei Interesse vorhanden ist, und auch keine Kenntnis davon vorhanden, die man ernstlich als solche bezeichnen könnte. Was auch für die Beiträge Schierens und Da Veigas gilt, die wenig nur über das hinausgehen, was sie in ihren inzwischen mehr als zwanzig oder dreißig Jahre alten Dissertationen schon geschrieben haben. Aus Schierens Aufsatz leuchtet immer noch Witzenmann hervor, der bereits in seiner Dissertation, die damals schon nicht über Steiner ging, sein Favorit war. Das alles stagniert jetzt auf niedrigem Ni­veau weiter. Es ist seither faktisch zum Steinerverständnis nichts dazu gekommen, was man als ernst zu nehmende Erweiterung ihres damali­gen Grundlagen- und Quellenverständnisses von ehe­maligen Doktoranden bezeichnen könnte. Da Vei­ga schreibt immer noch über Fichte und Schieren über Goethe und Kant. Gewürzt mit magersten Passagen über Steiner, mit denen kaum etwas anzufangen ist. Abgestandener Kaf­fee also aus ihren veralteten Dissertationen, der jetzt mi­nimal überarbeitet neu aufgewärmt, geringfügig erweitert und im übrigen wiedergekäut wird. Wie eingefroren auf dem Niveau jener Doktorand­en, die sie einmal waren. Der «Naturwissenschaftler» Steiner scheint auch bei ihnen, wie vor mehr als zwanzig Jahren schon, überhaupt nicht zu existie­ren. Die Folge davon ist zweitens, dass auch das Inter­esse und die Wahr­nehmung vollständig fehlt für das Zusammens­trömen von Aristotelismus und Plato­nismus in Stei­ners Frühwerk, obwohl die­ses Zusammenströmen dort so überdeutlich und plakativ herausleuchtet wie von einer Werbesäule.

Wir haben es hier laut Autorenvita von S. 333 ff des Sammelbandes mit zwei «Professoren» (Schieren und Da Veiga) zu tun, die nach wie vor auf ihrem Doktorandenni­veau von anno tobac wie einbalsamiert sind. Und bei Herrn Klünker gar mit einem «Professor für die Erkenntnisgrund­lagen der Anthro­posophie», der von den Erkenntnisgrundlagen der Anthroposophie au­genfällig gar nichts weiß, weil er sich offensichtlich noch nie damit beschäftigt hat. Und es infolgedessen noch nicht einmal für nötig hält, die von Steiner selbst und ständig wiederholt angegebenen Erkenntnis­grundlagen der Anthroposo­phie in seinem Literaturver­zeichnis von beiden Beiträgen auch nur zu erwähnen. Geschweige denn sie inhaltlich zu behandeln. - Sehr viel mehr muß man dazu fast nicht sagen.

Tatsache ist: Die «Ideen» des frühen Steiner werden im Wirken und Erleben des realen Denkens gesucht. Induktiv. Des­wegen Steiners Nähe auch zur Psychologie bereits in den Grundlinienvon 1886. Wo sich aber trotz all solcher spre­chenden Zeugnisse Steiners im Früh­werk mancher aka­demische Philosophenant­hroposoph heute alle er­denkliche Mühe gibt, den Leuten auch noch die Psycholo­gie und den dar­in wirken­den Geist ein für alle­mal aus dem Kopf zu blasen, wie man­che Anhän­ger Hus­serls und des schrägen Witzen­mann un­ter ihnen. Wiederum: Von einer «idealis­tischen oder universalienrea­listischen Strömung» im allgemei­nen zu sprechen heißt auch bei wei­tem nicht von Steiners «Quel­len» zu sprechen. Schon gar nicht in akademischen Zusammenhän­gen und ohne die nötigen Diffe­renzierungen und unerlässlichen werk­genetischen Klar­stellungen. Denn geistige Strömungen sind definitiv et­was anderes als kon­krete Quellen. Die wie­derum sehen als zeitgenössi­sche Quellen für Steiners Frühwerk vollkom­men an­ders aus, als Klün­ker und Mitstrei­ter dem Leser das präsentieren möchten. «Quellenforschern», die wiederum von Steiners eigentli­chem Vorha­ben der frühen Be­gründungswerke so gut wie nichts wissen. Da ist es derart trüb und finster, dass es für einen An­throposophen schon zum Fremdschä­men ist. Man ver­wechsele aber Steiners frü­hes Vorge­hen nur nicht mit ei­ner simplen Über­nahme aristoteli­scher oder scholasti­scher Denk­formen, wenn Steiner von «Ide­en» spricht.

Schauen wir vor dem Hintergrund von Steiners Arnheimer Vorträgen von 1924 aus GA-240 und den dort abgehandelten Verbindungs-Perspektiven der Platoniker und Aristoteliker zunächst auf seinen Stuttgarter Rechtfertigungsvortrag von 1921 in GA-255b, S. 295 ff. Dort heißt es ganz un­mißverständlich auf S. 296 über Steiners Ausgangslage zur Anthroposophie: „Dieser Ursprung und Ausgangspunkt liegt durchaus in der naturwissenschaftlichen Weltanschauung der neueren Zeit. Wer die ja etwas lange Reihe meiner Schriften durchgeht, der wird sehen können, daß mein Ausgangspunkt nie in irgend­welchen religiösen Problemen liegt, wenn auch selbstverständlich An­throposophie ihrem Wesen nach, wie wir sehen werden, an das religiöse Empfinden und an religiö­se Anschauungen heranfüh­ren muß. Der Ausgangspunkt waren nicht religiöse Anschauun­gen, der Ausgangspunkt war die na­turwissenschaftliche Weltanschauung, in welche ich in jungen Jahren hineingewachsen bin.“

Interpreten wie Hartmut Traub, (man lese nur seinen eigenen Beitrag in diesem Sammelband aus der Alanus-Hochschule), und die meisten anderen darin verfallen gar nicht auf die Idee, dass das so sein könnte, und Steiner von den Naturwissenschaften seinen Ausgang hin zur Anthroposophie hät­te nehmen können. Das mutet in dieser Aufsatzsammlung eher an wie ein akademi­sches Vexierbild: voller Ei­genprojektionen der Interpreten. Der Natur­wissenschaftler Stei­ner ist in die­sem Sammelband kaum, um nicht zu sagen: gar nicht sichtbar. Was ja als Diskrepanz zwischen der Eigenwahrnehmung Steiners und der Fremdwahrneh­mung seiner Inter­preten ganz erstaunlich ist. Aber so war es, auch wenn man Steiners frühe Schrif­ten ver­folgt. Dann sieht man zu­nächst den Na­turwissenschaftler. Beziehungsweise das «Erkennen als Naturprozeß», wenn auch anfangs nicht be­sonders helle, wie es mir selbst damit einst gegangen ist. Aber je länger und gründlicher man liest umso mehr. Doch je we­niger und oberflächl­icher man das erarbeitet, umso mehr sieht man wie im Fall Klünkers nur noch Klünkers Scholastik­er, Platon und den Aristoteles, von dem in Stei­ners Be­gründungsschriften freilich nie die Rede war. Freie Erfindungen also vom Herrn Klünker. Wäh­rend der (erkenntnistheoretisch orientierte) Naturwissen­schaftler und seelische Beobach­ter Steiner bei Klünker gar nicht erst in Erscheinung tritt. Das geht bei Klünker zur Verblüffung des Lesers so weit, dass Klünker ,- im zweiten Arti­kel mehr noch als im ersten, - gar nicht erst auf die Idee kommt, Steiner einmal in seinem angeb­lichen Quellen-Auf­satz zu fragen, wo der sich denn selbst ansiedelt, und das ausführlicher darzu­legen. Steiners eigener Stand­ort in­teressierte ihn gar nicht. So wenig wie Wagemann Steiners Standort interessierte, der dort abstru­serweise Witzenmann vorführte. Wie auch insgesamt Stei­ner mit seinem Begründungs­vorhaben bei Klünker nie in Erschei­nung tritt. Um es noch einmal zu wiederholen: bei einem «Pro­fessor für anthroposophische Erkenntnisgrundlagen» überhaupt nicht in Erscheinung tritt. Als gäbe es an der Alanushochschule ein Verbot, Steiners erkenntnis­theoretisches Anliegen zu erforschen. Und stattdessen nur das leere Stroh zu dreschen, wie es dort jetzt eingefahren wird. Jedenfalls geht es in diesem Sammelband zu wie auf einem akademi­schen Gaukler- und Narrenschiff.

Man muß sich ein­mal ernsthaft klar machen, was das heißt! Der «Professor für anthroposophische Erkenntnisg­rundlagen» hat von Steiners eige­nen Erkenntnisgrundlagen nicht nur keinen blassen Schimmer, sondern er erwähnt sie auch gar nicht erst. Weder direkt, noch mittelbar im Literatur­verzeichnis. Von «Quellen-Wis­senschaft» zu Steiner bei Klün­ker kei­ne Spur, weil Steiner als unab­dingbare Vergleichsgröße jeder Quellenfor­schung zu Stei­ner in die­sen Beiträgen Klünkers schlicht­weg fehlt. Was nicht über­rascht, denn das ist Klün­kers eige­ner geis­tiger Standort des Mittel­alters. In dem ist er offenbar sehr gut fest ge­zurrt, und aus dem will er of­fensichtlich auch gar nicht her­aus, wenn man seiner Abhandlung folgt. Er scheint nach wie vor ein Mann der römischen Kir­che des Mittel­alters geblieben zu sein, und versucht das jetzt in die An­throposophie hinein zu tra­gen, wo es nicht hingehört. Oder besser gesagt: Er ver­sucht mit aller Ge­walt Steiners Anthroposophie in diese katholische Kirche des Mittelalters hinein zu zerren. So dass er, bis auf völlig verhunger­te Restbe­stände, auch nicht Steiners Werk und dessen Werde­gang wahr­nimmt. Sich nicht einmal um eine rudimen­täre plausibi­lisierende Anbin­dung sei­ner Ausführ­ungen an Stei­ners eigene Auffassung be­müht. Of­fensichtlich vom klerikalen Irrglau­ben beseelt, das sei alles gar nicht nö­tig, und folglich damit für den Leser zum kompletten geistigen Irre­führer gerät. Der Leser des «Quellenban­des» wird damit von Klünker buchstäblich zum Narren ge­macht. So freilich geht man vor, wenn man Steiner durch angebliche Quellenforschung nicht etwa ver­ständlich machen möchte, sondern die Person Steiner in der Anthroposophie endlich los werden will. Vielleicht ist das auch der «Forschungsauftrag» der Alanushochschule, Steiner endlich wegzuräumen – wer weiß das schon in Zeiten wie diesen!?

Es ist jedenfalls dermaßen augenfällig und bizarr, daß es mit dem gesunden Menschenverstand schon nicht mehr zu fassen ist und jeder anderen vernünftigen Erklärung widerstreitet. Man kann sich einfach nicht vorstellen, daß Wissenschaftler mit einem rational begründeten Quellenanliegen so vorgehen, wie es dort in diesem Fall abgeliefert wird. Denn auch mit Klün­kers unange­bundenem zweitem Elaborat, das er besser in einem Maga­zin für Scholas­tik, römische Kirchenge­schichte und Medi­ävistik hätte hinter­legen sollen, kann nie­mand etwas an­fangen, der zum Quel­lenthema aufgeklärt werden möch­te, und etwas über Steiners Quel­len und über die Ge­nese der An­throposophie wissen will. Bei Klünkers erstem Artikel läuft es in der Sache auf dasselbe hinaus, denn auch dort ist beim «Professor für anthroposophische Erkennt­nisgrundlagen» von Steiners ei­genen Grundlagen keine Rede. - So kann die eige­ne Fanta­sie und Interessenlage von sogenannten akade­mischen «In­terpreten» den Inhalt ganzer Schriften Steiners durch et­was voll­kommen an­deres ersetzen, was gar nicht darin steht. Aber so geht es Steiner in diesem Sammel­band: Einer zerrt ihn in die katholische Kirche, einer zu Witzenmann, einer zu Fichte und Aristote­les und in ir­gend eine Nebelpsycholo­gie und so fort. Was der Mann zu Begrün­dungszwecken ge­schrieben hat, das inter­essiert dort so gut wie gar keinen von unseren honorigen akademischen Stei­nerexegeten. Der Rest ist weitgehend zu vernachlässigen.

So etwas muß man auch nicht kaufen, und lohnt auch nur zu For­schungszwecken, um die Irrwe­ge solcher «Anthropo­sophen» unter falschen Fahnen offen zu legen und nä­her zu beleuchten. Schon der obskure Verlag Info3, wo das erscheint, steht nicht für Aufklä­rung und Anthroposophie, son­dern bereits wie ein Programm für sich und zusammen mit Schieren für einen frühen und verbissenen Anhänger Witzenmanns, der mit Steiner noch nie viel im Sinn hatte. Darüber hinaus steht der Verlag für ideologische Ross­täuschereien aller Art, die seit Jahrzehnten und im Zeitalter von Cancle-Culture zumal von einem Soros-Enthusiasten über den Anthroposophen ausgekübelt wer­den. Das allein sollte schon die eine oder andere Alarmglocke läuten lassen. Man muß heute ernsthaft davon ausgehen, dass man es bei solchen Erscheinun­gen nicht nur mit ah­nungslosen, aber im übrigen ganz unschuldigen Schein-Experten zu Steiner tun hat. Sondern gewiß auch mit solchen umtriebigen Hinterleuten, wie von Pohlmann und Fiedler do­kumentarisch eindrucksvoll nahege­legt, die ganz systematisch Steiners Werk hintertrei­ben, um es zu der von Steiner anvisierten und notwendigen Synthese von Aristote­lismus und Plato­nismus in Kulminationszeiten wie jetzt mög­lichst nicht kommen zu lassen. Und das seit langen Jah­ren schon. In Zeiten einer gezielt betrie­benen und umfassenden Kulturzerstö­rung, von der Steiner in seinem Arnheimer Vortrag ebenfalls in Worten wie diesen spricht: „Und im Laufe dieses 20. Jahrhunderts, wenn das erste Jahrhundert nach dem Ende des Kali Yuga ver­flossen sein wird, wird die Mensch­heit entwe­der am Grabe aller Zivilisation stehen oder am Anfan­ge desjenigen Zeitalters, wo in den Seelen der Menschen, die in ihrem Herzen Intelligenz mit Spiri­tualität verbinden, der Michael-Kampf zuguns­ten des Michael-Impulses ausgefochten wird.“ (Arnheim, 19. Juli 1924, GA-240, S. 183) - Daß wir vor dem «Grabe aller Zivilisation» in der Tat fast schon direkt stehen, wird heu­te kaum ein wacher und ernsthafter Geist noch bezweifeln. Als Indikator dieser zivilisatorischen Fried­hofsverhältnisse springt die Linie und enge Verbindung von einem Soros-Verehrer und Putin-Verhetzer, über einen «Kill-Putin»-Krakeeler in dessen Soros-Vereh­rungsmagazin zum Herausgeber des Sammelbandes regelrecht ins Auge. Als wollte jemand die Anthroposophen (wieder einmal) direkt an die Ostfront in ein Unternehmen Barbarossa treiben. Diesen Leuten scheinen die mörderischen Weltherrschafts-Visionen Anglo-Amerikas und irgend welcher Glo­balmilliardäre allemal näher zu stehen als die spirituellen Impulse Rudolf Steiners. Der geistige Be­trug, so will mir scheinen, ist angesichts sol­cher innigen Verknüpfungen vom Farbenrevolutio­när und Kulturvernichter Soros über Info3 zur braunen deutschen Ver­gangenheit schon so gut wie vor­installiert. Vielleicht sollte man sich angesichts solcher Erscheinungen noch einmal auf Stei­ners Notiz über den Kampf um den russischen Kulturkeim besinnen, der vieles von dem beleuch­tet, was heute zum Entsetzen der Welt vor Russlands Grenze und zum Entsetzen vieler Anthropo­sophen in der eigenen Bewegung vor­geht. Man sollte sich schließlich auch auf Steiners Bemer­kungen vom 30. Juli 1918 in GA-181, hier S. 404 noch einmal besinnen, dass «Amerikanismus und Goetheanis­mus vollkommen unver­einbar und Gegenpole» sei­en. Das mag vielleicht auch die eine oder andere Erklärung dafür bereit­stellen, warum Steiners Goetheanismus an der Alanus­hochschule und anderswo in der amerikani­schen Kolonie Deutsch­land / Europa seit Jahren schon von der Bild­fläche verschwindet, und zu­nehmend die Globalmilli­ardäre und Cancle-Culture-Stra­tegen wie So­ros und Gates auch bei den Anthroposophen das Heft in der Hand halten. Und inzwi­schen der globale WHO-Totalitarismus der dortigen medizinischen Lügenbarone auch direkt aus dem Goetheanum mit finanziert wird, wie man bei Frieder Sprich (S. 27) zu lesen bekommt.

Mit meiner Vermutung bin ich bei weitem nicht allein auf weiter Flur. So fragt auch Gaston Pfister im Europäer Nr. 5 vom März 2023 auf S. 26, «ob wir es inzwischen mit einer Unterwanderung durch waschechte Feinde zu tun haben?» Mit speziellem Blick auch auf die bizarren «Kill-Putin Aktivitäten» eines Spitzen-Waldorfpädagogen. Noch dichter wird diese Indizienkette gewebt von Friedrich Sprich in, Ein Nachrichtenblatt, 12. Jahrgang, Nr. 10, Sondernummer III vom 15. Mai 2022. Der dort unter dem Titel, «Kann die Anthroposophie in der AAG noch gerettet werden?» der Frage einer «zersetzenden Jesuitisierung der anthroposophischen Bewegung von ihrer Spitze her» nachgeht. Und zwar auf zahlreiche empirische Befunde gestützt. So berichtet er auf S. 12 unter dem Titel «Jesuitenfreundlichkeit» unter anderem, daß an der Spitze der AAG eine regelrechte Kultur des Jesuitismus betrieben, und dieser dort sogar ganz offen propagiert werde. Vor dem Hintergrund der von Steiner erklärten Tatsache, dass der Jesuitismus auf die komplette Vernichtung der Anthroposophie hinwirke. Was Sprich dort an Indizien darlegt, ist eine hochbemerkenswerte Vielzahl an faktischen Vorgängen, die diesen Verdacht bestätigen. Hinzuzufügen wäre die Vernichtung der Anthroposophie durch den Anglo-Amerikanismus, mit ähnlicher und vielleicht mit dem ersten kommunizierender Wirksamkeit. Von der übrigens auch der gut unterrichtete Erzbischof Viganò hier und ergänzend hier regelmäßig die Öffentlichkeit unterrichtet: Von der satanischen Gemeinschaft von Teilen der römischen Kirche mit dem totalitären Globalismus. Beide in der Uniform des Antichristen. Einen analogen Blick einer konzertierten Aktion ermöglichen Markus Fiedler und Dirk Pohlmann im oben schon erwähnten Beitrag von ganz anderer Seite. Wer wiederum könnte an Steiners Wegräumung mehr interessiert sein, als die erklärten Antagonisten von Steiners Goethea­nismus, die jetzt offen­bar auch in geistigen Fragen am Ruder stehen? Man muß über das nichtssagende erkenntniswissenschaftliche Herumgekrebse, das dort im Sammelband der Ala­nushochschule über Steiners Grundlagen geboten wird, in gar keiner Weise erstaunt sein, denn das scheint inzwischen in der Natur dieser erwähnten Verhältnisse zu liegen.

Wer schließlich sollte sich über solche und ähnliche Erscheinun­gen auch wundern an einer Hochschule, die am Tropf eines Staates hängt, der seit Jahren und von Tag zu Tag zunehmend mit Hilfe und unter der Führung solcher globalistischen Strategen anglo-Amerikas wieder einmal in einen oliv­braunen Faschis­mus umge­wandelt wird? Man muß sich nüchtern betrachtet also von dem Gedan­ken verabschieden, dass an der staatsabhängigen Universität einer amerikani­schen Vasallenrepu­blik heute erfolgrei­che Grundlagenforschung zu einer überragenden und entschei­denden Geistes­größe (Steiner) betrieb­en werden kann, dessen eigene In­tentionen den Weltherr­schaftsintentionen von neofeudalen Globa­listen, den Weltherrschaftsambitionen der anglo-ameri­kanischen Geopoli­tik, den ma­terialistischen Abgründen ihrer be­stimmenden Elite, und denen der kriegsgeilen und merkelro­tbraunen Angloamerika-Grünen direkt zuwi­derlaufen. Denen nichts näher liegt, als Deutsch­land und Eu­ropa im Auftrage angloamerikanischer «Kräfte» endlich in eine dezivilisierte Trüm­merlandschaft, und anschließend in ein riesiges neofeudales Konzentrationslager von Smart Cities für eugenisch geformte menschliche Maschinen zu ver­wandeln. - Letz­teres aber mehr neben­bei. Primär geht es um die konkre­ten Sachfra­gen von Steiners Begründungswerk.

Bleiben wir deswegen beim Naturwissenschaftler Steiner: Es war nicht nur Steiners aka­demischer Stu­diengang an der Wiener techni­schen Hoch­schule zunächst den Naturwissen­schaften ge­widmet, son­dern das­selbe gilt auch von sei­ner Aufga­be, die naturwissen­schaftlichen Schriften Goe­thes her­auszugeben, denen er sich durch Ver­mittlung von Schröer für die Kürschner-Ausgabe wid­mete. Der Mann war also seinem ganzen Werdegang nach zunächst natur­wissenschaftlicher «Aristoteli­ker», wenn man einmal die Strömungs-Differen­zierung in «Plato­niker» und «Aristoteliker» aus GA-240 bemüht. Diese enge Ver­wurzelung in den Naturwissenschaften kulmin­iert im autobiogra­phischen Vortrags­teil von 1921 (GA-255b) in Steiners Frage von S. 298 nach einer Brücke zwi­schen der naturwissenschaftlic­hen und einer geisti­gen Weltsicht: „Gibt es denn nicht eine Mög­lichkeit, zwischen demjenigen, was im Inneren des Menschen lebt an Aspirationen nach dem Geis­tigen und demjeni­gen, was Naturwissen­schaft sicher festgestellt hat, gibt es denn dazwischen nicht eine Verbindung, gibt es dazwischen nicht eine Brücke von dem einen zum andern?“ Diese Brü­cke, so fährt Steiner dort fort, sei aber nur möglich gewesen vom naturwissenschaftlich Sicheren aus: „Und nun, was mir vor al­len Dingen die Mög­lichkeit bot, eine solche Brücke zu fin­den, das war zunächst nicht das Hin­schauen auf innere, sub­jektive Schauungen; das war mir vom Anfange an klar geworden. Sollten subjektive Schauungen noch so überzeugend, noch so in­tensiv vor der Seele auftreten, man hat kei­ne Berechtigung, sie ir­gendwie, durch ihr subjektives Auftreten veran­laßt, zur objektiven Geltung zu bringen, wenn man nicht in der Lage ist, aus dem naturwissen­schaftlich Sicheren heraus die Brücke hinüber zur geisti­gen Welt zu schlagen.“ Diesem Brücken­bau, so Steiner weiter, dienten vor allem seine Einleitun­gen in Goethes Naturwissenschaftlic­he Schriften neben den Schriften Wahrheit und Wissenschaft sowie die Philosophie der Freiheit. Dort vor allem also fand seinen eigenen Worten zufolge das Ringen um das «naturwissenschaftlich Sichere» und den «Brückenbau» statt.

Es geht Steiner erklärtermaßen um die erkenntniswissenschaftlichen Grundlagen auch für die Na­turwissenschaft, die in jenen Frühwerken zu finden ist. Man muß angesichts dieser Darstellungen Stei­ners ja nicht groß fragen, worin denn das «naturwis­senschaftlich Sichere» im Ergebnis be­stand. Wenn man sich an Steiners Bemerkung aus dem zweiten Kapitel der Philosophie der Frei­heit hält, wonach «die äußere Natur nur gefunden werden kann, wenn man sie in seinem Inneren bereits kennt», dann liegt es nahe, dabei den Blick auf die Selbsterklä­rungsfähigkeit des erlebten und beob­achteten Denkens zu richten. Speziell auf den archimedischen Hebel der Welterklärung aus dem dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit (hier S. 32 f). Der gilt für alle Wissenschaf­ten, äußere wie innere, und basiert auf der Beobachtung dessen, was zwar jeder kann, aber kaum einer kennt. Und schon gar nicht in dieser Funktion und Bedeutung kennt. Bei dem von «Ideen» im platonischen Sinne auch nicht die Rede ist. Der dann aber 1897 in Goe­thes Weltanschauung hier S. 69 f mit der Ideenlehre verknüpft wird, und nicht nur in der Aussage gipfelt, bei der Beob­achtung des Denkens werde «das Weltgeschehen durchschaut», sondern dieses beobachtete Ge­schehen sei die Idee selbst. - Da ist der aristotelische Brückenbau von den Naturwissen­schaften über das «naturwissenschaftlich Siche­re» zur «Idee der Platonisten» auf seine Weise erst einmal abge­rundet. Womit Stei­ners Geistesforschung freilich nicht endet. Sondern im engeren und öffent­lichen Sinne erst beginnt.

Das in aller Kürze dazu. Wenn Sie sich die entsprechenden Frühschriften dazu näher ansehen, lie­ber Leser, dann werden Sie also von Aristoteles, von Platon, den Scholastikern und Thomas von Aquin nichts hören. Und doch ist laut Eigenauskunft in diesen Schriften ein naturwissenschaftli­cher «Aris­toteliker» auf der Suche nach einer Brücke zum «Platonismus» der geistigen Welt. Ein na­turwissenschaftlicher Aris­toteliker schon seinem beruflichen Werdegang nach, der gewisserma­ßen durch eine «glückliche Fügung» mit der Aufgabe betraut wurde, die na­turwissenschaftlichen Schrif­ten des sehr individuellen «Platonisten» Goethe herauszugeben. Also mit Goethes naturwis­senschaftlichen Schriften auch die Werke eines «Aristo­telikers» mit hochgradig platonistisch-na­turwissenschaftlichen Am­bitionen herauszugeben, dem es selbst freilich nicht gelang, sein Anlie­gen erkenntniswissenschaft­lich zu begründen. Das konnte Goethe nicht. Daran, so sieht Steiner das, hatte Goethe auch keinen Bedarf. Gleichwohl wirken hier offenkundig zwei (Goethe und Stei­ner) zusammen, die beide als Naturwissenschaftler auf dem Wege sind, den Aristotelismus mit dem Platonismus zu verei­nen. Und auf diesem Wege eine «spirituelle Naturwissen­schaft von In­nen» zu entwickeln.

Den Ausdruck «glückli­che Fügung» wäh­le ich hier übrigens mit Bedacht. Denn davon spricht Stei­ner selbst auf S. 157 f in sei­nem Arnhei­mer Vortrag vom 18. Juli 1924. Dahingehend: „Wäre ich aber damals in jener Stadt in das Gymna­sium gekom­men, so wäre ich Zisterzienser-Ordens­priester geworden. Das ist ganz zwei­fellos.“ Um ein Haar, so sagt Steiner. Wegen seiner gu­ten Ver­bindung zu den dort lehrenden Zisterzien­sern nachfol­gend dann platonis­tisch geprägter Or­denspriester der Zisterzienser. Stattdessen wurde er aber Naturwissenschaftler, weil er auf die Re­alschule ging. So kann es kommen. - Wenn man das für sich allein betrachtet, dann sieht man na­türlich neben den systematisch verwendeten, im Schrifttum hinterlegten Quellen auch eine Viel­zahl an solchen infor­mellen, die Steiner in jungen Jahren umgaben und ihn verständlicherweise ebenfalls prägten. Was er mit den Zisterziensern des Gymnasiums ja sehr sprechend zum Aus­druck bringt.

Steiner ist nicht den Weg der Zisterzienser gegangen, obwohl in Teilen seines Frühwerkes natür­lich auch platonistisch geprägtes Gedankengut zum Tragen kommt. Literarisch am stärksten aus­gebildet durch die Ideenlehre Goethes, deren Quelle wiederum höchst individuell von Goethe ge­handhabt und gefärbt wurde. Insbesondere wenn man das alles weiß, muß man umso mehr zwi­schen den Quellen Stei­ners aus sei­ner eige­nen Zeit unterscheiden, die dem Auf­bau der Anthropo­sophie dien­ten, und jenen idealistischen Strö­mungen der Vergangenheit die in weit zurückliegen­den Jahr­hunderten analoge und für ihre Zeit ge­mäße idealistische / ideenrealisti­sche Vorhaben mit ganz an­deren Mit­teln ver­folgten. Als fakti­sche Quelle für Steiners eigenes Begründ­ungsvorhaben aber nach­weislich in gar keiner Weise in Be­tracht kamen. Weil man damit keine erkenntniswissen­schaftlichen Grundlagen legen konnte, wie es Steiner vorschwebte. Nicht einmal von Goethes Ge­dankenwelt aus konnte Steiner ohne fremde Hilfe solche Grundlagen legen. Abgesehen von Goe­thes ganz individualis­iertem Idealismus, von dem Steiner sich er­klärtermaßen auch noch unabhän­gig ge­macht hat, und der sich bei Goethe wie­derum schlecht auf eine einzige Quelle zurückdatie­ren läßt.

Man muß sich demnach fragen, welche sachlichen Gründe Steiner dafür vorlegte, von den Natur­wissenschaften auszugehen. Auch dann, wenn ihm das idealistisch-plato­nistische Gedanken­gut schon durch seine informellen Quellen nicht fremd war, und vieles, was an individuellen Veran­lagungen bei ihm vor­lag, nach einer näheren Abklärung und Begründung ver­langte. Der Weg, den er wählte, war der über das «naturwissenschaftlich Sichere», wie er es im Vortrag von 1921 ausspricht, den man aber auch ohne Mühe in seinen Frühschriften erkennen kann. Wie Goe­the fehlten den zeitgenössi­schen und den Idealisten der Vergangenheit eben jene Fundamente des Erken­nens, die Steiner in einer naturwissenschaftlich geprägten Zeit für unabdingbar hielt. Des­wegen auch sein «indukti­ver» Weg zu den Ideen, der über das «naturwissenschaftlich Sichere» ging. Zumal in einer Zeit, wo es seit Hume und Kant gar nichts «naturwissenschaftlich Sicheres» mehr gab, sondern ge­rade die Sicherheit des naturwissenschaftlichen Erkennens regelrecht ad ab­surdum geführt wurde. Ein Blick in das Kapitel 14 der Grundlinien kann Ihnen einen exem­plarischen Eindruck davon verschaffen. Was wahrlich nicht die alleinige Auffassung des «Kant-Überwinders» Steiner damals war, wie wir schon sahen und unten noch weiter behandeln werden.

Die Zeiten der Idealisten des Mittelalters und der Griechen waren vorbei, denn die moderne Menschheit war bewußtseinsmäßig und mit ihrer Naturwissenschaft woanders angekommen. Dem mußte Rechnung getragen wer­den. Wer sich nur an den alten Zeiten festklammert und dort festfriert wie Klünker et al, der kommt gar nicht erst auf den Gedanken, Steiners naturwissen­schaftlichen Weg als den einer Syn­these von aristotelischer und platonisti­scher Strömung einzu­ordnen. Deswegen diese bizarren «Quellen-Beiträge» Klünkers, wo Steiner gar nicht erst gefragt wird, wo der sich denn selbst an­siedelt, und wo sich beim «Professor für die Erkenntnisgrundla­gen der Anthroposophie» auch kein einziger Hinweis auf Steiners eigene Erkenntnisgrundlagen findet. Steiners idealistisches Anliegen in Verbindung mit den Naturwissenschaften ist nicht nur Klünker, sondern überhaupt den Autoren aus die­sem Quellen­band weitestgehend fern, die sich überwie­gend mitnich­ten in Steiners Grundle­gungswerk und den dorti­gen Intentionen ausken­nen. Diese resultier­ende, ka­tastrophal zusam­menhanglose Quellenstoppe­lei in dem Sammel­band führt zu nichts, - wo man am Ende gar, wie zur Krö­nung des ganzen Quellen-Tumults aus der Ala­nus-Hochschule, auch noch Witzen­mann auf den Hof reiten läßt. Wer Interesse für geschichtli­che Sym­ptome hat, der sollte sich das als Zeitdo­kument beiseite le­gen. Denn solche historischen Belege werden in wenigen Jahren einmal gesucht werden, um kopf­schüttelnd wieder einmal heraus zu finden, wie es bei den Anthroposophen «da­mals» so weit kom­men konnte.

Wie gesagt, man muß die Dinge auch an Steiners Früh­schriften anbinden. Auch die von Traub be­handelte Aristoteles / Fichte Passage von 1908. Zum Beispiel muß man sie auch mit Wahrheit und Wissen­schaft verknüpfen, wo ja im Kap. IV (hier S. 36 ff) eine ganz analoge Situation des schöp­ferischen reinen Denkens behandelt wird, das «als erlebte Tätig­keit gegeben sein muß». Die erleb­te (hervor­bringende) Tathandlung des Denkens führt dort, - (laut S. 38) noch ganz ausdrück­lich ohne Ich-Thematisierung), - zur «intellektuellen Anschauung» reiner Begriffe und Ideen. Dem all­gemeinen Prozedere des Erkennens nach gibt es zwischen dem Erkennen des «Ich» und anderen reinen Be­griffen allerdings keinen Unterschied. Denn in beiden Fällen liegen Erkenntnisleistungen vor, die als erkennende / denkerische Produktivität unmittelbar erlebt werden. Die Besonderheit bei der Er­kenntnis des «Ich» liegt aus dem universalienrealistischen Gesichtswinkel von Steiners späterem Auf­satz (hier S. 102) darin, dass hier «drei Ichs» zusammenfallen: „Wenn Sie das Ich im Denken fas­sen, so ist ein dreifaches Ich vorhanden: ein reines Ich, das zu den Universalien «ante rem» gehört, ein Ich, in dem Sie drinnen sind, das zu den Universalien «in re» gehört, und ein Ich, das Sie be­greifen, das zu den Universalien «post rem» gehört. Das Ich lebt in sich, indem es seinen reinen Begriff hervorbringt und im Begriff als Realität leben kann. Für das Ich ist es nicht gleich­gültig, was das reine Denken tut, denn das reine Denken ist der Schöpfer des Ich. Hier fällt der Be­griff des Schöpferischen mit dem Materiellen zusammen, und man braucht nur einzusehen, daß wir in allen anderen Erkenntnisprozessen zunächst an eine Grenze stoßen, nur beim Ich nicht: die­ses umfassen wir in seinem innersten Wesen, indem wir es im reinen Denken ergreifen.“ - Übertra­gen Sie das, lieber Leser, einmal auf den Begriff der «Kausalität», wie ihn Steiner in Wahrheit und Wissenschaft auf S. 37 f ja auch ex­emplarisch anführt. Frage: Welche Universalien haben Sie vor­liegen, wenn Sie den Begriff der Kausalität denken, und den Prozeß des Hervorbringens, wie es Steiner ausdrücklich einfordert, auch mit erleben? - Vergleichbare Beispiele könnten wir reihen­weise aus Steiners anderen Grundschriften hinzufügen. Weitere Frage: Was geschieht eigentlich mit den von Steiner geschilderten Universalien, wenn Sie, wie Witzenmann behauptet, Ihre aktuel­le Denkaktivität we­gen einem «Erzeugungsproblem» gar nicht erleben könnten? Nun, das ganze Zusammenfallen die­ser drei Ichs aus Steiners Beispiel von 1908 wäre perdu. Ob das Ich respektive das Denken «Begrif­fe hervorbringt» läßt sich dann nämlich nicht mehr empirisch entscheiden. Weil Sie laut Witzen­mann die hervorbringende Pro­duktivität dann ja nicht mehr erleben können, sondern nur noch spe­kulative Hypothesen darüber zu bilden vermögen. Das Erleben der Denktä­tigkeit aber ist erforder­lich, um überhaupt empirisch begründet von einem «Ich in Re» und einem Zusammenfallen der drei Universalienformen zu sprechen. Steiners Universalienb­eispiel ist auch ein hervorragender An­laß, um sich erkenntnistheoretisch diese Verhält­nisse klar zu machen. Wo­mit ich ergänzend noch einmal sagen will: ohne die Rü­ckanbindung an Steiners Begründungs­schriften treibt der Leser an dieser Stelle nicht nur zusammen mit Witzenmann, sondern auch zu­sammen mit Traub im Nebel.

Gehen wir aber weiter: Der von Traub be­handelte histo­risch orientierte und über 40-seitige Auf­satz Steiners Philoso­phie und Anthroposophie aus dem Jahre 1908 ist eine noch relativ kurz gefaß­te, - meinetwegen «Vorstu­die», - aber eine, wie sich schon aus Stei­ners einleiten­den Worten dazu ent­nehmen läßt, die eine ähnlic­he Funktion hat, wie sein spä­teres, weit um­fangreicheres Werk Die Rätsel der Philo­sophie (GA-18), deren Schlußkapitel Skizzenhafter dargestellter Ausblick auf eine Anthroposophie eben­falls wie im von Traub be­handelten Auf­satz zeigen soll, wie sich Steiner den Weg der Geistesges­chichte seit den Grie­chen sachlich einmün­dend denkt in die Anthro­posophie, auf deren erkenntnis­wissenschaftliche Grundlagen er in diesem Zusammen­hang im Skizzen­haften Aus­blick unmißvers­tändlich hin­weist. (Auf die Parallelität in der historischen Orientierung und Funktion von Aufsatz und spä­terer Schrift wird unabhängig von mir auch im von Traub behandel­ten Aufsatz selbst auf S. 73 f hingewie­sen. Siehe zur Entwicklung der Schrift Die Rät­sel der Philo­sophie über verschiede­ne Vorläu­ferstadien auch die Hinweise der Herausgeber in GA-18, 1985, S. 628). In bei­den Fällen, in dem von Traub behandelten Aufsatz und in den Rätseln der Philosophie geht es, wie schon in Stei­ners erkenntniswissenschaftlic­hen Grund­schriften, nicht nur um Selbster­kenntnis, sondern gleicher­maßen um die Natur-Er­kenntnis. Um das extrem problemati­sche äußer­liche Naturer­kennen und ihren Zusammenhang mit der menschli­chen Selbster­kenntnis. - Hier wird übri­gens ein ausführlicher Vergleich von Aufsatz und Schrift sehr ertragreich sein. - Vor allem aber geht es dabei um ein empirisches Verste­hen des Erkenn­ens selbst mit erheblichen Folgen für die Natur-Er­kenntnis. Was man nicht nur auch bei Karl Popper später beobachten kann, der auf sei­ne Art lieber den Energieerhal­tungssatz preis gab als das menschliche Erkenntnis­vermögen. Mit logi­schen Gründen und mit Blick dar­auf, daß die Phy­sik der Zukunft niemand kenne. Karl R. Pop­per, John C. Eccles, Das Ich und sein Gehirn, München 1982, S. 640 ff. Siehe auch, Karl R. Pop­per, Objektive Erkenntnis, Hamburg 1984, S. 232 ff. (Popper, der bei Karl Bühler auch Psycholo­gie studiert hatte, wußte auch über die introspektive Psychologie weit besser Be­scheid, als man­cher philosophische Steiner­forscher heute. Siehe etwa dazu, Popper / Eccles, Das Ich und sein Ge­hirn, München 1977, S. Kap. 30, Das Gespenst in der Maschine, S. 141 ff.) Analog dazu auch Steiner, der laut zwei­tem Kapitel der Phi­losophie der Freiheit die äu­ßere Natur nur den erkennen läßt, dem sie auch im Inneren be­kannt ist. Aber wie schon 2011 ist bei Traub nur eine ganz ober­flächliche akade­misch intel­lektualistische Neugier an Stei­ner vor­handen, die zu nichts Verständ­nisvollem führt, da sie sich auf argumen­tative Ein­zelheiten und Steiners naturwissen­schaftliche In­tentionen wie schon 2011 weder ein­lassen will noch kann. Und mit einem Naturver­ständnis des Denkens und Erkennens, wo es um die phy­sikalische Unabhän­gigkeit die­ses Denkens und Erken­nens geht, überhaupt nichts mehr am sprichwörtlichen Hut hat, obwohl es ein Hauptan­liegen Stei­ners auch im Aufsatz Philosophie und Anthroposophie war, desgleichen schon in sämtlich Früh­schriften – und wahrlich nicht nur dort. Ein proble­matisches Verhältnis des Physikalis­mus zum Er­kennen bei Steiner ausge­sprochen und immer wieder behandelt. In sei­nem von Traub behan­delten Auf­satz von 1908 auf S. 69 etwa repräsentiert durch den namhaf­ten Zeitgenos­sen Du Bois-Rey­mond und seinen be­rühmt ge­wordenen Vortrag Über die Grenzen des Naturerkennens. Ein schwieriges Verhält­nis, das man als moderner Zeitgenosse im Prinzip eben auch bei Wissen­schaftsphilosophen wie Karl Pop­per pro­blematisiert findet, der um diese frag­würdigen Zu­sammenhänge der Erkenntn­is mit einem supponierten Phy­sikalismus offen­bar um einiges bes­ser im Bilde war als der Idea­list Traub, dem offenbar auch ein Du Bois-Reymond aus seiner intellek­tuellen Hartleibigkeit nicht mehr aufhelfen kann, und bei dem es im wesentl­ichen re­gelmäßig und ganz un­verbindlich akadem­isch um «Denkmo­delle» geht, - ein anschein­end be­liebtes Wort bei Traub. Was gelinde ge­sagt aber nur ein nichtssa­gender aka­demischer Hilfs­terminus ist bei jemand­em, dem sonst nichts Brauch­bares mehr dazu einfällt und sich dann in solche Sprachgewohnhei­ten aka­demischer Unverbindlichkeit wie «Denkmo­dell» oder «See­lenmodell» flüchtet. Damit geht man dann auch kein akademisches Risiko mehr ein, denn das kann man auch auf jeden Unsinn anwend­en. Die Gelegenheit wiederum, irgendwo in Stei­ners umfangreiches Werk willkürlich hineinzug­reifen, um daraus beliebige Erklä­rungsmodelle zu spinnen, ergibt sich für einen schlauen Phi­losophen, der damit seine ei­genen Inter­essen ver­folgt, eigentlich immer. Fehlt nur in sämtlichen Fällen, die Traub dort vorführt, der Zusam­menhang mit Steiners Grundlegungs­werk, das er schon 2011 bis zum Ab­winken nicht ver­standen hat, und offenbar auch gar nicht ge­willt ist, aus diesem Sumpf der Verständnislosig­keit irgend­wie zu entkommen. Insofern ist auch der von ihm abgelie­ferte fragmentierte Zu­sammenschnitt ir­gendwelcher gesellschaftlicher Zeitsymptome, Seelenmo­delle und Stei­neraussagen, einem Kaleido­skop zu­sammengewürfelter Werk­fragmente und histori­scher Ver­mutungen zur Rolle der Psycholo­gie, aus denen dann persönliche Er­klärungsmodelle ge­sogen wer­den, für das Ver­ständnis der Quel­lenlage und Steiners erkenntniswissen­schaftliche Wer­kentwicklung weitestgeh­end unbrauchbar. So geht man vor, wenn man das, ohne viel werks­bezogenen Sach­verstand, in ganz relativierender Weise wie alles andere auch, nur zum unver­bindlichen Denk­modell erklären will. Zumal ange­sichts der Tatsache, dass Steiner im Hin­blick auf die Rolle und Ent­wicklung sei­ner Erkenntnistheo­rie ganz un­zweideutig ist. Dies al­les aber wird auch von Traub wei­testgehend ignoriert. Zielführend ist das nicht. Mir scheint diese Art des Umgangs mit Steiner und seinem Werk eher eine Art akademisch / philosophi­sches Mono­poly zu sein, das auch besser in den Kate­gorien irgend einer Spieltheo­rie zu be­schreiben wäre. Und paßt daher zu dem akademischen Gedöns, das in diesem Band über die angeblichen Quellen der Anthroposophie abgeliefert wird, nicht wie der Faust in die Studierstube, sondern wie die Faust aufs Auge.

Wie man auf solchen Fundamenten von Steiners «philoso­phischen Quel­len» über­haupt nur sub­stantiiert re­den kann, das bleibt wohl das Ge­heimnis der dort ver­tretenen Ver­fasser. Des wei­teren, wenn wie bei Sij­mons (S. 261 ff) lang­atmig nur bestätigt wird, was wir von Steiner per­sönlich schon in GA-73a, S. 501 f, hören können, daß nämlich Husserl nie eine Quelle Stei­ners war, dann kann man das noch irgendwie akzeptieren, auch wenn er Steiners ei­gene und klare Auskunft in die­ser Frage schlicht ignoriert oder auch nicht kannte. Wie überhaupt Steiner auch in Sijmons Bei­trag kaum etwas zu sagen hat. Wieder so ein Quellenforscher, der sich nicht um Quellen kümmert, sondern um Nicht-Quellen, ohne Steiner groß um dieses Ver­hältnis weiter zu befragen und näher zu untersuchen, was ihn denn von seiner Nicht-Quelle Husserl unterscheidet, weil das den Leser natürlich sehr interessiert hätte. Zumal ein anderer Phänomenologe, Max Scheler, in Steiners Le­bensgang (GA-28, S. 441 f) in sehr vorteilhaften Farben beleuchtet wird, desgleichen auch im Vor­tragszyklus Fachwissenschaften und Anthro­posophie von 1921, in GA-73a wiederholt als sehr auf­geschlossener Wissenschaftler geschil­dert. Und gleichwohl ebendort, S. 503 als jemand, der als geistvoller Mensch einen so unver­ständlichen Zug zum Katholizismus habe: „Warum katholisiert er so furchtbar stark? Warum sucht er die Anlehnung an den alten Katholizismus? Das ist etwas, was mir doch zeigt, daß diese Philosophen Brentanoschüler sind.“

Steiners sparsamer Auftritt und Stillschweigen bei Sijmons ist denn ebenfalls ziemlich krass ge­raten. So, als habe man Steiner bei den angeblichen «Quellenforschern» ausdrücklich zu langen Schweigeminu­ten vergattert. Das ist in all seiner Schweigsamkeit dennoch ausgesprochen spre­chend. Aber Wage­manns Ar­tikel über Witzen­manns Weg zu den philoso­phischen Quellen der An­throposophie (S. 303 ff) hat, wie schon das Ti­telbild, schlicht und grund­sätzlich das The­ma der gan­zen Aufsatz­sammlung verfehlt. Das ist nur noch ein vollkommen miß­glückter, pseu­do-wissenschaftlicher Kokolores. Wie aus einer akademischen Käserei geliefert. Was ihm wohl selbst klar war, weswe­gen er sich ein­leitend (S. 303-305) um eine schräge Begrün­dung ganz ei­gener Art be­müht, die ihm wohl die we­nigsten interes­sierten Le­ser abnehmen werden, die hof­fen, näheres über Steiners Quel­len zu erfahr­en. Witzen­mann dort einzubauen wird ei­gentlich nur noch verständ­lich, wenn man die Auf­satzsammlung gleich in ganz unsach­gemäßer Weise mit ei­ner Wer­bekampagne für Witzen­mann ver­knüpft. An­ders ergibt das kei­nen rechten Sinn. Entwe­der aber schreibt man über Steiners Quel­len oder über die seiner An­hänger und Rezipienten und deren Verständnis der Sache. Hüh und Hott gleichzeitig geht da nicht. Schon gar nicht wenn es im Titel auch noch groß angekündigt wird und unter akademi­schen Fah­nen aufmarschiert. Das kann mit noch so krampf­haft be­mühten Argu­menten niemand mehr einer Leserschaft verkau­fen, die noch solide bei Ver­stand ist. Denn die Fra­ge wäre ja zudem, warum man unter den zahl­losen und durch­aus namhaften anthro­posophischen Steiner­rezipienten, die lite­rarisch zu Stei­ner hervorgetre­ten sind wie Walter Jo­hannes Stein, Carl Un­ger und vie­le, viele an­dere, deren Zahl hier gar nicht zu benennen ist, aus­gerechnet einen einzi­gen aus­wählt, der bloß dem Aufsatzverfasser Wagemann und dem Herausgeb­er Schieren geistig nahe steht, und alle ande­ren weg läßt. Wie kommt diese willkürliche Selektion zustande? Von zweien (Schieren und Wage­mann), die bislang nicht einmal als ausge­wiesene Spezia­listen für Stei­ners Grund­lagen in Erschei­nung tra­ten, son­dern sogar laut öffentli­chen Bekundungen aus den eigenen Reihen hauptsächlich als Anhäng­er Witzen­manns. Und in die­ser Rolle nicht einmal wissen, wie Steiners Grundlagen und Wit­zenmanns Rezeption dessen über­haupt be­schaffen waren, wie wir von Wagemann oben (sie­he S. oben 44 ff) jüngst anläßlich der Über­setzung von Witzen­manns Strukturphä­nomenologie neuer­lich ge­hört ha­ben. Der da von ei­nem «Forschungsdesi­derat» sprach: Ho­wever, a com­prehensive compari­son of Wit­zenmann’s ap­proach with Stei­ner would go beyond the scope of this introductio­n and hence remains one of the re­search de­siderata of the fu­ture.“ Soll sa­gen: «Keine Ahnung wie das war! - Das wäre in Zukunft noch zu klären.» Daß diese erklärtermaßen nichtsah­nende Anhängerschaft Witzenmanns nun aus­gerechnet Witzenm­ann in ei­nem Quellenband zu Stei­ners nächster und wei­ter zurück­liegender his­torischer / philosophischer Ver­wandtschaft unter­bringen will, ent­zieht sich jeder rationalen Nach­vollziehbarkeit. Denn Wit­zenmann konnte prinzi­piell und historisch keine Quelle für Steiner sein. Dafür kam er schlicht zu spät. Und darüber hin­aus müßte man zwecks Ver­gleich eines einzel­nen Steinerre­zipienten mit Stei­ner erst einmal Stei­ner sel­ber ken­nen, was, wie sie eben­falls selbst sa­gen, aber nicht der Fall ist, um so ei­nen Ver­gleich überhaupt anzu­stellen. Das, Witzen­manns Ver­hältnis zu Steiner, sei nämlich noch ein For­schungsdesiderat, so hör­ten wir dazu nicht nur von Wa­gemann.

Wie man sieht, weiß man dort nicht wirklich Be­scheid über Steiners Grund­lagen, sei­ne Anthroposophie und Witzen­manns Ver­hältnis dazu. Was also hat jetzt Witzen­mann in diesem Sammelband über Steiners philo­sophische Quellen verloren? - Rein gar nichts! Das sagt schon der gesunde Men­schenverstand. Was uns da prä­sentiert wird ist also gedanklicher Krampf und Propaganda, und kann noch nicht einmal durch vorliegen­den Sachver­stand der Mit­wirkenden rechtfertigt wer­den, son­dern lediglich durch die ganz subjekti­ve Hingezogenheit eini­ger zu Witzen­mann, die noch nicht einmal von ihnen selbst mit rationa­len Gründen aus der An­throposophie und Grundlagenkenntnis­sen zu Steiner zu legitimieren ist. Das spottet schlicht jeder Beschreibung. - Da hat doch of­fenbar jemand Inter­essenskonflikte zwi­schen ernsthaf­ter Wissen­schaft auf der ei­nen Seite, und seinen ganz subjek­tiven philoso­phischen Privat­vorlieben für Wit­zenmann auf der ande­ren, die mit einer Erfor­schung von Steiners wissenschaftli­chen Quellen überhaupt nichts zu tun ha­ben. Die Steiner­forschung in­des gerät da­bei unter die Rä­der der Pri­vatinteressen von Witzenmanns ah­nungslosen An­hängern. Wer als Anthropo­soph seine Wissens­chaft, die Anthroposophie und ihren Ruf gründ­lich ruinie­ren und zu einer akademischen Kas­perbude verkommen lassen will, der geht mit aller Aus­sicht auf Erfolg genau so vor und läßt sie zum Witzen­mann-Werbe- und Verkaufs­event verfal­len. Ko­scher ist das nicht, und be­schädigt öf­fentlich nicht nur den Heraus­geber selbst, sondern auch noch die wissenschaftlic­he Seriosität der übri­gen Beteil­igten an die­sem Sam­melband, die sich als Re­ferenten darin wiederfinden und so et­was mit sich veranstalten lassen.

Fassen wir ein wenig zusammen: Man kann Steiners spätere philosophiegeschichtliche Blicke in die idealistische Vergangenheit mit ihren Vorläufern nicht zum Beleg für Steiners philoso­phische Quellen erklären, wenn Steiner davon in seinem Be­gründungswerk nachweislich nie Gebrauch ge­macht hat. Abgesehen von einer recht unspe­zifischen Goetheschen Ideenlehre, von der er sich er­klärtermaßen auch noch unabhän­gig machte, wie in Wahrheit und Wissen­schaft oder der Philoso­phie der Freiheit. So ist denn auch bei Steiner von anderen zeitgenös­sischen Idealisten nicht zu Begründungszwecken die Rede, denn die, - ex­emplarisch etwa Fichte, Schelling und Hegel, - «ste­hen ohne Fundament da», wie es in der Vorre­de von Wahr­heit und Wissenschaft (hier S. 4) heißt. Zur eigenen erkenntniswissenschaftlichen Fundamentbildung schien das dem naturwissenschaft­lich geprägten Empiristen Steiner alles nicht geeignet.

Über Steiners herausragende, immanent-psychologische Quelle Johannes Volkelt und dessen verblüffende Unsicht­barkeit bei den angeblichen Quellenforschern der Alanushochschule.

Als Quelle für diese erkenntniswissen­schaftliche Fundierung kommen sie nicht infrage, oder allen­falls als gedankliches Gegenlager für Steiners eigene klärende Gedankenbildung. Wo­hingegen wieder­um ein Johann­es Volkelt als maß­gebliche Quelle des «Naturwissen­schaftlers» Steiner nir­gendwo bei unseren versam­melten Quellen­forschern aus der Alanushochschule erscheint. Das in­teressierte keinen von den hono­rigen Quelleng­eistern. Dafür aber Ru­dolf Steiner umso mehr. Was in gewisser Weise tief blicken läßt, denn die Frage nach Stei­ners Quellen und ihrer Bewer­tung ist vom Verständnis der Steiners­chen Grundlagenfors­chung nicht zu trennen. Wer sich dort nicht aus­kennt, der wird also auch in der Quellenfrage nicht allzu­tief bli­cken. Denn Vol­kelt wurde von Stei­ner so plakativ als Schlüs­selquelle für seine Grund­lagenforschung be­handelt, daß er einem wissen­schaftlich ori­entierten Geist mit Quellenfra­gen eigentlich nicht entgeh­en kann, sofern der Quellen­forscher sich eben überhaupt für Steiners Grundlagen und ihre Quellen interessiert. Da wir Volkelt nämlich aus Stei­ners Grundlinien... über die «reine Erfahr­ung des Den­kens» (S. 32 ff) bereits gut ken­nen. Und nicht nur das. Steiner nennt Volkelts Erkenntnis­theorie in den Grundlinien(Kap. 6, S. 38) „die bedeu­tendste Leistung der Gegenwart auf diesem Gebie­te“, und in GA-1, S. 146 Vol­kelts Kant-Schrift von 1879, Kants Erkenntnistheorie nach ihren Grundprinzipien analysiert» eine, „die zu dem Besten gehört, was die neuere Philoso­phie her­vorgebracht hat.“ Spart zwar in al­len Fällen nicht mit Kritik an ihm, aber Volkelt war gleichwohl eine der­art wesentlic­he und sicht­bare Wurzel für Steiners frühe psy­chologisch / erfahrungswis­senschaftlich orientierte, erkenntnistheoret­ische For­schung und ihren Fort­schritt, so daß Steiner sich in Wahrheit und Wissen­schaft (Einleitung S. 6) auch noch ausdrü­cklich für Vol­kelts maßgeb­liche Vorarbeit bedankt mit den Worten: „Die folgen­den Erörte­rungen haben die Auf­gabe, durch eine auf die letzten Elemen­te zu­rückgehende Analyse des Erkenntnisak­tes das Erkenntn­isproblem richtig zu for­mulieren und den Weg zu einer Lösung desselben anzuge­ben. Sie zeigen durch eine Kri­tik der auf Kantischem Ge­dankengange fu­ßenden Erkenntnistheorie­n, dass von diesem Stand­punkte aus niemals eine Lö­sung der ein­schlägigen Fragen möglich sein wird. Dabei ist allerd­ings anzuer­kennen, dass ohne die grund­legenden Vorarbei­ten Vol­kelts ... mit ihren gründlichen Untersuc­hungen über den Erfah­rungsbegriff die prä­zise Fas­sung des Begrif­fes des «Gegebe­nen», wie wir sie versu­chen, sehr er­schwert wor­den wäre.“

Halten wir uns vor Augen: Das sagt Steiner in einer Frühschrift von 1892 / 93, und in der Original­dissertation steht es mit Blick auf Volkelt ganz genauso, gleich mit als Allererstes in der Einleitung auf S. 1. Dort noch ohne die vorangehende schärfere Abgrenzung von Goethe, sondern nur mit dem nachfolgenden Hinweis auf S. 2 versehen, dass er (Steiner) in seinen Grundlinieneinen an­deren Weg beschritten habe als in der Dissertation. Die klare Abgrenzung von Goethe mit dem Hinweis versehen, dass sein „Gedankengebäude eine in sich selbst begründete Ganzheit ist, die nicht aus der Goetheschen Weltanschauung abgeleitet zu werden braucht“, erfolgte weit ent­schiedener in der leicht veränderten Buchausgabe der Dissertation, - Wahrheit und Wissenschaft, - die er selbst zeit­gleich für die breite Öffentlichkeit vorgesehen hat, und auf die er später auch im­mer wie­der zurück kommt. Er schreibt das demnach in einem erkenntniswissenschaftlichen Be­gründungswerk, das er selbst Jahre später in der Schrift Von Seelenrätseln auf S. 58 als „meine für meine ganze Weltan­schauung grundlegen­de Schrift «Wahr­heit und Wissenschaft»“ hervorhebt. Ähnlich und ganz regel­mäßig wiederholt sich diese Hervorhebung von Wahrheit und Wissenschaft neben den anderen als «Grundle­gungswerken» auch in an­deren Zusammenhän­gen anthroposophi­scher Natur.

Das will et­was heißen. Man achte weiter darauf, wie viel zeitgenöss­ische oder sachlich ver­bundene Literatur Steiner in seinem Literaturverzeichnis von Wahr­heit und Wissenschaft ebenfalls anführt, die er mehr oder we­niger ja auch verwendet hat. Da hat es schon eine ganz besondere Qualität, wenn er Volkelt so ausdrücklich unter Hinweis auf des­sen hilfreiche Vorarbeit allen anderen vorans­tellt und extra platziert. Was gut zu dem Urteil über den «bedeutenden Erkenntnistheoretiker Volkelt» paßt, den er an anderer Stelle hervorhebt. - Er steht laut öffentlicher Eigenerklärung in der für meine «ganze Weltanschauu­ng grundlegen­den Schrift» Wahrheit und Wissenschaft in ge­wisser Weise auf Volkelts Schul­tern in der Form von Volkelts hochkarätiger Vorarbeit um den Erfahr­ungsbegriff.

Den naturwissenschaftlich orientierten Idealisten Eduard von Hartmann wiederum hat Steiner derart geschätzt, dass er ihm die Schrift Wahrheit und Wissenschaft (hier S. 3) sogar widmet. Er schätzt ihn in seinen naturwissenschaftlich-idealistischen Intentionen aus kritischer Di­stanz, wie wir vor­hin sahen. Aber er baut nie wirklich auf ihm auf im methodisch konstrukti­ven Sinne. Das aber ist bei Johannes Volkelt der Fall, der ihm mit seiner empiristisch / psy­chologisch orientier­ten Erfah­rungsanalyse entscheidende Denkmöglichkeiten für eine voraus­setzungslose Erkennt­nistheorie an die Hand gab, die er ausdrücklich auch noch in Wahrheit und Wissenschaft erwähnt und herauss­tellt. Niemand muß sich daher über Volkelts plakativen Auftritt schon in Steiners Grundlinie­nvon 1886 wun­dern. Bleibt wieder anzumerken, dass von Scholastik und Aristote­les in die­sem von Goethe unabhängigen Begründungswerk Wahrheit und Wissenschaft so wenig die Rede ist wie in der Phi­losophie der Freiheit nämlich gar nicht.

Das ist also eine sehr weitreichen­de Aner­kenntnis Stei­ners für Vol­kelts Bei­trag zumal zur Beob­achtung des Den­kens, wenn man sich vorstellt, wel­che außeror­dentliche Bedeutung die­se Beob­achtung des Denkens in Steiners Grundschriften, für die Frei­heitsforschung, die For­schung über die Leib­freiheit des Denkens, und damit auch für die Ent­wicklung der Geistesfor­schung insgesamt und des an­throposophischen Schulungs­weges hat. Wie auch aus Stei­ners Rechtfertigungsvortrag von 1921 her­vorgeht. Ohne den «bedeutenden Erkenntnistheoretiker» Volkelt und dessen entschei­dende Vorar­beit wäre er damit wohl so weit nicht gekommen, so könnte man Steiners anerkennen­den Hinweis auf Volkelts Beitrag in Wahrheit und Wissen­schaft auch lesen. Der dort ja eingebun­den ist in seine «Unabhängigkeitserklärung» gegen­über Goethe, die am Ende der Vorrede (hier S. 6) stand, der sein Hinweis auf Volkelts frucht­bare Zuarbeit für diese Unabhängigkeit gleich in der Einleitung (hier S. 7) folgt. Das eine, – die ge­dankliche Unabhängigkeit von Goethe, - hatte mit dem anderen, - Volkelts fruchtbrin­gender Vorarbeit, - natürlich sehr viel zu tun. Was letztlich auch nur der wissenschaftli­chen Red­lichkeit Steiners Aus­druck verleiht, wenn er auf solche entscheidenden Helfer in ei­nem akademisch orientierten Buch hin­weist. Volkelt war für ihn enorm hilfreich bei der Ent­wicklung seines ei­genen und von Goethe un­abhängigen Weges bei der Grundlagenfor­schung zu dem, woraus später seine Anthroposophie den eigenen späteren Worten zufolge gewor­den ist.

Daß solche prominenten Hinweise Steiners auf Volkelt nicht einmal in Hartmut Traubs umfangrei­chem Buch von 2011 wahrgenommen wurden, spricht für sich. Wo er sich über Steiners Begriff des «unmittelbar Gegebenen» ab S. 53 seitenlang und verständnislos buchstäblich die Haare rauf­te, ohne irgend einen Blick auf Steiners hervorgehobe­nen Volkelthin­weis zu werfen und dem nachzu­gehen. Was offenbar auch danach nicht geschehen ist, denn in seinem Artikel des Sammel­bandes ist davon immer noch nichts sichtbar geworden. So viel zur Qualität dieser Art von akade­mischer Quellen­forschung.

Volkelt versus Fichte in Steiners Begründungsschriften

Also: Einen besse­ren Unter­stützer als Volkelt gab es zu dieser Frage der Grundlegung offen­sichtlich nicht, denn andere tau­chen dort mit einer derar­tigen Würdigung und so ausdrü­cklicher Referenz nicht auf, wenn man ein­mal vom Literatur­verzeichnis absieht. Auch Fichte wurde eine derartige und anerken­nende Wertschätzung nicht zuteil, dem er ja in Wahrheit und Wissenschaft (hier S. 46 ff) ein ganzes Kapitel VI gewidmet hat. Im Gegenteil hat Steiner Fichte darin nicht nur in der Vorrede S. 4 vorgehalten, dass Fichte «die Grundlagen fehlen», sondern im späteren Kapitel VI auch, daß «das bloße Aufzeigen des inneren Tuns des Ich nicht ausreichend sei». (Hier S. 48) Deswegen spricht Steiner in diesem Fichte-Kapitel (hier S. 49) auch von einer «verfehlten Gestalt von Fichtes Wissenschaftslehre».

Sei noch anzumerken, dass der Begriff des «Gegebenen» auch in diesem Zusammenhang eine be­sondere Rolle spielt, mit dem sich Hartmut Traub in seinem Buch von 2011 verzweifelt ab­mühte, ohne der Klarheit irgendwie nahe zu kommen. Während der für Hartmut Traub schein­bar gänzlich unbe­kannte Johannes Volkelt laut Steiner wesentlich dazu beigetragen hat, er­kenntnistheoretisch die empirische Position Steiners auch gegenüber Fichte zu klären. Im Fichtekapitel Steiners ist nämlich ebenfalls viel vom «Gegebenen» die Rede. Das ist also auch ein Ef­fekt von Volkelts fruchtbarer Vor­arbeit, wie Steiner ausdrücklich in Wahrheit und Wis­senschaft vorausschickt. Von all dem weiß Traub bis heute wohl gar nichts, und ist dem auch nie weiter nachgegangen bei seiner Odyssee durch irgend welche Seelenmodelle und gesell­schaftliche Zeitsymptome. Bis hin zur thematisch abge­hängten Uni­versalienfrage. Alles voll­kommen zusammenhanglos, wo man nirgendwo einen roten Faden erkennt. Und schon gar keinen, der zu Steiners Grundlagen führt, wo er überhaupt erst geknüpft wird.

Auf Fichte ruhen ja seitens der Anthroposophen viele Interessen, die vorrangig mit esoteri­schen Sachverhalten zusammen hängen. Daß und wie weit der Fichtekenner Hartmut Traub da als «An­throposoph» involviert ist, kann ich nicht sagen. Da schätze ich, dass das eher nicht der Fall ist, spielt aber auch für die Klärung von Sachfragen um Fichte nicht die entscheiden­de Rolle. Bei den Anthroposophen aber hat das Interesse noch einen ganz ande­ren Anlass. Um Steiners Fichterezep­tion gab es nämlich noch einen ganz besonderen forschungsrelevan­ten Hintergrund, der eigentlich mehr indirekt etwas mit erkenntnistheoretischen Fragen zu tun hatte, und von Steiner extrem selten in dieser offenen und öffentlichen Form erwähnt wurde. (Näheres dazu auch in der nachfolgen­den Quelle.) Das war nämlich Steiners Begegnung mit dem Wie­ner Kräutersammler Felix Ko­guzki, der ihn laut Steiners autobiographischer Darstel­lung in einem Vortrag von 1913 mit einem von Steiner namentlich nicht genannten Unbekannten zusammenbrachte. Nä­heres dazu können Sie hier auf S. 17 ff nachlesen. Alternativ auch hier derselbe Vortrag aus den Beiträgen zur Dornacher Ge­samtausgabe.

Hören wir einmal in den Vortrag hinein. - Auf S. 18 berichtet Steiner dazu folgen­des: „Mein Felix war gewissermaßen nur der Vor­herverkünder einer an­deren Persönlich­keit, die sich eines Mittels bediente, um in der Seele des Knaben, der ja in der spirituellen Welt darinnen­stand, die regulären, systematischen Din­ge anzuregen, mit de­nen man bekannt sein muß in der spi­rituellen Welt. Es bediente sich jene Persönlichkeit, die nun wieder so fremd wie möglich allem Klerikalismus gegenüber­stand und damit selbstver­ständlich gar nichts zu tun hatte, eigentlich der Werke Fichtes, um gewisse Betrachtungen daran anzuknüpfen, aus denen sich Dinge ergaben, in welchen doch die Keime zu der «Ge­heimwissenschaft» gesucht werden könnten, die der Mann, der aus dem Knaben geworden ist, später schrieb. Und manches, aus dem die «Geheimwissen­schaft» geworden ist, wurde damals in Anknüpfung an Fichtes Sätze erörtert.“

Das sind wohl mit die entscheidenden Sätze in diesem Vortrag. Deswegen noch einmal im Wort­laut: „Es bediente sich jene Persönlich­keit, die nun wieder so fremd wie möglich allem Klerikalis­mus gegenüberstand und damit selbstverständlich gar nichts zu tun hatte, eigent­lich der Werke Fichtes, um gewisse Betrach­tungen daran anzuknüpfen, aus denen sich Dinge erga­ben, in welchen doch die Keime zu der «Geheimwissenschaft» gesucht werden könnten, die der Mann, der aus dem Knaben gewor­den ist, später schrieb. Und manches, aus dem die «Geheimwissen­schaft» ge­worden ist, wur­de damals in Anknüpfung an Fichtes Sätze erör­tert.“

Was hilft uns das jetzt zum Ver­ständnis von Steiners Grundlagenforschung? Zu­nächst ein­mal, möchte man bei­nahe sagen, so gut wie nichts! Einzelheiten der Forschung können wir dem Vor­trag nämlich keine ent­nehmen. Dazu ist die Aus­kunft Steiners viel zu vage. Das einzi­ge was wir diesem sehr frühen Wiener Im­puls durch Steiners un­bekannten Inspirator sicher ent­nehmen könn­ten, ist die faktische Existenz von Steiners Grundle­gungswerken. Das heißt: der erkenntniswissen­schaftlichen Früh­schriften Steiners. Deren ausdrückliche Aufgabe es in Stei­ners Augen war, die Grundla­gen für Steiners spätere Anthroposophie zu legen. Was ja gut zu den von Steiner berichte­ten Ge­sprächen passte. Daß nämlich durch seine Forschung die nach­folgende Anthroposophie sich entwi­ckelt hat. Diese jahrelange Grundlagenforschung, so darf man dann nämlich be­gründet ver­muten, ist auch das direkte Resultat dieser von Steiner be­richteten Be­sprechung. Dum­merweise aber in­teressiert sich für Steiners Grundlagenforschung kaum einer von den Steine­rapologeten und Steinererklärern aus dem Sammelband der Alanus­hochschule.

Also: Wir wissen nicht näher, was da inhaltlich in Wien gesprochen wurde. Und selbst wenn wir das wüß­ten, wären wir angehalten Steiners wirkliches Vorgehen in den Frühschriften mit den Ein­zelheiten dieser Anregungen zu vergleichen, die wir aber im Detail nicht kennen. Was uns folglich bleibt, ist lediglich die begründete Annahme, dass Steiners erkenntniswissen­schaftliche Früh­schriften maß­geblich auch durch diese frühen Gespräche mit impulsiert wur­den. Wenn man also wissen will, was dort behandelt wurde, dann sollte man sich Steiners Frühschriften nä­her an­sehen, denn die wä­ren dann auch ein wesentliches Resultat dieser Im­pulsierung. - Punkt!

Da­mit ist die Sa­che ei­gentlich schon vom Tisch. Weitgehend. Und für den erkenntniswissen­schaftlich orient­ierten Leser. Der «Anthro­posoph» ohne Begründ­ungsinteressen hingegen wird sich womögl­ich in endlo­sen und fruchtlosen Spe­kulationen dar­über verlieren, was da wohl bespro­chen worden sein mag und Ge­heimnisse wittern. Gräbt dann uferlos in seinen Spe­kulationen und ist schließlich froh, wenn er bildlich ge­sprochen ein paar Regenwürmer findet. Dabei könnte er das faktische Re­sulat dieser Be­sprechung di­rekt aus Steiners Frühwer­ken ablesen. Es waren nämlich Steiners Grundle­gungsschriften! Laut Steiners ständig wieder­holter eigener Auskunft. Das wäre sozusagen die handlungslogi­sche Linie. Die Klam­mer, welche von den ge­nannten Wiener Besprechungen di­rekt zur Anthropo­sophie führt. Gut mög­lich, und sogar sehr wahrscheinlich dann auch, dass die Aus­gangslage der Gespräche über Fichte auch die Gefahr im Fichteschen Denken zum Anlaß hat­te, über die «innere Tathand­lung» in das sub­jektivistische Herausspinnen der Welt aus dem Ich abzug­leiten. In einen ab­soluten «Illusionismus der inneren Tathandlung». Gewissermaßen in eine idealistische Varian­te des radikalen Konstruktivismus. Das würde sich jedenfalls nahtlos auch in Steiners Per­manenzkritik an Fichte in sämtlichen Begründungsschriften einfügen. Die innere Tathand­lung al­lein ga­rantiert aber noch längst keine objektive Erkenntnis – so lautet Steiners Vorwurf nicht nur in Ka­pitel VI von Wahr­heit und Wissenschaft, sondern regelmäßig auch in den rest­lichen Früh­schriften gegenüber Fich­te. Das ist es, was in den Früh­schriften besonders markant von Steiner kritisch an Fichtes Tat­handlung, und zwar in allen drei Grundlegungsschriften thematisiert wird. Daß wiederum Fichte wie Schelling und Hegel «ohne Grundlagen dasteht», schreibt Steiner in Wahrheit und Wissenschaft ausdrücklich schon gleich auf S. 4 in der Vor­rede zu ersten Auflage.

Wie gesagt wissen wir aus den Gesprächsin­halten mit Steiners frühem Inspirator nichts Nähe­res über die Einzelheiten bezüglich Fichte. Wir können also nur entspre­chende Vermu­tungen dazu anstellen, auf der Grund­lage dessen was der frühe Steiner dazu in seinem Begründungs­werk wirklich vorge­legt hat. Das aber signa­lisiert ganz unmißverständlich die Grenzen des­sen, was er von Fichte hätte übernehmen können. Dessen Subjekti­vismus jeden­falls nicht. Und ein erkenntniswissenschaftliches Fundament schon gar nicht, denn das sprach Steiner Fichte im Verbund mit Schelling und Hegel schon gleich in der Vorrede zu Wahrheit und Wissenschaft rundheraus ab.

Wenn wir Steiners Vorgehen des Frühwerkes betrachten, und Steiners Hinweise auf den unbe­kannten Impulsator, und diesen als inspirierende Quelle ernst nehmen, dann müssen wir uns mit diesem Frühwerk befassen, von dem Steiner fast unablässig darlegt, dass es die Grundlage seiner späteren Anthroposo­phie ist. Und folglich auch das Resultat dieser Besprechung in der Wiener Frühzeit, wenn man Steiners Vortragshinweis ernst nimmt: Das, was Steiner sozusagen als For­schungskonsequenz daraus für sich selbst gezogen hat. Das wäre ein Resultat davon. - Was wir beispielsweis­e noch wissen, ist Steiners intensives Fichtestudium in der Wiener Frühzeit, wor­über er in seinem Lebensgang (hier, GA-28, S. 51 ff) ausführlicher berichtet. Hier in der jünge­ren Aus­gabe der GA-28 von 2000 auf S. 51 ff. Danach scheint sich Steiner bereits vor der Be­gegnung mit seinem Inspirator näher mit Fichte beschäftigt zu haben. Und was er damit tat, schreibt er in sei­nem Lebensgang (hier S. 50 f). So dass sein an­onymer Gesprächspartner auch auf einen jungen Steiner traf, dem die Werke Fichtes und Kants nicht fremd waren. Wie weit sich dieses Fichtestu­dium dann in Steiners Frühwerk nie­dergeschlagen hat, das kann man beispielsweise seinem Fich­tekapitel in Wahr­heit und Wis­senschaft entneh­men. Im übrigen findet sich dort we­nig über Fichte, wenn man von Steiners kurzer kritischer Bemerkung dazu im Psychologie­kapitel der Grundlinienund später der Fichtekritik in der Philosophie der Freiheit absieht. Affirmatives zu Fichte hat sich im Grundle­gungswerk also relativ sehr wenig erhalten. Und wenn, wie in Wahrheit und Wis­senschaft, dann nicht ohne die maßgebliche Korrek­tur, dass beispielsweise «das Ich in Fichtes Tat­handlung nicht irgend etwas setzt, sondern das Erkennen». (Siehe GA-3, Kap. VI, speziell hier S. 51 f). In sämtlichen Grundschriften überwiegt die entschiedene Kritik an Fichte, und nicht die af­firmative Zustimmung. Für den Erkenntnistheoretiker Steiner liegt die entschei­dende Tathandlung des Ich in diesem Fichte-Kapitel wiederholt darin, «die Idee des Erken­nens zu verwirklichen» (siehe etwa hier S. 52 f). In diese Richtung wird Fichte korrigiert. Oder wenn wir es nicht nur kri­tisch nehmen wollen: präzisiert.

Im Lebensgang (GA-28; hier S. 51 f) heißt es etwa zu Steiners frühen Wiener Fichtestudien: Mir kam es damals darauf an, das lebendige Weben der menschlichen Seele in der Form eines strengen Gedankenbil­des auszudrücken. Meine Bemühungen um naturwissenschaftliche Begriffe hatten mich schließlich dazu gebracht, in der Tätigkeit des menschlichen «Ich» den einzig möglichen Ausgangspunkt für eine wahre Erkenntnis zu sehen. Wenn das Ich tätig ist und diese Tätigkeit selbst anschaut, so hat man ein Geistiges in aller Unmittelbarkeit im Bewußtsein, so sagte ich mir. Ich meinte, man müsse nun nur, was man so anschaut, in klaren, überschaubaren Begriffen ausdrü­cken. Um dazu den Weg zu finden, hielt ich mich an Fichtes «Wissenschaftslehre». Aber ich hatte doch meine eigenen Ansichten. Und so nahm ich denn die «Wissenschaftslehre» Seite für Seite vor und schrieb sie um. Es entstand ein langes Manuskript.“ Das von Steiner genannte Manuskript zu Fichtes Wissenschaftslehre hat sich in Teilen erhalten. Es wird in den Beiträgen Nr. 30 zur Ge­samtausgabe behandelt und findet sich dort auf S. 26 ff. Zu Fichtes «Tathandlung und tätigem Ich» siehe dort S. 31 ff. Wie die Herausgeber der Beiträge auf S. 34 schreiben, stammt Steiners Manuskript aus dem Jahre 1879. Aus einer Zeit, als der Schüler Steiner laut Christoph Lindenbergs Chronik, S. 48 f die Schule gerade verlassen hatte und sich zwecks Studium nach Wien begab. Eins der philosophischen Bücher, die er laut Selbstdarstellung dort bei seinem ersten Besuch in Wien kaufte, war der erste Entwurf von Fichtes «Wissenschaftslehre».

Interessant ist Steiners Bemerkung im Manuskript in den Beiträgen auf S. 33 gegenüber Fich­te, daß von einer «Tätigkeit als solcher» zu sprechen, keinen Sinn habe. Denn die Tätigkeit müsse einen Inhalt haben. Dasselbe Argument wird er nachfolgend rund 8 Jahre später, 1887 auch gegen Eduard von Hartmann vorbringen in der Auseinanderset­zung um Idee und Wille in GA-1, Dornach 1987, hier S. 197. Auch dort richtet Steiner seine Kritik (diesmal ge­gen Hartmann) dahin, «von einem bloßen Wollen zu sprechen sei unstatthaft». Denn das Wollen müsse stets einen Inhalt haben, andernfalls habe man es nur mit einem leeren Drängen zu tun. Der menschliche Wille, so Steiner dort weiter, sei aber die «Idee selbst, diese als Kraft aufge­faßt». Erinnert sei in die­sem Zusammenhang weiter auch an Steiners spätere Behandlung ei­ner Ge­dankenmeditation, die zum Erleben einer «geistigen Willenswirklichkeit» führt GA-35, S. 276 f. Es gibt auch in die­ser speziellen Frage eine klare Kontinuität von Steiners frühem Idealismus zur Methode des späteren Schulungsweges des Anthroposophen Steiner.

Das Erkennen wird auch von Steiner selbstredend als «Tathandlung» betrachtet. Aber eine in­nere Tathandlung allein und isoliert für sich genommen ist für ihn nicht zureichend, um er­kenntnistheoretische Fundamente zu legen. Denn das innere Tun kann sowohl in ein ganz und gar sub­jektivistisches Konstruieren einer philo­sophischen Phantasiewelt einmünden. – Was er zu wieder­holten Malen Fichte in den Frühschriften vorhielt. Oder aber die Tathandlung kann als «Realisie­rung der Idee des Erkennens» in eine echte Er­kenntnishandlung einmünden, die alles andere als subjektivis­tische Wirklichkeitskonstruktionen und -Illusionen er­zeugt. Son­dern als tätige Synthese von Wahrnehmung und Begriff, die ihrerseits nicht vom erkennenden Subjekt nicht geschaffen, sondern ihm «gegeben» sind. Wo der Begriff seinersseits ebenso unabhängig wie die sinnliche Wahrnehmung, als tätige geistige Wahrnehmung vorliegt. Als «intellektuelle Anschauung», wie es in Wahrheit und Wissenschaft (hier S. 37) noch hieß – das heißt: Als «übersinnliche Wahrnehmung».

Als solche Tathand­lung mit objektivem Resultat und Erkenntnissen verstand Steiner das Han­deln des Erkennens. «Das Ich setzt das Erken­nen». Das Erkennen muß vom «Ich» als Synthe­sehandlung gewollt und ver­wirklicht werden. Alles andere als nur eine konstruktive inne­re Tathandlung oder nur das «Ich». Weit davon entfernt, die Welt aus dem Ich heraus zu erfin­den. Wäh­rend laut Fich­tekapitel in Wahrheit und Wissenschaft die Gefahr bei Fichte ganz of­fenkundig sei, die ganze Welt illu­sionär aus dem Ich herauszuspin­nen.

Was bereits den Grundli­nienabzulesen ist, wo er im Kapitel 9 auch den Subjektivismus Fichtes zu widerle­gen meint. Im Psychologiekapitel 18 neuer­lich in Verbin­dung mit der seeli­schen Beobach­tung, wo es etwa heißt: „Fichte sprach dem Men­schen nur inso­fern eine Exis­tenz zu, als er sie selbst in sich setzt. Mit an­dern Worten: die mensch­liche Persönl­ichkeit hat nur jene Merkma­le, Eigen­schaften, Fähig­keiten usw., die sie sich vermöge der Ein­sicht in ihr Wesen selbst zu­schreibt. Eine menschliche Fähig­keit, von der der Mensch nichts wüß­te, er­kennte er nicht als die seini­ge an, er legte sie einem ihm Fremden bei. Wenn Fichte vermein­te, auf diese Wahr­heit die ganze Wissenschaft des Universums begründen zu können, so war das ein Irr­tum. Sie ist dazu be­stimmt, das oberste Prinzip der Psy­chologie zu werden. Sie be­stimmt die Me­thode dersel­ben. Wenn der Geist eine Eigenschaft nur insofern besitzt, als er sich sie selbst bei­legt, so ist die psy­chologische Methode das Vertiefen des Geistes in seine eigene Tätig­keit. Selbsterfas­sung ist also hier die Me­thode.“ So Steiner dort gleich nach der Feststellung, «daß die Psycho­logie die erste Wissenschaft sei, wo es der Geist mit sich selbst zu tun habe.» - Übrigens auch eine Per­spektive, warum Steiner ein so mächtiges Inter­esse an den Arbeiten des «immanent-psycholo­gisch» vorgehenden Erkennt­nistheoretikers Volkelt zeigte. Der kam nämlich mit seiner «immanent psychologischen» Er­kenntnistheorie, - dem Ver­ständnis Volkelts nach eine vorausset­zungslose psychologische Er­kenntnistheorie, - bei dem von Steiner gemeinten «psychologischen Selbsterfas­sen» dem wirkli­chen und wirkenden Geist metho­disch am allernächsten unter seinen philosophi­schen Zeitgenos­sen. Weit, weit näher kam er ihm damit als Fichte.

Wie­derum in der Philosophie der Freiheit machte Steiner Fichtes Absturz in den Subjektivis­mus zum Thema (hier S. 18; und S. 56 ff). Deswegen spricht er in Wahrheit und Wissenschaft auch von der «ganz verfehlten Form», die Fichtes Wissenschaftslehre angenommen habe. - So also, wie es aussieht, das könnte man sehr begrün­det vor dem Hintergrund der Wiener Ge­spräche mit Steiners Quelle, seinem unbekannten Inspirator, sa­gen, galt Steiners Be­handlung Fichtes in wei­tem Um­fang der Gefahr, in den fruchtlosen Illusio­nismus ei­ner Ich-Schöp­fung zu verfallen. In eine selbst­täuschende luziferische Aufblähung des «Ich», zum Weltenschöp­fer, wenn man es aus dem an­throposophischem Gesichtswinkel betrach­tet. Das jeden­falls zeigt durch­gängig Steiners kritische Behand­lung Fichtes in den Frühschrif­ten, die ihrerseits wiederum von der Erfahrungs­analyse Vol­kelts ge­prägt ist, wie man dort lesen kann, und wie Steiner es in seiner Einleitung zu Wahrheit und Wissenschaft auch vorausschickt. Das «Ich» aller­dings ist für Steiner nicht sein ei­gener Schöpfer. Sondern Schöpfer des Ich ist das rei­ne Denken, - so ist es auch auf S. 102 im Auf­satz Philosophie und Anthroposophie zu lesen, von dem Hartmut Traub im Sammelband der Alanushochschule spricht. So steht es analog auch in der Zweitauflage der Philosophie der Frei­heit, im achten und neunten Kapitel.

Fichtes Tathandlung und Volkelts immanent-psychologische Erkenntnistheorie in Steiners Grundlagen, und die Allgegenwart von «Humes Problem» in Steiners Grundlagenforschung sowie im damaligen philosophischen empiristischen Zeitgeist: Kausalitätsforschung mit psychologischen Mitteln

Wohingegen Fichtes «innere Tathandlung» als solche Steiner natürlich nahe stand. Ebenso wie das von Fichte angesprochene «innere Sinnesorgan», und die von Fichte vertretene Auffassung, „dass eine Grundlegung aller Wissenschaften nur in einer Theorie des Bewusstseins bestehen könne“, wie es im Fichtekapitel von Wahrheit und Wissenschaft (hier S. 46) heißt. Insgesamt können Sie Fichtes von Steiner adaptierte und modifizierte innere Tathandlung bei Steiner überall dort ansiedeln, wo das Ich innerlich tätig ist. Und wo diese innere Tathandlung auch als solche erlebt wird. So etwa bei Stei­ners «allerwichtigster Beobachtung, die der Mensch machen kann» aus dem drittten Kapitel der Philosophie der Freiheit. Ferner als Steiners «oberstes Ziel der Psychologie», wo es darauf ankommt, den Menschen als einen Tätigen zu begreifen, wie es in den Grundlinien im Psychologiekapitel heißt. Wiederum können Sie sie an­siedeln beim «Prozeß, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden» aus der Philosophie der Freiheit. Ferner bei der «in­tellektuellen Anschauung» aus Wahrheit und Wissen­schaft. Desgleichen beim «intuitiv erlebten Denken» aus der Philosophie der Freiheit. Überhaupt bei jedem Denk- und Er­kenntnisprozeß, bei dem laut Philosophie der Freiheit «eine Wahrnehmung in die Wirklich­keit erkennend hinein gestellt wird». - Dazu gehört auch die Beob­achtung des Den­kens. Schließ­lich und endlich können Sie diese erleb­te innere Tathandlung ansiedeln bei der Lösung des Kausali­tätsproblems von Kant und Hume. Als einen «erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Be­wirktem», der vom menschlichen Ich beim Erkennen als tätig erwirkter Prozeß durchlaufen wird, und damit bei des­sen Beobachtung auch «als Weltgeschehen durch­schaut» wird, wie es in Goe­thes Weltanschau­ung heißt. (Hier in der Erstauflage von 1897, S. 69 f; und hier in der GA-6 von 1990, S. 84 f.)

Das Weltgeschehen wiederum «durchschaut» man nur, wenn der Zusammenhang von Wir­kendem und Bewirktem klar, und nicht im höchsten Maße zweifelhaft ist wie bei Kant und Hume. Womit Fichte über seine innere Tathand­lung als Kriti­ker und Nachfolger Kants zu­sammen mit dem «Aristo­teliker» Stei­ner, Dilthey und Volkelt, sowie zahllosen anderen Zeit­genossen in je­nen philoso­phischen Strom gehörte, der auf dem Wege war, das von Hume und Kant (besonders auf­schlußreich hier S. 6 ff etablierte) «Fun­damentalproblem von Kau­salität und Welterkennt­nis» auf dem Wege der «inne­ren Beobach­tung», und mit der Frage nach «in­nerer Kausali­tät» zu lösen. Wozu natürlich eine unmittelbar zu erlebende «innere Tathand­lung», zumal des Den­kens und Erkennens, empirisch und philoso­phisch wie geschaffen ist, das näher zu untersu­chen. Als Gegenstand und Objekt der empirischen Beobachtung, und nicht nur als ihr weitge­hend unbekanntes «inneres Werkzeug der Erkenntnis», um es einmal so zu sagen.

Edith Stein über «Humes Problem» und psychologische Kausalitätsforschung

Von diesem Problem Humes und Kants und seiner Lösung auf dem Wege einer Unter­suchung der «inneren Kausalität» schreibt die Husserl­schülerin und dessen Freiburger Assistentin Edith Stein in ihrem Habilitations­entwurf über Psychi­sche Kausa­lität (hier im Edith Stein Ar­chiv, in der Einleitung, und vor dem Hintergrund der Phänomenologie des frü­hen Husserl), dass «die­ses Pro­blem Humes und Kants in fast unüberseh­barer Fülle aus den erkenntniswissen­schaftlichen Unter­suchungen der Jahr­hundertwende direkt oder mittelbar herausleuchte». (Alternativ im Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung, Bd. 5, Halle, 1922, Einleitung, S. 2.) Wobei sich Edith Steins eigener Mentor und Lehrer Husserl, für den schon Freiheitsfragen kein zentrales Kernthema waren wie bei Rudolf Steiner, sich auch für die­ses naturwissenschaftli­che Fundamen­tal-Thema seiner Assisten­tin defi­nitiv nicht interessierte, weswe­gen sie ihre Assis­tentenstellung bei ihm bald darauf quittier­te. Und später vom jüdischen zum christlichen Glau­ben übertrat und Karmeliterin wurde. Was an­gesichts Steiners Arnheimer Vortrag über das Zu­sammenwirken von Aristotelikern und Platoni­kern reich­lich Stoff zum Nachdenken gibt. (Sie­he ausführlichere Ein­zelheiten dazu hier, Kapitel 13.3b, auf der­zeit S. 536 ff.)

Aber hören wir Edith Stein selbst zur Frage der inneren Kausalität, so wie sie einleitend das kom­plexe Problem kurz umriß: Eine fast unübersehbare Literatur liegt bereits vor, die sich mit dem Thema der psy­chischen Kausalität beschäftigt. Begreiflicherweise, da mit diesem Problem höchste philoso­phische Fragen metaphysische und erkenntnis- bzw. wissenschaftstheoretische verknüpft sind. [ ] In dem alten Streit zwischen Determinismus und Indeterminismus taucht die Frage auf, ob das menschliche Seelenleben ganz oder doch einem Teil seines Bestandes nach dem großen Kau­salzusammenhang der Natur eingeordnet ist. Das Problem wird allerdings nicht immer so ge­stellt. Mancherlei und recht Verschiedenes geht unter den Titeln »Freiheit« und »Notwen­digkeit« durch­einander: Bald handelt es sich um die Abhängigkeit des Willens von der theore­tischen Vernunft, bald um die Abhängigkeit des menschlichen vom göttlichen Wil­len, bald um die allgemeine Kau­salgesetzlichkeit. In der neueren Literatur jedoch dreht es sich im wesentli­chen um die letzte Fra­ge. Freilich ist auch diese keineswegs eindeutig. Einmal be­trifft sie das Problem, so wie wir es hier stellten, die Einordnung des Psychischen in den einen Zusammen­hang der Natur: Dann tritt sofort in den Mittelpunkt die Untersuchung der Zusam­menhänge zwischen Psychischem und Physi­schem, und zwar zumeist in der historischen Form der Aus­einandersetzung zwischen psychophysi­schem Parallelismus und Wechselwir­kungstheorie. Da­neben und meist im Zusammenhang mit die­ser Streitfrage wird das andere Problem erörtert, ob vielleicht das Psychische seinen eigenen, der Gesetzlichkeit der physi­schen Natur analogen Notwendigkeitszusammenhang hat. Im Sinne der al­ten Psychologie sind es dann die Assozia­tionsprinzipien, die als Naturgesetze aufgefaßt werden; in neuerer Zeit hört man öfters die Motivation als »Kausalität des Psychischen« bezeichnen (dies be­sonders, wo es sich um die Frage der »Notwendigkeit« des historischen Geschehens handelt). Ohne Zweifel ist in den vielen Untersuchungen, die diesen Problemen gewidmet wurden, vieles Wertvolle herausge­stellt worden. Wenn wir in den folgenden Betrachtungen trotzdem nicht an die­se Untersuchun­gen anknüpfen, sondern ganz von vorn beginnen und einen neuen Zugang su­chen, so hat das seine guten Gründe. Eine systematische Klärung der psychischen Kausalität ist ausge­schlossen, solange man nicht wenigstens einige Klarheit darüber hat, was das »Psy­chische« und was »Kausalität« ist. Daran fehlt es aber in der vorliegenden Literatur noch völ­lig."

Wenn Sie Edith Stein folgen, dann war das Thema «psychische Kausalität» zur Zeit der damali­gen Jahrhundertwende ein nahezu flächendeckender philosophischer Forschungsgegenstand. Wobei der größte Teil der «jüngeren» Forschungsliteratur der Frage der Abhängigkeit des Menschen von der Kausal­gesetzlichkeit der Natur gewidmet war. Also genau dort, wo Steiner sich laut Phi­losophie der Freiheit von der übergreifenden Problemstellung her selbst ansiedelt. Wenn Sie als Leser in Steiners Früh­schriften hineinschauen, dann werden Sie auf Anhieb und fast mü­helos die thematische Verbin­dung zu dieser knappen Kennzeichnung Edith Steins auffinden. Schauen Sie sich nur die Leitfra­ge des 1. Kapitels der Philosophie der Freiheit an: “Ist der Mensch in seinem Denken und Han­deln ein geistig freies Wesen oder steht er unter dem Zwange einer rein naturge­setzlichen ehernen Notwendigkeit? Auf wenige Fragen ist so viel Scharfsinn ge­wendet worden als auf diese. Die Idee der Freiheit des menschlichen Willens hat warme Anhän­ger wie hartnäcki­ge Gegner in rei­cher Zahl gefunden. Es gibt Menschen, die in ihrem sittlichen Pathos jeden für einen beschränkten Geist erklären, der eine so offenkundige Tatsache wie die Freiheit zu leugnen vermag. Ihnen stehen andere gegenüber, die darin den Gipfel der Unwissen­schaftlichkeit erblicken, wenn jemand die Gesetzmäßigkeit der Natur auf dem Gebiete des menschlichen Handelns und Denkens unterbrochen glaubt. Ein und dasselbe Ding wird hier gleich oft für das kostbarste Gut der Menschheit wie für die ärgste Illusion erklärt. Unendliche Spitzfin­digkeit wurde aufgewendet, um zu erklären, wie sich die menschliche Freiheit mit dem Wirken in der Natur, der doch auch der Mensch angehört, verträgt.“ - Auf einen Blick können Sie hier erkennen, wo Steiner mit seiner Frage anzusiedeln ist. Laut Edith Stein bei der «Mehr­heit jener Zeit­genossen, die der Frage nachgehen, wie weit der menschliche Wille in die allge­meine Kausalge­setzlichkeit der Natur einzuordnen ist oder nicht». - Bei diesen «zahlreichen und mehrheitlichen jüngeren Untersuchungen» (Edith Stein) zur psychischen Kausalität siedelt sich nach eigenen Worten Steiner mit seiner Leitfrage ganz unverkennbar selbst an. Und macht von der Antwort auf die Frage: «Ist der Mensch in seinem Denken und Han­deln ein geistig freies Wesen oder steht er unter dem Zwange einer rein naturge­setzlichen ehernen Notwendigkeit? Und: Wie sich die menschliche Freiheit mit dem Wirken in der Natur … verträgt» seine ganze Freiheitsphilosophie abhängig. Insofern ist es nur konsequent, wenn er dann am Ende von Kapi­tel Zwei und in Anlehnung an Goethes Hymnus «Die Natur» nach dem Wirkenden der Na­tur im eigenen Inneren fragt. Damit folgt er ganz derselben Linie, wie sie Edith Stein für die umfangrei­che «in­nere» Kau­salitätsforschung ihrer Zeit kennzeichnet. Mit einer vorsichtigen Anlehnung an den Idealismus Goethes im Fall Steiners. Und der nachfolgenden «allerwichtigsten Beobachtung, die der Mensch machen kann» im Folgekapitel Drei.

Wenn Sie darüber hinaus noch Edith Steins anschliessender historischer Behandlung des Kausalitätspro­blems folgen, dann wird es Ihnen damit genau so ergehen: Sie können fast auf Anhieb die verschie­denen Zusammenhänge mit Steiners Frühschriften erkennen. Edith Stein schreibt in der Einleitung weiter: Der Kausalbe­griff hat sich noch heute nicht von dem Schlage erholt, den ihm Humes ver­nichtende Kritik ver­setzte (trotz des skeptischen Wi­dersinns in sei­ner Me­thode, die auf Grund ei­ner kau­salen Betrach­tung den Kausalbegriff auf­löst). Der Geist der Hu­meschen Kritik ist in allen modern­en Behandlun­gen des Problems durchzu­spüren – trotz Kant und der »endgültigen Lösung«, die man ihm zuzu­schreiben pflegt. Und das ist gar kein Wun­der. Denn was Hume suchte und schließ­lich als un­auffindbar zu er­weisen glaubte – das Phä­nomen der Kausalität –, das hat auch Kant nicht auf­gezeigt. Er teilt vielmehr offenbar in die­sem Punkte Humes An­sicht und folgert aus der Un­aufweisbarkeit der Kausali­tät, die er aner­kennt, die Notwendig­keit, die Untersuchung auf ei­nem ganz anderen Boden fortzuführen. Er deduziert Kausalität als eine der Bedingungen der Möglich­keit einer exakten Naturwissen­schaft, er zeigt, daß Na­tur im Sinne der Naturwissen­schaft ohne Kausali­tät nicht denkbar ist. Das ist ein unanfechtba­res Ergebnis, aber es ist keine Erledigung des Kausalpro­blems und kei­ne befriedigende Ant­wort auf Humes Frage. Hume kann nur auf sei­nem eigenen Boden über­wunden werden oder richtiger: auf dem Boden, auf dem er seine Be­trachtung durchzuführen suchte, den er selbst aber nicht genügend methodisch zu sichern ver­mochte.“

Der «Kant-Überwinder» Steiner im Forschungsverband um das empirische Begründungsproblem der Naturwissen­schaft

Ru­dolf Steiner, Fich­te, Volkelt, Wil­helm Dil­they und Edith Stein sind nur fünf pro­minentere Bei­spiele für diese Sachla­ge, welche das Denken die­ser Zeit in hohem Maße prägte. Nämlich das «em­pirische Begründungs­problem der Na­turwissenschaft schlechthin», wenn man Edith Stein, Wilhelm Dilthey, Rudolf Stei­ner, Johannes Volkelt und all den anderen folgt, die dem nachgin­gen. Verständlich ist es daher, dass jemand, der «Kant überwinden» will, wie Rudolf Steiner in Wahrheit und Wissen­schaft (Vorrede von 1892) betont, auch keine Mühe scheut, das Kausalitäts­problem von Kant und Hume zu lösen, denn das ist die Voraussetzung zu Kants Überwindung. Andernfalls würde aus Steiners Überwindung Kants nichts werden. Folglich wird er den selben Weg beschreiten wie Edith Stein und viele andere damals, um es auf dem Wege der inneren Be­obachtung zu bewälti­gen. So war es bei Steiner auch. Denn ein­leuchtend ist angesichts dessen ebenso, dass «innere Tathandlung­en», die der Mensch beim Er­kennen, Denken und Vorstel­len selbst unmittelbar er­lebt, eine außer­ordentlich gro­ße empirische / erkenntniswis­senschaftliche Rolle spielen müssen bei der Lösung dieses Kant / Humeschen Problems. Wie es bei Fichte, Vol­kelt, Steiner, Wil­helm Dilthey und allen an­deren der Fall war. So auch beim denkpsychologi­schen Zeitgenos­sen Oswald Külpe, der darüber, über diese innere Aktivität und ihre psycholo­gisch / phi­losophische Bedeutung, in einem längeren Artikel Über die moderne Psychologie des Denkens (S. 297 ff, spe­ziell S. 310 ff) schrieb. Wo es mit besonderer kritischer Stoßrichtung gegen die veraltete Assoziationspsychologie und ihre wirklichkeitsfremden chemischen Analogien des Denkens auf S. 309 ff heißt:

Es ist bezeichnend, daß eines der ersten Ergebnisse unserer Denkpsychologie negativ war: die von dem bisherigen Begriffsmaterial der experimentellen Psychologie zur Verfügung gestellten Termini der Empfindung, des Gefühls, der Vorstellung und ihrer Verbindungen gestatten nicht, die intellektuellen Prozesse zu fassen und zu bestimmen. Aber auch der neue, durch die Beob­achtung der Tatsachen aufgezwungene, mehr eine Umschreibung als eine Beschreibung ermögli­chende Begriff der Bewußtseinslage reichte dafür nicht aus. Schon die Untersuchung primitiver Leistungen des Denkens zeigte alsbald, daß auch Unanschauliches gewußt werden kann, daß die Selbstbeobachtung ungleich der Naturbeobachtung wahrzunehmen, als vorhanden und in be­stimmter Beschaffenheit ausgeprägt festzustellen vermag, was weder farbig noch tönend, was weder bildhaft noch gefühlsmäßig gegeben ist. Die Bedeutungen abstrakter und allgemeiner Ausdrücke sind auch dann im Bewußtsein nachweisbar, wenn sich außer den Worten nichts An­schauliches entdecken läßt, und werden selbst ohne Worte oder andere Zeichen erlebt und verge­genwärtigt. Der neue Begriff der Bewußtheit brachte diese Tatsachen zum Ausdruck. So wurde das starre Schema der bisher allein anerkannten Elemente des Seelenlebens in einer wichtigen Richtung erweitert. [ ] Die experimentelle Psychologie ist damit vor neue Erfahrungen gestellt, die nach allen Seiten große Perspektiven eröffnen. Zu den unanschaulichen Tatbeständen gehö­ren nicht nur gewußte, gemeinte, gedachte Gegenstände mit ihren Beschaffenheiten und Bezie­hungen, sondern auch Sachverhalte, die sich in Urteilen ausdrücken lassen, und die mannigfa­chen Betätigungen, die Akte oder Funktionen, mit denen wir zu den gegebenen Bewußtseinsin­halten Stellung nehmen, sie ordnen und bestimmen, sie anerkennen oder verwerfen. Konnte man sich auf Grund der Empfindungs und Vorstellungslehre eine Mosaikstruktur des Seelenlebens und eine automatische Gesetzmäßigkeit im Kommen und Gehen der Bewußtseinselemente zu­rechtlegen, so war jetzt einer solchen Vereinfachung und Anlehnung an chemische Analogien der Boden entzogen. Nur noch als künstliche Abstraktionen, als willkürlich herausgelöste und verselbständigte Bestandteile konnten die anschaulich gegebenen Inhalte gelten. Innerhalb eines vollen Bewußtseins aber wurden auch sie zu Teilerscheinungen, von Auffassungseinflüssen ver­schiedener Art abhängig und in einen Zusammenhang geistiger Prozesse gestellt, der ihnen erst Sinn und Wert für das erlebende Subjekt verlieh. So wenig das Wahrnehmen als ein bloßes Ha­ben von Empfindungen charakterisiert werden konnte, so wenig war das Denken als ein assozia­tiver Ablauf von Vorstellungen zu begreifen. Die Assoziationspsychologie, wie sie von Hume begründet worden war, hatte ihre Alleinherrschaft eingebüßt. [ ] Die Unabhängigkeit der Gedan­ken von den Zeichen, in denen wir sie ausdrücken, ebenso wie die eigentümlichen, freien, von den Gesetzen der Vorstellungsassoziation nicht beeinflußten Beziehungen, die sie miteinander eingehen, haben uns die Selbständigkeit der Gedanken als einer besonderen Klasse von Bewußt­seinsinhalten dargetan. Damit aber erweitert sich nun auch das Gebiet der Selbstbeobachtung in beträchtlichem Umfange. Nicht nur das Anschauliche, Sinnfällige und dessen Beschaffenheiten und Färbungen gehören zu unserem Seelenleben, sondern auch das Gedachte, Gewußte, an dem wir keine Farbe oder Gestalt, keine Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit wahrnehmen kön­nen. Wir wissen, wie schon die alltägliche Erfahrung lehrt, daß wir über eine große Spontaneität im Suchen, Aufnehmen und Erfassen von Gegenständen, in der Beschäftigung mit ihnen, in der Wirkung auf sie verfügen. Auch von dieser Aktivität der Seele hatte die Psychologie bisher nur wenig Notiz genommen. F. A. Lange hatte das Wort von der wissenschaftlichen Psychologie ohne Seele geprägt, in der die Empfindungen und Vorstellungen mit ihren Gefühlstönen die al­leinigen Bewußtseinsinhalte seien und die Psychologie darüber zu wachen habe, daß sich keine mystischen Kräfte wie etwa ein Ich in diese psychologische Welt einschlichen. Man dürfte exak­terweise nur noch sagen: es denkt, nicht aber: ich denke, und das Spiel solchen Denkens bestand in nichts anderem, als in dem durch Assoziationsgesetze geregelten Kommen und Gehen der Vorstellungen. Es gibt noch heute Psychologen, die sich über diesen Standpunkt nicht erhoben haben. Ihnen gilt der Vorwurf, daß ihre Psychologie wirklichkeitsfremd ist, sich in einer abstrak­ten Region bewegt, den Zugang zu der vollen Erfahrung weder sucht noch findet. Sie sind es, die den Vertretern der Geisteswissenschaft, die allenthalben nach psychologischer Begründung ver­langen, Steine statt des Brotes bieten, und die auch der den Anschluß an die Psychologie erstre­benden Biologie nicht zu raten und zu helfen wissen. Wahrlich ein eigentümliches Schau­spiel, daß diejenigen, die ex professo ausgehen, das Seelenleben zu erforschen und zu erkennen, an dessen Außenwerken stehen bleiben und sich mit dem Hallerschen Spruche trösten: ins Innre der Natur dringt kein erschaffner Geist.“ [Hervorhebung MM; in Külpes Original von 1912 heißt es „Wahrlich“. In Bühlers späterer Ausgabe von 1922 ist offensichtlich ein Fehler unterlaufen, so dass dort „Wahrscheinlich“ steht. Was allerdings an dieser Stelle keinen rechten Sinn ergibt. Bei Paul Ziche, 1999, S. 53 ist es ebenfalls korrekt mit „Wahrlich“ aufgenommen worden.]

Erstmals veröffentlicht wurde dieser Bericht von Külpe im Jahre 1912 in, Internationale Monats­schrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, 6, 1912, Sp. 1069-1110. Zum sinnlichkeitsfreien / anschauungslosen Denken siehe dort die Spalten 1084 ff. Wie der Leser bereits an diesem kurzen zitierten Ausschnitt erkennen kann, ging es Külpe nicht nur um die Unanschau­lichkeit und Eigenständigkeit der Gedanken, sondern auch wesentlich darum, die mechanisti­schen Vorstellungen vom Seelenleben und zumal des Denkens und Urteilens empirisch zu korrigieren, die von einer veralteten Assoziationspsychologie Humes und seiner Nachfolger nach dem Modell ei­nes automatisch verlau­fenden Chemismus des Seelenlebens ausgebildet worden waren. Die als veraltete, aber einflußreiche mechanistische Psychologie auch we­nig Interesse an der direk­ten Erforschung der seelischen Tatsachen zeigte, und jede Eigenaktivi­tät des Menschen im Be­wußtsein kategorisch leugnete. Obwohl, wie Külpe schreibt, diese Eigen­aktivität jeder ge­wöhnlichen vorwissenschaftlichen Selbstbe­obachtung schon ohne weite­res zugänglich war. Wie wir es analog dazu auch von Steiner in Wahr­heit und Wissenschaft im Kapitel Vier und öfter annähernd 20 Jahre vor Külpe, und noch früher 1886 in Steiner Grundlinien unter dem Stichwort «Erlebter Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem» bereits lesen können.

Die na­türliche Verbindung von Psychologie, Er­kenntnistheorie, Naturwis­senschaft, Kausalitäts­fragen und Platonismus / Universalienrealismus liegt, wie man an solchen Darstellungen sieht, einfach auf der Hand. Was bei Steiner bereits im Zusammenhang mit der Frage von Ursache und Wirkung in seiner kurzen Kontroverse mit Eduard von Hartmann von 1887 ange­legt ist in den Einleitungen in Goethes Naturwissenschaftliche Schriften, (GA-1, hier S. 197), wonach «Wille die Idee selbst sei, diese als Kraft aufgefaßt». (In der Kürschnerausgabe von Bd 34, 1887, auf S. XLV). Wie gesagt: dies von Steiner gegen Hartmann mit idealistischer Betonung so ausgeführt vor dem Hintergrund der Frage nach dem Zusammenhang von Ursache und Wir­kung. Dem spä­ter (1920, in GA-202, S. 202 ff), zwar aus dem anthroposophischen Gesichtswin­kel, aber mit Blick auf die Neuauflage der Philosophie der Freiheit der Hinweis folgte, «das reine Denken der Philosophie der Freiheit sei eben­sogut als reiner Wille zu verstehen».

Bedeutung der Kausalität für die naturwissenschaftliche Welterklärung: Beispiel Hume

Warum wiederum die sichere Klärung von Humes und Kants Problem der Kausalität damals (und heute nach wie vor) eine so große Bedeutung für die Welterklärung hat, können Sie auch sehr anschau­lich einer Schrift von Alois Riehl aus dem Jahre 1908 entnehmen, mit der wir ergänzend die von Edith Stein illustrierte Sachlage kurz beleuchten. Der dort auf S. 119 f über David Hu­mes Einschätzung der Kausalität schreibt: „... alle Folgerungen von Tatsachen gründen sich, es sei näher oder ferner, unmittelbar oder mittelbar, auf die Beziehung von Ursache und Wirkung. Alle Erfahrungsschlüsse sind kausal­e Schlüsse; die Kausalität ist nicht bloss das oberste, sie ist das ein­zige Prin­zip der Er­kenntnis von Tatsachen, das einzige Prinzip der Erfahrung. Die Erfahrung prü­fen heisst mithin die Kausalität prüfen, und darum steht bei Hume die Prüfung des ursächlichen Verhältnisses im Mittelpunkt der Kritik der Erfahrung. [...] Kausalität ist die einzige Form, Begriffe mit Tatsachen zu ver­binden, der einzige Weg, der über blos­se Begriffe hin­ausführt zu Erfahrung und Wirklichkeit. Die Wissenschaft gebraucht den Kausalsatz als Voraussetzung; sie muss ihn als zugestanden, als er­wiesen ansehen, denn er ist für sie ein methodischer Satz, der ihr Verfahren leitet, die Anweisung, Gesetze der Dinge zu su­chen; daher seiner allgemeinen Form nach vielmehr ein Gesetz der Erfor­schung der Na­tur, als unmit­telbar ein Gesetz der Natur selbst. Alle wissenschaftlic­he Erwartung und Voraus­sicht gründet sich auf diesen Satz, ebenso aber auch alle Klugheit und Berechnung des gewöhnlichen Lebens.“ (Alois Riehl, Der philosophische Kritizismus, Bd. 1, Leipzig 1908, S. 119 f.) Dahinter steht, wie Riehl nachfolgend noch ausführt, natürlich auch eine wohlbekannte Tatsache der Philosophie und Wissenschaftstheorie. Nämlich der «Satz vom Grund» und vom «ausgeschlossenen Dritten». In­sofern ist sehr erhellend, mit Blick auf das Kausalproblem die damalige Zeitlage um Steiner dar­gelegt zu bekommen. Die zentrale Frage der Naturerklärung und der Orientierung in der Wirk­lichkeit ist die nach den darin vorhandenen Wirksamkeiten und ihren Zusammenhängen, den Ursache-Wirkungs-Beziehungen.

Das ist die eine Seite der Naturerklärung: Die regelmäßige und umfassende Anwendung des Prinzips von Ursache und Wirkung auf sämtliche Erscheinung der Erfahrungs-Wirklichkeit. Dem steht im scharfen Kontrast die andere Seite gegenüber: Nämlich für das Prinzip von Ursa­che und Wirkung in der Erfahrung keine empirische Begründung finden zu können. Was sich in der von Riehl zitierten Passage bereits andeutet in Worten wie: „Die Wissenschaft gebraucht den Kausalsatz als Voraussetzung; sie muss ihn als zugestanden, als er­wiesen ansehen, denn er ist für sie ein methodischer Satz, der ihr Verfahren leitet, die Anweisung, Gesetze der Dinge zu su­chen; daher seiner allgemeinen Form nach vielmehr ein Gesetz der Erfor­schung der Na­tur, als unmit­telbar ein Gesetz der Natur selbst.“

Die Wissenschaft baute nach Riehls Worten permanent bei der Naturforschung auf einem vorausgesetzten Kausalprinzip auf, obwohl es für sie höchst unge­wiß war, ob es überhaupt gilt, weil sie keinen empirisch sicheren Beleg dafür nennen konnte. Deswe­gen bezeichnet Riehl den Kausalsatz als einen «bloß methodischen Satz, der mehr für die Erfor­schung der Natur gelte, als für die Natur selbst.» Ein lediglich regulatives Prinzip für die Natur­forschung ohne Anspruch auf Geltung für die Natur. In erster Linie also pragmatisch / pragmatis­tisch zu nehmen und nicht mit dem Anspruch versehen, sich der Natur tiefgründig auf­klärend und sie verste­hend zuzuwen­den. Und insofern in dieser Form auch keine ernstzunehmende Basis für eine gründliche Frei­heitsforschung, die nach der Abhängigkeit des menschlichen Denkens und Handelns von der Na­turkausalität fragt. Weil die Lage für die Naturwissen­schaft aus der Sicht ernsthaf­ter Philo­sophen und Na­turwissenschaftler ein ungeheures Dilemma war: Näm­lich ihre vom Kausal­prinzip ge­leitete Na­turforschung faktisch ebenso auf einem bloßen dogmati­schen Glauben grün­den zu müssen wie andere ihren vorwissenschaftlichen Glauben an Gott und jenseitige Geis­ter. Denn wo man etwas «sachlich nie er­reichen kann» wie im Fall des Zusammenhangs von Wirken­dem und Be­wirktem bei Kant und Hume, da tritt an die Stelle des sachlich begründeten Wissens der wis­senschaftlich unbegründete Glaube. Deswegen sprach Steiner in diesem Fall im Kapitel 14 der Grundlinien mit Blick auf Kant vom «Dogmatismus» der Offenbarung und der Erfahrung.

Besonders klar und übersichtlich zusammengefaßt wird Humes Stellung zum seiner (Humes) Meinung nach un­lösbaren Kausalitäts­problem von Steiners Zeitgenossen Robert Reinin­ger in dessen Schrift Locke, Berkeley, Hume von 1922 auf S. 168 – 170. Dort heißt es resümierend auf S. 169 f zu Humes Auffassung: Demonstrativ erkennbar oder a priori be­weisbar sind also weder der Kausalsatz noch die einzelnen Kausalurteile. Der Begriff der «Notwendig­keit», den sie enthalten, hat also mit der logischen Denknotwendigkeit nichts zu tun. Ebenso­wenig sind sie aber auch intuitiv oder durch unmittelbare Erfahrung einzuse­hen. Die Notwen­digkeit, welche beide von der kausalen Verbindung aussagen, beruht letzten Grun­des auf der Annahme einer Kraft, welche, der «Ursache» innewohnend und von ihr ausgehend, das Auf­treten der «Wirkung» genannten Erscheinung erzwingt. Empi­risch gerechtfertigt wäre diese Annahme aber nur dann, wenn es gelänge, in der Reihe der Perzeptionen eine Impressio­n auf­zuzeigen, als deren Kopie diese Idee einer Wirk­samkeit (efficacy), eines treibenden Agens (agency), einer Macht (power), Kraft (force), Energie (energy), objektiven Notwendig­keit (ne­cessity), inneren Verknüpfung (connexion) oder eines schöpferischen Vermögens (pro­ductive quality) angesehen werden könnte. Denn da die genannten Aus­drücke ungefähr syn­onym sind, würde sich jede Erklärung im Zirkel bewegen, welche einen von ihnen durch ei­nen anderen erläutern wollte. Eine Impression der «Kraft» oder des „Wirkens" findet sich nun in der äuße­ren Erfahrung nirgends. Die Wahrnehmung zeigt uns immer nur die mit gewisser Regelmäßig­keit sich wie­derholende räumlich-zeitliche Berührung bestimmter Phä­nomene, aber nie­mals das Band, das sie miteinander verknüpft. Wenn wir die Hand einer Flamme nä­hern, so folgt auf deren Berüh­rung die Empfindung der Hitze; wenn eine bewegte Kugel auf eine ru­hende aufstößt, folgt die Bewegung der letzteren; das ist alles, was uns die Beobach­tung zeigt. Nie­mals aber nehmen wir wahr; wie es die eine Erscheinung anfängt, die andere hervorzuru­fen oder ihr Auftreten zu erzwingen. Nur das regelmäßige Verbundensein (conjunc­tion) zweier Er­scheinungen ist Sache der Erfahrung, nicht die Notwendigkeit ihrer Verknüp­fung (connexi­on). Aber auch die innere Wahrnehmung bietet keine direkte Im­pression dieser Art. Denn auch je­nes Kraft- oder Wil­lensgefühl, das wir erleben, wenn wir eine Bewe­gung unseres Leibes aus­zuführen beabsichti­gen, oder jenes Gefühl der Anstrengung (nisus) bei Überwindung von Wi­derständen sind kein Urbild der Kraft in dem hier gemeinten Sinne. Soll­ten sie das sein, so müßten wir unmittelbar wahrnehmen, wie unser Wille es anfängt, den Arm zu bewegen, d. h. wir müßten die Impressi­on seiner kausalen Wirksamkeit besitzen. Nichts ist aber dunkler und geheimnisvoller als der Zusammenhang von Seele und Leib, und auch die Herrschaft des Wil­lens über unseren Geist ist um nichts begreiflicher. Daher mußten auch noch alle Naturphilo­sophen zugeben, daß das letzte Wesen der wirkenden Natur­kräfte uns vollkommen verborgen bleibt. «Wir haben also keinen Eindruck», so schließt Hume diese Un­tersuchung, «der irgend etwas von Kraft oder Wirksamkeit in sich schlösse; wir haben also keine Vorstellung von Kraft.» Da aber jene «Notwendigkeit» des Geschehens, welche das Kausalprinzip behauptet, an der Vorstellung ei­ner Kraft hängt, welche das Erfolgen der Wir­kung erzwingt, so fällt auch sie dahin: «Notwendigkeit» ist weder demonstra­tiv noch intuitiv, und folglich gar nicht zu begründen. Damit kommt auch unser Ver­trauen in die Gleich­mäßigkeit des Natur­laufs ins Wanken; denn da unser Wis­sen von ihm nur so weit reicht wie unsere bisherige Er­fahrung, ist auch unsere Voraussetzung der Wieder­kehr des Gleichen unter glei­chen Umstän­den ihrer Grundlage beraubt. Das Ergeb­nis ist also, daß sich das Kausal­prinzip er­kenntnistheoretisch nicht legiti­mieren läßt. Die Assoziation nach Ur­sache und Wir­kung wird damit nicht unterbunden, denn in ihr unter­liegen wir einem psycho­logischen Zwan­ge. Wir wissen aber nun, daß es sich auch hier nur um eine Täuschung der Ein­bildungskraft handeln kann, und daß daher allen «Erklärung­en» und Voraussagen, wel­che sich auf die­ses Prin­zip stützen, selbst jede bindende Kraft abge­ht".

Damit, lieber Leser haben Sie einen Eindruck davon, wie es um die kausale Naturerklärung und ihre Grundlagen damals stand. Anspruch und Wirklichkeit: der Kontrast zwischen Erklärungsnor­malität, Erklärungsnotwendigkeit und Begründungsdefizit könnte größer kaum sein: Das laut Hume «oberste und einzige empirische Erklärungsprinzip der Welt» (Riehl) stellt sich, salopp ge­sagt, aus der Sicht Humes als empirische Luftbuchung heraus, weil es keiner­lei erfahrungswissen­schaftliche Begründung dafür gibt, wie Hume und mit ihm Kant glaubten. Wie Sie bei Kant in der Vor­rede seiner Prolegomena (S. 6 ff) ebenfalls nachlesen können: Daß es nämlich für Kant, und zwar in ausdrücklicher Übereinstimmung und in An­lehnung an David Hume, der ihn erst «aus sei­nem dogmatischen Schlummer weckte», keinerlei empirische Be­gründung für die Gel­tung des Kausalitätsprinzips gibt. Deswegen greift Kant in seiner Not zur Meta­physik, wie auch Edith Stein vorhin fest­stellte: Entwickelte aus rein metaphysischen Über­legungen her­aus ein Kausalitätsprinzip, von dem gar nicht klar war, ob es in der «Wirklich­keit» überhaupt Bestand habe. Machte stattdessen auf der Basis von Humes Kausali­tätsproblem laut Prolegomena (hier S. 7) in seiner Kritik der reinen Vernunft die Kausalschlüsse zum Muster­fall von metaphysischen Vernunftschlüssen überhaupt: Ohne irgend eine empirische Legi­timation. Danach fragte bis auf kritische Zeitgenossen auch niemand mehr, sondern gab sich mit dem scheinbar Un­vermeidlichen ab. Nämlich für die Wirklichkeit kein gültiges Erklärungs­prinzip auf empirischem Wege finden zu können. Vor diesem Hintergrund wiederum ist auch Kants «kopern­ikanische Wende» aus der Kri­tik der rei­nen Vernunft verständ­lich, da­hingehend: wenn man der Na­tur die Gesetze schon nicht ablesen kann, man sie ihr dann eben vor­schreiben muß. (Siehe Vorre­de zur Kritik der reinen Ver­nunft, 2. Auflage, hier S. 10). Es herrschte wissen­schaftlicher Begründungs­notstand und subjektive Willkür in Rein­kultur, wie man daran sieht. Mit nach­folgendem Irrealism­us in der Na­turerklärung. So wie es Steiner schon in den Grundli­nen im Kapitel 14 (hier S. 80 ff) feststellte. So, wie er es auch in den Rätseln der Philosophie für diese und seine eigene Zeit kenn­zeichnet: «Die Welt als Illusion». Was er unter dem Topos «Flucht aus der Natur» aber auch zum Ende des zweiten Kapitels der Philosophie der Freiheit bereits angesprochen hatte. Etwas «naturwissen­schaftlich Sicheres», das als stabile Er­kenntnis aus den Erfah­rungswissenschaften hervor­geht, um noch einmal einen Ausdruck Steiners aus seinem erwähnten Vortrag vom 25. Mai 1921 an dieser Stelle zu verwen­den, gibt es aus der Sicht Humes und Kants definitiv und grundsätzlich nicht. Wenn wir also so etwas anneh­men wie ein Kausalprinzip, dann unterliegen wir nach Hume lediglich einem psycho­logischen Denk­zwang und sonst nichts.

Für die Naturwissenschaft wäre dies gelinde gesagt eine höchst blama­ble, oder doch zumindest über­aus frustrierende Sachla­ge, weil sie damit nämlich nicht mehr Ernst zu neh­men wäre mit ihren angeblich objektiven Welter­klärungen. Eine Einschätzung, die übri­gens auch der Philosoph Karl Popper des öfteren in seinen Werken teilt. Weil, wie Popper schreibt, mit den derart physi­kalistischen oder psycholo­gistischen Unterstellungen das logisch verankerte mensch­liche Er­kenntnisvermögen ei­nem pri­mitiven und begründungsunfä­higen Psy­chologismus / Physi­kalismus geopfert wird. Fällt aber das logisch verankerte menschli­che Erkenntnisver­mögen weg, dann laut Popper auch jedes Erkennen einschließlich des damit scheinbegrün­deten Psychologismus / Phy­sikalismus. (Siehe etwa, Popper / Eccles, Das Ich und sein Gehirn, München 1982, S. 105 ff; so­wie Karl R. Pop­per, Objekti­ve Erkenntn­is, Hamburg 1984, S. 232 ff.) Ein psychologisch / physi­kalistisch postulierter «Mechanismus des Seelenlebens» ist mit den Prinzipien des Erkennens schlechterdings unvereinbar.

Kants philosophische Verbindung zu David Hume laut Kants eigenen Worten

In der Vorrede zu seinen Prolegomena stützt sich Kant besonders prägnant, und wie bereits weiter oben erwähnt, ganz ausdrücklich auf David Hume. So etwa heißt es hier auf S. 6 f: „Ich gestehe frei: die Erinnerung des DAVID HUME war eben dasjenige, was mir vor vielen Jahren zuerst den dogmatischen Schlummer unterbrach, und meinen Untersuchungen im Felde der spekulativen Philosophie eine ganz andre Richtung gab. Ich war weit entfernt, ihm in Ansehung seiner Folgerungen Gehör zu geben, die bloß daher rührten, weil er sich seine Aufgabe nicht im Ganzen vorstellte, sondern nur auf einen Teil derselben fiel, der, ohne das Ganze in Betracht zu ziehen, keine Auskunft geben kann. Wenn man von einem gegründeten, obzwar nicht ausgeführten Gedanken anfängt, den uns ein anderer hinterlassen, so kann man wohl hoffen, es bei fortgesetztem Nachdenken weiter zu bringen, als der scharfsinnige Mann kam, dem man den ersten Funken dieses Lichts zu verdanken hatte. [] Ich versuchte also zuerst, ob sich nicht HUMES Einwurf allgemein vorstellen ließe, und fand bald: daß der Begriff der Verknüpfung von Ursache und Wirkung bei weitem nicht der einzige sei, durch den der Verstand a priori sich Verknüpfungen der Dinge denkt, vielmehr, daß Metaphysik ganz und gar daraus bestehe.“

Das Prinzip von Ursache und Wirkung wird bei Kant zum Musterfall für metaphysische Ver­nunftschlüsse überhaupt, hinter denen kein Funken an Empirie steckt, weil es auch für Kant auf empirischem Wege keine Lösung bzw sicheren Beleg dafür gibt. Sondern alles ist nur ausge­dacht. Eine ver­heerende Perspektive für die Naturwissenschaft. Daß angesichts dessen vie­le wa­che Zeitgenossen neben Steiner auf die Barrikaden gingen und den Blick auf der Suche nach Al­ternativen nach Innen wandten, versteht sich von selbst. So ist auch Steiners Suche nach den wir­kenden Kräften der Natur im eigenen Inneren zu verstehen, die er am Ende des zweiten Kapitels der Philosophie der Freiheit ankündigt. Mit der begleitenden Feststellung versehen: «Wir kön­nen die Natur außer uns nur finden, wenn wir sie in uns erst kennen.» Was aber bereits im Kapi­tel 14 der Grundlinien fast acht Jahre zuvor ausgesprochen war.

Steiners Kant-Überwindung durch die Lösung von Humes Problem

Die «Überwindung» Kants, die Steiner in der Vorrede von Wahrheit und Wissenschaft gleich ein­gangs zum Pro­gramm erhebt, war folglich nur möglich unter der Voraussetzung, den Humes­chen Skeptizismus mit zu «überwinden», und dessen Kausalitätsproblem zu lösen. Von Hume spricht Kant über weite Strecken in sei­nen Prolegome­na nicht nur beiläufig, sondern dessen «namentliche Anwesenheit» zieht sich von Anfang bis Ende durch die gesamte Schrift hin. Da die meta­physische Verstiegenheit Kants in der Wissenschaftsphilosop­hie und Naturer­klärung, - Kants ei­genen Worten zufolge, - eben funda­mental auf Humes Problem von Ursache und Wir­kung basier­te, wie er in den Prolegomena offen­bart. Diese Beziehungen der beiden Skepti­ker waren also im Prinzip ziemlich trivial, wenngleich ausgesprochen grundlegend und folgenreich für das Ver­ständnis der Wirklichkeit. Ande­rerseits war Steiner neben vielen anderen Zeitgenos­sen seit Anbeginn nicht nur Naturwissen­schaftler, sondern auch erklärter Anhänger ei­ner Psy­chologie der Bewußtseinsakte, die wie keine andere das Potential in sich birgt, die Kausalitäts­frage auf dem Wege der inneren Beobachtung zu beant­worten. Zumal, wenn sie jenen «inne­ren Prozess energisch empirisch beobachtet, durch den Be­griffe und Ideen respektive Erkenntnisse erst gewonnen werden», um noch einmal an Steiners Ab­grenzung zu Hegel aus der Philosophie der Freiheit zu erinnern. Die Prolegomena Kants, wo die Beziehun­gen Kants zu Hume beson­ders prominent zum Ausdruck kommen, waren Stei­ner gleich­falls bekannt, da er auf sie in Wahrheit und Wissenschaft im Kapitel II explizit Bezug nimmt. Wie er sich im Kapitel V. von Wahrheit und Wissenschaft (hier S. 42) auch ausdrücklich gegen Humes «Gewohnheitstheorie der Kausalerklärung» ausspricht. Was ja in der nachfolgenden Philosophie der Freiheit im Kapitel Vier (hier S. 38 f) mit Blick auf den Hume-Anhänger Herbert Spencer noch einmal stattfindet.

In Steiners Literaturverzeichnis zu Wahrheit und Wissenschaft wiederum werden speziell zu Hume noch erwähnt Alexius Meinong, Hume-Studien, Wien 1877, (hier auch noch in der Ausgabe von 1882 zu bekommen). Ferner der oben genannte Band von Alois Riehl, Der philosophische Kritizismus, allerdings der Band 2 in einer früheren Wiener Ausgabe von 1887; hier auch als Pdf zum Download. Schließlich führt Steiner noch an, F. H. Jacobi, David Hume über den Glauben. Oder Idealismus und Realismus, Breslau 1787. (Speziell zu Hume siehe bei letzterem S. 104 ff.)

Es lohnt sich übrigens auch, Autoren aus Steiners Literaturliste in Augenschein zu nehmen, die sich ausdrücklich mit Logik befassen. Wie etwa den damals sehr namhaften und einflußreichen Logiker Christoph Sigwart, der sich vielfach in seinem Buch Logik, Bd. II, Tübingen 1878, mit psychologischen Fragen, denen der Kausalität, und sehr ausführlich mit der Induktion befaßt. Seinerseits allerdings (S. 567 ff) wenig zuversichtlich war, daß man dem «Denkwillen» in der ethischen Forschung jemals em­pirisch erfolgreich auf die Spur kommen würde. Denn, wie er 1878 schrieb: „Soll sich aber unser Denken auf unser Wollen selbst richten, so ist Object des Denkens, was zugleich das letzte Subject desselben ist, und wir befinden uns in einem Cirkel, aus dem heraus uns kein Sprung retten kann. Das Den­kenwollen bleibt auch in dem ethischen Gebiete letzte, nicht weiter aufzulösende Vor­aussetzung alles wissenschaftlichen Strebens, und alle Reflexion auf unsere eigene Willensthä­tigkeit kann zuletzt nur sich klar ma­chen, dass das Wollen niemals in seinem ganzen Umfang als Object her­ausgestellt werden kann.“ - Nun, Sigwart konnte 1878 ebenso wenig zwischen der rei­nen Erfah­rung des Denkens und seiner Beobachtung unterscheiden wie rund sieben Jahrzehnte später Her­bert Witzenmann, und noch später Witzenmanns verstiegene Anhänger. Während die institutiona­lisierte empirische Psychologie des Denkens, die das unterscheiden konnte, - die Würzburger Schule Oswald Külpes, - damals auch von Sig­wart noch rund 25 Jahre entfernt in der Zukunft lag. Obwohl die Psychologie des Denkens bei Steiner unter Volkelts Einfluß und mit den selben Unterscheidungsmitteln schon 1886 (hier Kapitel 4 ff) längst öffentlich und ergebnis­orientiert thematisiert wurde. Beziehungsweise seit 1886 ganz konkret dort erkenntniswissen­schaftlich zum Einsatz kam, und nicht nur als theoretische Mög­lichkeit einer derartigen künfti­gen Wissenschaft behandelt wurde.

Von der Psychologie des tätigen Geistes zum Universalienrealismus

Steiners «Psychologie», jene „erste Wissenschaft, in der es der Geist mit sich selbst zu tun hat“, wie Steiner im Psychologiekapitel 18 der Grundlinien (hier S. 119) schrieb, kam in diesem Buch längst schon, beginnend mit Kapitel 4 erkenntniswissenschaftlich zur Anwendung. Oder besser gesagt: Wurde dort in einer erkenntniswissenschaftlichen Variante betrieben. Denn die Psycholo­gie gründet in derselben Erkenntniswissenschaft wie die Naturwissenschaft mit ihrer Frage nach der Kausalität. Daß in die­sem Zu­sammenhang wieder­um der von Steiner hoch geschätzte Johan­nes Volkelt im Kapitel 5 (hier S. 32) ausführlich zu Wort kommt, ist keineswegs ein Zufall. Denn der «immanent psycho­logisch» operierende Volkelt beteiligte sich als Erkenntniswissen­schaftler nicht nur im Spätwerk, sondern bereits in dieser frühen Zeit rege an der Etablierung einer Psychologie der inneren Beobachtung und des Denkens. Was bei der psychologischen Ori­entierung seiner Erkenntnistheorie natürlich auf der Hand liegt. In der Kombination von Erkennt­niswissenschaft, Psychologie und naturwis­senschaftlicher Grundlagenforschung war er ein gera­dezu idealer Anreger für Rudolf Steiner. Wurde dabei aber nicht nur von Steiner, sondern auch von den namhaften Psycho­logen dieser Zeit aufmerksam / kritisch rezipiert. So etwa von Wilhelm Wundt, - (in Reaktion auf Volkelts Aufsatz Psychologische Streitfragen ausführlich beantwortet mit Selbstbeobachtung und innere Wahrnehmung), - oder vom Denkpsychologen der Würzburger Schule (Nar­ziß Ach, Über die Willenstätigkeit und das Denken, Leipzig 1905). Während auf Narziß Ach wiederum maßgeblich die Etablierung der experimentell denkpsychologischen Forschungsmethode der Würzburger Schule zurückzuführen ist. (Siehe zu Volkelts besonderer Bedeutung auch Paul Ziche, Introspektion, 1999 in seiner Einleitung S. 14, Anmerkung 21. Zu Ach ebd., S. 20.) Volkelts Einfluß in dieser Zeit war nicht zu überschätzen, und sein In­teresse an der (denk)-psychologischen Ent­wicklung dieser Zeit enorm. Deswe­gen er­klärt sich auch Vol­kelts an Carl Stumpf angelehnte Be­merkung von 1906 (Die Quel­len der menschlichen Ge­wißheit, München 1906, hier S. 77, Anm. 1), «es könne nicht etwas erkenntnist­heoretisch wahr und psy­chologisch falsch sein». Auch wenn er selbst erst 1918, S. 140 ff in jene bemerkenswert große Nähe zu den Resultaten kam, die Steiner bereits 1886 mit seiner eigenen maßgeblichen Unterstützung veröffentlicht hatte.

Auf jeden Fall wird für den Leser anhand dieser knappen exemplarischen Literaturauswahl be­reits sichtbar, worum es auch Steiner mit seiner Kant-Über­windung ging und wie reichhaltig sei­nerzeit an diesen Fragen gearbeitet wurde. Steiner ging es bei seinen überwindenden Kant-Ambi­tionen nicht nur um den Nachweis der übersinnlichen Wahrnehmung (intellektuellen Anschau­ung) im reinen Denken. Auch nicht nur um den Nachweis der Leibfreiheit dieses reinen Den­kens. Sondern nicht minder, - und sogar vorrangig zwecks Brückenbau von den Naturwissen­schaften zum Geistigen, - um das Auffinden des «naturwissenschaft­lich Sicheren», wie er später (1921, GA-255b, hier S. 295 ff) berichtete. Nicht zuletzt aus systematischen Gründen der Problem­stellung. Denn von der «Leibfreiheit», der «intellektuellen Anschauung», oder der Freiheit des Denkens und Handelns gar, läßt sich schlecht begründet reden, wenn man gar nicht weiß, wie es um die zweifelhafte, weil laut Kant und Hume nicht empirisch nachweisbare, Naturkausalität be­stellt ist. Wo sich die Kausalitäts­behauptung «auf etwas stützt, was man sachlich nie erreichen kann», wie es Steiner bereits 1886 im Kapitel 14, S. 52 f, quasi mit einem argumentativen Knock­out gegen Kants Kausalitätsdogmatismus vorbrachte. Denn wer über die kausalen Zusam­menhänge empirisch grundsätzlich nichts Belastbares zu wissen versichert wie Kant und Hume, der kann auch keine behaupten – auch nicht mit metaphysischen Begrün­dungen. Sondern der spinnt, - «dogmatisch», wie Steiner sagt, - ins Blaue hinein. Empirisch beantworten muß man das Kausalitätsproblem folglich und ganz zwangsläufig, wenn man aus frei­heitsphilosophischen Gründen unbedingt sicher, - und nicht nur metaphysisch / speku­lativ und ver­mutungsweise, - wissen will und muß, ob man der Naturkausa­lität im eigenen Denken und Handeln permanent aus­geliefert ist oder nicht, wie Stei­ner gleich mit der Leitfrage im ersten Kapitel der Philo­sophie der Freiheit zum Ausdruck bringt. Eine Leit­frage, die angesichts des windi­gen erkenntniswissens­chaftlichen Status von Naturkausalität bei Kant und Hume gar nicht seriös zu beant­worten wäre.

Des­wegen sind Steiners Vorhaltungen im Kapitel 14 von 1886 ge­gen Kants Dog­matismus zu­gleich mit der nach­vollziehbaren Forderung versehen: „auch die Er­fahrung muß in­nerhalb des Denkens nicht nur nach der Seite ihrer Er­scheinung, sondern als Wir­kendes erkannt werden.“ Das alles gilt natürlich und mit Vorrang auch für den Universalienrea­listen Steiner in dieser frühen Zeit. Denn wer nach wirkendem Geist respektive wirkenden Ideen empirisch / induktiv sucht, der braucht zuallererst ei­nen klaren empirischen Beleg von Wirksamkeitszusam­menhängen, andernfall spinnt er zusam­men mit Kant und Hume, sowie später dem «Anthropo­sophen» Witzenmann und seinem Anhang ins Blaue hinein über Dinge, «die er sachlich nie errei­chen kann». Letzteres war unübersehbar nicht nur bei Kant und Hume, sondern etwa auch beim «spekulativen» Idealis­ten Eduard von Hartmann der Fall. (Siehe dazu weiter unten.) Des­wegen ist es verständlich, daß sich Steiner ausahmslos in sämtlichen Früh­schriften auf den sicheren Wirksamkeitszusammenh­ang im erlebten Denken und Erkennen be­ruft. - Ich betone ausdrücklich: In ausnahmslos allen erkenntniswissenschaftlichen Frühschriften ist das der Fall. Einschließlich Goethes Weltanschauung von 1897, S. 69 ff.

Deswegen auch spricht Steiner bereits 1886 in den Grundlinien ein Kapitel nach dem Dogmatis­mus-Exkurs von Kap 14 rückblickend dann im fünfzehnten vom «erlebten Zusammenhang von Wir­kendem und Be­wirktem» im eigenen Den­ken. Womit er in Verbindung mit der vorangehenden Kantkritik und mit höflicheren Worten zum Ausdruck bringt: «Das mensch­liche Denken und Er­kennen wird un­mittelbar im Pro­zeß als Wirkendes und Bewirktes erlebt. Es aber ohne jeden in­neren Erfahrungsb­eleg stattdessen nur von «außerhalb» als kausales Produkt von Naturwirksam­keit zu er­klären, ist angesichts die­ser si­cheren inneren Erfahrungstatsache und angesichts des du­biosen Status von Natur­kausalität seit Kant und Hume nichts wei­ter als eine verantwor­tungslose philosophi­sche Windbeutelei.»

Man muß sich also im Interesse der eigenen Problemstellung und Forschungsziele hinsicht­lich der menschlichen Freiheit, - und das ist in sämtlichen Frühschriften Steiners gut nachweisbar der Fall, - zunächst dar­um bemühen, «Humes Problem» und dasjenige Kants eben­falls zu bewälti­gen. Denn davon wie­derum hängt auch der Nachweis des leibfreien reinen Den­kens und der menschlichen Freiheit ab. - Es ist das, was Steiner im dritten Kapitel der Philo­sophie der Freiheit «die allerwichtigste Beobachtung» nennt, die man machen kann. Die wieder­um betrifft ausdrücklich «den Prozeß, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden»:Für jeden aber, der die Fähigkeit hat, das Denken zu beobachten - und bei gutem Willen hat sie jeder normal organisierte Mensch —, ist diese Beobachtung die allerwichtigste, die er machen kann. Denn er beobachtet etwas, dessen Hervorbringer er selbst ist; er sieht sich nicht einem zu­nächst fremden Gegenstande, sondern seiner eigenen Tätigkeit gegenüber. Er weiß, wie das zustande kommt, was er beobachtet. Er durchschaut die Verhältnisse und Beziehungen. Es ist ein fester Punkt gewonnen, von dem aus man mit begründeter Hoffnung nach der Erklärung der übrigen Welterscheinungen suchen kann.“ (Hier, S. 29) Er durchschaut in diesem Fall eben nicht nur die begrifflichen Beziehungen, sondern auch die ursächlichen, - die Verhältnisse zwischen der eigenen inneren Tätigkeit und dem Zustandekommen des Denkergebnisses. Darauf kommt es Steiner an dieser Stelle an. Derselbe Hinweis auf das durchschaute Weltgeschehen (Wirkendes und Bewirktes) bei der Beobachtung des Denkens findet sich dann nachfolgend, drei Jahre später noch einmal ganz besonders eindringlich formuliert auf S. 69 f in Goethes Weltanschauung von 1897.

Schon an den we­nigen exemplarischen Beispielen aus Steiners Literaturliste von Wahrheit und Wissenschaft läßt sich wiederum unschwer erkennen, wie viru­lent die Kausalitätsfrage damals war. In der akademischen Lite­ratur wurde sie regelmäßig auch im Philosophie-Jargon als eine Grundfrage von «Relationen» bezeichnet. Wobei «Relationen» nichts anderes sind als ein «Ver­hältnis» oder eine «Beziehung» von A zu B, und im Falle der Kausalität eben das der Ur­sache zu ih­rer Wirkung und umgekehrt. Wenn Steiner seinerseits schon in den Grundlinien(hier S. 56) für sich in Anspruch nimmt: den «Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem beim Den­ken unmittelbar zu erleben», dann haben sie einen höchst wichtigen – den «allerwichtigsten» laut Philosophie der Freiheit, - empi­rischen Spezialfall einer solchen «Relation» oder «Beziehung» behandelt, und laut Steiner in der unmittelbaren Erfahrung vorliegen: Steiners «archimedischer Hebel der Welterklärung» ist daran verankert. Bei etwas, was sich auch auf der Erfahrungsebene «selbst trägt». Dasselbe ist in Wahrheit und Wissenschaft, in der Philosophie der Freiheit und nach­folgend beim «durchschauten Welt­geschehen bei der Beobachtung des Denkens» aus Goe­thes Weltanschauung von 1897 der Fall. Da haben Sie überall den selben «erlebten Zusammenhang von Wir­kendem und Bewirktem» wie in den Grundlinien bereits.

Eine der empiristischen Hauptfragen in der Auseinandersetzung mit Kant und Hume war es sei­nerzeit, - so auch bei Johannes Volkelt in Erfahrung und Denken, 1886, S. 81 ff, wo er Kausalität, Gesetzmäßigkeit und Regelmäßigkeit als einige Beispiele nennt, - ob solche «Beziehun­gen» oder «Relationen» bereits Gegenstand der unmittelbaren empirischen Erfah­rung sein kön­nen, oder aber nicht. Oder lediglich zur bloßen Erfahrung «abstrakt hinzugedacht» werden, während sie in Wirklich­keit in der faktischen Erfahrung gar nicht vorhanden sind. Im besonderen Falle der Kausalität dahinge­hend, ob die «Verursachungs­tatsache» und ihre Verbin­dung zum dadurch Bewirkten eine unmit­telbare Erfahrung sein könne oder aber nicht. Im Jargon der Philosophie geht es damit um den ontologischen Status von Relationen. Ob sie in der realen Wirklichkeit empirisch gegeben sind, oder nur als abstrakt gedachte, quasi virtuelle Entitäten.

Ob Sie einen faktischen ursächlichen Zusammenhang erleben, wie etwa beim Denken und Er­kennen, oder ob Sie einen faktischen ursächlichen Zusammenhang lediglich aus metaphysischen Gründen und Überlegungen vermuten wie Kant, aber nicht in der Realität erleben und belegen können, das macht einen enormen Unter­schied. Gleich dem von Wissen und Glauben. Im letzteren Fall glauben Sie etwas, «was Sie sachlich nie erreichen können», wie Steiner im Kapitel 14 der Grundlinien dem Kausalitätsdog­matismus Kants und seiner Zeitgenossen vorhält.

Ebenso verhält es sich mit Steiners Universalien­realismus, den er ohne spezifische Anbin­dung an die Klassiker des Platonismus, sondern in Anlehnung an Goethes individuellen Platonis­mus in den Frühschriften vertritt. So etwa findet sich von Steiner nicht nur im Kapitel 8 (hier S. 47) der Grundliniendie Auffassung vertreten, daß die «menschliche Denktätigkeit der tätige Gedan­kengehalt der Welt» sei. Das ist natürlich universalienrealistisch gedacht. Zur selben Zeit in der kurzen Kontroverse mit Eduard von Hartmann im Band 34 der Kürschner-Ausgabe von Goethes naturwissenschaftlichen Schriften die Ansicht von Steiner vertreten, der «menschliche Wille sei die Idee selbst, diese als Kraft aufgefaßt». (Hier S. XLIV f, wo übrigens schon in der Titelzeile der jeweiligen Seiten auf diesen Zusammenhang von Kraft, Wille und Idee hingewiesen wird, was ja in der späteren Dornacher GA-1 dann nicht mehr der Fall ist.) Analog hat es Steiner (1897) auch in Goethes Weltanschauung (hier S. 69 f) formuliert: „Bei der Beobachtung des Denkens durchschaut der Mensch das Weltgeschehen. Er hat hier nicht nach einer Idee dieses Geschehens zu forschen; denn dieses Geschehen ist die Idee selbst.“ Empirische Beobachtung des Denkens wird dort als empirische Ideenforschung verstanden. In all diesen Fällen geht es um Wirksamkeitszusammenhänge. - Der Leser möge sich bei dieser Gelegenheit an Steiners Bemerkung aus der GA-1 (Dornach 1987, S. 126; und in der Kürschner Originalausgabe von 1887 S. IV f) erinnern, wonach auch die «Idee der induktiven Methode zugänglich sei».

Es ist aber auch das, was Steiner auf einen Mitgliedervortrag von 1908 zurückgehend, im Autoreferat Philosophie und Anthroposophie in Anlehnung an Aristoteles und Fichte kurz ver­handelt: Die Idee vom «dreifachen Ich» (hier GA-35, S. 101 ff). Die nämlich baut ebenfalls auf der Tatsa­che auf, daß die Tathandlung beim erkennenden rei­nen Denken des Ich nicht nur gedacht, son­dern auch, laut S. 98 ff als Aktualität erlebt wird. Sonst gäbe es das «dreifache Ich» dort nicht, jedenfalls keins, das in empirischer Wirksamkeit befindlich und unmittelbar wahrgenommmen ist. Im letzteren Fall der Unwahrnehmbarkeit der Wirksamkeit hätten Sie dann dasselbe Pro­blem wie Kant mit der Kausalität: insofern Sie damit einen empirischen Zusammenhang be­haupten, den Sie «sach­lich nie erreichen können». Das gilt im Falle des Universalienrealismus dann auch für das tätige Ich im reinen Denken. Zum Beispiel, wenn Sie an Witzenmanns «Erzeugungsprob­lem» und seine «Paradoxie der Selbstgebung» glauben. Da ist`s dann sozusa­gen vorbei mit der Universali­endenkerei und dem «dreifachen Ich», weil Sie die eigene Aktivität auch bei Wit­zenmanns kon­fusen Steinerinterpretationen nur noch behaupten, aber sachlich nie errei­chen können.

Nun schreibt aber Steiner (S. 100 ff) in diesem Autoreferat: „Das Abbild dieser reinen Aktualität findet sich nun im Menschen selbst, wenn er aus dem reinen Denken heraus zu dem Begriff des «Ich» kommt. Da ist er im Ich bei etwas, was Fichte als Tathandlung bezeichnet. Er kommt in seinem Innern zu etwas, das, indem es in Aktualität lebt, zugleich mit dieser Aktualität seine Materie mit hervorbringt. Wenn wir das Ich im reinen Gedanken fassen, dann sind wir in einem Zentrum, wo das reine Denken zugleich essentiell sein materielles Wesen hervorbringt. Wenn Sie das Ich im Denken fassen, so ist ein dreifaches Ich vorhanden: ein reines Ich, das zu den Uni versalien «ante rem» gehört, ein Ich, in dem Sie drinnen sind, das zu den Universalien «in re» gehört, und ein Ich, das Sie begreifen, das zu den Universalien «post rem» gehört. Aber noch etwas ganz Besonderes ist hier: für das Ich verhält es sich so, daß, wenn man sich zum wirklichen Erfassen des Ich aufschwingt, diese drei «Ichs» zusammenfallen. Das Ich lebt in sich, indem es seinen reinen Begriff hervorbringt und im Begriff als Realität leben kann. …“

Wenn Sie also etwas tiefer graben, dann sehen Sie hier natürlich auch die Verbindung zum Universalienrealismus und zum Universalienstreit dahinge­hend: Ob Begriffe und Ideen nur abstrakte Hilfskonzepte für die Welterklärung darstellen, oder aber faktisch wirkende Kräfte in der realen Wirklichkeit sind. Die universalienrealistische Sichtweise nimmt Steiner nicht erst 1908, sondern bereits im Kapitel 8 der Grundlinien ein mit dem Hinweis von hier, S. 47: „daß die Tätigkeit unseres Geistes zugleich die Erscheinung dieses Faktors ist. Es ist eine und dieselbe Sache von zwei Seiten betrachtet. Diese Sache ist der Gedankengehalt der Welt. Das eine Mal erscheint er als Tätigkeit unseres Bewußtseins, das andere Mal als unmittelbare Er­scheinung einer in sich voll­endeten Gesetzmäßigkeit, ein in sich bestimmter ideeller Inhalt.“ - Der «Gedankengehalt der Welt» erscheint wirksam in Gestalt der eigenen Denktätigkeit.

«Psychologie» in den Grundlinien und «seelische Beobachtung» in der Philosophie der Freiheit und ihre methodische Grundlage der «betrachtenden Gegenüberstellung»

Jetzt erinnern Sie sich noch ein­mal an unseren Hinweis von oben, dass laut Steiners Psychologiekapitel 18 der Grundlinien «die Psychologie die erste Wissenschaft sei, in der es der Geist mit sich selbst zu tun hat.» «Der Geist», so Steiner, «stehe sich da betrachtend selbst ge­genüber.» Wie gesagt: «Seelische Beob­achtung» in Form der «betrachtenden Gegenüberstel­lung», wie sie die spätere Philosophie der Freiheit ebenfalls für sich ausdrücklich ebenfalls in Anspruch nimmt, in diesem letzteren Fall ohne die ausdrückliche Anbindung an den Idealismus: Spezi­ell im dritten Kapitel im Zusam­menhang mit der «allerwichtigsten Beobach­tung» thematisiert, findet sie bereits 1886 bei Steiner in den Grundlinien statt. Sogar wortwörtlich im Kapitel 4, hier S. 26, wo es heißt: „Eine genauere Erwägung wird aber hier jeden Zweifel schwinden lassen, daß auch unsere inneren Zustände in derselben Form in den Horizont unseres Bewußtseins eintreten wie die Dinge und Tatsachen der Außenwelt. Ein Gefühl drängt sich mir ebenso auf wie ein Lichteindruck. Daß ich es in nähere Beziehung zu meiner eigenen Persönlichkeit bringe, ist in dieser Hinsicht ohne Belang. Wir müssen noch weiter gehen. Auch das Denken selbst erscheint uns zunächst als Erfahrungssache. Schon indem wir forschend an unser Denken herantreten, set­zen wir es uns gegenüber, stellen wir uns seine erste Gestalt als von einem uns Unbekannten kommend vor. Das kann nicht anders sein. Unser Denken ist, besonders wenn man seine Form als individuelle Tätigkeit innerhalb unseres Bewußtseins ins Auge faßt, Betrachtung, d. h. Es richtet den Blick nach außen, auf ein Gegenüberstehendes. Dabei bleibt es zunächst als Tätigkeit stehen. Es würde ins Leere, ins Nichts blicken, wenn sich ihm nicht etwas gegenüberstellte. Die­ser Form des Gegenüberstellens muß sich alles fügen, was Gegenstand unseres Wissens werden soll. Wir sind unvermögend, uns über diese Form zu erheben. Sollen wir an dem Denken ein Mittel gewinnen, tiefer in die Welt einzudringen, dann muß es selbst zuerst Erfahrung werden. Wir müssen das Denken innerhalb der Erfahrungstatsachen selbst als eine solche aufsuchen.

«Betrachtende Gegenüberstellung» nennt Steiner die hier angewandte Methode. Es ist exakt jene Methode, auf der er auch im Psychologiekapitel 18 aufbaut. Wo «der Geist sich betrachtend selbst gegenüber steht.» So steht es 1886 auch schon da auf S. 11 f, und noch ganz ohne den spä­teren Anmerkungshinweis auf S. 137 von 1924 auf die spätere Anthroposophie. Das Denken, so lautet durchgängig Steiners methodischer Hinweis, stellt sich den Erfahrungen zwecks Erkenntnis gegen­über. Via «seelischer Beobachtung» (Philosophie der Freiheit) respektive «Psychologie» (Grundlinien). Und macht dabei auch keine Ausnahme in diesen Frühschriften, wenn es um die Erkenntnis des Denkens selbst geht. In der Philosophie der Freiheit nennt Steiner die betrachtende Gegenüberstellung des eigenen Denkens im dritten Kapitel (hier S. 25) «eine Art Ausnahmezustand». Was nichts anderes bedeutet, als den Erfahrungen des Denkens via seelischer Beobachtung erkennend nachzugehen, indem man sie sich betrachtend gegenüberstellt. Wobei die «betrachtende Tätigkeit» des Denkens wiederum eine unmittelbar erlebte Leistung dieses Denkens ist.

Nun ist aber die Tätigkeit des Denkens aus der idealistischen Sichtweise der Grundlinien laut Kapitel 8 der «tätige Gedankengehalt der Welt». Und sofern man sie als Willensleistung betrachtet wie Steiner, - Sie erinnern sich an GA-01, hier S. 197: «Wille ist die Idee selbst, diese als Kraft aufgefaßt», - eine kraftende Tätigkeit der Idee / die Tätigkeit einer kraftenden Idee. Folglich sieht sich Steiner veranlaßt, da es um den «tätigen Gedankengehalt der Welt» geht, schon im Kapitel 15 der Grundlinien (hier S. 86) dar­auf hinzuweisen: „Wir erinnern uns, warum eigentlich das Denken in unmittelbarer Erfahrung bereits sein Wesen enthält. Weil wir innerhalb, nicht außerhalb jenes Prozesses stehen, der aus den einzelnen Gedankenelementen Gedankenverbindungen schafft. Dadurch ist uns nicht allein der vollendete Prozeß, das Bewirkte gegeben, sondern das Wirkende.“ - Diese Auskunft über den erlebten Zusammenhang von Wir­kendem und Bewirktem beim erlebten Denken und seiner Tätigkeit ist demnach nichts ande­res als ein Resultat der «seelischen Beobachtung». In den Grundlinien heißt es noch «Psychologie». Heute würde man eher sagen: der «introspek­tiven For­schung». Resultat dieser «seelischen Beobachtung» respektive «Psychologie» ist laut Goethes Weltanschauung S. 69 f, dass bei dieser Beobachtung / psychologischen Untersuchung das «Weltgehehen durchschaut» werde. Und nicht nur das. Sondern das «Geschehen der Beobachtung des Denkens sei die Idee selbst». (Unverändert in der letzten Auflage dieser Schrift. Hier in der Dornacher Ausgabe von 1963 auf S. 57; und hier in der Ausgabe von 1990 auf S. 85 f). Wobei aus diesem Gesichtswinkel vom Denken als «tätigem Gedankengehalt der Welt», natürlich auch dessen tätige Beobachtung als tätiger Gedankengehalt der Welt zu betrachten ist. Das «Geschehen» ist entsprechend aus der idealistischen Sicht des frühen Steiner «die Idee». Was einleuchtend ist, da das tätige Denken bereits in den Grundlinien als tätiger Gedankengehalt der Welt verstanden wird. Insofern ist es klar, dass nicht nur das tätige Denken, sondern auch die tätige Beobachtung dieses Denkens, - was ja beides ein geschehendes Denken ist, - als «Idee» betrachtet wird. Das alles läßt sich zurückverfolgen bis in die Grundlinien von 1886.

Ausdrücke wie «Psychologie» oder «seelische Beobachtung» sind zunächst ja rein technische Ausdrücke für die Methode. Ausdrücke, die sich im Verlauf der Jahre auch bei Steiner et­was gewandelt haben. Wie ja Steiners Psychologie-Begriff aus den Grundlinien sich als technischer Ausdruck der Methode in der Philosophie der Freiheit von 1918 zu «seelische Beobachtung» sprachlich gewandelt hat. Obwohl es in beiden Fällen methodisch um die selbe Sache geht: Nämlich sich den Erfahrungen (des Denkens) betrach­tend gegenüber­zustellen. Im letzteren Fall ist der Ausdruck der «betrachtenden Gegenüberstel­lung», - und das ist ja das kennzeichnen­de methodische Merkmal in beiden Fällen, - aus den Grundlinien auch in der Philosophie der Freiheit beibehalten worden.

Dieser «betrachtenden Gegenüberstellung» können Sie in jedem denkpsychologischen Labor nachgehen. Aber selbstverständlich auch unabhängig davon und allein, indem Sie Ihr eigenes Denken beobachten. Und dann, wie wir weiter oben darlegten, mit den entsprechenden Problemstellen zur Naturkausalität in Verbindung bringen müssen, wie es auch bei Steiner im Kapitel 14 vorher in den Grundlinien der Fall war.

Es sei deswegen noch einmal an Steiners Schrift Von Seelenrätseln (GA-21) erin­nert, wo er am Ende (hier, S. 170 f) den eindringlichen «Wunsch eines jeden Anthroposophen» äußert, «in einem psychologischen Laboratorium zu arbeiten, um dort beste Grundlagen für die anthroposophische Weltanschauung zu legen». Was ja nur eine Weiterführung von Steiners be­gründendem Frühwerk ist. Mit psychologischen Labor-Mitteln, die es in den 1880er und nachfol­genden Jahren noch nicht gab. Sondern erst ab dem Ende der 1890er Jahre.

Wie wir weiter oben bereits sahen, können Sie aus solchen Perspektiven heraus auch Steiners Behand­lung vom «dreifachen Ich» (GA-35, hier S. 100 ff) im Zusammenhang mit dem Universalienrea­lismus, Fichte und Aristoteles näher in Augenschein nehmen, wie wir es oben im Zusammenhang mit Hartmut Traubs kurzer Behandlung dieser Thematik erläuterten. Dieses «Dreifache Ich» erleben Sie natürlich nur, wenn Sie auch eine unmittelbare Wahrnehmung Ihrer eigenen Denkaktivität haben, und damit einen empirischen Zugang zu Ihrer Denkaktivität, - dem Wirkenden, - haben. Ist das nicht der Fall, dann stehen Sie nicht nur wie Witzenmann vor seinem «Erzeugungsproblem», sondern auch wie Kant und Hume vor demselben Problem, daß Sie etwas ursächlich verbinden wollen, was Sie sachlich nie erreichen können. In diesem Fall könnten Sie auch nur darüber spekulieren, was Ihre Denktätigkeit mit dem Universalienproblem zu tun haben mag, ohne darin zu einer empirischen Entscheidung zu gelangen, wie es Witzenmann und seinen Schülern ergangen ist.

Wer per se nichts Wirkendes in der Welt empirisch sicher findet, der findet selbstre­dend auch kei­ne wirkenden Universalien respektive wirkenden Geist. Ebenso wenig findet er dann seine ei­gene, freie Denkwirksamkeit und sein tätiges «Ich». Bei Steiner sind in den Frühschriften alle diesbezüglich relevanten Sicht­weisen vertreten: nämlich die rein naturwissenschaftli­che, die psy­chologische, die universali­enrealistische und damit mit allen stets zusammen­hängend die frei­heitsphilosophische. Für jede dieser Einzelperspektiven war es notwendig, eine si­chere Antwort auf die Fra­ge nach den Wirksamkei­ten der Welt zu bekommen. Eine Frage, die Kant und Hume bekanntlich einhel­lig ver­neinten, und da­mit sowohl der Natur­wissenschaft, als auch der Ethik / Freiheitsphi­losophie, aber auch dem Universalienrealismus ihren begründenden empirischen Bo­den entzo­gen. Mit der Fol­ge, dass ein großer Teil der dama­ligen Kritiker Kants wie Edith Stein sich der inne­ren Er­fahrung zu­wandten, auf der Suche nach sol­chen unmittelbar erlebten Verbin­dungen von Ursa­che und Wir­kung. Im besonde­ren Spezialf­all der «inneren» Kau­salität: Ob die «Tätig­keit» des Den­kens und Erkennens ein unmittelba­rer Ge­genstand der «rei­nen Erfahrung» sein könne, wie es bei Steiner seit 1886 in Anlehnung an Jo­hannes Volkelt heißt. Dieses Thema zieht sich ohne Un­terbrechung durch sämtliche Frühschrift­en Steiners. Und in sämtlichen Frühschrif­ten mit der aus­drücklichen Bejahung dieser Tat­sache versehen: Nämlich das «Wir­kende» der eigenen Denkakti­vität unmittelbar zu erleben. Und da­durch in diesem Fall den Zu­sammenhang von Wir­kendem und Bewirktem in der unmittelbaren Erfahrung vorliegen zu ha­ben. Steiner löst also das Kausalit­ätsproblem exemplarisch anhand der unmittelbar erlebten Denk- und Erkenntnistätigkeit, wie er seit 1886 schreibt. Während sein empiristischer In­spirator Johannes Volkelt ihm erst 1918 in der Schrift Gewißheit und Wahrheit (S. 140 ff) darin folgte, wo er ein regelrechtes Plädoyer für die innere Kausalitätsforschung und ihre Resultate hält. Am Rande gesagt, war diese Schrift übrigens nach Volkelts eigener Einschätzung im Vorwort sein erkenntnistheoretisches Hauptwerk, bzw. genauer: die «endgültige Gestalt seiner Erkenntnistheorie».

Den Ausdruck «Wirkendes und Be­wirktes» aus Steiners Grundlinien (Kap. 15, hier S. 86) finden Sie übrigens ebenfalls beim Logi­ker Sigwart 1878 (hier S. 132 ff), der das vor dem Hintergrund der Kausalitätsproblematik auch mit Aristoteles in Verbindung bringt, und in seiner Schrift recht ausführlich im Zusam­menhang auch mit psy­chologischen Fragen behandelt. Der Ausdruck war in dieser Zeit also nicht ungewöhnlich in der führenden akademischen Literatur. Anhand der Li­teraturliste Steiners aus Wahrheit und Wissenschaft könnte der Leser, wenn er nur wollte, schon mehrere Dutzend und weit mehr anspruchsvolle akademische Arbeiten zu Steiners philosophis­chen Quellen aus seiner eigenen Zeit verfassen, deren Vorhandensein und Einfluß nachweislich in sei­nen eigenen Frühschriften dokumentiert ist.

Steiners frühe Grundlagenforschung im damaligen empiristisch philosophischen Mainstream

Gleichzeitig wird auch in dieser von Steiner verwendeten Literatur sichtbar, wie sehr solche Fra­gen damals wiederum mit der Psychologie in Verbindung gebracht wurden, was ja bei dem von Steiner be­sonders herausgestellten, - und damals ebenfalls sehr namhaften, - Johannes Volkelt klar, unmissverständlich und paradigmatisch (1886, S. 80 ff) der Fall war. Wenn der frühe Stei­ner als Naturwissenschaft­ler daher vorrangig auf der erkenntniswissens­chaftlichen Suche nach dem «natur­wissenschaftlich Sicheren» war, wie er selbst von sich sagt, und nach einem «archimedi­schen He­bel der Welter­klärung» und den «wir­kenden Kräften der Natur im eigenen Inneren» fahndete wie in der Philo­sophie der Freiheit, dann ist das bei ei­nem «Kant- und Hume-Überwin­der» wie­derum im höchs­ten Maße nicht aus seiner angeblichen philosophischen Isolation und Verstiegenheit, sondern aus der na­turwissenschaftlichen Zeit­lage und ihren wissenschaftsphilo­sophischen / erkenntniswissen­schaftlichen Verhältnis­sen heraus mehr als verständlich. Diese Problemstellung gehör­te seinerzeit zu einer ausgesprochen empiristisch-philosophischen Mainstream-Forschung. Nicht nur bei Steiner, sondern bei vielen ande­ren Zeitge­nossen nicht minder, wie wir auch von Edith Stein hö­ren. Es war jene zeitgenössische Forschung, in der Steiner stand, auch diejenige, mit der er sich in Wahrheit und Wissenschaft ausdrücklich auch von Goethe unabhän­gig machte. Für diese Art Forschung nämlich war Goethe (1749-1832) fast 100 Jahre zu früh gekommen, um sie aufgreifen zu können.

Ebenso verständ­lich ist es, wenn die solcherart mit Steiner Suchenden die si­cheren Wirk­samkeitszusammenhänge dort zuallererst er­warten, wo sie ihnen am nächs­ten liegen, näm­lich im ei­genen Inneren. So hörten wir es von Edith Stein, so hö­ren wir es von Jo­hannes Vol­kelt, so hö­ren wir es auch von Wilhelm Dilthey zu dieser Zeit. Und so hören wir es von Stei­ner viele Jahre vor Edith Stein bereits in den Grundlinien von 1886, und 15 Jahre danach noch einmal ein­mal sehr kraft­voll gegenüber Wilhelm Wundt ausgesprochen im Aufsatz Moderne Seelenforschung aus dem Jahre 1901 (GA-30 Dornach 1989, S. 465), wo er ge­gen Wilhelm Wundt gerichtet schreibt: „Es ist unbedingt richtig, daß die Selbstbe­obachtung eine reiche Quelle von Irrtümern ist. Aber ebenso zweifellos ist es, daß uns nichts inti­mer, unmittelba­rer bekannt ist als gerade un­ser eigenes Innere. Was wir auch sonst beobach­ten mögen: es bleibt uns ein Äußeres. Wir kön­nen nicht in seinen Kern dringen. Im Kreise unse­rer seelischen Erschei­nungen stehen wir mitten drinnen. Sie stehen uns also nahe wie nichts an­deres in der Welt. Sollte das nicht zugleich die Ursache davon sein, daß wir bei der Be­obachtung dieser Erscheinungen so vielen Fehlern ausge­setzt sind? Objektivität und Unbefangen­heit ist dem Na­hen gegenüber gewiß schwieriger als dem Entfernten gegenüber. Weil die Selbstbeoba­chtung et­was so Unmittelbares ist, darum wird sie wohl auch eine schwierige sein. Und es wäre wohl mög­lich, daß eine ausreichende Selbstbe­obachtung nur derjenige üben könnte, der wohlge­schult von andern Beobachtungsfeldern kommt.“

Die Nähe der seelischen Erscheinungen und die Kluft zwischen innerer und äußerer Beobachtung

«Alles andere bleibt uns ein Äußeres, in dessen Kern wir nicht eindringen können.» Und damit hochgradig hypothetisch mit Blick auf die Verursachungszusammenhänge. Von einer anderen Sei­te betrachtet: Hypothesen, überall nur Hypothesen!So können Sie es wiederum im Kon­trast, oder besser gesagt ergänzend dazu von der äu­ßerlichen, kausalerklärenden Seite bei Wilhelm Dilthey in dessen Vortrag, Ide­en über eine beschreibende und zergliedernde Psy­chologie, von 1894 auf S. 1313 lesen. Mit Diltheys kritischem Blick auf die üblichen Versuche, das menschliche See­lenleben dem äußerlic­hen Kausal­zusammenhang der Natur nur hypothesenba­siert einzugliedern, rein spekulativ und ohne jegliche empirische Gewißheit. Dilthey nennt diese Art von Psychologie (S. 1309) die «er­klärende Psychologie», die er folgendermaßen charakterisiert: „Die erklärende Psychologie, wel­che ge­genwärtig ein so grosses Maass von Arbeit und Interesse in Anspruch nimmt, stellt einen Causal­zusammenhang auf, welcher alle Erscheinungen des Seelenlebens begreiflich zu machen bean­sprucht. Sie will die Constitution der seelischen Welt nach ihren Bestandtheilen, Kräften und Gesetzen genau so erklären, wie die Physik und Chemie die der Körperwelt erklärt. Beson­ders klare Repraesentanten dieser erklärenden Psychologie sind die Associationspsychologen, Herbart, Spencer, Taine, die verschiedenen Formen von Materialismus.“ Die erklärende Psycho­logie unterstellt nach dem Muster und unter Berufung auf die Naturwissenschaft hypothetisch ei­nen Kausalzusammenhang im Seelenleben auch dort, wo er nicht unmittelbar gegeben ist. (S. 1312 f) Das ist das wohl entscheidende Kennzeichen dieser «erklärenden» Psychologie für Dil­they: Die hypothesenbasierte Kausalerklärung des Seelenlebens, wo sich kein empirischer An­halt in Form eines unmittelbar erlebten ursächlichen Zusammenhangs dafür findet. (Was sich freilich auf weit mehr Felder der Psychologie wie Tiefenpsychologie und Psychoanalyse nebst ihren ver­schiedensten Derivaten ausdehnen läßt. Denn auch dort wird regelmäßig auf ursächliche Zusam­menhänge ge­schlossen, die in der Erfahrung nie unmittelbar vorliegen. Und infolgedessen auch nie wirklich zu belegen sind, sondern stets durch ein unabschließbares Hypothesengeflecht auch anders erklärt werden könnten.)

Wäh­rend (S. 1313 f) das fakti­sche Seelenleben, wie Dilthey vorträgt, umittel­bar in seinem Zusammenhang er­lebt vorliegt, und die wissenschaftli­che Beschreibung dessen nicht unbe­dingt der Hypothesen bedürftig sei: „Hieraus ergiebt sich für die Naturwissen­schaften, dass in ihnen nur durch ergänzende Schlüsse, vermittelst einer Verbindung von Hypo­thesen, ein Zusammen­hang der Natur gegeben ist. Für die Geisteswissenschaften folgt dagegen, dass in ihnen der Zu­sammenhang des Seelenlebens als ein ursprünglich gegebener überall zu Grunde liegt. Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir. Denn in der inneren Erfah­rung sind auch die Vor­gänge des Erwirkens, die Verbindungen der Functionen als einzelner Glieder des Seelenlebens zu einem Ganzen gegeben. Der erlebte Zusammenhang ist hier das Ers­te, das Distinguiren der einzelnen Glieder desselben ist das Nachkommende.“

Das ist die entscheidende Differenz der «beschreibenden» respektive «verstehenden» Psycholo­gie zur hypothesenbasierten kausal «er­klärenden». Bei der «beschreibenden» Psychologie liegt der Zusammenhang laut Dilthey unmit­telbar erlebt vor, während ein solcher bei der «erklären­den» Psychologie nur hypothetisch unter­stellt wird. Und zwar ohne einen einzigen un­mittelbaren Erfahrungsbeleg. Deswegen die Unab­schließbarkeit der Hy­pothesenbildung bei die­ser Form der kausalerklärenden Psychologie. Oder, um in Anlehnung an Stei­ners Ausdrucksweis­e diese Sachlage zu kennzeichnen: Hier wird ein ur­sächlicher Zusammen­hang be­hauptet / konstruiert, der mit dieser hypothesenbasierten Methode sach­lich nie zu errei­chen ist. Das wiederum paßt exakt in Steiners Vorhaltungen an die «dogmatischen» Kausalerklärer im 14. Kapitel der Grundlinien.

Diltheys Nähe zu Steiner liegt auf der Hand. Wie wir ja auch von Steiner in Wahrheit und Wissens­chaft (hier S. 37) zeitnah (1892) zu lesen bekommen, daß das Hervorbringen von Begrif­fen «un­mittelbar gege­ben sein müsse, und nicht etwa Schlußfolgerun­gen zu seiner Erkenntnis zu bemü­hen seien». - Auch hier wird bei der inneren Beobachtung / Er­kenntnis des Denkens die Frei­heit von Hypothesen als ge­sichert vorausgesetzt. Es wird kein hypothetischer Schluß auf den Zusam­menhang von Wirkendem und Bewirktem zugrunde gelegt, sondern dieser wird ausdrück­lich ausgeschlossen. Denn der Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem ist unmittelbar gege­ben. Entsprechend gilt für Steiner in Wahrheit und Wissenschaft (Kap. V, hier S. 40) auch als Methode die beschreibende Wissenschaft des Denkens wie sie analog bei Dilthey die bevor­zugte Methode der Psychologie überhaupt war. „Die Beschreibung des Denkens ist zugleich die Wissenschaft des Denkens.“ So Steiner. Was in der Philos­ophie der Freiheit mit ihrer «aller­wichtigsten Beobach­tung» ausdrü­cklich noch einmal der Fall ist, wie auch wenige Jahre später (1897) dann in Goe­thes Weltanschauung. Man stelle sich auch einen «archimedi­schen Hebel und Fundament der Welterklärung» aus lauter nebelhaften kausalerklärenden Hypothesen bestehend vor, wie sie von Dilthey im Vortrag kritisiert werden.

Auch anhand Diltheys umfangreichem Vortrag von 1894 ließe sich ein sehr fruchtbringender Vergleich mit Steiners erkenntniswissenschaftlich / psychologischen Positionen der frühen Be­gründungsschriften erstellen. Für die elaborierte Methode des späteren «Anthroposophen» Steiner gilt das freilich nur innerhalb gewisser Grenzen. Denn für die tiefergehende Beobachtung der Seele reicht die gewöhnliche psychologische Wissenschaft nicht aus, sondern bedarf einer erheblichen Vertiefung, wie der Leser exemplarisch (hier, GA-18, Skizzenhafter Ausblick, S. 694 ff) und (hier, GA-35, S. 269 ff) von Steiner erläutert bekommt. Aber was Dilthey in seinem Berliner Vortrag ebenso wie Steiner in seinem obigen Artikel gegenüber Wundt gel­tend machte, - die Nähe der seelischen Erscheinun­gen, - das galt Steiner als Empiristen mit Blick auf Kausalitätsfragen ebenso gegenüber Hume und Kant in der Erkenntniswissen­schaft. Erkenntniswissenschaftliche Gewißheit gibt es nur in der inneren Beobachtung. Indes der von beiden inkriminierte Blick von außen nach innen, - wie bei Dilthey so auch bei Steiner, da sind sich beide einig, und deswe­gen liegt darin ein hoch be­merkenswerter Vergleichspunkt, - aus nichts als Hypothesen besteht. Weil näm­lich zwischen der äußeren Beob­achtung und der inneren, so speziell Steiner in der Philosophie der Frei­heit (Kap. IV, hier S. 52) ein unüberbrückbarer Abgrund klafft:

Ich bin in der Lage, die Vorgänge in meinem Organismus bis zu den Prozessen in meinem Gehirne zu verfolgen, wenn auch meine Annahmen immer hypothe­tischer werden, je mehr ich mich den zentralen Vorgängen des Gehirnes nähere. Der Weg der äu­ßeren Beobachtung hört mit dem Vorgange in meinem Gehirne auf, und zwar mit jenem, den ich wahrnehmen würde, wenn ich mit physikalischen, chemischen usw. Hilfsmitteln und Methoden das Gehirn behandeln könnte. Der Weg der inneren Beobachtung fängt mit der Empfindung an und reicht bis zum Auf­bau der Dinge aus dem Empfindungsmaterial. Beim Übergang von dem Hirnprozeß zur Empfin­dung ist der Beobachtungsweg unterbrochen.“ So Steiner dort das grundsätzliche Erkenntnispro­blem der Verbindung von äußerer und innerer Beobachtung skizzierend. Beschränkt in diesem Fall auf physiologische Erklärungen.

Bei Dilthey heißt es entsprechend auf S. 1312: „So sind wir, wenn wir eine volle Causalerkennt­niss herstellen wollen, in einen Nebel von Hypothesen ge­bannt, für welche die Möglichkeit ihrer Erprobung an den psychischen Thatsachen gar nicht in Aussicht steht.“ Und weiter: „Eine Hypo­these solcher Art ist die Lehre von dem Parallelismus der Nervenvorgänge und der geistigen Vorgänge, nach welcher auch die mächtigsten, geistigen Thatsachen nur Begleiterscheinungen unseres körperlichen Lebens sind. Eine solche Hypothese ist die Zurückführung aller Bewusst­seins Erscheinungen auf atomartig vorgestellte Elemente, welche in gesetzlichen Verhältnissen auf einander wirken. Eine solche Hypothese ist die mit dem Anspruch der Causalerklärung auf­tretende Construction aller seelischen Erscheinungen durch die beiden Classen der Empfindun­gen und der Gefühle, wodurch dann das in unserem Bewusstsein und unserer Lebensführung so mächtig auftretende Wollen zu einem secundären Schein wird. Durch blosse Hypothesen werden die höheren Seelenvorgänge auf die Association zurückge­führt. Durch blosse Hypothesen wird aus psychischen Elementen und den Processen zwischen ihnen das Selbstbewusstsein abgeleitet. Nur Hypothesen besitzen wir über die verursachenden Vorgänge, durch welche der erworbene, seelische Zusammenhang beständig unsere bewussten Processe des Schliessens und Wollens so mächtig und räthselhaft beeinflusst. Hypothesen, über­all nur Hypothesen! Und zwar nicht als un­tergeordnete Bestandtheile, welche einzeln dem wis­senschaftlichen Gedankengang eingeordnet sind. Solche sind ja, wie wir sahen, unvermeidlich. Vielmehr Hypothesen, welche als Elemente der psychologischen Causalerklärung die Ableitung aller seelischen Erscheinungen ermöglichen und an ihnen sich bewähren sollen.“

Außer Modell­vorstellungen und unabschliessbaren Hypo­thesen ist laut Dilthey mit diesen Mitteln nichts zu finden. Das war wie gesagt 1894. Indes die systematische Beobachtung des Denkens, wie sie in Steiners Grundlinien von 1886 in einer Frühform behan­delt wird, in ihrer institutionalisierten Gestalt erst mit beginnendem 20. Jahrhundert in Külpes Würzburger Institut Fahrt aufnahm. Übrigens mit Külpe von einem erprobten Assistenten aus dem Institut Wilhelm Wundts, der mit der Vernachlässigung des Seelenlebens in diesem Wundtschen Institut höchst unzufrieden war, wie er in seinem Beitrag in den Göttingischen gelehrten Anzeigen von 1907, S. 595 – 608 darlegte.

Ich habe laut Steiner gar kein Recht über eine Außenbeobach­tung Eins zu Eins auf die Vorgänge im Inneren zu schließen. (Analoges läßt sich aus Diltheys Vortrag ablesen.) Denn ich finde aus der Außenper­spektive, und mit «Hebeln und Schrauben» bewaffnet, dort keine Gedanken, Willens­prozesse und Gefühle, sondern lediglich physiologische Korrelate. Deren ursächliche Verbin­dung zu den seelischen Vorgängen im höchsten Maße undurchsichtig ist, «weil ich an die Sache von außen ja nie herankomme», um dieses Argument Steiners aus dem 14. Kapitel der Grundli­nien noch einmal aufzunehmen. «Beim Übergang vom Hirnprozeß zur Empfin­dung ist der Beobachtungsweg unterbrochen.» Das gilt heute wie gestern. Da hilft auch der empfindlichste Tomograph oder ein noch raffinierteres bildgebendes Verfahren nicht weiter. Siehe zu diesem Dilemma der physiologischen Seelenerklärer auch Steiner in GA-21, S. 150 ff im Ergänzungskapitel Die physischen und die geistigen Abhängigkeiten der Menschen-Wesenheit.

Ich kann niemals von außen unmittelbar in meine eigene Empfindungs- und Gedanken­welt schauen. Oder in die eines anderen. Sondern nur von innen und bei mir selbst. Auf den «Verursa­cher» meiner oder fremder Gedankenwelt kann ich von außen schon gar nicht unmittelbar schau­en, weil «der Beobach­tungsweg dorthin eben unterbrochen» ist. Man kann von außen nur auf gewisse Zu­sammenhänge hypothe­tisch schließen. Doch den wirklichen Verursacher sieht man mit diesem Verfahren nie, weil man ihn sachlich auf diesem Wege von außen eben nie erreichen kann. Auch wenn uns das die KI-For­schung oder Neurobiologie heute oft und oft un­terschieben will, wenn sie irgend wel­chen physiologischen Spuren dieser Aktivität mit ge­wissen Erfolgen nachgeht, und das Ganze dann in ihr materialisti­sches Konzept vom «denkenden Gehirn» einfügt. Damit dann ganz prag­matisch utilitaristisch und ohne jeden erkenntniswissenschaftlic­hen Tiefgang materia­listisch die Welt erklärt, weil es ihr nur um Nutzanwendungen geht. Meinetwegen um Nutzan­wendungen massenpsychologischer, pharma­kologischer oder me­dizintechnischer, militä­rischer und sonstiger Art, aber nicht um Welt- und Menschenver­ständnis. Womit ich mich auch an Alex­ander Unzicker an­lehne, der sich, - mit Blick auf die Naturwissenschaften und die Unterschiede der europäischen und amerikanischen Denkkultur, sowie die Verflechtungen von Politik und Wissenschaft, - im Juni 22 zusammen mit Dirk Pohlmann dieser Frage angenommen hatte: Die einen suchen vorrangig nach Nutzanwendungen und die anderen nach tiefgründiger Erkenntnis. Das ist eine schwerwiegende kulturelle Differenz zwischen Europa und den USA, die in jeder Beziehung zu bedenken ist.

Um erfolgreich ein Haus zu bauen, dazu benötige ich kein Wissen, das den ganzen Kosmos physikalisch er­klärt. Nutzanwendungen können auch hoch funktional und dauerhaft sein, - denken Sie an den mittelalterlichen Ka­thedralenbau, - ohne von den wirklichen Ursachen ihres Funktionierens das Tiefgrün­digste an physikalischer Naturer­kenntnis vorrä­tig zu haben, - was ja ohnehin nie der Fall ist, «weil die Zu­kunft der Natur­wissenschaft kei­ner kennt», um mit Popper zu argu­mentieren. Der erkenntniswis­senschaftliche oder neurowissenschaftliche Utilita­rismus und Prag­matismus funktioniert auch ohne abgrün­diges letzterklärendes Naturwis­sen, funktioniert ohne jede Ethik und auch ganz ohne jede Frei­heitsforschung. Es sei denn, ich habe im letzteren Fall auch noch ein «unterir­disches» Motiv dafür, warum ich den Men­schen das möglicherweise vorhandene Wissen um ihre Frei­heitsfähigkeit mit al­len Mit­teln vorenthalten will. Und dann jede (wissenschaftliche) Aufklärung darüber nach Kräf­ten sabotiere. Man muß sich schon mit «Mut seiner eigenen Vernunft bedie­nen», (Kant) wenn man zwecks Aufklärung solchen Saboteuren der Freiheit entkommen will.

Öf­fentlich verbrei­tetes Wissen um die Freiheitsveranlagung des Menschen und die da­für spre­chenden Gründe brauche ich auf der anderen Seite als materialistischer / sozialistischer / neolibe­raler oder gar kirchlich verankerter So­zialingenieur und Machthaber nämlich nicht, wenn es mir lediglich um die problemlose und effekti­ve Steuerung der kritischen Bevölkerungsmassen geht. Die funk­tioniert auch ohne dieses Wis­sen. Ich werde mich, falls ich als neoliberaler oder totalitä­rer «Sozialinge­nieur» dennoch darüber verfüge, aber auch hüten, solches frei­heitsrelevantes Wis­sen preiszugeben und weiträu­mig in der Bevölkerung zu verbreiten. Denn wer gibt schon freiwill­ig sei­ne auf Lügen und Halbwahr­heiten gebaute Macht ab, indem er unter den Menschen im großen Stil die Aufklä­rung über ihre Freiheitsfähigkeit öffentlich macht? - Diese Genossen­schaft der machtbeflissenen freiheitswissenschaftlichen Gegenaufklä­rer hat inzwischen viele Helfer. Selbst dort bisweilen, wo man sie zunächst überhaupt nicht er­wartet.

Mit Halbwahrh­eiten und ausgekochten Lügen können Sie inzwischen ganz utilitaristisch nicht nur die Wissenschaft, spe­ziell neben der Klimawissenschaft die Pharmakologie und Medi­zin, sowie über willige Mit­macher die Politik ganzer Staatenverbünde beherrschen. Wie im letzteren Fall die Firma Pfi­zer inzwischen von Woche zu Woche mehr demonstriert, je mehr von den sieben «Jahrzehnte lang ge­heim zu haltenden» Schauerlichkeiten dort vorzeitig durch die freige­klagten Forschungsunterlagen zu den Covid-Impfstoffen offenbar werden. Aber nicht nur das ist mög­lich, sondern Sie können bis zu einem gewissen Umfang auch die ganze Welt damit beherrschen. Auch wenn das «zynisch und nicht moralisch ist. Aber es funktio­niert», wie George Friedman in seiner unvergleichlich sarkastischen Chicagoer Rede von 2015 (Minute 59 ff) darlegte. Damit hat er dann wohl eine der verwerflichsten Formen des Utilitarismus und Pragmatismus offen gelegt. Nämlich jene, die völlig frei von spirituellen, ethischen, moralischen und menschlichen Skrupeln, sondern le­diglich von der Gier nach Macht getrieben ist, und aus purer Gewalt, Lügen und Täuschen besteht. Und zum Zwecke dieses Machtzieles ganze Völ­ker und Erdteile auf der Grundlage von Betrug, Erpressung, Täuschung und Massenmord in Schutt und Asche legt, wie es Friedman «als Insider» in diesem Zusammenhang von der anglo-amerikani­schen Geo-Politik berichtet.

Wie gut das «funktioniert», das erleben wir zur Zeit in der Globalkrise seit 2020 sehr eingehend in dem mit Leichen gepflaster­ten End-Kampf um die anglo-amerikani­sche Weltherr­schaft und den Fol­gen der inszenierten «Plandemie». Wo die westlichen «Menschen- und Erdenretter und angeblichen Freiheitsenthusias­ten» inzwischen seit über einem Jahr dabei sind das riesige Atom­kraftwerk von Saporoschje in die Luft zu jagen und die Demokratie in der Ukraine so lange abzuschaffen, «bis der Krieg gegen Russland gewonnen» ist. Während die Welt unterdessen mit Hilfe der WHO und Globalmilliardären zu einem totalitären Freiluftgefängnis und Impfzwang mit Mengele- Experimentalimpfstoffen umgeformt wird. Der Mensch hat «frei von allen gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Bindungen zu funktionieren wie eine Maschine», - so etwa der Gründer und erste Generalsekretär der WHO, Brock Chisholm. - Was alles zugleich der Beweis für das geltende Gegenteil von Friedmans geopoliti­schem Enthusiasmus und amora­lischer Glaubens­überzeugung ist: Sie funktioniert in ihrer unethischen Machtphilosophie, gebaut auf wahrheitsferner, nur pragmatistischer Menschen- und Lebensverachtung nicht! Sondern ist nichts anderes als ein satanisches Konzept des Todes und der Machtgier, das so lange «funktio­niert», bis schließlich die gesamte Menschheit mitsamt der Erde da­bei auf der Strecke blieb. Was uns Rudolf Steiner bereits am 30. Juli 1918 in weiser Voraussicht hier, GA-181, S. 404 ff ange­kündigt hat, dahinge­hend, dass der «Amerikanismus und der Goetheanismus völlig unvereinbar seien. Und der Ame­rikanismus der Welt den Tod bringt». Siehe auch ergänzend dazu Steiner im Dreigliederungskurs am 2. Januar 1921 in GA-338, S. 236 - 242 über den «Enthusiasmus des Lügens» in Kirchen, Presse und Politik. Innenpolitisch möchte man das bis­weilen etwas ergänzen lassen durch einen, der «aus der Zukunft kommt». Das Lügen und Täuschen ist inzwischen zur gesteuerten Allzweckwaffe in Kirchen, Politik, Medien und regelmäßig sogar der «angesehenen» Wissenschaft geworden. Das sind ja Tatsachen, die heute teilweise von Steiners eige­nen Leu­ten massiv hintertrieben werden, selbst dann, wenn das al­les vor ihren eige­nen Augen geschieht. Aber wie oben bereits gesagt: Die Genossen­schaft der machtbeflissenen freiheitswissenschaftli­chen Gegenaufklä­rer hat inzwischen viele Helfer. Selbst dort bisweilen, wo man sie zunächst überhaupt nicht er­wartet.

Es ist also sehr wahrscheinlich, daß die­selbe westliche Eugeniker- und Reset-Mischpoke, die gerade die ganze Menschheit über Politik und Mediz­in mit Biowaffen und Lockdown traktiert, und mit dem anderen Arm gegen den an­geblich menschen­gemachten Klima­wandel antobt, gleichzeitig mit ihrem neuerlichen Barbarossa-Zug nach Osten die Welt mit Bedacht in einen to­talen Vernichtungskrieg, und trotz aller Klimaklebenden, Windmüllernden und AkW-Abschal­tenden in die (globale) radioaktive Ver­seuchung stürzt. Inzwischen (Stand 05. 07. 23) nimmt das alles über die zunehmenden Angriffe auf das AkW Saporoschje immer bedrohlichere Ausmaße an. Mit der radioaktiven Verstrahlung der Erde haben die grün-eugenischen Welt- und angebli­chen Freiheitsretter also kein Problem, so lange es nur den Zielen ihrer Machtgier för­derlich ist.

Es ist also hochgradig wahrscheinlich, dass diese Rettungs-Mischpoke mit Rettung von Erde und Menschheit und ihrem «Wohler­gehen in Freiheit» nicht viel am sprichwörtlichen Hut hat. Son­dern im Gegenteil: Eher auf multidimensionalen Ebenen dem satanischen Erfolgskonzept des Herrn Fried­man bis in den allgemeinen Untergang folgt. Mit einem Bild vom Tier-Maschinen­menschen als Leitmotiv, wo man als globaler «Führer» dann die «nutzlosen Es­ser» (Harari) über UNO und WHO, Mili­tär, Medizin, «Weltregierung» und inszenierte Hungerkatastropen nach Belieben an- und aus­knipsen kann. Wobei der zerstörerischen Fantasie einschließlich inszenierter Klimakatastrophen keine Grenzen mehr gesetzt sind.

Diese Dinge hängen über die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung / Erkenntniswissen­schaft und darauf aufbauender Ethik vom «freien», im Gegensatz zum bloß «mechanistisch ge­triebenen» Men­schen schon auch eng mit einander zusammen. Man darf die von außen beobach­teten «Spuren» des Denkens, Erkennens und Seelenlebens nicht mit dem wirkenden Original ver­wechseln. Was zu Beginn des neunten Kapitels von Steiner bereits in der Philoso­phie der Frei­heit im Prinzip dargelegt, und damit perspektivisch auch für die Gegenwart vorweg genom­men worden ist. Die prinzipiellen Verhältnisse von Innen- und Außenbeobachtung sind ja heute nicht anders geworden, als sie damals waren. Doch nicht nur Steiner sah das zumal bei seinem An­spruch nach «erkenntniswissenschaftlicher Voraussetzungslsosigkeit» so, bei der hoch zwei­felhaften naturwissenschaftlichen Ausgangslage nach Wirksamkeitszusammen­hängen zuallererst im eigenen Inneren zu suchen, son­dern ein großer Teil seiner wissenschaftli­chen Zeit­genossen sah das ebenfalls so. Jo­hannes Vol­kelt bestätig­te diese Tatsa­che ausdrück­lich noch einmal in der letzten Fas­sung seiner eigenen Erkenntnistheorie von 1918 auf S. 141 ff. Und Wilhelm Dilthey, - um nur auf diesen prominen­ten Zeitgenossen noch einmal in dieser Fra­ge hinzuweisen, - bereits in seinem Berliner Vortrag von 1894 speziell auf den Seiten 1313 ff.

Steiner untersuchte diese natur­wissenschaftlichen Ge­wissheiten zualler­erst beim un­mittelbar er­lebten Den­ken und Erkennen – und zwar in der naturwissenschaft­lich angem­essenen Form von Wirksam­keitszusammenhängen. Und um das noch einmal hervorzuheben: Denen er die Unab­hängigkeit der begrifflichen Inhalte von dieser Tätigkeit gleichberechtigt an die Seite stellte. Denn bekanntlich suchte Steiner nicht nur in der Philosophie der Freiheit «mehr, als nur Ich». Sondern man kann das bereits in den Grundlinien im Kapitel 8 ff lesen. Was er, wie wir oben sa­hen, aber auch im gesamten begrün­denden Frühwerk gegenüber Fichte geltend machte. Das alles ist in seinen sämtli­chen Früh­schriften leicht nachzule­sen. Pro­grammatisch besonders unmissver­ständlich formuliert als «Su­che nach den wirkenden Natur­kräften im eigenen Inneren, um dort auch mehr zu finden als bloß Ich» am Ende des zweiten Ka­pitels der Philoso­phie der Freiheit mit ihreren seelischen Beobachtungsresultaten nach natur­wissenschaftlicher Methode. Aber wahrlich nicht nur dort: „Es kann nur ihr eigenes Wirken sein, das auch in uns lebt. … Wir wollen keine Spekulationen anstellen über die Wechselwir­kung von Natur und Geist. Wir wollen aber hinuntersteigen in die Tiefen unseres eigenen We­sens, um da jene Elemente zu finden, die wir herübergerettet haben bei unserer Flucht aus der Natur. Die Erforschung unseres Wesens muß uns die Lösung des Rätsels bringen. Wir müssen an einen Punkt kommen, wo wir uns sagen können: Hier sind wir nicht mehr bloß «Ich», hier liegt etwas, was mehr als «Ich» ist.“

Von der Assoziationspsychologie Humes zur modernen Psychologie des Denkens

Kommen wir jetzt auf spezielle denkpsychologische Fragestellungen zu sprechen, die hier eine wesentliche Rolle spielten. Die andere maßgebliche Tatsache in der Grundlagen- und Freiheitsforschung dieser Zeit war nämlich wie gesagt die, daß man damals im Gefolge Humes von ei­nem «psychologi­schen Zwang durch Assoziation» sprach, der uns angeblich nötigt, die Gescheh­nisse nach Ursa­che und Wirkung zu ordnen, weil wir gar nicht anders können. Ein beim Denken und Erkennen frei agierendes «Ich» existiert für diese Psy­chologie der Assoziation nicht, sondern galt lediglich als Täu­schung. Menschliche Freiheit im Denken und Handeln gab es infolgedessen schon gar nicht, wie es seinerzeit auch von Edu­ard von Hartmann behauptet wur­de. Eine Vor­stellung der mentalen Zwangsereig­nisse, die aus ei­ner alten, me­chanistischen briti­schen Assoziations-Psychol­ogie stammte, der Da­vid Hume bereits anhing. Die Philosophie der Unfreiheit hatte damals viele Vertreter. Auch aus der Region des Idea­lismus, wie etwa an Eduard von Hartmann exemplarisch sichtbar wird, der dazu eine Allianz mit den Zwangsvorstellungen der Assoziationspsychologie eingegangen war.

So schreibt Wilhelm Dilthey in sei­ner Einleitung in die Geisteswissens­chaften. Bd 1, Leipzig und Berlin 1922, S. 377 über die Genese dieser Asso­ziations-Psychologie: „David Hume, welcher über zwei Generation­en nach Spinoza des­sen Werk fortsetzte, ver­hält sich zu Newton genau so wie Spinoza zu Galilei und Descartes. Seine Assozia­tionstheorie ist ein Ver­such, nach dem Vor­bild der Gravitati­onslehre Gesetze des Aneinanderhaf­tens von Vor­stellungen zu entwer­fen. «Die Astronomen», so erklärt er, «hatten sich lange be­gnügt, aus den sichtbaren Erscheinun­gen die wahren Be­wegungen, die wahre Ordnung und Grö­ße der Him­melskörper zu be­weisen, bis sich endlich ein Philosoph erhob, welcher durch ein glü­ckliches Nachdenken auch die Gesetze und Kräfte bestimmt zu haben scheint, durch wel­che der Lauf der Planeten beherrscht und geleitet wird. Das gleiche ist auf anderen Gebieten der Natur voll­bracht worden. Und man hat keinen Grund, an einem gleichen Erfolg bei den Untersu­chungen der Kräfte und der Einrichtung der Seele zu verzweifeln, wenn dieselben mit glei­cher Fä­higkeit und Vorsicht angestellt werden. Es ist wahrscheinlich, daß die eine Kraft und der eine Vorgang in der Seele von dem andern ab­hängt.» […] So begann die erklärende Psychologie in der Unterordnung der geistigen Tatsachen unter den mechanischen Naturzusammenhang, und diese Unterordnung wirkte bis in die Gegen­wart.“ - So weit Dilthey über Humes Überlegungen zur Eta­blierung einer mechanistischen Assoziationspsychologie, die sich laut Dilthey von der Gravitationslehre Newtons impulsieren ließ und als solche bis in seine eigene Zeit fortwirkte. Modernere Zeitgenossen würden sich da eher an elektrophysiologischen Erscheinungen orientieren, die zu Humes Zeiten noch nicht bekannt wa­ren. (Siehe ausführlicher zur Entwicklung der Assoziationspsychologie, George Humphrey, Thinking, An Introduction To Its Experimental Psychology,Oxford 1951, S. 1-29.)

Das war die «alte Assoziationspsycholo­gie», von der Edith Stein oben sprach. Deren Erklärungs­ansatz zur Unterordnung der geistigen Tatsachen unter den mechanischen Naturzusammenhang führte, wie Dilthey schrieb. Insofern ist es nicht überraschend, wenn Steiner in der Philosophie der Freiheit gleich drei zeitgenössische Hauptvertreter dieser Assoziationspsychologie behan­delt. Nämlich Herbert Spencer, Eduard von Hartmann und den Hume- und Kant-Anhänger Theo­dor Ziehen, wenn auch den let­zeren eher beiläu­fig zu Beginn des dritten Kapitels der Philoso­phie der Freiheit. Oder vielleicht treffender formuliert: als zeitgenössisches Gegenlager / Kontra­punkt in Gestalt der mechanisti­schen Assoziations­spsychologie zu seiner ei­genen Auffassung, die er im Kontrast dazu im drit­ten Kapitel der Phi­losophie der Freiheit vor­stellt. Besonders klar hervor tritt diese mechanistische / assoziationstheoretische Gegenposition beim physiologischen Psychologen Ziehen in Sätzen wie: «Unser Handeln ist necessitiert wie unser Denken» (Ziehen, 1893, S. 208 f). Abgesehen von Edu­ard von Hartmann, etwa Das Unbe­wußte vom Stand­punkt der Physio­logie und Descendenz­theorie, 2. Aufl, Berlin 1877, wonach hier, S. 137 f gilt: „Die Ideenassociat­ion ist die allgemein­gültige, ewig unersetzliche Ur­form, in welcher jeder Vorstel­lungsprocess ver­läuft, … .“; oder ab­gesehen auch von Theodor Zie­hen, - kamen deren ty­pische Vertreter maßgeb­lich, wie etwa der einflußrei­che Her­bert Spencer, aus dem angelsächsi­schen Sprach­raum. Weswe­gen der physiolo­gische Psy­chologe Theodor Zie­hen in dem von Stei­ner in der Philosophie der Frei­heit genannten Leitfaden der physiologi­schen Psycholog­ie, Leip­zig 1893 (Vorwort) den Leser davon un­terrichtete, daß er sich «eng an die As­soziationspsychologie der Engländer an­lehne». Während Steiner mit seiner Beobachtung des Denkens, in der Philosophie der Freiheit und frü­her, zusam­men mit anderen Psychologen des Denkens wie der nachfolgenden Würzburger Schu­le Oswald Külpes zu ganz anderen Resultaten gelangte als die Assoziationspsy­chologen der briti­schen Schu­le. Siehe Karl Bühler dazu hier. Und hier. Demgegenüber diese britische Schule wie­derum mit ihren «asso­ziativen Zwangsvor­stellungen» erkenntniswissenschaftlich über Theo­dor Zie­hen den Totalitaris­mus der Marxisten und So­zialisten beflügelte, wie Steiner in späteren Vorträgen berichtete (siehe etwa GA-174b, S. 300 ff). Zu Begriffen wie Ethik, Willen, Verantwortung und Freiheit kommt diese mechanistische Psychologie nicht. Siehe relativ ausführlich auch George Humphrey 1951, S. 1-29, der dort den Wer­degang der Assoziati­onspsychologie von ihren Ur­sprüngen bis zu ihren modernen me­chanistischen Ablegern des 20. Jahrhunderts wie etwa Pawlows Reflexologie und den Behaviourismus skizziert.

Den seinerzeit bekannten deutschen Assoziationspsychologen Theodor Ziehen führt Steiner im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit eingangs an (hier S. 22). Steiners «Rebhuhnreplik» an den damals wirk­mächtigen Anhänger der Assoziationspsychologie Herbert Spencer dürfte auch vielen bekannt sein, die sich mit der Philosophie der Freiheit und ihrem vierten Kapitel be­schäftigen. Humes Theorie der «Gewöhnung als Ursache unse­res Kausalitätsglau­bens» und Grundlage auch des naturwissenschaftlichen Kau­salitätsglaubens, hat er bereits in Wahrheit und Wissenschaft (hier S. 41f) ablehnend gestreift. Mit Steiner wiederum stell­ten zahl­reiche andere, wie Volkelt oder Bühler und Külpeschule, in dieser psychologi­schen Um­bruchzeit der Jahrhun­dertwende die Psychologie des Denkens auf eine ganz andere Grundlage, wie auch der Brite George Humphrey in den 1950er Jahren ausführ­lich doku­mentierte. Womit sie auch die Assozia­tionspsychologie für die Bewertung der Denk- und Er­kenntnisvorgänge ob­solet machten. Wes­wegen Edith Stein in ihrem Vorwort von der «ver­alteten Assoziati­onspsychologie» sprach. Wor­an der Leser erkennen kann, wie sehr durch eine gewand­elte psycho­logische Methode der Beob­achtung des Denkens, die im Gegensatz zu ihrem mechanistischen Vorläufer einen unmittelbaren Empiriebezug an den konkreten Vorgängen des Denkens hatte, das naturwissen­schaftliche Grundla­genverständnis ebenso be­troffen ist wie das nach der menschlichen Freiheit. Oder das nach einem «induktiven Zugang zu den Ideen», um mit Ru­dolf Steiner in GA-1, S. 128 zu spre­chen. Allein da­durch, weil die psychologi­sche Beob­achtungsmethode des Den­kens jetzt Mög­lichkeiten der sach­lichen Bewertung von Denk- und Er­kenntnisprozessen als aktive und beob­achtbare innere Hand­lungen an die Hand be­kam, die einer mächtigen angelsäch­sischen Schule bis dahin nicht zur Ver­fügung standen. Das alles hatte substantielle Folgen, wie Volkelt 1918, S. 141 in der laut Vorwort «endgültigen Fassung» seiner Erkenntnistheorie schrieb. Dahin­gehend, daß die Entdeckun­gen der neueren Psychologie des Denkens und der Be­wußtseinsakte „für die Aus­gestaltung der Psy­chologie, der Ethik, der Metaphysik nicht nur wich­tig, sondern ge­radezu entscheidend" sind. - Halten Sie das, lieber Leser, einmal vergleichend neben Steiners «allerwichtigste Beobachtung» aus dem dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit. Daraus können Sie eine fruchtbare und lange Studienarbeit zu Steiners zeitgenössischen Quellen verfassen.

Sozialphilosophische Folgen einer unzureichenden Kausalitätsforschung

Man muß nämlich weiter hin­zufügen: Nicht nur für die Psychologie, Ethik und Metaphysik «geradezu entscheidend», sondern damit auch für die Bewertung des Kausa­litätsproblems, wie es bei Volkelt 1918 schon auf diesen Sei­ten mit genannt wurde. Was auch auf der Hand liegt, da das Kausali­tätsproblem wegen seiner Bedeutung in der Freiheitsfrage sachlich von der Ethik ja nicht zu tren­nen ist. Denn es macht eben einen großen Unterschied, ob das erkennende Denken frei, oder eine mechanistisch / psychologische Zwangsveranstaltung von Naturkausalität ist. Und die angebli­che Freiheit nur ein Oberflächen- und Täuschungseffekt durch unbekannte und tiefer liegende Ursa­chenzusammenhänge ist, wie es damals fast re­gelmäßig, und sogar von den Idealisten wie Eduard von Hart­mann erklärt wurde. So daß vor dem Hintergrund der Ethik zu konstatieren ist, daß ein mechanistisches Zwangsdenken notwendigerweise wie bei Theodor Ziehen oder Herbert Spencer auch zu einer to­talitären politisch-gesell­schaftlichen Ethik führen muß, weil es einen freien Men­schen nach der damals mecha­nistischen briti­schen Assoziations-Doktrin grundsätzlich nicht ge­ben konnte. Totali­täre Ideo­logien wie etwa der Sozialdarwinismus und seine eugenischen Ableger wie bei Herbert Spencer, desglei­chen Ziehens Impulse auf den Marxismus basieren auf solchen mechanistischen Erklärun­gen des mensch­lichen Denkens und Handelns. So daß leicht nachvollziehbar ist, wenn auf die­ser philosophisch / naturwissenschaftli­chen Grundlage organi­sierte Staaten zum Totalitarism­us ten­dieren, weil die bestimmenden Eliten dort nur das staatsphi­losophisch umset­zen, was ihnen eine mechanistische Wissenschaft vom un­freien Tier-Maschinen-Menschen als Steilvorlage zu ei­ner enthu­manisierten Staatsethik zur Ver­fügung stellt. Was nicht erst seit heute und gestern auch für die so­genannte «westliche Wertege­meinschaft» gilt, die der­zeit in erschre­ckendem Ausmaß zu einem vollständig autoritären und enthumanisierten Orwell-Syst­em von Gulag-Maschinenstaa­ten geformt wird. Wo dem­nächst im Mai 23 / inzwischen über den deutschen Bundestag mögli­cherweise eine neue Art von «medizinischem Ermächtigungsgesetz» zur despotischen Herr­schaft einer hochkorrupten WHO-Spitze über das leib­liche und seelische Wohl aller Deutschen führt. Hochgradig privatorgani­sierter und finanzierter Mengele-Totalitaris­mus bis hin zur um­fassenden zwangsweisen Anwen­dung von als Impfstoffen getarnten Biowaf­fen auf die ganze Bevölker­ung. Mit nachfolgender Übersterblichkeit und massenhaften Schädigungen der Betroffenen. Letztlich auch nur ein tyrannisch ver­logener Herrschaftspragmatismus, der alles andere zum Ziel hat, nur nicht die menschliche Ge­sundheit und menschliches Wohlergehen in Frei­heit. Auch das ist «zy­nisch und nicht moralisch, aber es funktioniert». Ganz pragmatisch mit Bevölk­erungssteuerung auf der Grundlage von Massenpsychologie, politischen / juristischen / sozialen Druckmit­teln und einem umfassenden Gebräu von Lügen und Täuschung. Quasi eine medizi­nisch organi­sierte faschistische Mengele-Welt­herrschaft unter Führung der westlichen «Wertege­meinschaft» und Globalmilliardären, bei maß­geblicher deutscher Beteiligung auf allen Ebenen von Finanzierung, Forschung und Umset­zung. Bis hin zum Großrosstäuscher des Drosten-Tests. Von denselben Bundestagsparteien nun vor al­lem beschlossen, die sich vorher schon nicht ge­nug ereifern konnten für eine massenhafte Zwangsimpfung der ganzen Bevölkerung mit folgen­schwersten Biowaffen. Mit nachfolgendem Massensterben und millionenfachem Elend, wie wir es in den zurückliegenden zwei Jahren auf analogen Wegen, und in Deutschland angeschoben unter Mer­kel&Co, bereits erlebt haben. Das alles demnächst in einer globalistischen Variante, wie es das bis da­hin in dieser Form und mit den mo­dernen techni­schen Möglich­keiten zum Völkermord und genetischer Manipulation nicht einmal in der schlimmsten Na­ziherrschaft gab. Die üb­rigens auch nur ein Anhänger und Kind der dama­ligen westlichen Wertegemein­schaft unter der Füh­rung Groß-Bri­tanniens und der USA war, und von dort her ähnlich «als gute Nazis» installiert wurde, wie Jahr­zehnte später «die guten Nazis» (Wil­ly Wim­mer) in der Ukraine. Die heute wie­derum von den schwarzrotgelbgrünen Neonazis und ihren gleichgesinnt faschistoi­den Natopart­nern hofiert werden. Zum ungeheuren Schaden der ukrainischen Bevölke­rung, die infolgedessen laut Robert F. Ken­nedy bisher allein 300000 tote Soldaten zu beklagen hat, wobei seit Nennung dieser Zahlen fast wöchent­lich tausende hin­zu kommen. Als Kanonenfutter für einen men­schenverachtenden «Wertewes­ten». Wo dem­nächst dann auch noch hochgradi­ge Verseu­chung durch die Uranmunition der Bri­ten zu erwar­ten sind. Ferner gesprengte Atomkraft­werke und ein völlig ver­wüstetes Land, wenn nicht gar ganzer Erdteile, die dem Erdboden gleichge­macht wer­den. Das alles steht am Ende des von Friedmann so beißend beschworenen Kalküls einer westlichen Todeskultur der Macht, das angeblich «so gut funktioniert». In Wirklichkeit aber nichts anderes ist als Innen- und Außen­politik als gelebter Satanismus einer alles zerstörenden Machtgier von sinistren, angeblichen «Eliten», die sich weltweit als materialistische Sozialingenieure und Massenmörder gerieren.

Demgegenüber nur ein freies Denken auch Grundlage ei­ner freien Gesellschaft und des freien Menschen sein kann. Wäh­rend sein monströses Gegenteil inzwischen in voller Takelage zum Maschinen­menschen des Herrn Schwab segelt, wie es seit Jahren auch mit all seinem globalen Vernicht­ungswillen groß angekün­digt wird. Was inzwischen unter dem Deckmäntelchen von Ge­sundheits-, Klimawandel- und Um­weltschutzpolitik die angeblichen «Demokrati­en» des Westens heimsucht. Auch mit den Mit­teln einer Meng­elemedizin. Mit di­rekt an der Naziwurzel- und tradition an­knüpfender Eu­genik, - einem Na­zi-Skelett, das laut Guardian «bei den Linken am lautesten klap­pert», - und flächen­deckendem Biowaf­feneinsatz als an­geblichem Impfstoff. Alles in allem wie­der direkt zurück in ein moder­nes Analogon zur Na­zizeit mit den Mitteln ei­ner einzigartigen Al­lianz von Linksfaschismus, Global­milliardären, Pharmaindustrie, monströ­sen Kapitalgesell­schaften, Bio­waffenforschung, von angeblichen «Anthroposophen» mit finan­zierter (Frieder Sprich, S. 27) totalitärer WHO mit ihren involvierten medizinischen Lügenbaro­nen und westlichen Kriegs­treibern. Wo der heruntergekommene alte Adel dann auch nicht ab­seits steht, und auf seine neue bevölkerungsbe­reinigende und eugenische Chance wartet, an der er kräf­tig mitwirkte. Und das deutsche Fernsehen ist mitsamt der Mainstreampresse auch hier wie selbstverständlich mit von der Partie.

In unserer heutigen Ge­genwart ist der Leser da­mit di­rekter Zeit­zeuge und unmittel­barer leibhaftiger Beob­achter die­ser Ver­hältnisse. Sieht und erlebt inzwis­chen auch ganz unge­schönt mit sämtlichen leib­lichen, seeli­schen und geistigen Fa­sern und Folgen, wo­hin das eine und das ande­re gesellschaft­lich zu füh­ren vermag: In den men­schenverachtenden und -vernicht­enden Nazi-Maschi­nenfaschismus des Herrn Schwab und seiner intel­lektuellen Zuträger nebst totalitä­ren politischen Anhängern und Statthal­tern in den überwiegend westlichen Regierungen, und inzwischen sogar der christlichen Kirchen. Oder aber in eine geistig freie und menschenwür­dige Gesellschaft. Das alles hängt na­turwissenschaftlich, psychologisch und philo­sophisch maßgeblich auch an solchen Fragen, wie sie von Volkelt, Steiner und zahllosen anderen zur Kau­salität im menschlichen Inneren damals untersucht wurden. Und ohne derartige Forschung wird es auch in Zukunft nicht gehen.

Dazu muß man eines noch bedenken: Ein großer Teil des Wider­standes gegen diesen materialistischen Weltfaschismus besteht aus Menschen, von denen ich zu­mindest hierzulande feststellen mußte, dass sie dieser Entwicklung auf der Erkenntnisebene au­ßer einem allgemeinen Unbehagen und einem sicheren Unrechtsgefühl intellektuell nicht viel entgegen zu setzen haben. Denn diejenigen, welche aufbegehren, bestehen in vielen Fällen aus religiös entwurzelten Agnostikern, Materialisten und Menschen, die von solchen grundlegenden Menschheitsfragen zur Freiheit keinerlei Lösungsvorstellungen haben. Um sich aus der Um­klammerung eines faschistoiden Materialismus wirklich nachhaltig zu befreien, dazu gehört aber weit mehr, als nur ein empfindliches Unrechtsbewußtsein. Das Letzere hier eher als Nebenbemerkung mit Selbstverständlichkeiten, die jedem klar sein dürften.

Volkelt, der die junge Psycholo­gie des Denkens damals mit hoher Aufmerks­amkeit verfolgte, spricht 1918 aus­drücklich von den erlebten Denkvorgängen, die „für die Aus­gestaltung der Psychologie, der Ethik, der Metaphysik nicht nur wich­tig, sondern ge­radezu entscheidend" sind. Auch das ein Hinweis darauf, wie sehr die Psychologie des Denkens, Frei­heitsphilosophie und na­turwissenschaftliche Grundlagen miteinander verwoben sind. Weswegen für Steiner die menschli­che Frei­heit in jenem «intuitiven Denken wurzelt, durch das eine jegliche Wahrnehmung in die Wirklich­keit erkennend hinein gestellt wird», wie es in der Philosophie der Freiheit (hier S. 179 ff) heißt. Das aber ist auch ein Denken, das von den leiblichen Organen unabhängig ist. Und infolge­dessen als Denken die leiblich seelische Organisation des Menschen in ihrer Wirksamkeit beob­achtbar zurückdrängt, wie Steiner eingangs des neunten Kapitels der Philosophie der Frei­heit aus­führt. Die «zurückdrängende wesenhafte Wirksamkeit» des Den­kens entfaltet sich demzu­folge auch im physischen Bereich der menschlichen Leibesorganisati­on und in seiner seelischen Orga­nisation. Was als solches schon jede Menge tiefschürfender Fragen im Zusammenhang mit der Natur-Kausalität aufwirft. Die als Leitfrage auch gleich zu Beginn im ersten Kapitel der Philo­sophie der Freiheit gestellt wird: „Ist der Mensch in seinem Denken und Handeln ein geistig frei­es Wesen oder steht er unter dem Zwange einer rein naturgesetzlichen ehernen Notwendig­keit?“

Ungenügende Quellenforschung an der Alanushochschule zu Steiners Empirismus der Grundlagen

Wie Sie im obigen Zitat von Reininger wiederum lesen, ist die «innere Beobachtung» zwecks Klärung der Kausalitätsproblematik bei Hume durchaus zulässig. War bei ihm selbst aber nicht von Erfolg ge­krönt, denn dafür kam er schlicht viel zu früh. Mit Humes Ansicht und der Gefolg­schaft Kants in der ab­lehnenden Haltung Humes gegen­über der Kausalerklärung, können Sie wiederum die philosophische Un­ruhe verstehen, die sich in­folge die­ses Resümees des großen Umwälzers Kant und seines Ideenge­bers Hume verbreite­te. Und warum es Steiner so sehr dar­auf ankam, Kant zu überwinden. Insofern ist es natürlich auch kein Zufall, wenn Steiner gleich nach dem Kapitel 14 der Grundlinien rückblickend die Bemerkung platziert: Wir erinnern uns, warum eigent­lich das Den­ken in unmit­telbarer Erfah­rung bereits sein We­sen ent­hält. Weil wir inner­halb, nicht au­ßerhalb je­nes Prozesses ste­hen, der aus den einzelnen Ge­dankenelementen Gedankenverbind­ungen schafft. Da­durch ist uns nicht allein der vollen­dete Pro­zeß, das Bewirk­te gegeben, son­dern das Wir­kende.“ - Wer die Situation um den empirischen Erklärungsnot­stand der Zeit im Blick hat, wie Steiner ihn im Kapitel 14 der Grundlinienkurz skizziert, dem fällt es leicht, Steiners Rückblick im Folgekapitel 15 auch auf das von Steiner angesprochen­e Problem mit den beiden Dogmatismen zu beziehen und Steiner in der von Edith Stein skiz­zierten Strömung jener Zeit anzusiedeln, die auf dem Wege war das Problem Kants und Humes zu lösen. Der Leser wird sich infolgedessen auch in keiner Weise darüber wundern, wenn er in Steiners Literaturverzeichnis zu Wahrheit und Wissenschaft neben vielem anderem thematisch Verbundenem auf S. 10 auch den Artikel von Ernst Laas genannt findet, über Die Kausalität des Ich. (Hier im Original der Zeitschrift für wissenschaftliche Philosophie, 1880 in drei Teilen zu studieren. Und hier bei Wilhelm Humerez.)

Auf der einen Seite endete als Folge des ungelösten «Humeschen Problems» jede empirische Erkenntnis laut Kant irgendwo im Nirgendwo des Dinges an Sich – ohne jeden ernsthaften An­spruch, das Wesen der Wirklichkeit zu erfassen. So daß an Humes Problem mit der Induktion sogar das deutsche Fernsehen heute noch herumrätselt, freilich ohne den empirischen Hinter­gründen und Argumenten Humes in Einzelheiten näher nachzugehen. Und, wie es heute allge­mein und inzwischen sogar bei den Anthroposophen weithin üblich geworden ist, das erlebte Denk- und Erkenntnisgesche­hen wie überhaupt die inneren Tatsachen, - anders als Hume das zumindest noch ansatzweise tat, und Stei­ner besonders regelmäßig und tiefgründig, - aus dieser Rechnung und dem Angebot der experi­mentellen Möglichkeiten an Klärungen um das Kausali­tätsproblem streicht. So daß deutsches Fernsehen und viele akademisch orientierte Anthroposo­phen sich sachlich und vom Niveau her inzwischen weit näher ste­hen als anthroposophische Au­toren zu Rudolf Steiner. Wie auch das Beispiel des Sammelbandes aus der Alanushochschule zeigt. Wo zu solchen Fragen nicht einmal ein winziges und bescheiden­es Lichtlein in der Quellen­angelegenheit glimmt. Nach annähernd 130 Jahren Philosophie der Freiheit und noch mehr Jah­ren der Grundlagenforschung Steiners. Während an der Universität Witten-Herdecke inzwischen Forschungspreise für Steiners erkenntniswissenschaftliche Gegner ausgelobt werden, die der Überzeugung entschiedenen Aus­druck verleihen, dass das menschliche Denken nie als ein Tun er­lebt werde. Was sich in beunruhi­gender Nähe zu Witzenmann bewegt. Siehe dazu auch Volkelt 1918, S. 141, Anmerkung 1. Desgleichen ausführlicher hier auf derzeit S. 331 ff.

Daß bei manchem Anthroposophen wirklich kein Lichtlein glimmt, das naturwissenschaftliche Grundlegungsproblem von Hume und Kant betreffend, davon kann der Leser sich unmittelbar überzeugen im Sammelband der Alanushochschule über Die philosophischen Quellen der Anthroposophie, anhand des Beitrages von Jost Schieren, S. 71 ff. Schieren spricht dort unter an­derem auf S. 71 ff über Steiners Schrift Wahrheit und Wissenschaft. Was eigentlich ein sehr löbli­cher Aspekt seiner Abhandlung wäre. Des weiteren behandelt er dort S. 74 ff den Ausdruck «in­tellektuelle Anschauung», von dem in Steiners Schrift mit Blick auf Kant ja auch die Rede ist. So weit so gut also, möchte man fast meinen, wenn man die näheren Zusam­menhänge nicht kennt. Was Schieren dabei freilich vollständig übergeht, ist die Tatsache, daß Stei­ner an der genannten Stelle im vierten Kapitel von Wahrheit und Wissenschaft (hier S. 37) die «intellektuelle Anschau­ung» zwingend mit der erlebten Tätigkeit des Hervorbringens von Begrif­fen und Ideen verknüpft. So daß natürlich die Frage aufkommt: Warum unterschlägt Schieren hier dem Leser einen essen­tiellen Bestandteil der von Steiner ausgesprochenen Eigenschaften der «in­tellektuellen Anschau­ung», indem er sie einfach weg läßt? Und dem Leser damit ausgerechnet auch noch jenen Kern­bestandteil vorenthält, den sein Lehrer Witzenmann auch schon 40 Jahre lang in Permanenz bei den restlichen Frühschriften Steiners unter den Tisch fallen ließ, obwohl sie dort ebenfalls nicht zu übersehen waren! Dazu weiteres nach dem folgenden Abschnitt.

Synthese von Wahrnehmung und Begriff und seelische versus introspektive Beobachtung

Wiederum in der Schrift Wahrheit und Wissenschaft ist aus dem entspre­chenden Kontext klar und deutlich zu entnehmen, dass die «unmittelbare Ge­gebenheit des Her­vorbringens von Begrif­fen» nur als innere Erfahrung sprich: «Introspektion» zu verstehen ist. Und soweit dies begriff­lich durchdrungen und geklärt wird, als «innere oder introspektive Beobach­tung». Immerhin gibt es in Steiners Grundlinien Kap. 7, hier S. 40, bereits den Ausdruck «innerer Sinn» für das «Wahrnehmungs­vermögen der inneren Erlebnisse». (Ein Ausdruck, der übrigens schon bei Kant gebräuchlich war. Siehe dazu Kurt Eislers Kant-Lexikon.) Erkenntnis aber besteht bei Steiner stets aus der Durchdringung von Wahrnehmungen, gleich welcher Art, mit Begriffen. Was er in der Zweitauflage der Grundlinien in den Anmerkungen der Neuauflage von 1924 zu S. 27 eigens noch einmal dargelegt hat.

Schauen wir noch einmal darauf, was er 1924 (hier auf S. 137 f) unter dem Stichwort «Diese unsere erste Tätigkeit ...reine Erfahrung» in diesen Anmerkungen schreibt: „Man sieht aus der ganzen Haltung dieser Erkenntnistheorie, daß es bei ihren Auseinandersetzungen darauf ankommt, eine Antwort auf die Frage zu gewinnen: was ist Erkenntnis? Um dieses Ziel zu erreichen, wird zunächst die Welt der sinnlichen Anschauung einerseits und die gedankliche Durchdringung andrerseits ins Auge gefaßt. Und es wird nachgewiesen, daß im Durchdringen der beiden die wahre Wirklichkeit des Sinnenseins sich offenbart. Damit ist die Frage: «Was ist Erkennen?» dem Prinzipe nach beantwortet. Diese Antwort wird keine andere dadurch, daß die Frage ausgedehnt wird auf die Anschauung des Geistigen.“

Wie wir weiter oben bereits besprachen, wird diese Sachlage auch vertiefend behandelt speziell im längeren Zusatz zum Kapitel VII der Zweitauflage der Philosophie der Freiheit mit ihrem erweiterten Wahrnehmungsbegriff, dahin­gehend, daßalles sinnlich und geistig an den Menschen Herantretende als Wahrnehmung auf­gefaßt wird, bevor es von dem tätig erarbeiteten Begriff erfaßt ist.“ (hier, S. 94)

Hat man nun «innere Wahrnehmungen durch den inneren Sinn», dann muß man sie mit entspre­chenden Begriffen zwecks Erkenntnis durchdringen. Und für die nach außen orientierten Sinne und deren Wahrnehmungen gilt analoges. Einen anderen Weg als den, (innere) Erfahrungen zwecks Erkenntnis mit Begriffen zu durchdrin­gen, gibt es für Steiner auch bei der «seelischen Beob­achtung» nicht. Das zumindest sollte man von einem akademischen Interpreten, der aus den Reihen der Anthroposophie stammt, als bekannt voraussetzten. Im Falle des Denkens und seiner Beobachtung gilt dasselbe, wie wir hier wiederholt schon darlegten.

Wobei hier eine Besonderheit darin besteht, die Tätigkeit des Denkens selbst anhand der Erfah­rungen des Denkens zu betrachten. Wofür Steiner, wie wir schon darlegten, nicht nur in den Grundliniensondern auch in der Philosophie der Freiheit den Ausdruck «gegenüberstellende Betrachtung» verwendet. Mit dem Ziele der Begriffsbildung respektive Erkenntnis des Denkens. Wobei, wie wir ebenfalls erläuter­ten, die begriffsbildende gegenüberstellende Betrachtung zwecks Erkenntnis des erfahrenen Denkens ihrerseits eine erlebte aktive Leistung des erkennen­den Denkens ist. Ich sage das aus­drücklich noch einmal, damit es hier nicht in Vergessenheit ge­rät. - Es wird dabei also nicht nur das vergangene Denken betrachtet, sondern der Betrachtungs­vorgang ist seinerseits ein aktiver Tätigkeitsprozess des erkennenden Denkens / Individuums. Was bei Steiner dann unter dem Stichwort «Zu­sammenfallen von Wahrnehmung und Begriff» eingangs im Kapitel IX der Philosophie der Freiheit eine nähere Beleuchtung findet. Und später in dieser Schrift (hier S. 180 f) unter dem Ausdruck «intuitiv erlebtes Denkens» als spezifische Denkleistung gekenn­zeichnet wird, dahingehend, dieses intuitiv erlebte Denken sei «eine Wahrnehmung, in welcher der Wahrnehmende selbst tätig ist. Und eine Selbstbetätigung, die zugleich wahrgenommen wird.» Die Erkenntnis des Denkens anhand der gegenüberstellenden Betrachtung von Erfahrungen / Wahrnehmungen des Denkens findet also statt durch ein intuitiv erlebtes Denken, bei dem Wahrnehmung und Begriff zusammenfallen. -

Speziell auch so eine Erkenntnis des Denkens via intuitivem Denken nennt Steiner laut Untertitel der Philosophie der Freiheit «seelische Beobachtung». Wobei sich dieses wiederum weitestgehend mit den Intentionen des Psychologiekapitels 18. der Grundlinien deckt. Wonach (hier, S. 119) die Psychologie nicht nur «die erste Wissenschaft sei, wo es der Geist mit sich selbst zu tun hat.» Methodisch dahingehend gekennzeichnet: „Der Geist steht sich betrachtend selbst gegenüber.“ Und ferner (S. 119 f): «dass eine wahrhafte Psychologie nur zu gewinnen sei, wenn man auf die Beschaffenheit des Geistes als eines Tätigen eingeht». Das alles wiederholt sich bis einschließlich der gegenüberstellenden Betrachtung des Denkens im sogenannten «Aus­nahmezustand» im dritten Kapitel bei den «seelischen Beobachtungen» der Philosophie der Freiheit. So daß die «seelische Beobachtung nach naturwissenschaftlicher Methode» dieser Schrift schon ihr methodisches Vorbild in den Grundlinien inklusive des dortigen Psychologie­kapitels hat. 1894 und 1918 alles nichts Neues, sondern seit mindestens 1886 schon von Steiner so dargelegt. Und 1918 dann in der Zweitauflage als «Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode» im Untertitel extra noch einmal hervorgehoben. (Hier eine jüngere Ausgabe von 1995) Während 1894 nur die «Beobachtungs-Resultate nach naturwissenschaftlicher Methode» diese Stelle besetzten, obwohl sich inhaltlich bis auf allerlei Ergänzungen und Klarstellungen am Inhalt wenig änderte. - Und zumal am Erkenntnisprozedere der seelischen Beobachtung ändert sich in diesen Frühschriften nichts. Sie müssen zwecks Erkenntnis innere Wahrnehmungen stets mit Begriffen durchdringen. Etwas anderes gibt es da nicht.

Nennt man diese Methode der seelischen oder inneren Beobachtung «Introspektion» oder «introspektive Beobachtung» respektive «innere Beobachtung» oder gern auch mit Steiner «see­lische Beobachtung» wie Steiner in der Philosophie der Freiheit, im Kontrast zur äußeren Beob­achtung, so ist mit diesem technischen Ausdruck alles gesagt, was für die Erkenntnis der Innen­welt infrage kommt. Man kann andere Ausdrücke dafür wählen, wenn man will und falls einem das sinnvoll erscheint. Aber der Name bleibt für das grundsätzli­che Prozedere vollkommen be­langlos. Denn das Erkenntnisvorgehen besteht stets in der Durch­dringung von Wahrnehmungen mit Begriffen. Das ist der basale Vergleichspunkt. Über die Ausdrücke für das innere Erkennt­nis-Prozedere und ihre Angemessen­heit kann man streiten. Über das von Steiner gemeinte Grund-Prozede­re der Verbindung von Wahrnehmung und Begriff aber nicht. Denn das ist in sei­nen Frühschriften unmissverständlich dargelegt, und wie wir in den Grundlinien sehen, 1924 ausdrücklich noch einmal bestätigt und klargestellt worden. Man kann sich also nicht einfach hinstellen wie Herr Schieren, und ohne jeden Beleg behaupten, Steiners seeli­sche Beobachtung sei keine Intro­spektion. Ohne einen einzigen klärenden Satz dazu gesagt zu haben, was Herr Schieren denn selbst darunter versteht. Und was vor allem in seinen Augen Steiner damit gemeint haben könn­te. Er meint doch nicht etwa eine behaviouristische Verhaltensbeobachtung damit. Was also ist eine «nicht-introspektive seelische Beobach­tung» für Herrn Schieren? - Und was soll sie für Rudolf Steiner sein? - Und zwar im Kontext der Steinerschen Erkenntniswissen­schaft. Wo also bleiben die diesbezüglichen Belege des Herrn Schieren in all dem Nebel, den er da mit leeren Worten produziert! - (Siehe zum Ausdruck «In­trospektion» auch ausführlicher Paul Ziche, a.a.O. in den ersten drei Kapiteln. Weitere Ergänzungen auch hier.)

Die begriffliche Durchdringung innerer Wahrnehmungen zwecks Erkenntnis gilt für Steiner in jedem Fall. Deswegen kann seine «seelische Beobachtung» der frühen Begründungsschriften im Prinzip keine andere sein als die irgend eines anderen introspektiven Beobachters. Sei es eines Einzelnen für sich allein, oder meinetwegen der Würzburger Schule Külpes, die dasselbe tat. Nämlich innere Wahrnehmungen durch gegenüberstellende Betrachtung mit Begriffen durch­drang, um zu einem empirisch substan­tiierten Begriff des Denkens zu kommen. Das, diese me­thodische Vergleichbarkeit, ist ja auch einer der Gründe dafür, war­um es Steiner 1917 zwecks Grundlagenforschung in ein psychologi­sches Laboratorium zog, wie er in GA-21, S. 170 f schrieb.

Abgesehen davon, daß die Würz­burger bei ihrer gegenüberstellend betrachtenden seelischen Be­obachtung des Denkens arbeitsteilig vorgingen, ist das Prozedere in al­len Fällen im Grundsatz gleich und besteht in der gedank­lichen Durchdringung innerer Wahrnehmungen. (Im Fall der Würzburger von berichteten inne­ren Wahrnehmungen von Denk­vorgängen.) Feh­lerhaftes, das aus solchen inneren Beobachtungsprojekten stammt, kann lediglich noch zwei Haupt-Quellen haben: Nämlich unzulängliche Wahrnehmun­gen (nebst deren unzulänglicher Wiederga­be in Be­richten), und unzuläng­liche Begriffe bei der nachfolgenden Analyse. Im ersten Fall hat man Pech, wenn man entweder selbst unerfahren ist, oder in der Introspektion unerfah­rene Versuchs­personen verwendet, die nichts Aufschlußreiches zu berichten wissen, weil sie das nie geübt ha­ben oder nicht sensibel ge­nug sind. Und im zweiten Fall, wenn das Niveau der ge­danklichen Duchdringung innerer Erleb­nisse schlicht mangel­haft ist, weil der «Versuchsleiter» oder der fachliche Analytiker solcher Berichte unzurei­chenden Sachverstand oder ein hoch man­gelhaftes Denkvermögen mitbringt, und deswegen entscheidende Tatsachen übersieht oder falsch deutet. (Siehe dazu etwa den Fall des William James und angedeu­tet auch von Ernst Mach, der von Steiner in GA-21 auf den Seiten 16 ff in Verknüpfung mit Franz Brentano erläutert wird.) Letzteres, die Rolle des Wahrnehmungs- und Analyse-Ni­veaus, ist übrigens einer der Gründe, warum Steiner im Zusam­menhang mit seinem Wunsch nach einem psychologischen Laboratori­um so sehr einen Men­schen vom Format und Scharfsinn eines Franz Brentano hervorhebt, und nicht einen x-beliebig­en Versuchs­leiter. Die Beobach­tungs- und Analysequalitäten der beteilig­ten Personen sind na­türlich extrem wichtig. Folglich schreibt Steiner in diesem Kontext mit Brentano auf S. 170 f: „Auf ei­nem ganz anderen Felde als diese Forderung nach bequemen Experimentalbewei­sen für die an­throposophischen Wahrheiten liegt, was Brentano wollte, in­dem er immer wieder darnach streb­te, in einem psychologischen Laboratorium arbeiten zu kön­nen. Die Sehnsucht, ein solches zur Verfügung zu haben, tritt in seinen Schriften oft zutage. Die Umstände haben tragisch in sein Leben eingegriffen, die ihm ein solches versagt haben. Er wür­de gerade durch seine Stellung zu den psychologischen Fragen Wichtigstes durch ein solches Laboratorium ge­leistet haben. Will man nämlich die beste Grundlage schaffen zu anthropologisch-psychologi­schen Er­gebnissen, die bis an die «Erkenntnis-Grenzorte» gehen, an denen sich Anthropologie mit An­throposophie treffen muß, so kann dieses durch ein psychologisches Laboratorium geschehen, wie ein solches Brentano in Gedanken vorgeschwebt hat.“ -

Wohlgemerkt: Es handelt sich hier um eine Grund­lagenforschung, die bis zu jenen «Erkenntnis-Grenzorten» geht, an denen sich «Anthropologie mit Anthroposophie treffen muß». Das sind jene, die Steiner in derselben Schrift (GA-21) spezi­ell im Kapitel Anthropologie und Anthropo­sophie als «Treffpunkt» / «ge­meinsames For­schungsgebiet» bezeichnet. Wo auch eine sachliche Verständigung zwischen Anthropologie und Anthroposophie problemlos möglich ist. Wie man unschwer daran und an den übrigen Kapiteln von GA-21 erkennt, ist Steiners eigene Grundla­genforschung der Frühschriften, - und manches natürlich auch der späteren Sinneslehre und dar­über hin­aus im Umfeld von Denk-Psychologie und Psychologie der Logik, - an diesem «ge­meinsamen For­schungsgebiet» anzusiedeln. So daß die Gesamtheit von Steiners Grundlagenfor­schung zur «Leibfrei­heit des Denkens» dort selbstredend hingehört. Die laut Vor­tragsauskunft aus GA-255b, S. 300 ff überhaupt die Voraussetzung zur Entwicklung eines anthroposo­phischen Schulungsweges war, der auf dieser in den Frühschriften nachgewiesenen Leibfreiheit des Denkens aufbaut.

Nennt man die erken­nende Auseinandersetzung mit inneren Wahrneh­mungen «innere Beobacht­ung» oder «Introspek­tion», respektive «introspektive Erkenntnis» oder «seelische Beobach­tung», so ist dieser Ausdruck durchaus angemessen. Auf den Namen kommt es doch nicht an, son­dern lediglich auf die Tatsache der Erkenntnis innerer Erfah­rungsgegebenheiten. Anders als auf diesem empiri­schen Wege der Introspektion oder inneren Beobachtung sind erlebte Denkprozes­se / Denkakte und ihre empiri­sche Er­kenntnis nicht zu ha­ben. Und erst recht gilt das von Stei­ners weiter entwickelter Metho­de, die auf der Introspekti­on (seeli­scher Beobachtung) der Grundschriften erklärtermaßen erst auf­baut, wie Steiner nicht nur 1921 auf den Seiten 299 f aus­führlich erklärt. Sie entfernt sich ja nicht etwa vollständig davon, sondern vertieft sie nur erheblich, wie auch hier in GA-35, S. 269 ff übersichtlich nachzulesen ist. Sie vertieft die Grundfähigkeiten, um dann weiter darauf aufbauend nicht nur eine «Seelenwelt», sondern auch eine «geistige Außenwelt» zu finden und zu erforschen. Aber es bleibt innere Beobachtung und wur­zelt darin methodisch. Was Steiner ebenfalls in der Schrift Von Seelenrätseln (GA-21), spe­ziell im Kapitel Anthropologie und Anthroposophie (hier, S. 10 ff) und entsprechenden Ergänzungs­kapiteln noch einmal dargelegt hat.

Die «seelische Beobachtung» der begründenden Frühschriften wiederum ope­riert, - um das ausdrücklich noch einmal zu wieder­holen, - auf jenem laut Steiner «gemeinsamen Gebiet», auf dem sich «Anthropo­logie und Anthro­posophie nicht etwa nur treffen können», sondern sogar treffen müssen, wie Steiner dort ausführt. Das ist auch die Voraussetzung dafür, daß Stei­ners frühe Begründungs­schriften überhaupt verstanden werden konnten: Weil sie nämlich an ein gebildetes Lesepubli­kum adressiert waren, das, - anders als heute, - mit solchen Tatsachen da­mals mehr oder weni­ger vertraut war. Die Namen Volkelt, Brentano, Kant, Dilthey, von Hartmann etc. waren in die­ser Zeit all­gemein bekannt. Regelmäßig auch Teil der seinerzeitigen Gymnasialbildung. Ebenso wie die Fachprobleme, die sie behandelten. Steiners «seelische Be­obachtung» der Frühschriften ist also absolut nichts Exotisches und Ungew­öhnliches, sondern kann von jedem Beob­achter durchge­führt werden, der sich auf diesem gemeinsamen For­schungsgebiet bewegt. So etwa die Külpe­schule in seiner Zeit. Ebenso die restliche introspekti­ve For­schung, wenn sie solchen Fragen der Erkenntniswissenschaften ge­zielt nachgeht.

Der weitere «Weg ins Innere der Seele» muß dann auf einem besonderen Übungswege speziell erarbeitet und verstärkt werden. Es reicht nicht mehr aus, «nur nach dem Inneren zu schauen», wie Steiner in GA-18 (hier S. 603 ff) schreibt. Sondern das Innenleben bedarf dazu einer besonderen Übungs­behandlung, die auch keineswegs exotisch oder gar abwegig ist.

Aber wir reden zusam­men mit Herrn Schieren jetzt nicht davon, sondern von Steiners frühem Begrün­dungswerk. Und, - das ist hier eine starke Vermutung meinerseits, - es liegt bei Schieren wie bereits bei Witzenmann und zahllosen anderen, eine heillose Kon­fundierung von Steiners Begründungswerk mit der späteren Anthropo­sophie vor. Zu dem noch manches andere an Ver­wirrung wie der sattsam bekannte Antipsychologismus der Philosophie dazu kommt.

Denken Sie dazu nur an die von Schie­rens Lehrer Witzenmann in die Welt hinausgeblasene «Unerinner­barkeit von Allgemeinbegriff­en» in seinem Buch Goethes uni­versalästhetischer Im­puls, Kapitel 12, Das Entgegenwärti­gungsgesetz. Unerinnerbarkeit allge­meiner Begriffe, S. 366 ff, und öfter auch in anderen Publi­kationen Witzenmanns, was wir wei­ter oben schon behandel­ten. Dieser Unsinn einschließlich «Entgegenwärtigungsgesetz» findet sich bis in Witzenmanns Strukturphä­nomenologie, und basiert auf einem missverstandenen und nie weiter recherchierten Begriff von «Beobachtung des Denkens». Aus sol­chem unbrauchbaren Interpretati­ons-Abraum baute Wit­zenmann regelrechte philosophische Türme und Blend­werke auf. Doch seine unwis­senden Schüler, nicht ahnend was ihnen da an wertlosem Aushub vor die Tür geladen wurde, machten in vielen Fällen auch keinerlei Anstalten, dem durch eigene Stei­nerforschung klärend und prüfend nachzugehen. Sie verzichteten einfach in all ihrer Naivität auf solche For­schung und Prüfung und übernahmen diesen ganzen Humbug in aller Vertrauensseligkeit.

Die von Witzenmann behauptete «Unerinnerbarkeit von Allgemeinbegriffen» wiederum findet ihr bzw. ein (mögliches) Vorbild in Steiners esoterischer Forschung, wo sie auch ihren guten Sinn hat. Ist aber voll­kommen abwegig, sobald man dabei an All­gemeinbegriffe des gewöhnli­chen Bewußt­seins denkt, die jederzeit auch laut Steiner erinnerbar sind. Doch Witzenmann generierte auf sol­chem und analogem interpreta­tivem Widersinn ein eigenes philosophisches System, das seine Schüler heu­te buchstäblich nachbeten. Während laut Steiner le­diglich die über­sinnlichen Geist­wahrnehmungen nicht erin­nerbar sind, wie er auch GA-21 im Subkapitel 4. auf S. 142 f verdeut­licht. Weil die nämlich kei­ne Verbindung mit der menschli­chen physischen Leiblichkeit einge­hen wie die normalbewußten Begriffe oder Vorstellungen. Siehe dazu auch GA-35, Dornach 1984, die Abhandlung von 1916, Die Erkenntnis vom Zustand zwischen dem Tode und einer neuen Ge­burt, S. 278: "Begriffe, Ideen kann man gedächtnismäßig behal­ten; die geistige Wirklichkeit muß immer neu erlebt werden."

Das ist nur ein einzelnes Beispiel für viele andere. Die verhee­renden Konfusionen von spä­terer Anthropo­sophie und ihren Begründungsschriften durch Witzenmann und seine Schüler, die ihn darin re­gelmäßig unbekümmert nachäfften, ohne sich dazu mit Steiner selbst hinreichend zu befassen, rei­chen inzwi­schen bis in die his­torisch kriti­sche Steiner-Ausgabe in Gestalt von Eckart Förster, wie ich ausführlicher hier, S. 1231 ff, und desgleichen auf S. 1054 ff + Anmerkung 306 auf S. 1201 f. am Beispiel Lorenzo Ravaglis und Günther Röscherts dargelegt habe. Ähnlich wie bei Witzen­mann, Teichmann, Förster und all den ande­ren ande­ren scheint es auch bei Schieren in dieser Frage der Steiner­schen Begrün­dungsschriften wie in einem einzigen Tohuwabohu der hermeneutischen Konfusionen zuzugehen.

So daß Herr Schieren auch noch seinem Leser weiszu­machen ver­sucht, dass Steiners elaborierte «Methode der Bewußt­seinsphänomenologie keine In­trospektion» sein soll. Aber auch das ist natürlich abwegig, wenn man sich Steiners «Weg ins Innere der menschlichen Seele» anschaut, wie er ihn in GA-18 im Skizzenhaften Ausblick dargelegt hat. Es ist lediglich eine erhebliche, systematische Vertiefung und Verstärkung dessen, was jede Seele bei der inneren Beobachtung schon kann und mitbringt. Sei es das Denken, Fühlen oder Wollen betreffend. Wenn und weil das gewöhnliche begriffliche / reine Denken bereits leibfrei ist, dadurch ist es laut Steiner möglich, diese Leibfrei­heit auf andere menschliche Seelenvermögen zu übertragen. Und das muß speziell jahrelang dann geübt werden. Das erstere kann man alles. Das weitere muß anhand dieser Grundfertigkei­ten «heranerzogen werden wie beim Kind», um Steiners dies­bezügliche Bemerkung von 1921, GA-255b, S. 623 noch einmal aufzunehmen. Ohne die maß­gebliche Vertiefung vorhandener Grundfertigkeiten wie dem Denken in allgemeinen Begriffen kommt man nicht weiter, und ohne diese Grundanlagen des «Hellsehens» im begrifflichen Denken kommt man nach Nirgend­wo auf dem anthroposophischen Übungsweg, wie Steiner nicht nur mit den Ausdrücken «intellektu­elle Anschauung» und «intuitives» Denken in den Begründungsschriften bereits deutlich mach­te. Sondern auch in mancherlei Vor­trägen wie etwa in Helsingfors, (GA-146, S. 32 ff) berichte­te. Während von Herrn Schieren leeres Stroh geboten wird, wenn seine Auffas­sung auch noch als völlig unbeleg­te Behaup­tung daher kommt. Wie Sie sehen hat auch Herr Schieren eine aus­gesprochene Abnei­gung gegen die inne­re Be­obachtung, die soge­nannte «Intro­spektion», kann aber kein einziges klärendes Wort dazu bei­steuern, son­dern ledig­lich etwas behaupten. Auch ein mittelbarer Ertrag Witzenmanns und Resultat einer langjährigen hartnäckigen Forschungsver­weigerung bezüglich Steiners eigenen Grundlagen. Nichts als hohle Rabulistik und leeres Wort­geklingel. Mit solchen «anthro­posophischen» Akademikern ist wahrlich kein Blu­mentopf zu ge­winnen. Daß es den Anthroposophen und ihrer Bewegung derzeit nicht besonders gut geht, dar­über muß man sich bei dieser «Forschungsbegeisterung» von Witzenmanns akademischen An­hängern nicht wundern, die sich herzlich wenig um Steiners eigene Begründungsschriften sche­ren. Zu denen nicht nur die Philosophie der Freiheit gehört, sondern der ganze große Rest der frühen Begründungsschriften ebenso, einschließlich den Einleitungen in Goethes Naturwissens­chaftliche Schriften. Deswegen ist es ja immerhin bereits ein Hoffnungsschimmer, wenn Herr Schieren sich überhaupt mit Wahrheit und Wissenschaft befaßt.

Erlebte Denktätigkeit in Wahrheit und Wissenschaft

Bleiben wir deswegen bei der «intellektuellen Anschauung» aus dieser Schrift. So heißt es bei Steiner in Wahrheit und Wissenschaft (hier S. 37): „Wir müssen uns vollständig klar darüber sein, dass wir dieses Hervor­bringen in aller Unmittelbarkeit wieder gegeben haben müssen. Es dürfen nicht etwa Schlussfol­gerungen nötig sein, um dasselbe zu erkennen. Daraus geht schon hervor, dass die Sinnesqualitä­ten nicht unserer Forderung genügen. Denn von dem Umstande, dass diese nicht ohne unsere Tä­tigkeit entstehen, wissen wir nicht unmittelbar, sondern nur durch physikalische und physiologi­sche Erwägungen. Wohl aber wissen wir unmittelbar, dass Begriffe und Ideen immer erst im Er­kenntnisakt und durch diesen in die Sphäre des Unmittelbar-Gegebenen eintreten. Daher täuscht sich auch kein Mensch über diesen Charakter der Begriffe und Ideen. Man kann eine Halluzination wohl für ein von außen Gegebenes halten, aber man wird niemals von seinen Begriffen glauben, dass sie ohne eigene Denkarbeit uns gegeben werden. Ein Wahnsinniger hält nur Dinge und Verhältnisse, die mit Prädikaten der «Wirklichkeit» ausgestattet sind, für real, obgleich sie es faktisch nicht sind; nie aber wird er von seinen Begriffen und Ideen sagen, dass sie ohne eigene Tätigkeit in die Welt des Gegebenen eintreten. Alles andere in unserem Weltbilde trägt eben einen solchen Charakter, dass es gegeben werden muss, wenn wir es erleben wollen, nur bei Begriffen und Ideen tritt noch das Umgekehrte ein: wir müssen sie hervorbringen, wenn wir sie erleben wollen. Nur die Begriffe und Ideen sind uns in der Form gegeben, die man die intellektuelle Anschauung genannt hat. Kant und die neueren an ihn anknüpfenden Philosophen sprechen dieses Vermögen dem Menschen vollständig ab, weil alles Denken sich nur auf Gegenstände beziehe und aus sich selbst absolut nichts hervorbringe. In der intellektuellen Anschauung muss mit der Denkform zugleich der Inhalt mitgegeben sein. Ist dies aber nicht bei den reinen Begriffen und Ideen wirklich der Fall?“

Es ist reichlich seltsam, wie Schieren in seiner Abhandlung ab S. 74 f den hier behandelten, un­mittelbar er­lebten und von Steiner zwingend auch eingeforderten Tätigkeitsaspekt der «intellektuellen Anschau­ung», - die «unmittelbare Gegebenheit des Hervorbringens», - vollständig außer Acht läßt und sich stattdessen dazu lediglich in wenigen dürren Sätzen äußert. Die ganze Bewußtseinsphänomenologie, an welche Steiner den Ausdruck «intellektuelle Anschauung» knüpft, wird von Schieren nach dem Vorbild Witzenmanns weitestgehend igno­riert. Ob­wohl Steiner geradezu dar­um ringt, dem Leser dabei klipp und klar zu machen, wie wich­tig ihm diese erlebte Tätigkeit ist, und wie selbstver­ständlich ihm diese erlebte Tätigkeit ist, wenn sie sogar der Wahnsinnige nicht übersieht. Insbesondere im Hin­blick darauf, bei der Ver­bindung von geistiger Wahrnehmung und erlebter Tätigkeit, haben wir es hier mit einer Schlüs­selstelle in Stei­ners Frühschriften zu tun. Von diesem Nachdruck Steiners ist bei Schieren freilich nir­gendwo die Rede. Man hat stattdessen den Eindruck, dass der Profes­sor Schieren wie ein Früh­semester nicht einmal die elementarsten Handgriffe von Textanalyse und Textin­terpretation be­herrscht, wenn diese entscheidenden Tatsa­chen des erlebten Hervorbringens keine Beachtung fin­den. Ohne dieses Tätig­keitserlebnis gibt es nämlich gar keine «intel­lektuelle An­schauung» für Steiner. Weil die «Denkform» dann eben nicht vorhanden ist, an die Steiner den Ausdruck «intel­lektuelle Anschauung» bindet. Ein Denken ohne unmittelbares Tätigkeitserlebnis des Hervorbrin­gens ist danach auch keine «intellektuelle Anschauung», sondern vielleicht ein «Ge­dankenbild» oder ähnliches, wie im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit ausgeführt. Was ja in der Phi­losophie der Freiheit 1918 dann noch einmal regelrecht zementiert wird; siehe nachfolgend. Schieren aber übergeht vollstän­dig diese ganze Sachlage um die Be­deutung des erleb­ten Hervor­bringens reiner Begriffe und Ide­en. - Bleibt anzumerken, dass allein schon angesichts die­ser Pas­sage aus Wahr­heit und Wissen­schaft Witzen­manns «Erzeugungspro­blem» aus der Strukturphäno­menologie in sich zu­sammen und zu Staub zerfällt, - so weit man dieses Problem als ein Re­sultat seiner Steine­rinterpretationen betrachtet. Also darf man sich fragen, wer eigentlich der Blicklen­ker bei Schierens verfehlter Behandlung dieser Textpassage aus Wahrheit und Wissenschaft war, wenn er das jetzt ebenso übersieht wie sein Lehrer Witzenmann schon lebenslang.

«Intellektuelle Anschauung» aus Wahrheit und Wissenschaft und «intuitiv erlebtes Denken» in der Philosophie der Freiheit

Nun hat Schieren im­merhin Wahrheit und Wis­senschaft behan­delt. Und das wäre ja auch gut so, wenn auch bei weitem nicht hinreichend, weil er eben nur halbe Wahrheiten mit seiner unvoll­ständigkeitsbasierten Me­thode der Gedankenarchäo­logie aus­gräbt. Während sein Lehrer Witzen­mann bei seinen unvoll­ständigkeitsbasierten Ausgra­bungen mit ihren ausgehobenen Halbwahr­heiten und Fehldeutungen auch diese Schrift nie wei­ter beachtet hat. Ein wei­terer Schritt bei lückenloser Beachtung der Steinerschen Textstelle aus Wahrheit und Wissenschaft wäre dann, das Analogon zur «intel­lektuellen An­schauung» in Gestalt des «intuitiv erleb­ten Den­kens» aus der Philosophie der Frei­heit (hier S. 181) daneben zu stellen, wo es bewußtseinsphän­omenologisch um die selbe Sachlage geht wie in Wahrheit und Wissen­schaft: Um das unmittelbar erlebte Hervorbringen von Begriffen und Ide­en. Insofern das intuitiv erlebte Den­ken «eine geisti­ge Wahr­nehmung ist, in der der Wahr­nehmende selbst tätig ist. Und eine Selbstbetäti­gung, die zugleich wahrgenommen wird.» Davon ist, wie man sieht, schon in Wahrheit und Wissenschaft im Kapitel IV die Rede unter dem Ausdruck «intellektuelle Anschauung».

«Intellektuelle Anschauung» / «intuitiv erlebtes Denken» und der erlebte «Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem»

Es sei noch ein­mal daran erinnert, daß die begriffliche Klärung um die «unmittelbare Gegeben­heit des Hervorbrin­gens von Begriffen und Ideen» aus dem Kapitel IV direkt auf den Vorarbeiten von Johannes Vol­kelt aufbaut, worauf Steiner eingangs von Wahrheit und Wissenschaft ausdrü­cklich hinweist (hier Einleitung S. 7). Nun kann eben der Nachweis der «intellektuellen Anschau­ung» verschiedene Funktionen erfül­len, je nachdem, worauf man den Akzent legt, wenn man sie als einen erlebten Zusammenhang von Wirkendem (Denktätigkeit) und Bewirktem (Erkenntnis des begrifflichen Inhalts) betrachtet. Die eine Funktion besteht darin, unter Einbeziehung der er­lebten Tätigkeit den Charakter der ak­tiven geistigen Wahrneh­mung schon beim rein begrifflichen Denken darzustellen, wie es in Wahrheit und Wissenschaft an der besagten Stelle um die geistige Wahrnehmung, sprich: «intel­lektuelle Anschauung» geschieht. Der andere Aspekt liegt darin, dass hier Wirkendes und Be­wirktes un­mittelbar in ihrem Zusam­menhang auch erlebt werden. Und in­folgedessen das Kausali­tätsproblem von Hume und Kant schon auf dieser Ebene des be­grifflichen Denkens empirisch zu lösen ist. Wie gesagt: empirisch, und nicht nur theoretisch oder gar metaphy­sisch wie bei Kants Schein­lösung. Weil man hier einen erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem unmittel­bar auf der Erfahrungsebene vorliegen hat, nach dem Kant und Hume so verzweifelt suchten, aber nicht fanden. Die andere missliche Seite von Schierens In­terpretation liegt dann auch darin, dass er infolge ungenügender Werk­kenntnis, verbunden mit Un­wissenheit über die von Edith Stein angedeutete Sachlage in der philo­sophisch / naturwissen­schaftlichen Forschung ihrer Zeit, eben auch nicht in der Lage ist zu er­kennen, dass Steiner das erlebte Hervorbringen von reinen Begriffen auch mit dem empirischen Grundle­gungsproblem der Naturwissenschaft unverrückbar ver­knüpft, wo es ebenfalls hingehört. Angedeutet auch in dieser Pas­sage von Wahrheit und Wissenschaft, wo es allerdings in engster Verknüpfung mit der erleb­ten inneren Tätigkeit vorrang­ig um den Nachweis der tätigen geistigen Wahrnehmung geht. Wäh­rend die an­dere Sei­te ganz ener­gisch darge­tan wird bereits in den Grundlinienanhand des erlebten Zusammenhangs von Wirkendem und Bewirktem beim Denken. Und nachfolgend auch in der Philo­sophie der Freiheit mit ihrem «archimedischen Hebel der Welterklärung». Sowie später dann in Goethes Weltanschauung (hier S. 69 f). In den Grundlini­en weit früher bereits unter dem Stich­wort «erlebter Zu­sammenhang von Wirkendem und Bewirktem» im Kapitel 15 rückbli­ckend (hier S. 86), nachdem er im Kapitel 14 das Kausalitätsproblem unter den Aspekten Dogma­tismus der Of­fenbarung und Dogmatismus der Erfahrung mit besonderem Blick auf Kant behandelt hat. (Zu diesen beiden Dogmatismen siehe auch Steiner in den Einleitungen zu Goethes naturwissen­schaftlichen Schriften, das Subkapitel 2: Dogmatische und immanente Methode, in GA-01, S. 174 ff)

Steiners anthroposophischer Schulungsweg und seine Verwechselung mit Steiners Grundlagenforschung

Wie weiter oben bereits gesagt: der Herausgeber des Sammelbandes, Schieren, bewegt sich im wesentli­chen immer noch auf demselben Niveau, auf dem er vor rund dreißig Jahren schon als Doktorand unterwegs war, und seither ist nichts Nennenswertes und Neues dazu gekommen. Stei­ners eigene Erkennt­niswissenschaft, - und so war es damals schon bei dem Anhänger Wit­zenmanns, - interes­siert ihn auch heute ersichtlich nicht. In der langen Zwischenzeit hat er den For­schungszug zu Rudolf Steiners Grundlagen komplett verpaßt, und dreht sich infolgedessen unent­wegt nur noch im Hamsterrad seiner eigenen Dis­sertation von damals, weil es ihm schlech­terdings in der Zwischen­zeit nicht gelungen ist, sich aus Witzenmanns Umklammerung zu be­freien und sich zu ernsthafter eigener Forschung über Steiners erkenntniswissenschaftliche Grundlagen aufzuraf­fen. Sonst hätte er si­cherlich mindestens Stei­ners Psycho­logie-Kapitel aus Stei­ners Grundlin­ieneinbezog­en, Steiners Verhältnis zum immanent psychologischen Erkenntnistheo­retiker Volkelt, und ebenso Steiners Wunsch nach ei­nem psycho­logischen Labo­ratorium für bes­te Grundla­genforschung. Oder Steiners Philosophie der Freiheit. Doch davon weiß Schieren ver­mutlich auch nicht sonderlich viel. Und so schreibt er denn auf S. 99, daß Stei­ner «den Übungs­weg», - Frage: welchen?, - «seeli­sche Beob­achtung nennt». Eine Frage, die des­wegen auf der Hand liegt, weil es einen elaborier­ten esoteri­schen Schulungsweg respektive Übungsweg Stei­ners gibt, des­sen erkenntniswissen­schaftliche Grundlagen Stei­ner in sei­nen Frühschriften laut stän­dig wieder­kehrender Auskunft erst gelegt hat. Wie er nicht nur in GA-10 im Nachwort zum 8. bis 11. Tausend, hier S. 214 ff mit dem Hinweis auf das leibfreie reine Denken andeutet, sondern auch in GA-255b S. 299 ff unmißverständlich darlegt. Während Schieren von Steiners Grundla­genforschung der Frühschriften redet, die also nicht gleichzusetzen ist mit dem daran entwickel­ten späteren anthroposophischen Forschungsweg, wenn sie diesen als dessen Grundlagenwissens­chaft doch erst vorbereitet. (Siehe exemplarisch und ausführlicher zu diesem häufig anzutreffenen Mißverständnis bei Anthroposophen auch hier. Zu Ravagli und Röschert dort derzeit S. 1054 ff, sowie Anmerkung 396, derzeit S. 1201 f. Ferner S. 1231 ff zu Frank Teichmann und Eckart Förster).

Steiners grundlagenbilden­de For­schung ist aber verständli­cherweise etwas anderes als dieser dar­aus entwickelte Übungsweg selbst, der sich daraus später erst ergeben hat. Während auf den eso­terischen Ertrag des späteren Anthroposophen Steiners «hin­zuschielen» Steiner in der Vor­rede zur Philosophie der Freiheit (hier auf S. 5) dem Leser sogar ausdrücklich und sehr markant folgendermaßen abrät: „Wenn je­mand verwundert darüber sein sollte, daß man in diesem Buche noch keinen Hinweis findet auf das Gebiet der geistigen Erfahrungswelt, das in späteren Schriften von mir zur Darstellung ge­kommen ist, so möge er bedenken, daß ich damals eben nicht eine Schilderung geistiger For­schungsergebnisse geben, sondern erst die Grundlage erbauen wollte, auf der solche Ergebnisse ruhen können. Diese «Philosophie der Frei­heit» enthält keine solchen speziellen Ergebnisse, eben sowenig als sie spezielle naturwissen­schaftliche Ergebnisse enthält; aber was sie enthält, wird derjenige nach meiner Meinung nicht entbehren können, der Sicherheit für solche Erkenntnisse anstrebt. Was in dem Buche gesagt ist, kann auch für manchen Menschen annehmbar sein, der aus irgend welchen ihm geltenden Grün­den mit meinen geisteswissenschaftlichen Forschungser­gebnissen nichts zu tun haben will. Demjenigen aber, der diese geisteswissenschaftlichen Ergeb­nisse als etwas betrachten kann, zu dem es ihn hinzieht, dem wird auch wichtig sein können, was hier versucht wurde. Es ist dies: nachzuweisen, wie eine unbefangene Betrachtung, die sich bloß über die beiden gekennzeichne­ten für alles Erkennen grundlegenden Fragen erstreckt, zu der Anschauung führt, daß der Mensch in einer wahrhaftigen Geistwelt drinnen lebt. In diesem Buche ist erstrebt, eine Erkennt­nis des Geistgebietes vor dem Eintritte in die geistige Erfahrung zu rechtfertigen. Und diese Rechtferti­gung ist so unternommen, daß man wohl nirgends bei diesen Ausführungen schon auf die später von mir geltend gemachten Erfahrungen hinzuschielen braucht, um, was hier gesagt ist, annehm­bar zu finden, wenn man auf die Art dieser Ausführungen selbst eingehen kann oder mag.“ - Das ist zwar unmißverständlich formuliert, aber oftmals bei Anthroposophen hartnäckig unwirk­sam. Zumal bei solchen, die sich wie die Schüler Witzenmanns „auf die Art dieser Ausführungen“ gar nicht erst einlassen wollen. Aber wahrlich nicht nur diese allein. Die «Schielau­genkrankheit» unter den Stei­nerinterpreten hat nicht erst seit Witzen­mann unter den Anthro­posophen Verbreitung ge­funden, und findet sich in ihren kurio­sen Able­gern von heute sogar bis in die historisch kritische Steiner-Ausgabe von Christian Cle­ment. (Näheres dazu hier auf derzeit S. 1232 ff.) Diese Leute begreifen einfach nicht, dass Steiners frü­he Grundlagenfor­schung nicht dasselbe sein kann wie der spätere Schulungsweg des Anthropo­sophen Steiner. So dass man sich zum Verständnis von Steiners früher Grundlagenforschung na­türlich näher anse­hen muß, welche Wege Steiner dazu in dieser frühen Zeit beschritten hat, und womit er sich da­mals aus­einandersetzte und warum. Was für jeden Hermeneutiker eigentlich vollkommen selbst­verständlich sein müßte. Wer aber nicht einmal weiß, wer Theodor Ziehen war, und warum Steiner ihn im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit nennt, der ist auch nicht in der Lage das Anliegen Steiners zu begreifen. Dasselbe gilt für Steiners Verhältnis zu Johannes Volkelt, das noch weit mehr über Steiners Anliegen und Methode aussagt. Und Vergleichbares gilt für das Kausalitätsproblem von Hume und Kant, das Steiners gesamtes Frühwerk durchzieht.

Das Denken als solches muß im Prinzip niemand üben, denn «das kann er von Natur aus», wie Steiner nicht nur in GA-255b (S. 300 ff) berichtet. Der darauf aufbauende anthro­posophische Übungsweg dient der höheren Erkenntnis, und dieser Übungsweg muß allerdings gründlich aus den Grundfertigkeiten des reinen Denkens erst heranerzogen werden, wie Steiner ausführt: Was sich im reinen Denken äußert, das wird uns Menschen einfach eigen da­durch, daß wir ge­boren sind; es ist uns in unserem jetzigen Stadium der Menschheitsent­wicklung vererbt. Dasjenige, was nach dem Muster dieses reinen Denkens auftreten kann als Imagination, In­spiration, Intuition, das muß ebenso heranerzogen werden durch den er­wachsenen Men­schen, wie gewisse Fähigkei­ten naturgemäß heranerzogen werden beim Kind.“ - Die erkennt­niswissenschaftlichen Grundlag­en der Frühschriften freilich bereiten das letztere erst vor, und ge­hen dazu über die Forschung zur Leibfreiheit des Denkens als seiner Grundlage andere Rechtfer­tigungswege als der daran entwi­ckelte Schulungsweg selbst. Der auf der in den Frühschriften nachgewiesenen Leibfreiheit des Denkens erst aufbaut, wie Steiner berichtet. Und das war, wie Steiner 1921 in Stuttgart ausführt, neben dem Nachweis des «naturwissenschaftlich Sicheren» die Hauptarbeit der Grundlegungs­schriften mit ihrem «Brückenbau».

Wer jetzt nur unerläutert von einem «Übungsweg seelische Beobachtung» der Frühschriften spricht, der hat das Rechtfertigungsanliegen dieser Frühschriften und deren Wege überhaupt nicht verstanden, und stellt stattdessen die gesamte Begündungslogik Steiners auf den Kopf, in­dem er in nicht mehr zu be­greifender Weise die spätere Anthroposophie mit ihrer empirischen Begründung vermengt, wie wir an anderer Stelle, S. 1231 ff und ebendort S. 1054 ff ausführli­cher darlegten. Zertrüm­mert damit aber zugleich das gesamte Rechtfertigungsanliegen Steiners auch für jeden Außen­stehenden, der dann meint, Steiners für ihn schon unverständliche Anthro­posophie müsse zum Verständnis der Frühschriften auch immer schon voraus­gesetzt werden. Womit ihm über­haupt jeder logi­sche, werkgenetische und problemgeschichtliche Faden des wis­senschaftlichen Verste­hens abgeschnitten wird. Denn dieser Faden ergibt sich überhaupt erst aus einem gründlichen Studium der Frühschriften, und den dort dargelegten Intentionen, Methoden­darlegungen und Sachauseinandersetzungen Steiners. Wer aber bereits mit «seeli­scher Beobach­tung zwecks Suche nach dem Wirkenden der Natur im eige­nen Inneren» (Kap. II der Philoso­phie der Freiheit), nichts anzufangen weiß, der steht auf verlo­renem Posten. Ein Gleiches gilt für Steiners dortige Bemerkung, «daß man die äußere Natur erst finden kann, wenn man sie in seinem Inneren bereits kennt.» Was ja mit dem Vorangehenden direkt zusammen hängt.

Zu all dem wird man von den (akademischen) Steinererklärern in der Regel wenig bis gar nichts hören. Beispiele gibt es dafür mehr als ge­nug. Daß sich jemand also «auf die Art der Darstellung ein­lassen mag», das ist fast nie der Fall. Zumal bei akademischen Interpreten, aber weiß Gott nicht nur dort, fast durch­gängig. Man muß sich nur Personen wie Traub und ähnlich gelagerte «Stei­nerforscher» und deren dauerhaftes intellektuelles Sperrfeuer ansehen, um die ganze Folge-Di­mension dieses Be­gründungs-Tohuwabohus zu begreifen, das da von Steiners eigenen verständ­nislosen «An­hängern» einschließlich Witzenmann und dessen Schülern losgetreten wurde. Die mit ihrem Sperrfeuer demjenigen Traubs in nichts nachstehen, auch wenn es aus einer ganz anderen Richtung kommt. Auf den frühen Steiner und dessen Begründungsschriften über­haupt einlassen wollen sie sich allesamt nicht. Bis auf die wenigen vorhandenen rühmlichen Ausnahmen, die es gottlob auch immer gibt.

Die vorbereitenden Rechtfertigungs­wege zum reinen Denken und seiner Leibesunabhängigkeit basieren allerdings eben­falls empirisch auf innerer Be­obachtung, auf «Introspektion», um diesen heute geläufigen Ausdruck zu verwenden. Denn wie will man sonst das «leibfreie Denken» nachweisen, wenn man es nie konkret und em­pirisch introspektiv untersucht hat? Sei es für sich allein. Oder arbeitsteilig wie etwa die Würzburger Schule Oswald Külpes? Insofern ist es auch ganz erwartungsgemäß, wenn Steiner 1917 in der Schrift Von Seelenrätseln so ein psychologi­sches Laboratorium vorschwebte als «Ort zur besten anthroposophischen Grundlagen­forschung», was es 1886 und auch bei Erstabfassung der Philosophie der Freiheit in dieser Form noch nicht gab. Abgesehen von Wilhelm Wundts psychologischem Institut von 1879, wo man freilich ande­ren Dingen nachging als der Beobachtung des Denkens. (Siehe dazu ausführlicher hier, Kap. 12, S. 341 ff.)

Die «Vorberei­tung» respektive Grundla­genforschung zum späteren anthroposophi­schen Übungsweg findet also statt auf dem Wege der inne­ren Beobachtung, wie man unschwer an Stei­ners sämtlichen Früh­schriften sieht. Daß dem so ist, und in sämtlichen Frühschriften Steiners «innere Beobach­tung» statt­findet, läßt sich an allen Frühschrif­ten Steiners vollkommen problem­los zeigen. So daß infolge­dessen die «seelis­che Beobach­tung» be­reits für ausnahmslos alle er­kenntniswissenschaftlichen Früh­schriften Stei­ners gilt. Für die Phi­losophie der Frei­heit sogar wörtlich im Ti­tel. Aber ange­fangen bereits mit den Grundlinienund ihrem Prin­zip der «reinen Erfah­rung», was in der reinen Erfahrung des Denkens und seiner Beobachtung dort gewissermaßen gipfelt. Wenn man denn nur einmal hinsehen wollte. Von ihrer «immanent psy­chologischen» Methode von Schie­ren etwas zu hören, wäre daher für den Leser sehr begrüßens­wert und ausgespro­chen zielführend gewe­sen, wo es doch um die «seeli­sche Be­obachtung» geht, die sich in den Grundli­nien bereits von Kapitel 4 an, und nachfol­gend in sämt­lichen Kernkapi­teln findet. Das alles aber findet bei Schieren nicht statt. Bei Schieren wird an­stelle von Klarheit dafür auf S. 100 allerlei «intuitiv durch­drungen», von dem man auch nicht weiß, was er damit meint, und wie er das mit Steiner verbin­den will. Wäh­rend auf S. 100 angeblich Steiners «phäno­menologische Methode keine In­trospektion» sein soll. - Ja was ist sie dann? Und was will Steiner überhaupt in ei­nem psychologi­schen La­boratorium, um dort beste Grundlagen zu legen, wie er in der Schrift Von Seelen­rätseln (GA-21, S. 170 f) so eindringlich vorbringt? -

Nun, wie wir daran exemplarisch se­hen, liegt bei einem Spitzenanhänger Witzen­manns eine ka­tastrophale Vernachlässigung und nachfolgende Unkennt­nis von Stei­ners frühen Forschungswe­gen vor. Das führt bei ihm groteskerweise bis zur regel­rechten Bataille ge­gen Stei­ners ei­gene psy­chologische Grundlagen. Das alles bei Schieren nur, um einer Chi­märe Witzen­manns blind zu folgen, ohne je­mals Stei­ners eigenem frühen For­schungsweg klärend nachgegang­en zu sein. Dieses tumultari­sche Prozedere von Unwissen­heit, In­teresselosigkeit und Kampf gegen Steiner und seine psychologisch philosophischen Fundamente und Intentionen läuft seit vielen, vielen Jahren wie der Mechanismus eines Uhrwerks bei diesem Anhang Witzenmanns ab. Einem Uhr­werk, das vor allem in den 1970er und 80er Jahren aufgezogen wurde, wie wir nachfolgend noch sehen werden.

Wie man die anthroposophische Grundlagenforschung blind durch die «Leitexegese» Witzenmanns ersetzte

Überwiegend ein wenig zielführendes Tohuwabohu, das Schieren in solchen leeren Zei­len aus-, und wo­mit er seinen Leser einwickelt. Aber nichts irgendwie Erhell­endes, das dem Ver­ständnis aufhel­fen könn­te. Es ist unbelegte, reine Ver­kündigungsphilosophie eines Spitzenver­treters der Witzen­mannschule, der es noch nicht einmal für nötig hält, leere Behaupt­ungen dieser Art in einem aka­demischen Sammelband durch entspre­chende Belege an Stei­ners eigenen Früh-Texten zu erhär­ten. Er schafft es rundweg nicht, sich selbst aus der intellektue­llen Um­klammerung Witzen­manns herauszuwickeln, deren nachweisli­cher Gefangener und glühend­er Anhänger er als Student und Doktorand schon war. In dessen Dissertation Anschauende Urteilskraft der «Statist» Steiner gar nicht vorkam, nur in sparsamsten Anmerkungen vertreten, und mit gerade einmal drei Schrif­ten und ohne die Philosophie der Frei­heit im Literaturverzeich­nis; wo Witzenmann dagegen schon damals (1998) mit achten seine Auf­wartung in Schierens Li­teraturverzeichnis der Dissertation machte. Unter anderem mit der Strukturphänomenologie. Da muß niemand lange rätseln, wo bei Schieren heute noch die Priori­täten liegen. Bei Steiners Werk und insbesondere bei dessen Grundlagen jedenfalls nicht. Darüber weiß Schieren kaum etwas Brauchbares. Der Professor Schieren hat schlicht keine Sachkenntnis von Steiners eigener Grund­lagenforschung, und nimmt seine Leser diesbezüglich ständig auf den Arm und führt sie hinter die Fichte.

Heute, nach mehr als zwei Jahrzehnten seit Schierens Dissertation, hat sich augenfäl­lig immer noch nicht viel ge­wandelt. Warum das so ist, darüber möchte man lange rätseln, ist aber eigent­lich gar nicht not­wendig, denn dafür gibt es eine recht plausible Erklärung: Die Anhänger Wit­zenmanns haben sich bereits vor mehreren Jahrzehnten, zum großen Teil als blutjunge und gänz­lich unbedarfte akademische Adep­ten ganz offi­ziell darauf verständigt, Witzen­manns Interpreta­tionen in den Rang einer Leitexeges­e für Rudolf Steiners Werk zu erheben, und fortan das Werk Witzen­manns zu verbreiten. In der Zwischenzeit haben sie über Steiners Grundlagen nichts ge­lernt und nichts geforscht. So dass sie wie Schieren weitestgehend ahnungslos in dieser Angele­genheit sind. Und das führen sie heute noch so fort und ihre Leser hinters Licht, wie man an diesem Sammelband sieht.

Über die Hintergrün­de zu dieser skurrilen Entwicklung sei dem Leser sehr der zweite Band der umfangrei­chen Witzenmann-Biographie (2013) von Klaus Hartmann emp­fohlen. Einem Insi­der der ersten Stun­de. Da kann er sehr viel erfahren von den zahllosen perso­nellen Verflechtung­en und Wirksamkeit­en seit den 1970er und 1980er Jahren. Wo Witzenmanns Werk Intuition und Beob­achtung, wie Hartmann auf S. 535 f schreibt, neben man­cherlei Beiträgen aus der Zeit­schrift Die Drei begann, Einfluß auf die Universitäten zu nehmen. Damals auch maßgeblich über die philo­sophische Schnittstelle zu Wit­zenmann, den Philosophen Lothar Uhdert von der Universität Bochum. Den ich selbst noch kennen gelernt hatte auf meiner Suche nach Ar­beitsanregungen für meine damali­ge Dissertation. Der mir mit Blick auf Steiners Frühwerk frei­lich auch keine über­zeugende Vorstel­lung zu präsen­tieren ver­mochte, da er es selbst nicht ver­stand. Auf dieser Grundlage dann wie seine Schüler anfällig war für Witzenmann, den er damals schon promotete. Egal welche Fragen ich ihm zu Steiners Grundlagen stellte, es lief ins Leere. Und mit Psycholo­gie und seelischer Beobachtung in Steiners Frühschriften wußte er schlicht nichts anzufangen.

Während ich mit Witzenmann, den Uh­dert damals emsig bewarb, - in einem seiner voll besetzten Seminare zu Witzenmanns Strukturphänomenologie war ich in dieser Zeit selbst einmal zu Gast, - mei­nerseits auch in den Jahren danach nichts anzufangen wußte, da sein verfehlter Interpretati­onsansatz zu Steiners Grund­schriften ins Nir­gendwo des «Er­zeugungsproblems» der Struktur­phänomenologie lief. Ferner in die bizarre «erkenntnistheoretische Grundfra­ge: Wie aus Unbeobachtbarem Erinnerungen werden können?» (Goethes universalästhetischer Impuls, dort S. 386 und öfter), und in die (ebendort S. 334 ff / S. 397) formulierte, und noch weit abstrusere «Erin­nerungskunde als erkenntniswissenschaftlicher Fundamentalwissen­schaft». Einen vollende­ten Unsinn, den er aus einem mißverstandenen Steiner herzuleiten suchte. Aber nie zu Steiners In­tentionen der Früh­schriften und zu dessen empirischer Be­obachtung des Den­kens kam, wie sich für mich dann vor allem seit den 1990er Jahren begann klar abzuzeichen. Von Steiners Frühwerk verstand Witzen­mann ungefähr so viel wie seine eigenen damaligen und heutigen aka­demischen Adepten. Näm­lich bis auf margi­nale Einsichten in die Synthese von Wahrnehmung und Begriff, die ich selbst von ihm noch in Bochum zu dieser Zeit gehört hatte, kaum etwas Ernstzunehmen­des. Und schon gar nichts, was man als Doktorand mit Gewinn für die eigene Forschung hätte nutzen können, um Steiners Früh­werk zu verstehen, wie man heute noch an Schieren und seinen Mitstreitern sieht.

Näheres zu dieser Zeit der Genese von Witzenmanns Anhängerschaft und zu Witzenmanns «Grundwerk» Strukturphänome­nologie bei Hart­mann auf S. 560 ff. Diese gern zitierte und wirk­mächtige Fehlin­terpretation Steiners durch Wit­zenmann fand dann ihren Weg in die Universitä­ten, unter anderem auch in das Literaturverzeich­nis von Schie­rens ei­gener Dis­sertation. Und wahrscheinlich auch in Schierens Kopf, wo sie dann nachfolgend ihr Unwesen und ihre Blü­ten trieb. Denn Steiner spricht weder in in seinen Frühschriften noch sonst jemals wie Schieren von einer «phänomenolo­gischen Methode» als Gegensatz zur «Introspektion» (innere Erfahrung und Beobachtung). Wäh­rend Schierens «Phäno­menologie» wiederum das Stichwort für Witzen­manns verfehlte Struktur­phänomenologie ist, die als her­meneutischer Rohrkrepierer Witzen­manns me­thodisch definitiv nichts mit Steiners Me­thode der «seelischen Beobachtung» zu tun hat, weil es bei Witzenmann die «reine Er­fahrung» (Grundlinien) repektive die «unmittelbare Gegebenheit» (Wahrheit und Wissenschaft) der Denktätig­keit schlechterdings nicht gibt. Insbesondere darauf, auf dem angebli­chen «Erzeugungs­problem», baut der Un­sinn der Strukturphäno­menologie mit ih­rer vermeintlich phänomenologischen Methode erklärterma­ßen ja auf. Während die «seelische Be­obachtung» Stei­ners ihrerseits bei Stei­ner seit 1886 gut nach­lesbar auf der «reinen Erfahrung» der Aktivität des Denkens und sei­ner erkennen­den Beobachtung in Form von «gegenüberstellend­er Betrachtung, oder Beobach­tung, respektive seelischer Beobach­tung» auf­baut, wie es dann im Un­tertitel der Philosophie der Freiheit hieß. Das alles ist sehr gut nachvoll­ziehbar und plakativ in al­len drei Frühschriften Steiners dargelegt. Und auf Volkelt als prominen­ten Zuar­beiter dieser «vorzüglichen» Methode weist Steiner nicht nur in den Grundlini­en (hier S. 32), sondern auch sechs bis sieben Jahre spä­ter in Wahrheit und Wissenschaft (hier S. 7) sogar eigens und ausdrück­lich noch einmal hin, wie wir sahen. Mit Wit­zenmann abstruser Strukturphänomenologie, ihrem «Er­zeugungsproblem» und ihrer «Paradoxie der Selbstge­bung» als methodischem Urknall und philosophischem Ur­schrei hat das alles nichts zu tun.

Die enge und unkritische Verschmelzung mit dem Werk Witzenmanns ging laut Hartmann, Bd. 2, S. 610 ff, bis hin zur Gründung des Gi­deon Spi­cker Vereins, des­sen eine „Hauptaufgabe“ unter ver­schiedenen anderen Aufgaben um die Anthroposo­phie war, „zur Erar­beitung und Ver­breitung des Werkes Herbert Witzenmanns beizu­tragen“ (Klaus Hart­mann, S. 612). Denn: „Die Begründer des [Gideon Spicker, MM] Vereins er­blicken in Herbert Witzen­manns Werk einen zeitgemäßen, an Rudolf Steiners ursprünglichen Im­puls anknüpfenden Beitrag …“ (Hartmann S. 612)

Da­mals waren das übrigens lauter erkenntniswissen­schaftlich nichtsahnen­de Men­schen um Wit­zenmann, die solches «erblickten». Und sich in all ih­rer wissen­schaftlichen Uner­fahrenheit mit Steiners Grund­lagen, - und noch weit weniger Verständnis vom Verhältnis dieser Grundlagenfor­schung zur Anthroposophie Steiners, - zu solchen überbordenden Bewertungen Witzenmanns und zu derartigen Zielen verstiegen. An­statt lautstark zur Aufarbeit­ung von Steiners eige­nen Schriften auf­zurufen und sich dessen gründliche Er­schließung vorzuneh­men. Weil das al­lein kon­sequent und wissen­schaftlich vermittel­bar wäre. So aber, wie es dann kam, ist es auch ver­ständlich, warum ein Johannes Wagemann nach eigener Aussage vier ganze Jahre nebst reich­lich Hu­mankapazität und Finanzmittel auf die englische Übersetzung von Witzen­manns Strukturphä­nomenologie verschwendete, ohne etwas Brauchbares von Stei­ners eigenen Grundla­gen zu ver­stehen, wie er selbst in dieser Übersetzung sagt. Anstelle der Erarbeitung von Stei­ners eige­nen Grundlagen also ungeheuer viel Zeit und reichlich Ressourcen sinnlos mit Witzen­manns Über­setzung ver­brannte. Unter dem Beifall seiner Mäzene, zu denen neben der anthropo­sophischen Gesellschaft Deutschlands auch die Bochumer GLS-Bank gehörte, wie er schreibt: „The financia­l re­sources for this work were generousl­y provi­ded by the research fun­ding of the Anthro­posophical Socie­ty in Germany (ASG) and by the GLS Treuhand Foun­dation ...“ (Wa­gemann, S. XI). Die anthroposophische Gesellschaft in Deutschland verfügt inzwischen offensichtlich über derart reichhaltige Finanzmittel, so dass sie diese für derart aberwitzige Zwecke ganz unbesehen einä­schern kann. Siehe ausführlicher dazu weiter oben auf derzeit S. 45 ff.

Rational ist diese Erhe­bung von Witzenmanns Inter­pretationen über Steiners Werk und Frühwerk absolut nicht nachvoll­ziehbar. Schon gar nicht wenn, wie ich damals selbst in Teilen authentisch miterlebt habe, ein unbedarftes akademi­sches «Jungvolk» ohne viel Erfahrung mit Stei­ners Frühwerk als eine treibende Kraft da­hinter steht wie heute die heilige Greta als sein Prophet hinter dem menschengemachten Klima­wandel. Der ganze Hype um Witzenmann baute damals wesentlich auf der Un­erfahrenheit seiner ahnungslosen, viel­fach jugendlichen, aber hoch moti­vierten Anhänger auf, das ist eine bemer­kenswerte Paral­lele zur heutigen «Klimaa­pokalypse», die wesentlich ebenso von der Dummheit und wissenschaftlichen Naivität motiviert-ah­nungsloser Menschen öffentlich vorangetrieben wird, - wie damals der Witzenmannhype von den ahnungslo­sen Jüngern Witzenmanns. Vergleichbares aber findet, wie der Le­ser sieht, noch heute in dem Sammel­band der Ala­nus-Hochschule ganz unver­blümt statt. Wo sich die damaligen An­hänger Wit­zenmanns inzwi­schen mit die­sem Witzenmann-Verbreitungs-Auf­trag von damals als Textge­nerierer in einem akademi­schen Sammelband einfinden, ohne Steiners ei­genes Werk jemals gründ­lich erarbeitet zu haben, wie wir von Wage­mann wei­ter oben (derzeit etwa S. 45) ganz explizit hörten: Howev­er, a com­prehensive compari­son of Witzenm­ann’s ap­proach with Stei­ner would go beyond the scope of this introducti­on and hence remains one of the re­search de­siderata of the fu­ture.“ So erklärt es Wagemann ganz frei heraus und in aller Öffentlichk­eit als Übersetzer von Witzen­manns Struktur­phänomenologie sei­nen Lesern: «Daß die An­hänger Wit­zenmanns von Steiners Frühwerk keine Ahnung haben. Weil sie sich noch nie ernsthaft damit befasst haben.» Bei Schierens Beitrag im Sammelband der Alanushochschule haben wir das direkt sichtbar vor Augen.

Das gilt übri­gens für Witzen­manns ausführlichen Biographen Klaus Hartmann nicht minder, der uns zwar ein auskunftsreiches, opulentes zweibändiges Werk über Witzenmanns Biographie vorlegte, aber als Anhänger Witzenmanns von Steiners Begründungs­schriften etwa so viel und so wenig versteht wie die Witzenmannanhänger der Alanushochschule. Und dem Leser auf den Seiten 608 ff von Band 2 eine abenteuerliche Sicht über das Kausalitäts­prinzip prä­sentiert, ohne die leiseste Vorstellung davon zu offenbaren, wie es um die fragwürdige Grundle­gung dieses Prinzips in der Ära Kants stand. Wo Steiner sich persönlich neben vielen an­deren Zeitge­nossen damals um seine empirsche Begründung (um das «naturwissenschaftlich Si­chere») ausdauernd erst einmal bemühte, indem er dem erleb­ten Zu­sammenhang von Wirkendem und Be­wirktem bei den Aktivitäten des Bewußtseins nach­ging. Steiner wollte das Kausalitäts­prinzip also nicht etwa «abschaffen», wie Hartmann auf S. 608 f zu ver­stehen gibt. Sondern Stei­ner wollte es, wie viele an­dere damals auch, in seinem Geltungsbe­reich überhaupt erst einmal empirisch solide nachwei­sen, und dabei zugleich aufzeigen, wo das physikalistische Prinzip der Naturkausalität gilt, und wo es nicht mehr gilt. Wie es auch seiner Leitfrage aus dem ersten Kapitel der Philosophie der Freiheit entspricht. Wie er es später in einem Vortrag in Stuttgart am 5. Septemer 1921 (GA-78, Dornach 1986, S. 142 f) aus­führlicher und unter Hin­weis auf die Philosophie der Freiheit mit dem Geltungsbereich des mate­rialistischen Kausali­tätsprinzips, beziehungsweise etwas komplexer: mit dem Energieerhaltungs­satz erläutert hat: Es muß „die Materie sich zu­rückziehen im Organismus und Platz machen dem Denken, dem Vorstellen; dann sieht dieses Denken, dieses Vorstellen, die Möglichkeit seiner Ent­faltung im Menschen.“ Das kann der Leser auch im neun­ten Kapitel der Philosophie der Freiheit studieren unter dem Stichwort «Zurückdrängung der leiblich seelischen Organisation durch das Den­ken.» Was als Sachverhalt natürlich auch einen Verursachungszusammenhang darstellt, wenn das Denken die leibliche und seelische Organisati­on «zurückdrängt». Das erweiterte Kausalitätsprinzip gilt, wie Steiner 1921 aus­führte, auf dem physikalischen und chemischen Felde. Aber nicht als Kausalverursacher für das Denken und Er­kennen. Sondern es ist das Denken, das die Materie nebst übriger seelischer Organisation dort durch seine eigene Wirksamkeit zurückdrängt. So steht es in der Philosophie der Freiheit, während der Vortrag noch deutlich darüber hinausgeht.

Eine solche Abklärung über den Geltungsbereich der Kausalität ist für jede Freiheitsphilosophie auch unerläßlich, die von naturwissen­schaftlichem Boden ausgeht wie bei Stei­ner. Steiner aber zu unterstellen, er habe stattdessen «das Kau­salitätsprinzip abschaffen wollen», ist schlicht abwegig. Von all den Hinter­gründen darum hatte ne­ben seinen Schülern wie Hartmann auch Witzenmann keinen Sachver­stand. Eine einzige Dunkel­zone um diese damalige naturwissenschaft­liche Problemlage mit der Kausalitätsfrage tut sich da bei Witzenmann und seinen Schülern auf. Die sel­be Kenntnis­losigkeit in dieser Frage der Kausa­lität wie bei Klaus Hartmann erleben wir an der skurrilen Auf­machung und den Texten der Wit­zenmannanhänger in die­sem Sammel­band, zu de­nen neben Wa­gemann auch Schieren und Da Veiga ge­hörten.

Die Abhängigkeit und gedanken­lose Unterwerfung der «Erblickenden» unter Witzenmanns Stei­nerexegesen mündete, wie Hartmann auf Seite 610 ff deutlich ausspricht, als seine Quelle in ei­nen of­fen verkünd­eten Beschluß, Witzen­manns «Inter­pretationen» zur quasi of­fiziell gültigen Steiner­exegese zu salben, und fortan Witzenmanns Werk zu verbreiten. Und zwar, ohne dass die «Erbli­ckenden» von Steiners Origi­nalwerk der Grundlegung selbst irgend etwas nennenswert Verwen­dungsfähiges wußten. (Und vielfach bis heute eben nicht wissen.) Wie ich übrigens aus eigener und teils jahrelanger Kenntnis solcher Teilhaber zu sagen weiß. So ein Beschluß ent­spricht also fak­tisch ei­ner «Blicklenkung aus dem hohlen Bauch her­aus». Oder einer Indoktrinat­ion, wie es heute bei den unwissenden Greta-Jün­gern und Klimakle­bern der Fall ist. Denen die Witzenmannanhän­ger in ihrer obskuren Geisteshalt­ung allemal näher stehen als dem naturwis­senschaftlichen, spiri­tuellen und politischen Auf­klärer Rudolf Steiner. Daß es für diese dubiose Denkweise auch ein entspre­chendes Sponsoring gibt wie bei den Klimaklebern, das wissen wir von Wagemann per­sönlich, der (S. XI ff) neben der GLS-Bank und der anthroposophischen Ge­sellschaft Deutsch­lands noch weitere Sponsoren für seine abstruse Übersetzungsarbeit an der Strukturphänomenol­ogie anführt. Siehe weiter oben S. 51 ff.

Die Analogie mit den derzeitigen Erscheinun­gen von Klimafanatismus ahnungsloser jun­ger Menschen liegt also ernstlich auf der Hand. Denn so wur­de auch da­mals analog in den 1970er und 80er Jahren aus ei­ner kom­plett darin unwissend­en Anhän­gerschaft Witzen­manns eine Art Gläubigengemein­schaft geformt wie heute die ah­nungslosen Kli­makleber und Thunberg-Jünger: Man ersetzte fort­an weitgehend die Steiner­forschung durch Glauben an die Wahr­heiten Witzen­manns, und unter Ver­zicht auf jede seriöse Steiner­forschung. Typisches Sektierert­um eben, wie es bereits Steiner sei­nen eigenen An­hängern oft und oft attes­tiert hatte. So daß es dort auch mit Blick auf das Kausali­tätsproblem und Steiners Be­handlung dessen seit Jahrzehnten ge­waltig klemmt, ohne irgend ein Licht am Ende des Tun­nels. So ist es über weite Strecken heute noch, und er­klärt auch die schrä­ge und jede seriöse Wis­senschaft kari­kierende Aufmachung des Sam­melbandes aus der Alanus­hochschule. Da bleibt mit wenig Hoff­nung auf Einlösung der Absichts­erklärung nur mit Wage­mann zu konstatieren: «Ho­wever, a com­prehensive compari­son of Wit­zenmann’s ap­proach with Stei­ner ... remains one of the re­search de­siderata of the fu­ture.» So wie es derzeit aus­sieht, wird wohl auch in 200 Jahren nichts Brauchba­res bei den Witzenmannjüngern herausge­kommen sein, wenn schon nach 70 Jahren Witzen­mann-Ära bei seinen Anhängern nachweislich nichts da­bei heraus kam. Und das soll wohl auch so sein, ist man inzwischen angesichts der sich an­bahnenden Verhältnisse geneigt zu konstatieren. Alles zurückgehend auf eine Entwicklung und Beschlußla­ge der 1970er und 80er Jahre. - Cui bono also? Steiner und seinem spirituellen Impuls mit der Anthroposophie nützt das alles nichts. Son­dern vor allem der Gegenseite, die seit gerau­mer Zeit über Globalmilliardärskumpane wie Soros, Gates (siehe Frieder Sprich, hier S. 27 ff) & Co, (siehe Barkhoff hier, S. 63) da­bei ist, auch die anthroposophis­che Bewegung und ihren Impuls mit ihren inzwischen tief dort hineinlangenden Tentakeln auf­zumischen und zu ruinieren.

Allerlei salbungsvol­le und literarisch garnierte Worte, wie bei Witzenmann schon, aber kaum Ver­ständnis für Steiners Anliegen und methodisches Vorgehen auch bei Schieren. Selbst dort, wo Schieren Steiners seelische Beobachtung anfaßt, ist nichts von Steiners persönlicher Ein­schätzung dieser seelischen Beobachtung zu sehen. Auch wenn Steiner 1917 mit der Schrift Von Seelenrätseln (GA-21) ein eingehenderes Buch vorgelegt hat, wo die anthroposophische Grund­lagenforschung ausdrücklich am «Treffpunkt von Anthropologie und Anthroposophie» angesie­delt wird, und auf S. 170 f der ausdrückliche Wunsch nach einem psychologischen Laboratorium geäußert wird, ist nichts von dem bei Schieren haften geblieben. Auch da muß man eher vermuten, daß ihm das völlig unbekannt ist. Eine Terra incognita. Da ist also schlicht nicht viel zu erwarten. So viel sagt uns an die­ser Stelle die anthropo­sophische Rezeption von Steiners Bemühungen um eine em­pirische Grundle­gung der Naturwis­senschaft: Beim Herausge­ber des Sammelbandes (Schieren) ist davon nichts zu sehen. Beim Rest der Co-Autoren braucht man sich dann auch nicht mehr die Augen zu reiben, wenn es dort kaum anders aussieht. Sie alle stochern in demselben Sumpf der Ignoranz gegenüber Stei­ners naturwissen­schaftlichem Anliegen in der Erkenntniswis­senschaft. Sind darin wie Schieren mit Blindheit ge­schlagen, und tummeln sich stattdessen über­wiegend auf Nebenschau­plätzen. «Grundlagenforschung» zu Steiners Frühwerk jedenfalls ist das nicht. Und die ist auch gar nicht ernsthaft gewollt. Diesen Eindruck kann man nur gewinnen, wenn man sich das hilflose und verquere intellektuelle Gestrampel in diesem Sammelband anschaut.

So verhält es sich auch bei Da Veigas Beitrag über Steiners Verhältnis zu Fichte auf den Seiten 105 ff des Sammelbandes. Mit Blick auf naturwissenschaftliche Begründungsfragen und deren empirische Behandlung durch Steiner ist der Essay Da Veigas vollkommen leer und unproduktiv. Allein schon der Umstand, daß Steiner seine Philosophie der Freiheit als «seelische Beobach­tungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode» untertitelte, hat bei Da Veiga augenfällig keinerlei Spuren hinterlassen. Dasselbe läßt sich von Steiners Grundlinien sagen, die nicht nur eine psy­chologische Methode der «reinen Erfahrung» behandeln und ausdrücklich auch erkennt­niswissenschaftlich an­wenden, sondern die­se Verhältnisse auch noch in ihrem Psychologiekapitel 18 lang und breit dar­stellen, und in den Anmerkungen zur Zweitauflage (hier S. 142) zudem noch um die An­throposophie erweitern. Man fragt sich ernstlich, welche Frühschriften Steiners Da Veiga eigent­lich studiert haben will, wenn von all dem nichts bei ihm haften geblieben ist.

Von all dem ist nach mehr als dreißig «Forschungsjahren» bei Da Veiga rein gar nichts ange­langt: «Der Beginn von Steiners schriftstellerischem Wirken am Ende des 19. Jahrhun­derts», so schreibt nämlich Da Veiga auf S. 106, «liege eindeutig in der Phi­losophie.» - Nun, das ist schlicht nicht wahr! Oder wenn wir etwas umsichtiger formulieren wollen: Es ist die Tatsache zu berücksichtigen, daß in der damaligen akademischen Philosophie auch die Psychologie ent­halten war, was heute nicht mehr der Fall ist. Spricht man nur von «Philosophie» mit Blick auf Steiners Zeit, ohne diese sehr anderen damaligen Verhältnisse zu würdigen, dann klärt man für den Leser diese Sachlage nicht. Und verfehlt sowohl die historischen Umstände als auch Stei­ners eigene Selbsteinschätzung aus GA-255b, S. 296, wo­nach er seinen Weg aus der Naturwis­senschaft heraus genommen habe: „Dieser Ur­sprung und Ausgangspunkt [der Anthroposop­hie, MM] liegt durchaus in der naturwissenschaftli­chen Weltan­schauung der neueren Zeit. Wer die ja etwas lange Reihe meiner Schriften durch­geht, der wird se­hen können, daß mein Ausgangs­punkt nie in irgendwelchen reli­giösen Problem­en liegt, wenn auch selbstverständlich Anthroposop­hie ihrem Wesen nach, wie wir sehen werden, an das religiö­se Empfinden und an re­ligiöse Anschauungen heranführen muß. Der Aus­gangspunkt waren nicht religiöse Anschauun­gen, der Ausgangspunkt war die naturwis­senschaftliche Weltanschau­ung, in welche ich in jungen Jahren hineingewachsen bin.“ So Stei­ner dort auf S. 296 zu seiner Aus­gangslage. Und weiter (S. 297), dass er nicht eher zu spirituel­len Fragen habe öffentlich Stel­lung beziehen können, bevor es ihm nicht gelungen war, eine Brü­cke von den Naturwissenschaf­ten zum Spirituellen über das «na­turwissenschaftlich Si­chere» zu finden. Genannt werden von Steiner in diesem Zusammenhang mit der Brückensuche die Einleitungen in Goethes naturwissenschaftli­che Schriften, Wahrheit und Wissenschaft und die Philosophie der Freiheit.

So ist es nicht nur im Stuttgarter Vortrag vom 25. Mai 1921 (GA-255b, S. 295 ff) zu lesen. Son­dern, und was für den kritischen Bearbeiter seiner Frühschriften natürlich noch überzeugender ist als lediglich eine vereinzelte späte Vortragseinschätzung Steiners: das deckt sich auch mit Stei­ners Werdegang als Student der Na­turwissenschaften und nach­folgender Her­ausgabe von Goe­thes naturwissenschaft­lichen Schrif­ten. Das deckt sich vor allem auch mit dem Inhalt seiner Be­gründungsschriften in diesen Jahren. Daß Rudolf Steiner im zwei­ten Kapitel der Philosophie der Freiheit das «Wirkende der Natur im eigenen Inneren» aufsucht, «weil die Natur im Äußeren erst zu finden ist, wenn man sie in seinem Inneren bereits kennt», das scheint indessen nieman­dem unter seinen akademischen Interpreten jemals in die Hän­de ge­kommen zu sein. Geschweige denn, dass es je­mand aus der anthroposophischen Professorens­chaft und ihrem intellektuellen Umfeld für bare Münze genom­men hätte. Da denkt sich also Herr Da Veiga nach 130 Jahren, das sei alles bloß Philoso­phie, was bei Steiner in Wirklichkeit als Na­turwissenschaft gemeint ist. Al­lerdings als «in­nere Na­turwissenschaft» mit philosophisch ausgesprochen relevanten Erträgen. Bis hin zur «aller­wichtigsten Beobachtung, die der Mensch machen kann», wie wir aus der Philoso­phie der Frei­heit (hier S. 29) wissen. Und bis hin zu der Tatsache, daß «die Wesenheit des Denkens die leiblich seelische Organisation zurückdrängt», wie es im neunten Kapitel der Philosophie der Freiheit (hier S. 102 f) heißt. Relevanter und dringlicher für die Naturwissenschaft könnten die Verhältnisse kaum werden, und auch von Steiner kaum in dieser Frühschrift dargestellt werden. Das aber inter­essiert den anthropo­sophisch-akademischen Steiner­forscher und Schüler Witzenmanns, Profes­sor Da Veiga, heute augen­fällig so viel wie der be­rühmte Sack Reis, der ge­rade in China um­fällt.

Das ist leider nicht nur bei Da Veiga so. Sondern dieser prominente Sack Reis erfreut sich bei den «Anthroposo­phen» seit längerem schon außerordentlich großer Beliebtheit, und ist in schöns­ter Regelmäßigkeit bei ihnen im Um­lauf. Überhaupt so etwas wie das Kernmerkmal heuti­ger anthro­posophischer Mainstream-Steinerforschung. Man könnte gegenwärtige akademische Anthroposo­phen regelrecht an­hand dieses Kennzeichens dahingehend identifizieren, dass sie davon, - von Stei­ners empirischen Lösungsbemühungen um Humes und Kants Problem der Kau­salität, - bei ih­rer Steiner-Re­cherche mit aller­höchster Wahr­scheinlichkeit rein gar nichts wissen und davon rein gar nichts verstehen. Und es sie auch rein gar nicht interessiert. Nicht nur in Peter Heussers eigener Habili­tationsschrift respektive ihrer nachfolgenden Buchausgabe Anthroposophie und Wissenschaft ist das ebenfalls so, sondern auch in dem von Heusser und Weinzirl herausgegebenen Sammel­band von 2013, Rudolf Steiner. Seine Bedeutung für Wissenschaft und Leben heute. Nähe­res zu letzterem Sammelband hier, derzeit S. 1190 ff.

Die philosophi­schen Interpret­en Stei­ners, - sie mö­gen aus der Anthro­posophie kom­men oder auch nicht, sie mö­gen aus der Me­dizin kommen wie Peter Heusser, aus der Phi­losophie oder Pädagogik wie Schie­ren und Da Vei­ga, - sind in der Re­gel ein­fach nicht mehr in der Lage sol­che empiristi­schen Zu­sammenhänge zu erken­nen, die sich in je­ner Zeit um das naturwis­senschaftliche Begrün­dungsproblem von Kant und Hume rank­ten. Bei diesen empi­ristischen Lö­sungsbemühungen ist aber auch der «innere Naturwissenschaft­ler» Stei­ner anzusie­deln. Nicht zu­letzt, weil er sich dort auch ganz unverkenn­bar selbst ansiedelt. Das ha­ben wir weiter oben schon etwas aus­führlicher besprochen. Was er zudem in der Schrift Von Seelenrätseln (hier S. 29-33) aus­drücklich noch ein­mal in den Worten von der «Philo­sophie über den Men­schen» dargelegt hat. Die ein Aus­druck und zu­sammenfließendes Re­sultat der «anthropologis­chen» und der «anthropo­sophischen» empi­rischen Forschung sei. Das freilich war nicht erst eine späte Ein­sicht und Umdeutung des «An­throposophen» Stei­ner. Son­dern das läßt sich ganz un­zweideutig auch aus seinem Früh­werk schon so able­sen. Be­ginnend etwa mit ei­ner erkenntniswis­senschaftlichen Suche nach den wirkenden Kräften der Na­tur im Menscheninne­ren, wie in Kapitel II. der Philosophie der Frei­heit. Wobei die hier angewen­dete «im­manent psychologische» Metho­de in hohem Maße auch aus dem empiristischen Werk­zeugkasten von Johannes Volkelt stammt, wie Steiner in Wahrheit und Wis­senschaft in aller Öffentlich­keit vor­ausschickt. Wie man es in den immanent psycholo­gisch gehal­tenen Grundlinien methodisch eben­falls vorgeführt bekommt und sogar wortwörtlich nach­lesen kann, weil Volkelt mit seiner «vor­züglichen Methode» dort (S. 31) persönlich eine gan­ze Seite lang zu Wort kommt. Im Kapi­tel 14 der Grundlinien wird dieser inne­re Empirismus Steiners dann in höchst plakativer Weise mit dem Kausalitätsproblem Kants kontras­tiert. Das bereits 1886. - Stei­ners Philo­sophie des frei­en Menschen ist ein Resultat von «inner­er Na­turforschung» und nicht le­diglich die rationalistis­che Gedanken­konstruktion eines Philosop­hen namens Steiner, der irgendwo unter den idealisti­schen Systemphi­losophen seiner und der vorange­henden Zeit anzusie­deln wäre. Während die (vor allem auch die akademischen) Deutungsstrategen un­ter den «Anthroposo­phen», wie man auch an den Sammelbänden (Alanushochschule sowie Heusser / Weinzirl) wieder sieht, von all den naturwissenschaftl­ichen Begründungs-Intentio­nen Stei­ners und ihren Resultaten schlicht kei­nerlei Kenntnis haben.

In dem Augenblick, wo ein erkenntnistheoretischer Forscher wie Steiner sich beobachtend den Prozess seines Denkens und Erkennens vornimmt, ist er kein Metaphysiker oder abstrakter Erkenntnistheoretiker mehr, sondern Empirist. Erfahrungswissenschaftler. Das aber gilt bei Steiner über sämtliche Frühschriften hinweg. Gegen­über die­ser Form des «inneren Empirismus» hatte sich bei den Philo­sophen der Jahrhundertwen­de allerdings viel­fach ein ausgesprochener Widerstand eingebürgert, wie Johannes Volkelt 1918 in seiner Schrift Gewißheit und Wahrheit auf der Seite 38 f schrieb: „Dem Sprödetun gegen die Metaphysik hat sich heutigen Tages das Sprödetun gegen die Psycho­logie hinzugesellt. Für die philosophische Literatur der Gegenwart ist die Furcht vor dem Ver­dacht des Psy­chologismus ge­radezu charakte­ristisch. Auf Schritt und Tritt begegnet man Versic­herungen von der Art: das Ge­sagte sei beileibe nicht psychologisch zu verstehen; aus dem Ergebn­is dürfe um keinen Preis eine psychologische Folgerung gezogen werden; die Psy­chologie habe schlechtweg nichts dreinzured­en; die Psycho­logie sei so recht die Verderbe­rin der Problem­stellungen. Angesichts der ängstlich geflissentli­chen Abwehr des Ver­dachtes, auf den Bahnen der bösen Psychologie zu wandeln, ist es oft schwer nicht spöttisch gestimmt zu werden. Manchmal ist es, als fürchte der junge philosophi­sche Schriftsteller sich bloßzustel­len, wenn er der Psycholo­gie nicht ihre Untergeordnetheit und Neben­sächlichkeit zu füh­len gebe.“ - So schreibt Volkelt 1918 zur anwachsenden Aversion der Philosophen gegenüber der empirischen Psycholo­gie in der Er­kenntniswissenschaft, die damals in weitem Umfang auch Psychologie der inneren Beobach­tung war. Wie etwa in Külpes Würzburger Institut der Denkpsychologie. Oder wie man besonders ex­emplarisch auch Diltheys 1894er Kennzeichnung der Erkennnistheorie als «Psychologie in Be­wegung» entnehmen kann; (hier S. 1320 ff / respektive hier besser lesbar bei Wilhelm Humerez). Wo Dilthey dazu ausführt: „Der seelische Zusammenhang bildet den Untergrund des Erkenntniss­processes, und der Erkenntn­issprocess kann sonach nur in diesem seelischen Zusammenhang stu­dirt und nach sei­nem Vermögen bestimmt werden. Nun sahen wir aber darin schon den methodi­schen Vor­zug der Psy­chologie, dass ihr un­mittelbar, lebendig, als erlebte Realität der seelische Zusammen­hang gege­ben ist. Das Erlebniss desselben liegt allem Auffassen der gei­stigen, ge­schichtlichen und gesellschaftlichen Thatsachen zu Grunde. Minder oder mehr aufgeklärt, zerglie­dert, er­forscht. Die Geschichte der Wissenschaften des Geistes hat eben diesen erlebten Zusamm­enhang zu ihrer Grundlage, und sie erhebt ihn schrittweise zu klarerem Bewusstsein. Von hier aus kann nun auch das Problem des Verhält­nisses der Erkenntnisstheorie zur Psychol­ogie auf­gelöst werden. In dem lebendigen Bewusstsein und der allgemeingültigen Be­schreibung die­ses seeli­schen Zusammenhangs ist die Grundlage der Erkenntniss­theorie ent­halten. Einer voll­endeten, durchgeführten Psychologie be­darf die Erkenntnisstheorie nicht, aber alle durchge­führte Psycho­logie ist doch nur die wissenschaftliche Vollendung dessen, was auch den Unter­grund der Er­kenntnisstheorie bildet. Erkenntnisstheorie ist Psy­chologie in Bewegung, und zwar sich nach ei­nem bestimmten Ziele bewegend. In der Selbstbesinnung, welche den gan­zen unverstümmelten Befund seelischen Lebens umfasst, hat sie ihre Grund­lage: Allgemein­gültigkeit, Wahrheit, Wirk­lichkeit werden von diesem Befund aus erst nach ih­rem Sinn be­stimmt.“

So erklärte es Dilthey 1894 in seinem Vortrag vor der preussischen Akademie der Wissenschaf­ten. Man schaue sich an, was Steiner analog im Psychologiekapitel 18 der Grundlinien1886 dazu schrieb und in ihrer Zweit­auflage auch noch auf die Anthroposophie hin erweiterte. Die Phi­losophie der Freiheit schließlich han­delt als erkenntniswissenschaftliche Grundlegung 1918 aus­drücklich immer noch von «seeli­schen Be­obachtungsresultaten». Dem aber versuchten da­mals einflußreiche Phi­losophen mit gro­ßem Ei­fer, wie Volkelt 1918 ironisierend konsta­tiert, end­gültig den Garaus zu machen. Sogar Franz Brentano hängte man seinerzeit das ehrenrührige Eti­kett des «Psychologismus» an, wie Brentano 1911 in seiner Schrift Von der Klassifi­kation der psychischen Phänomene S. 165 ff im Kapitel XI., Vom Psychologismus, empört schreibt.

Alles in al­lem ein Angriff mit eini­gem Er­folg, wie Volkelt darlegte, und wie man an den verlore­nen philosophi­schen Steiner-Erklärern von heute immer noch sieht, die sich da im Sammelband der Alanus­hochschule verdichteten. Da kommt dann noch hinzu, daß der Inaugu­rator einer «Pa­radoxie der Selbstgebung», Witzenmann, nicht nur beim Antipsychologisten und Phänomenolo­gen Husserl studiert hat­te, sondern von dem auch dermaßen beeindruckt war, so dass er ihm mit der «Strukturphänome­nologie» und ihrem abstrusen «Erzeugungspro­blem» auch gleich noch ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Und heu­te verkaufen Witzen­manns Anhänger dann Witzen­manns pseudopsychologischen Etiketten­schwindel und herme­neutischen Interpretations-Widersinn als «seelische Beobachtung, die keine Intro­spektion» sei, wie wir von Schieren hörten. Nun, wenn das unwis­sende an­throposophische «Fuß­volk» oft­mals Steiners eigene Gegner beju­belt, so ist das nicht neu. War auch zu Steiners Zeit schon be­kannt. Für die sogenannten Akade­miker un­ter den An­throposophen gilt aber kaum ander­es. Zumal beim Anhang Witzenmanns. Ich selbst wüß­te auch mehr als ein Lied aus den vergangen­en an­nähernd drei Jahr­zehnten davon zu singen, wie sehr sich angeb­liche Anthropo­sophen aus dem Husserl­schen und Witzenmannschen Um­feld und dar­über hinaus entrüsteten, wenn man ihnen die psycho­logische Beob­achtung des Den­kens zum Verständnis der Steinerschen Grundla­gen nahelegte. Während Steiner wie ge­sagt persönlich in der Schrift Von Seelenrätseln den ein­dringlichen Wunsch nach einem psycho­logischen Labo­ratorium aussprach, um dort «beste Grundlagen» zu legen. Einen Wunsch, den er dort bezeich­nenderweise «bei je­dem» ansiedelte, «der auf dem an­throposophischen Ge­sichtspunkt steht»: „Jeder, der auf dem an­throposophischen Gesichtspunkt steht, sehnt sich eben­so wie Brentano, in einem echten psycho­logischen Laborato­rium arbeiten zu können, was durch die heute noch gegen die Anthroposophie herrschenden Vor­urteile unmöglich ist.“ So Steiner hier auf S. 171. Das spricht sicherlich für sich selbst.

Die Philosophen, das dokumentiert Johannes Volkelt 1918, begannen sich mit den ersten Dezen­nien des 20. Jahrhunderts schlichtweg zu weigern, bei erkenntniswissenschaftlichen Problemstel­lungen, - auch den Denkprozess selbst be­treffend, - psy­chologische Untersuchungen zur Klärung heranzu­ziehen. Deswegen sind die Philosophen auch als «An­throposophen» heute fast in der Re­gel die Aller­letzten, von denen man sachhaltige und zielfüh­rende Auf­klärung über Steiners Grundlagen erhält, - nach etwa 40 Jahren engerem Umgang mit der Stei­nerforschung erlaube ich mir das in­zwischen zu sagen. Das gilt auch für alle Beteiligten am Sammelband der Alanushoch­schule. Denn die damals aufgebauten Wi­derstände wirken auch im Umfeld der An­throposophie und an­deren phi­losophieorientierten Bear­beitern von Steiners Früh­werk bis auf den Tag ganz massiv nach, da ih­nen die Psychologie zu­dem auch vollkommen sachfremd ge­worden ist.

Insofern ist es verständlich, wenn Hartmut Traub bereits in sei­nem umfangreichen Buch von 2011 keinen blassen Schimmer erkennen ließ über die methodi­sche psychologische Be­obachtung des Denkens, wie wir weiter oben schon an­gedeutet haben. Steiners Grundlinien hat er dort bis auf eine schmale Anmerkung 262 auf S. 426 weitestgehend links liegen gelassen. Wo in dem ganzen opu­lenten Band Traubs auch nichts zu lesen ist über jene un­übersehbaren Verhältnisse in der Philo­sophie, wie sie von Edith Stein um die psychologische Be­gründung des Empirismus ihrer und der Steinerzeit ge­schildert wurden. An der seinerzeit auf­kommenden Aversion der Philosophen gegen die Psycho­logie hat sich bis heute wenig ge­ändert, so viel demonstriert Traub selbst. Wenn man sich dazu auch noch Traubs flache Psychologiebemerkungen im Sammel­band der Ala­nushochschule an­schaut, wo zur Psycholo­gie lediglich einige für das Verständnis völlig wertlose Banalitäten ab­geliefert wer­den, anstatt die erkenntniswissenschaftliche Begründungs­perspektive der seelischen Beobachtung ins Auge zu fassen, dann bleibt nur das Fazit: Der Mann hat weder von der Entwicklung der empirischen Psy­chologie noch von ihrem Verhält­nis zu na­turwissenschaftlichen und empi­ristischen Begrün­dungsfragen irgend welche ernst zu nehmen­den Kennt­nisse. Und erst recht nicht von Steiners erkenntniswissenschaftlichem Anliegen respektive innerem Empirismus. Sondern Traub bewegt sich bei sei­nen diesbezüglichen Auslassungen zur Rolle der Psycho­logie weitgehend auf dem Ni­veau ei­nes in­tellektuellen Hohlraum­verwalters. Der im wesentli­chen wie­der einmal mit derartigen Leerstellen angetreten ist, um Steiner von der «hohen Warte» der Philosophie aus zu diskreditieren, wie es bereits 2011 der Fall war. Ohne eine Vorstellung davon zu haben, was der Mann in seinem Frühwerk eigentlich bezweckte, und welche Rolle die seelische Beobachtung in erkenntniswissenschaftlichen Begründungsfragen nicht nur bei Steiner damals spielte. Auch bei der kleinen Prise Uni­versalienrealismus, die Traub dabei ganz zusam­menhanglos zur Würze mit einge­fädelt hat.

Ganz schlechte Vor­aussetzungen für ei­nen Philoso­phen, um auf so einer Grundlage zielfüh­rende Interpretatio­nen zu Steiners Frühwerk abzuliefern. Und nur ein weiterer Beleg neben zahl­losen ande­ren da­für, dass man in den seltensten Fällen er­folgreich moderne Phi­losophen fragen kann, wenn es um Aufklä­rung über Steiners Grundlagen geht. Da hilft auch ein Fichtekenner nicht weiter, weil die heutigen Philo­sophen inzwischen von fast allem abgeschnit­ten sind, was zum Verständnis des frühen Stei­ner nötig wäre. Damit meine ich noch nicht einmal Steiners anthropo­sophischen Im­puls, son­dern lediglich den empiristischen in seinen Frühschrif­ten. Mit der Folge, daß Traub mit den an­deren Fehlsichtig­en gemein­sam eine Blinden­konferenz über die Far­be ab­hält. Der ge­samte Sammel­band der Alanushochs­chule ist nur der Ausdruck einer derart dort or­ganisierten Blinden-Ta­gung, wo man sich akade­misch über die Far­be austauscht. Mit reichhalti­gen Facetten der Blind­heit, wie sie bei einem naturwissenschaftl­ichen / erkenntniswissenschaftli­chen Begründungs­thema aus dem späten neunzehnten Jahrhun­dert heute bei Gegenwartsphiloso­phen eben möglich sind. Bis hin zu geistiger Freibeuterei und Kaperung einer wissens­chaftlich etikettierten Veranstaltung um Steiners philosophische Quellen für ausschließliche Privatinteress­en: Von den ahnungslosen Anhängern Witzenmanns mißbraucht und ausgeplündert als Werbe­bühne für den hermeneutischen Kokolores des Herbert Witzenmann.

Die komplette Unkenntnis über Steiners empiristische und psychologische Intentionen in seinem Frühwerk und deren Einbettung im damaligen Forschungsgeschehen um die erkenntniswissen­schaftliche Grundlegung des Empirismus, war und ist eben auch ein erns­tes Rezeptionsproblem von Anthroposop­hen, wie man an Da Veiga sieht. Wenn Da Veiga schreibt, Stei­ners schriftstel­lerisches Wir­ken am Ende des 19. Jahrhunderts sei eindeu­tig in der Philosophie anzusiedeln, dann hat er schlicht kein Wis­sen von diesen Tatsachen, die sich empi­risch psychologisch und na­turwissenschaftlich in der Steinerzeit um Kants Begrün­dungsproblem rankten, und als empiri­sche Forschung auch in Stei­ners Grundlagenwerken überall den Schwer­punkt bilden. Daher liegt Da Veiga auch mit seiner Einschätzung, Steiners schriftstel­lerisches Wirken in der Frühzeit liege eindeutig in der Philosophie, und das ohne jede weitere Aufklärung über die Einbettung der Psy­chologie in die Philosophie, gründlich neben der Spur. Er betreibt damit Blindenforschung über eine Farbe, welche er nie zu Gesicht bekommen hat. Denn Steiner war eben von Anbeginn an Empi­rist, auch des Denkens, wie sich schon aus den Grundli­nien ganz un­zweideutig entneh­men läßt.

Wenn man Steiners erkenntnisp­sychologische Behand­lung des Erkenntnispro­blems, eingeschlos­sen die Frage nach dem Wirkend­en im Denken und dem naturwiss­enschaftlich Siche­ren, aus die­ser Zeit betrachtet, dann muß man entsprechend eben auch die Tatsa­che be­rücksichtigen, dass die Phi­losophie der frü­hen Steinerzeit noch die Psycholo­gie, - auch die empi­rische, - ein­schloss, und nicht die Philo­sophie von heute war, wo die Fakultä­ten seit den ers­ten Jahrzehnten des 20. Jahr­hunderts ge­trennt sind. Das wird man seinem Leser selbstredend auch zur Orientierung ver­mitteln, wenn man diese Verhältnisse kennt. Was aus heutiger Sicht separiert ist, nämlich innere Na­turwissenschaft / Psychologie und Philosophie, das war damals eine akademische Ein­heit. Führte aller­dings da­mals bereits zu mas­siven Streitereien um die Besetzung von philosophi­schen Lehr­stühlen durch Experimentalpsycho­logen, die zwar for­mell Philosophen waren, aber faktisch eben Psycho­logen mit einem für die meisten Philosophen sehr entlegenen Aufgabenbe­reich. (Siehe dazu auch hier, die Kapitel 13.1.e ff.)

Heute weiß kaum ein sogenannter Philo­soph noch all­zu viel Sub­stantiiertes über die Umstände damals zu berichten. Deswegen wird man von heuti­gen Philoso­phen auch nur in den allerseltens­ten Fällen sachhaltige Aufklärung über die frühen er­kenntniswissenschaftlichen Intentionen Ru­dolf Steiners erhalten. Und noch weit weniger über den Stand und die Einzelheiten der damali­gen Psychologie, wie wir es geradezu schlagend bei Hartmut Traub beob­achtet haben. Von all dem aber ist auch bei Da Vei­ga kein Wort zu hören. Weder von der Naturwis­senschaft, noch von der Psycholo­gie, noch von der Ver­bindung beider beim erkenntniswissen­schaftlichen Lösungs­versuch, das Grund­lagenproblem der Naturwissens­chaft empirisch zu über­winden, indem man das «naturwis­senschaftlich Sichere im eigenen Inneren» sucht und findet. Stattdessen fallen Stei­ners naturwis­senschaftliche und psy­chologische Intentio­nen samt und sonders ein­schließlich der Psychologie des Denkens bei Da Veiga unter den Tisch. Was sich nicht nur bei ihm heute beob­achten läßt. Andererseits ist die Ironie bei Volkelt nachvollziehbar, denn er war auch ein auf­merksamer Beobachter der jungen Denkpsychologie in den frühen Jahren des 20. Jahrhun­derts, die es in Steiners Frühzeit so, in einer institutionalisierten Form, noch nicht gab, sondern in Deutschland erst mit der Würzburger Schule Oswald Külpes in Würzburg ab 1896 und vor allem kurz nach der Jahrhundertwende ihren Anfang nahm. Zudem ist aus diesem Grund auch Steiners Wunsch nach einem psychologischen Laboratori­um verständlich, den er erst 1917 in der Schrift Von Seelenrätseln (GA-21) so eindringlich auf den Seiten 170 f zum Ausdruck brachte.

Zum Verständ­nis der naturwissen­schaftlichen Intentio­nen in Steiners Frühwerk ist Da Veigas Ab­handlung weitestgehend un­brauchbar. Wie gehabt! Über seine inzwi­schen längst obso­lete Disser­tation, Wirklichkeit und Freiheit, Die Bedeutung Johann Gottlieb Fichtes für das phi­losophische Denken Rudolf Steiners, Gideon Spicker Verlag, Dornach 1990, ist Da Veiga damit keinen Schritt hinaus­gekommen. Ganz im Gegenteil: Vor annähernd 30 Jahren hat er immerhin noch, wenn auch auf der Grundlage von Witzenmanns Fehlinterpretationen, die Beob­achtung des Denkens behandelt, und ist damit ganz zwangsläufig unter Witzenmanns Anleitung ge­scheitert, wie wir im Kapitel 6. 5 dieser Studie schon vor rund 18 Jahren hier darlegten; - wenn man noch weiter zurück geht, dann bereits in Ra­vaglis Jahrbuch für anthroposophische Kritik, von 1999 auf den Seiten 83 ff. Von der Beobach­tung des Denkens ist in Da Veigas Beitrag zum Sammel­band jetzt schon gar nicht mehr die Rede. Es scheint also eher rückwärts zu ge­hen anstatt vor­wärts. Was er dann auf den Seiten 116 ff über Steiners Ver­hältnis zu Fichte schreibt, bleibt ohne alle naturwissenschaftli­chen und psycho­logischen Implika­tionen. So dass auch die Tatsache des Stei­nerschen Hinausge­hens über Fichtes «Tathandlung» mit Hilfe des im­manent psychologi­schen Er­kenntnistheoretikers Johannes Volkelt, der erkenntniswissenschaftlich am selben Grund­legungsproblem der Natur­wissenschaften arbeitete wie Steiner, schon gar keine Rede mehr ist. Steiners Grundle­gung einer Natur­wissenschaft über das «naturwissenschaft­lich Sichere» exis­tiert auch bei Da Vei­ga schlechter­dings nicht. Nach rund dreissig Jahren, so weit liegt Da Veigas Dis­sertation jetzt zu­rück, ist beim Professor Da Veiga außer Leerlaufsignalen, dem Rückfahr­leuchter und aller­lei leeren akademi­schen Intel­lektualismen nichts Nennens­wertes sichtbar ge­worden. Das ist, wie auch bei Schieren nicht zuletzt auch ein höchst fragwürdiger Erfolg der Schule Witzenmanns, aus der er zusammen mit Schieren und nachfolgend Wagemann stammt. Wie man sieht, liegt diese beklagenswerte Sach­lage nicht an Steiner, sondern am mangel­haften For­schungswillen sei­ner Be­arbeiter, die sich als Schüler und Anhänger Witzenmanns ir­gendwo im akademischen Ne­bel einge­graben haben, und dort dann als «akade­mische Professor­en» überwieg­end ver­hungerte hermen­eutische Pirouett­en drehen, die mit Stei­ners empiristi­schem Forschungsa­nliegen kaum et­was bis rein gar nichts zu tun haben. Inso­fern hat Da Veiga viel­leicht sogar recht mit seiner titel­gebenden The­se von S. 105: „Was für eine Philoso­phie man wähle, hängt davon ab, was man für ein Mensch werden will …

Das mag so sein. Und gilt womöglich auch für die Steiner-For­schung. So, wie es bislang aus­sieht, scheint die aber den Löffel in akademischen Teilen längst ab­gegeben zu ha­ben, wie der Volksmund so sagt. Und ist zumindest bei den Witzenmannanhän­gern, wie sie selbst berichten, und so weit wir es dem Sammelband aus der Alanushochschule ent­nehmen konnten, nicht mehr ernstlich nachweisbar. Sondern zeigt sich nur noch, wenn nicht mausetot, dann doch in einem Zustand hochgradiger geistiger Agonie. Bis hin zum ungenierten, öffentlichen Mißbrauch angeb­licher akademischer Steinerforschung als Werbeveranstaltung für den Interpre­tations-Unsinn Witzen­manns. Womit offensichtlich wird, dass es hier nicht mehr um die Wahrheit und Steiner­forschung, sondern um Interessenvertretung geht. Wenn nicht gar um die immer offensichtlicher werdende Anbiederung an den (Global) Faschismus, der Deutschland zunehmend seit Jahren im Würgegriff hat, wie Herbert Ludwig in einem Beitrag im Europäer Juni 2023 (Jg 27 / Nr. 08), S. 7 ff zu bedenken gibt. Bleibt zu dieser Frage noch einmal orientierungshalber anzumerken, daß von Witzenmanns Fehlinterpretatio­nen kein Weg zu Steiners Geist-Erkenntnis führt.



Warum ein «induktiver» / empiristischer Weg zu den Ideen für die moderne Freiheitsphilosophie?

So weit noch einmal zur derzeitigen desolaten Steinerrezeption an der Alanushochschule. Auf der ande­ren Seite wie­derum können Sie als Leser verstehen, warum so zahlreiche Zeitge­nossen neben Volkelt oder Edith Stein und Rudolf Steiner versuchten, das Kau­salproblem auf dem Wege der «inneren Beob­achtung» zu lösen. Darin hät­ten sie sich ohne weite­res auf Hume selbst beru­fen können. Denn aus Hu­mes eige­ner Sicht war das vollkommen legitim, auch wenn er per­sönlich darin noch scheiterte, wie Reinin­ger in der oben zi­tierten Passage durchblicken läßt. Denn für Hume galt: „Nichts ist aber dunkler und geheimnisvol­ler als der Zusammenhang von Seele und Leib, und auch die Herrschaft des Wil­lens über unseren Geist ist um nichts begreifli­cher. Daher mußten auch noch alle Naturphilo­sophen zugeben, daß das letzte Wesen der wirken­den Na­turkräfte uns vollkommen verborgen bleibt.“ Das war von Hume (1711-1776) ge­schrieben in einer Zeit, als die empirische Psychologie als Kind des 19. Jahrhunderts noch weit in der Zukunft lag. Am Ende dieses 19. Jahr­hunderts und zu Beginn des 20igsten sah die Lage in dieser Frage vollkommen anders aus. «Hume kann nur auf seinem eigenen Boden überwunden werden», schrieb deswegen Edith Stein auf S. 3 der Einleitung ihres Habilitationsentwurfes. Dazu gehörte laut Hume nicht nur der Empirismus im allgemeinen, sondern auch die innere Beobachtung. Deswegen geht es in der Studie von Edith Stein um «psychische Kausalität». Für Wilhelm Dil­they war die Erkenntnistheorie aus solchen und an­deren Gründen, ähnlich wie bei Vol­kelt, auch eine «Psychologie in Bewegung», wie er 1894 in ei­nem Vortrag über beschreibende und zerglie­dernde Psychologie auf S. 1321 darlegte. Der Weg der inneren Beobachtung zur Lösung des Problems von Kant und Hume war der Weg, den Edith Stein neben zahllosen anderen Forschern einschließ­lich Rudolf Steiner damals zu beschreiten versuchte. Der ganz spezielle Weg Steiners dazu war jener der Beobachtung des Denkens und Erkennens, wo ihm Volkelt dann 1918 auch am nächsten kam.

Mit all dem im Hintergrund können Sie schließlich auch nachvollziehen, was Steiner im Kapitel 14 der Grundlini­en mit Blick auf Kant und auf das Prinzip von Ursache und Wirkung darlegte. Und begreiflich finden können Sie auch, welche Bedeutung wie­derum die unmittelbar erlebte Ak­tivität und Produktivität des menschlichen Den­kens und Erken­nens «als empirische Verursa­chungs-Tatsache» zur Lösung dieses Problems von Hume und Kant beizusteuern hat. - Nur als em­pirische Tatsache eines Verur­sachungszusammenhangs. - Bzw. eines «erlebten und durchschauten Zusammen­hangs von Wir­kendem und Bewirktem» im Denken und Erkennen. Sowie des Weltgesche­hens, wie es 1897 auch in Goethes Weltanschauung (hier S. 69 f) hieß. Verständlich auch, warum daraus wiederum bei Steiner in der Philosophie der Freiheit im dritten Kapitel (hier S. 29) die «allerwichtigste Beobach­tung wird, die der Mensch machen kann». Schließlich und endlich kann Ihnen daran auch deutlich werden, warum Steiner in seinem Vortrag vom 25. Mai 1921 in GA 255b, S. 298 rückblickend dar­auf hinweist, dass es ihm vor allen Dingen in den Frühschriften dar­auf angekommen sei, zunächst das «naturwissenschaftl­ich Si­chere» zu fin­den. Wobei es letztlich also um die Frage geht, ob es überhaupt eine sichere empiri­sche Erklärung der Welterscheinungen gibt oder aber nicht. Denn die­se Perspek­tive hatte sich unter dem Einfluß von Hume und Kant buchstäblich in Nebel ausgelöst.

Begreiflich ist es infolgedessen auch, wenn Johannes Volkelt in seiner Schrift Gewißheit und Wahrheit von 1918, S. 141 f von den inneren Erlebnissen des Denkens schreibt: „Hier wird an ge­wissen Stellen meines Bewußtseinsverlaufes Abhängigkeit in der Tat unmittelbar erlebt. Ich fühle mich als tätig, als freitätig, als schöpferisch. Ich weiß mich als Akte hervorbringend, als meinen Bewußtseinsverlauf leitend, als mein Wollen bestimmend, als meine Gedanken ordnend. [...] Und zweifellos sind diese Erlebnisse für die Ausgestaltung der Psychologie, der Ethik, der Metaphysik nicht nur wichtig, sondern geradezu entscheidend.“ Mit dieser Problem­stellung also war der em­pirisch / psycholo­gische, aristotelische Erkenntniswissen­schaftler und naturwissen­schaftliche Plato­nist Steiner keineswegs damals allein. Sondern in ei­nen enor­men Strom von sei­nerzeit auch sehr namhaften For­schern wie etwa Dilthey oder Volkelt einge­bunden, die sich alle­samt auf diesen Sach­gebieten und mit dieser Aufgabe im Hintergrund trafen. Und bemühte sich mit all den anderen zu­sammen um die entspre­chenden em­pirischen Lö­sungswege des fundamenta­len «Welterklärungs-Problems» von Hume und Kant.

Für den Fall, dass diese empirischen Verhältnisse um die Kausalität nicht geklärt werden, ist es in einer naturwissenschaftlich geprägten Zeit nämlich auch um den Universalienrealismus schlecht bestellt. Und erst recht um eine Philosophie der Freiheit. Das beste Beispiel dafür war der Idealist Eduard von Hartmann, der bei aller Neigung zum Idealismus, zur Naturwissenschaft und zum Universalienrealismus, der festen Überzeugung war, dass es Freiheit des Handelns schlechterdings nicht gäbe, sondern allenfalls als illusionäre Vorstel­lung. Wovon bereits im ers­ten Kapitel der Philosophie der Freiheit die Rede ist. Daß ferner (innere) Wirksamkeiten re­spektive deren Zusammenhang mit dem Bewirkten sich schlechterdings der unmittelbaren Er­fahrung entzögen, so Hartmann. Idealismus und Universalienrealismus für sich allein genom­men garantieren eben in der Gegenwart keine Freiheit des Menschen, sondern es bleibt bei ungeklärter Sachlage immer noch die Denkmöglichkeit Hart­manns bestehen, dass der Mensch einer Freiheitsillusion anhänge wie der fallende Stein, welcher glaubt, das Fallen basiere auf seinem eigenen Entschluß.

Sie können mit dem Universalienrealis­mus / Idealismus für sich genommen und im Hintergrund also auch im Determinismus des Denkens und Han­delns enden. Quasi in geistiger Zwangsherr­schaft mit daue­rhaft angeschlossenem Täuschungs-Festival, wo Sie wie bei Hartmann, nicht ein­mal wis­sen, was in Ihrem Denken, Urteilen und in Ihren Motivationsprozessen überhaupt vor­geht. So werden wir es weiter unten noch vom Nihilisten Nietzsche präsentiert bekommen. Dasselbe aber auch vom Idealisten Eduard von Hartmann. Besonders markant noch 1901, S. 30 vorgebracht. Und annähernd zwei Jahrzehnte zuvor folgendes, hier in Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins, 1879, S. 475 f. Wo es heißt:Als den ei­gentlichen Grund für die Un­möglichkeit, die Frage, ob der Wille determinirt sei oder nicht, durch das unmittelbare Zeug­niss des Bewusst­seins zu entscheiden, haben wir also die Unbe­wusstheit des Motivationsprocesses er­kannt (vgl. Ph. d. Unb. I S. 226-228). Diese Un­bewusstheit der Vorgänge, aus denen das Wollen hervorg­eht, muss nun aber auch als das wich­tigste Hilfs­mittel für das Zu­standekommen der Selbst­täuschung der indetermi­nistischen Freiheit aner­kannt werden. Das Ge­fühl der Selbstthä­tigkeit heim Handeln ist überall ebenso instinctiv gege­ben, wie das Selbst­gefühl des Individu­ums über­haupt; das Wollen, der innere Repräsen­tant der That, erscheint zweifellos als ein selbstgesetztes. Auf der andern Seite fehlt jedes Bewusstsein über die Art und Weise der Set­zung des Wollens, und das eigentlich Set­zende, der Charakter, bleibt noch weit mehr als der Motivationsprocess für die innere Selbst­wahrnehmung auf ewig in die Nacht des Unbewuss­ten versenkt. Was Wunder, wenn da das Selbstgefühl zu dem voreiligen Fehlschuss ge­langt, dass das selbstgesetzte Wollen, dessen ur­sächliche Genesis sich dem Bewusstsein entzieht, ein unmittelbar gesetztes, d. h. ohne solche causale Vermittelung gesetztes oder freies sei! Dies scheint mir die letzte und tiefste Wurzel des indeterministischen Vor­urtheils zu sein, [...] und alle sonstigen Verwechselungen mit an­deren Formen der Freiheit so wie die angeführten Wil­lensinteressen an dieser Selbsttäuschung können im Vergleich zu jener als secundäre Momen­te gelten. Hier liegt jener Grund der Frei­heitsillusion, der ebenso für den fallenden Stein gel­ten würde, wenn er Bewusstsein hätte, wie für den wollenden Menschen." Kurz referriert von Steiner auch im ersten Kapitel der Philosophie der Freiheit, hier S. 10 f.

Analogie zwischen Schuldschein-Idealismus und Schuldschein-Materialismus

Auch der damals vielgelesene und einflußreiche Hartmann beruft sich hier auf eine «unbekannte causale / ursächliche Genesis», die er bei aller kompletten Unbekanntheit dennoch als «gege­ben» voraussetzt, ohne sie erklärtermaßen aber jemals empi­risch nachweisen zu kön­nen. Daß es der «Charakter» ist, auf den es bei Entscheidungsprozessen ankommt, weil er an­geblich das «Setzende» ist, das kann er natürlich auch alles nicht wissen, da er das samt und und sonders seiner eigenen philosophischen Einstellung zufolge empirisch nicht belegen kann. Eine empirisch also vollkom­men leere Argumentation in Richtung menschlicher Unfrei­heit und Wirk­ursachen. Mit diesem leeren Einwand wie­derum wird ein angeblich «instinktiv gegebe­nes» Freiheitsgefühl bzw. das «zweifellos als selbstgesetztes erscheinende Wollen» einfach so vom Tisch ge­fegt, ohne für seine Negation auch nur einen einzigen stich­haltigen empirischen Beleg zu haben. Das ist eine sehr denkwürdige, und nicht nur aus heutiger Sicht verwegene Argumentati­onsweise bei Eduard von Hartmann: Etwas, was erfahrungsseitig immerhin zugestandenermaß­en er­lebt wird, - nämlich das «Empfinden eines freien Handelns, und ein selbstgesetzt erschei­nendes Wollen», - argumentativ gegen etwas auszuwechseln, - durch eine kausale Gene­sis, - wofür es selbst aus Hartmanns eigener Sicht niemals den ge­ringsten em­pirischen Beleg ge­ben kann. Die also noch nicht einmal «erscheint» wie das «selbstgesetzte Wollen», sondern defini­tiv nicht erfahrungs­wissenschaftlich nachweisbar ist. Während das erstere als «selbstgesetztes Wollen» doch immerhin einen empiri­schen Erschei­nungsstatus hat, der gegebenenfalls noch weiter zu klären wäre.

Das auf der Erfah­rungsebene immerhin nachweislich auch für ihn Vorhandene wird also vom Idealisten Hartmann ganz unbe­kümmert durch ein niemals Nachweisbares er­setzt. Letzteres, die empirische Unnachweis­barkeit von Kau­salität war sogar ein Standardargum­ent bei von Hartmann bis in das frühe 20. Jahrhun­dert hinein. Denn mit Blick auf die empirische Erfahrung, so be­tont Hartmann ausdrücklich noch 1901, „Moderne Psychologie, Leipzig 1901 auf S. 30: "Ur­sächlicher Zusammenhang zwischen je zwei Bewusstseinsinhalten ist niemals unmittelbar gege­ben, sondern, so weit er besteht, allemal durch nicht bewusste (sei es materielle, sei es un­bewusstpsychische) Zwischenglieder vermittelt. Die unmittelbaren Ursachen des jeweilig gege­benen Be­wusstseinsinhaltes liegen jenseits des Be­wusstseins, und ebenso die Gesetze, nach de­nen diese ausserbewussten Ursachen wirken. Jeder Versuch, den Bewusstseinsinhalt und seine Veränderungen nach Ursachen und Gesetzen zu erklären, muss auf das ausserbewusste Gebiet übergreifen, das der unmittelbaren Erfahrung verschlossen ist und nur hypothetisch er­schlossen werden kann." Siehe Hartmann auch ebendort, S. 23 f. - Der erlebte «Zusammenhang von Wir­kendem und Bewirktem» beim menschlichen Denken und Erkennen, wie Steiner das be­reits in den Grundlinien von 1886 (hier, S. 86) ausführte, und für sich als erkenntniswissenschaftliche Überzeugung durchgängig in Anspruch nahm, war bei Eduard von Hartmann ganz und gar aus­geschlossen. Und zwar für alle Zukunft.

Es ist natürlich fatal für einen Empiristen, als naturwissenschaftlich orientierter Idealist, der Hartmann war, sich auf Wirk-Ursachen im menschlichen Seelenleben zu berufen, die niemals in der Erfahrung gegeben sein konnten. Und von den angenommenen ursächlich wirkenden / ideel­len Kräften niemals eine empirische Er­fahrung haben zu können. Letztlich eine analoge Situati­on wie bei Kant und Hume. Die Behauptungen und Erwartungen über das seelische Verursa­chungsverhältnis stützen sich im Falle Hartmanns ebenfalls auf etwas, «was sie sachlich nie er­reichen kön­nen», um neuerlich mit Steiners Grund­linien, (hier S. 82) zu spre­chen. So dass die fundierende Untermaue­rung dieser seelischen Ver­ursachungs-Sicht Hartmanns aus lauter empi­rischen Leer­stellen und vagen Versprechungen auf eine eventuell irgendwie akzepta­ble Hypo­thesenbildung einer höchst ungewissen Zukunft bestand.

Darin ist Hartmanns Erklä­rungs-Sicht, wenn man sie auf das Denken und Erkennen als konkrete seelisch geistige Vorgänge bezieht, wiederum ver­gleichbar dem von Popper / Eccles in­kriminierten «Schuldschein-Phy­sikalismus» des materialisti­schen Denkens von heute. (Karl R. Popper, John C. Eccles, Das Ich und sein Ge­hirn, München, 1982, S. 130 ff; ebd. S. 105 ff.) Laut dem das materialistische Den­ken sich in lauter behaupteten Glaubens- und Erwartungs-Leerheiten er­schöpft. Genauer, (Pop­per und Ec­cles S. 130): als «versprechen­der Materialismus» aus leeren Verspre­chungen auf die Zu­kunft be­stand. Da­hingehend «dass sich eventuell in Zu­kunft etwas heraus­stellen könnte», wie es dort (S. 132) von der verwege­nen Hoffung dieses «Schuldscheinp­hysikalismus» berichtet wird. Der zwar über die physikal­istisch deter­minierte Leib-Seele-Geist-Ver­bindung nichts Sicheres weiß und auch nichts wußte, aber be­hauptet in Zu­kunft even­tuell et­was Verbindliches darüber wissen zu kön­nen. Und damit an­haltend schon seit langer Zeit auf wissenschaftlichen Bauernf­ang geht. Analo­ges galt aber auch für Edu­ard von Hartmann. Der, diesmal als bekennender Idealist, mit ähn­lich ne­bulosen und aus sei­ner eigenen Sicht sogar prin­zipiell un­einlösbarem Argumentationshinter­grund, - ähnlich wie­derum dem mechanistisch-phy­siologischen Assoziationspsyc­hologen Theo­dor Zie­hen (1893, S. 170 f), - al­les zur Täuschung erklärte, was bereits im tägli­chen Be­wußtsein als «selbst erwir­kend» und «selbst erwirkt» erlebt wird.

Das ist gelinde gesagt natürlich philosophische / naturwissenschaftliche und psychologische Rosstäu­scherei. In dieser Richtung hätten es auch Popper / Eccles eingeordnet. So, wie sie auch die leeren Ver­sprechungen des Schuld­schein-Materialismus einordneten, der keine Beweise vorlegen kann, son­dern lediglich auf seine vielleicht «mög­lichen» Beweise einer ungewissen Zukunft setzt. Voll­kommen außer Acht las­send, dass dies ja auch für die Gegenseite gilt. (Vergleichbares läßt sich auch vom Maschinen-Scientismus heuti­ger Trans­humanisten sagen, die mit ähnlich großen Zukunfts-Verheißungen und leeren Taschen aufwarten.)

Zwischen Hartmanns Verursachungsüberzeugung und ihrer empiristischen Plausibilisierung gibt es keine akzeptable Verbindung. Was laut Popper / Eccles auch für den «versprechenden Schuldscheinmaterialismus» gilt, der ungedeckte Wechsel auf die Zukunft ausstellt. Es ist vor diesem Hintergrund auch kein Zufall, daß Popper in seinen jungen Jahren ein psychologischer Schüler von Karl Bühler war, wie er S. 141 ausführt. Und von daher wußte, dass es eine beacht­liche introspektive Psychologie gab, die auch „überprüfbare objektive Ergebnisse erzielt“, wie er berichtet. Im einzelnen nennt er die Würzburger Schule, Karl Bühler, Otto Selz und und andere Vertreter. An dieser Stelle berührt sich Popper sachlich wiederum mit Johannes Volkelt, der die­se Art introspektiver Litera­tur seinerzeit nicht nur ebenfalls sehr aufmerksam studiert hat­te, wie etwa die Würzburger Schule und Richard Hönigswald (siehe hier S. 484 f [August Messer] / [Richard Hönigswald]), son­dern der an der Entwicklung und akademischen Etablierung dieser introspektiven Psychologie sogar aktiv beteiligt war. In­sofern ist es ebenfalls nicht wei­ter er­staunlich, wenn Johannes Volkelt, der in seiner Frühzeit aus mancherlei Gründen wie auch Stei­ner sehr viel Sympa­thie für Hart­mann zeig­te, und sich in der Schrift, Das Unbewußte und der Pessi­mismus, 1873 ausführli­cher mit ihm be­schäftigte, ihm aber dort bereits S. 88 f einen «un­heilbaren Bruch» zwischen Be­wußtem und Un­bewußtem at­testierte. Sich über kurz oder lang dann von ihm abwandte und ihm 1918, S. 141 noch eine kurze kritische Fußnote widmete.

Man kann nicht zu etwas kommen, was das Denken bewirkt, wenn man den Bereich des Denkens verläßt.“

Und damit wird es jetzt etwas spezieller: Insofern das weg-Erklären von empirischen Tatsachen des Denkens und Erkennens in diesem Fall gleichermaßen für den Idealismus Hart­manns, wie aber auch für jeglichen materialistischen Erklärungsansatz gilt. Die beide von außerhalb mit Erklärungsgründen und Ursachenerklärungen an eine ganz entscheidende Sache, nämlich das menschliche Denken und Erkennen herangehen, das sie nie in seiner Eigenheit näher unter­sucht haben. Sondern wo stattdessen im letzteren Fall des Physikalismus auch noch das eigene Er­kenntnisvermögen me­chanistisch weg- und damit zur reinen Luftnummer verwandelt wird, wie wir nicht nur vom eben behan­delten Popper (Popper / Eccles, S. 105 ff) hören können. Denn es ist nicht möglich, mit rationalen Gründen das Erkenntnisvermö­gen konsistent zum Blendwerk der Hirnphysik zu degradie­ren ohne die eigene Argumentation bezüglich dieser Hirnphysik da­bei zwangsläufig gleich mit zu degradieren und zu versenken.

So eine paralogische Argumentatio­nsweise hebt sich also selbst auf. Was der eigentliche Kern jedes be­gründeten «Antipsychologism­us» ist, der in glei­cher Weise für den logischen Physika­lismus wie für den logi­schen Biolo­gismus oder Analo­ges gilt. Der als «Antipsychologismus» -physi­kalismus, -biologis­mus etc in dieser Gestalt also berechtigterweise gegen die psychologis­che, physikalistische oder biologisti­sche Vereinnahmung und Kausaler­klärung des logisch be­gründeten Er­kenntnisvermögens zielt. Man kann indessen das logische Element in jedem Er­kennen nicht physikalisch, psychologisch, bio­logisch oder sprechakttheoretisch ursäch­lich er­klären, ohne die ganze Argu­mentation selbst aufzuheben. Letzteres, die Aufhebung des menschlichen Erkennt­nisvermögens, gilt aber auch für den Idealisten Eduard von Hartmann.

Schauen wir uns das näher an: „Er beobachtet auch hier nur die Ergebnisse seiner hervorbringenden Thätigkeit, nicht diese selbst: letzteres ist Täuschung, wie wenn wir bei rasch aufeinanderfolgender Beleuchtung durch elektrische Funken eine Bewegung zu sehen glauben.“ So lautete Eduard von Hartmanns kriti­sche Randbemerkung in Steiners Erstausgabe der Philosophie der Freiheit von 1894 gegen Stei­ners (in der Erstausgabe, S. 42) vorgebrachte Überzeugung, das Hervorbringen des Denkens könne beobachtet werden. (Siehe Hart­manns Einwand, in GA4a, S. 357), damals noch zum Kapitel IV, auf die Steiner dann in der Zweitauflage im Kapitel III (hier S. 36 f) kritisch reagierte.

Nun, Eduard von Hartmann war ein Anhänger der damals noch führenden Assoziationspsychologie, dem der methodische Zugang zu Steiners Beobachtung des Denkens völlig fehlte. Abgesehen aber davon, daß Hartmann Steiners Metho­de ebenso wenig verstand wie später Herbert Witzenmann, und die Unter­scheidung zwi­schen dem unmittelbaren Erleben des Hervorbringens von Gedanken und seiner gegenüberstellen­den Beob­achtung nicht zu treffen vermochte, die ebenfalls eine erlebte Denkbe­tätigung ist, bedient sich der Einwand Hartmanns lediglich einer äußerli­chen Analo­gie aus dem Bereich der physikalischen Welt. Die in der Tat mit dem Denken gar nichts zu tun hatte. Solche physikalischen Analogien helfen also nichts, wenn man sie zur ur­sächlichen Erklärung des er­lebten Denkens heranzieht. Zumal ja auch die von Hartmann behauptete Möglichkeit einer Täu­schung noch längst keine faktische Täuschung ist, wie es Hartmann indes hier vorbringt. Der Vergleich ist also abwegig, schon weil Hartmann außerstande war, Steiners Beobachterposition einzunehmen, aus der heraus er die Sachlage hätte kritisch und sachlich angemessen beurteilen können. Über das innere Geschehen indessen etwas empirisch fundiertes zu sagen, war Hart­mann seinerzeit nicht möglich, wie er noch 1901 schrieb. Sein damals noch eingenom­mener und weit verbreiteter assoziations­psychologischer Standpunkt, wurde in Deutschland empirisch psy­chologisch und akademisch nur allmählich nach der Jahrhundert­wende, - etwa seitens der Würzburger Külpeschule, - durch einen weit realistischeren ersetzt, worauf auch Popper mit seinem Hinweis auf die Würzburger Schule und Bühler hindeutet.

Steiners späte Erwiderung von Kap. III, hier S. 36 f gegen Hartmann ist von seiner Struktur her so geartet, dass er ihm damit die Auflösung des Erkenntnisvermögens attestiert. So heißt es in der Philosophie der Freiheit generalisierend und auch abschließend gegen Hartmann gewendet: „Nein, wer in dem Denken etwas anderes sehen will als das im «Ich» selbst als überschaubare Tätigkeit Hervorgebrachte, der muß sich erst für den einfachen, der Beobachtung vorliegenden Tatbestand blind machen, um dann eine hypothetische Tätigkeit dem Denken zugrunde legen zu können. Wer sich nicht so blind macht, der muß erkennen, daß alles, was er in dieser Art zu dem Denken «hinzudenkt», aus dem Wesen des Denkens herausführt. Die unbefangene Beobachtung ergibt, daß nichts zum Wesen des Denkens gerechnet werden kann, was nicht im Denken selbst gefunden wird. Man kann nicht zu etwas kommen, was das Denken bewirkt, wenn man den Bereich des Denkens verläßt.“ Soll sagen: Ursächliche Erklärungen, die von außen an das Denken herangetragen werden, nützen zur Erklärung des Denkens nichts.

Steiner argumentiert an dieser Stelle zwar nicht explizit, aber implizit logisch, und hat letztlich auch den logisch durchdrungenen Charakter des erkennenden Denkens vor Augen, da er sach­lich nämlich in diesem Kontext der Philosophie der Freiheit von einem «erkennen­den» Wollen / Denken spricht. Um das es ja im (späteren) dritten Kapitel dieser Schrift, und auch bereits in der Erstauflage Kap. IV geht. Es geht hier nicht um irgend eine abstrakte oder beliebige gewollte Betätigung sondern um die denken­de Erkenntnisbetätigung. Von einer solchen «die von den Denkgesetzen der Logik getragen ist», wie es dann später in GA-21, S. 31 dazu heißt. Ebendort in GA-21 wiederum gilt: In dem von Logik be­herrschten Denken walten Geset­ze, die nicht mehr als diejenigen der Leibesorganisation zu kennzeich­nen sind.“ - Das ist nicht neu, und von Popper und vielen anderen können wir natür­lich regelmäßig Vergleichbares dazu hören. Letzteres gilt nun für jeden aktiven Erkenntnisvor­gang. Der damit nicht etwa von biologi­schen oder physika­listischen Gesetzen, sondern von den Denkgesetzen der Lo­gik beherrscht wird, die sich schlech­terdings nicht durch irgend etwas an­deres konsistent kausal wegerklären lassen, ohne das Erkenntnisverm­ögen selbst zu annulieren. Folglich ist das erkennende Denken nur durch etwas ursächlich zu erklären, «was in diesem erkennenden Denken selbst gefunden wird. Und durch nichts anderes von außen.» - Das ist sozusagen der empiristische Lackmustest für eine ursächli­che Erklärung des menschlichen Denkens und Erkennens: Sie darf sich nicht selbst aufheben und logisch auf Abwege führen. Das allerdings ist nur möglich, wenn sie nach den verursachen­den Ur­sprüngen des Denkens im erkennenden Denken selbst empirisch sucht. Nach etwas, was dieses erken­nende Denken nicht logisch ad absurdum führt. -

Bekanntlich ist es die «Idee», die beim Universalienrealisten Steiner in weiten Teilen des Frühwerks seit mindestens 1886 den «Urgrund allen Seins» darstellt. Diese «wirkende Idee» ist es dann 1897 neuerlich in der Schrift Goethes Weltanschauung (hier S. 69 f), die bei der Beobachtung des Denkens nebst dem Weltgeschehen «durchschaut» wird. Die «Idee» indessen hat für Steiner nicht nur eine logische Seite, sondern auch eine kraftende. So steht es bereits in den Grundlinien am Ende von Kapitel 8, wo er (hier S. 50) die menschliche Denktätigkeit („Tätigkeit unseres Bewußtseins“) als den «wirkenden Gedankengehalt der Welt» bezeichnet. Das ist natürlich universalienrealistisch gedacht. Und als solches keine Ausnahme, wenn er der ideellen Welt auch eine kraftende Willensseite zuschreibt. So auch 1887 in seiner Auseinandersetzung mit Eduard von Hartmann in den Einleitungen in Goethes Naturwissenschaftlich Schriften, (GA-1, Dornach 1987, hier S. 197) mit den resümierenden Worten, «Wille ist also die Idee selbst als Kraft aufgefaßt.“ - im Original der Kürschnerausgabe, Bd. 34 von 1887 noch kursiv gesetzt auf S. XLV).

Womit natürlich die Möglichkeit auch gegeben ist, sowohl von Seiten der naturwissenschaftli­chen Kausalitätsproblematik, als auch von Seiten der Logik das erwirkende, erkennende menschliche Denken auf seine Ursprünge hin zu erforschen. Was ja dann im anthroposophi­schen Schulungsweg seine ganz besonderen und vertieften methodischen Formen annimmt. Da­mit ist also nicht gesagt, dass an der betreffenden Stelle der Philoso­phie der Freiheit (oder in Goethes Weltanschauung) bereits alles gefunden wurde was möglich und wesenlich ist. Wäre das so, dann wäre Steiners spätere anthroposophische Forschung überflüssig gewesen. Sondern es wird speziell in der Philosophie der Freiheit nur ein methodischer / erkenntniswissenschaftli­cher Einwand vorgebracht und gewissermaßen ein erkenntniswissenschaftlich vorgegebener Weg aufgezeigt. Dergestalt, daß nämlich überhaupt nur dort und auf diesen Wegen etwas ur­sächlich Erklä­rendes zum erkennenden Denken gefunden werden kann. Das nicht mit den Erfordernissen eines logischen / erkennenden Denkens kollidiert.

Das wird gegen Hart­manns rein speku­lative kausale «Außenerklärung» des Denkens im vorliegen­den Fall des dritten Kapitels der Philosophie der Freiheit ge­richtet, die den ganzen er­lebten Er­kenntnisprozeß als sol­chen durch etwas rein hypo­thetisches, anderes und äu­ßerliches ursächlich wegerklärt – und zwar wieder einmal ohne irgend ei­nen sub­stantiellen em­pirischen Beleg vorzulegen, sondern lediglich durch einen ausgedachten nach Analo­gie einer lichttechnisch er­zeugten Sinnes­täuschungen durch Funkenflug. Das ist philosophisch schon reichlich knorrig und fragwürdig. Kein Sachargument also, sondern ein selbstdestruktives Scheinargument, wenn ihm kein ernstzuneh­mender empirischer Beleg nachfolgt. Und im Falle Hartmanns per definitionem auch gar nicht nachfolgen kann.

Die einzige argumentative Möglichkeit, die Hartmann wie gesagt hätte nutzen können, wäre die gewesen, sich auf Steiners konkretes Prozedere der Beobachtung des Denkens einzulassen, um ihm dann gegebenenfalls ein abweichendes Beobachtungsresultat vorzuhalten, das mit der tätigen Natur und den logischen Wesensanforderungen des erkennenden Den­kens kompatibel ist, und diese logische Natur / wirkende Wesenhaftigkeit nicht wegerklärt und zerstört. Das tut er allerdings nicht, son­dern zer­stört sie stattdessen. Wohingegen Steiner von Beginn an auf diese Tatsache zumindest implizit Rücksicht nimmt, wenn er etwa in den Gundlinien Kap. 8, hier S. 47 von der erlebten Denktätig­keit als «tätigem Gedankengehalt der Welt» spricht. Und 1897 S. 69 f von der «beobachteten Idee als Weltgeschehen». Vergleichbares auch im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit, wo es einzig und allein um eine erlebte erkennende Denkbetätigung geht, die per se nur als eine solche zu be­zeichnen ist, sofern sie sich an den Regeln der Logik orientiert.

Wenn man indessen Hartmanns dies­bezügliche Auffassung kennt, wie wir sie exemplarisch oben skiz­zierten, dann weiß man, dass es für ihn auch gar keine solchen schlüssigen empiri­schen Belege gibt, die mit der logischen Wesenhaftigkeit des erkennenden Denkens kongruent wären. Weil nämlich zwischen je zwei Bewußtseinstatsachen grundsätzlich keine ursächliche Verbin­dung empirisch festzustellen ist, wie von ihm 1901 noch behauptete wurde (Moderne Psycholo­gie, Leipzig 1901 auf S. 30): „Die unmittelbaren Ursachen des jeweilig gege­benen Be­wusstseinsinhaltes liegen jen­seits des Be­wusstseins, und ebenso die Gesetze, nach de­nen diese ausser­bewussten Ursachen wirken. Jeder Versuch, den Bewusstseinsinhalt und seine Verände­rungen nach Ursachen und Gesetzen zu erklären, muss auf das ausserbewusste Gebiet übergrei­fen, das der unmittelbaren Erfahrung verschlossen ist und nur hypothetisch er­schlossen werden kann.“ - Das war Hartmanns philosophisch / empiristische Überzeugung zum Nachweis von Kausalität, zumal innerhalb des menschlichen Bewußtseins: «Es gibt für ihn so einen Nachweis auf der empirischen Ebene gar nicht! Denn der liegt für immer unerreichbar jenseits des Be­wußtseins.» Womit er im Falle der Philosophie der Freiheit also gegen Steiner argumentiert und etwas sachlich unstreitig Vorhan­denes ursächlich weg­erklärt, - nämlich die erlebte Tätigkeit des Denkens, - ist also wieder einmal, wie bereits oben im Falle der Frei­heitsfrage, eine Erfin­dung seiner philoso­phischen Fan­tasie. Die von der er­dachten Grundannahme ausgeht, dass es einen empirischen Beweis für Kausalität gar nicht gäbe. Und die Kausalität natürlich auch anhand der Tatsachen des eigenen Bewußt­seins in gar keiner Weise nachzuweisen ist. Wie gesagt: ein Scheinargument, mit dem er im vorliegenden Fall der Philosophie der Freiheit auch noch das tätige Erkennt­nisprozedere weg­erklärt, und durch etwas rein Äußerliches rein hypothe­tisch kausal er­setzt. Wor­auf Steiner als idealistischer Empiriker des Denkens na­türlich berechtig­terweise einwendet: „Man kann nicht zu etwas kom­men, was das Denken bewirkt, wenn man den Bereich des Denkens verläßt.“ -

Strukturell entspricht Steiners Einwand gegen Hartmanns Antiempirismus des Denkens damit auch den Einwänden Poppers / Eccles gegen den Schuldscheinphysikalismus, insofern dieser sich ebenfalls wie Hartmann weigert, die inneren Tatsachen des tätigen Denkens in Augen­schein zu nehmen. Sondern diese Tatsachen stattdessen mit äußerlichen Scheinargumenten weger­klärt, und damit zugleich auch seine eigene Begründung wegerklärt, weil er jedes logisch begründete Erkenntnis­vermögen mit seiner materialistischen Beweisführung aufhebt. Das­selbe galt eben für den Idealisten Eduard von Hartmann, der sich bei seinen Kausaler­klärungen des Denkens und dem weg-Erklären der frei gehandhabten erkennenden Denktätig­keit letztlich auf die zeitge­nössische Asso­ziationspsychologie und deren Gesetze berief, wie der Leser hier S. 80 ff nach­lesen kann – siehe dazu auch nachfolgende Literaturangaben. Demgegen­über steht der sichtbar­e empiristi­sche Fort­schritt, der damals von der Würzburger Schule erreicht wurde, die auch von Popper ge­nannt wird. Damit wurde es nämlich erstmalig möglich, objektive Resultate der Denkpsycholo­gie vor­zulegen, die einer empirischen Überprüfung zugänglich waren, wie Pop­per schreibt. Und deren Ergebnisse sahen völlig anders aus als die der Assoziationspsycho­logie, welcher Eduard von Hartmann noch anhing. Daß Stei­ner wiederum in der Schrift Von Seelenrätseln S. 170 f nicht nur für sich selbst, sondern ausdrü­cklich auch stellvertretend für «einen jeden, der auf dem anthroposophischen Gesichtspunkt steht», den dringlichen Wunsch nach einem psychologischen Laboratorium zwecks Grundla­genforschung geltend macht, ist vor solchen Hintergründen leicht nachzuvollziehen. Woran man auch kontrastreich sieht, daß es bei den akademischen Witzenmannvertretern, die sich wie Schieren ganz explizit gegen die Introspektion wehren, und sich weigern das zur Kenntnis zu nehmen, mit dem «anthroposophi­schen Gesichtspunkt» nicht weit her sein kann, und sie damit auch nicht viel am sprichwörtli­chen Hut haben.

Daß Eduard von Hartmann sich in seinen psychologischen Erklärungen des Denkens letztlich auch auf eine As­soziationspsychologie berief, die ebenfalls nur mit Hypothesen wirtschaftete, und das innere Tun kategorisch zur Täuschung erklärte, hatten wir auch weiter oben schon er­wähnt. Zum assoziationspsychologischen Hintergrund Hartmanns siehe den Ergänzungs­band zur Philosophie des Unbewussten, Das Unbewußte vom Standpunkt der Physiologie und Descendenztheorie, 2. Aufl, Berlin 1877. Darin die Abschnitte VIII., Die Abkürzung der Ideen­association und die Vererbung der Denkformen, S. 137 ff. Ausführlicher zur Frage der Ideen­assoziation und ihrer Bedeutung für die Frage von innerer und äusserer Kausalität äussert sich Hartmann auch in der Schrift, Kritische Grundlegung des Transcendentalen Realismus, 2. Aufl., Berlin 1875. Siehe dort das Kap. V., Transcendente und immanente Causalität, S. 70 ff. Vor allem S. 81 ff(alternativ ggf hier).

Die Entwicklung der Psychologie des Denkens ist übrigens auch einer der Gründe, warum sich der Standpunkt Volkelts seit 1886 ziemlich grundlegend veränderte, wie er 1918 im Vorwort zu Gewiß­heit und Wahrheit schrieb, wo er die Frühschrift Erfahrung und Denken als sein «Jugendwerk» bezeich­net und die Spätschrift von 1918 als die «endgültige Gestalt seiner Erkenntnistheorie». Wobei es nicht seine «immanent psychologische» Methode war, die sich änderte, son­dern seine Einschät­zung der an­hand dieser Methode gewonnenen Resultate. Deswegen sieht Volkelts «endgültige Gestalt» seiner Erkenntnistheorie auf der Resultatebene auch sehr anders aus, als die Schrift Er­fahrung und Denken von 1886. Folglich läßt sich Erfah­rung und Denken auch nicht bedenken­los als Vol­kelts «Hauptwerk» bezeichnen, wenn er doch selbst davon sagt, dass es nur einen vor­übergehenden Status hatte. Die Bezeichnung «Haupt­werk», auf die man gelegentlich stößt, ist sachlich also unzutreffend, wenn man als Maßstab dasjenige anlegt, was er als Verfas­ser selbst an Bewertung über seine erkenntnistheo­retische For­schung, Entwicklung und ihre Ergebnis­se vor­brachte. Man wird sich also zwecks Beurtei­lung Vol­kelts an Vol­kelts endgültiger Fassung der Erkenntnistheorie von 1918 orientieren müs­sen, die metho­disch zwar immer noch «immanent psychologisch» vorging. Aber sich auf der Ergebnis­seite doch sehr gewandelt hatte. Erfahrung und Denken war danach sein methodisch fruchtbares Jugendwerk, aber von der Forschungsseite her gesehen nicht etwa sein Hauptwerk. (Siehe zu die­ser Wandlung ausführlicher auch hier, S. 127 ff). Ich sage das auch mit Blick auf Rudolf Stei­ner, der sich, wie er in Wahrheit und Wissenschaft schrieb, maß­geblich und nur von den erfahrungsanalytischen Teilen Volkelts inspirieren ließ, wie es bereits in den Grundlinien von 1886 sichtbar wird. Am Prinzip der «reinen Erfahrung» hatte sich indessen bei Volkelt auch 1918 nichts verändert. So wenig wie bei Steiner.

(Bleibt noch einzufügen: Aufgeblasene Luftbuchungen des Schuldscheinphysikalismus sind indes­sen auch der mechanistische Scientismus des Herrn Harari und seiner materialistischen Mitbucher aus der IT-Scene. Siehe zu diesem eher logisch orientierten Thema auch die Schrift von Melchior Palagyi, Der Streit der Psycholo­gisten und For­malisten in der moder­nen Logik. Leipzig 1902. Ferner um­fangreicher, Willy Moog, Logik, Psychologie und Psy­chologismus, Halle a. S. 1919. Desgleichen Karl R. Popper, Objektive Erkenntnis, Hamburg 1984, S. 232 f. Sowie Popper / Eccles a.a.O., S. 105 ff. Ferner Steiner, GA-21, S. 30 f. ; sowie S. 130 ff.)

Steiner hält vom leeren «Schuldscheinidealismus» Hartmanns, wo sich rein hypothetisch ir­gend etwas in Zukunft herausstellen soll, ebenso wenig wie Popper von den substanzlosen Zu­kunfts-Versprechungen des modernen Materialismus. Und zwar mit durchaus vergleichbaren Gründen. Insofern in beiden Fällen auf die selbstdestruktive Form der Argumentation hingewiesen wird, die im Fall der rein hypothetischen, äußerlich ursächlichen Erklärung des Erkenntnisprozesses sowohl beim Idealis­ten Hartmann als auch bei den Physikalisten vorliegt. Die einen berufen sich hypothetisch auf unerreichbare physikalistische Ursachen, und der Idealist auf spirituelle und physikalistische. Wobei in beiden Fällen noch hinzu kommt, dass der physiologische Beobachtungsweg zu den inneren Erlebnissen, - über die Hirnprozesse im weitesten Sinne, - nicht nur laut Steiner (Kap. IV, hier S. 52) unterbrochen ist. Auch der heutige Hirnphysiologe kommt an die Sachen nie heran, und kann die Erfahrungslücke nur durch Hypothesen schließen. Siehe ergänzend Steiner aus späterer anthroposophisch / anthropologischer Sicht dazu in GA-21, S. 150 ff.

Das ursächliche «Wegerklären» der erlebten (see­lisch/geisti­gen) Tatsachen durch empirisch unerreichbare Verursa­cher, das laut Peter Bieri bis mindes­tens in die 1980er Jahre Tradition hat­te, war ein auch da­mals übli­ches Verfahren, sowohl von mecha­nistischen Physi­kalisten aus der Hume- und Kant-Richtung, aber eben bisweilen selbst von Idea­listen wie Edu­ard von Hart­mann. Bei Nietz­sche wird uns das weiter unten gleich auch noch kurz begegnen, der bei nähe­rem Hinsehen in seinem Willen zur Macht ein Bild konzipiert, wo aus dem Menschen einer wird, der die Ziele der Menschwerdung völlig verfehlt hat. Und in seiner grenzenlosen Dumm­heit und Unwissen­heit nur noch von seinen blinden Trieben zur Macht ge­steuert wird. Bei Nietzsche interessanterweis­e auch unter Hinweis auf die angebliche «Tatsache», dass das erkennende Denken über­haupt nicht empirisch zu erklären sei. So dass bei Nietzsche nur noch die blinden Machttriebe üb­rig bleiben, die das Verhalten des Menschen steuern. Was man gut und gern in Analogie setzen könnte zum bösartig intelligenten Er­folgskonzept des im­perialen Anglo-Amerikanismus, wie es von George Friedman (Minute 59 ff) oben geschildert wurde. Das im alleinigen Interesse der Machttriebe zynisch ist und nicht moralisch. Aber in ih­rer materialistischen / geopolitische­nen Menschenverachtung angeblich funktioniert. Desglei­chen kann man Nietzsche auch in Analogie setzen zum Transhu­manismus des Klaus Schwab, der in seinen scientis­tischen Zu­kunftsvisionen aus dem Menschen je­manden «fertigen» möchte, der in Wirklichkeit weit unter die Stufe jedes Menschentums herabgestoßen wird. Wobei Schwabs Muse Harari anstelle dieser menschlichen Maschinen-Vertierung seinen Lesern darin seine angebliche Vergottung sugge­riert. Womit Hararis materialistisch-vordergrün­diger Unver­stand mit solcher scientistischen Umdeutung wahre Orgien feiert, und sich folglich als das leere Scheinwissen­schafts-Geschwätz entlarvt, das es auch ist.

Bleibt noch einmal auf den aufschlußreichen, aber regelmäßig und gern übersehenen Sachver­halt hinzuweisen, daß Steiner nur wenige Zeilen vor seinem kri­tischen Ab­satz zu Hart­mann in der Philosophie der Freiheit (hier S. 36) schrieb: „ … es kommt darauf an, daß nichts gewollt wird, was, indem es sich voll­zieht, vor dem «Ich» nicht restlos als seine eige­ne, von ihm über­schaubare Tätigkeit erscheint. Man muß sogar sagen, wegen der hier geltend gemachten Wesen­heit des Denkens erscheint die­ses dem Beobachter als durch und durch ge­wollt.“ - Dieselbe Sach­lage also im dritten Ka­pitel der Philosophie der Freiheit dargelegt, wie wir sie in Wahrheit und Wis­senschaft und in den Grundlinien bereits vorfanden: Das Hervorbringen von Begriffen und Ide­en muß unmittel­bar als eigene Tätigkeit auch erlebt / «gegeben» sein. Und ist es bei Steiner über das gesamte Frühwerk hinweg auch! Was nachfolgend dann in späteren Kapi­teln (hier S. 180 f) präzisiert und befestigt wurde in der Wen­dung vom «intuitiv erlebten Den­ken, das eine Wahrnehmung sei, in welcher der Wahrnehmende selbst tätig ist. Und eine Selbstbetä­tigung, die zugleich wahrgenommen wird.»

Ein Vergleich Steiners mit Popper / Eccles ist insofern auch aufschlußreich, da beide sowohl mit logischen, als auch mit empirischen Argumenten in Richtung der Aufklärung des menschli­chen Erkenntnisvermögens zielen. Der frühe Steiner vom Idealismus Goethes und den Natur­wissenschaften kommend, und speziell von Volkelt einen Weg gebahnt bekam, um die innere Beobachtung für seine idealistischen Ziele fruchtbar zu machen. Was ja später zum dem ver­ständlichen Wunsch führte, in einem psychologischen Laboratorium diese Grundlagenarbeit fortzuführen. Dann in der Schrift Von Seelenrätseln auch gleichermaßen empirische wie logische Be­gründungen für die Leibesunabhängigkeit des menschlichen Denkens exemplarisch vor­brachte. Während Popper ursprünglich als Schüler Bühlers aus der introspektiven Psycholo­gie kommend sich dann zwar schwerpunktmäßig der Wissenschaftsphilosophie zuwandte, aber den Kontakt zur introspektiven Psychologie nicht verlor, wie an dem Gemeinschaftsband mit Eccles deutlich wurde. Wo sie dann von dieser Seite wiederum versuchten, als «Aristoteliker» sich ihren Weg zum «Platonismus» (ihre Welt 3) zu bahnen, um an die Ausdrucksweise Stei­ners von weiter oben anzuknüpfen. Dabei sogar wie Steiner auf Ausdrücke wie «intellektuelle Anschauung» rekurrierten. Oder auf Termini wie «äußerer» und «innerer» Sinn.

Ergänzend sei weiter angemerkt, dass der anthroposophische Übungsweg exakt diesen weite­ren introspektiven Weg nach innen verfolgt, indem er etwa die Wirk-, Empfindungs,- und Ur­teilskräfte im In­neren maßgeblich verstärkt, wie man es bei Steiners Grund- und Hauptübungen bis in Einzelhei­ten dargelegt findet. An solchem erstarktem Innenleben setzen dann weitere Beobachtungen ein, die verständlicherweise sehr viel mehr Einzelheiten aus diesem Innenleben zutage fördern kön­nen, als nur die anthroposophische Grundlagenforschung mit oder ohne psy­chologisches Labor. (Siehe dazu Steiner übersichtlich hier in GA-35, S. 269 ff. Auch zu die­sem Thema Näheres hier, die Kapitel auf den Seiten 1210 ff.) Man kann zudem insbesondere bei einem Vergleich mit Popper / Eccles durchaus Steiners Forderung verstehen, daß die weitere Erkenntnis des menschlichen Denkens notwendigerweise methodisch nach innen führt, wie er es im Skizzenhaften Ausblick von GA-18 vorbringt.

Warum auch Witzenmann den Bereich des Denkens verläßt

Schaut man sich Steiners Frühwerk näher an, dann wird man unschwer erkennen, dass seine Sicht von der «erlebten Tätigkeit des Denkens» sein gesamtes Frühwerk kontinuierlich durch­zieht. Es gibt nirgendwo eine Abweichung davon. Während bei Steiners anthroposophischen In­terpreten oft die absonderlichsten Auffassungen dazu vorgebracht wurden. Etwa dahingehend, dass es in Steiners Erst- und Zweitauflage der Philosophie der Freiheit unterschiedliche Auffas­sungen dieser Sachlage gäbe und dergleichen. So etwa Georg Kühlewind dazu. Der Grund für diese Einschätzung ist stets derselbe: Ungenügende Kenntnis, und in der Regel sogar katastrophale Unkenntnis von Steiners Frühwerk. Und entsprechend auch Unkenntnis von dem, was Steiner den «Ausnahmezustand» nennt. Desgleichen ungenügende Kenntnis von dem, was er «Beobachtung des Denkens» nennt. Mit der Folge, dass Steiners Empirismus des Denkens dabei nebst seiner erkenntniswissenschaftlichen Argumentation bei seinen Interpreten regelmäßig auf der Strecke blieb.

Letzten Endes gilt der Einwand Steiners gegen Hartmann natürlich auch gegenüber Witzen­manns «Erzeu­gungsproblem» aus der Strukturphänomenologie. Wo das menschliche Denken auch nur noch durch von außen hinzugebrachte Hypothesen erklärt wird, weil gar keine empiri­sche Mög­lichkeit zugestan­den wird, die Akti­vität des Denkens unmittelbar zu erleben und zu beobachten. Somit wird also von Witzenmann die empirische Selbsterklärungsfähigkeit des menschlichen Denkens von vornherein ausgeschlossen. Sodaß der Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem ebenfalls «sachlich nie zu erreichen ist», wie es Stei­ner im Kapitel 14 der Grundlinien schon den Kausalerklärern im Umfeld Kants vor­hielt. Der gan­ze sich dar­um herumrankende Wust an Fehlinterpretationen aus Witzenmanns Buch Goethes universalästhetischer Impuls, von 1987, wo etwa (S. 356, S. 386, S. 397) die Fra­ge: «Wie Unbe­obachtbares zur Erinne­rung werden kann?» zur «erkenntnistheoretischen Grund­frage» hochstilisiert wurde, gehört neben seinen angeblich «unerinnerbaren Allgemeinbegrif­fen» (ebd. S. 366 f) ebenfalls dazu. Ein einzigartiges Tohuwabohu in Witzenmanns Grundlagen­forschung, die ähn­lich wie bei Eduard von Hartmann nur noch eine rein spekulative Hypothe­senwirtschaft zur empiri­schen Erklä­rung des Denkens übrig läßt, ohne jemals zum empirischen Kern und wirkenden Wesen der Sache zu gelangen. Wo also von Witzenmann auch «der Bereich des Denkens ver­lassen wird», wie Steiner es Eduard von Hartmann kritisch zuschreibt: „Man kann nicht zu etwas kom­men, was das Denken bewirkt, wenn man den Bereich des Denkens verläßt.“

Im Falle Witzenmanns wird dann nämlich (S. 334) die «Erinne­rungskunde zur erkenntniswis­senschaftlichen Funda­mentalwissenschaft». Weil ihm die angebliche «Rät­selhaftigkeit des soge­nannten Aus­nahmezustandes» (S. 346) zum Anlaß wird, um seine eigenen, obskuren philosophi­schen Kon­strukte zu erzeugen, die mit Steiners Anliegen zwar rein gar nichts mehr zu schaffen ha­ben, aber von Witzenmann an die Stelle von Steiners Erkenntniswissenschaft gesetzt werden. Deren «erkenntnistheoretische Grundfrage» fortan bei Witzenmann lautet: «Wie kann Unbeobachtba­res zur Erinnerung werden?» - Wie gesagt ausgehend von der «Rätselhaftigkeit» des sogenann­ten «Ausnahmezustandes» der Philosophie der Freiheit. An­statt sich klar zu machen, was in die­sem prinzipiell und methodisch vollkom­men banalen «Ausnah­mezustand» ei­gentlich ge­schieht, wo sich der Denker denkend / be­trachtend dem erfahrenen Denken gegenüber­stellt, um das Den­ken zu erkennen. Grundsätzlich ist es also ein ganz simpler Vorgang, diese «Art Ausnahmezu­stand». Was entsprechend auch laut Steiners eigener Auskunft im drit­ten Kapitel «jeder kann», wenn er nur will. Was alles auch in Steiners Frühschrift­en und im drit­ten Kapitel zumal erläutert wird.

Nicht zuletzt ist es bei Witzenmann, wie bei den meisten ande­ren fragwürdigen Interpreten Stei­ners, nur ein ekla­tanter Mangel an Werk­kenntnis, was ihn zu derart abwe­gigen Überlegun­gen als Fol­ge einer gänzlich fehlgehend­en Ausdeutung treibt. Kommt aber gar nicht selten auch bei an­deren Interpreten vor. Wo Witzenmann sich dann mit einem dramatisch ver­engten Tunnelblick förmlich in der «Rätselhaftigkeit des Ausnahme­zustandes» wälzt, ohne ei­nen klä­renden Blick auf andere, sogar nächstgelegen und unmittelbar vorangehende oder nachfolgen­de Textstellen der Philosophie der Freiheit, oder Früh­schriften Steiners zu werfen, die Steiners Verständnis hätten verdeutlichen können. Oder in dessen näheres geistesge­schichtliches Um­feld dieser Zeit zu schauen, wie es von Stei­ner persönlich dokumentiert ist, und wie es ein ernsthafter Hermeneuti­ker zwecks Aufhellung von philosophischen Problemstellen täte. Dieser extrem eingeengte «Ausnahmezustand-Tun­nelblick» Witzenmanns auf Steiners Werk Philosop­hie der Freiheit, ohne Berück­sichtigung seines vollen Umfangs und zumindest der wenigen restli­chen Frühschriften, ist ebenfalls in der anthroposophi­schen Szene noch gar nichts Unge­wöhnliches. Wenn Witzenmann sich dann aber mit derart dilettan­tisch herausde­stillierten und ganz extrem folgenreichen Inter­pretations-Irrtümern auch noch selbst an Steiners Stelle setzt, und dessen Er­kenntniswissenschaft nebst ihrem Funda­ment durch seine ab­wegigen selbst­fabrizierten Interpre­tations-Destillate substitui­ert, so ist das schon ein «sehr, sehr markan­ter Vor­gang». Was als «Er­zeugungsproblem» der Struktur­phänomenologie mit ihren Schichtungsfantasien auch gar nicht erst formu­liert wor­den wäre, wenn Witzen­mann sich nur die Mühe ge­macht hätte, ein­mal etwas nä­her hin­zusehen, was Steiner in seinen sämtlichen Früh­schriften und zumal im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit ei­gentlich dazu ausge­führt hat. Wo es beispielsweise (hier S. 36) ausdrücklich «darauf ankommt», „daß nichts ge­wollt wird, was, indem es sich vollzieht, vor dem «Ich» nicht restlos als seine eigene, von ihm überschaubare Tätigkeit erscheint. Man muß sogar sagen, wegen der hier geltend gemachten Wesenheit des Denkens erscheint dieses dem Beobachter als durch und durch gewollt.“ So et­was hat Witzenmann offensichtlich während seinem annähernd 40jährigen Ringen mit dem «Ausnahme­zustand» nie ge­lesen. Geschweige denn jemals in sein heuristisches Klärungskon­zept einbezogen. Das Aufklä­rungsanliegen eines je­den ernsthaft forschenden philosophischen Problemlösers fehlt im Falle Wit­zenmanns, und zumal an dieser Schlüsselstelle von Ausnah­mezustand und Beob­achtung des Denkens, wirklich gänzlich. So dass er 40 Jahre lang so gut wie nichts tat, um der Erhellung seines Ver­ständnisproblems durch Vergleichstudien an Stei­ners Frühschriften und im Forschungsumfeld irgend­wie näher zu kommen. Gleichwohl reichte das aber trotz aller massi­ven Forschungskarg­heit nach Wit­zenmanns Selbsteinschätzung bereits aus, um Stei­ner erkennt­niswissenschaftlich faktisch durch die eigene Person zu ersetzen. Wie man heute noch an Witzenmanns unbedachten Anhängern sieht, die ihm darin folgten.

Also in die­sem Fall von funda­mentalen Mißinterpretationen von Schlüsselstellen aus Steiners Frühwerk ist das zunächst nur ein Aus­druck von hochgradigem inneranthropos­ophischem For­schungs-Pfusch Witzen­manns, der damit Steiners em­pirische und erkenntniswissenschaftli­che Funda­mente und Anliegen ohne jedes Verständnis an ihrer Wurzel zerstörte, und sie durch un­taugliche und gänzlich abwegige selbstge­schaffene ersetzte. Worin ihm dann aber auch noch seine Anhänger vollkommen blind nach­eiferten. Was also, und das wiegt eben in der weiteren Entwicklung so schwer, nach­kommend Jahrzehnte lang an­haltend und blauäugig / ungeprüft von Witzenmanns Schü­lern über­nommen, und von ihnen bis heute in aller Naivität wie eine Ersatz­religion weiter trans­portiert wurde, deren Ursprung sie nicht kennen, weil sie Steiners eigene Grundlagen nicht kennen. Wo man aber auch gar nicht wissen will, wo Witzenmanns «Variante» herkommt und wie sie aus Steiners Grundlagen entstand. - «Modern Science at its best!» Oder besser gesagt: Geistesgeschichtliche Realsatire! Und noch viel mehr Pfusch.

Mit dem Forschungs-Gestümper Witzen­manns korrespon­dierte in diesem Fall das noch viel größere, nämlich die Einfalt und wis­senschaftliche Gleichgültigkeit sei­ner Anhänger, wo offenbar gar kein Aufklärungs- und Wahrheitsbedürfnis mehr zu existieren scheint. Wo man intellektuell da­hin vegetiert, ohne jeden eigenen ernst­haften Versuch ei­ner nachfragenden Aufarbeitung und nä­heren Abklä­rung die­ser Irrtümer Witzen­manns durch ihre prüfen­de Kon­trastierung mit dem Ori­ginalwerk Steiners; was wissen­schaftlich der selbstver­ständliche Nor­malfall hätte sein müs­sen. Das ging stattdessen bis hin zur bizarren, auf­wändigen und groß­zügig gespon­serten Über­setzung des von Witzenmann geschaf­fenen Hum­bugs der Strukturphä­nomenologie ins Eng­lische durch einen seiner Anhänger. Ohne daß dieser Anhänger von Stei­ners eigenen Grundla­gen viel wußte, wie wir vom Übersetzer Wa­gemann hören: Ho­wever, a compre­hensive compari­son of Wit­zenmann’s approach with Stei­ner would go beyond the scope of this introducti­on and hence remains one of the re­search desid­erata of the fu­ture.“ Da werden ebenfalls, wie bei den Materia­listen, nach rund 70 Jahren Witzen­mann-Irrtümern die Hoffnungen einer soliden Problemlö­sung und werkgenetischen Abklärung wie ein Versprechen auf eine höchst unbestimmte Zukunft ver­lagert. Was eben im Klar­text heißt: Sie wissen zur Zeit nichts Ernstzu­nehmendes darüber. Und wußten das lange vorher auch schon nicht. Und ob sie eine ernsthafte Klarstellung in Zukunft überhaupt durchführen werden, das bleibt doch einigerma­ßen ungewiss. So daß Herr Schie­ren mit der gänzlich substanzbefreiten Behauptung daher kommt, Stei­ners seelische Beobachtung der Philosophie der Freiheit sei keine Introspektion. Indes der «Pro­fessor für an­throposophische Erkenntnisgrundla­gen», Klün­ker, den ich nicht unbedingt bei den Anhängern Witzenmanns an­zusiedeln wüßte, be­zeichnenderweise kein einziges Wort über jene «Erkennt­nisgrundlagen» ver­liert, die per­manent von Steiner selbst als solche angegeben werden. - Dem nach Aufklärung be­gehrenden Leser jedenfalls wird hier, - im Sammelband der Alanushochschule, - buchstäblich das erkenntniswissenschaftliche Fell über die Ohren gezogen.

So daß man dann angesichts sol­cher verheer­enden Umstände von wohl organis­ierter, großzügig finanzierter und effektiver Fundam­entverwüstung, - denn an­ders läßt sich dieser lang­jährige und auch noch generös geförderte de­struktive Umgang mit Steiners frü­hen Rechtfertigungs­schriften kaum noch bewerten, - ohne wei­teres und nicht ohne Sarkasmus resü­mieren kann: Wer wie Steiner derart sorgfältige und ge­wissenhafte «anthroposop­hischen Freunde» dauerhaft in der akademischen Grundlagenfor­schung wirkend hat, der braucht eigent­lich gar keine Ge­genspieler und Widersacher mehr! Die­ses interne «Widersachersystem», so weit es Witzen­mann betrifft, wurde seit 1948 dort installiert, seit Wit­zenmann in der Erstfas­sung seines Auf­satzes Intuition und Beobach­tung in der Zeitschrift Die Drei, Heft 1, Februar 1948 mit derarti­gem Schmarren seine öffent­liche Aufwartung mach­te. Richtig ins Rollen kam es dann etliche Jahre später vor allem in den 1970ern, wo ich es selbst auch aus erster Hand miterlebt habe. Seither wurde eine gründliche Aufklärung über Steiners Grundlagen seitens der Anthroposo­phen systematisch und selbstzerstörerisch hintertrieben. Wovon der Sammelband der Alanus­hochschule nur einen besonders exemplari­schen und katastrophalen Eindruck vermittelt.

Von Nietzsche bis Cancle Culture

Fassen wir noch einmal zusammen: Wenn Sie das Kausalitätsproblem nicht empirisch auf dem Wege der inneren Beobachtung lösen können, dann nützt Ihnen heute auch der ganze Idealismus und Universalienrealismus nichts. Weder zur empirischen Erklärung der Welt, noch zum Nachweis der menschli­chen Freiheitsfähigkeit, wie man exem­plarisch am Beispiel Eduard von Hartmanns nachvollziehen kann. Wäh­rend Steiner als wacher Zeitgenosse auch Nietzsche aufmerksam wahrnehm­end, von letzte­rem in GA-240, S. 195 ff schreibt, in der tragischen Person Nietzsche sei Ahri­man persönlich als Schrift­steller aufgetreten, und das werde immer weiter zunehmen. - Was man ihm angesichts der heutigen Lektüre von Herrn Klaus Schwab und seinem literarischen Ohrenbläser Harari gerne glauben möchte.

Von Nietzsche wiederum kann man den Eindruck gewinnen, daß er mit aller verbissen-geniali­schen Energie und Sprachgewalt gegen die menschli­che Freiheit kämpfte, indem er den Glauben und das Vertrauen an schlichtweg alles zerstörte. Vorrangig den an die Solidität von Denken, Vernunft und Erkennen, bis hin zum Vertrauen in die Existenz des eigenen «Ich», wenn man sich sei­nen, von Steiner im Vortrag ebenfalls genannten, Willen zur Macht anschaut. In dieser Beziehung ist er in seinen nihilistisch entwurzeln­den Bestrebungen durchaus vergleichbar den modernen Cancle-Culture-Strategen, die den Men­schen ebenfalls an der eigenen Vernunft zweifeln lassen, und damit beginnen, selbst Logik und Mathematik wegzureißen, und in ihrem zerstörerischen Willen zur Macht zunehmend wirklich­keitsprägend werden. Dem Menschen ebenfalls das eigene «Ich» stehlen und durch irgend ein nebuloses materialistisches Kollektiv ersetzen. Sich von Nietzsche freilich insofern unterscheiden, als sie pragmati­scher vor­gehen als er, und auch die fak­tisch Dümmsten und Skrupellosesten an die Spitze von Ge­sellschaft, Politik und Diplomatie hie­ven. Während Nietzsche sich an eine Bildungselite seiner Zeit richtete, die vielfach nicht bemerk­te, dass sein Zerstö­rungswerk an Vernunft und Einsicht sich vollzieht, in­dem es aus­gerechnet an die menschli­che Ver­nunft und Einsicht appelliert, und sich somit perma­nent selbst wi­derspricht. Denn man kann ja nicht konsistent Denken und eigene Vernunft infrage stellen, ohne sie dabei ständig im Überzeugungsverfahren vorauszusetzen. Sich dabei regelmäßig auch an wissenschaftliche Vorur­teile und Halbwahr­heiten der ei­genen Zeit klammerte wie an unverrückbare Felsen der Wahrheit. An die verpönte Wissen­schaft und das Erkenntnisvermögen heften sie sich alle beide: Heute trägt man unter dem Schlagwort: «Folget der Wissenschaft!» dieselbe vordergründig wie eine Mons­tranz vor sich her. Wäh­rend man sie in Wirk­lichkeit mit allen Mitteln zerstört, indem man den Menschen unter dem Label der Wissenschaft Lug und Trug auftischt, oder jene vernichtet, die als ernsthafte Wissen­schaftler in Erschei­nung treten, wie im Fall der Corona- und Impfkrise und des inszenierten «men­schengemachten» Klimawandels. Nietzsche wiederum, indem er in seinem Wil­len zur Macht beispiels­weise die Gel­tung des ohnehin nicht solide fundierten Kausalitätsprinzip bis ins eigene Be­wußtsein hinein läug­nete, und sich damit nur an Humes eigenen Vor- und Fehlurteilen (von Reininger zusammengefaßt auf S. 168 ff) festbiss, verstieg sich zu Sätzen wie diesen:Wenn wir nur die inneren Phänomene beob­achten, so sind wir vergleichbar den Taubstum­men, die aus der Bewe­gung der Lippen die Worte erraten, die sie nicht hören. Wir schlie­ßen aus den Erschei­nungen des inneren Sinns auf unsichtbare und andere Phäno­mene, welche wir wahrnehmen wür­den, wenn un­sere Beobachtungsmittel zurei­chend wären, und welche man den Nervenstrom nennt. [] Für diese innere Welt gehen uns alle fei­neren Organe ab, so daß wir eine tausendfache Komplexität noch als Einheit empfinden, so daß wir eine Kausali­tät hin­einerfinden, wo jeder Grund der Bewegung und Veränderung uns unsichtbar bleibt, – die Aufein­anderfolge von Gedanken, von Gefühlen ist ja nur das Sichtbarwerden derselben im Be­wußtsein. Daß diese Rei­henfolge irgend et­was mit einer Kausalverkettung zu tun habe, ist völlig unglaubwür­dig: das Be­wußtsein liefert uns nie ein Beispiel von Ursache und Wirkung.“ (Nachge­lassene Wer­ke, 2. Aufl. Leipzig 1922, hier S. 35 f.) Eine Sichtweise, von der Johannes Volkelt, Ge­wißheit und Wahrheit, 1918 in der Anmer­kung 1 auf S. 141 schreibt, dass sie der Selbstgewißheit des Bewußt­seins zuwider laufe, und es nicht zutreffend sei, dass uns das Bewußtsein kein Beispiel von Ursa­che und Wirkung liefere. - Nietzsche gehörte eben nicht zu jenen, die sich auf dem Fel­de der erleb­ten und beob­achteten Aktivitäten des Bewußt­seins erfolgreich betätigten. Demge­mäß dann mit ei­ner derarti­gen Argumentation daher kommt, die das eigene Bewußtsein, und so­gar das eigene Den­ken und Erkennen zum unbeeinflußbaren Spielball unbekannter Mächte und Kräfte macht, der bei seinem gänzlichen Mangel an eigenem Erkenntnisvermögen nur vom blin­den Willen zur Macht vorangetrieben wird. Der vollendete empirische / philosophische Gegen­satz dazu ist Steiners «aller­wichtigste Beobachtung, die der Mensch machen kann», aus dem dritten Kapitel der Philoso­phie der Freiheit. Die Frage ist damit natürlich: Wer ei­gentlich bei Nietzsche ge­dacht hat, wenn er es laut eigenem Zeugnis nicht selbst gewesen sein kann? Eine Frage, die man an heuti­ge materialisti­sche Strategen des Cancle-Culture unbesehen weiterrei­chen könnte. Letztlich haben wir es bei Nietzsche hier mit einem ana­logen zerstörerischen und wissenschaft­lich leeren schriftstelleri­schen Scientis­mus zu tun wie etwa beim modernen Ratten­fänger Harari, der Muse von Klaus Schwab. Wo dann das Bild eines angeblichen «Gottmen­schen» (Homo Deus) gezeichnet wird, der in Wirklichkeit auf die Stufe eines intelligenten Ma­schinen-Tieres herunter gedrückt wird, und damit das Ziel seiner Menschwerdung vollkommen verfehlt.

Mit der Erkenntnis einer «Natur im Inneren, bevor man die äußere erkennen kann», wie Steiner das in der Philosophie der Freiheit im zweiten Kapitel vorschwebte, ist es bei Nietzsche nicht weit her. Daß es auf Nietz­sches philosophischer und psychologischer Basis völlig aussichtslos ist, empiri­sche Belege für die menschliche Freiheit beizubringen, versteht sich damit von selbst. Daß es um die Freiheit wiederum schlecht bestellt ist bei jemandem, der glaubt, «dass seine Gedanken kom­men und gehen wie sie wollen und nicht wie ich will», wie es kürzlich im Fassadenkratzer mit Blick auf Robert Habeck und Nietzsche hieß, versteht sich auch. Bei dieser Lage der Dinge wäre er ja nicht einmal imstande, auch nur einen einzi­gen Gedanken aktiv zu durchdenken, geschweige denn ver­nünftige Erkenntnisurteile zu erreichen, vielschichtige Abwägungen anzustellen und Handlungsents­cheidungen auf dieser Grundlage zu fällen. So dass man ernsthaft den Gedanken in Erwä­gung zie­hen muß, dass uns die politischen Traumtänzer von heute in den Untergang und einen drit­ten Welt­krieg, auf jeden Fall aber in vollkommen mecha­nisierten Global-Faschismus führen, als Folge ihrer politischen Wach-Träumereien. Wo die mörde­risch me­chanischen Gedanken kommen und gehen wie sie wollen, und die angeblichen Entschei­dungsträger gar nicht wissen, was sie selbst denken und wollen. Und damit auch nicht zurechnungsf­ähig sind. Was man schon bei Steiners Zeit­genossen, dem physiologischen Psycholo­gen Theodor Ziehen (hier S. 208 f) als Konsequenz genau dieser mechanistischen, assoziationspsychologischen Sachlage lesen konnte, daß alle Vor­gänge im Bewußtsein sich zwanghaft, quasimechanisch und unbeeinflußbar vollziehen: „Unser Handeln ist necessi­tiert wie unser Denken.“ so Theodor Ziehen. Die physiologische Psychologie lehre, „unser Handeln ist streng necessitiert, das nothwen­dige Product unserer Empfindungen und Erinnerungsbilder. Man könnte also dem Menschen eine schlechte Handlung ebensowenig als Schuld zurechnen, wie einer Blume ihre Häss­lichkeit. Die Handlung bleibt des­halb - auch psychologisch - schlecht, aber sie ist zunächst keine Schuld.“ Das war von Ziehen ganz ernst gemeint. So, wie Ziehen mit solchen me­chanistischen Überlegungen damals Marxisten überzeugte, wie Steiner in GA - 174b, hier S. 300 ff schrieb, und Herbert Spencer den Sozialdarwinismus (auch der deutschen Nazis) impulsierte, so könnte er mit analogen Gedanken­gängen auch heute quasi zum Traumpsycholo­gen jedes Bolsche­woken avancieren. Davon wäre ein mecha­nistisch stupide träumender Robert Habeck dann nicht ausgenom­men. Auch wenn Habeck die ganze Welt in den Untergang stürzt, könnte man von seiner Schuld nicht reden. Denn einen biologischen Denkautomaten in menschlichen Klei­dern kann man schließlich nicht verurteilen. Der juristische Persilschein für die Zeit danach ist in den assoziati­onspsychologischen Materialis­mus nach Art der Maschinenethik Ziehens und Spencers quasi schon einprogrammiert: «Nicht schuldig im Sinne der Wissenschaft! Denn er konnte ja nicht anders!» - Also auch Ha­beck nicht zurech­nungsfähig im philoso­phisch / psychologischen Sinn, sondern allenfalls nur behand­lungsbedürftig. So daß man Steiners Worte von der «ahrimanischen Schrifstel­lerei» Nietzsches schon in dieser Frage und mit Blick auf unsere Zeit durchaus nachemp­finden kann.

Freiheitsforschung als innere Naturforschung und Volkelts empiristische Nähe zu Steiner und dessen Vorausset­zungslosigkeit in der Erkenntniswissenschaft

Man halte Nietzsches Sicht der Dinge einmal neben Steiners erleb­ten Zusam­menhang von Wirken­dem und Bewirktem beim Denken und Erkennen. Ausgespro­chen bereits in den Grundlini­en von 1886. Man muß das als Quellenforscher natürlich auch im Zusammenhang sehen. Als um­gewandelte, wahrgenom­mene und der Gefahr des Subjektivismus enthobene innere «Tat­handlung des Er­kennens» ent­sprach wiederum Fichtes «Tathandlung» auch Steiners eige­ner erkenntniswis­senschaftlicher Inter­essenlage und den Vorgängerschriften. Be­kanntlich suchte Stei­ner in seiner Er­kenntnistheorie (hier S. 21) «mehr als nur Ich». So ausdrückl­ich noch einmal im zweiten Kapitel der Philosophie der Freiheit. In die­ser inneren Tathandlung des Erkennens liegt für Steiner be­kanntlich auch die Quelle der menschli­chen Freiheit, wie er aus­drücklich in den Zusätzen zur Phi­losophie der Freiheit (hier S. 179 ff) schrieb. Wonach die menschliche Freiheit in der Freiheit des intuitiven Denkens wurzele. Dies aber ist ein erkennendes Denken. Nämlich jenes, so schreibt er, «durch das eine jegliche Wahrnehmung in die Wirk­lichkeit er­kennend hineingestellt wird». Vor­ausgesetzt, man erlebt es auch und verschläft es nicht. Man muß also mit dem vollwachen Ich bei dieser Tathandlung des Erkennens dabei sein.

Um aber das Erkennen als «Tat­handlung» nur wahrzunehmen, dazu braucht man zunächst eigent­lich gar keinen äußeren philosophi­schen An­reger, denn das erlebt man ja selbst. Das auf elementa­rer Stufe dann auch zu er­kennen, ist weiter also gar nicht anspruchsvoll, sondern eine ziemlich leichte Übung. Anspruchsvoll wird es erst, wenn man diese ele­mentar erkannte Tatsache des inne­ren Tuns mit übergeordneten Problemen wie dem Kausali­täts- und Freiheitsproblem oder gar dem Schöp­fungsproblem, der Universalienfrage und der Kosmologie in Verbin­dung bringt. Das haben wir weiter oben behan­delt. Denn wem die philosophische und naturwissenschaftliche Erklärungslage um Freiheit und Kausa­lität nicht zu­gänglich ist, der tut sich schwer, das zur inneren Tathandlung in irgend eine Be­ziehung zu setzen. In derarti­gen Fragen wie­derum stand Volkelt Steiner ebenfalls weitaus näher als Fichte. Und hin­sichtlich der psycho­logischen Erfah­rungsanalyse der Erkenntnistheorie war Fichte von Volkelt und Steiner wirklich meilenweit weg und zurück. Das mehr erkenntnistheore­tisch Hand­werkliche der inne­ren Beob­achtung die­ser «Tathandlung» Steiners ist in­folgedessen um Größenordnungen mehr von Volkelt inspiriert als von Fich­te. Weswegen Steiner in dieser erfahrungsanalytischen Bezie­hung Volkelt auch in Wahrheit und Wissenschaft ein nicht zu übersehendes Denkmal in der Einleitung gesetzt hat, nachdem er ihm bereits in den Gundlinien von 1886 (hier S. 31) exemplarisch mit seiner «vorzüglichen» Methode zu Wort kommen ließ.

Dazu kommt dann eben noch die Auseinandersetzung mit den Naturwis­senschaften, die auf den weitge­hend haltlosen Fundamenten Kants und Humes ruhten, und von dort aus ihre leeren Ge­schichten über die kausale Verursachung des menschli­chen Den­kens und Handelns er­zählten, ohne zu wis­sen, was beim Den­ken, Erkennen und Han­deln eigentlich vorgeht, und wie man Kausalität empirisch be­gründet. An die­sem Problempunkt traf sich Stei­ner eben­falls mit Vol­kelt. So etwa heißt es dazu 1886 in Volkelts Erfahrung und Denken, S. 81: „Die Forderung des Erken­nens nach Allgemeinheit hängt aufs engste mit seinem Streben zusammen, kausale Verknüpfung, Gesetzmäßigkeit oder doch Regelmäßigkeit zu entdecken. … Die Hoffnung, diese Vorzüge, nach deren Auffindung alle Wissenschaft strebt, an den Veränderungen der materiellen oder psychi­schen Außenwelt unmittelbar wahrzunehmen, ist ein für allemal abgeschnitten. Sollen sie irgend­wo erfahrbar sein, so kann diese Gunst nur der Boden des eigenen Bewußtseins gewähren."

Wie in allen Frühschriften Steiners geht es Volkelt hier ebenfalls um die «unmittelbare» Wahrnehmung der genannten Eigenschaften wie kausale Verknüpfung, Gesetzmäßigkeit und Regelmäßigkeit. Auch für Volkelt gilt damit, wenn auch mit anderen Worten, dass, wer die «Natur» im Inneren nicht kennt, sie auch außen nicht finden wird. Was dem ausgesprochen nahe kommt, was Steiner dann im zweiten Kapitel der Philosophie der Freiheit dazu geschrie­ben hat. Insofern auch Steiner die Wirk­samkeiten der Natur im Inneren erforschte, da man von au­ßen nur bei dubio­ser Ausgangs­lage der Naturwissenschaften darüber spekulieren konnte. Be­sonders markant aber wird das bereits ausge­sprochen im Kapitel 14 von Steiners Grundlinien, wo Sie das Kausali­täts- und Welterklä­rungsproblem Kants auf seinen hoch fragwürdigen empiri­schen Kern zurück geführt finden, - nämlich auf den «Dogmatismus von Offenbarung und Er­fahrung», die an den sachlichen Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem nie herankom­men. Inhaltlich dahingehend, daß Kant und mit ihm die gesamte dama­lige von ihm beeinflußte Naturwissenschaft über «Kausalität», - über den Zusammenhang von Wir­kendem und Bewirk­tem, - nichts wußte, sich stattdessen mit Kant in me­taphysischen Spekula­tionen über die eigenen Kausalitätsgrundlagen verlor, und auf der­art halt­los dogmatischen / metaphysi­schen Gedankenkonstruktionen die ganze Naturwissenschaft aufbaute, ohne den tatsächli­chen Zu­sammenhang der Naturprozesse überhaupt zu kennen. Das ist es ja auch, was Edith Stein in der Einleitung ihres Habilitationsentwurfs zu bedenken gibt. Daß nämlich Kant «Humes Problem der Kausalität» nicht etwa (empirisch) gelöst habe, sondern lediglich auf die metaphysische Ebene ab­geschoben. Wo es nach wie vor auf seine empirische Klärung wartet. (Die entsprechenden fragwür­digen Gedankengänge Kants können Sie in der Vorrede hier ab S. 6 zu seinen Prolegomena selbst nach­lesen.) Wäh­rend Steiner in sämtlichen Frühschriften An­spruch darauf machte, beim erlebten Den­ken und Er­kennen den Zu­sammenhang von Wirkendem und Be­wirktem unmittelbar zu erleben. Weswegen er ja auch dort dann 1894 seinen «archimedi­schen Hebel der Welterklärung» veranker­te. Abzuse­hen war das alles, - seine Positionierung des «naturwissenschaftlich Sicheren» im erleb­ten und beobachteten Denken, - schon 1886 in den Grundlinien.

Man muß diese Tatsachen und andere schon auch gewichten. Soll sagen: Steiners Ver­knüpfung der Ideen­lehre mit der Psy­chologie des Denkens und einer Naturkräftefor­schung von In­nen, - Stei­ners «induktiver Weg zu den Ideen», von dem er über­zeugt war, und den man im Kern be­reits in den Grundli­nienpräsen­tiert bekommt, - wäre ohne Vol­kelts gediegene und gewür­digte Vorar­beit zum «Erfahrungsbegriff» und dem des «Gege­benen» gar nicht möglich gewe­sen. Oder, um Steiner hier Einleitung, S. 7 beim Wort zu nehmen: «Sehr erschwert worden». Wo sich Vol­kelts fruchtbare Vorarbeit zum rein Ge­gebenen dann in Wahrheit und Wissenschaft im Kapitel Vier S. 37 f anlässlich der «unmittel­baren Gegeben­heit» der Denkaktivität und im Zu­sammenhang mit dem Begriff der «intellektu­ellen Anschau­ung» be­währt. Oder beispielswei­se in Steiners späte­rem Wunsch nach einem psychologi­schen Labo­ratorium, der nur verständ­lich wird, wenn man sich die Rolle einer Psy­chologie des Den­kens und einer reinen Erfahr­ung des Denkens für Steiner ver­gegenwärtigt. Daß aus der «intellektu­ellen Anschauung» von Wahr­heit und Wissenschaft, dessen Vorgänger in den Grundlini­ender «erlebte Zusammen­hang von Wir­kendem und Bewirktem» im Erkennt­nisprozeß, dann das «intuitiv erlebte Den­ken» aus den Zusätzen der Philosophie der Freiheit wurde, ha­ben wir bereits dargelegt.

Alles Sachverhalte, die konzeptionell und metho­disch auch direkt auf Volkelts Forschung fu­ßen, wie Steiner mit seiner Würdigung mittelbar selbst sagt. Also haben wir in Steiners Hin­weis auf Volkelt eine außer­ordentlich klare und bedeu­tende Quellen­situation für eine wahrhaft­ige Schlüs­selstelle in Steiners Gedan­kenbildung vorliegen. Nämlich für seine von Goethe un­abhängige Ge­dankenbildung. Das an ganz zen­traler Stelle, in seiner «für seine ganze Weltan­schauung grundle­genden Schrift», wie sie 1917 in der Schrift Von Seelenrätseln auf S. 58 bewertet wurde. Womit er ja damals 1917, als die Schrift Von Seelenrätseln erstmals erschien, auch seine Anthroposophie meinte, die aus den genannten «grundlegenden» Frühwerken hervorging, in denen Volkelt so wichtig war. Um das noch einmal zu beto­nen.

Nicht nur war Volkelt, siehe Psychologische Streitfragen ein Vertreter der Psychologie von Be­wußtseinsakten, (hier in einer besser lesbaren Variante auch bei Wilhelm Humerez zu finden), und von dieser Seite Steiner (und auch Fichte) nahestehend. Vor diesem Hintergrund ist es zudem beachtlich zu sehen, wenn Volkelt in dieser Abhandlung, ebenso wie Steiner im Psychologiekapi­tel der Grundli­nien ... von 1886 (S. 79 ff, insbesondere S. 81), eine, oder genauer: die entscheiden­de Auf­gabe der Psychologie darin sieht, die Tätig­keit des Bewusstseins aufzudecken und zu er­hellen. Volkelt führt dazu ausdrücklich auf S. 32 den terminus «Bewusst­seinsakte» ein. Die Übereinstimm­ung mit den von Stei­ner in den Grundlinien ... genannten Aufgaben der Psy­chologie ist ge­radezu schlagend. Die Akte des Bewusstseins sind Volkelt vor allem deswe­gen so zentral, weil sie "der aus­drückliche Gegenstand der Absichten des Bewußtseins" sind. (S. 34). Fährt dann fort: "In­dem man in dieser Richtung mit seinen Erwägungen wei­tergeht und sich mehr von der Er­fahrung entfernt, wird man hinzufügen dürfen, daß erst in den Bewußtseins­akten das Bewußtsein sein Ziel, seinen Sinn und Wert findet." - In den psy­chologisch aufweis­baren Bewusstseinsakten findet der Mensch laut Volkelt erst sein Ziel, seinen Wert und seinen Sinn. Das heisst, alles, was Steiner mit seiner Freiheitsphilo­sophie verknüpft, ist an diese Akte ge­bunden, die auch für Volkelt im Vordergrund der Psycholo­gie stehen. Vor diesem Hintergrund liegt es auch nicht fern, wenn Volkelt dann in der spä­teren Schrift von 1918 Gewiss­heit und Wahrheit (S. 141) betont, dass die Entdeckung von in­nerer Kausalität und Gesetzmäs­sigkeit in solchen Bewusstseinsakten "für die Ausgestaltung der Psychologie, der Ethik, der Meta­physik nicht nur wichtig, sondern geradezu entscheidend" sind. Womit er Steiners Begründungs­schriften dann wohl mit am nächsten kam. Während Steiner den «erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem» (hier S. 86) als inneren Lösungs­weg der Kausalitätsfrage bereits in den Grundlinienbehandelt hat.

Schauen Sie dazu weiter auch zwecks Vergleich auf Steiners Kant-Kapitel 14 der Grundlinien. Zwischen Steiners kriti­scher Behandlung des Dogmatismus von Offenbarung und Erfahrung und Volkelts Kommentar zu seinen Kausalitätsfunden der inneren Beobachtung liegen mehr als dreißig Jahre. Dies ist zu be­werten angesichts Volkelts erkenntnis­theoretischer Grundüberzeu­gung von 1906 (Die Quellen der menschlichen Gewißheit, dort S. 77, Anmerkung 1): die er (in Anbindung an Carl Stumpfs Schrift Psycholo­gie und Er­kenntnistheorie, München 1891, S. 428) dahingehend zum Ausdruck brachte: „Die Unab­hängigkeit der Erkenntnis­theorie von der Psychologie wird häufig dahin übertrieben, als ob die Er­gebnisse der Erkenntnis­theorie keine psychologische Bedeutung hätten. Ich bin der Mei­nung, die Stumpf kurz und treffend so ausspricht: „Es kann nicht etwas erkenntnistheoretisch wahr und psy­chologisch falsch sein …“. An dieser Stelle dürfte zwischen Volkelts empiristischer Überzeugung und derjenigen Steiners aus dem Psychologiekapitel der Grundlinien... und späteren wohl kaum ein Blatt mehr passen. - Was sich problemlos auch mit Steiners Ansicht von einer «Philosophie über den Menschen» zur De­ckung bringen läßt, als Resultat des Zusammentreffens von empirischer «anthropologischer» und «geisteswissen­schaftlicher» Forschung. Wie er in der Schrift Von Seelenrätseln (GA-21, S. 30 ff) darlegt. Die «Phi­losophie über den Menschen» stellt bei Steiner erst ein Resultat dar, der jeweiligen empiri­schen Forschung über den Menschen, und kann keinesfalls unabhängig davon entwickelt werden. Wenn diese empirische Forschung folglich in die Irre geht, so geht zwangsläufig auch die Philoso­phie über den Menschen in die Irre. Insofern ist es auch selbstverständlich, daß «erkenntnistheoret­isch nicht wahr sein kann, was psychologisch falsch ist», um mit Volkelt zu sprechen. Im Rahmen einer «Philosophie über den Menschen» aber besteht keinerlei Aussicht, den Menschen angemes­sen zu erfassen, falls man glauben sollte, auf jede innere Beobachtung bei die­ser Philosophie ver­zichten zu können. Die Folge eines solchen Verzichts wäre die Propagierung von Maschinenmen­schen, wie es jetzt über die ganze Welt hin von Harari, Schwab und ihren apokalyptischen Reitern gepredigt wird. Was auch die zwangsläufige Folge von Nietzsches destruktiver Behandlung der in­neren Beob­achtung wäre. Und teilweise gar bei verständnislosen Anthroposophen mittelbare, aber handfes­te Unterstüt­zung findet, die seit Jah­ren schon gegen einen angeblichen Psychologismus in der Philosophie und in der Erkenntniswissenschaft Steiners kämpfen. Dem man das seichte Psycho­logie-Gerede Hartmut Traubs im Sammel­band der Alanus­hochschule ohne weiteres an die Seite stellen kann. Die «Bearbeiter» werfen selbst bei den durchsichtigsten Dingen bisweilen mit Ne­belkerzen und (akademischem) Blendwerk wo sie nur können, um nur ja nicht Steiners er­kenntniswissenschaftliche Fundamente an die Öffentlichkeit kommen, und damit dem Verständnis zugänglich werden zu lassen.

Volkelt traf sich, wie man sieht, als Kant- und Hume-Kriti­ker auch mit Steiners naturwissenschaft­licher Suche nach einer Lö­sung des Kant-Humes­chen Kausali­tätsproblems auf dem Wege der see­lischen Beobachtung. Stei­ners Forschung über die «Wirksamkeit der Natur im Inneren», die ja für Steiner mit der Klärung der Freiheitsfrage unlösbar verbunden ist, wie sich dem zweiten Kapitel der Philoso­phie der Freiheit besonders explizit ent­nehmen läßt, aber schon im Kant-Kapitel 14 der Grundlinienplatziert war. Wo Volkelt Steiner rund dreißig Jah­re spä­ter (1918, S. 140 ff) darin noch weit nä­her kam als nur 1886, etwa S. 80 ff, wo sie sich eher im Grundsätzlichen des Kausali­tätsproblems und bei der methodisch-erkenntniswissenschaftli­chen seeli­schen Be­obachtung als möglic­hem Lösungsweg dieses Kausalpro­blems be­gegneten. Und natürlich trafen sie sich im von Steiner rezipier­ten Be­griff der «reinen Er­fahrung», zumal der «rei­nen Erfahrung des Denkens». Bei allen sachlichen Differen­zen Steiners mit Volkelt auch dazu, ist die «reine Erfahrung», oder die «reine Erfahrung des Den­kens» das «unmittelbar Gegebene» ein absoluter Schlüsselbegriff schon in den Grundli­nien, und auch dauerhaft funda­mental geblieben, wie man sogar aus den späteren Zusätzen zur Philosop­hie der Frei­heit ersehen kann. Für die psychologisch-erkenntnis­wissenschaftliche Be­handlung all dieser aufge­zählten Aspekte war Volkelt ein extrem wichtiger und fruchtbrin­gender Inspirator, - das zeigt Steiners expliziter Hinweis in Wahrheit und Wissen­schaft.

Wenn wir zudem noch einmal zurück schauen auf die oben behandelte «Synthese von Aris­totelismus und Platonismus bei Steiner und seiner Anthroposophie», desgleichen auch hinschauen auf Steiners induktiven Weg zu den Ideen, - dann war Volkelt, der übrigens in seiner Frühzeit auch dem Idealisten Eduard von Hartmann nahe stand, ein ausgesprochen fruchtbarer Wegbereiter für dieses Synthese-Projekt des frühen und späten Steiner. Wesentlich wirksamer darin und näher in der Grundlagenforschung war er für Steiner als Fichte, an dem Steiner in den Frühschriften, - man möchte ja fast sagen: kaum ein gutes Haar gelassen hat. Von dem er auch nie wie bei Volkelt öf­fentlich davon sprach, daß er gar auf dessen produktiver Vorleistung aufge­baut habe und davon in gewisser Weise auch abhängig war. Solche Hinweise Steiners sprechen doch für sich. Eine nä­here inhaltliche Betrachtung von Steiners Grundschriften bestätigt das auf ihre Weise. - Wenn man Steiners Gedankenent­wicklung der Frühschriften ausführlicher nachgeht. Andern­falls sieht man das als Quellenfor­scher natürlich alles nicht. Dann noch nicht einmal Stei­ners ausdrückli­chen Hin­weis oder die Bedeutung der «reinen Erfahrung des Denkens». So ist es zum Beispiel auch Herbert Wit­zenmann damit gegangen, der die Grundschriften Steiners ausge­sprochen nach­lässig behan­delte. Er sah diese Zusammenhänge alle nicht. Und dessen Anhän­ger ein­schließlich Hartmut Traub bis heute eben auch nicht. Schon die Lage an zeitgenössischen Quellen für Stei­ners Gedankenbild­ung war reichhaltig, wenn man nur Steiners Literaturverzeichnis aus Wahrheit und Wissen­schaft folgt. Diese Re­zeptionslage mit Blick auf Steiners Grundlagen­forschung zu unter­suchen gäbe schon dermaßen viel Stoff her, dass man viele Bände mit sol­chen Untersuchungen fül­len könnte. Daß davon so we­nig im vorlie­genden Quellenband der Alanushochschule er­scheint, und als Leerstellen­füller auch noch Witzenmann herhalten muß, si­gnalisiert nur das mangeln­de Interesse daran, sowie die Ahnungslos­igkeit und Ignoranz dies­bezüglich. – Sonst nichts. Arbeit gäbe es nämlich mit der Quellen­forschung zu Steiners Grund­lagen genug zu tun, wenn man nur wollte.

Dem empiristischen und idea­listischen «Kant-Überwinder» und «aristotelischen Brückenbauer zum Geiste», Steiner, übergab der «immanent-psychologische» Erkenntnistheo­retiker Johannes Volkelt (siehe Gewissheit und Wahrheit, 1918, S. 38 ff) mit dem Begriff der «reinen Erfahrung» und des­sen Analyse der Erfahrung ein ausgespro­chen fruchtbares Werkzeug für seinen «indukti­ven» Zu­gang zu den Ideen respekti­ve den Kräften der Natur. Wie sich schon dem Kant-Kapitel 14 der Grundlinien ablesen läßt, wo Steiner, wie der Leser dort selbst nach­lesen kann, nicht auf der Scholastik, und auch nicht auf Goethe, Fich­te oder Aristoteles, sondern auf Volkelts Begriff der «reinen Erfahrung» aufbaut. Oder anders gesagt: Auf dem unmittelbar erlebten Zusammen­hang von Wirkendem und Be­wirktem beim Denken und Erken­nen. Diese Tätigkeit des Denkens und Er­kennens kann man nämlich auch er­leben und erken­nen, ohne von Fichte, Platon, Thomas oder Aristoteles viel zu wissen. Ohne daß man die Letz­teren deswegen jetzt herabwürdigen müßte. Aber das ist zunächst einmal so. Das ist ja auch ei­ner der Gründe dafür, wenn Steiner in der Schrift Von Seelenrätseln (S. 170 f) zwecks Grundla­genforschung so eindringlich den Weg ins psychologische Laboratorium empfiehlt. Mit Platon, Aristoteles und Thomas von Aquin hat so eine Grundlagenforschung also zunächst nichts zu tun, sondern vorrangig damit, dass man sich in einer vom naturwissenschaftlichen Empirismus geprägten wissenschaftlichen Kultur die unmittelbaren Tatsachen selbst ansehen muß, bevor man eine Verbindung zu den Vorläufern der Vergangenheit schlägt.

Daß das nachfolgend noch zu hö­heren Fragen fortgeht, ist davon zu­nächst unberührt. Aber das Erleben und Erkennen dieser Tä­tigkeit als solcher ist als reine seeli­sche Erfahrungstatsache mög­lich, ohne dabei im­merzu nur auf die Altvorderen der Philosophie zu­rückgreifen und hin­schielen zu müssen. Das ist eine Tatsache, der sogar Johannes Wagemann in seiner Einleitung im Sammelband der Alanushochschule ziemlich unmißverständl­ich beipflichtet, wenn er S. 303 f schreibt, daß «das Ganze der Anthroposophie mehr sei als als die Summe ihrer Teile aus historischen Referenzpunk­ten.» Er spricht dabei von der «Anthro­posophie». Nicht zu Un­recht. Aber es gilt viel mehr und ganz ausdrü­cklich für die Erkenntniswis­senschaft Steiners, auf der das Ganze der Anthroposophie Steiners laut Steiner erst aufbaut.

Die Erkenntniswissenschaft Stei­ners ist so wenig ein nur intelli­gent zusammenge­schnürtes Pak­tet ihrer historischen Referenzpunkte wie es laut Wagemann die Anthroposo­phie ist. Denn, - das ist jetzt ent­scheidend, - der be­gründende Rück­griff auf die alt-tra­ditionelle Pro­minenz der Philo­sophie ist als legitimieren­der Rü­ckgriff im Fall ei­ner empirisch vor­aussetzungslosen Er­kenntniswissenschaft so­gar schlicht «verbo­ten». Steiner spricht nicht um­sonst von einem «in­duktiven Weg zu den Ide­en». Und der basiert auf er­fahrungswissenschaftlicher Über­prüfung, die mit der vorausset­zungslosen Erkenntniswissenschaft beginnt, was ja ganz aus­drücklich in Wahrheit und Wissenschaft eingefordert wird. Weder Goethe noch Pla­ton, noch Fich­te, Aristo­teles oder Thomas von Aquin ha­ben mit ihren Überlegun­gen als Begründungsinstanz­en in so einer voraussetzungslo­sen Er­kenntniswissenschaft, die sich nur an das rein erfahrene «Gegeben­e» hält, aus ganz grund­sätzlichem Anlaß etwas verlo­ren. Das darf nicht sein. So sehr man sie im üb­rigen auch schätzen mag. Man muß sie gleich­wohl, - meinet­wegen den Universa­lienrealismus der Scholastik und ihrer historischen Vorläufer, - mit den Mitteln einer eigenen und unabhän­gigen erkenntniswissenschaftlichen Prüfin­stanz überprüfen, die sich erst mit dem Auf­kommen der empirischen Psychologie und ihrem Eingang in die Erkenntniswissen­schaft abzeichn­eten, wie es bei Volkelt, Steiner und vielen anderen damals der Fall war. Üb­rigens so­gar für Hus­serl galt, so weit man dort im phänome­nologischen Denken «zu den Sachen selbst» strebte, wie ein geflügeltes Wort dieser Rich­tung lautete.

Auch für die Frage der Vorausset­zungslosigkeit war Vol­kelt eine er­giebige Quelle seinerzeit. Der sich beispiels­weise in seiner Schrift Erfahrung und Denken von 1886 (alternativ hier) viele Seiten lang diesem Thema wid­mete. Des weiteren in der Schrift Gewißheit und Wahrheit von 1918 (alternativ ebenfalls hier). Für einen Astrono­men oder Physiker wären analoge Gedanken­gänge heute natürlich selbstver­ständlich, wo es primär um die Prüfung der Tatsachen geht und nicht um die blinde Übernah­me von Autoritätsmeinungen der Vergangen­heit. Wäh­rend sich Philosophen heute damit sichtlich schwer tun, sobald es um das Denken und die Ide­enwelt geht. Die bei ihnen offenbar keine eigene Existenz haben, der man erfahrungswissenschaftl­ich nach Analogie der Naturwissenschaft nachgehen könnte. Auf dem Wege einer «inneren Naturwiss­enschaft», wie sie Steiner auch im zweiten Kapitel der Philosophie der Frei­heit als Pro­gramm vorlegt. Stattdessen aber fällt es den Philosophen leicht, Steiner nur ei­nen Ide­enklau vorzuhalt­en, um ihn mit seiner Leis­tung herabzusetzen, wie man es in Traubs um­fangreichem Buch Phi­losophie und Anthroposophie von 2011 fast regelmäßig erle­ben konnte. Für ihn waren Steiners erkenntnis­wissenschaftliche Darlegungen überwiegend, und oft auch noch falsch zusammenges­chnürte «his­torische Referenzpunkte», um mit Wagemann zu sprechen. Von einer Sicht auf das ei­gentliche empiristische Begründungsanliegen Steiners war Traub damals, wie heute immer noch, weit ent­fernt. Das passiert eben regelmäßig, wenn so ein Interpret wie Traub mit all seinen Erwartungen und antipsychologischen / philosophischen Vorurteilen im fal­schen Film sitzt. Da helfen ihm, wie man sieht, auch Aristoteles und Fichte nicht weiter. Das angesichts eines umfangreichen Vor­gängerbuches von 2011, wo er sich über Steiners Begriff des «unmittelbar Gegebenen» schier ka­putt la­chen wollte, weil er damals schon nichts von Volkelt, dessen Intentionen und Steiners Re­zeption dieses Zuarbeiters verstand, da er Steiners Quelle nicht nachgegangen war. Wo er auch mit der em­pirischen Beobachtung des Denkens schon nichts anzufangen wußte und sich statt dessen (350 ff) in ei­nem «unendlichen Regreß» und irgend welchen «Zirkularitätsbehauptungen» verlor, ohne je­des Verständnis dafür, was eine seelische Beobachtung des Denkens eigentlich tut und wie sie vor­geht. Eine Lage in Traubs Buch, etwa so hoffnungslos, als wollte man den unvor­bereiteten und un­wissenden Kant zum Versuchsleiter in einem denk-psychologischen For­schungslabor Os­wald Kül­pes küren. Oder wenn der Oberarzt an einer chirurgischen Universitäts­klinik seinem Kli­enten im Frühjahr 2023 immer noch erklärt, dass das Spike-Protein der mRNA-Impfung dauerhaft an der In­jektionsstelle verbleibt. Solche Beispiele einer hochspezialisierten Unkenntnis als Folge der sicht­verengenden Spezialisierung gibt es zuhauf. Die Philosophie macht dabei keine Ausnah­me. Bei Traub wurde Stei­ners Erkennt­niswissenschaft regelrecht mit dem Vor­schlaghammer eines gänzlich ahnungslosen und bis zur Erblindung spezialisierten Philo­sophen be­arbeitet. Heute ist Traubs Vor­schlaghammer anschei­nend im­mer noch nicht aus der Hand gelegt worden, sondern al­lenfalls ge­gen eine etwas leichtere Variante aus­gewechselt worden. So dass er im besagten Sammelband vor al­lem eine merkwürdig schief kon­struierte Neigung für die Psy­chologie und ihre theoretischen Bau­kästen für «Denkmodell­e» bzw. «See­lenmodelle» erkennen lässt. Aber offensichtlich immer noch nichts vom imma­nent psycholo­gischen Erkenntnis­theoretiker Vol­kelt und Steiners entsprechender Rezeption gehört hat. Bei allem Aristo­teles und Fichte, die in seinem jüngsten Aufsatz im Sammelband er­scheinen. Für das Ver­ständnis Steiners ist das so nicht hilfreich.

Wer freilich die Forderung nach erkenntniswissenschaftlicher Voraussetzungslosigkeit einigerma­ßen glaub­würdig erfül­len will, der darf sich zu Begründungszwecken also nicht an Pla­ton, an die Scholas­tik oder an Fichte wenden. Sondern er muß als empiristischer Erkennt­niswissenschaftler ei­nen «vorausset­zungslosen», also einen ganz anderen, eigenen empirischen Weg und Prüfinstan­zen dorthin fin­den, die davon und den diesbezüglichen Denktraditionen der Vergangenheit unab­hängig sind, die solche empirischen Prüfinstanzen der modernen Zeit und in dieser Form noch nicht kann­ten. Und man kann sei­ne eigenen Resultate dann besten­falls mit dem vergleichen, was die durch­aus hoch geschätzte altvorde­re Prominenz auch dazu zu sagen hat­te. Was beim späteren Anthropo­sophen Steiner dann ja häufig wiederkehrend der Fall war, wie man exemplarisch seinen Rätseln der Philosophie (GA-18) entnehmen kann. Der also später seinen Blick auch regel­mäßig weit zurück in die Vergangenheit und auf solche Traditio­nen wandte, was ihm in oftmaliger Wiederho­lung ebenfalls als bloße Abkupferei und Quellen­klau un­terstellt wurde und nach wie vor wird. Eine Tendenz, die in dem Sammelband nicht gezielt gefördert wird. Aber indirekt doch inso­weit, weil dort offenbar niemand weiß, was bei Steiner erkennt­niswissenschaftlich über­haupt statt­fand. Wo also niemand sichtbar ist, der Steiners er­kenntniswissenschaftliches Anliegen mit der seelischen Beobachtung überhaupt darle­gen könnte, so daß dort über­wiegend nur die übli­chen Re­zeptionsgeschichten erzählt werden. Wäre mehr Verständnis da, dann würde die ganze Rezeptions­frage unter einem ganz anderen Licht gesehen. Da kann man Wagemann innerhalb gewisser Gren­zen sicher beipflichten.

Dieser von den ge­schätzten Autoritäten der Ver­gangenheit unab­hängige Weg zur Entwick­lung ei­ner empirischen Prüfinstanz war bei Stei­ner der Weg der «rei­nen Erfah­rung». Weswe­gen Steiner verständlicherweis­e froh war, über Jo­hannes Volkelt ei­nen vorzüg­lichen Lö­sungsansatz zu dieser Frage vorge­legt zu bekommen, der eine vorausset­zungslose, empirisch psychologis­che Untersu­chung zum Er­kennen mög­lich machte. «Immanent-psychologisch», wie Volkelt diesen sei­nen vor­aussetzungslosen An­satz Jahre später nannte, den er 1918 im­mer noch vertrat. Mit der Grundfrage versehen: Wie sieht denn das empirisch Gegebene «vor» seinem Er­kennen aus? Und wie sieht das Erkennen selber aus? Das ist ei­gentlich die simple Kernfra­ge, der auch Steiner dabei folgte. Eine Frage, deren Beantwortung bei der ge­wöhnlichen Sin­neserfahrung mit gewissen Schwie­rigkeiten verbunden ist, das Gedank­liche und Erkannte vom sinnlich Ge­gebenen immer sauber zu tren­nen. Was von Steiner in Wahrheit und Wissenschaft noch näher thematisiert wird als in den Grundlini­en… . Beim Denken freilich taucht dieses Problem gar nicht erst auf. Weil das erlebte Denken während der Denktätig­keit theoretisch grundsätzlich nicht befrachtet werden kann. Und als unmit­telbar erlebtes Denken immer als reine Erfahrung und damit unerkanntes Denken vor­liegt. Theore­tisch befrachten kann ich es erst im Nachhin­ein. Was Stei­ner in den spä­teren Ergän­zungen zur Philosophie der Frei­heit eigens noch einmal hervorge­hoben hat, wie wir weiter oben darlegten. Zur Erinnerung noch einmal Steiners Resü­mee von Kapitel V. der Philosophie der Frei­heit: Dem Den­ken ge­genüber kann der Mensch auf dem nai­ven Wirklichkeitsstand­punkt verbleib­en. Tut er es nicht, so ge­schieht das nur des­halb, weil er be­merkt hat, daß er für anderes diesen Standpunkt ver­lassen muß, aber nicht ge­wahr wird, daß die so gewonne­ne Einsicht nicht anwendb­ar auf das Den­ken ist. Wird er dies ge­wahr, dann eröffnet er sich den Zugang zu der anderen Ein­sicht, daß im Den­ken und durch das Den­ken dasjenige erkannt werden muß, wofür sich der Mensch blind zu machen scheint, indem er zwischen der Welt und sich das Vorstellungs­leben ein­schieben muß.“ Kap. V., hier S. 71 f. Das sind auch Gedankengänge, selbst in der späteren Zweit­auflage des Wer­kes noch ein­mal vertieft, die sich direkt mit aus Volkelts fruchtbarer Anregung und immanent-psy­chologischer Vorarbeit ergeben haben. Die Steiner die Möglichkeit boten auf voraussetzungslosem Wege eine eigene empirische Prüfinstanz zu etablieren, und damit unabhän­gig zu werden von den bloß traditionellen Überlieferungssträngen des Idealismus, die ja bis ins Griechentum und darüber hinaus reichen.

Man kann Steiners An­erkenntnis der Vorleistung Volkelts, der ihm damit den empirisch vorausset­zungslosen «induktiven Weg zu den Ideen» eröffnete, in der Schrift Wahrheit und Wis­senschaft sehr gut nach­vollziehen. Was sich bei Steiner wie schon bei Volkelt auch auf die Kausalitätsprob­lematik Humes und Kants erstreckte. Der «erlebte Zusammenhang von Wir­kendem und Bewirk­tem» bei Steiner bereits in den Grundlinien... von 1886. So weit war Vol­kelt freilich erst 1918, (S. 141 ff), dass er hier in einer gewissen Nähe zu Steiner zu produktive­ren Lösun­gen ge­kommen ist, die er schon 30 Jahre vorher in seinen Frühschriften, und da­mals noch er­gebnislos suchte.

In Steiners grundlegenden Werken wird nach Unabhängigkeit von überlieferter Autorität der Ver­gangenheit gesucht und so verfahren. Deswegen untersucht er empirisch auch «den Pro­zeß, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden», wie er in der Philosophie der Freiheit gegenüber Hegel geltend machte. Dieser Prozeß spielt empirisch die Hauptrolle in Steiners Grundlegungs­werken, wo er sich dann ja als «allerwichtigste Beobachtung» in der Philosophie der Freiheit eta­bliert hat. Das ist das primäre Anliegen seiner voraussetzungslosen Er­kenntniswissenschaft, so weit sie empi­risch vorgeht. Stei­ners «allerwichtigste Beobachtung» zeigt sich dann wieder der Sa­che nach wenige Jahre später in Goethes Weltanschauung, (hier S. 70) wo er die Beobach­tung des Den­kens aus den Früh­schriften neuerlich mit der Ideenlehre ver­knüpft. Also, wenn man so will, den Aristotelismus mit dem Plato­nismus. Und nicht nur vom «durch­schauten Weltge­schehen» spricht, sondern, so sagt er, «die­ses Geschehen sei die Idee selbst». Die «Idee als Weltgeschehen» betrachtet, ist folglich die Synthese einer modernen Naturwissenschaft mit der platonistischen Ide­enlehre, das liegt auf der Hand. Wenn man so will auch ein Beispiel für Steiners «indukti­ven Weg» zu den Ideen, der bereits in den Grund­linien... angelegt war, und von ihm dort etwa im Ka­pitel 8 (hier S. 47) mit der «Denktätigkeit als tätigem Gedankengehalt der Welt» vorgestellt wird. Man findet bei Steiner in den Frühschrif­ten, wie man daran ebenfalls sieht, ver­schiedene Stu­fen der Anbin­dung einer voraussetzungs­losen Erkenntnistheorie. Streng eingefordert wird sie dagegen in Wahrheit und Wissenschaft. Ob dieser Weg der Steinerschen Frühschriften vollständig ist, dar­über muß man nicht streiten. Er ist es natür­lich nicht. Dazu kann man sich sogar mit Hart­mut Traub an Steiner selbst halten und etwa dessen entsprechenden Briefwechsel (Brief Nr. 402) zur Philosophie der Freiheit mit Rosa Mayreder. Dem der Brief Nr. 379 von Mayreder an Steiner vor­ausging, und diesem wiederum Brief Nr 369 von Steiner. Es war dies, die Unvollstän­digkeit, ja auch ei­ner der Gründe für Steiner nicht nur die Schrift Von Seelen­rätseln zu schreiben, sondern dort auch den Wunsch nach einem psychologi­schen Labo­ratorium zu äußern, um beste Grundla­gen zu legen. Da bleibt also noch viel zu tun.

Während sich die Quel­lenforscher des Sammel­bandes fast ausnahms­los mit traditionellen Überlie­ferungs- und Re­zeptionswegen be­fassen, ohne Steiners Etablie­rung einer erkenntniswissenschaft­lich unab­hängigen und erfahrungswiss­enschaftlich ori­entierten kritischen Prüfin­stanz für die Wahr­heiten des Idealis­mus auch nur zu würdi­gen. Seinen naturwissenschaftlich geprägten For­schungsweg zu den wirkenden Ideen. Die Entwicklung einer erkenntniswissen­schaftlich fundierten Prüfin­stanz hatte bei Stei­ner abso­luten Vor­rang vor den bloßen Überlie­ferungen der Idealisten. Bei all seiner ersichtlichen Wert­schätzung des Idea­lismus schon in seinem Frühwerk. Deswegen sagte ich oben, dass die im Sam­melband vertrete­nen Quel­lenforscher ganz über­wiegend nur ein sehr an­ekdotisches Wis­sen von Steiners Be­gründungswerk haben, und seine eigentlichen Ziele und Hand­griffe dabei gar nicht ken­nen. In­soweit das kritische / empiristi­sche Überprüfun­gungsanliegen Steiners auch nicht ent­sprechend zu ermessen wissen. So sehr sie dabei wie Hartmut Traub auch von der Psychologie, von Fich­te und Aris­toteles reden mögen. Traub ist immer noch weit davon entfernt, über­haupt nur zu ahnen, worum es Steiner mit seiner Erkenntniswissenschaft geht. Das Resultat ist im wesentli­chen, und ge­messen an der Fragestellung des Sammelbandes nach Steiners Quellen der An­throposophie, denn eine andere kommt als Messlatte ja nicht infrage, niveauloser intellektu­eller Auswurf von Leuten, die Steiners Anliegen mit der Erkenntniswissenschaft definitiv nicht in­teressiert. Beginnend schon beim «Professor für die erkenntniswissenschaftlichen Grundlagen der An­throposophie».

Tendenziell offenbart also der ganze Sammelband die Neigung der Mitwirken­den, Stei­ners Erkenntniswissenschaft in gar keiner Weise ernst zu nehmen. Wesentlich deswegen, weil sie diese offensichtlich auch gar nicht kennen. Daß nämlich so eine von Stei­ner selbst her­vorgehobene und für seine von Goe­the unabhäng­ige er­kenntniswissenschaftliche und metho­dische Ge­dankenbildung ganz maßgebli­che Quelle, Vol­kelt, in keiner ein­zigen Abhandl­ung unserer versam­melten Quellenfor­scher auch nur erwähnt wird, wofür man aber Herrn Wit­zenmann ausführlich behandelt, der die rei­ne Erfahrung des Denkens nie thematis­ierte und in dieser wissenschaftlichen Frage­stellung nach den histori­schen und philosophis­chen Quellen der Anthroposophie auch gar nichts zu suchen hat, das wie­derum ist auf sei­ne ganz spezifi­sche Art ebenfalls aus­kunftsreich, und auf ihre Weise eine reich­haltig spru­delnde Quelle zur qualita­tiven Bewertung der heuti­gen Steiner­forschung: Wo sich dann einer mit dem für Steiner voll­kommen bedeutungslosen Husserl beschäftigt, ohne Stei­ners ei­genes Ur­teil zu dieser Frage zu erwähnen. Ein anderer mit Witzen­mann, der dort nicht hingehört. An­dere wiederum kommen mit der Scholastik, ohne Steiner überhaupt groß das Wort zu ertei­len. Wäh­rend ei­ner der aller­bedeutendsten er­kenntniswissenschaftlichen Helfer und Zuarbei­ter für sei­ne empiri­schen / geis­teswissenschaftlichen For­schungsziele der Erkenntniswissens­chaft schlicht in der Ver­senkung unserer aka­demischen Steiner-Erklär­er ver­schwindet und durch den Rost fällt. Ein fruchtbringender Zuarbeiter, und von Steiner deswegen ausdrücklich gewürdigter Helfer bei Stei­ners Synthese von Aristotelis­mus und Plato­nismus, den Steiner ganz unmißverständlich und aner­kennend als entscheidend­e Quelle für die Entwicklung seiner er­kenntnistheoretischen seeli­schen Be­obachtung her­vorhebt. Wie wir sahen für Steiners «Brückenbau» von der Naturwissen­schaft zum Geistigen hin.

So sehr man Wagemann darin beipflichten kann, daß die Anthropo­sophie Stei­ners mehr ist als ein Paket von histori­schen Refe­renzpunkten, so wenig kann man auf Quellenfor­schung ver­zichten. Zumal in der Grundlagenfor­schung. Was sich schon im Grund­lagenwerk Stei­ners und Wit­zenmanns Um­gang da­mit zeigt. Ohne gründli­ches Studium kommt man mit dem Verständn­is nicht weiter, sondern endet schließlich wie Witzenmann nach 40 Jahren infolge nachlässi­gen Studiums im «Erzeugungspro­blem» der Strukturphänomenolog­ie. Oder in der «erkenntnistheoretischen Grundfrage, wie Unbeobachtbares zur Erinnerung wer­den kann?» so­wie vergleichbarem Nonsense. Obwohl die Lösung und Korrektur für die­ses Desaster Witzen­manns schon überall leicht nachlesbar in Steiners Grundlinien … oder in Wahrheit und Wis­senschaft, der Philosophie der Freiheit und in Goethes Weltanschauung steht.

Angebliche intime Bekanntheit des Denkens ohne, versus Erkenntnis des Denkens durch Beobachtung

Kehren wir noch einmal zurück zu Günter Röschert, und nehmen dessen weiter oben auf S. 116 er­wähnte Bemerkung aus seinem Buch, Anthroposo­phie als Aufklärung, München 1997, S. 41, noch einmal auf. Röschert schrieb dort: "Der wirklich herbeigeführte Aus­nahmezustand macht aber mittelbar darauf aufmerksam, daß das Denken intim bekannt ist ohne Beobach­tung, näm­lich durch Intuition." - Salopp gesagt war hier so ziemlich alles von der Rolle, was man in Steiners Früh­schriften verwirren kann, wie wir auf den genannten Seiten schon darlegten. Aber nicht nur bei Röschert gab es seinerzeit erhebliche Schwierigkeiten mit dem Verständnis von «Ausnahmezustand» und «Beobachtung des Den­kens». Desgleichen nicht weniger mit der «Erkenntnis» des Denkens und der «Intuition». Mit der Folge: Etwas, was laut Steiners drittem Kapitel der Philosophie der Freiheit via Beobach­tung überhaupt erst einmal zu begreifen und kennzulernen ist, das war bei Röschert ohne Be­obachtung durch «In­tuition» längst «intim bekannt». So daß Röschert Steiners empirische Er­kenntnisbemühungen bezüglich des Denkens damit schlicht ad ab­surdum führte.

In einen vergleichbaren maximalen Fehlschluß verfiel anlässlich des dritten Kapitels der Phi­losophie der Freiheit wenige Jahre später auch Jaap Sijmons in seiner Dissertation, Phänomen­ologie und Idealismus, Basel 2008, S. 328. Dahingehend, «das Denken sei das Bestbekann­te über­haupt». Sijmons verstieg sich seinerzeit so­gar ebendort zu der Auffassung: „Ohne dass wir das Denken kennten, gäbe es ja auch keine Er­kenntnis (kein Denken) über et­was an­deres. Wie sollte es nun un­bekannt sein? Weil wir es selbst hervorbrin­gen, ist es uns im­mer schon be­kannt.“ - Wie man sieht, war Sijmons ebenfalls kom­plett von der Rolle! Ein analoger, größtmög­licher gedanklicher Unfall wie bei Röschert rund 11 Jahre zu­vor. Letztlich ist das in beiden Fällen auch die Folge eines inneranthroposophischen Anti-Empirismus des Denkens, der Steiners Anliegen ganz zwangsläufig nicht versteht, und infolgedessen seine Leser in die Wüste und aufs Glatteis führt. Da er sich als Anti-Empirismus des Denkens auch noch nie mit der Frage befaßt hat, wie man das erlebte Denken empirisch überhaupt erkennt. Das offensichtlich aber auch gar nicht vorhat, sondern aus dieser wirklichkeitsfernen Haltung heraus Steiner dasselbe unterstellt.

Es ist kein Zufall, dass wir es bei diesen beiden Autoren (Röschert und Sijmons) wiederum mit solchen zu tun haben, die Witzenmann ausgesprochen nahe standen / stehen. Da ist die Wirk­lichkeitsfremdheit, im Zusammenhang mit der Erkenntnis des Denkens zumal, von vorn­herein bereits fest einprojektiert. Was daraus folgt ist faktisch eine Totalblockade dessen, was Steiner zwecks erkenntniswissenschaftlicher Aufklärung «see­lische Beobachtung» nennt. An dessen Stelle ist seit annähernd 70 Jahren; präziser: seit 1948 ein abstru­ser und völlig frucht­loser Intellektualismus seiner Anhänger getreten, der weit entfernt davon ist, Steiners Anliegen der Früh­schriften zu erfassen. Was man dann leibhaftig und exem­plarisch auch im obskuren Sammel­band der Alanushochschule vorgeführt bekommt, der si­cherlich in dieser Beziehung einen absoluten Tiefpunkt der akademischen anthroposophischen Selbstaufklärung darstellt.

Siehe dagegen Steiner ausführlicher zu seiner «seelischen Beobachtung» der Frühschriften 1921 in GA-78. Insbesondere die ersten drei Vorträge, wo es eingehend auch um sein Anliegen mit der «seelischen Beobachtung» der frühen Erkenntniswissenschaft und ausdrücklich um die Quellen der An­throposophie geht. Eines der Schwer­punktmotive dieser «seelischen Beobacht­ung» war die Freiheitsforschung und ihre Auseinan­dersetzung mit einem Agnostizismus sei­ner Zeit, der sich vor allen Din­gen vom naturwissen­schaftlichen Kausalitätsprinzip leiten ließ. So berichtet er dort etwa im zweiten Vortrag vom 30. August 1921, S. 25 ff über die «Wurzeln der Anthropo­sophie»: „Was als eine eigentliche Wirkung des Agnostizismus in das ganze Leben des Menschen gekommen ist, war insbesonde­re in der Zeit im höchsten Maße zu beobachten, in der sich mir der Weg zu den Wurzeln desje­nigen ergab, was heute von mir Anthroposophie genannt wird. Es fällt das erste Suchen nach diesen Wurzeln bei mir in die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, und wer das damalige Suchen verfolgen will, der wird Anhaltspunkte da­für finden in meinen Schriften, die ich ver­faßt habe als Einleitungen zu Goethes naturwissen­schaftlichen Werken, in meinen Schriften «Goethes Erkenntnistheorie», in meiner kleinen Schrift «Wahrheit und Wissenschaft» und dann in der im Beginne der neunziger Jahre erschienenen «Philosophie der Freiheit».“

Steiners Auseinandersetzung mit dem agnostischen Kausalismus hat sich ja in der Leitfrage vom Be­ginn des ersten Kapitels der Philoso­phie der Freiheit direkt niederge­schlagen, die da lautet: „Ist der Mensch in seinem Denken und Handeln ein geistig freies Wesen oder steht er unter dem Zwange einer rein naturgesetzlichen ehernen Notwendigkeit?“ Näheres zur Philoso­phie der Freiheit und ihrem Anliegen der seeli­schen Beobach­tung zwecks Frei­heitsforschung findet der Leser in den genannten Vorträgen. Auch in den restlichen Vorträgen dort mancher­lei Erhellendes zur Philosophie der Freiheit. Woran er auch unmittel­bar kon­trastreich erle­ben, und nachfolgend die Frage aufwerfen kann, warum das Kausalitätspro­blem und dessen frei­heitsphilosophische Proble­matisierung nebst Lösung via «seeli­scher Beobach­tung» bei Steiners In­terpreten wie Röschert, Sijmons und vielen anderen erst gar nicht in Er­scheinung tritt.

«Intim, respektive best bekannt ohne Beobachtung» soll das Denken gemäß seinen Interpre­ten Röschert und Sijmons laut Steiner sein. Während der Naturwissenschaftler und Empirist des Denkens und Erkennens, Steiner, nichts von alldem behauptet was seine irrlaufenden He­rolde da zum besten gaben. Weder in seinen Frühschriften, noch als späterer Anthroposoph. Sondern stattdessen 1921 vortragsweise eine sehr nüchterne Bilanz dessen vorbrachte, was in seiner Philosophie der Freiheit an Aufklärung bezüglich des Denkens zu finden ist: So berich­tet er am 05. September 1921 in Stuttgart (GA-78, Dornach 1968, S. 141 ff ), daß man vom Denken in der Philosophie der Freiheit "bis zu einem gewissen Grade sich eine Vorstellung, eine empirische Vorstellung verschaffen kann" Und fährt dann (S. 142) fort: "aber was es [das Denken, MM] seinem Wesen nach ist, das läßt sich erst erkennen, wenn die wirkliche Intuition auf dem höheren Erkenntniswege in der Seele auftritt. Dann durch­schaut man gewissermaßen dieses eigene Denken; ...". Keine Rede von einer intimen oder besten Bekanntheit des Denkens ohne Beobachtung. - Wie auch? Und warum sollte Steiner 1917 in der Schrift Von Seelenrätseln S. 170 f den eindringlichen Wunsch nach einem psychologischen Laboratorium vorbringen, um dort Grundlagenforschung über die «Veranlagung zum Schauen» zu treiben?

Derselbe Eindruck, den man als nüchterner Leser von Steiners Philosophie der Freiheit haben kann, oder wie ihn der Denkpsychologe Karl Bühler 1907 / 08 in seiner weitläufigen Untersu­chung zum Denken referriert, wird auch in diesem späteren Vortrag Steiners vermittelt. Daß man sich in seinen Frühschriften «eine gewisse empirische Vorstellung vom Denken verschaf­fen» kann. Insbesondere im Kontrast mit Bühlers detailreicher Untersuchung, - hier auch die Teile II und III, - wird das beson­ders augenfäl­lig. - Die «aller­wichtigste Beob­achtung» der Philosophie der Freiheit wiederum betrifft auch gar nicht die ent­scheidende Er­hellung hinsichtlich der geistigen Wesenheit des Denkens, son­dern Steiners «Brückenbau» vom Naturwissenschaftlichen zum Geistigen hin. Sie ist ge­prägt von der intensiven Auseinandersetzung mit dem Kausalismus des naturwissen­schaftlichen Agnostizismus, wie man es auch den eben genannten Vorträgen Steiners entneh­men kann. Einem Kausalismus, der in seiner Befangenheit alles dem naturwissenschaft­lichen Kausalitätsprinzip mit seinen ehernen Notwendigkeiten unterwirft, und ein freies Den­ken und Handeln aus solchen Voraussetzungen und Voreingenommenheiten heraus generell aus­schließt. Ohne den inneren Vorgängen des Denkens und Erkennens jemals vorurteilslos nach­gegangen zu sein. Das ist das Bezeichnende daran. So daß es beim physiologi­schen Psychologen Theodor Ziehen, wie oben erwähnt dann hieß: «Unser Handeln ist necessi­tiert wie unser Denken.» (Ziehen, 1893, S. 208 f) Alles Denken und Handeln ist quasi mecha­nistisch zwangsverlaufend gemäß den Vor­stellungen einer äußeren Naturwissenschaft, wie die­se sie für das physikalische Weltgetriebe ent­wickelte, und nachfolgend (bis auf den heutigen Tag) auch für alles seelisch geistige Ge­schehen nebst menschlichem Han­deln geltend machte. Eine letztlich der äußeren Naturwissenschaft entlehnte deterministische Ansicht, von der John Eccles im Buch Das Ich und sein Gehirn, S. 644 eher mittelbar sagt, «daß damit alles zu Ende wäre» und sich «jede vermeintliche Erkenntnis als reine Illusion erweisen müßte». Siehe zum Thema Ideenassoziation als Letzterklärung ebendort, S. 240 ff.

In diesem fragwürdigen Umfeld wird die eigene Denk- und Erkenntnistätigkeit durch das phy­sikalistisch überformte naturwissenschaftliche Denken schlicht weg- und zur Zwangsveran­staltung des Gehirns degra­diert wie bei Theodor Ziehen und seinesgleichen. Und damit jedes Er­kennen ad absurdum geführt. Angesichts dieser Tatsache bezieht sich Steiners «allerwich­tigste Beobach­tung» pri­mär, als für jede Wissenschaft geltende erkenntniswissen­schaftliche Grundla­genlösung Stei­ners, auf das Problem Kants und Humes bezüglich des «Ver­hältnisses von Wir­kendem und Be­wirktem». Gemäß seinem abschließenden heuristischen Motto vom dritten Ka­pitel der Philosophie der Freiheit: „Die unbefangene Beobachtung ergibt, daß nichts zum Wesen des Denkens gerechnet werden kann, was nicht im Denken selbst gefunden wird. Man kann nicht zu etwas kommen, was das Denken bewirkt, wenn man den Bereich des Den­kens verläßt.“ Das «Erwirkende» des Denkens kann danach nur im Denken selbst gefunden werden, sonst löst sich das Erkennen in lauter Illusionen auf, wie wir weiter oben schon im Zu­sammenhang mit Eduard von Hartmann sahen. Insofern ist das erlebte und durchschaute Erwir­ken des Denkens als Resultat der «allerwichtigsten Beobachtung» und als «archimedischer Hebel der Welterklärung» nicht nur die Grundlage aller Wissenschaften, wie es im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit heißt, sondern selbstredend auch die Grundlage der menschlichen Freiheit. Worauf Steiner gegen Ende dieser Schrift ja noch einmal (hier S. 180 f) sehr eindringlich in den Zusätzen von 1918 hingewiesen hat.

Ein Denken und Erkennen, das laut Steiner bei der Beob­achtung des Den­kens und bei Anwendung dieses Mottos, - „Man kann nicht zu etwas kommen, was das Denken bewirkt, wenn man den Bereich des Den­kens verläßt.“, - auch zu durch­schauen ist. Wo beispielsweise in der inne­ren Beob­achtung erkannt wird, dass da nichts im aktiven Denken von jener mecha­nistisch physiologi­schen Zwangsope­ration zu beobachten ist, wie es von Theodor Ziehen un­terstellt wurde, der eingangs des drit­ten Kapi­tels (hier S. 22) als zeittypischer psychologi­scher Gegenpol seiner Untersu­chung ge­nannt wird, unter speziellem Hinweis auf dessen Handbuch der physiologischen Psychologie, Jena 1893, S. 171. Wie es dann als «durchschautes Weltge­schehen» auch we­nige Jah­re spä­ter 1897 (S. 69 f) von Steiner noch einmal in Goe­thes Weltan­schauung, und dort zu­sätzlich aus idealisti­scher Sicht bekräftigt wird. Wo sich gemäß GA-21, aber quasi im weiten Vorgriff auf diese spä­tere Schrift von 1917, gewisserma­ßen die «Anthro­pologie mit der An­throposophie trifft». Inso­fern das Be­obachtungsresultat in dieser Frühschrift Steiners von 1897 jetzt neuerlich um eine idealisti­sche / univer­salienrealistische Perspektive ergänzt wird, was ja in der Philoso­phie der Freiheit nicht der Fall ist, obwohl es dort um dieselbe Beobachtung des Denkens geht wie 1894 schon.

Das erkenntniswissen­schaftliche Grundla­genproblem aller Wissenschaften wird mit dieser «al­lerwichtigsten Beobacht­ung» aus der Philo­sophie der Freiheit gelöst, wo sich das erlebte Den­ken via empirischer Beobachtung selbst erklärt. Vorausgesetzt man nimmt das Erkennen ernst und führt es nicht ad absurdum wie der Physikalismus, oder von anthroposophischer Seite Witzenmann und seine Anhänger. Was natürlich auch für das weitere Fort­kommen Steiners mit seiner eigenen Seelen- und Geistesforschung gilt, die von der basalen Lösung dieser Frage ebenso ab­hängig ist wie alle anderen. Denn die «Leibesunab­hängigkeit des menschlichen Den­kens», die Steiner zeitnah den Vorträgen von GA-78 vorangehend, im Mai 1921 im Stuttgarter Vortrag 255b, S. 299 ff als ein maßgebliches Untersu­chungsziel der Frühschriften im Rah­men eines «Brücken­baus von der Naturwissen­schaft zur geistigen Welt» hervorhob, ist ohne die Klärung des grundlegen­den Kausalitätspro­blems auf der Basis der empirischen Selbsterklärung des Den­kens als Erkennt­nisresultat nicht zu ha­ben. Wäre auch ein maßgebliches Forschungsziel am Treffpunkt von Anthropolo­gie und Anthroposophie. Und dort auch einlösbar, wie man schon an Poppers und Eccles` oben dargelegter logischer Betrachtung des Erkenntnisvermö­gens er­kennt. Denn ein kausaldetermin­iertes physi­kalistisch gedachtes menschliches Erkenntnisver­mögen ist, wie neben Popper auch Ec­cles betonte, erkennt­nisunfähig, und nur noch illusio­när. Also muß das menschliche Erkennen unabhängig sein von den physikalistisch oder psycholo­gistisch gedachten Bedingungen seines Leibesle­bens. Was man analog, und nicht ganz zufällig wiederholt auch von Steiner in der Schrift Von Seelenrätseln, GA-21 zu lesen be­kommt. Der dort etwa auf S. 133 anhand der logischen Un­abhängigkeit von den leiblichen Bedingun­gen den Begriff des «rein seelisch Wesenhaften» entwickelt: „Faßt man den Begriff des im denken­den Suchen nach der Wahrheit lebenden Wollens, so ist dieser Begriff der eines seelisch Wesenhaften.“

Nun ist das ja etwas, was auch für die «Suche nach der Wahrheit» in der Philosophie der Freiheit gilt, die als «seelische Beobachtung» selbstredend nicht von den Gesetzen des Leibeslebens, sondern von den Denkgesetzen der Logik getragen wird. Dazu müßte man nicht einmal die Parallelen zur späteren Schrift von 1917 ziehen, weil sich das von selbst versteht. Denn jede ernsthafte Suche nach der Wahrheit ist natürlich getragen von den Geset­zen der Lo­gik. An die­ser Stelle ergeben sich dann auch äußerst fruchtbare Gemeinsamkeiten zu Forschern wie Ec­cles und Popper, die insbesondere diesen Gesichtspunkt außerordentlich ernst nehmen. So daß nicht nur von Steiner der Energieerhaltungssatz in GA-78, S. 142 ff preisgegeben wird, son­dern auch von Popper, «bevor er das Erkenntnisvermögen preis gibt». Mit der Preisgabe des Energieerhaltungssatzen habe er wiederum kein Problem, so Popper, weil die Physik grundsätzlich un­abgeschlossen und offen ist, und die Physik der Zukunft ohnehin keiner kennt. Deswegen er­scheint ihm (Popper, S. 641) «die Vorstellung, Michelangelos Werke seien nur das Resultat von Molekularbewegungen, weit absurder als eine Verletzung des ersten Gesetzes der Thermodynamik». (Siehe dazu eingehender Popper / Eccles, a.a.O., S. 638 ff.)

Die Schrift Von Seelenrätseln enthält verschiedene Betrachtungen zur Logik und ihrer Verbin­dung zur leibesunabhängigen Seele, und kam 1917 erstmals an die Öffentlichkeit. Rund ein Jahr vor der Zweitauflage der Philosophie der Freiheit mit ihren Ergänzungen zu Eduard von Hartmanns kritischen Einwänden zur Erstauflage von 1894. Deswegen verstehe ich das zeitna­he Zusammentreffen dieser Schrift mit Steiners Zweitauflage der Philosophie der Freiheit und manchen dortigen Ergänzungen um die Verbindung des Denkens mit dem Kausalitätsproblem als nicht ganz zufällig. So etwa auch Steiners Ergänzungen bezüglich der «Spuren des Den­kens», die «nicht von den Kräften der leiblich seelischen Organisation eingegraben worden sei­en», eingangs von Kapitel IX. Wo es also in ganz unmißverständlicher Weise um eine Verursa­chungssicht geht. Und zwar um ein solches «Erwirken von eingegrabenen Spuren», das ursäch­lich vom Denken aus nicht nur in das Seelische, sondern auch in das Materielle der menschli­chen Organisation reicht. Das wird ja mit der «Zurückdrängung der leiblich-seelischen Organisa­tion» zum Ausdruck gebracht. (hier S. 102 f). Hier wirkt also erfahrbar der Geist ursächlich auf die materielle und seelische Beschaffenheit des Menschen. Was sich nicht nur mit etwas Aufwand ebenfalls im Laboratorium untersuchen läßt, und von Steiner in der Schrift Von Seelenrätseln auch punktuell dargestellt wird. Auf der anderen Seite aber eine Grundlage des anthroposophischen Schulungsweges darstellt, der darauf baut, dass das seelisch geistige Leben von der Erkenntnisseite her gezielt bis in Fein-Strukturen der Leiblichkeit (etwa des Ge­hirns) verändert werden kann. Was als Veränderung selbstredend ebenfalls die Folge einer ge­wollten ursächlichen Wirksamkeit darstellt. Daß wiederum die Erkenntnisseite ganz zwangs­läufig auch eine Ursächlichkeitsdimension hat, das hören wir nicht nur von Steiner, sondern auch von Popper und Eccles, um nur bei diesen jetzt zu bleiben.

Die Parallelen zwischen der Schrift Von Seelenrätseln und der Philosophie der Freiheit liegen auf der Hand. Ähnliches gilt von Steiners kurzer Kritik an den Einwänden Eduard von Hartmanns am Ende des dritten Kapitels. Auch bei Steiners abschließender Bemerkung zu diesen Einwänden lassen sich die Linien zur Schrift von 1917 ziehen. Einige, wenn auch relativ kurze Betrachtungen um die Bedeutung der Logik waren dort vorangegangen. Der nicht unwichtigste bezieht sich auf den gemeinsamen Treff­punkt von Anthropologie und Anthroposophie im Bereich der Logik, und wird (S. 30 ff) näher gekennzeichnet: "Die Anthropologie er­forscht die Reiche der Sinneswelt. Sie gelangt auf ihrem Wege fortschreitend ebenfalls bis zum Men­schen. Es stellt sich ihr derselbe dar, wie er die Tat­sachen der Sinnes­welt in seiner Leibesorga­nisation so zusammenfaßt, daß aus dieser Zusam­menfassung das Be­wußtsein ent­springt, durch welches die äußere Wirklich­keit in Vorstellungen vergegenwärtigt wird. Die Vorstellun­gen sieht der Anthropologe aus dem menschlichen Or­ganismus entsprin­gen. Indem er dieses beobachtet, muß er in einem gewissen Sinne Halt machen. Einen in­neren gesetzmä­ßigen Zu­sammenhang des Vorstellens kann er nicht mit der bloßen Anthro­pologie er­fassen. Wie die Anthro­posophie am Ende ihres in geistigen Erfahrungen verlaufen­den Weges noch hinblickt auf das geistige Wesen des Menschen, insofern dieses durch die Wahrnehmun­gen der Sinne sich offenbart, so muß die Anthropologie, wenn sie am Ende ihres im Sinnesge­biete verlau­fenden Weges ist, hinblicken nach der Art, wie sich der Sinnesmensch vorstel­lend an den Sin­neswahrnehmungen betätigt. Und in­dem sie dieses beobachtet, findet sie diese Be­tätigung nicht von den Gesetzen des Leibeslebens, sondern von den Denkgesetzen der Logik ge­tragen. Die Logik aber ist kein Gebiet, das auf dieselbe Art betreten werden kann, wie die an­deren Gebiete der Anthropologie. In dem von Logik beherrschten Denken walten Gesetze, die nicht mehr als diejenigen der Leibesorganisation zu kennzeichnen sind. Indem sich der Mensch in ihnen betätigt, offenbart sich in ihm dasselbe Wesen, welches die Anthro­posophie am En­de ih­res Weges angetroffen hat. Nur sieht der Anthropo­loge dieses Wesen so, wie es von der Sin­nesseite her be­leuchtet ist. Er sieht die abgelähmten Vorstellun­gen und gibt, indem er eine Lo­gik zugesteht, auch das zu, daß in den Vorstellungen Gesetze aus einer Welt walten, die sich mit der sinnlichen wohl zur Einheit zusammenschließt, je­doch mit ihr nicht zusam­menfällt. In dem von dem logi­schen Wesen getragenen Vorstellungsleben offen­bart sich dem Anthropolo­gen der in die Geisteswelt hineinragende Sinnesmensch. Die Anthro­pologie kommt auf die­sem We­ge zu einer Philosophie über den Menschen, als einem letz­ten Ergebnis­se ihrer For­schungen. Was auf ihrem Wege vorher liegt, befindet sich rein im Sinnes­gebiete."

Was in den abgelähmten Vorstellungen «waltet», stammt nicht aus dem Leibesleben. Auch hier gilt, wenn auch nicht explizit ausgesprochen, «Man kann nicht zu etwas kommen was das Den­ken bewirkt, wenn man den Bereich des Denkens verläßt.» Denn auf die­ses Waltende im erken­nenden logischen Denken ist das physikalistische Kausalitätsprinzip nicht anwendbar, es sei denn, man schafft damit jedes Erkennen ab, wie es auch bei Popper und Eccles betont wird. Was dort waltet ist also ersichtlich unabhängig von den physikalischen / biologischen / chemischen Kräften der materiellen Welt und nimmt seinerseits Einfluß auf die Beschaffenheit und Organisation der letzteren. Das aber, so hatte ich oben bereits angedeutet, spiegelt sich auch in Steiners Erwiderun­gen zu E. von Hartmann, wenn Steiner resümiert: „Die unbefangene Beobachtung ergibt, daß nichts zum Wesen des Denkens gerechnet werden kann, was nicht im Denken selbst gefunden wird. Man kann nicht zu etwas kommen, was das Denken bewirkt, wenn man den Bereich des Denkens verläßt.“ Die Rede ist hier ja nicht von einem x-beliebigen inneren Tun, sondern von einem erkennenden Denken, das sich selbstredend an den Regeln der Logik orientiert. Von dem gilt, dass man es als erkennendes inneres Tun nicht kau­sal äußerlich durch etwas anderes wie die Hirnphysiologie erklären kann. Sondern, wie es im Kapitel IX. dann auch bei der Spurenfrage behandelt wird, das Erwirkende des Denkens kann nur im Denken selbst gefunden werden. Andernfalls bekommt man jene illusionäre Entglei­sung, von der auch Popper und Eccles sprechen.

Beim frühen Stei­ner ist es noch Idealismus, - «die Idee», - mit ihrer inhaltlichen und kraftenden Seite, dem «täti­gen Gedankengehalt der Welt», der in der menschlichen Denktätigkeit wirksam ist, wie es in den Grundlinien am Ende von Kap. 8 (hier S. 46 f) noch hieß, und desgleichen in Goethes Weltanschauung von 1897, S. 69 f. Was später dann unter der elaborierteren anthroposophi­schen Forschung des Denkens zu einer «inneren Willenwirk­samkeit / Bildekräften» wird. (Siehe dazu GA-35, Dornach 1984, S. 269-306, speziell S. 276; 289; S. 291.)

Philosophische und naturwissenschaftliche Befangenheiten und Denkverbote in der empirischen Grundlagenforschung

Nur nebenbei möchte ich hier noch einmal vertiefend und der Übersicht halber anmerken, daß an dieser Stelle auch zwei heftige Streitpunkte der damaligen Jahrhundertwende zusammentra­fen: Das eine war die nach wie vor ausstehende Lösung des Kausalitätsproblems von Kant und Hume. In der Angele­genheit der Beweisbarkeit von Kausalität, so schreibt Nicolai Hartmann unter dem Titel, Die Frage der Beweisbarkeit des Kausalgesetzes, in den Kantstudien Bd. 24 von 1920, S. 61 ff, habe sich seit Kants Zeit kaum etwas getan. Die Tatsache als solche werde einfach hingenom­men. Während gleichzeitig vom kausalen Denken dieser Zeit die Psychologie und die Geistes­wissenschaft ergriffen sei. Also von etwas, für das es seit Kants Zeit keinerlei empirischen Beweis gibt. Denn der Apriorismus Kants ersetze keine empirischen Beweise, so Hartmann. Letzteres haben wir weiter oben von Edith Stein bereits gehört. Und dasselbe mit etwas anderen Worten auch 1886 in Steiners Grundlinien im Kapitel 14.

Ein zweiter Streitpunkt dieser Zeit war der über das Verhältnis von Logik und Psychologie – der «Psychologismusstreit». Der letztendlich um die Frage ging, ob das Logische durch etwas anderes wie Psychologie oder Naturwissenschaft bzw Biologie und Physiologie ursächlich / genetisch erklärt werden könne. Ein besonders prominenter Buchbeitrag dieser Zeit war der von Willy Moog von 1919, mit dem Titel Logik, Psychologie und Psychologismus, Halle / Saale, 1919. Der sich weitläufig mit dieser Frage befasste. Über seine Intentionen damit äußert er sich er in den Kant-Studien Bd. 25, 1920, S. 72 f in einer Selbstanzeige. Ich bringe das hier nur zur Illustration der philosophischen / naturwissenschaftlichen Zeitverhältnisse, von denen wir bereits gesprochen haben. Die sich wiederum in Steiners Grundlegungswerken spiegeln. Und ganz speziell auch in der Schrift Von Seelenrätseln. Wo die Frage der Logik in Verbindung mit dem Gesichtspunkt der Verursachung betrachtet wird. Mit Steiners Resümee von S. 30, dass die Logik nicht mehr so ohne weiteres mit den Mitteln der Anthropologie betreten werden könne. Was so explizit in Steiners Frühschriften ja nicht gesagt wurde, wenn auch implizit.

Die naturwissenschaftlich orientierte Kausalerklärung einerseits und die philosophische Ein­stellung zum Psychologismus führten be­kanntlich zu Übergriffen von beiden Seiten auf die Psychologie und die Erkenntniswissenschaft nebst Kausalerklärung. Im ersteren Falle wurde das Erkennen naturalistisch physikalis­tisch weger­klärt und zu ei­nem Produkt der kausalen Struktur der physikalischen Welt – wovon auch Pop­per und Eccles in ihrer kritischen Betrach­tung spre­chen. Und im anderen wurde mit einem generalisierten Psy­chologismusvorwurf von den Philo­sophen faktisch ein Denkverbot ausgesprochen, dahinge­hend, dass die Erkenntniswiss­enschaft sich aller empirischen Folgerun­gen und Untersuchungen zu enthalten ha­be. Von dieser anti­psychologistischen Übergriffigkeit der Philosophen spricht Volkelt in sei­nem Buch von 1918, S. 38 f wenn er auf die allgegenwär­tige Ängstlichkeit von philosophi­schen Nachwuchschrifts­tellern hinweist, ja nicht dem Ver­dacht des Psychologismus ausgesetzt zu werden. Auf S. 58 f spricht er explizit gar von «Denkverboten», an die zu halten er nicht die Absicht habe. Auch Franz Brentano beklagt sich bereits etliche Jahre zuvor, 1911, über diese Übergrif­figkeit im Kapitel Vom Psychologismus. Wir haben es hier also mit Übergriffen und «Denkverb­oten» von zwei Seiten zu tun. Einmal von den Natur­wissenschaftlern auf die Psycho­logie, die in der Folge auch die introspektive Psychologie ver­warf und beispielsweise gegen die Black-Box-Psychologie des Behaviourismus eintauschte. Ohne jede Aussicht, da­mit jemals das Seelen- und Geistesleben des Menschen erklären bzw. erkennen zu können. Die philosophische Übergriffigkeit auf die Psychologie wiederum bewirk­te ihrerseits letztlich das­selbe wie der Physikalismus von anderer Seite. Indem sie mit ihren an­ti-psychologistisch be­waffneten Denkverboten dasselbe Resultat erzielte, und eine empirische Aufklärung über das menschliche Erkenntnis-, Seelen- und Geistesleben definitiv verhinderte. Dazu auch noch die Lösung des Kausalitätsproblems im Seelenleben des Menschen, weil diese Lösung damit als «psychologistisch» etikettiert ebenfalls dem Denkverbot der Philosophen anheim fiel.

Man muß sich zu letzterem nur ausgewiesene Philosophen aus dem anthroposophischen Um­feld wie Hartmut Traub und andere anschauen, die mit derart die Aufklärung verhindernder philosophischer Geisteshaltung kom­plett im Nebel stochern, wenn es um das Grundlegungs­werk Rudolf Steiners geht. Steiners Su­che nach den wirkenden Kräften der Natur im Men­scheninneren, wie er das im zweiten Kapitel der Philosophie der Freiheit in Anlehnung an Goethes Essay «Die Natur» projektierte, liegt solchen antipsychologistisch motivierten Philo­sophen völlig fern. Niemand muß sich daher da­rüber das Hirn zermartern, wenn solche Philo­sophen in Steiners Frühwerk wie Traub und Mitstreiter nur hohle Nüsse ernten. Das liegt auf der Hand, da sie ja gar nicht wissen, wovon Steiner redet. Deswegen werden Sie auch bei Ra­vagli / Röschert oder Sijmons etc nichts der­gleichen in ihren Publikationen finden, was Steiners Anliegen um die empirische Klärung der naturwissenschaftlichen Grundlagen der Kausalität erklären könnte. Das gilt für einen wirklich sehr großen Teil jener «anthroposophis­chen» Anhänger Steiners, die sich mit der Philoso­phie der Freiheit befassen und dazu publizie­ren oder sich öffentlich darüber austauschen, gleicher­maßen. Zumal, wenn sie in vielen Fällen Steiners Anthroposophie auch noch voraussetzen und damit die ganze Begründungslogik von Steiners Frühwerk auf den Kopf stellen.

Nun kann man die Tatsache, daß sich die Logik weder physikalistisch noch psychologistisch ursächlich / genetisch erklären läßt, schlechterdings nicht zur Wunderwaffe gegen jede psycho­logische Untersuchungen des Denkens und Erkennens erklären, wie es damals und in Teilen auch heute noch der Fall ist. Wie ich es wie gesagt selbst auch zur Genüge bei den Anthropo­sophen erfahren habe. Denn man kann als Denkpsychologe ohne weiteres de­skriptive Untersu­chungen zum logischen Denken anstellen, ohne die Logik wegzuerklären. Wie es nicht nur bei Steiner, sondern auch in der Würz­burger Schule Külpes der Fall war. Nie­mand versuchte dort die Lo­gik in analoger Weise wie der Materialismus mit psychologischen Mitteln auszuhebeln, wenn er der Frage nachging, was man beim Denken erlebt, oder wie sich ein psy­chologisch / empirisch fundierter Begriff des Denkens entwickeln läßt, dessen empiri­sche Grundlage die Erfahrungen des Denkens sind. Man erklärt damit das Denken nicht ursächlich durch etwas anderes, sondern beschreibt lediglich, wie es sich darlebt im menschlichen Seelenleben.

Angesichts des letzteren möchte ich noch auf eine interessante Parallele zwischen Karl Bühlers Untersuchung und den Vortragsbemerkung Steiners aus GA-78 aufmerksam machen. Bühler spricht nämlich eingangs seiner Untersuchung auf S. 301 davon, dass der assoziative Verlauf der Vorstellungen und und die reine Denkfolge zwei Grenzzustände unserer wirklichen Erlebnisse darstellen könnten: „Man kann sich ja auch sehr gut denken, daß der Assoziations­verlauf der Vorstellungen und die reine Denkfolge zwei Grenzfälle unserer wirklichen Erleb­nisse darstellen.“ Das schreibt Bühler dort, ohne die Qualität dieser Grenzzustände empirisch näher zu kennzeichnen, was aber prinzipiell möglich ist. Denn man muß im Prinzip ja nur sich selbst oder einer Versuchsperson eine Denkaufgabe stellen. Einmal mit der Aufforderung ver­sehen, sie ernsthaft denkend zu lösen. Und ein anderes mal mit der Aufforderung versehen, sich um die Klärung nicht zu bemühen, sondern sich ganz passiv lediglich dem unwillkürlich sich einstel­lenden Vor­stellungsverlauf zu überlassen, ohne aktiv in dieses Vorstellunsgesche­hen einzugrei­fen. Und dann abzuwarten, ob eine vernünftige Antwort auf die experimentell ge­stellte Frage sich ganz von allein einstellt, indem sich die passenden Vorstellungen quasi ganz von selbst zu­sammenballen. Oder ob letzteres nicht der Fall ist. Das alles, - die von Bühler ge­meinten Grenzzustände, - läßt sich in­trospektiv untersuchen, und fand ja auch in erheblichem Umfang bei Bühler im weiteren Verlauf statt, indem er den von seinen Versuchspersonen be­richteten Denkprozessen nachging.

Das will ich jetzt nicht näher beleuchten, sondern nur darauf hinweisen, dass Steiner, etwas aus­führlicher als Bühler an der erwähnten Stelle, analoge Beobachtungen in GA-78, S. 33 ff zu den «Grenzzuständen» vorträgt, indem er über die Grade der Wachheit des Bewußtseins spricht. Bzw. über den Unterschied zwischen dem Denken und dem bloßen passiven Wahrnehmen. Wo­bei er vor allem auf den Grad der Wachheit des Be­wußtseins zielt und auf den Unterschied von Schlafen und Wachen. Das beginnt dort auf S. 32 ausgehend von der Frage, «Was beim Erkennen eigentlich geschieht?» Und ob der Mensch mit seinem Erkennen «nur ein Eckensteher des Weltgeschehens sei, oder selbst zum Weltgeschehen dazu gehört?»

Ein mit der Philosophie der Freiheit vetrauter Leser, wird sich jetzt wahrscheinlich an das zweite Kapitel der Philosophie der Freiheit erinnern, und an Steiners Suche nach den «wirken­den Kräften der Natur im Menscheninneren». Was im zweiten Kapitel bezeichnenderweise in Anlehnung an Goethes Essay «Die Natur» geschieht, den Sie mitsamt Steiners Kommentierun­gen hier im Original der Kürschnerausgabe von 1887, S. 5 ff studieren können.

Laut Goethes Sicht in diesem Essay gibt es keine «Eckensteher des Weltgeschehens», denn die «Natur» ist überall und ihre Kräfte wirken fortwährend und in allem. Auch im Inneren des Menschen. Laut Steiners Kommentar von S. 6 dort, kommt es darauf an, nach den wirkenden Kräften zu suchen: Sinnenfällig wahrnehmbar sind nur die Geschöpfe der Natur, nicht ihre schaffende Kraft. Die letztere (die Mut­ter) wird uns erst in der Wissenschaft ver­mittelt, wenn wir uns von der Natur als einer Mannichfaltigkeit von Produkten zu ihr als der Produzentin er­heben. Wir müssen von den gegebenen Dingen zu den Kräften der Natur vor­schreiten, von der Wirkung zu dem Wirkenden.“ (Goethes Naturwissenschaftliche Schriften, herausgegeben von Rudolf Steiner, Bd. 34, Berlin und Stuttgart 1887, S. 6)

Sie werden auf Anhieb die Verbindung schlagen können von diesem Essay Goethes zu Steiners Vor­tragsbemerkungen zur Frage «Eckensteher des Weltgeschehens beim Erkennen oder nicht?» Entsprechend dem Goetheschen Essay gibt es nämlich keine «Eckensteher des Weltgeschehens», weil der Mensch aus diesem Weltgeschehen der «Natur» nie herauskommt. Maßgeblich sei es daher, zu den wirken­den Kräften der Natur vorzudringen, so wie Steiner das kommentiert. - Ein Projekt, das nach­folgend von Steiner dann in der Philosophie der Freiheit und den restli­chen Frühschriften bis in die Anthroposophie auch umgesetzt worden ist. Darauf weist er in diesen Vortragsausführungen von GA-78 mit abschließendem Blick (S. 42 f) auf die erlebte Aktivität des Denkens in der Philosophie der Freiheit, auf Johannes Volkelt und Richard Wahle hin.

Das erstreckt sich in GA-78 über annähernd 10 Seiten mit immer anderen As­pekten der Betrachtung, und mündet schließlich in der Gegenüberstellung zu Volkelt und Ri­chard Wahle, die sich vor allem mit der Frage der reinen Wahrnehmung befaßt hätten, aber nicht mit der gleichen Aufmerksamkeit die Aktivität des Denkens betrachteten. Anschließend resümiert Steiner: „ … ich kann es verstehen, wie solche Denker dann, weil sie sich ganz einle­ben in das Wahrnehmen, nicht dazu kommen, sich auch einleben zu können in die aktive We­senheit des Denkens, sich nicht aufschwingen können dazu, anzuerkennen, daß wir, indem wir die Aktivi­tät des Denkens erleben, in einer Tätigkeit ganz drinnenstehen, und weil wir ganz drinnenste­hen, sie mit unserem Bewußtsein völlig verbinden können. Ich kann mir gut vorstel­len, wie un­begreiflich es solchen Denkern ist, wenn man ihnen aus dem vollen Erleben dieser Aktivität des Denkens die Worte entgegnet: Im Denken haben wir das Weltgeschehen selber an einem Zipfel erfaßt! - , wie ich es in meiner «Philosophie der Freiheit» ausgesprochen habe.“ -

Ich will hier nicht näher darauf eingehen, dass der späte Volkelt von 1918 schon sehr anders darüber gedacht hat als der frühe der 1870er und 80er Jahre, auf den Steiner sich hier bezieht. Auf Volkelts erheblichen Wandel und der (S. 141 ff) «geradezu entscheidenden» anders gear­teten Einschätzung der inneren Erlebnisse hinsichtlich der Kausalität, Ethik und Metaphysik haben wir schon mehrfach hingewiesen. Ich will jetzt nur auf die Analogie zu Bühlers Bemer­kung verweisen, der ebenfalls von solchen Grenzfällen des Bewußtseins spricht. Grenz­fälle, die Steiner im Vortrag durch Ausdrücke wie «Wachen» und «Schlafen» näher kennzeich­net. Wiederum in der Zweitauflage der Philosophie der Freiheit im dritten Kapitel (hier S. 35) auch durch entsprechende Hinweise auf die «Gedankenbilder, die traumhaft wie vage Eingebungen sein können. Aber kein Denken sind».

Laut Steiner, und das ließe sich auch mit einer arbeitsteiligen Studie nach der Art Bühlers nachzeichnen, hat die erlebte Aktivität des Denkens vor allem etwas mit dem Wachheitsgrad des Bewußtseins zu tun. Das ist Steiners Auffassung dazu, die sich aus den Vorträgen und aus der Philosophie der Freiheit entnehmen lässt. Woran der Leser sicherlich erkennen wird, wie nahe Steiner auch den Forschungsansät­zen der damaligen introspektiven Psychologie des Denkens war. Wiederum wird er daran sehen, dass natürlich eine klare Trennung zu ziehen ist zwischen «Gedankenbildern, die traumhaft sein können wie vage Eingebungen, und der in voller Wachheit erlebten Aktivität des Denkens.» Zumal dann muß diese Unterscheidung getroffen werden, bei Anbetracht von Steiners Schlußbemerkung zu Eduard von Hartmann: «Man kann nicht zu etwas kommen was das Denken bewirkt, wenn man den Bereich des Denkens verläßt». Das gilt nämlich nur für die in Wachheit erlebte Aktivität des Denkens. Für traumhaft vage Eingebungen gilt das begreiflicherweise nicht, wo die Aktivität des Denkens gar nicht erst erlebt wird.

Erlebte Aktivität des Denkens und Steiners «erste Nebenübung»

Auf der anderen Seite wird das dem Leser vielleicht auch etwas erhellen, warum Steiner beim anthroposophischen Schulungsweg so außerordentlichen Wert legt auf die erlebte Aktivität des Denkens bei den sogenannten «Nebenübungen». Das hat nicht wenig mit dem «erlebten Weltgeschehen» der Philosophie der Freiheit zu tun. Wobei Steiner bei der Nebenübung des Denkens sehr großen Wert darauf legte, dass die Gedanken den Denker nicht fortreißen, son­dern möglichst fern von seinem Interesse liegen sollten, damit er sich auch gehörig anstrengt und zu einem «freien» Erleben dieser Aktivität kommt, das nicht vom Gedankeninhalt getrieben und fortgerissen wird.

Siehe zu dieser Neben- oder Grundübung des Denkens Steiner etwa in GA-78 S. 169 ff: „Man kann ja eine Stecknadel oder einen Bleistift benützen; denn es ist ganz gleichgültig, an was man denkt. Nicht darauf kommt es an, dass man durch das Gedachte gefesselt wird, sondern darauf, dass in innerer Freiheit festgehalten wird das Denken durch fünf Minuten, daß das Den­ken versetzt wird in die Sphäre der freien Tätigkeit. Man ist nicht gewohnt im gewöhnlichen Leben, in dieser Art das Denken in der Sphäre der freien Tätigkeit zu halten. Wenn man das Denken an einen Gegenstand wendet, so will man von dem Gegenstand gefesselt sein; man denkt so lange daran, als einen der Gegenstand fesselt. Dadurch kommt man niemals in die Geistesforschung hinein, im Gegenteil, man kommt immer mehr von übersinnlicher Forschung und Anschauung dadurch ab. … Das ist es, worauf es ankommt: daß einen der Gegenstand nicht fesselt, daß man einen Gegenstand nimmt, der einen nicht fesselt, und daß man aus inne­rer freier Kraft das Bewußtsein auf dem Gegenstand durch fünf Minuten festhält.“ - Das und mehr sagt Steiner in Anbetracht eines namhaften kritischen Zeitgenossen, der ihm angesichts solcher Denkübungen «Weltfremdheit» vorgeworfen hatte.

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Steiners Kritiker Christoph Schrempf, Theologe und Philosoph, schrieb mit einiger Kenntnis von Goethe, Les­sing, Sokrates und Nietzsche dies 1921 in der Zeitschrift Die Tat, Heft 6, September 1921, S. 409-421 in einem längeren und le­senswerten Beitrag, der sein Unverständnis der An­throposophie und ihrer philosophischen / me­thodischen Voraussetzungen zum Gegenstand hatte. Auf S. 417 geht es um die von Steiner er­wähnte Gedanken­übung, von der Schrempf u. a. schrieb: „Ich würde mich im wirklichen Verlauf meines Lebens schämen, fünf Mi­nuten für nichts und wieder nichts nur an eine Stecknadel gedacht zu haben; und ich sehe nicht ein, wozu ich im wirklichen Verlauf meines Lebens jemals die Fähigk­eit brauchen sollte, streng bei einem Gegenstand zu blei­ben, der mich nicht in­teressiert: da über­lasse ich diese Fähigkeit doch lieber Menschen, denen nichts in ihrem wirkli­chen, menschli­chen Leben so viel ernstes Interesse einflößt, daß es sie fünf Minuten festhält. Ich kann mich also nicht entschließen, diese Denkübung vorzu­nehmen, in der ich es (wie ich mich kenne) doch nicht zur Virtuosität bringen wür­de.“ - Interessanterweise stellt Schrempf, - an die Reinkarnation glaubend und von Stei­ner nur die Geheimwissenschaft im Umriss kennend, - auf S. 414 die Fra­ge, ob er von Steiner etwas lernen kann. Und schließt dann auf S. 421 seine langen kritischen Ausfüh­rungen mit dem Wunsch ab, Steiner möge ihn doch seine Hellsichtig­keit lehren, denn bis jetzt habe er noch keinen Lebenden ge­funden, der dazu in der Lage war. - Mit dem betreffenden Verfasser setzt Steiner sich seinerseits nur kurze Zeit später in GA-78 am 5. Sep­tember 21 in dem Vortrag von Seite 169 – 174 auseinander, so wichtig war ihm dessen Stellungnahme, da sie, wie er andeutet, auch ex­emplarisch war für das Unverständnis gegenüber der Anthroposophie. (Siehe zu dieser Denkübung und die «Nebenübung» des Denkens ausführlich auch hier, im Exkurs S. 839 ff)

Besonders zu erwähnen ist, daß die von Eugen Diederichs herausgegebene Zeitschrift Die Tat, in der Schrempfs Kritik erschien, ne­ben allen an­deren gesellschaftlichen Kräften auch der Anthroposophie einigen Raum gab, um ihr Anliegen vor­zubringen. Und sie auch kritisch hinterfragen zu lassen. Im Heft 12, 20 / 21 S. 801 ff etwa durch einen längeren kritischen Aufsatz von J. W. Hauer Über die Anthroposophie als Weg zum Geist. Der dort S. 813 nach dem «leibfreien Denken» fragt. Und nachfolgend S. 814 ff danach, was «Hellsehen» für Steiner und die Anthroposophie eigentlich sei. Ebendort nach­folgend die Anthroposophie vertreten S. 824 ff durch Walter Johannes Stein mit dem Thema Anthroposophie als Monismus und als Theo­sophie. Richard See­bohm folgte ebd. auf S. 832 ff über Steiners Dreigliederung, und weite­re mit anthroposophis­chen Themen. So daß ein erheblicher Teil dieses Heftes von 1921 / 22 aus affirmativem oder kritischem Blickwinkel der Anthrop­osophie und ihren verschiedenen Aspekten gewidmet war. Mehrfach kam auch Friedrich Rit­telmeyer über reli­giöse Erneue­rung zu Wort, der dort schon im Heft 9, 1917 / 18 S. 264 über die religiö­sen Aufgaben der Zukunft geschrieben hatte. Siehe Rittelmeyer auch 1921 / 22, S. 445 ff zur religiösen Erneuerung. Im Heft 1919 / 20 Teil 2 wiederum stritt man um Stei­ners Dreigliederung. Was alles hier nur höchst unvollständig, unsystema­tisch und exempla­risch genannt wird. Eigentlich auch schon ein Forschungsthema für sich ist, mit den Kontroversen um die Anthroposophie und Steiners klärende Vorträge dieser Zeit, die sowohl an seine Anhänger, wie auch an seine Gegner und die interessierte Öffentlichkeit gerichtet waren. - Die Zeitschrift Diederichs war ein Ort des kontro­versen öffentlichen Austausches in dieser Zeit des Umbruchs. So daß man ohne weiteres davon ausge­hen kann, dass auch Steiner davon recht gut unterrich­tet war, was dort für oder gegen die An­throposophie und ihre ge­sellschaftwirksamen und geistigen Bestrebungen geschrie­ben wurde. Chris­toph Schrempf war nur eine dieser zahlreichen Stimmen, die sich auch kritisch in die­ser Zeitschrift zur Anthroposophie äußerten.

Man braucht sich nur manches Abwegige vor Augen halten, was auch Steiners eigene Anhänger in der Zeit­schrift Die Tat sei­nerzeit verbreiteten, - etwa der sehr junge und 1918 mit dem Dissertationstitel Historisch-kri­tische Bei­träge zur Entwicklung der neueren Philosophie promovierte Walter Johannes Stein 1921 in seinem Aufsatz über die Anthroposophie als Mo­nismus und als Theosophie ab S. 826 bezüg­lich der Freiheit des Men­schen: So gesehen war das von Eugen Dieder­ichs herausgegeben Magazin für Steiner nicht nur ein Spiegel des­sen, was seine Kritiker von ihm und seiner Weltanschauung hiel­ten und daran mißverstanden. Sondern ebenso ein Spiegel des­sen, was seine eigenen An­hänger davon verstanden oder auch nicht verstanden, und darüber öf­fentlich auch an Fehler­haftem mitteilten. So daß vielerlei von dem, was Stei­ner in den Vorträ­gen von GA-78 in den Wochen zwischen August und Septem­ber 1921 in Stuttgart dann über seine Grundlagen erläu­terte, auch eine Hilfestellung und Korrektur zu dem darstell­te, was sie etwa in dieser Zeitschrift Die­derichs und anderem publi­zierten. Das sehr zurückhaltend, ohne die ei­genen Leute öffentlich bloßzustel­len, in­dem er auch sie natür­lich in den Vorträgen nicht beim Na­men nannte. - Hier die 1921 erweiterte / überarbeitete Fassung der Disser­tation von Walter Jo­hannes Stein, die bemerkenswerterweise mit Reflexionen zu Goethes Essay «Die Natur» be­ginnt. Damit auch mitten ins Schwarze getroffen hätte, wenn ihm damals bereits deutlicher gewesen wäre, wie Steiner dieses Konzept anhand der Beobach­tung des erkennenden / intuitiven Denkens für seine eigene For­schung über die wirkenden Naturkräfte im Men­scheninneren umsetzt.

Daß Steiner in grundlegenden Fragen auch seinen eigenen Anhängern in den Stuttgarter Vorträgen von 1921 / GA-78 unter die Arme greifen wollte, gilt ganz besonders von Steiners eindringlichem Hinweis in GA-78, S. 42 auf das «volle Erleben der Aktivi­tät des Denkens» in der Philosophie der Freiheit. Was ja die empirische Schlüs­selstelle für das Ver­ständnis sei­ner Er­kenntniswissenschaft und nachfolgenden Anthroposo­phie darstellt. Und nicht minder die em­pirische Grundlage und Schlüsselstelle zu Steiners Freiheitsverständnis. Dieser klärende Hinweis Steiners war neben der Bemer­kung von S. 42 zu den «Schwierigkeiten, die Aktivität des Denkens rein philoso­phisch anzuer­kennen», ganz si­cher auch eine damalige Klarstellungs-Reaktion auf das Unverstandene, das nicht nur seine Kritiker, sondern eben auch die eige­nen Anhänger Steiners zum The­ma «Beobachtung des Denkens» und «erlebte Aktivität des Den­kens» in die Welt setzten. Die eigenen Leute gaben ihm schon Anlass ge­nug, von solchen Schwierigkeiten zu sprechen. Seit dem frühen 20. Jahrhundert, - bis in die Gegenwart vor al­lem dann nach 1948 un­ter dem Ein­fluß Witzenmanns. Das hat sich seit den Zeiten Walter Jo­hannes Steins also nicht wesentlich verän­dert, der in seiner überarbeiteten Dissertation (S. 20 ff) trotz aller vor­angehenden per­sönlichen Hilfestellung durch Steiner, bereits mit der Beobachtung des Denkens nichts ver­ständnisvoll zu ver­binden wußte, und die Un­terscheidung zwischen dem erlebten gegenwärtigen, tätigen Den­ken und seiner nach­träglichen Beobachtung nicht zu treffen vermochte, die ja ebenfalls ein erlebtes tätiges Denken ist. Meiner auf dieser Webseite inzwi­schen seit mehr als 10 Jahren vorliegenden Studie zu Walter Johannes Stein ist in dieser Frage kaum etwas hinzuzufügen. (Übrigens konnte auch sein späterer Herausgeber Thomas Meyer diese Unter­scheidung zwischen reiner Erfahrung und Beobachtung 1985 noch nicht treffen in Kap. 3, speziell auf S. 122 der Ausgabe von W. J. Stein, / Rudolf Steiner. Dokumentation eines wegweisenden Zusammenwirkens, Dornach 1985. Wie Meyer dort auf S. 122 auch noch die Auffassung vertrat, «die Erfahrung zeige, dass eine rei­ne / be­griffslose Wahrnehmung nicht möglich sei.» Wobei er sich laut Anmerkungsapparat dazu noch auf die damals ver­breitete an­throposophische Sekundärliteratur stützte, die in dieser Frage ihrerseits weitgehend hilflos und ohne Verständ­nis war. Er hatte seinerzeit noch nicht bedacht, daß natürlich je­der Denkpro­zeß in Form einer «reinen Wahr­nehmung / Erfahrung» vorliegt, und erst seine nachträgliche erken­nende Beob­achtung darüber Begriffe und Vorstellungen bildet, wie es ja auch von Steiner in den Frühschriften bereits be­schrieben wird. Wer das Denken beobachtend begreift, der lebt eben nicht nur in Erinnerungen an vergan­genes Denken, son­dern der er­lebt als reine Wahrnehmung / Erfahrung auch sein tätiges aktuelles Den­ken, das die ver­gangenen Erfah­rungen des Denkens tätig betrachtet und be­greift, indem es an die Erfahrungen des Denkens Fragen stellt und als Resultat solcher Reflexionen Begriffe des Denkens bil­det. Das «gegenüberstel­lende Betrach­ten des Denkens im Ausnahmezustand» ist also selbstredend eine aktive Er­kenntnisleistung des Den­kens, die ebenso erlebt wird wie das tätige Denken, wenn es anderen Gegenständen nachgeht. Beide sind wesensgleich, wie Steiner im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit schreibt: „Der beobachtete Gegenstand ist qualitativ derselbe wie die Tätigkeit, die sich auf ihn richtet. Und das ist wieder eine charakteristische Eigentümlichkeit des Denkens. Wenn wir es zum Betrachtungsobjekt machen, sehen wir uns nicht gezwungen, dies mit Hilfe eines Qualitativ-Verschiedenen zu tun, sondern wir können in demselben Element verbleiben.“)

W. J. Stein wiederum ver­mochte trotz seines wirklich verheißungsvollen Einstiegs mit Goethes Essay «Die Na­tur» in seiner Dissertation auch mit Steiners Suche nach den wir­kenden Kräften der Natur im eigenen Inneren nicht viel zu verbinden, die Steiner laut zweitem Kapitel der Philo­sophie der Freiheit formuliert. Wo Steiner das menschliche Erkennen in Anlehnung an Goethes Naturverständ­nis selbst als Naturprozeß begreift, und nach dem Wirken der Natur im eigenen Inneren forscht. Nachfol­gend dann 1897 (hier S. 69 f) mit besonderer Em­phase betont, «das Welt­geschehen bei der Beobachtung des Denkens zu durchschauen». - «Durchschauen» kann man das Weltgeschehen freilich nur, wenn man aufgrund der Erfahrung weiß, was in diesem Weltgesche­hen das Wirkende ist und was das Bewirkte. Eine Fragestellung, die durchgängig in sämtlichen Frühschriften Steiners und im Zusam­menhang mit Beobachtung und Erkenntnis des Denkens das zentrale Thema ist. Inso­fern ist es schon verständlich, wenn Steiner bei all den Verständnisschwierigkeiten seiner eigenen Anhänger in seinem Vortrag die Verhältnisse um das erlebte Denken des drit­ten Kapitels der Philosophie der Freiheit noch einmal energisch ins rechte Licht rückte.

Zwi­schen der reinen Erfahrung des Denkens und seiner erkennenden Beobachtung liegen auch bei W. J. Stein 1921 noch derart viele Ver­ständnislücken, so daß er auch mit der Freiheit des intuitiven Denkens damals völlig überfordert war. Zumal Fragen der menschlichen Freiheit und ih­rer Be­handlung durch Steiner in Steins Disser­tation noch ganz zurück­gestellt waren. Sie wurden darin nicht bearbeitet, so dass er auch mit seiner partiellen Besprechung von Frei­heitsfragen für Diederichs Magazin völli­ges Neuland betrat. Und sich in Diede­richs Zeitschrift ab S. 826 nach akzeptablen einleitenden Ausführungen zum Monismus völlig verständnis­los und wirr über Stei­ners Auf­fassung der Freiheit in den Grundschriften, namentlich der Philosophie der Frei­heit äußerte. Von denen die Phi­losophie der Freiheit 1918 in zweiter Auflage erschienen war, und W. J. Stein eben­falls vorlag und von ihm auf S. 827 auch genannt wird.

Der unverstandene Freiheitsbegriff Steiners bei sei­nen er­kenntniswissenschaftlichen Ele­ven aber ist auch ein unmittelbares Resultat eines unverstande­nen «erkennen­den Denkens» und dessen Be­obachtung. Denn die Frei­heit des Menschen wurzelt laut Steiner nicht in irgend ei­ner esoterischen Schulung, sondern in der Freiheit des erkennenden / intuitiven Denkens, in der die esoterische Entwicklung und Schulung des Menschen laut Steiner ihrerseits begrün­det ist. In der Eigenschaft dieses leibes­unabhängigen, erkennen­den / intuitiven Denkens «sich selbst tragen zu kön­nen», wie Steiner aus­drücklich noch einmal in der Zweitaus­gabe der Philosop­hie der Frei­heit be­tonte (hier Ers­ter Zusatz, S. 179 f). Was eben nach Steiners eigenen Worten nicht nur die eigentliche Grundlage des freien Handelns, sondern auch überhaupt erst die Voraus­setzung für die Ent­wicklung jener hö­heren Schu­lung der Anthroposophie ist, die laut Stei­ner in der Leibesunabhän­gigkeit und Frei­heit des erken­nenden Den­kens wurzelt. Zu freiem Handeln ist eben je­der Mensch insoweit in der Lage, wie er ethischen Intui­tionen zu folgen vermag. Die aber sind mit den nachfolgend­en freien Handlun­gen nicht an das Durchlaufen ei­nes anthroposophischen Schulungs­weges gebunden, son­dern an das reine be­griffliche Denken. Deswegen macht Steiner in dieser Hinsicht auch keine Einschränkungen in der Philosophie der Freiheit, die der Leser laut Vorrede 1918 ja auch durcharbeiten kann / soll, ohne auf die anthropo­sophische For­schung Steiners «hinzu­schielen», wie es ziemlich unzweideutig deutlich hier S. 5 dazu heißt. Insofern ist nicht nur der geschulte An­throposoph zu freien Handlungen in der Lage, sondern jeder, der sich an moralischen Intuitionen im Sinne der Philosophie der Frei­heit zu orien­tieren vermag. Davon ganz unabhängig gilt natürlich, dass der Mensch sich über den Schu­lungsweg von seiner Leiblichkeit in einem viel umfassenderen Sinne unabhängig macht als der Nichtgeschulte. Ob er dann ohne erkenntniswissenschaftliche Aufklärung als Geschulter auch weiß, warum er frei ist, bleibt eine Frage für sich. In aller Regel weiß er das nämlich nicht, weil ihn Steiners Erkenntniswissen­schaft kaum interessiert, die ihm das erst verständlich machen könnte. Wie frei er darüber hinaus dann spä­ter als Geschulter noch in seinen Handlungen ist, dazu gibt Steiner im französischen Kurs von 1922 eine für manchen vielleicht überraschende Auskunft. Solche Handlungen, die ihren Impuls aus dem höheren Erleben des Übersinnlichen haben, sind nämlich nicht mehr frei, wie Steiner in GA- 215 (hier, S. 42 f) ausführt.

Sehen wir uns die Verbindung zwischen Freiheit und erkennendem Denken zunächst einmal aus der Perspekti­ve der Zu­sätze von 1918 näher an: Über den Zusammenhang «Freiheit der Handlung» und «Freiheit des erkenn­enden / intuitiven Den­kens» schreibt Steiner in der Philosophie der Freiheit, (hier S. 179 f): „Dazu war not­wendig, aus dem Gesamtge­biete des menschlichen Handelns die­jenigen Teile auszusondern, denen gegen­über bei unbefan­gener Selbstbe­obachtung von Freiheit gesprochen werden kann. Es sind diejenigen Handlun­gen, die sich als Verwirklichungen ideeller In­tuitionen darstellen. An­dere Handlungen wird kein unbefangenes Be­trachten als freie ansprechen. Aber der Mensch wird eben bei unbefangener Selbstbeobachtung sich für ver­anlagt halten müssen zum Fort­schreiten auf der Bahn nach ethischen Intuitionen und deren Verwirklichung. Die­se unbefangene Beobachtung des ethischen Wesens des Menschen kann aber für sich keine letzte Entschei­dung über die Freiheit bringen. Denn wäre das intuitive Denken selbst aus irgendeiner andern Wesenheit ent­springend, wäre seine Wesenheit nicht eine auf sich selbst ruhende, so erwiese sich das aus dem Ethischen flie­ßende Freiheitsbewußtsein als ein Scheingebilde. Aber der zweite Teil dieses Buches findet seine naturgemäße Stütze in dem ersten. Dieser stellt das intuitive Denken als erlebte innere Geistbetätigung des Menschen hin. Diese Wesenheit des Denkens erle­bend verstehen, kommt aber der Erkenntnis von der Freiheit des intuitiven Denkens gleich. Und weiß man, daß dieses Denken frei ist, dann sieht man auch den Umkreis des Wollens, dem die Freiheit zuzusprechen ist. Den handelnden Menschen wird für frei halten derjenige, welcher dem intuitiven Denkerleben eine in sich ruhende Wesenheit auf Grund der inneren Erfahrung zuschreiben darf. Wer solches nicht vermag, der wird wohl keinen irgendwie unanfecht­baren Weg zur Annahme der Freiheit fin­den können. Die hier geltend gemachte Erfahrung findet im Bewußtsein das intuitive Denken, das nicht bloß im Bewußtsein Wirklichkeit hat.“ - Diese Zusammenhänge werden hier ebenfalls so vollkommen unmißverständ­lich dargelegt, dass man es nicht noch einmal wiederholen muß.

Wiederum mit dem Ausdruck von der «in der in sich ruhenden Wesenheit des Denkens“ verweist Steiner nicht nur an die «allerwichtigste Beobachtung» des sich selbst tragenden Denkens aus dem dritten Kapitel, sondern damit verbunden auch an eine bereits am Schluß des dritten Kapitels er­folgte kritische Stellungnahme ge­gen Eduard von Hart­mann. Die bei Steiner quasi als resümierendes, empiristisches Fazit des dritten Kapitels (hier S. 37) lautet: «Man kann nicht zu etwas kommen was das Denken be­wirkt, wenn man den Be­reich des Denkens verläßt». - Das hat, ganz ohne Übertreibung gesprochen, einen archetypischen erkenntniswissenschaftlichen Charakter. Sowohl für die Freiheitsforschung als auch für die damit ganz zwangsläufig verbundene Kausalitäts­forschung. Und natürlich für die Entwicklung des Schulungsweges, der nach Steiners Auskunft in der leiblichen Unabhängigkeit des erkennenden Denkens wurzelt. (Hier können Sie das letztere noch einmal S. 296 ff nachlesen.) Wer nämlich das Den­ken ursächlich durch etwas anderes Erwir­kendes von außer­halb des Denkens er­klärt, der tätigt damit nicht nur eine (zirkuläre) erkenntniswissenschaftliche Luftbu­chung, sondern der ist da­mit auch völ­lig außer­stande zu einem Begriff des freien Menschenwesens zu gelan­gen. Weil beides empirisch nur im Menschenin­neren zu klären ist. Womit gewissermaßen auch eine Wiederholung des Kapitels 14 der Grundlinien auf den Plan tritt, mit ihren Kausalitätsfragen und dem dort abschließend behandelten Anthropomorphismus des Erkennens. Aber natürlich auch von Kapitel 2 der Philosophie der Freiheit mit seiner Suche nach den wirkenden Kräften der Natur im Menscheninneren.

Die freiheitsphilosophische Konsequenz der kritischen Bemerkung ge­gen Edu­ard von Hartmann aus dem drit­ten Ka­pitel findet dann im späteren Monismuskapitel um «die letzten Fragen» ihre zusammenfassende Beleuchtung. Stei­ner ist an den zitierten Stellen aus Kapitel III und den späteren Zusätzen gegen Ende der Schrift ebenfalls ganz unmißverständl­ich. - Der Leser kennt das inzwischen auch schon. Es ist genau der Punkt, wo sich Steiner in der Ableh­nung einer äußerlichen Kausalerklärung des Erkennens auch mit Popper und Ec­cles berührt. Nun ist die Erkennt­nis des Denkens aber bei Steiner em­pirisch nicht nur an die erlebte Denktätig­keit gebunden. Sondern selbstverständlich auch an die erlebte beobachtende Denktätig­keit. Denn die empiri­sche, erken­nende Begriffsbildung hinsichtlich des Denkens ist ja ebenfalls eine zu erlebende und zu beobach­tende Tätigkeit des Denkens. Sie läßt sich selbstredend empi­risch erfahren und beobach­ten. Übrigens auch im denkpsychologischen Labor ziemlich unkompliziert. Das schließt nicht aus, dass sich innerhalb dieser erken­nenden Tätigkeit noch sehr viel mehr beobachten läßt, was erst dem speziell geschulten Bewußtsein zugäng­lich ist, wie es dann bei den esoterischen Arbeiten des späteren Steiner behandelt wird. Aber wenn überhaupt, dann eben nur dort. Doch schon das geht verloren, wenn bereits der Einstieg über die erlebte Denktätigkeit verfehlt wird, indem man die Tätigkeit des Denkens zu etwas aktuell nicht Erfahrbarem macht.

Sie sehen vielleicht, wo hier der Pferdefuß liegt, lieber Leser? - Wer nämlich die Unbeobachtbarkeit des gegen­wärtigen Denkens mit seiner Nichterfahrbarkeit verwechselt, wie Witzenmann nicht nur in seiner Strukturphän­omenologie und in anderen Abhandlungen, und wahrlich nicht nur Witzenmann allein, der ist da­mit auch vollkommen außerstande einen Weg zum mensch­lichen Freiheitsverständnis zu fin­den, weil er das Denken dann empirisch nicht mehr durch die unmittelbaren Erfahrungen des Denkens ursächlich erklä­ren kann, sondern nur durch irgend etwas anderes von außen. Er kann die Frage nach dem «Ursprung» bzw. nach dem «Erwirkenden des Denkens» nicht mehr beantworten, sondern muß dafür nach Ersatzlösungen suchen. Die aber können in diesem Ersatzfall nicht mehr empirischer, sondern nur noch hypothe­tischer Natur sein, wie es Steiner schon Kant im Kapitel 14 der Grundlinien vorgehal­ten hat, wo er ihm und sei­ne Anhängern vorwarf, mit ihren «dogmatischen» Ersatzlösungen für den prekären Kausalzu­sammenhang «an die Sache nie heran zu kommen». So geht es aber auch jedem damit, der, weil er die er­wirkenden Tätigkeit des Denkens nicht zu erleben glaubt, nach einem Verursachungsersatz rein hypothe­tischer Art suchen muß, weil er eben­falls «an die Sache nie herankommt». Seien es erdachte Hypothesen über einen hirnphysiolo­gischen Kausalve­rursacher wie beim Physikalismus, oder durch irgend et­was sonst, wie bei Witzemanns «Erzeu­gungsproblem» mit sei­ner nachfolgenden, von Husserl entlehnten «Schichtologie», die nicht erfahren, son­dern ebenfalls nur ausgedacht, und von außen als Ge­dankenmodell an das Denken und Erkennen herangetra­gen wird. (Siehe dazu auch hier, S. 757 ff, Husserls Schüler Alfred von Sy­bel mit einem heiter-ironischen Ge­dicht über das Erkennt­nisprozedere eines Husserlschen «Schichtologen». Der laut diesem Gedicht bezeichnen­derweise ebenfalls an das We­sen der Sache nie heran kommt, sondern sich fortwährend etwas anderes ausdenken muß, weil die vorange­hende Lö­sung bald darauf nicht mehr gilt. Er kommt also nie an das wirkende Wesen der Sache heran. - Wonach übri­gens beim frühen Husserl bis etwa 1923 auch gar nicht gefragt wurde, wie wir weiter oben, S. 37; S. 77 ff schon ausführlicher berichtet haben. Husserl redete zwar im uneigentlichen Sinne von «Denkakten», schloß aber zugleich jede «Tätigkeit» des Denkens aus. Daß er damit nicht einmal in die Nähe von Steiners «Naturfor­schungsanliegen im Menscheninneren» kommt, wo bei Steiner alles auf der wirklichen Erwirkungstatsache des Denkens aufbaut, liegt auf der Hand. Darin ist diese lyrische Skizze des Herrn von Sybel ebenfalls sehr aussa­gekräftig und bezeichnend.)

Also mit Blick auf das Erken­nen ist so ein «Schichtologe» oder sons­tiger Alternat­iverklärer des Denkens eben um nichts besser gestellt als der Physikalist, wenn er die Frage nach der menschlichen Freiheit oder Unfreiheit beantworten will, aber an die wirkende Sache nie herankommt. Um nichts besser gestellt als der Physikalismus oder in etwas anderer Form der Idealist Eduard von Hart­mann, wenn er glaubt, man könne mit und durch die eigene Tätigkeit das Denken nicht erklä­ren, sondern nur durch etwas an­deres, das der Erfahrung laut Hart­mann nicht einmal zugäng­lich ist. Damit aber, mit so einem nur noch hypothetischen Erklärungssurrogat ir­gend welcher Art ist er zu­gleich auch raus aus dem empiri­schen Erkenntnis-Rennen um die menschliche Freiheit. Denn kausal / ursächlich läßt sich das Denken und Erkennen empirisch und logisch konsistent eben nur durch sich selbst erklären und durch nichts anderes von außerhalb. Die Freiheit aber hängt unverrückbar an der empirischen Selbsterklärungsfähigkeit des Denkens. Am erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem. Steiner macht da keine Kompromisse, sondern geht da ebenfalls so weit, dass er jeden anderen Ansatz dorhin wörtlich ausschließt: „Den handelnden Menschen wird für frei halten derjenige, welcher dem intuitiven Denkerleben eine in sich ruhende Wesenheit auf Grund der inneren Erfahrung zuschreiben darf. Wer solches nicht vermag, der wird wohl keinen irgendwie unanfechtbaren Weg zur Annahme der Freiheit finden können.“ Viel­leicht wird das dem Leser auch einen Hinweis darauf geben, warum Steiner gleich im ersten Kapitel der Philo­sophie der Freiheit nach dem Ursprung des Denkens fragt. Da geht es selbstredend und maß­geblich auch um Verursa­chungsfragen. Was ja dann im zweiten Kapitel mit der Suche nach den wirkenden Kräften der Natur im Menscheninneren seine programmatische Fortsetzung findet. So daß die späte­ren erläuternden Zusätze um die Begründung der Frei­heit im intuitiven Denk-Erleben die Frage nach dem Ur­sprung aus dem ersten Kapitel wieder aufnimmt. Und sehr forciert dahin­gehend beantwortet, dass die Freiheit des Menschen unverrückbar an der empiri­schen Selbsterklärungsmög­lichkeit des menschlichen Denkens verankert ist, indem sie zwecks Verursachungser­kenntnis auf die «Tätig­keit» des Denkens schaut.

Wenn man hier wieder näher hinsieht, dann steht auch bei Steiners Empirismus des Denkens / Freiheitsphiloso­phie / Schulungsweg, an der Spitze aller empirischen Begründungen die Frage: «Was erleben wir, wenn wir denken?» Aus dieser Frage kommt niemand heraus, der die Frage nach der Freiheit des Menschen und nach dem Erwirkenden des Denkens konsistent und empirisch beantworten will. Das wird dem Leser inzwischen vertraut vorkom­men, denn mit dieser Leitfrage be­gann auch Karl Bühler seine Untersuchung über das Denken. Bei Steiner wie­derholt sich das im expliziten Hin­weis des Zitats: „Diese Wesen­heit des Denkens erle­bend verstehen, kommt aber der Erkenntnis von der Freiheit des in­tuitiven Denkens gleich.“ So daß damit auch bei Steiner zwangsläufig die vorab zu klärende Fra­ge im Raum steht: «Was erleben wir, wenn wir den­ken?»

Und was heißt hier «erlebendes Verstehen, bzw. Begreifen»? Steiner hat es ja schon gesagt, mit den Hinweisen darauf, dass einerseits das intuitiv erlebte Denken «eine Wahrnehmung sei, in welchen der Wahrnehmende selbst tätig ist. Und eine Selbstbetätigung, die zugleich wahrgenommen wird.» Ferner in dem Hinweis, dass «al­les sinnlich und geistig an den Menschen Herantretende als Wahrnehmung aufzufassen ist, bevor es vom tä­tig erarbeite­ten Begriff erfaßt ist.» (Hier S. 94) Jedes Begreifen irgend einer Sache ist an eine erlebte Tätigkeit gebunden. Das gilt, wie wir vor­hin neuerlich sahen, natürlich auch für das erlebte tätige Begreifen des Den­kens selbst. - Und daran wiederum ist das Verständnis der menschlichen Freiheit gebunden. Wer das nicht be­rücksichtigt und so eine Frage nach dem Erleben des Denkens nicht stellt, der kann demzufolge auch die Frei­heitsfrage nicht beantwor­ten, die ja bei Stei­ner ausdrücklich an das «erlebende Verstehen» gebunden ist. Wobei im vorliegen­den Fall das «in­tuitive Den­ken» laut Stei­ner eben jenes ist, «durch das eine jegli­che Wahrnehmung in die Wirk­lichkeit erken­nend hinein­gestellt wird», wie es unmittelbar danach im 2. Zusatz von 1918 hieß. Dar­über hinaus ist laut Steiners Auskunft vom intuitiven Denken ausdrücklich schon im ersten Teil der Philosophie der Freiheit die Rede. Damit auch im dritten Kapitel. Was alles zusammen für die systematischen Verhältnisse ausgesprochen klärend ist.

Daran sehen Sie übrigens auch, daß mit Witzenmanns Strukturphänomenologie in Sachen Frei­heitsverständnis kein Blumentopf zu gewinnen ist. Denn Witzenmann betont dort ausdrücklich, daß die aktuelle Denktätigkeit nicht erlebt werden kann. So daß von einem «sich selbst tragenden Denken» im Sinne Steiners bei ihm wahrlich nicht die Rede sein kann, weil das Entscheidende, und das ist das Erwirkende, als Erfahrung fortgefallen ist. Damit ist keinerlei ursächliche Erklärung des Denkens mehr möglich, die «an die Sache noch herankäme». Sondern da ist wirklich Schluß mit lustig, wie man so sagt. Was ja Witzenmanns Kernthema ist, das sich seit 1948 durch sämtli­che abwe­gig-einschlägigen Publikatio­nen Witzenmanns zieht, und dann als verfehlter Höhepunkt dieser jahrzehntelangen Entwicklung in Witzenmanns Strukturphänomenologie definitiv auf Grund läuft und zu Bruch geht, ohne damit irgend etwas zum Verständnis Steiners erreichen. Im Gegenteil. Abgesehen von einem Heer von Jüngern, die sich dann an diesen verfehlten Ansatz Witzenmanns dranhängten, anstatt gründlich in Steiners eigene Begründungsschriften zu schauen. - Witzenmann, hät­te er 1921 schon neben W. J. Stein publi­ziert, wäre deswe­gen der allererste Hauptadressat vor allen anderen dortigen Kritikern und Anhän­gern in Diederichs Zeit­schrift gewesen, dem Steiner in GA-78 mit sei­nem Hinweis auf das «volle Erleben der Aktivität des Denkens in der Philosophie der Freiheit» energisch auf die Füße, und, wenn ihm die zerstöreri­schen Folgen bekannt gewe­sen wären, noch viel energischer ins sprichwörtliche Kreuz getre­ten hätte. Zumindest rhetorisch. Weil we­gen derartiger Absurditäten Steiners Bewegung noch heute vor sich hin siecht, weil sie des­wegen, und vor al­lem des­wegen bis heute in ihrem Mainstream nicht erklären kann, wie sie eigentlich zur Freiheit des Handelns, zur Leibfreiheit des Denkens und zum anthroposophischem Schulungsweg kommt, was nach Stei­ners klarer Aus­kunft in dieser freien empirischen Erwirkungs-Tatsache des erkennenden, intuitiven Denkens wurzelt. Diese Tatsache aber ist eine seelisch / geistige. Aufgefunden durch empirische «seelische Beobachtung», die es bei Steiner als Psychologi­sches Erkennen bereits im Kap. 18 der Grundlinien gibt, «wo es der Geist mit sich selbst zu tun hat», wie er das dortige Kapitel 18 einleitend schreibt. Die restlichen Kapitel dort untermauern das auf ihre Weise.

Was Steiner 1917 zwecks Grundlagenforschung im psychologischen Laboratorium will, wie er später in der Schrift Von Seelenrätseln S. 170 f schrieb, dürfte damit einigermaßen überschaubar werden. Die Kernfrage wird eben die nach der erwirkenden Tätigkeit des Denkens sein, die sich auch ohne weiteres unter solchen Laborverh­ältnissen beant­worten läßt. Schon allein deswegen, weil es nur wenige Menschen geben wird, die das Er­wirkende ihrer eigenen Denktätigkeit nicht erleben könnten. Was Steiner ja bereits in Kapitel IV von Wahrheit und Wissen­schaft sehr plakativ zum Ausdruck brachte, mit dem Hinweis auf den Wahnsinnigen, der das auch nicht übersehen könne.

Die Frage nach der erwirkenden Tätigkeit entspricht der programmatischen Frage nach dem «Ursprung des Denkens» aus dem ers­ten Kapitel der Philosophie der Freiheit, sowie nach den wirkenden Kräften der Natur im Menschinneren aus dem zweiten Kapitel. Sie wurde aber auch schon in den Grundlinien behandelt, und dort zumal im Psychologiekapitel 18 mit dem Hinweis versehen, dass «die Psy­chologie die erste Wissenschaft sei, wo es der Geist mit sich selbst zu tun habe». Also ausdrücklich nicht die Philosophie, sondern die Psychologie beschäftigt sich mit dem wirklichen Geist. Wenn Steiner mit der Zweitauflage der Philosophie der Freiheit mit Nachdruck die seelische Beobachtung im Untertitel noch einmal hervorhebt, und 1917 sogar ins psychologi­sche La­bor will, um dort beste Grundlagen zu legen, so ist an dieser Tatsache ja nicht mehr ernstlich zu zwei­feln, dass es ihm wirklich um die Psychologie als erster Wissenschaft geht, «wo es der Geist mit sich selbst zu tun hat», wie es schon 1886 hieß. - Daß an diese Frage auch die nach dem geistigen Wahrnehmungscharakter der Denk­tätigkeit gebunden ist, wird sich ebenso beantworten lassen. Denn dass er seine begrifflichen Zusammenhänge nicht erzeugt, sondern gewissermaßen als objektive Entitäten vorfindet, ist auch nichts, was dem normalen Be­wußtsein vollkommen entlegen wäre. Allen diesen Fragen geht aber die voran nach den Erlebnissen des Den­kens, wie sie Bühler schon gestellt hatte.

Ich erwähne diese Um­stände hier ei­gens auch noch einmal mit Blick auf Jaap Sij­mons und sein ominöses «best­bekanntes Denken». Es wird ja un­ten noch ein wenig dazu fol­gen. Ich will mich hier auch nicht unnötig über Sijmons ereifern, wenn er nicht ge­radezu exemplarisch wäre für die Ver­hältnisse in der erkenntniswissens­chaftlich orientierten anthropo­sophischen Ge­meinschaft. Exempla­risch für die er­kenntniswissenschaftliche Ver­nachlässigung der Psychologie, die bei Stei­ner allerdings als empi­ristische Er­kenntnisorientierung absolut grundlegend ist, bei aller Erkennt­niswissenschaft. Diese Vernachlässi­gung der Psychologie durch Steiners spätere Interpreten aber ist nicht nur ein Pro­blem von Sij­mons, der das Psychologiekapi­tel 18 der Grundlinien eben­so über­geht, wie Steiners kurze Auseinandersetz­ung mit der zeitgenössischen Kau­salitätsproblematik im dortigen Ka­pitel 14. Auch bei Sijmons wird auf der einen Seite nahezu un­entwegt in der Dissertation über die «Tätigkeit» des Denkens gespro­chen. Daß diese erlebte Tätigkeit etwas mit Humes und Kants Kausalitätspro­blem zu tun hat, und Steiner be­reits in den Grundlinien vom «erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Be­wirktem» beim Denken und Er­kennen spricht, was wiederum etwas mit dem Kausalitätsproblem aus dem Kapi­tel 14 empirisch zu tun haben könnte, - es bleibt bei Sijmons ausgeklammert, bei aller pausenlos betonten «Tä­tigkeit» des Denken. Auch Steiners inneres Naturforschungsanliegen aus dem zweiten Kapitel der Philosophie der Freiheit, - die Suche nach den «wirkenden Kräften der Natur im Menscheninneren», - bleibt bei Sijmons wie bei vielen anderen Interpreten komplett ausgeklammert. Die Kant­passage aus dem Kapitel 14 mit den beiden Dogmatismen wird nicht behandelt, obwohl Sijmons auch Kants Prolegomena zum Zeugen aufruft, was ihn eigentlich mit Blick auf die Kausalität eines besseren hätte belehren können. Stattdessen redet er zusammenhanglos über Steiners Anthropomorphis­mus des Erkennens vom Schlußteil dieses Kapitels 14, wo dann die klärende und vor allem entscheidende Ver­bindung zum Kausalitätsproblem mit den beiden Dogmatismen fehlt.

Das scheint mir alles nicht untypisch zu sein. So erklärt eben der permanent und starr eingefrorene Blick an der Psycho­logie vorbei leicht, wie man als anthroposophisch orien­tierter Erkenntniswissenschaftler schließlich auch komplett an jeder Realität vorbei manö­vrieren kann. Und nachfol­gend dann als skurrilem, aber bei dieser extremen Ver­nachlässigunglage «folgerichti­gem» Höhepunkt von Fleiß und Belesenheit auf ein «best be­kanntes Denken» bei Stei­ners Erkenntnis­wissenschaft kommt. Mit dem ebenso bizarren Nachsatz bei Sijmons, „Ohne dass wir das Den­ken kennten, gäbe es ja auch keine Er­kenntnis (kein Denken) über etwas anderes. Wie sollte es nun unbekannt sein? Weil wir es her­vorbringen, ist es uns immer schon bekannt.“ - Man kann nur noch kopf­schüttelnd so ein wirres Resultat sei­nes Flei­ßes zur Kenntnis nehmen, das nicht nur jeder Erfahrung spottet, sondern auch jedem Studium von Steiners Grundschriften. Mit solchen Konklusionen wie bei Sijmons wiederum wird defini­tiv jeder Zugang zum Verständnis von Steiners Freiheits­philosophie ebenso gründlich vernagelt, wie das Ver­ständnis seines Schulungsweges aus der Freiheit des intui­tiv erlebten Denkens.

Andererseits kann man Sij­mons wahrlich kei­ne mangelnde Emsigkeit vorhalten oder mangelnde Be­lesenheit, wenn man allein in seine umfangrei­che Dis­sertation schaut. Das sage ich ganz ohne jede Ironie und ohne jeden Anflug von Zynismus, sondern in voller Anerkennung. Denn das kann man ja wirklich uneingeschränkt würdi­gen. Aber es fällt doch auf, wenn man sich sein illusionäres «bestbe­kanntes Denken» in der Dissertation, S. 328 anschaut, wo ihm schlußendlich der ganze Fleiß nebst Belesenheit nichts zum Verständ­nis genützt hat, es fällt auf, daß er bei Steiner alles ebenso hartnäckig ausdauernd und emsig übergeht, was ganz explizit und sachlich erkenntnistheoret­isch bei Steiner in die Psychologie, in das erlebte Denken, in seine psychologische Beob­achtung und zugleich in die Verursachungsfrage führt. Was alles bei Steiner bereits 1886 in den Grundlinien beginnt, schon in der Anknüpfung an Vol­kelts «immanent psychologische» Erkenntnistheo­rie einschließlich seinem Psychologie­kapitel 18. Steiners Vor­träge dazu will ich gar nicht weiter erwähnen. Ebenso Steiners «erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem im Denken» bereits in den Grundlinien. Daß Steiner in sämtlichen Frühschriften das Denken als psycho­logischen Sachver­halt innerhalb der Erkenntniswissenschaft betrachtet, so wie es bei Volkelt auch schon war, das kann ernstlich niemandem entgehen. Steiners Geist-Suche beginnt selbstredend im eigenen Seelenleben; das ist in allen Frühschriften unübersehbar. So dass die Frage natürlich aufkommt, woher und von welchem ge­nialen «Ratgeber» die Blicklen­kung bei einem so fleißigen Steinerinterpreten wie Sijmons kommt, die ihn bei Steiners Frühwerk stän­dig an der Psycholo­gie vorbei, und da­mit schließlich auch an jeder psychologischen Rea­lität vorbei blicken läßt, obwohl Stei­ner andauernd davon redet? Von der Psychologie im allgemeinen und vom «erlebten Zusammenhang von Wir­kendem und Bewirktem bei Denken». Dies auch in Steiners Goethe­schrift von 1897, die von Sijmons ebenfalls behandelt wird, ohne auf die Tatsache zu achten, daß Steiner dort Erstausgabe S. 67 ff anläßlich der Beobach­tung des Denkens vom «Prozeß» des Denkens und vom «durchschau­ten Weltge­schehen» spricht, und davon, dass dies «die Idee selbst» sei. - Weil so eine Entgleisung wie bei Sij­mons wieder­um exemplarisch ist, fragt es sich natür­lich, wer den Nachwuchswissenschaft­ler Sij­mons auf so eine absurde Fährte gesetzt hat, dass er solchen Un­sinn kreiert, der nicht nur an jeder Er­fahrung, sondern der auch an jeder leicht nachprüfbaren Überzeugung Steiners vorbei geht? Denn auf einen derar­tigen Un­sinn kommt der «aus­sichtsreiche» philosophische Kandidat nicht gänzlich von allein, sondern dazu braucht es «ver­ständige Ratge­ber» und helfende Hände aus dem Inneren der anthroposophischen Bewegung. Zumal braucht es für den aka­demisch und anthroposophischen Karriereweg auf jeden Fall «Seilschaf­ten», die ihn auf so eine wirklichkeits­fremde «akademische» Spur von antipsychologischen und abs­trusen Stei­ner-Interpretationen erst mit Nach­druck set­zen, so dass er sie dann auch noch jahrelang unentwegt und unbeirrt weiterverfolgt. Damit dann auch so zielsi­cher wie mit einem gestörten digitalen Navigationsgerät an Steiners Lösung der Freiheitsfrage vorbeisteuert.

Meinen Leser mache ich auch deswegen noch ein­mal ausdrücklich auf Steiners dahingehende Worte aufmerksam, daß im ganzen ersten Teil der Philosophie der Freiheit vom «intuitiven» Denken die Rede ist. Folglich spricht er auch in ihrem dritten Kapitel von diesem «intuitiv­en erlebten» Denken. Wenn er also in den eben erwähnten Zusätzen von 1918 nachfolgend vom «intuitiv erlebten» Denken sagt, daß es «eine Wahrnehmung sei, in der der Wahrnehmende selbst tätig ist. Und eine Selbstbetä­tigung, die zugleich wahrgenommen wird», dann gilt das gleichermaßen für das dritte Kapitel. Wo man es ja ebenfalls ganz unzweideutig findet. Allein schon in der Wendung vom Schluß des dritten Kapitels: „es kommt darauf an, daß nichts gewollt wird, was, indem es sich vollzieht, vor dem «Ich» nicht restlos als seine eigene, von ihm überschaubare Tätigkeit erscheint.“ Damit allein schon wäre auch sämtlichen Paradoxologen und Verballhor­nern dieses dritten Kapitels in Gestalt von Witzenmann & Co jeder Boden entzo­gen. Hinzu kommt, daß es auch be­reits für die Schrift Wahrheit und Wis­senschaft galt, wo die Gegebenheit des Hervorbringens von reinen Begriffen im Kapitel Vier aus­drücklich und in aller Klarheit eingefordert wird (hier auf S. 37). Also ganz unzweideutig eine denkpsychologische Tatsa­che. Des­gleichen gilt es für die Grund­linien von 1886, was wir hinlänglich alles dargelegt haben. Be­züglich die­ser Sachlage werden in der Philosophie der Freiheit also keinerlei geheim­nisvolle und bis dahin unbe­kannte Neuig­keiten ver­mittelt, son­dern das alles gilt bei Stei­ner schon längst seit mindestens 1886. Er hat, wohl der zahllo­sen Mißver­ständnisse auch bei seinen Anhängern we­gen, das alles nur noch einmal in zusammenfassen­der und erweiterter Form dargelegt, wie er es ähnlich in der Schrift Von See­lenrätseln (hier S. 62) von seinem Frühwerk zum Aus­druck brachte im Kapitel über Max Des­soir. Die Zweitauf­lage der Philosophie der Freiheit be­mühte sich ganz augenfällig und maßgeblich darum, entsprechenden Miß­verständnissen vorzubeugen, und all die Fehlinterpre­tationen auszuräumen, die nicht nur bei seinen Zeitgenossen im allgemeinen ekla­tant geworden waren, sondern ebenso bei seinen eigenen Anhängern. Bis auf den heutigen Tag. Deswegen die ver­schiedenen präzisen Hinweise dort auf die erlebte Tätig­keit des Denkens. Das sogar in ihrem dritten Kapitel, wo es in der Beobachtungsangelegenheit die allermeisten Anlässe für Verwirrung gegeben hatte.

Der Leser wird sich in diesem Zusammenhang vielleicht auch noch an unsere Bemerkungen zu Stei­ners Kritik von Eduard von Hartmann im dritten Kapitel der Philoso­phie der Frei­heit erin­nern. Wonach, - so Steiner, - «es aussichtslos sei nach dem Bewirkenden des Den­kens zu fra­gen, wenn man den Bereich des Denkens verläßt». Das ist natür­lich essentiell für eine erkenntniswis­senschaftliche Grundlegung, die im sich selbst tragenden und erlebten intuiti­ven Denken die Wur­zel der menschlichen Freiheit erkennt. Das ist wiederum eine Sicht, die auch von Popper und Eccles vertreten wurde, wie wir vorangehend dargestellt haben. Bei den beiden letzteren liegt eindeutig der kritische Schwerpunkt auf den Behauptungen des Physikalismus, es gäbe so einen externen / physikalistischen Ver­ursacher des Erkennens. Eine Vermutung, die in ihren Augen vollkommen abwegig ist, und das ganze Erkennt­nisvermögen des Menschen zur Illusion erklärt, mitsamt den physikalistischen Unterstellungen. Letztlich sprechen auch Popper und Eccles damit von einem sich selbst tragenden menschlichen Erkenntnisvermögen / Denken, womit sie Steiner bei den Wurzeln der menschlichen Freiheit im erkennenden Denken ausgesprochen entgegen kommen.

Dies alles lag W. J. Stein 1921, da­mals vor allem der extrem schwierigen Umstände wegen, noch völlig fern. Der Mann hatte schlicht keine Zeit und kaum Gelegenheit dazu, sich unter den verheerenden Kriegs- und Nach­kriegsumständen noch eingehender mit Steiners Frühwerk zu befassen. Zumal er als Lehrer der ersten Waldorf­schule in Stuttgart mit den ihm übertragenen Schulfächern, die er nicht studiert hatte, schon hinreichend aus­gefüllt war. Des weiteren hatte sich W. J. Stein im Rahmen seiner Dissertation vielfach (S. 12- 32) noch beim Antipsy­chologisten Husserl Rat geholt, mit dem wiederum Steiner zeitlebens nichts anfangen konnte. Wohinge­gen Stei­ner bereits 1917 laut der Schrift Von Seelenrätseln ins psychologische Labor wollte, um beste Grundla­gen zu legen. Wohin Hus­serl sei­nerseits niemals wollte, und stattdessen diese Psychologie auch sträflich miß­achtete. So daß die da­malige Psychologie des Den­kens, die sich sehr konkret seit der Jahrhundertwende um das erlebte Den­ken kümmerte, auch W. J. Stein weitestge­hend fremd war und unbeachtet blieb. In­folgedessen wußte er auch mit der erlebten gegenwärtigen Tätigkeit des Den­kens in der Philosophie der Frei­heit nichts zu beginnen. Auch Steiners Labor­wunsch aus der Schrift Von Seelenrät­seln von 1917 schien ihm noch nicht über den Weg gekommen zu sein. Ein einziger Blick in die Untersuchung Karl Büh­lers hätte ihm daher zusätzlich mächtig aufhelfen können. - Ergo: Steiners dringender Hinweis auf die Philoso­phie der Freiheit und das dar­in beschriebe­ne «volle Erleben der Ak­tivität des Denkens» in GA-78, S. 42 kam wahrlich nicht von ungefähr. Weniger vielleicht wegen der Kritiker von außen, sondern wie mir scheint weit, weit mehr wegen der sehr prominenten Missverständnissse in den eigenen Reihen. Weil es die eigenen Anhän­ger sind, die das richtige Verständnis in die Zukunft zu tragen haben, und keine abwegig zerstörerischen und selbsterdachten Theorien wie etwa bei Witzenmann.

Während es bei W. J. Stein vor allem ein Zeitproblem war, ist es heute vorzugsweise ein Interessenprob­lem und gar keins der (schwieri­gen) Verhält­nisse. Die im Gegensatz zu 1914-1921 in den zurückliegenden Jahrzehnten, äußerlich be­trachtet, kaum besser für die Steiner­forschung sein konnten. Wo es vor günstigen Ge­legenheiten dazu förmlich wimmel­te. Es war bei allen günstigen Gelegenheiten ein Interessenproblem, mit der Folge, daß das Verständnis auch heute noch den allermeisten An­hängern Steiners, zu­mal den akademi­schen, und mit Vor­rang den akademischen An­hängern Wit­zenmanns völlig fern liegt. Wer sich letztend­lich mit Witzenm­anns Struk­turphänomenologie im Handgepäck, und im Kopf mit Witzenmanns «Para­doxie der Selbstge­bung», sowie sei­nem «Erzeugungsproblem» und seiner «er­kenntnistheoretischen Grund­frage, wie aus Unbeobachtba­rem Erin­nerungen werden kön­nen?» der Philoso­phie der Freiheit und ihren Freiheitsfra­gen nä­hert, der ist un­endlich weit davon ent­fernt, Steiners Be­gründung der Frei­heit nebst sei­ner Begründung des anthroposophi­schen Schu­lungsweges aus der Freiheit des intuitiven Den­kens zu verste­hen. Wie ich oben schon sagte, führt kein Weg von dort, von Witzenmanns Fehlinterpretationen zu Steiners Freiheits­verständnis. Kein Weg zum Schulungs­weg der Anthro­posophen. Und auch kein Weg zu den Inhalten der anthro­posophischen For­schung Steiners. Heute ist es augenfällig kein Pro­blem der schwieri­gen Verhältnis­se, sondern ein Problem des mangelnden Interess­es, bzw. einer vollkommen gleichgültigen und vielfältig kon­traproduktiven Interessenla­ge, wenn es die akademischen / professoralen Anhänger Witzen­manns neben ande­ren bei allen noch so günsti­gen Gele­genheiten in 40 und mehr Jahren in kei­ner Weise fertig brach­ten, sich auch nur von Fer­ne um die Grundlagen Steiners zu kümmern, so dass sie heute mehr dazu wüssten als Walter Johan­nes Stein. Im Gegen­teil. Sie wissen inzwischen in vielen Fällen ersichtlich noch weit weniger als Stein. Und selbst ein damali­ger Kri­tiker Steiners wie der erwähnte J. W. Hauer verstand bei aller ersichtlichen Unvollstän­digkeit entschie­den mehr von Steiners Frühwerk als ein heutiger desinter­essierter Anhänger Witzen­manns, der ohne Kenntnis von Stei­ners eigenen Grundlagen seine wertvolle Zeit für Hymnen auf Witzenmanns Fehlinter­pretationen und opulente Werke über Witzenmann und dessen Übersetzung in fremde Sprachen ver­brennt, an­statt sich um die origi­nären Erkenntnisfundamente Steiners zu kümmern, von denen er nichts ver­steht. Und of­fensichtlich auch gar nichts mehr verstehen will. Jedenfalls hat man angesichts solcher Gegen­wartsverhältnisse mitunter den Ein­druck, dass manche von Steiners zeitgenössischen intellektuellen Kritikern wie der «grundehr­liche» (Steiner, S. 169) Schrempf oder Hauer, die we­nigstens noch ernsthaft nachfragten, mit ihren durchaus berechtigten Sachfragen Steiner bei aller Kritik ten­dentiell weit näher standen als viele von Steiners heutigen angeblichen «Anhängern», die das alles gar nicht mehr interessiert. Die deswegen auch keine Fragen mehr stel­len, sondern letzteres als windelweiches «Desiderat» für irgendeine ebenso unverbindliche «Zukunft» vor sich her- und von sich weg­schieben, wie wir sahen.

Mit Blick auf die damalige Zeitlage muß man ernsthaft davon aus­gehen, daß Steiner aus drin­gendem Anlaß in GA-78 versuch­te, über grundlegende, aber gründlich missverstandene Inhalte seiner (Früh)-Schriften Klar­heit zu ver­schaffen, die ihm in sol­chen Magazinen wie Die Tat seitens seiner Ge­folgsleute ebenso entgegentraten wie die Verständnislosig­keit sei­ner ausdrüklichen Kritiker / Gegner. Wenn also Christoph Schrempf von Stei­ner händeringend das «Hellsehen» lernen wollte, wie er in der Zeitschrift Die Tat S. 421 schrieb, dann hätte er sich beispielsweise zusammen mit seinem Mitstreiter Hauer, der dasselbe Verständnisproblem hatte, an Stei­ners Rechtferti­gungsvortrag in GA-255b vom 21. Mai 1921 halten können, wo Steiner diese Zusammen­hänge um das «Hellse­hen», das begriffliche reine Denken, die Leibfreiheit dieses Denkens und den anthroposophi­schen Schulungs­weg im öffentlichen Vortrag annähernd zeitgleich darlegte. Dann hätten Schrempf und Hauer sich an solchen Aus­führungen und Steiners Früh­schriften orientieren können, denn daran wäre ihnen begreiflicher geworden, daß sie es im Prin­zip und in elementarer Weise längst können. Was frei­lich nicht nur für Christoph Schrempf & Kol­legen galt, sondern gleichermaß­en für die damaligen und heutigen An­hänger Stei­ners. Wie gesagt formulierte der kenntnisreiche Kritiker Steiners, J. W. Hauer, seinerzeit dasselbe Verständnisproblem wie Schrempf, wenn er W. J. Stein vorangehend, in diesem Magazin auf S. 813 nach dem «leibfreien Denken» fragte, und nachfol­gend S. 814 ff «was Hellsehen für Steiner eigentlich sei?» Für Hauer zu­mindest hätte man deswegen zusätzlich die Emp­fehlung aussprechen können, einmal in Steiners Schrift Wahrheit und Wissenschaft zu schau­en, eine Schrift, die er nämlich laut eigener Aussage kannte. Und sich dort im vierten Kapitel hier S. 37 den von Steiner für das reine Denken / Hellsehen verwendeten Ausdruck «intellektuelle Anschauung» vor Augen zu führen. Da­bei hätte ihm sehr vieles klarer wer­den können, was dieses Hellsehen / intellektuelle Anschauung betrifft, wo­von Steiner seit sei­nen Früh­schriften sagt, daß es im reinen Denken bereits vorliege. Wer sich wiederum um die Freiheitsfrage bei Steiner bemüht, der kann sich vorzugs­weise und zumal als Erkenntniswissenschaftler um die Grundlage der Freiheit im erkennenden / intuitiven Denken kümmern, wie wir es hier vor­angehend auch am Bei­spiel Poppers und anderen etwas zu beleuchten versuchten.

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Wie der Leser an Steiners Ausführungen über die Denkübung sieht, führen von solchen in frei­er Tätigkeit ausgeführten «Nebenübungen» mit möglichst uninteressanten Gedanken die Wege bis zum durchschauten Weltgeschehen und darüber hinaus, wenn man die Verhältnisse im Lichte einer empirisch basierten Philosophie betrachtet, die auf dem «induktiven Wege zu den Ideen» ist, wie es Steiner in seiner Frühzeit in den Einleitungen in Goethes Weltanschauung hier S. 126 schrieb: „Das objektiv Gegebene deckt sich durchaus nicht mit dem sinnlich Gege­benen, wie die mechanische Weltauffassung glaubt. Das letztere ist nur die Hälfte des Gegebe­nen. Die andere Hälfte desselben sind die Ideen, die ebenso Gegenstand der Erfahrung sind, freilich einer höheren, deren Organ das Denken ist. Auch die Ideen sind für eine indukti­ve Methode erreichbar." Die wirkenden Kräfte der Welt sind laut Goethes Essay «Die Natur» geistiger Art. Insofern ist es verständlich, wenn Steiner in das eigene Innere eintaucht, um die Natur und ihre Wirksamkeit zu begreifen, wie er im zweiten Kapitel der Philosophie der Frei­heit in Anlehnung an Goethes Essay darlegte. Verständlich von hier aus auch die Verbindung zum Universalienrealismus der «Idee», wie sie für Goethes Denken typisch war. Andererseits wiederum der Strang zur Psy­chologie des Denkens, die sich um das Verständnis von wirkenden Kräften beim erlebten Den­ken bemühte, wenn die Universalien dasjenige sind, was in der Welt wirkt. Wie es ja in Steiners Schrift Goethes Weltanschauung von 1897 auf S. 69f formuliert wurde.

Es gibt nun allerhand wegweisende Verbindungslinien von solchen erkenntniswissenschaftli­chen Grund-Fragen zum «Weltgeschehen» mit ihren Beobachtungsmethoden hin zur zeitge­nössischen introspektiven Psychologie (des Denkens) des frühen zwanzigs­ten Jahrhunderts. Über Johannes Volkelts gedankliche Verbindungen zur Würzburger Schule Os­wald Külpes ha­ben wir oben schon gesprochen. Für Karl Popper gilt dasselbe, der ein direk­ter psychologi­scher Schüler Karl Bühlers war. Und noch ein dritter, in diesem Kapitel bislang nicht erwähn­ter Strang kommt mit hohem heuristischem Gehalt in Betracht. Das ist der über Friedrich Rittel­meyer, dem Begründer der Christengemeinschaft, der ein direkter philosophi­scher Schüler Os­wald Külpes war, und bei diesem über Nietzsche und das Erkenntnisproblem promoviert hatte. Siehe dazu, Steffi Hammer, Denkpsychologie - Kritischer Realismus. Eine wissenschaftshistor­ische Studie zum Werk Oswald Külpes. Peter Lang Europäischer Verlag der Wis­senschaften, Frankfurt/M, 1994, S. 216. Rittelmeyer war es dann auch, der 1915 versucht hatte, Steiner mit Oswald Külpe direkt und psychologisch in Verbindung zu bringen. Was lei­der nicht gelang, wie er in Rittelmeyer, Meine Lebensbegegnung mit Rudolf Steiner, Stuttgart 1983, S. 71 ff schrieb. Siehe dazu auch Christoph Lindenberg, Rudolf Steiner, Eine Chronik, Stuttgart 1988, S. 362; S. 367 f. Näheres zu diesem Versuch Rittelmeyers auch hier, S. 335 ff; S. 441 ff; S. 556 ff; S. 579 f und öfter.

Rudolf Steiner hatte sich zu einem Treffen mit Külpe grundsätzlich bereit erklärt. Thematisch sollte es dabei um die Frage gehen, ob und wieweit und unter welchen Um­ständen hellsichtige Fähigkeiten experimentell geprüft werden können (Lindenberg, S. 368 f). Nun sind die hell­sichtigen Grund-Fähigkeiten für Steiner bereits im reinen Denken des ge­wöhnlichen Denk- und Erkenntnisprozesses anzusiedeln, und das erlebte Denken war einer der Forschungs­schwerpunkte schon in den Würzburger Jahren Külpes, wo nach den Erlebnissen des Denkens gefragt wurde. Wo die Würzburger u. a. einiges zum an­schauungslosen / sinnlich­keitsfreien Denken vorzuweisen hatten, wie Külpe in seinem Aufsatz von 1912, Über die moderne Psy­chologie des Denkens, in, Internationale Monats­schrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, 6, 1912, auf Sp. 1084 ff schrieb. Ebenso affirmativ äußert sich Külpe ebendort in seinem Auf­satz über die innere Aktivität, die Bewußtseinsakte des Menschen, die für Steiner gleicherma­ßen ein elementarer, essentieller und unverzichtbarer Bestandteil der Veranlagung zum Schau­en sind. In­sofern ist es biographisch nicht ganz entlegen, wenn Steiner 1917 in der Schrift Von Seelen­rätseln den speziell von Rit­telmeyer zu knüpfen versuch­ten Faden zur institutionalisiert­en in­trospektiven Psychologie neuerlich aufnimmt, und S. 170 f für sich selbst «und für jeden, der auf dem anthroposophischen Gesichtspunkt steht» den drin­glichen Wunsch nach einem psy­chologischen Laboratorium äußert, um dort Grundlagen­forschung über die «Veranlagung zum Schauen» durchzuführen. Was wie gesagt von Steiner primär und regelmä­ßig dem reinen Denken zugeordnet wird. Es geht also unverkennbar bei Steiners Laboratori­umswunsch von 1917 um dieselbe Thematik, wie sie ihm für eine mögliche Unterredung mit Külpe bereits 1915 vorschwebte. Also läßt sich mit einiger Verlässlichkeit sagen, dass es hier in beiden Fäl­len (1915 und 1917 dann in der Schrift Von Seelenrätseln), vielleicht nicht nur, aber maßgeb­lich um die Psychologie des Denkens gehen sollte, weil er ausdrücklich die Ver­anlagung zum Schauen in diesem Denken ansiedelte. Was wie gesagt 30 Jahre zuvor im Labor nicht möglich gewesen wäre, weil es so et­was damals noch nicht gab, sondern in Deutschland erst um das Jahr 1900.

All diese hier und weiter oben bereits Genannten wie Steiner, Volkelt, Popper, Eccles, Rittel­meyer, Dilthey, Edith Stein, Külpe und Kollegen etc kamen sich an einem «Treff­punkt von An­thropologie und Anthroposophie» entgegen mit ihren sehr ähnlichen Er­kenntnisfragen. Wo es um das Verhältnis von Erkennen / Freiheit und Naturkausalität geht. Und auch hier nicht ganz zufällig mit vergleichbaren Verbindungen zur introspektiven Psycho­logie des Denkens, die damals vor allem in der Külpeschule einen äußerst prominenten Be­gründer und angesehenen Vertreter hatte. Woran man sieht, was an diesem «Treff­punkt» von Anthropologie und Anthropo­sophie mit solchen Mitteln in Begründungsfra­gen mög­lich ist: Daß sich auch psychologisch äußerst folgenreiche Untersuchung zum lo­gischen Denken anstel­len lassen, ohne dabei in einen abstrusen logischen Psychologismus zu verfallen, der das Logi­sche psy­chologisch oder physio­logisch ursächlich erklärt, bzw. weg-erklärt mitsamt der Frei­heit und der inneren Wirksamkeit eines tätigen Denkers. Sondern die Unabhängigkeit des See­lischen vom Leiblichen de­monstriert, indem gezeigt wird, wo und wie sich das Seelische an ei­nem vom Lei­be unabhängi­gen Geistigen / Logischen orientieren kann, und sich insofern ebenfalls unabhän­gig macht vom nur biologisch / psychologischen Dasein und seinen Be­stimmtheiten. Das ist sozusagen auch die von Popper und Eccles im Grundsatz vertretene Sichtweise, die freilich bei weitem nicht so weit reicht wie Steiner in der Schrift Von Seelenrätseln. Sich aber unzweideu­tig in dieser Frage «mit ihm trifft», wie es an diesem «Treffpunkt von Anthropolo­gie und An­throposophie» eben laut Steiner möglich ist. Was somit als «leibliche Unabhängig­keit» gewis­sermaßen eine Vor­aussetzung für die Ent­wicklung ei­nes Schulungs­weges darstellt, dessen Möglichkeit und Anla­ge an so einem Treffpunkt mit den entsprechenden psychologi­schen Mit­teln plausibel ge­macht werden kann. Wo nachfolgend dann diese geistig spiri­tuelle Unabhän­gigkeit mit den esoteri­schen Mit­teln eine viel größerer Breite und Tiefe erreicht, als es in einem psychologischen La­boratorium exemplarisch zu demonstrieren und zu belegen ist.

In der Leibesunabhängigkeit des menschlichen Denkens gründet wie gesagt der gesamte Schu­lungsweg des Anthroposophen Steiner, wie er in GA-255b ausführt, aber wahrlich nicht nur dort wird das berichtet, wie man beispielsweise in den Nachbetrachtungen zu Wie erlangt man Erkenntnisse der höhe­ren Welten? (hier, GA-10, S. 214 ff) ebenfalls studieren kann. So etwas wie der Nach­weis die­ser Leibesunabhängigkeit des Denkens ist wie ebenfalls schon gesagt längst im Vorstadium des «Treffpunktes von An­thropologie und Anthroposophie» einlösbar. Wäh­rend die weite­ren geisti­gen Details des Den­kens, um die es da­bei mittelbar ebenfalls geht, erst auf dem «hö­heren Erkenntniswege» lös­bar werden, wie Stei­ner in Stuttgart in beiden letztgenann­ten Vorträ­gen (GA-78 und GA- 255b) mit­teilt.

Der «Brückenbau» betrifft also das «gemeinsame Forschungsgebiet», von dem Steiner ausführ­licher in der Schrift Von Seelenrät­seln (GA-21) berichtet, die ja in etwas anderer Weise als sei­ne Frühschriften in ho­hem Maße diesem «Brü­ckenbau» gewidmet ist. Und um es noch einmal zu wiederholen: Speziell im psychologi­schen Laboratori­um könnte dort Steiners Wunschvor­stellung zufolge der «Brückenbau» fortge­setzt werden. Oder, wie er dort schreibt: „Will man nämlich die beste Grundlage schaffen zu anthropologisch-psychologischen Ergebnissen, die bis an die «Erkenntnis-Grenzorte» gehen, an denen sich Anthropologie mit Anthroposophie treffen muß, so kann dieses durch ein psy­chologisches Laboratorium geschehen, wie ein solches Bren­tano in Gedanken vorgeschwebt hat.“ Steiners Grundlagenfor­schung zum Denken und Erken­nen ist also in den Frühschriften nicht etwa abgeschlossen worden. Sondern sie wäre, - Stei­ners eigen­er Einschätzung zufolge, und wie er in GA-21, S. 170 f ausführt, - hervor­ragend in einem psychologischen Laboratorium nach den Vorstellungen Bren­tanos aufgeho­ben, um sie dort weiter zu führen. Im «gemeinsa­men For­schungsgebiet von Anthropologie und Anthropo­sophie», wie es dort erläutert wird.

Denken allerdings, und damit auf ele­mentare Weise «Hellsehen», kann jeder Mensch, der in heutigen Kulturzusammenhängen ge­boren ist, «von Natur aus» wie Steiner 1921 in GA-255b, S. 300 und vorher ausführt. (Siehe Steiner dasselbe dazu etwa auch am 29. Mai 1913 in Helsingfors, GA-146, Dornach 1992, S. 32 ff.) Also kann er selbstverständlich auch den­ken, ohne daß er dabei die lei­seste Ahnung hätte, was das eigentlich ist, was er da denkend be­treibt. - Das sind zudem auch Tatsa­chen, die jeder moderne Mensch wirklich mühelos anhand seiner eigenen Erkennt­nisbiographie validie­ren kann, wenn er denn einigermaßen wirklichkeitsnah die Ver­hältnisse betrachtet. Denn das «Können» des Denkens liegt ge­wöhnlich in sehr jungen Lebens­jahren längst vor. Während das «Erkennen» des Den­kens erst viele Jahre später nach­folgt.

Auch bei Steiner war das selbstverständlich nicht anders, wie sich nicht nur seinen Betrachtun­gen zu den Forschungsmoti­ven der Früh­schriften in GA-255b, S. 298 entnehmen läßt: Wo sein eigenes Er­kenntnisbemühen um das Denken laut Steiners Auskunft die über alles entscheidende Rolle in diesen grundlegen­den Frühschriften spielte, wie er seinen Zuhörern be­richtet: „Es ist ganz sicher, wenn naturwissenschaftliche Weltanschauung allein recht hat, dann sind wir als Men­schen Werke einer Notwendigkeit, dann ist die Idee der Freiheit unmöglich, dann scheint selbst in dieser so überzeugenden Erfahrung unseres Innenlebens die Tatsache, daß wir einen freien Willen haben, nur wie eine Gaukelei vor unserer Seele zu stehen. Und so wurde für mich denn die Frage nach der Rechtfertigung der Freiheit eines derjenigen Proble­me, eines derjenigen Rätsel, die mich intensiv als jungen Mann beschäftigten, und ich sah, daß es unmöglich ist, eine Grundlegung zu finden für die Freiheitsfrage ohne eine Grundlegung für das gesamte phi­losophische Denken. Das war es daher, was ich mir zunächst Ende der achtzi­ger Jahre und zu Beginn der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts als Aufgabe stellte: eine Grundlegung zu fin­den für das philosophische Denken. Ich legte zunächst alles beiseite, was sich mir etwa erge­ben konnte an Schauungen einer geistigen Welt. Ich wollte vor allen Dingen eine sichere philo­sophische Grundlegung haben, die im Einklang steht mit der naturwissen­schaftlichen For­schung der neueren Zeit. Und von diesem Gesichtspunkt ausgehend, unter­suchte ich vor allen Dingen die Natur des menschlichen Denkens. Ich versuchte alle möglichen Wege, um heranzu­kommen an die Beantwortung der Frage: Was ist seiner Wesenheit nach ei­gentlich dieses menschliche Denken? Wer nun meine «Philosophie der Freiheit» durchliest, wird finden, wie diese Wege zur Ergründung der Natur des menschlichen Denkens gesucht worden sind. Und für mich stellte es sich heraus, daß nur derjenige das menschliche Denken richtig verstehen könne, welcher in den höchsten Äußerungen dieses Denkens etwas sieht, das sich unabhängig von unserer Körperlichkeit, von unserer leiblichen Organisation vollzieht. Und ich glaube, es gelang mir nachzuweisen, daß die Vorgänge des reinen Denkens im Men­schen sich unabhängig von den leiblichen Vorgängen vollziehen.“

Nun ist ja klar: Für denjenigen, der «alle möglichen Wege geht zur Ergründung der Natur des menschlichen Denkens», dem ist diese Natur des menschlichen Denkens alles andere als best bekannt oder intim bekannt. Sonst bräuchte er diese Forschungswege ja nicht zu gehen, um die Leibfreiheit des reinen Denkens nachzuweisen. Steiners Erkenntnisbemü­hungen in dieser Zeit und in diesen Schriften gelten aber vorrangig der Erkenntnis des Den­kens und seiner leiblichen Unabhängigkeit. Die philosophische Grundlegung sollte auch «im Einklang stehen mit der naturwissenschaftli­chen Forschung der neueren Zeit.» - Es ist ebenso offensicht­lich, daß die­ser Ein­klang nur bei Gültig­keit der naturwissenschaftli­chen / «anthropologischen» Forschung zu erzielen ist. Weswe­gen sich Stei­ner alle Mühe gab, auch eine maßgebliche Korrektur am nebelhaft metaphy­sisch begründet­en Kau­salitätsprinzip vorzu­nehmen, und das «Wirkende der Natur» laut zweitem Kapitel der Philo­sophie der Freiheit im eigenen Inneren suchte. Damit jenen Zusammenhang von Wirkend­em und Bewirktem im Inneren suchte, der außerhalb dessen nicht sicher zu finden war. Woraus im dritten Kapitel dieser Schrift dann die «allerwichtigste Beobachtung» wurde. Auch das ist ein Thema, das sämtliche Frühschriften Steiners durchzieht, und nicht etwa erst in der Philosophie der Freiheit behandelt wurde.

Ich darf ausdrücklich auch noch einmal daran erinnern, dass die Philosophie der damaligen Zeit nicht die von heute war, sondern noch die Psychologie umfaßte. Wie auch Steiners «seelische Beobachtung» noch Teil der damaligen Philosophie war. Ebenso, was er im Psychologiekapitel der Grundlinien vorgelegt hat. Das alles gehörte seinerzeit noch zur Philosophie. Und diese Philosophie, - auch die über den Menschen aus der Schrift Von Seelenrätseln, - verstand sich als hochgradig abhängig von empirischer Forschung. Was seinerzeit eben auf der Ebene der «Anthropologie» bzw. Philosophie problemlos möglich war. Deswegen ist es auch verständ­lich, wenn der philosophische Psychologe des Denkens, Oswald Külpe, als Zeitgenosse Stei­ners in seinen Be­trachtungen über den Werdegang der modernen Psychologie des Denkens mo­nierte, daß die modernen mechanistisch denkenden Psychologen wie F. A. Lange den Vertre­tern der Geistes­wissenschaft nur «Steine statt Brot» anzubieten hatten, indem sie die Aktivitä­ten des Bewußt­seins mechanistisch weg-erklärten, und gegen jede introspektive Evidenz zu leiblichen Vorgän­gen deklarierten.

Die Geisteswissenschaftler / Psychologen / Philosophen wie Külpe bauten in dieser Zeit ganz selbstverständlich (wie auch ihre mechanistisch geprägte Gegenseite) auf dem Ertrag psycholo­gischer / «anthropologischer» Forschung auf. Und entwickelten anhand dessen, - wenn auch von zwei verschiedenen und sich darin ausschließenden materialistischen vs psychologischen We­gen kommend, - eine «Philosophie über den Menschen». Wie sie Steiner in der Schrift Von Seelen­rätseln, S. 29 ff sowohl für die Anthropologie als auch für die Anthroposophie skizziert. Wobei der Pfad der mechanistischen Psychologen / Anthropologen aus Steiners (und Külpes) Sicht ein abwegiger ist, wie Steiner bereits im Psychologiekapitel der Grundlinien angedeutet hatte. - Von der Abwegigkeit des mechanistischen psychologischen Pfades war auch der Denkpsy­chologe Külpe überzeugt. Siehe dazu etwa den Auf­satz Külpes von 1912, Über die mo­derne Psychologie des Denkens im Anhang seiner von Bühler herausgegebenen Vorlesungen über Psychologie. Wo Külpe (S. 312) moniert, «die mechanistisch orientierten Psychologen bö­ten den Geisteswis­senschaftlern, die nach psy­chologischer Begründung verlangen, entgegen den un­übersehbaren Resultaten einer inneren Beobachtung vielfach nur Steine statt Brot - (Siehe auch in Ziche a.a.O., S. 53.) Im Original Külpes in: Internationale Monats­schrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, 6, 1912; Sp. 1069-1110; speziell Sp. 1087. - Soweit Steiner von den Naturwissenschaften kommend als seelischer Beobachter der Früh­schriften vorgeht, nimmt er wie Külpe den «an­thropologischen» Weg zu einer «Philosophie über den Menschen». Als «anthroposophi­scher Geisteswissenschaftler» wiederum kommt er von der geistigen Seite wie er in GA-21 darlegt. Es versteht sich von selbst, daß er als «Brü­ckenbauer» von den Natur­wissenschaften zur geistigen Welt auch beide Wege beschreiten muß und auch kennt. Weswe­gen er seine an­fängliche Grundlagenforschung der Frühschriften jetzt in einem psychologis­chen La­boratorium fortführen will, weil das nunmehr 1917 möglich ge­worden ist. Es war aus Steiners Sicht in sei­ner Zeit nicht mehr möglich, als Idealist die Natur­wissenschaften zu ver­nachlässigen. Weswe­gen er auch in den Übergangsschriften zur Mystik wie etwa GA-7, hier S. 3-8 einleitend auf diesen Brückenbau der Frühschriften von den Naturwissenschaften zur geistigen Welt hinweist. (Siehe dazu nachfolgend unsere weiteren Betrachtungen zu Günter Röschert und Christian Clement.)

In der Re­gel beginnt die Er­kenntnis des Denkens dann, wenn sich die Betreffenden auf Grund ihres bildungsbiographi­schen Werdegangs da­mit speziell befassen. Sei es durch entsprechende Studien­gänge, oder an­geregt durch die Lite­ratur und Gespräche. So war das seinen eigenen Worten zufolge auch bei Steiner. Wenn man sich wie gesagt Steiners Vortrag von 1921 in GA-255b S. 298 ff vor Augen führt, dann galt der Er­kenntnis des Denkens und seiner «Leibfrei­heit» das vorrangige Bemühen all seiner Frühschrift­en im Rahmen dieses «Brückenbaus» von den Na­turwissenschaften zum Übersinnlichen. Was anhand dieser Frühschriften auch leicht nachzu­vollziehen ist.

Und um noch einmal auf unsere Ausgangsfragen der letzten Seiten im Zusammenhang mit Röschert und Sijmons zurückzublicken: Von ei­nem «intim» oder «best bekannten» Denken, - zumal ohne Beobachtung, - kann also auch mit Blick auf Steiners Frühschriften gar keine Rede sein. So daß man hier auf einen ver­blüffenden Kontrast stößt: Das bei Steiner ständig hervorge­hobene «Erleben» des Denkens, fiel bei seinen späteren Anhängern psychologisch sozusagen vollständig über die Kante. Sie fragten gar nicht mehr danach, was man beim Denken eigent­lich erlebt und wie man das zu begreifen hat. Ob­wohl Steiner, wie wir anhand der Zusätze zur Philosophie der Freiheit demonstrierten, «das er­lebende Verstehen des intuitiven Denkens aus­drücklich zur Grundlage des Freiheitsverständnisses erklärte». Im 1. Zusatz von 1918, hier S. 179 dahingehend: „Diese Wesen­heit des Denkens er­lebend verstehen, kommt aber der Er­kenntnis von der Freiheit des intuitiven Denkens gleich.“ So daß damit wie erwähnt auch bei Steiner zwangsläufig die vorab zu klärende Fra­ge im Raum steht: «Was erleben wir eigentlich, wenn wir den­ken?» Wer das nicht berücksichtigt und so eine Frage weder stellt, noch beant­worten kann, der kann demzufolge auch Steiners Freiheits­frage mit Steiner nicht beantwor­ten, weil er gar nicht weiß, wovon der redet und was der will. Während bei Stei­ner die Klärung der Freiheitsfrage ganz ausdrücklich an das «erlebende Verstehen» gebunden ist. Der damit letzt­lich dieselbe Frage wie der Denkpsychologe Karl Bühler dem Begreifen seiner Freiheitsfors­chung voran­stellte. Die da lautet: «Was erleben wir, wenn wir denken?» Das gilt Steiners eigenen Worten zufolge für ihn nicht weniger als für Bühler.

Der Denk-Psychologe Karl Bühler berichtete bezeichnenderweise 1907 in seiner denkpsycho­logischen Untersu­chung (hier S. 297 in der Einleitung) von den zeitgenössischen Fachleu­ten, die ja auch Steiners Zeitgenossen waren, diese seien mehrheitlich der Auffassung gewesen, dass es beim Denken gar nichts zu erleben gäbe. Entsprechend bemühte Bühler sich in seiner Unter­suchung dieser Frage erst einmal empirisch und weitläufig nachzu­gehen, ob sich das wirklich so verhält und dabei gar nichts erlebt wird. Und fand dabei doch völlig andere Sach­verhalte vor, als die von seinen Zeitgenossen mit großer Mehrheit geglaubten und behaupteten. Näm­lich ein ziem­lich reichhaltig erlebtes Denken, mit Erlebnissen der verschiedensten und un­erwarteten Art, die in seiner Studie eingehend beschrieben werden. Was wir ja weiter oben bereits behandel haben. Von einer «besten» Be­kanntheit des Denkens oder einer «intimen Bekanntheit ohne Be­obachtung» gar, kann also un­ter sol­chen empirischen Um­ständen natürlich kei­ne Rede sein, wenn es nach dem ungeprüften und irrtümlichen Glau­ben all seiner Forschungskollegen angeblich «gar nichts zu erleben gibt», wie von Bühler darge­legt. Sich dann aber etwas völlig anderes bei seiner näheren Untersuchung her­ausstellte. Alles das, was Bühler dort in seinen drei Teilartikeln beschreibt, müßte entsprechend auch Steiners Anhängern bekannt sein. Zudem noch weit, weit, weit mehr, um überhaupt ir­gendwie in die Nähe so eines Prädikates wie «intim oder best bekannt» zu gelangen. Das ist natürlich nicht der Fall.

Auch laut Steiner ist da nämlich nichts intim oder best bekannt ohne Beobachtung. Der uns in der Philosophie der Freiheit (Kap III, nicht nur hier S. 31) ebenfalls davon unterrichtet, dass man via Beobachtung «das Denken erst kennen lernen» müs­se. Was bei Steiner in dieser Schrift zumal im dritten Ka­pitel in Form einer gegen­überstellenden Betrach­tung von Erfahrun­gen des Denkens ge­schieht. Steiner ist also mit Blick auf die Erkenntnis des (erlebten) Denkens im Grundsatz der­selben Auffassung wie Bühler. Sogar methodisch. Ohne gegenüberstellende Beobachtung / Be­trachtung von Erfahrungen des Denkens gibt es eine sol­che Erkenntnis nicht. Das aber ist eben das, was Bühler in seiner Studie vorführte, indem er die reinen Denkerfah­rungen seiner Ver­suchspersonen denkend betrachtete. Auch «ein Ausnahme­zustand» wie bei Steiner, wenn auch bei Bühler arbeitsteilig, wie bereits weiter oben er­wähnt. Während Stei­ners eigene Anhänger und In­terpreten im vorliegenden Fall keinerlei Vor­stellung zu entwickeln ver­mögen, wie man über­haupt zu einer näheren Bekanntheit jenes Den­kens via Beobachtung ge­langen könnte, das man permanent mit leichter Hand betätigt. Die Beobachtung des Denkens scheint bei diesen Berbei­tern Steiners geradezu überflüssig geworden zu sein. Denn wozu noch einmal erkennen, was angeblich längst intim respektive best bekannt ist ohne Beobachtung?

Wie der Leser an so etwas leicht nachvollzieht, wurde von beiden Autoren (Röschert / Sij­mons) das «Können» des Denkens schlicht mit seiner «Erkenntnis» verwechselt. Denn natür­lich kann jeder Mensch denken, bevor er es erkennt. Nur ist es eben ein fataler und leicht zu widerlegender Irrglaube von Steiners Anhängern, zu meinen, das, was man in einem Fall gut kann sei im selben Fall ebensogut bekannt. Dieses fatale Mißverständnis hatte insofern ebenso fatale Fol­gen, als Steiners Empirismus der Grundschriften dadurch gleichfalls vollständig von seinen Anhängern kor­rumpiert und demontiert wur­de. Dahingehend etwa, daß Steiners Kern­anliegen einer «Na­turforschung von in­nen» aus dem zwei­ten Kapitel der Philoso­phie der Frei­heit bei keinem ein­zigen dieser beiden Interpre­ten jemals ein Thema wurde. Und nicht nur bei die­sen beiden. Sij­mons hat das in den mir zu­gänglichen Arbeiten nie aufgenommen. Während auch Röschert in dem gemeinschaft­lich mit Ravagli spä­ter herausgegebenen Band Kontinuität und Wandel, Stuttgart 2003, eben­falls nicht einmal von Ferne darauf kam, dass es in Steiners Schrift über­haupt um solche Din­ge, - Natur­forschung von innen, via seelischer Beobachtung, - gehen könnte. Stattdes­sen betrachtete er dort (S. 171) das erste und zweite Kapitel der Philoso­phie der Freiheit als «eigenständig und verbindungs­los». Wenn uns schließlich dann Herr Schieren als weiterer Anhänger Witzen­manns (siehe oben) erzählt, «die seelische Beobach­tung der Philosophie der Freiheit sei keine Introspekti­on», dann hat er sich damit ebenfalls vollstän­dig aus Steiners Empirismus des Denkens verab­schiedet.

Nun, dermaßen abwegig geht es bisweilen in der reichlich rezipierten anthroposophischen Sekundärliteratur zu. Auch der ominöse Sammelband der Alanushochschule macht, wie man sieht, in dieser Hinsicht keinerlei Ausnahme. Von der Psychologie des Den­kens, die um das Jahr 1900 aufkam und bezüglich einer empirischen Erkenntnis des Denkens annähernd der sel­ben Auffassung war wie Rudolf Steiner, hatten beide Verfasser (Röschert und Sijmons) glei­chermaßen wie die Strategen des Sammel­bandes, offensichtlich noch nie etwas gehört. Statt­dessen wird im letzteren Sammelband der Alanushochschule der «Brückenbau» Steiners vor­zeitig beendet, weil ja angeblich Steiners «seelische Beobachtung» der Philosophie der Frei­heit keine Introspektion ist. So behauptet es ohne jeden Beleg Jost Schieren als Polier der «Ab­rißbaustelle Anthroposophie». Wobei ihm dabei fleißige Handwerker zur Seite stehen, die dort Stein um Stein und Balken für Balken abtragen, damit als Ersatz für Steiners Anthroposophie das Märchenschloß Witzenmanns entstehe.

Ob sich das heute bei anthroposo­phischen Autoren wie Röschert anders verhält, vermag ich nicht mit Bestimmtheit zu sa­gen. Im gemeinsam von Röschert und Ravagli publizier­ten Nachfolgebuch Kontinui­tät und Wandel, Stuttgart 2003, das nun schon 20 Jahre zurück liegt, aber durchaus noch von namhaften Anthroposophen rezipiert wird und über die Jahre hin ent­sprechende Wirksamkeiten entfaltete, existierte jeden­falls ebenfalls keinerlei Signal in diese Richtung «seelische Beobach­tung des Denkens» und «Naturforschung von innen». Im Gegen­teil. (Nä­heres dazu hier, S. 1054 ff und S. 1201 ff, Anm 396.)

Des­gleichen im Beitrag von Sij­mons im erwähnten Sammel­band der Ala­nushochschule eben­so we­nig. Und ebenso we­nig in dem von Heusser / Weinzirl herausgegebenen Sammelband, Ru­dolf Steiner. Seine Be­deutung für Wissenschaft und Leben heute, 2013. Bemerkenswerterwei­se fällt auf über 20 Seiten (76-99) bei seinem Gewaltritt durch die Philosophie­geschichte bei Sijmons kein einzi­ges mal ein erhel­lendes Wort über die «psycho­logischen Me­thode» Stei­ners, mit der man den Geist finden soll. Was Steiner nicht nur im Untertitel der Philosophie der Freiheit durch die see­lische Beobachtung hervorhebt, sondern lange vorher schon. Nämlich 1886 in den Grundlinie­n… bereits sei­nem Leser ganz expli­zit vor­führte. Besonders plaka­tiv im Kapi­tel 18 als Psy­chologie ausdrü­cklich auch noch in den An­merkungen zur Neuauflage mit der späteren Geistes­forschung ver­knüpft. Es wird statt­dessen nicht einmal von Sij­mons da­nach ge­fragt, was Steiners Erkenntniswissenschaft mit der Psy­chologie zu tun ha­ben könnte. Wäh­rend für Steiner bereits in der Schrift von 1886 die «Psy­chologie die erste Wis­senschaft ist, wo es der Geist mit sich selbst zu tun hat». Für einen Le­ser der sich an der kon­kreten For­schungspraxis des frühen Stei­ner orientiert, ist das von Sij­mons Vorgetrage­ne weitestge­hend abstraktes akademi­sches Stroh, mit dem sich konkret so gut wie nichts verbinden und anfan­gen läßt. Wo weder die eindringlichen Gründe dafür, noch das fakti­sche psy­chologische Pro­zedere der erkenntniswissenschaftlich orientierten «psycho­logischen Geist-Erforschung» er­läutert wird, als sei das bei den vielen Worten über Geist und Idealismus eine völ­lig abge­legene und unbedeutende Sache. Bei allen histori­schen Linien, die von Sijmons gezogen wer­den, fällt vor allem auf, daß kei­ne einzige zur Psychologie, und auf diesem Wege der seelischen Beobachtung zum wirkli­chen Geist führt. Von Stei­ners Labor­wunsch in der Schrift Von Seelen­rätseln hatte Sijmons auch nichts zu vermeld­en. Was schließlich der Mensch beim Den­ken er­lebt, auf so eine Kern­frage Rudolf Steiners und Karl Bühlers, so die Anmutung nach die­sem mehr als 20sei­tigen Artik­el, würde der Verfasser Sijmons wohl im Leben nicht kom­men. So dass bei Sijmons nicht nur die Psychologie über die Kante gefallen ist, sondern mit ihr zusamm­en auch der wirkliche Geist gleich mit. So als ob es heute bei den akademisch philoso­phischen Anthroposophen nicht mehr ganz zeitgemäß sei, sich auch noch mit dem realen Geist zu befassen anstatt nur in vielen Worten über ihn zu kramen. Bei Steiner freilich ist das «rich­tig verstandene Denk-Erleben bekanntlich bereits Geist-Erleben» (hier S. 181). Diese Tatsache sollte laut seiner Auskunft in der Philosophie der Freiheit dargelegt werden. - Da könnte man vielleicht doch einmal auf den Gedanken verfallen und mit Bühler nachfragen, was man denn eigentlich erlebt, wenn man denkt.

Bei Sijmons jedenfalls drängt sich der Eindruck auf, als sei da noch je­mand, der sich aus Stei­ners psychologischem Empirismus des Denkens und des Geistes weitgehend verabschiedet hat. So daß man unweigerlich an Volkelts (1918, hier S. 38) Ironisie­rung des philosophi­schen An­tipsychologismus seiner Zeit er­innert wird, wo sich der philoso­phische Nachwuchs schon aus Karrieregründen hütete, die Philosophie in eine «an­rüchige» psy­chologistische Nähe zur «min­derwertigen» Psycholo­gie zu bringen. Obwohl Sijmons allerdings schon in seiner Disser­tation im Psychologis­muskapitel 5.3.4, auf S. 184 ff erfreulicherweise klarstellte, dass Steiner kein Psychologist im ne­gativen Sinne sei, vermag er bis heute auch nicht werkimmanent zu sa­gen, was er denn über­haupt im positiven Sinne mit der Psychologie zu tun hat, wenn Steiner das Denkens via seeli­scher Beobachtung untersucht und begreiflich macht. Mit der Folge, dass niemand der Le­ser an­hand sol­cher Sekun­därtexte aus diesem Sammelband begreifen wird, wie und war­um Stei­ner in den Früh­schriften nach der Leibfreiheit des Denkens forsch­te. Warum das für Stei­ner überhaupt ein Thema war? Was das mit dem Kausalitätsproblem und den Na­turwissenschaften zu tun hat? Warum das Erleben des Denkens für Steiner fundamen­tal ist? Und wie sich bei Steiner die psy­chologische / seeli­sche Beobach­tung im Zuge der freiheitsphi­losophischen For­schung und zur Erkenntnis des leibfrei­en Den­kens vollzieht? Zu­mal auch noch im psychologi­schen Laboratorium, in das es ihn 1917, S. 171 neben «allen an­deren, die auf dem anthroposo­phischen Gesichtspunkt ste­hen», ja zwecks solcher Forschung eindringlich hinzog.

So weit noch einmal zu Sijmon`s «best bekanntem» Denken. Von Röschert existiert neben zwei weiteren Buchveröffentlichungen mit anderer Thematik zwar eine relativ stattliche Literaturliste bis in die 2020er von Publikationen in der Zeitschrift Die Drei, ferner regelmäßi­ge Beiträge im Jahrbuch für anthroposophische Kritik von 1993 bis 2005, die sich relativ wenig mit anthroposophischer Grundlagenforschung befassen. Darüber hinaus ein längerer Beitrag in Karl Martin Dietz (Hgr), Rudolf Steiners Philosophie der Freiheit, Stuttgart 1994, S. 103-159, zur Situationsethik und moralischer Phantasie in der Philosophie der Freiheit. Diese meine Auflistung ist gewiß unvollständig. Was mir dazu ergänzend interessant erscheint, ist eine anspruchsvolle und differenzierte Stellungnahme Röscherts zu Christian Clements kritischer Steinerausgabe, namentlich zu dessen Ausgabe von Band 5. Schriften über Mystik, Mysterienwesen und Religionsgeschichte. Röscherts Stellungnahme scheint von 2014 zu stammen. Unglücklicherweise ist das Erscheinungsjahr in der PDF-Datei des Verlages nur dunkel zu erahnen, weil größtenteils weggeschnitten. Von Steiners Grundlagenfor­schung der Frühschriften ist in dieser kritischen Stellungnahme Röscherts nichts zu lesen, bis (S. 96) auf einen Hinweis Steiners auf seine Grundlinien in seinem Mystikband GA-7, den Cle­ment übersehen habe. Was Röschert allerdings in dieser Rezension ebenfalls entgeht, ist die Tatsache, dass auch im genannten Mystikband (GA-7) von Steiner gleich in den ersten Ab­schnitten (S. 3-8) die zum Verständnis notwendige Brücke gebaut wird zu seinem naturwissen­schaftlichen Ausgangspunkt zur Mystik in den Frühschriften, namentlich der Philosophie der Freiheit. So dass selbstredend die Frage zu stellen ist, wie sieht denn Steiners eigener Weg von der modernen Naturwissenschaft zur Mystik aus, den er den in GA-7 behandelten Mystikern, die an der Grenze zur modernen Naturwissenschaft standen, einleitend gewissermaßen kontras­tierend gegenüberstellt? Und weiter: Wie kann man ein die Mystik jener Zeit betrachtendes Buch wie GA-7 historisch und werkgenetisch dann behandeln und bewerten, wenn man Stei­ners eigenen naturwissenschaft­lich angebundenen Weg, der in den genannten Frühschriften sei­nen Ausgang nimmt, gar nicht kennt und / oder nicht versteht? So daß folglich auch kein ge­reiftes und angemessenes Urteil über Steiners Einschätzung der Mystik in diesem Band Cle­ments möglich ist? Ich hatte an an­derer Stelle, hier S. 760 f speziell S. 775 ff bereits mit Blick auf Christian Clement darauf hin­gewiesen, dass es schlechterdings nicht solide möglich ist, mit Steiners mystischem / esoteri­schem Werk beginnend eine kritische Gesamtausgabe kommen­tierend herauszugeben, wenn man Steiners eigene wissenschaftliche Wege dorthin weder kennt noch zur Kenntnis nimmt, obwohl Steiner sie selbst immer wie­der hervorhebt. Und folglich Steiners späte esoterische Schriften in einem Begründungszusam­menhang mit den frühen ste­hen. So daß der Herausgeber Clement ohne diese Kenntnis und sachliche Berücksich­tigung der brü­ckenbauenden Frühschriften das Pferd ganz zwangsläufig von hinten aufzäumen muß. Folg­lich so etwas wie Steiners Esoterik oder die frühen Schriften zur Mystik wie GA-7 dann werk­genetisch und begründungslogisch notwendigerweise vollkommen verständnislos kom­mentiert. Das gilt zu­mal für einen historisch kritischen Herausgeber wie Clement, der in aller Öffentlichkeit be­hauptete, dass ihn Steiners Motive / Forschungsmotive gar nicht interes­sieren, da sich über die Motivation eines Schriftstellers ohnehin nichts Verbindliches sagen lasse. So, als sei Steiners phi­losophisches und esoterisches Werk qualitativ nichts anderes als das ei­nes land­läufigen Ro­manciers. Daß es bei Steiner um Wissenschaft geht, und in dieser Art Literatur andere Interpreta­tionsregeln hin­sichtlich der Motive des Verfassers gelten als bei x-beliebigen Romanschreib­ern, das lag Clement seinerzeit völlig fern. Inzwischen ist Clements Artikel mit dem Titel, Muss man zum Verständnis eines Textes die Motivation des Autors kennen auf dem Egoistenblog nicht mehr ohne weiteres zugänglich. Hier existiert noch zugänglich im Archiv die Version von 2014 (vom Stand 04. 11. 23).

Hermeneutik ohne die Kunst des Verstehens als pseudowissenschaftliches Framing

Was in diesem Fall von Clement gilt, nämlich Steiners Begründungswerk gar nicht zu kennen, so daß er es zu Kommentierungszwecken auf das spätere Mystikwerk Steiners anwenden könnte, das gilt letztlich auch für Röschert selbst. Der in diesem Kontext auf das gemeinsam mit Ravagli herausgegebene Buch Kontinuität und Wandel von 2003 verweist. Wo sich frei­lich ebenfalls kein Ansatz von Verständnis bei beiden Autoren findet. Und Ravagli stattdessen dort einleitungsweise (S. 26) die mehr als abenteuerliche Mär vom «Übungsbuch; genauer: Schulungsbuch» Philoso­phie der Freiheit in die Welt setzte, die angeblich «gar keine Erkennt­nistheorie» sei, und «nur eine Methode, aber keine Inhalte lehre.» Ganz krause Behauptungen, wenn man sich neben den Frühschriften und Steiners ständig wiederholten Hinweisen auf sei­ne erkenntniswissenschaftlichen Grundlagen auch noch Steiners Erklärungen zum Ziel seines erkennt­niswissenschaftlichen Frühwerkes in GA-255 b von S. 295 ff anschaut. (Siehe dazu ausführlicher hier, S. 1054 ff; + S. 1201, Anm. 396. )

Womit natürlich die Frage aufkommt, ob das nicht mehr oder weniger allgemein gilt, und ne­ben Clement auch sonst keiner diesen von Steiner ständig betonten Begründungszusammen­hang der Frühschriften mit dem esoterischen Werk Steiners ernst nimmt? Ob er Clement nun von seiner Warte aus kritisiert oder nicht. Wenn man sich beispielsweise einen noch fast druckfrischen Artikel von DaVeiga und Traub aus den Steiner Studies anschaut, Was heißt Steinerforschung, vom September 2023, dann kann man solches mit aller Berechtigung fragen. Wo der eine (DaVeiga) aus der Schule Witzenmanns stammend und von Steiners Frühwerk bis auf eine lange Jahre zurückliegende Dissertation weitgehend unbeleckt ist, und noch weit weniger vom Verhältnis der Anthroposophie zum begründenden Frühwerk Steiners. Wie er in einem Artikel von 2011 Zum wissenschaftlichen Selbstverständnis der Anthroposophie Rudolf Steiners durchblicken ließ, wo gar nicht erst auf das von Steiner stets betonte wissenschaftli­che Verhältnis zwischen beiden näher hingeschaut wurde, (übrigens auch noch mit den Ausga­ben von http://anthroposophie.byu.edu/philosophie.html auf teils hoch fragwürdige weil mit­unter ex­trem fahrlässig auf­bereitete Quellentexte zu Steiner verwiesen wurde, die in Teilen nicht au­thentisch sind. Beispiele für solche zweifelhaften Textaus­gaben siehe hier und hier. Die im Internet hinterlegten Ausgaben der GA sind technisch leider nicht immer perfekt gelungen. Damit muß man rechnen. Aber es gibt wahrlich Besseres als das von Da Veiga dort vorgelegte zweifelhafte Material.) Der ande­re (Traub) ohnehin ohne jedes Verständnis, und vor al­lem aus dem Idealismus (Fich­tes) kom­mend, hat seinen Unver­stand schon in seinem opulenten Werk von 2011 demonstriert. Seither ist ebenfalls nicht viel dazu gekommen. Die beiden fra­gen jetzt, «was Steinerforschung heißen könnte». Woran man sieht, es wird immer noch ganz am Anfang jedes ernsthaften Studiums hilflos in einer Art und Weise herumge­krebst, daß den Leser schon bei den simpelsten Fragen der Textinterpretation das Staunen an­läßlich solcher akademischen Fragen überfällt. - Warum? - Weil schon auf der ele­mentarsten Ebene der Tex­tinterpretation das anspruchsvolle akademische Vorhaben sich durch die Fakten selbst zerlegt. Nämlich durch die Vernachlässigung elementarster Aussagen Stei­ners, die schlicht und ergreifend falsch wiedergegeben und interpretiert werden. Und damit könnte man das Pro­jekt fast schon zu den Akten legen wegen handwerklicher Grundmängel der Textinter­pretation. Stattdessen besser das nächste Übungsseminar zur Textanalyse empfeh­len, bevor man me­tatheoretisch weiter über Hermeneutik, Werkverständnis und Steiner­forschung doziert. Im vor­liegenden Fall geht es um das Subkapitel zur Hermeneutik, und schon da zeigen sich größte Mängel im Textverstehen.

Angeblich nämlich habe Steiner im Vorwort der Zweitauflage der Philosophie der Freiheit darauf hingewiesen, dass dieses Buch keine Wissensinhalte vermitteln soll. So die beiden Au­toren auf S. 8 im Kapitel 2. 2. Hermeneutische Zugänge, ihrer Abhandlung. Wo es etwa heißt: „Wenn etwa die zweite Auflage der Philosophie der Freiheit mit „Seelische Beobachtungsre­sultate nach naturwissenschaftlicher Methode“ untertitelt ist und im Vorwort zur selben Aufla­ge darauf hingewiesen wird, dass die Philosophie der Freiheit keine Wissensinhalte vermitte­le, sondern das selbständige Beobachten anrege, der Autor also keine Theorie zu vermitteln, sondern Ergebnisse einer Phänomenologie des Bewusstseins vorzustellen beabsichtigt, dann hat das notwendigerweise hermeneutische Konsequenzen für die Erschließung, die Diskussion und die Beurteilung des Textes.“

Hier muß man sich schon sehr die Augen reiben, weil Steiner solches im Vorwort der Zweitauflage gar nicht geschrieben hat. Nebenbei gesagt ist es die «Vorrede» zur Neuausgabe von 1918, um die es geht. Ein «Vorwort» gib es dort nämlich nicht, sondern nur diese Vorrede zur Neuausgabe von 1918, die sich infolge dieser Tatsache erkennbar auf eine ältere schon vorhandene Schrift mit die­sem Titel bezieht. Ungeachtet aber dessen: Weder hat Steiner in dieser Vorrede geschrieben, dass in diesem Buch keine Wissensinhalte vermittelt werden sollen, noch hat er geschrieben, daß er dort nur das selbständige Beobachten anregen wolle. Nichts von all dem ist aus dem fragli­chen Kontext der Vorrede abzuleiten. Will man wissen, was er wirklich geschrieben hat, dann muß man sich die ungefähr anderthalb Seiten der Vorrede selbst anschauen. Das sind im enge­ren Sinne hier etwa die Seiten 3-5. Man kann aber ebensogut die beiden «Wurzelfragen» vom Beginn mit einbeziehen, auf die er sich ebenfalls bezieht. Vor al­lem auch sollte man berück­sichtigen den Hinweis von S. 5, daß niemand auf die «späteren geistigen Erfahrungen Steiners hinschielen» muß, um den Inhalt der Philosophie der Freiheit annehmbar zu finden.

In Steiners Augen ist die Philosophie der Freiheit ein Buch für alle. Und zwar auch für jene, die nicht seine erklärten Anhänger sind, oder ausdrücklich seinem Schulungsweg nachgehen. Diesen Hinweis Steiners ha­ben die beiden Autoren unglücklicherw­eise ebenso weggelassen wie eine nähere Erörterung dessen, was er im Kontext mit der «Wis­sensvermittlung» über­haupt gesagt hat. - Die Schrift versteht sich laut Steiners ei­genen Worten dort nämlich als eine, die keine Wissenssvermitt­lung im speziellen Sinne anstrebt. Und zwar keine im speziellen na­turwissenschaftlichen oder auch speziellen geisteswissenschaftli­chen / anthroposophischen Sinne. Es macht nun allerdings einen gro­ßen Unterschied, ob jemand nur das sehr spezielle Wissen einer Fachwissenschaft nicht ver­mitteln will, oder über­haupt kein Wissen, wie es die beiden «Hermeneutiker» behaupten. Das wird jedem einleuchten, der einigermaßen klar zu denken ver­mag. Fra­ge also, warum es die «Hermeneutiker» anschei­nend nicht können und Steiner nicht einfach beim Wort nehmen, dass er «kein spezielles Wissen» vermitteln will?

Lassen wir Steiner deswe­gen ausführlich mit den entsprechenden Teilen der Vorrede zur Philosophie der Freiheit in ihrer Neuauflage von 1918 zu Wort kom­men, mit der Bitte versehen, dass der Leser, falls er das Buch nicht schon besitzt, sich die we­nigen verbleibenden Abschnitte hier oder hier in der Ausgabe von 1958, und hier in der Dornacher Ausgabe von 1995 aus dem Internet verfügbar macht. So schreibt Steiner in dieser Vorrede:

Die Anschauung, von der hier mit Bezug auf diese beiden [Wurzel-, MM] Fragen die Rede ist, stellt sich als eine solche dar, welche, einmal gewonnen, ein Glied lebendigen Seelenlebens selbst werden kann. Es wird nicht eine theoretische Antwort gegeben, die man, einmal erworben, bloß als vom Gedächtnis bewahrte Überzeugung mit sich trägt. Für die Vorstellungsart, die diesem Buche zugrunde liegt, wäre eine solche Antwort nur eine scheinbare. Nicht eine solch fertige, abgeschlossene Antwort wird gegeben, sondern auf ein Erlebnisgebiet der Seele wird verwiesen, auf dem sich durch die innere Seelentätigkeit selbst in jedem Augenblicke, in dem der Mensch dessen bedarf, die Frage erneut lebendig beantwortet. Wer das Seelengebiet einmal gefunden hat, auf dem sich diese Fragen entwickeln, dem gibt eben die wirkliche Anschauung dieses Gebietes dasjenige, was er für diese beiden Lebensrätsel braucht, um mit dem Errungenen das rätselvolle Leben weiter in die Breiten und in die Tiefen zu wandeln, in die ihn zu wandeln Bedürfnis und Schicksal veranlassen. - Eine Erkenntnis, die durch ihr Eigenleben und durch die Verwandtschaft dieses Eigenlebens mit dem ganzen menschlichen Seelenleben ihre Berechtigung und Geltung erweist, scheint damit aufgezeigt zu sein. [] So dachte ich über den Inhalt dieses Buches, als ich ihn vor fünfundzwanzig Jahren niederschrieb. Auch heute muß ich solche Sätze niederschreiben, wenn ich die Zielgedanken der Schrift kennzeichnen will. Ich habe mich bei der damaligen Niederschrift darauf beschränkt, nicht mehr zu sagen als dasjenige, was im engsten Sinne mit den gekennzeichneten beiden Wurzelfragen zusammenhängt. Wenn jemand verwundert darüber sein sollte, daß man in diesem Buche noch keinen Hinweis findet auf das Gebiet der geistigen Erfahrungswelt, das in späteren Schriften von mir zur Darstellung gekommen ist, so möge er bedenken, daß ich damals eben nicht eine Schilderung geistiger Forschungsergebnisse geben, sondern erst die Grundlage erbauen wollte, auf der solche Ergebnisse ruhen können. Diese «Philosophie der Freiheit» enthält keine solchen speziellen Ergebnisse, ebensowenig als sie spezielle naturwissenschaftliche Ergebnisse enthält; aber was sie enthält, wird derjenige nach meiner Meinung nicht entbehren können, der Sicherheit für solche Erkenntnisse anstrebt. Was in dem Buche gesagt ist, kann auch für manchen Menschen annehmbar sein, der aus irgend welchen ihm geltenden Gründen mit meinen geisteswissenschaftlichen Forschungsergebnissen nichts zu tun haben will. Demjenigen aber, der diese geisteswissenschaftlichen Ergebnisse als etwas betrachten kann, zu dem es ihn hinzieht, dem wird auch wichtig sein können, was hier versucht wurde. Es ist dies: nachzuweisen, wie eine unbefangene Betrachtung, die sich bloß über die beiden gekennzeichneten für alles Erkennen grundlegenden Fragen erstreckt, zu der Anschauung führt, daß der Mensch in einer wahrhaftigen Geistwelt drinnen lebt. In diesem Buche ist erstrebt, eine Erkenntnis des Geistgebietes vor dem Eintritte in die geistige Erfahrung zu rechtfertigen. Und diese Rechtfertigung ist so unternommen, daß man wohl nirgends bei diesen Ausführungen schon auf die später von mir geltend gemachten Erfahrungen hinzuschielen braucht, um, was hier gesagt ist, annehmbar zu finden, wenn man auf die Art dieser Ausführungen selbst eingehen kann oder mag.“

Wie der Leser sieht, bietet bereits dieser längere Textauszug der programmatischen Vorrede Steiners reichlich Material, um festzustellen, dass diese Schrift in Steiners Augen in ihrer Ziel­setzung kaum dem entspricht, was die beiden Interpreten DaVeiga und Traub dort in ihrer kurz­en Paraphrase hineindeuten. Denn alles, was von den beiden in dieses Vorrede hineinin­terpretiert wird, trifft sachlich nämlich nicht zu, wenn man näher hinsieht. Von «Phänomeno­logie» ist dort nicht die Rede. Daß er «kein Wissen vermitteln» will, wird erst recht nicht ge­sagt, und wäre auch vollkommen absurd. Gesagt wird auch nicht, dass es sich hier um ein «Übungsbuch» handele. Wie auch? Die Schrift gilt ja schließlich für jedermann. Auch für Wissenschaftler meinetwegen wie Popper und Eccles. Sowie für jeden anderen, den zwar eine freiheitsphilosophische Begründungsschrift interessiert, aber nicht unbedingt der anthroposo­phische Übungsweg, der erst später darauf (auf der ersten Auflage) aufbaute. Das wird insbe­sondere zum Ausruck gebracht durch Steiners Empfehlung von S. 5, daß niemand auf seine spätere Geistesforschung «hinschielen» muß, um die Philosophie der Freiheit annehmbar zu finden.

An­ders resümiert: Was der Verfasser selbst zu seiner Schrift an Voraberklärung in der Vorrede vorlegt, das interessierte keinen der beiden «Herme­neutiker» Traub und DaVeiga. Und auf dieser zweifel­haften Interpretationsgrundlage wird dann im akademischen Stil weiter ge­werkelt. Das scheint mir bei derart hoffnungslosen Exegeten ein rein akademisch-rhetori­sches Anliegen zu sein, aber keins mit dem man bereits bei solchen Interpretationskost­proben viel Hoffnung auf Erfolg verbindet. - Was der Verfasser selber will in diesem Buch, dafür ist keiner von den beiden empfänglich, sonst hätten sie sich bei einem Überblicksartikel zur Stei­nerforschung mit ih­rer Inter­pretationsprobe über Steiners Programmatik der Schrift doch etwas mehr Mühe gegeben. Zumal im ausdrücklichen Kontext der Hermeneutik. Was da also gebo­ten wird, ist im wesent­lichen leere akademische Rabulistik und Wortverdrehung, der im vor­liegenden Fall vollständig die genaue Beobachtung am Objekt fehlt. Das wäre im konkreten Fall des Textver­ständnisses die Beobachtung und Klärung dessen, was Steiner in dieser Vorre­de zur Zweitauf­lage überhaupt zu seinen Zielen explizit geschrieben hat. Bereits da klemmt es bis zum offen­baren Widerspruch zwischen ihren Ausdeutungen und dem wirklichen Inhalt dieser Vorrede. Das erstaunlicherweise bei einem Interpreten (Da Veiga), der vor mehr als drei Jahrzehnten (1989) bereits mit einer Dissertation über Steiner (hier das Inhaltsverzeichnis) und dessen erkenntniswissenschaftliche Grundlagen an die Öffentlichkeit getreten ist. Doch bis heute selbst als Herausgeber der Stei­ner-Studies immer noch nicht weiß, was in dieser «Vorre­de» der Philosophie der Freiheit von 1918 eigentlich steht, die Gegen­stand seiner eigenen Dis­sertation war. Vergleichbares gilt für den CoAutor Hart­mut Traub, der sich 2011 in ei­nem opulenten Buch mit Steiners Grundschriften kritisch befass­te, und zur Verblüffung des Lesers bis heute ebenfalls die einfachsten Sach­verhalte noch nicht kennt, die in dieser Vorrede der Philosophie der Freiheit von 1918 behandelt werden. (Unter dem Link zum Kohlhammer Verlag findet der Leser auch Inhaltsverzeichnis und Vorwort von Traubs umfangreicher Schrift von 2011.)

Nun, was Steiner nach eigenen Worten in der Vorrede zur Neuauflage von 1918 vorlegt ist eine «Grundlegung für alles Erkennen». Daß die­se als solche angeblich «keine Wissensinhalte vermitteln will oder soll», diese Aussage der beiden Interpreten geht vollständig am Anliegen Steiners vorbei. Wäre auch schon vom Inhalt dieser Schrift selbst widerlegt. Auf der anderen Seite wiederum sind die zahlreichen argumen­tativen Auseinan­dersetzungen Steiners in dieser Schrift ja nicht zu übersehen und alles andere als blo­ße «Bewußt­seinsphänomenologie». Daß zudem eine «Grundlegung für alles Erken­nen» kei­ne speziellen Erkenntnisse aus dieser oder jener Einzelwissenschaft voraussetzen kann re­spektive vorträgt, ist ebenso einleuch­tend und gehört per se in die Erkenntniswissenschaft. Das sollte bei Philo­sophen eigentlich unter dem Stichwort «Voraussetzungslosigkeit» be­kannt sein, die ganz zwangsläu­fig einzuhalten ist, wenn man die «für alles Erkennen grundlegenden Fra­gen» zu klären trach­tet, wie Steiner in dieser Schrift. Man muß und darf als Erkenntniswissens­chaftler nun aus die­sem Grund zwar keine speziellen Resultate der Natur- oder Geistes­wissenschaft vorlegen bzw. voraussetzen, kann sich aber gleichwohl an der me­thodischen Denkdiszi­plin der Na­turwissenschaften orien­tieren und dabei via «seelischer Beob­achtung» das «Seelen­gebiet beobachten», auf dem der Leser der Schrift die Freiheitsfrage re­spektive die beiden Wurzelfragen im Be­darfsfalle stets neu für sich beantworten kann. Zumal in einer Form der seelischen Beobachtung, die sich seit 1886 an die «immanent psychologische Erkenntnistheorie» Johannes Volkelts angelehnt hat, wie wir bereits regelmäßig hier festgestellt haben. Die enge Orientierung wiederum an der Na­turwissenschaft berichtet Stei­ner auch im Rechtfertigungs­vortrag von 1921 in GA-255b, S. 295 ff. Wenn auch dort mit anderen Akzenten. Letztlich aber kann man es der Philosophie der Freiheit selbst entnehmen, zumal mit ihrer Kernfrage, wer oder was das menschliche Denken eigentlich erwirkt. Die sich bereits ganz zwangsläufig aus der Eingangsfrage von Kapitel I ergibt.

Daß Steiner da «nur ein Übungsbuch» vorlegen wollte, das wiederum hat Steiner in der Philo­sophie der Frei­heit noch nie behauptet. Weder in der Erstauflage, noch in der Vorrede zur zweiten, noch in der ganzen neu aufgelegten Schrift von 1918. Was auch vollständig absurd wäre angesichts der ständig wiederholten Hinweise Steiners auf seine erkenntnistheoretische Grund­legung der Frühschriften, wie bespielsweise besonders deutlich in GA-21, S. 58 f. Was aber auch kurios wäre angesichts der Fragen, die in diesem Buche seit der Erstauflage ständig aufgeworfen werden. Nirgendwo steht dort etwas von einem «Übungsbuch». Wenn überhaupt, dann findet man Hinweise dieser Art nur in späteren Schulungszusam­menhängen, aber nie­mals in der Philosophie der Freiheit selbst. Eine erkenntnistheoretische Grundlegung und Freiheitsphilosophie ist aber nun einmal etwas anderes als nur ein «Übungsbuch», von dem wie gesagt in der Philosophie der Freiheit noch nie die Rede war. Daß man mit derart triviali­sierenden Verballhornungen und werkgeschichtlichen Paralogismen, wie wir (hier S. 1054 ff) ja auch bei Ravagli schon moniert ha­ben, der ganzen Schrift ihren erkenntniswissenschaftlic­hen und freiheitswissenschaftlichen Sinn entzieht, das gehört mit zur Tragik des heuti­gen Un­verstandes unter den Anthroposophen.

Die Philosophie der Frei­heit wurde erstmals zu Begründungszwecken geschrieben, als es den anthroposophi­schen Übungsweg noch nicht gab. Laut GA-255b, S. 296 ff, um den letzteren überhaupt erst zu begründen durch den Nachweis des «leibfreien» Denkens. Ein Nach­weis, der ja zugleich zu­sammenfiel mit einem Nachweis des sich selbst tra­genden erkennen­den Denkens als Grundlag­e der menschli­chen Freiheit. Die Freiheitsfähigkeit des menschli­chen Denkens und die Leib­freiheit dieses Den­kens haben erkenntniswissenschaftlich die selbe Grundlage im erken­nenden Denken. Das ist nicht von Steiner später weit hergeholt, sondern das läßt sich auch ganz un­verkennbar in der Philosophie der Freiheit selbst nachlesen, wie wir es oben S. 240 ff im Zu­sammenhang mit Ch. Schr­empf, W. J. Stein und den Artikeln in der Zeitschrift Die Tat etwas beleuchteten. Nicht zuletzt aus diesem Grund macht Steiner in der Schrift Von Seelenrätseln gegen Ende des Kapitels Anthropologie und Anthroposophie (S. 29 ff) darauf aufmerksam, daß ein sich an den Gesetzen der Logik orientierendes Denken und Er­kennen nicht von den Gesetzen des Leibeslebens getragen sein kann. Ein unmissverständlicher Hin­weis auf die «Leibfreiheit des Erkennens» an dieser Stelle, was in dieser Schrift (GA-21) ja wieder­holt vorgetragen wird. Was in analoger Weise wiederum auch von Popper / Eccles aus­gesprochen wur­de anläß­lich ihrer kritischen Betrachtungen zum Physikalismus des Erkennens. Die in dieser Frage in mehrfacher Hinsicht «natürliche» Verbündete für Steiner und dessen Su­che nach der Leibfreiheit des erkennenden Denkens sind. Einmal, was den problematischen Zusammenhang der menschlichen Erkenntnistätigkeit mit der Naturkau­salität angeht, sowie die Folgen einer davon unabhängigen Erkenntnistätigkeit für die faktische Naturkausalität selbst, einschließlich dem Wesen dieser Naturkräfte. Und einmal methodisch mit Blick auf die faktische Denktätig­keit und deren Untersuchung mit wissenschaftli­chen Mitteln.

Mit Bewußt­seinsphänomenologie hat das selbstverständlich insofern etwas zu tun, als die Tatsache als sol­che sich aus einer ein­gehenden Untersuchung des faktischen Den­kens und Erkennens er­gibt, wes­wegen Popper in die­sem Zusammenhang auf die Logik und die Würzburger Schule der Denkpsycho­logie verwies, die er als Schüler Bühlers gut kannte. Eine Untersuchung des fakti­schen Den­kens und Erken­nens lag bei Steiner bereits 1894 vor, so daß er sich später natürlich darauf be­rufen konnte, daß die erkenntniswissenschaftliche Forschung dieser frühen Jahre mit ihrem resultierenden Nachweis der Leibfreiheit des menschlichen Den­kens die Grundla­ge des späteren Schulungsweges war. Während Popper sich neben der Logik auf die Denkpsycholog­ie der Würzburger Schule berief. Frei­lich ist der erkenntnispsychologi­sche Nachweis der Leib­freiheit des erken­nenden Denkens (Steiner) re­spektive die Entkräftung des «Physika­lismus des Erkennens» (Popper) noch kein anthroposo­phischer Schulungs­weg. Son­dern dieser Nach­weis bildet, wie Steiner betonte, le­diglich sei­ne Grundlage und Vorausset­zung. Er geht ihm notwen­digerweise zeitlich voran be­vor der Schu­lungsweg an­hand dessen entwickelt war, der seinerseits erst 10 Jahre nach der Erstausgabe der Philosophie der Freiheit von 1894 an die Öffentlichkeit kam. (Siehe unten.)

Nun gibt es aber spätere Verbindungen zwischen dem anthroposophischen Schulungsweg und der Philosophie der Freiheit, die Steiner selbst in seinem Vortragswerk wiederholt hergestellt hat. Eine geradezu klassische solche Anbindung unter manchen anderen zwischen der Philosophie der Freiheit und dem «Schulungsweg» erläutert Steiner beispielsweise in GA-322 (Grenzen des Naturerkennens) im Vortrag vom 03. Oktober 1920. (Hier, S. 109 ff.) Wo auf S. 110 ff die Philosophie der Freiheit als «Weg für den Wissen­schaftler» bezeichnet wird, während er die Schrift Wie er­langt man Erkenntnisse der höheren Welten? einen «Weg für jedermann» nennt. Wo dann in diesem Vortrag im Zusammenhang mit der Philosophie der Freiheit auch von einigen bewußtseinsphänomenologischen Übungen die Rede ist.

Es empfiehlt sich sehr, diese in GA-322 sich über mehrere Seiten erstreckenden Passagen zur Philosophie der Freiheit mit den Ausführungen dazu in GA-255b S. 296 ff zu kontrastieren, um eine Übersicht davon zu erhalten, worum es in der Philosophie der Freiheit damals (1894) ging, und warum der Vortrag aus GA-255b den Schulungsweg der Anthroposo­phie ganz von der Forschung zum «leibfreien Denken» im Frühwerk Steiners respektive der Philosophie der Freiheit abhängig macht. Auch hier gilt Steiners kritische Bemerkung gegen Eduard von Hart­mann am Ende von ihrem Kapitel III: «Man kann nicht zu etwas kommen, was das Denken be­wirkt, wenn man den Bereich des Denkens verläßt». - Die Unabhängigkeit des Denkens von den leibli­chen Vorgängen nachzuweisen ist eine extrem aufwändige Forschungsangelegenheit, und läßt sich nicht einfach so dahin werfen. Der diesbezügliche Forschungsaufwand in der Philosophie der Frei­heit ist indessen ein Teil dessen, was der «Wissenschaftler» mühsam erarbeiten muß, der diese Schrift als «Schu­lungsschrift für den Wissenschaftler» zu verstehen hat. Denn er soll ja nicht nur den Übungs­weg gehen, sondern als Wissenschaftler auch begrei­fen, warum dieser Übungsweg aus seiner Grundlagenforschung heraus und wegen der Leib­freiheit des denkenden Erkennens plausibel ist. Das unterscheidet den wis­senschaftlichen Zu­gang zum Schulungsweg von jenem eines Laien, der zu solchen Begrün­dungsfragen nicht kommt und auch wo­möglich nicht gewillt ist, sie überhaupt zu stel­len, weil ihm das aus vielen Gründen vollkommen fern liegt. Deswegen gibt Steiner dem Leser des «Schulungsweges für jedermann», - der Schrift Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? (GA-10, hier, S. 214 ff), - nur einen allgemeinen Hinweis auf die Grundlagen dieses Schulungsweges im reinen Denken, der natürlich weit davon entfernt ist, eine eingehende Begründung zu sein. Der Wissenschaft­ler hingegen muß es schon sehr viel genauer wissen, warum so ein Schulungsweg mit wissen­schaftlichen Mitteln wohl begründet ist.

Das sind nun zwei und mehr sehr verschiedene Problemstellungen: Zum einen die Rechtfertigung des Schulungsweges anhand des Nachweises des «leibfreien Denkens», wie es 1921 in GA-255b skizziert wurde. Wo wiederum der Nachweis des leibfreien Denkens auch die erkenntniswissenschaftliche Grundlage der menschlichen Freiheit ist. Und zum anderen die Durcharbeitung der Philosophie der Freiheit zu Übungszwecken, respektive als «Schulungsbuch» für den Wissen­schaftler, wie es kurz zuvor (1920) in GA-322 gezeichnet wird. Für den Fall der Rechtfertigung des Schulungsweges aus dem leibfreien Denken ist eben nochmals anzumerken, dass dieser Schulungsweg auf der Ba­sis des leib­freien Denkens 1894 noch gar nicht existierte. Sondern er sollte ja erst entwickelt werden an­hand des Nachweises des leibfreien Denkens. Worauf Steiner sehr eindringlich in GA-255b hinweist. In öffentlicher Form wiederum existiert der anthroposophische Schulungs­weg über­haupt erst ab ca 1904 in der Zeitschrift Lucifer Gnosis. Also ~10 Jahre später als die Erstaufla­ge der Philosophie der Freiheit.

Im Fall von GA-322, S. 110 wird die Philosophie der Freiheit ausdrücklich als «Schulungs­weg für den Wissenschaftler» der Schulungs­schrift «für jedermann» Wie erlangt man …? (GA-10) gegenüber­gestellt, die es 1894 selbstredend noch gar nicht gab, sondern die erst ab 1904 in Aufsatzform an die Öffentlichkeit kam. Und ihrerseits durch das Frühwerk selbst erst rechtfertigt bzw. ent­wickelt wurde, wie Steiner in seinem öffentlichen Vortrag von 1921 in 255b zum Ausdruck bringt. - Was folgt daraus? - Den Weg dieser Entwicklung des Schulungs­weges, bzw. den «Nachweis des leibfreien Denkens» geht jetzt auch der Wissenschaftler, dem die Philosophie der Freiheit in GA-322 von Steiner als «Schulungs­buch» angetragen wird. Das wäre das min­deste, was er verstehen müßte, um den Schulungs­weg wissenschaftlich zu begreifen. Anhand der Philosophie der Freiheit müß­te er begreifen, warum der Schulungsweg auf der Forschung zum leibfreien Denken be­gründet basiert. Als «Wissenschaftler» also auf diesem Wege der Philosophie der Freiheit all das nachvollziehen, was Steiner selbst in dieser Schrift bis Oktober 2020 schrieb, als der Vor­trag aus GA-322 mit der Schulungsempfehlung von Steiner gehalten wurde. Und darüber hinaus manches andere auch noch, weil die Philosophie der Freiheit ja höchst unvollständig war, wie wir gleich noch weiter hören werden. So daß mancherlei Problemstellungen an der Schnittstelle von «Anthro­pologie und Anthroposophie» noch dazu kommen, die abzuarbeiten sind. Von denen etliche in der Schrift Von Seelenrätseln auch exemplarisch dargelegt worden sind, versehen mit Steiners Hinweis, diese Fragen seien auch mit den Mittel seiner eigenen Zeit ohne weiteres zu beant­worten.

Wenn Sie sich die Übungen in GA-322 wiederum anschauen, die dort beispielsweise auf S. 113 f über das «Einsaugen von begriffslosen Wahrnehmungen» von Steiner vorgeschlagen werden, dann wird Ihnen das vertraut vorkommen, sofern Sie nur mit Steiners Frühschriften etwas bekannt geworden sind. Es geht dabei um nichts anderes als die sogenannte «reine Erfahrung», die Steiner bereits in seinen Grundlinien von 1886 in Anlehnung an Johannes Volkelt zur empirischen Grundlage seiner Erkenntniswissenschaft erklärt hat, die sich in etwas verkürzter Form in der Philosophie der Freiheit immer noch findet, nach dem davon in Wahrheit und Wissenschaft die Rede war unter dem Stichwort «unmittelbar Gegebenes». Dieses erkenntniswissenschaftliche Prinzip der «reinen Erfahrung» ist sowohl von Steiner als auch von Volkelt nie verlassen worden, darauf habe ich eigens in meiner längeren Studie hingewiesen (hier S. 160, etwa Anm. 151).

Schauen wir zunächst kurz auf ein Beispiel von GA-322, S. 113 f. Dort heißt es bei Steiner: „Nun, ich setze also voraus, daß man zunächst aus dem gewöhnlichen Bewußtsein heraus in dieser Weise, wie ich es angeführt habe, die «Philosophie der Freiheit» durchgearbeitet habe. Dann wird man in der rechten Verfassung sein, um nun gewissermaßen das in gutem Sinne vorzunehmen für seine Seele, was ich schon gestern bezeichnet habe, mit ein paar Worten allerdings nur, zunächst als den Weg in die Imagination hinein. Dieser Weg in die Imagination hinein, er kann so vollzogen werden, angemessen unserer abendländischen Zivilisation, daß man versucht, sich ganz nur der äußeren phänomenologischen Welt hinzugeben, diese unmittelbar auf sich wirken zu lassen mit Ausschluß des Denkens, aber so, daß man sie doch aufnimmt. Nicht wahr, unser gewöhnliches Geistesleben im wachen Zustande verläuft ja so, daß wir wahrnehmen und eigentlich immer im Wahrnehmen schon das Wahrgenommene mit Vorstellungen durchtränken, im wissenschaftlichen Denken ganz systematisch das Wahrgenommene mit Vorstellungen verweben, durch Vorstellungen systematisieren und so weiter. Dadurch, daß man sich ein solches Denken angeeignet hat, wie es allmählich hervortritt im Verlaufe der «Philosophie der Freiheit», kommt man nun wirklich in die Lage, so scharf innerlich seelisch arbeiten zu können, daß man, indem man wahrnimmt, ausschließt das Vorstellen, daß man das Vorstellen unterdrückt, daß man sich bloß dem äußeren Wahrnehmen hingibt. Aber damit man die Seelenkräfte verstärke und die Wahrnehmungen im richtigen Sinne gewissermaßen einsaugt, ohne daß man sie beim Einsaugen mit Vorstellungen verarbeitet, kann man auch noch das machen, daß man nicht im gewöhnlichen Sinne mit Vorstellungen diese Wahrnehmungen beurteilt, sondern daß man sich symbolische oder andere Bilder schafft zu dem mit dem Auge zu Sehenden, mit dem Ohre zu Hörenden, auch Wärmebilder, Tastbilder und so weiter. Dadurch, daß man gewissermaßen das Wahrnehmen in Fluß bringt, dadurch, daß man Bewegung und Leben in das Wahrnehmen hineinbringt, aber in einer solchen Weise, wie es nicht im gewöhnlichen Vorstellen geschieht, sondern im symbolisierenden oder auch künstlerisch verarbeitenden Wahrnehmen, dadurch kommt man viel eher zu der Kraft, sich von der Wahrnehmung als solcher durchdringen zu lassen [] Man kann sich ja schon gut vorbereiten für eine solche Erkenntnis bloß dadurch, daß man wirklich im strengsten Sinne sich heranerzieht zu dem, was ich charakterisiert habe als den Phänomenalismus, als das Durcharbeiten der Phänomene. Wenn man wirklich an der materiellen Grenze des Erkennens getrachtet hat, nicht in Trägheit durchzustoßen durch den Sinnesteppich und dann allerlei Metaphysisches da zu suchen in Atomen und Molekülen, sondern wenn man die Begriffe verwendet hat, um die Phänomene anzuordnen, um die Phänomene hin zu verfolgen bis zu den Urphänomenen, dann bekommt man dadurch schon eine Erziehung, die dann auch alles Begriffliche hinweghalten kann von den Phänomenen. Und symbolisiert man dann noch, verbildlicht man die Phänomene, dann bekommt man eine starke seelische Macht, um gewissermaßen die Außenwelt begriffsfrei in sich einzusaugen.“

Es geht in diesen Vortragsempfehlungen folglich um «seelische Beobachtungen», von denen bei Steiner seit mindestens 1886 schon im Zusammenhang mit Volkelts «reiner Erfahrung» die Rede ist. Dort mit ausgesprochen erkenntniswissenschaftlichem Anliegen. Der Leser, sofern er Steiners Grundlinien einmal studiert hat, wird sich noch an das von Volkelt entlehnte «vorzügliche» Briefträgerbeispiel für die «reine Erfahrung» aus dem dortigen Kapitel 5 (hier S. 32 f) erinnern. In GA-322 von 1920 wird nun diese «seelische Be­obachtung» respektive «reine Erfahrung» auf subtilere Weise mit dem Schulungsweg in Ver­bindung gebracht, der seit annähernd 1904 / 05 vorlag. Und zwar dergestalt, daß im konkreten Übungsfall für den «wissenschaftlichen Schulungsweg» durch Symbolisierungen und derglei­chen der Übende durch ein Training dieser Art eine viel stärkere Macht über sein Seelenver­mögen erhält, als wenn er nur im Alltagsleben und ohne Schulungsabsichten solchen reinen Erfahrungen ausgesetzt wäre. Durch Übungen dieser Art „bekommt man eine starke seelische Macht, um gewissermaßen die Außenwelt begriffsfrei in sich einzusaugen.“ - Das wird mancher Leser kennen. Darum ging es beispielsweise in den Grundlinien von 1886 schon, falls er sich erinnert. Das erkennt­nistheoretische Anliegen von 1886 als solches ist auf dem «wissenschaft­lichen Schulungsweg» also keineswegs ver­schwunden. Sondern war 1886 bereits in Steiners Erkenntniswissenschaft derart vorhanden, daß er dort das Fundament des Erkennens auf der «reinen Erfahrung des Denkens» aufbaute, wie Sie vielleicht noch wissen. Im Kapitel 8 auf dem erlebten Denken als einer «höheren Erfahrung innerhalb der Erfahrung». Lesen Sie es gegebenenfalls noch einmal nach. Das ist später im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit substantiell nicht anders geworden. Falls der Studieren­de gegebenenfalls Schwie­rigkeiten hat, den Vorstellungsanteil vom rein wahrnehmlichen An­teil zu unterscheiden, kann er das mit Übun­gen dieser Art qualitativ verbessern. Das berichtet Steiner dazu. Das gilt natür­lich auch für den Anteil der inneren Aktivität des Denkens, die man auf analoge Weise üben kann, wie im vorliegenden Fall für den rein wahrnehmlichen Anteil angegeben. Siehe etwa GA-84, S. 91 ff. Siehe ebenfalls exemplarisch zur Verstärkung des Denkens in der GA-79, S. 89 ff. Der Leser wird sich das natürlich leicht selbst ausrechnen können, daß man auch die innere Aktivität auf vie­lerlei Weise speziell für sich üben und studieren kann. Auch dafür gibt es in Verbindung mit der Philosophie der Freiheit spezielle Schulungsübungen von Stei­ner. Daß wiederum die «Denk­übung», die sogenannte «erste Neben­übung», wie wir sie oben ab S. 240 ff im Zusammenhang mit Chris­toph Schrempf und Stei­ners diesbezüglichen Bemerkungen in GA-78, S. 168 ff auf so eine Weise nicht nur mit der Anthroposophie, sondern auch mit der Erkenntniswissenschaft und Freiheitsphilo­sophie Stei­ners in Verbindung gebracht werden kann, liegt auf der Hand. Zumal Stei­ner im entsprechend­en Kontext von GA-78 und mit Blick auf den dort ungenannten Christoph Schrempf ausdrückl­ich auf «die innere Freiheit» hinweist, aus der heraus solche Gedan­kenübungen vor­genommen werden. Es ist die letztere Gedankenübung ja, wie wir darlegten, in Steiners Augen eine ausgesprochene Kernübung respektive «Grundanforderung» für den me­thodischen Weg zu den geistigen Wahrheiten, wie es mit Nachdruck auch in der Geheimwissenschaft (GA-13, S. 328 ff) heißt.

Wenn Sie die Schrift Von Seelenrätseln studieren, dann werden Sie auf weitere, analoge seelische Beobachtungen stoßen. Auch dort gibt es beispielsweise von Steiner im Zusammenhang mit der Imagination den Hinweis auf S. 27 f, „Die Seele muß, [die imaginativen Vorstellungen, MM] um sie zustande zu bringen, so genau den inneren Vorgang der Vereinigung von Vorstellungsleben und Sinnes-Eindruck kennen, daß sie das Einfließen der Sinneseindrücke, beziehungsweise ihrer Nacherlebnisse, in das Vorstellungsleben ganz fern halten kann.“ Ein analoger Fall wie in GA-322 eben geschildert.

Alles in allem ist es angesichts dieser Verhältnisse nicht weiter überraschend, wenn Steiner be­reits in den Grundlinien von 1886 im Psychologie-Kapitel 18 (hier S. 79) darauf hinweist, daß «die Psychologie die erste Wissenschaft sei, wo es der Geist mit sich selbst zu tun habe». Was hervorragend auch damit zur Deckung zu bringen ist, daß er sich in dieser Schrift maßgeblich auf die Methode des «immanent psychologischen» Erkenntniswissenschaftlers Johannes Vol­kelt stützte. Der mit seinem inneren erkenntniswissenschaftlichen Empirismus ganz analog wie Stei­ner auch das Kausalitätsproblem Kants und Humes zu lösen suchte. (Siehe dazu Volkelt, Er­fahrung und Denken, 1886, Kap. 2, S. 64 ff, Das Wissen von meinen eigenen Bewußtseinsvor­gängen als das einzige reine Erfahrungswissen.) Schauen Sie sich, lieber Leser, Steiners Grundlinien, und zumal das Kapitel 14 im Vergleich dazu an, so wird Ihnen manches Verwandte dazu regelrecht in die Augen springen. In dieser fundamentalen emipiris­tischen Ori­entierung am eigenen Seelenleben folgte ihm Steiner seit 1886, wenn auch nicht unbedingt mit denselben Resultaten, bei denen Volkelt sich erst 1918, S. 140 ff sichtbar an Steiner annä­herte. An dieser erkenntniswissenschaftlichen Grund-Orientierung und seelischen Beob­achtung hat sich seitdem bei Steiner auch nichts verändert. Insofern ist es es auch in kei­ner Weise überra­schend, wenn Steiner am Ende der Schrift Von Seelenrätseln S. 170 f den dringenden Wunsch nach einem psycholo­gischen Labo­ratorium äußert. Letztlich kommt man dabei immer wieder auf die im­manent psychologische Erkenntnistheorie von Johannes Volkelt zurück, auf dessen «grundlegender Vorarbeit» Steiner seit 1886 methodisch und erkenntnis­wissenschaftlich auf­baute. Dem er diesbezüglich in der für seine «ganze Weltanschauung grundlegenden Schrift» Wahrheit und Wissenschaft in der Einleitung (hier S. 7) eine entspre­chende Würdigung gewidmet hat, die wir weiter oben ausführlicher besprochen haben.

Der von Steiner in GA-322 angesprochene «Wissen­schaftler» müßte nun nicht nur die Übun­gen zur Bewußtseinsschulung kennen, sondern er muß als Wissenschaftler natürlich auch die Grundlagen all dessen kennen, die Steiner seit 1886 und früher erarbeitet und vorgelegt hat. Demzufolge auch die be­gründenden Gedankenweg der Zweitaufla­ge der Phi­losophie der Freiheit einge­hend auf wis­senschaftlichen Wegen nachvollziehen und anhand dessen die Leibfreiheit des er­kennenden Denkens verstehen. - Bei den Anhängern Wit­zenmanns scheitert das ausdauernd bereits seit ~ 40 Jahren schon am sogenannten «Erzeu­gungsproblem» der Strukturphänomeno­logie und an­derem Nonsense, den Witzenmann zuvor schon dazu seinen Lesern und Schülern seit 1948 verab­reicht hat. Seither ist dort das Licht gelöscht, und nennenswerte Anstrengungen zum Ver­ständnis von Steiners Frühwerk wurden in diesem Um­feld nicht mehr un­ternommen, wie wir hier öfter schon darlegten. Was man exemplarisch auch am hilflo­sen Aktionismus des Herrn DaVeiga er­kennt, der als Anhänger Witzenmanns sogar von der Vorrede der Philoso­phie der Freiheit zur Neuauflage von 1918 schlicht keine Ahnung hat, und jetzt gemeinsam mit Traub vollkommen krauses Zeug darüber behauptet, was angeblich von Stei­ner darin geschrie­ben sein soll. - Daß so je­mand etwas von der «Leibfreiheit des Denkens» in dieser Neuauflage begreift, der solche un­wissenheitsbasierten Mythen und Dogmen bereits über den In­halt ihrer Vorrede in die Welt setzt, ist wenig wahrscheinlich und nicht wirklich zu erwarten. Von Herrn Traub wiederum wurden Steiners Grundlinien von 1886, wo das rein erfahrene Denken und Er­kennen im Zusammenhang mit Volkelt erkenntnis­psychologisch seinen unüber­sehbaren An­fang nahm, in seinem umfangrei­chen Buch von 2011 keines Wortes gewürdigt. Die ganze Schrift Steiners von 1886 nicht, wie Sie auch dem Inhaltsverzeichnis Traubs entnehmen können. So wenig wie er sich dort um Steiners Verhält­nis zu Jo­hannes Volkelt und dessen «immanent-psychologi­schem» Konzept der Erkenntnis­wissenschaft und der «rei­nen Erfahrung» bemühte, auf dem Steiner maßgeblich aufbaute. Bei­des hat er links liegen las­sen, nicht ahnend, was das für Stei­ners Erkenntniswis­senschaft zu be­deuten hat, und wie es in Steiners Schulungsweg dann wiederk­ehrt. Sehr viel anders ist das bei Wit­zenmann und seinen Anhängern auch nicht gewesen, wo man von Stei­ners Beziehung zu Jo­hannes Volkelts psy­chologieorientierter Erkenntniswissens­chaft rein gar nichts hört. An an­derer Stelle sieht das kaum anders aus. Mit Ausnahme von Jaap Sijmons, der sich wenigstens mit Vol­kelt und Steiners Frühschriften be­faßte, aber mit der «immanent psy­chologischen» Erkenntnistheorie Volkelts, die sich dann als «seelische Beob­achtung» bei Stei­ner wiederfand, schon in seiner umfangreichen Dissertation nichts am sprich­wörtlichen Hut hatte. Sondern, so mein Eindruck, den Antipsychologismus Husserls auch noch in Steiners Be­gründungswerk hineingetragen hat, ohne viel davon zu begreifen, was der psy­chologische Empiriker des Den­kens Steiner da eigentlich macht. Und warum der so eindring­lich vom «erlebten Zusammen­hang von Wirken­dem und Bewirktem» beim Denken und Er­kennen redet. Zumal auch in Ver­bindung mit Kants Kausalitätsproblem, und im Kontrast zu Kant nach den «wirkenden Kräften der Natur» im ei­genen Inneren suchte. Warum der schließlich 1917 auch unbedingt noch in ein psychologi­sches Laboratorium wollte, um beste Grundlagen zu legen, - das alles liegt solchen Leuten völlig fern.

Dieser Kontrast wiederum ist wirklich ganz er­staunlich: Auf der einen Seite Steiners unver­kennbare Be­mühungen schon auf der erkenntnis­theoretischen Seite unbe­dingt empirisch den Weg über die Psycholo­gie zum wirkenden Geist zu neh­men: «Die Psychologie ist die erste Wissenschaft, in der es der Geist mit sich selbst zu tun hat». (Grundlinien, Erstausgabe, Kap. 18.) Was in sämtlichen Frühschriften ja wie an einer Litfaßsäule plaka­tiert erscheint. Wäh­rend bei seinen eigenen (mit Vorrang akademischen) Nachfolgern, wie kaum etwas anderes gerade die erkennt­niswissenschaftliche Psycho­logie, die dort durch­gängig als Steiners Grundlage fun­gierte, mit al­len Mitteln und seit vielen Jahrzehnten regel­recht mit Füßen und in die sprich­wörtliche Ton­ne getre­ten wird. Zumal dann, wenn sie von Witzenmann geprägt sind. Herr Schieren behauptet folglich heute noch, dass Steiners seelische Beobachtung mit Introspektion nichts zu tun habe, wie wir oben S. 188 ff und öfter sahen. Bei diesem Anhang Witzenmanns scheint Hopfen und Malz schlicht verlorenen. So daß Stei­ners heutige An­hänger, zumal die Akade­miker / Professoren un­ter ihnen, fort­während und in großer Zahl völ­lig außerstande sind, Stei­ners Be­gründungswege auch nur zu erahnen. Was letztlich das The­ma dieses Subkapitels um die «framende Herme­neutik» ist. In all diesen Fäl­len läßt sich wohl nur noch mit Steiner (Theoso­phie und Wissen­schaft, GA-34, S. 181) resü­mieren: „Man geht gar nicht zu weit, wenn man sagt: es gibt au­genblicklich kein grö­ßeres Hindernis gegen­über dem Verständnisse der theoso­phischen Be­hauptungen als den Be­sitz eines Doktorti­tels.„ - Das galt schon zu Steiners Zeit im frühen 20. Jahrhundert. Und heute kaum weniger und mitunter sogar mehr noch inzwi­schen für seine eigenen angeblichen Anhänger. Was der­zeit durch Professo­rentitel erfahrungsg­emäß wieder­kehrend noch eine dramatische Steige­rung erfährt, wenn man sich vor Augen führt, was da beständig und augenblicklich wieder ein­mal von DaVeiga und Traub ge­boten wird. Selbst und gerade auch «im Umfeld der eigenen Reihen», wie wir auch geradezu schla­gend weiter oben bereits im Zu­sammenhang mit dem ob­skuren Sammel­band der Alanus­hochschule feststellen mussten.

Bleiben wir beim «Übungsbuch» Philosophie der Freiheit: Nun wird ja niemand ernstlich glauben, daß er mit der Philosophie der Freiheit als bloßem «Übungsbuch» zurecht kommt, wenn er nicht einmal deren rein semantischen Zusammen­hang als Schrift der Freiheitsfor­schung begreift, was sie ja ist, und auch 1894 war. Interessan­terweise hat nun Stei­ner in der Zeitschrift Lucifer Gnosis (GA-34) nicht nur 1904-1905 in Form einer Aufsatzreihe den «Schulungsweg für jedermann», den in mehreren Artikeln geschriebe­nen Vorläufer der Schrift Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? erst­mals öffent­lich dargestellt. (Zum Wer­degang dieser Veröffentli­chen siehe ausführlich in GA-10, hier S. 224 ff.) Sondern in dersel­ben Zeitschrift (Lucifer Gnosis) unter dem Titel Theoso­phie und ge­genwärtige Geistesströ­mungen auf S. 284 ff auch den in GA-322 skizzier­ten «wis­senschaftlichen Weg» dargestellt, - nämlich als «dritten Weg» zu den geisteswissenschaftli­chen / theosophischen Wahrhei­ten, der über die Philoso­phie der Freiheit und die wissenschaft­liche Forschung läuft. Siehe dazu in GA-34, speziell zum dritten Weg S. 291 ff. (Wobei mir die GA-34 in dieser russischen PDF-Variante nach Sichtprüfung weniger Umwandlungsfehler zu enthalten scheint als die von Archive.org, die bisweilen grobe Mängel enthält. Die Variante vom Steiner-Wiki scheint mir auch weniger fehlerbehaftet zu sein.) Nach Angaben der Herausgeber wurde dieser «dritte Weg» von Steiner erstmals publi­ziert im Jahre 1908. (Siehe Näheres zu diesem «dritten Weg» hier auf: 378 ff; speziell S. 384 ff.)

Es ist übrigens ein unbestreitbarer Verdienst von Werner Moser, in seinem 2014 publizierten Vortragszyklus Werner A. Moser, Anthroposophie als Geisteswissenschaft, Basel 2014 aus den 1970er Jahren gleich im ersten Vortrag auf diesen «dritten Weg» Steiners hingewiesen zu haben. Der zweite Vortrag folgt auch noch explizit diesem Gedankenweg. Was sich letztlich in gewisser Weise von seinem ganzen Zyklus sogar sagen läßt. Freilich fehlt in Mosers Zyklus die enge Verbindung zur Psychologie und speziell der des Denkens. Mit dem gegenwärtigen Denken hat er dort seine ganz speziellen Probleme, die wir ausführlich an anderer Stelle S. 371 ff eingehender be­sprochen haben. Was ebenfalls fehlt ist eine eingehende Auseinanderset­zung mit Steiners kriti­scher Behandlung des Kausalitätsproblems, die bereits in den Grundli­nien im Kapitel 14 statt­findet. Desgleichen mit der Frage des Physikalismus im allgemeinen, wie sie ja bei Steiner in der Philosophie der Freiheit gleich zu Beginn aufgeworfen wird und im zweiten Kapitel dann zur Suche nach den wirkenden Kräften im eigenen Inneren führt. Das alles fehlt bei Moser, so daß Moser sich in diesen Vorträgen die Frage hätte stellen können, was Steiner denn in einem psychologischen Laboratorium vorhat, um dort «beste Grundlagen» zu legen, wie Steiner in GA-21 schrieb. Wo ebenfalls all diese Fragen abzuhandeln wären. Womit wir dann wieder zu Popper und der Würzburger Schule kämen. Nun hat Moser ja schon sehr wertvolle Hinweise dort hinterlegt, aber man kann von seiner Vortragssamm­lung natürlich nicht alles erwarten, was bei Steiner substantiell ist.

Deswegen will ich auch hier wieder den Leser daran erinnern, daß in der Zeit kurz nach der Jahr­hundertwende, als Steiners eigene Publikation zum «dritten Weg» erschien, unter «Philo­sophie» nicht dasselbe zu verstehen war wie heute. Sondern sei­nerzeit die Psycho­logie samt ihrem me­thodischen Teil zur Erkenntniswis­senschaft / Philo­sophie dazuge­hörte. Das ist zu be­denken, wenn Steiner in diesem Artikel von 1908 über die «drei Wege zu den theosophischen Wahr­heiten» und über die Philosophie und vom «gründli­chen Philosophieren» spricht, das ganz ge­wiß nicht als psychologiefreier Neukantianismus zu verstehen ist. Ergän­zend bleibt deswegen noch einmal die Fra­ge: Was will Steiner eigentlich im psychologischen Labor, - wie es in GA-21 ein­dringlich vor­getragen wurde, - um dort «bes­te Grundlagen» zu le­gen, indem die «Veranla­gung zum Schau­en» mit psychologischen Mitteln nachgewiesen wird? Die «Grundlagen» wurden ja seinen eigenen Worten zufolge bereits in Steiners Frühschriften mit psychologischen Mitteln gelegt. Folglich sind die erkenntniswissenschaftlichen Kern-Frage­stellungen der Frühschriften neuerlich im psychologischen Labor mit den dort vorhandenen Möglichkeiten zu behandeln: - Wie etwa wird er dort mit dem Physikalismus des Erken­nens und den wirkenden Kräften im eigenen In­neren umgehen? Alles Problemstellungen, die dort ebenso zu behandeln sind wie das sich selbst tragende Denken als Grundlage der menschlic­hen Freiheit und des Schulungsweges. Das alles gehört natürlich auch in die «gründliche wis­senschaftliche und philosophische For­schung», von der er 1908, also neun Jahre zuvor im Aufsatz über «die drei Wege» schrieb. In dem bezeichnenderweise die Philosophie der Frei­heit (damals noch die Erstausgabe von 1894) ebenfalls ihre Beleuchtung auf den Seiten 296 f fand.

Wie ein «Schulungsbuch» Philosophie der Freiheit unter solchen Umständen ausgesehen hät­te, wo all diese methodischen und erkenntniswissen­schaftlichen Begründungsfragen zu einem Bündel zusammengschnürt worden wären, das kann sich ein verständiger Leser leicht vorstel­len: Es wäre eine Bibliothek dabei entstanden, die in gewisser Weise dem nahe kommt, was Rosa Mayreder in ihrem Briefwechsel zur Philo­sophie Freiheit von 1894 Steiner im Brief Nr. 379 vorgeschlagen hatte. Was Steiner dort ausdrücklich im Antwortbrief Nr. 402 bestätigt hat. Vom Umfang und von der Forschungslage her gesehen war das Buch vollkommen unzurei­chend und mußte gewaltig erweitert werden, so auch Steiners Auffassung dazu. Wobei «ein Buch aus jedem Ka­pitel», wie sie empfahl, wohl nicht ganz ausgereicht hätte.

Ein entsprechen­des Brückenwerk zwischen Esoterik und erkenntniswissenschaftlichen Grund­lagen ist zwar in Planung gewesen, kam aber nicht zustande, wie Steiner auch in der Schrift Von Seelenrätseln S. 150 schrieb, die ihrerseits mit ihrer etwas augedehnteren Behandlung des «gemeinsamen Treffpunktes von Anthropologie und Anthroposophie» eine Art Notfallösung für den Ausfall des geplanten Brückenwer­kes dar­stellte, von dem im übrigen das Fragment Anthroposophie (GA-45) erhalten geblieben ist. Abgesehen von Vortragsergänzungen und in­haltlichen Überar­beitungen nebst vielen Hin­weisen in Steiners Schrifttum ist die Philosophie der Freiheit ein­schließlich ihrer recht zahlreichen Überarbei­tungen und Erweiterungen nicht sehr viel umfang­reicher geworden als sie 1894 schon war. Und vom Ziel «ein Buch pro Kapi­tel» natürlich nach wie vor weit entfernt. Und damit auch in Steiners Augen 1918 nach wie vor gänzlich unge­nügend.

Aus dieser Not machte Stei­ner ge­wissermaßen, wenn man so will, eine Tugend, und legte sei­nen «wissenschaftsorientiert­en» Zuhö­rern im Vor­trag aus GA-322 auf S. 110 f zum Studium der Philo­sophie der Freiheit wiederum nahe: „daß ge­wissermaßen das Buch selbst nur eine Art Partitur ist und man in inne­rer Denktä­tigkeit diese Par­titur lesen muß, um fort­während aus dem Eige­nen heraus von Ge­danke zu Ge­danke fortzu­schreiten.“ - Das trifft die Sache vielleicht recht gut. Eine «Partitur»die Musik muß der Leser selbst dazu spielen. Falls er die Noten und sonstigen musikalischen Anweisun­gen überhaupt lesen kann. Denn das ist ja die Voraussetzung für diese Art «Musik». Was man an­gesichts der beiden «Hermeneutiker» Traub und DaVeiga freilich mit guten Gründen bezwei­feln kann, nämlich daß sie Steiners «Partitur» überhaupt lesen können.

Wer von Stei­ners Le­sern ver­steht jetzt dessen kritischen Hinweis an Eduard von Hartmann in dieser «Partitur» vom Schluß des Kapi­tels III: „Die unbefang­ene Beobachtung ergibt, daß nichts zum Wesen des Denkens ge­rechnet werden kann, was nicht im Denken selbst gefunden wird. Man kann nicht zu etwas kommen, was das Den­ken be­wirkt, wenn man den Bereich des Denkens verläßt." - Das heißt: Eine äußerliche Kausalerklärung kommt als Erklärung des er­kennenden Denkens grund­sätzlich nicht infra­ge. - In diesem «Partiturhinweis» fehlt natürlich der ganze erkenntnislogi­sche und kausalphilosophische Kontext, der erst noch näher verständ­lich zu machen wäre, und damit dann auch in die er­sichtliche Nähe von Poppers und Eccles` Kampf gegen den Physika­lismus des Erkennens führt. Womit wir dann wieder zusammen mit Popper und Eccles bei der Kausalität des Erkennens wären. Damit stehen wir auch, wie bei Edith Stein oben dargelegt, vor der Grundsatzfrage, «wie man eine Kausalerkenntnis empi­risch be­gründen kann?» Von der Stei­ner seinerseits schon in den Grundlinienim Kapitel 14 schrieb, daß darüber nur «Dogmatismen» existierten, die «an die Sache nie heran­kämen». Eine Einschätzung, mit der er absolut kein Einzelgänger in dieser Zeit war, sondern neben vielen anderen in Johannes Volkelt schon in den 1880er Jahren einen namhaften Mit­streiter hatte, der aus genau diesem Grunde und exakt wie Steiner in der Schrift Erfahrung und Denken, von 1886, S. 80 f eine empirische Lösung des Kausalitätsproblems im menschlichen Seelenleben suchte. Weil aus seiner Sicht eine andere nicht infrage kam. Was übrigens bis in sein Spätwerk so geblieben ist. - Solche Fragen um den Physikalismus des Erkennens, die bei Steiner bereits in der Eingangsfra­ge des ersten Kapitels der Philosophie der Freiheit von 1918 das Thema vorgeben, sind selbst­redend vertieft aufzugreifen. Und werden in dieser Form und mit Blick auf die Logik in der Schrift Von Seelenrätseln auch mehr andeutend behandelt. Allein so eine Problemstellung um die «Kausalität» des Erkennens («mentale Kausalität») wäre heute ein Gegenstand für eine reich­haltige Spezialbibliothek.

Die problematische Kausalerkenntnis in der Nachfolge Kants wurde bei Steiner bereits im Ka­pitel 14 der Grundlinien thematisiert und ganz unmißverständlich aufgespiesst. In der Schrift Von Seelen­rätseln findet der Leser indessen auch solche weitergehenden Hinweise in Steiners verschieden­en Bemerkungen zur Logik, die freilich dort auch nur eher stenographischen Cha­rakter ha­ben. Das ist dann auch eine weitere Verbindung zu Poppers Antiphysikalismus des Erkennens, der bei ihm maßgeblich auf den Eigenarten der Logik gründet, die nicht aus der physikalischen Welt abzuleiten ist, wie es auch von Steiner in der Schrift Von Seelenrätseln dargelegt wird.

Frau May­reder hätte jetzt an­lässlich der Zweitauflage von 1918 vielleicht und mit Recht emp­fohlen, aus diesem «Hinweis» vom Ende des des dritten Kapitels über «das Bewirkende» des Denkens ein gan­zes Buch zu ma­chen. Während Steiner seinerseits dieses Bewirkende des Denkens, das nur im Denken selbst gefunden werden kann, regelmäßig in sämtlichen Früh­schriften einschließlich Goethes Welt­anschauung (hier S. 69f) behandelte. Bis hin zur Behand­lung des Kausalitätsproblems in den Grundlinien im Kapitel 14. Freilich nie in der hin­reichend ausführlichen Form, wie es Mayreder dann für die Philosophie der Freiheit vor­schlug, näm­lich aus jedem Kapitel ein Buch. Ich meinerseits würde sagen: aus jedem Thema ein ganzes Buch, bzw. ein «Forschungsvorhaben» zu machen. Karl Popper wiederum hat aus so ei­nem «Hin­weis» um das Erwirkende des Erken­nens, auch wenn er in sei­nem Fall nicht von Steiner kam, - neben mancherlei ver­gleichbaren kritischen Bemerkun­gen zum er­kenntnistheoretischen Physikalismus in seinen Bü­chern, - zusammen mit Eccles ein Buch von annähernd 670 Seiten geschrieben.

Damit möchte ich dem Leser nur verdeutlichen, was so ein Ausdruck wie «Partitur» in Steiners Vortrag aus GA-322 zu bedeuten hat. Im Einzelfall kann sich dahinter ein ganzes umfangreiches Forschungsprojekt verbergen, wenn man es ernst nimmt. So ein Hinweis findet sich unter vielen anderen auch zu Beginn des dritten Kapitels der Philosophie der Freiheit in der knappen Erwähnung Theodor Ziehens und dessen Leitfaden der physiologischen Psychologie. Der als zeitgenössischer Fachwissenschaftler und als Anhänger Humes und Kants im Verhältnis zu Steiner die genau gegenteilige Position bezüglich der Freiheit von Denken und Handeln vertrat. Nämlich S. 208 in dem Sinne: «Unser Handeln ist necessitiert wie unser Den­ken». Die physiologische Psychologie „... lehrt: unser Handeln ist streng neces­sitiert, das nothwendige Product unserer Empfindungen und Erinnerungsbilder. Man könnte also dem Menschen eine schlechte Handlung ebensowenig als Schuld zurechnen, wie einer Blume ihre Hässlichkeit. Die Handlung bleibt deshalb - auch psychologisch - schlecht, aber sie ist zunächst keine Schuld.“ Der Mensch wird bei Ziehen aus der Sicht der physiologischen Psycholo­gie zum bloßen Denk- und Handlungsautomaten. Das ist eine der materialistischen Grundla­gen nicht nur des Bolschewismus und Sozialismus, die sich ungebrochen in der gegenwärtigen Mensch­heit noch mit ihren politi­schen, menschenverachtenden Ideologien austoben, wie Stei­ner in späteren Vorträgen wie hier GA-174b, S. 300 ff verdeut­lichte. Eine aus dem physikalis­tischen Denken folgende «Ethik», taugend bestenfalls für faschistische po­litische Zwangssyste­me, deren Eliten dann den freien Willen zum gefährlichen Mythos erklä­ren, wie unlängst wieder am Beispiel Hararis, festgestellt wurde. Es ist diesel­be physikalisti­sche Sichtweise, ge­gen die mit ihren Mitteln und mit Blick auf die Würzburger Schule wieder­um Popper und Ec­cles, wenn auch unabhängig von Steiner, aber zusammen mit Steiner kämpften.

Manches von all dem, was Steiner an «Hinweisen» in seiner «Partitur» gege­ben hat, hat Wer­ner Moser in seinem Vor­tragszyklus auch behandelt. Als einer der ganz wenigen übrigens, die sich von anthroposophischer Seite überhaupt mit Steiners Grundlagenforschung, und zwar über die ganze Palette der erkenntniswissenschaftlichen Frühschriften Steiners, befaßt haben, wenn auch mit sehr ausgewählten und mitunter eben erstaunlich lückenhaften Akzenten. Auf­fallend ist vor allem das nahezu vollständige Fehlen der Psychologie bei Moser, die in Steiners Früh­schriften seit Anbeginn eine ganz grundlegende Rolle spielte. Ein eklatanter Mangel Mo­sers, der dann auch prägend wurde für Mosers Schüler, von denen er nicht wenige hatte. So wird etwa die bei Steiner bereits 1886 unübersehbare Psychologie in der Erkenntniswissen­schaft bei Moser so gut wie gar nicht be­handelt, obwohl sie in Steiners Frühschriften eine ganz entscheidende Rolle spiel­te. Be­ginnend bereits 1886 im Rückgriff auf den immanent psycholo­gischen Erkenntnistheore­tiker Volkelt. Und zumal mit dem pointierten Hinweis im dortigen Psy­chologiekapitel 18 der Grundlinien, daß «die Psychologie die erste Wissenschaft sei, in der es der Geist mit sich selbst zu tun habe». Das alles wurde von Moser inhaltlich nicht themati­siert. So wenig wie Steiners Wunsch nach einem psychologischen Laboratorium aus der Schrift Von Seelenrätseln. Obwohl er auch diese Schrift auf S. 106 ff mit Blick auf die «Ab­lähmung der Begriffe» zwar erwähnt, aber eben auch von dieser Schrift kaum die rein psycho­logischen Aspekte näher betrachtet. Ein Zusammenhang mit dem Kausalitätsproblem Kants wird von Moser im Gegensatz zu Steiner ebenfalls nicht hergestellt. Obwohl das hoch plakativ auf der Hand lag, weil die Philosophie der Freiheit mit solchen Fragen ja startet, und Steiner be­reits im Kapitel 14 der Grundlinien und an anderen Stellen dort das Kausalitätsproblem expli­zit und implizit kritisch aufspießt. Indes Moser Steiners Grundlinien nur streift und vom erleb­ten Zusammen­hang von Wirkendem und Bewirktem im Denken, von dem bei Steiner be­reits 1886 schreibt, nichts bei Moser erscheint. Bei allen wert­vollen Hinwei­sen Mosers bleibt zu konstatieren, daß ganz maßgebliche von Steiner behandelte Fragestellungen von Moser in diesem Zyklus nicht aufgenommen wurden.

Die Frage stellt sich insofern, wie Steiner mit Kants Kau­salitätsproblem im Labor umgehen würde, wo er sich schon im Kernar­tikel Anthropologie und Anthroposophie und anderen Stel­len dort so sehr um das Verhältnis von Logik und Psycholo­gie bemühte, wie es wiederum Pop­per im Zusammenhang mit dem hoffnungslosen Physikalis­mus und mit Blick auf die Würz­burger Schule tat. Andererseits liegt natürlich auch dieses Kern-Problem der Freiheit, jenes um die Kausalität des Erkennens, an genau jenem Treffpunkt von Anthropologie und Anthroposo­phie, den Steiner in der Schrift Von Seelenrätseln S. 11 ff benennt, und dahingehend kenn­zeichnet, dass dort eine fruchtbare Verstän­digung zwischen Anthroposophie und Anthropolo­gie möglich sei.

Wie also behan­delt man im psychologi­schen Labor und mit Blick auf das logische Denken das «Verhältnis von Wirkendem und Be­wirktem», wie es in Steiners sämtlichen Grundlegungs­werken seit 1886 bis einschließlich Goethes Weltanschauung von 1897 virulent ist? Auf der anderen Seite kann ihm die psychologische Untersuchungsmethode im Labor auch nicht unge­eignet und fremd erscheinen, wenn er ausdrücklich doch selbst dort hin will. Und mit ihm, wie er S. 171 sagt, «jeder der auf dem anthroposophischen Gesichts­punkt steht.» Das ist natür­lich auch ein unmissverständlicher Hinweis darauf, welche Metho­den ihm zur Untersuchung der menschlichen «Veranlagung zum Schauen» geeignet erschei­nen. Dazu gehört nicht nur, aber ganz besonders auch die introspektive Labormethode, wie sie Brentano sich zwar wünschte, aber nicht umsetzen konnte, weil man ihn damals aus religionspolitischen Gründen nicht ließ.

Nimmt man jetzt die Philosophie der Freiheit als in Steiners Augen erfolgreiche Rechtferti­gungsschrift zur Leibfreiheit des Denkens und der menschlichen Freiheit, dann wird verständ­licherweise ein Wissenschaftler, der diesen Rechtfertigungsweg Steiners erneut durchläuft, zu vergleichbaren Resultaten gelangen, - vorausgesetzt er arbeitet daran wirklich auch als «Wis­senschaftler», wie es im Vortrag von 1920 in GA-322 gemeint ist, und nicht als Dilletant, der keinerlei Verständnis für die wissenschaftlich-philosophische Zeitlage und die Problemstellun­gen hat. Er müßte also auch verstehen, warum bei Steiner die Freiheit des Menschen an der Freiheit des erkennenden / in­tuitiven Denkens festgemacht wird. Das hängt nun wieder an der Frage, wie sich die Beobach­tung, - die «gegenüberstellende Betrachtung im Ausnahmezu­stand», - dieses erkennenden / intuitiven Denkens fak­tisch vollzieht, und warum dieses erken­nende Denken sich selbst tragen kann, und von den leiblich-physischen Bedingungen unab­hängig ist, gemäß Steiners Bemer­kung gegenüber Edu­ard von Hartmann: «Man kannn nicht zu etwas kommen was das Denken be­wirkt, wenn man den Bereich des Denkens verläßt.» - Das führt, wie wir weiter oben in Ver­bindung auch mit Popper und Eccles sahen, bis zu Fragen des logi­schen Denkens und Erken­nens, das nicht aus dem Physikalis­mus abzuleiten ist. Und folglich das logische / er­kennende Denken auch nicht physi­kalistisch von der Hirnchemie und -physiologie kausal beherrscht sein kann. Mit allen Fol­gen für das Naturverständnis, die man auch bei Steiner bereits im Kapitel 9 der Philosophie der Freiheit mit Blick auf die «zurückdrängene Tätigkeit des Denkens» ange­deutet findet. Dann vortragsweise ganz explizit mit Blick auf den Energieerhaltungssatz in GA-78, S. 142 f. Sie erin­nern sich analog an Poppers «leere Versprechungen des Schuld­scheinphysikalismus, der sich den Ast absägt, auf dem er selber sitzt», wenn er das Er­kennen als physika­listischen Naturprozess er­klärt. Um in diesem Zusammenhang auch noch darauf hinzuweisen, dass ihn (Popper) eine Veränderung am Energieerhaltungssatz nicht aufregt, und die Phy­sik der Zukunft ohnehin niemand kenne. (Siehe dazu auch hier, S. 744 ff) In der Schrift Von Seelenrätseln wiederum findet der Leser wiederholt den ausdrü­cklichen Hinweis auf das erleb­te logische Denken. Zum Beispiel S. 131 f darauf, zwecks Erkennt­nis des «rein-Seelischen» das Logische im Denken vom Nicht-logi­schen oder A-logischen unterscheiden zu können, und anderes mehr.

Andererseits und zum näheren psychologischen Nachweis: Wenn nun wirklich die Philosop­hie der Freiheit ein über alle Maße erfolgreiches Übungsbuch gewesen wäre, und nur das, dann wäre dieser weite­re psychologische Nachweis im Labor überflüssig gewesen. Das ist er aber offensichtlich nicht. Was freilich erst verständlich wird ange­sichts der Zeitlage, wo es 1894 solche Labore «nach den Vorstellungen Brentanos» eben nicht gab, wie sie Steiner in GA-21, S. 170 f zur «besten Grundlegung» vorschwebten. Son­dern erst ab der Jahrhundert­wende. (Siehe Näheres dazu auch hier, S. 330 - 336.) - Es gibt in­nere Erlebnisse wie das Den­ken, die lassen sich selbstredend im Original nur im ei­genen Inne­ren erleben und beobachtend begreifen. Um aber einen wissenschaftlichen Konsens darüber herzustellen, was jeder einzelne für sich dabei erlebt, und das Erlebte zu begreifen, dazu ist es zwar nicht unbedingt notwendig, aber ausgespro­chen hilfreich und nützlich, das Ganze in einem psychologischen Laboratorium nach den Vorstel­lungen Brentanos zu demons­trieren. Das haben wir weiter oben ausführlicher am Bei­spiel Karl Bühlers dargelegt, der in seiner denkpsychologischen Forschung mit Hilfe von gut in der inneren Beobachtung geschulten Versuchspersonen gründlich mit dem Aber­glauben seiner wissenschaftlichen Zeitgenossen aufräumte, daß es beim Denken gar nichts zu er­leben gäbe. Mit den­selben aber­gläubischen und unsubstantiierten Zeitverhältnissen bezüg­lich der Denk-Erlebnisse wie Bühler und Kollegen hatte vor ihnen bis 1894 natürlich auch Ru­dolf Stei­ner zu kämpfen. Was sich über mehr als ein Jahrhundert hinweg zumal bei den «Phi­losophen» als Aberglaube erhalten hat. So daß nicht nur heutige Philosophen wie Traub&Co nicht begrei­fen, was Steiner philoso­phisch und psychologisch eigentlich betreibt, sondern bei den Zeitge­nossen Steiners war das oft nicht anders. So daß der damals namhafte Philosoph Erich Adickes in ei­ner kurzen Bespre­chung von Steiners Schrift Wahrheit und Wissenschaft in der Deutschen Li­teraturzeitung von 1894, hier S. 132 f diesem in dieser Schrift neben «empi­ristischen Nei­gungen» gleichzeitig Rationa­lismus vorhielt. Offensichtlich verstand Adickes von der empi­risch «un­mittelbar gege­benen Denktätigkeit» und Steiners philosophischem An­liegen ungefähr ebenso viel wie mehr als 110 Jahre später der verständnislose Hart­mut Traub, der diesem «un­mittelbar Gegebenen» in seiner opulenten Schrift von 2011 ab S. 57 ganze Ka­pitel triefend von eigenem Un­verstand für die psychologische Sachlage gewidmet hat. Ohne einen einzigen Schimmer von Volkelts imma­nent psychologi­scher Erkenntnistheorie zu haben, auf den und dessen An­teil für die Behand­lung des «unmit­telbar Gegebenen» Steiner eigens in der Schrift Wahrheit und Wissenschaft (hier S. 7) hin­weist. Das auch in der Disserta­tionsvariante von Wahrheit und Wissenschaft gleich in den ersten Sätzen ihrer Einleitung.

So ein ausdrücklicher und besonders würdigender Quellen­verweis Steiners auf die «fruchtbare Vorarbeit» Volkelts an so prominen­ter Stelle ist neben den Grundlinien von 1886 natürlich ein entschei­dender An­kerpunkt für ei­nen hermeneutisch ope­rierenden In­terpreten oder einen Wis­senschaftler, der Steiners Frühwerk als «Partitur» auffaßt. Während der Philosoph Traub den von Steiner hoch geschätz­ten Er­kenntnistheoretiker Volkelt und dessen psychologieorientier­ten wegwei­senden Ansatz so we­nig auf dem Schirm hatte wie Steiners Grundlinien. Nämlich gar nicht. So daß er darüber weder etwas Verständnisvolles be­richten, - und vor allem aber zwecks Verständnis Steiners überhaupt nichts Vernünftiges dazu fragen konnte, sondern nur Verworrenes, dem vollständig die Verbindung zu Steiners erkenntnispsychologischem Anlie­gen fehlte. Bis hin zu seinen abstrusen Bemerkungen von S. 350 ff bezüglich der Erkenntnis des Denkens, wo aus jeder Zeile sichtbar wurde, wie weit entfernt Traub von einer realitätshal­tigen Vorstellung über das faktische Denken und dessen Erkenntnis war. Und sich stattdessen als sachfremder Philo­soph etwas von einem «unendli­chen Regress des Denkens» ausdachte, ohne zu ahnen, was da ei­gentlich bei Steiner und in der Psychologie des Denkens stattfand, und was das gegebenen­falls für philosophische und naturwissenschaftliche Konsequenzen ha­ben könnte. (Siehe dazu ausführlicher hier, S. 351 ff.)

Eine vergleichba­re Situation wie bei sei­nen abwegigen Bemer­kungen zu Steiners Vorrede zur Philosophie der Freiheit von 1918. Für einen «Hermeneuti­ker» ist das keine besonders über­zeugende Vorstellung. In solchen Fragen war der aus der Bühler- / Külpeschule stammen­de Popper in der erkenntniswissenschaftlichen Fragestellung dem Philosophen Traub natürlich um Licht­jahre voraus, weil er wusste worum es bei der Klärung um den Physikalismus des Er­kennens ging. Desgleichen worum es bei der Beobachtung des Denkens ging, und wie das «handwerklich» vor sich geht. Während Traub seinerseits noch nicht einmal die Eingangs­pforte zum Verständ­nis der (psychologi­schen) Sachlage oder zu Steiners freiheitsphilosophis­chen Fragestellungen gesichtet hatte. Geschweige denn zu dessen methodischen We­gen vorgedrungen war. Sondern immer noch von A bis Z, und das über eintausend Seiten ent­lang, in den Denkmustern aus Kantischen Zeiten träumte.

Al­lein schon das vom philosophischen Antipsychologismus beflügelte Unverständnis der Zeitgenos­sen war für Steiner An­laß genug, öf­fentlichkeitswirksamer und besser dokumentiert das erleb­te Den­ken nach Art Bühlers oder den Vorstellungen Brentanos entsprechend in einem Laborator­ium zu untersuchen, wozu ein rela­tiv schmales Grundlagen-Buch von 250-300 Sei­ten wie die Phi­losophie der Freiheit natürlich gar nicht der geeignete Ort ist: Allein das dritte Ka­pitel der Phi­losophie der Freiheit von 1918, in dem die Fragestellungen um den Physikalis­mus, um die Erkenntnis des faktischen Denkens, und der erkenntnis­wissenschaftlichen Funda­mentbildung auf annähernd 20 Seiten zusammengestaucht sind, hätte mindestens den Raum von zwei bis drei Bü­chern benö­tigt, um das dort «stenographisch» Ver­handelte der Zeit- und der Problemlage entspre­chend darzu­legen, und jene wissen­schaftliche Resonanz zu finden, wie es dem Forschungsge­genstand die­ser Frei­heitsphilosophie angemes­sen gewesen wäre. Auch damalige empirische Psychologen hätte Steiner damit wegen der Kürze und Ge­drängtheit nicht wirklich in nennens­werter Zahl errei­chen können. Entspre­chend waren ja auch die Empfehlungen von Rosa May­reder, der Steiner darin natürlich recht gab. (Siehe weiter unten.)

Alles in allem kommt es wohl doch auf et­was mehr an, als nur die reine Bewußtseinsphänome­nologie. Son­dern auch auf die erkenntniswissenschaftli­chen Fragestel­lungen zur Freiheit des Menschen, die dem ganzen in der Philosophie der Freiheit erst zugrunde liegen. Das ist zum Beispiel die Kernfrage nach der Natur-Kausalität im menschlichen Denken und Handeln mit der nicht nur das erste Kapitel der Philosophie der Freiheit von 1918 startet, sondern auch das zweite der Erstausgabe von 1894. Desgleichen das dritte Kapitel der Zweitauflage mit Blick auf Theodor Ziehen, sowie auch das analoge vierte der Erstauflage. Die Frage nach der Natur­notwendigkeit respektive Kausalität im Denken und Handeln aber ist als solche und zunächst einmal auch ganz un­abhängig vom «Schulungsbuch» Philosophie der Freiheit. Oder gar von der Schrift Wie er­langt man Erkenntnisse der höheren Welten? Sie ist aber als Frage nach dem Verhältnis des menschlichen Denkens und Handelns zur Naturnotwendigkeit die alles ent­scheidende und vorausgehende Eingangsfrage, wenn es um die «Leibfreiheit» des erkennen­den Denkens geht, die dem anthroposophischen Schulungsweg zugrunde liegt. - Als Frage nach dem Verhältnis von Naturkausa­lität und Freiheit des menschlichen Erkennens / Handelns ist sie darüber hinaus eine grund­legende Fra­ge jeder ernsthaften Philosophie. Auch der Philo­soph Karl Popper folgte in­klusive John Ec­cles vollkommen zu Recht diesem Anliegen, wie wir oben etwa S. 209 ff und öfter sahen. Und das ver­mutlich ganz ohne Schulungshinter­gründe im anthroposophischen Sinn, weil es natürl­ich für jeden seriö­sen Er­kenntniswissenschaftler von höchstem Interesse ist, ob das menschli­che Er­kennen als ein rein mechanisti­scher Natur­prozess verstanden wird, oder eine «freie» Er­kenntnishandlung ist, mit entspre­chenden Folgen wiederum für das Ver­ständnis der Naturnot­wendigkeit. Des­wegen muß laut Steiners Vorrede von 1918 auch nie­mand auf die Geistesfor­schung Steiners «hin­schielen», wenn er die Philoso­phie der Freiheit studiert, wie es in der Vorrede von 1918 heißt. Weil ihre Fragestellung ja nicht nur den anthro­posophischen Schulungsweg, dessen Vorbereitung und ihren geisteswissen­schaftlichen Hinter­grund betrifft, son­dern ganz generell und davon unabhängig auch die Er­kenntniswissenschaft im all­gemeinen nebst daraus folgen­dem Freiheits- und Natur­verständnis, wie man an Poppers und Eccles` kri­tischen Bemerkung­en zum «Schuldscheinphy­sikalismus» der Materia­listen sieht. Während sie dabei gleichzeitig eine bemerkenswerte Nähe zur Psychologie der inneren Beobachtung der Würzburger Schule demonstrieren. Damit wird an Poppers und Eccles`s Behandlung dieses Er­kenntnis-Themas geradezu au­genfällig, daß die Philoso­phie der Freiheit thematisch für den Naturwissenschaftler von mindes­tens ebenso gro­ßem Interesse ist wie für den Philosophen, den Psychologen, oder den Vorbereiter eines an­throposophischen Schu­lungsweges, der wie Steiner nach der «Leibfreiheit» des erkennenden Denkens fragt.

Wäh­rend der anthro­posophisch orientierte Wissenschaft­ler, der diese Schrift laut GA-322 als «Schulungsbuch für den Wissen­schaftler» zur Hand nimmt, nicht nur die allgemeinphilosophi­sche und naturwissen­schaftliche Interessen­lage von Popper und Eccles zu bedienen und zu würdigen hätte, son­dern auch noch eine sehr spezielle der per­sönlichen Ent­wicklung auf dem anthroposophischen Schulungsweg und der Steiner­schen Eso­terik ein­nimmt, die vermutlich von Popper und Eccles so nicht geteilt wird. Er «schielt» dann als Wis­senschaftler, der sich mit der Entwicklung und der Begründung des an­throposophischen Übungs­weges verstehend befasst, quasi per­manent auf die Geisteswissen­schaft hin, was Popper und Eccles aus ihrem allgemeinen philosophisch / naturwissenschaftlic­hen Hinter­grund und mit denselben Fragestell­ungen zur Naturkausalität und Freiheit des Er­kennens, wahrscheinlich nicht täten. Gleichwohl aber die von Steiner be­handelten Grundsatzpro­bleme zum erkennenden Denken und seinem Verhältnis zur Naturkau­salität vollkommen ernst nehmen, wie man an ihren eige­nen Gedankengängen zum «Schuld­schein-Physikalismus» des erkennen­den Denkens sieht. Während der anthroposophische «Wissen­schaftler» zusätzlich und zwangs­läufig auf den anthroposophischen Übungsweg «hin­schielen» muß, um ihn aus der Leibfreiheit des Denkens heraus zu begreifen. Er tut das in die­sem Fall, um Steiners Rechtfertigungsweg zu verstehen. Sollte aber nicht glauben, daß er als «Wissen­schaftler» den gesamten gedankli­chen Rechtfer­tigungsweg Stei­ners dabei außer Acht lassen kann und die Sache mit ein paar bewußtseinsphä­nomenologischen Übungen abgetan wäre. - Ganz im Gegenteil, das wird wohl jeder verstehen.

Von «Übungsbuch» spricht Steiner wie gesagt in der Philosophie der Freiheit nicht. Auf der anderen Seite ist nicht zu übersehen, dass Steiners Schrift auch jede Menge didaktischer Ziele verfolgt, indem sie auf Grundfragen der Erkenntniswissenschaft aufmerksam macht, und den Leser mit gewissen Arten der erkenntniswissenschaftlichen Tatsachen und Argumentation vertraut macht. Insofern kann man hier, bei Lernprozessen und Wissensvermittlungen dieser Art, natürlich ebenfalls von «Übungen» sprechen, selbst wenn davon programmatisch nicht wörtlich die Rede ist. Daß es wiederum dem Leser nichts nützt, wenn er nur theoretisches Wissen «aufbewahrt», ist bei Freiheitsfragen der vorliegenden Art leicht nachvollziehbar. Denn in der Philosophie der Freiheit und bei ihren «seelischen Beobachtungen» handelt es sich um Anwendungswissen: Ob man im je­weiligen Fall frei handelt, das muß situativ immer individuell neu anhand der Sachkonstellati­on um die eigenen Handlungsentscheidungen be­wertet werden. Ich muß also vereinfacht ge­sagt wissen, ob die Motive meines jeweiligen Han­delns aus äußerem Befehl, aus dem Unter­leib, aus dem Magen, aus dem Gaumen, aus einem bloßen Ärgernis bzw. Reflex, aus meinem Kontostand oder aus dem reinen Denken und viel­leicht idealistischen Ideen stammen. Das aber läßt sich nicht ein für al­lemal schon im Vorfeld beantworten, sondern ist abhängig von der situativen Gesamtkonstel­lation und meiner Er­kenntnis der Lage, in die ich mit meinen Handlungen eingreife. Wie wir eingangs dieses Kapi­tels oben ab S. 2 ff bereits sahen, ist die Entscheidung, sich dem eigenen Denken in Erkenntnisab­sicht gegenüberzustellen, ebenfalls nur aus solchen bewußten Motiven auf der Grundlage des reinen Denkens und Erkennens abzuleiten.

Wenn Sie als Leser darüber hinaus den Blick auf Steiners beide «Wurzelfragen» dieser Vorre­de richten, wo ja auch von der Suche nach etwas gesprochen wird, was «alles andere stützen kann», dann denken Sie einmal daran, warum sich das intuitiv erlebte Denken selber stützen kann, wie wir es speziell im Zusammenhang mit Schrempf und Stein vorhin auf den Seiten 240 -246 besprochen ha­ben. So gesehen hat das intuitiv erlebte Denken mit seiner Eigenschaft sich auf dem Erkenntnis­wege selbst tragen zu können, natürlich viel mit diesen beiden Wurzelfragen der Vorrede zu tun. Das am Buch zu behandeln wäre ein hervorragendes Übungsbeispiel dafür ge­wesen, wie weit man mit der Hermeneutik, von der die beiden Spezia­listen der Philosophie (DaVeiga und Traub) da sprechen, kommen kann. Damit freilich wären unsere beiden Fach­philosophen ersichtlich schon völlig überfordert, wenn sie noch nicht ein­mal den Text der kurz­en Vorrede verstehen können. Und noch viel weiter davon entfernt sind, die Grundlage der menschlichen Freiheit im sich selbst tragenden intuitiv erlebten Denken zu verstehen, da sie anscheinend gar nicht wissen, was das sein könnte. So daß dann so ein von den Verfassern frei erfundener Inhalt dieser Vorrede geltend gemacht wird, der bereits mit ei­ner einfachen proseminaristi­schen Textanalyse ins Reich der hermeneutischen Phantasien und Träume beför­dert werden kann, weil es ein­fach dort nicht steht, was die beiden «philosophi­schen Herme­neutiker» sich da über die Vorre­de zusammengereimt haben. - Freilich ist auch das nicht überraschend. Denn es handelt sich ja um die Vorrede zur Neuauflage von 1918, die von den «Hermeneutikern» in den Blick genommen wird. Die Bekanntheit mit der Erstauflage wird im Prinzip schon vorausgesetzt. Das mag zwar nicht für jeden beliebigen Leser gelten, aber gilt ganz gewiß für einen Philoso­phen mit wissenschaftlich hermeneutischen Ansprüchen. Der ernsthafte «Hermeneutiker» müßte eigent­lich noch sehr viel mehr darüber wissen, als nur den Inhalt dieses Buches und seine Erstaufla­ge zu kennen. Nämlich vieles davon, was Steiner im sonstigen Begründungszusammenhang der Frühschriften auch noch dazu geschrieben hat. Wie man aber sieht, scheint nicht nur davon kaum etwas bekannt zu sein, sondern es wird ja noch nicht einmal der ziemlich unmißver­ständliche, kurze Texte der Vorrede verstanden, ohne ihm Gewalt anzutun. Schon da also scheitern die «Hermeneutiker» bei den elementarsten Dingen des Leseverstehens.

Wie wir eingangs dieses Subkapitels (S. 255) sahen, hat Lorenzo Ravagli in seiner gemeinsam mit Günter Röschert 2003 verfaßten Schrift ähnlich konfuse und zerstörerische Thesen über die Philosophie der Freiheit in die Welt gesetzt wie Traub und DaVeiga. Dahingehend, sie sei nur ein «Schulungs­buch und keine Erkenntnis­theorie». Und lehre darüber hinaus «kein Wis­sen, sondern nur Metho­den», so Ravagli in diesem Buch auf S. 26. Womit Ravagli 2003 das Märchen von der Wis­senschafts- und Wissensferne der Philosophie der Freiheit in die Welt setzte. Während Steiner schon in der Vorrede zur Neuauflage von 1918 zu dieser Schrift das genaue Gegenteil davon berichtet. Des­gleichen neben unzähligen gleichlautenden Hinweisen auch an anderen Orten ausdrück­lich in der Schrift Von Seelenrätseln (hier S. 58 f) die erkennt­niswissenschaftlichen Hinter­gründe und Ziele dieses Werkes in seiner Verteidigung gegen Max Dessoir folgendermaßen herausgestellt: „Die­se «Philosophie der Freiheit» nennt also Max Dessoir meinen «Erstling». Die Wahr­heit ist, daß meine schriftstellerische Tätigkeit mit mei­nen Einführungen in Goethes naturwis­senschaftliche Schriften beginnt, deren erster Band 1883 erschienen ist, elf Jahre, bevor Des­soir meinen «Erstling» ansetzt. Diesem «Erstling» ge­hen voran: die ausführlichen Einführun­gen zu drei Bänden von Goethes naturwissenschaftli­chen Schriften, meine «Grundlinien einer Er­kenntnistheorie der Goetheschen Weltanschau­ung» (1886), meine Schrift «Goethe als Vater einer neu­en Ästhetik » (1889), meine für meine ganze Weltanschau­ung grundlegende Schrift «Wahrheit und Wissenschaft» (1892). Ich […] hätte dieses Falles von Dessoirs sonderbarer Kenntnisnah­me dessen, worüber er schreibt, doch nicht Erwähnung getan, wenn nicht die Sa­che so läge, daß alle in meiner «Philosophie der Freiheit» vorgebrach­ten Grundanschauungen bereits in meinen früheren Schriften ausgespro­chen und in dem ge­nannten Buche nur in einer zusam­menfassenden und sich mit den philoso­phisch-erkenntnistheoretischen Ansichten vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts auseinan­dersetzenden Art vorgetragen sind. Ich wollte in dieser «Philosophie der Freiheit»in systema­tisch or­ganischer Gliederung zur Darstellung brin­gen, was ich in den früheren, fast ein ganzes Jahr­zehnt umfassenden Veröffentlichungen an er­kenntnistheoretischer Grundlegung und an ethisch-philosophischen Folgerungen für eine auf die Erfassung der geistigen Welt zielende Anschauung niedergelegt hatte.“ -

So Steiner in der Schrift Von Seelenrätseln zu seinen erkenntnistheoretischen Schriften, deren Zusammenhang, und speziell diesen Zusammenhang mit seiner Philosophie der Freiheit. Der Kontrast zu Ravaglis Märchenerzählung von 2003 könnte kaum größer sein. Der Inhalt der Frühschriften bestätigt das unabhängig von Steiners diesbe­züglichen Aussagen auf seine Wei­se. Steiner müsste sich folglich mit solchen Worten heute nicht nur gegen Max Dessoir, son­dern ersichtlich vielfach und mehr noch gegen seine eigenen angeblichen Anhänger zur Wehr setzen.

Die Parallelen von Traubs und DaVeigas abwegiger Para­phrase der Vorrede von 1918 zu Ra­vaglis Fabel von 2003 zur angeblichen Wissenschaftsferne der Philosophie der Freiheit liegen auf der Hand. Stammend dort aus einem Buch voll von Unverständn­is für sub­stantielle Fragen in Steiners Frühwerk, das freilich trotz all seiner Ver­worrenheit und sinnfälli­gen ge­danklichen Abwege in der anthroposophi­schen Gemein­schaft auch bei sehr nam­haften Persön­lichkeiten aus der Waldor­fumgebung wie Johannes Kiersch er­kennbare öf­fentliche Re­sonanz gefunden hat. In dem Sin­ne nämlich: «wie sich die monistische Ent­wicklung Steiners denken läßt, hätten diese beiden kompetenten Erkenntnist­heoretiker [Ra­vagli und Röschert, MM] hin­reichend geklärt.» Also sind laut Kiersch nach der Lektüre dieses Gemeinschaftsban­des von Ravagli und Röschert keine großen Fragen mehr of­fen. Das schrieb Kiersch noch nicht lange zurückl­iegend in der Vier­teljahresschrift zur anthroposophischen Ar­beit in Deutschland, Ostern 2018, Nr. 283, S. 71 ff, An­merkung 6. - So ein öffentliches Urteil über «hinreichende Klä­rung» sol­cher Fragen aus dem «berufenem Mun­de» einer bekannten Wal­dorfpersönlichkeit geht natür­lich nicht so schnell ver­loren, sondern entfaltet entsprechende Wirkungen im (wissenschaftli­chen) Umfeld. Siehe dazu hier auf S. 1201, An­merkung 396, und ebd. auf S. 1054 ff. Mög­lich, daß das einige «märchenhafte» Spu­ren im Waldor­fumfeld, und eben auch bei DaVeiga und Traub hinterlassen hat, deren Quelle freilich, falls es so gewesen sein sollte, in ihrem Fall dann nicht kenntlich gemacht wurde. Was die Lage noch verschlimmert hätte, weil sie diesen ganz offensichtlichen und leicht zu widerlegenden Non­sense Ravaglis dann ebenfalls nicht via Lek­türe der Originalaussagen Steiners geprüft hätten. Zumal in einem Unterkapitel zur Herme­neutik, wo es dann auch noch als einziges «Belegbei­spiel» für die angeblich nicht vor­handenen Wis­senschafts- und Wissensvermittlungsansprü­che der Philosophie der Freiheit er­scheint. Also in dieser Beziehung vollkommen deckungs­gleich mit der philosophischen Mär­chendichtung Ravaglis ist.

Die Verfasser DaVeiga und Traub mögen sich ihrerseits laut Anmerkung 8 und Bibliographie bei Abfassung ihrer schrägen «Vorwort»wiedergabe indirekt aber auch noch auf einen weite­ren (Kaiser) beziehen, der möglicherweise solches 2020 ebenfalls S. 179 und S. 209 behauptet hat, machen ihre eigene Paraphrase der Vorrede aber auch nicht näher als Entlehnung von Kaiser kenntlich. Sondern geben Kaiser nur als Referenz zum Thema im allgemeinen an. Während die Wiederga­be der Vorrede von ihnen selbst stammt. Kaiser seinerseits läßt sich in wenigen Sätzen auf S. 189 f lediglich zur Impression von Steiners «Prosa» und dem Sprach­duktus um die zwei Wurzelfragen der Vorrede aus, ohne dem Sinn­zusammenhang dieser Vor­rede über­haupt nachzugehen, der ihn, wie gehabt, definitiv nicht interessiert. Obwohl er meint, das von Steiner einleitend Geschriebene besser formulieren zu können als Steiner seinerzeit selbst. Belegt am konkreten Fall hat er diese behauptete Qualifikation in seinem Buch freilich nicht. - Wie dem auch sei. Ohne Frage aber hat, wie Traub und DaVeiga nach der kurzen Um­schreibung des «Vorwor­tes» auf S. 8 re­sümieren:das notwendigerweise her­meneutische Kon­sequenzen für die Er­schließung, die Diskussion und die Beurteilung des Tex­tes“. - Ganz gewiss, so darf hinzugefügt werden, hat das gravierende «Konsequenzen», wenn allein schon der «Text des Vor­wortes», den sie selbst zusammengefasst wiedergeben, dort gar nicht steht, sondern inhaltlich eine Erfin­dung aus der blauen Luft ist. Ob ihre eigene oder die eines Dritten, bleibt sich letztlich egal, zumal weitere Quellen zum «Erfinder» nicht angegeben sind.

Aber schauen wir anschließend bei Herrn Kaiser auch einmal vorbei, ober dieser das selbst so ge­schrieben hat, und das Duo Traub / DaVeiga nachfolgend eventuell nur dessen exemplari­sche Leseschwäche mit einem exemplarischen Beispiel für «de­konstruktive Hermeneutik» ver­wechselt hat. Letztlich ist es aber doch unwesentlich, ob ich das Produkt ei­ner fremden oder meiner eigenen Lese­schwäche und freischwebenden Fantasie als Fallbeispiel für Hermeneu­tik ausge­be. Das Anlie­gen der Interpretation respektive Wiedergabe des vorlie­genden Textes der Vorre­de ist auf jeden Fall weit verfehlt. Das, ob­wohl sich Herr Traub sogar extra noch einen kräfti­gen Schluck aus den dekonstrukti­ven Meta­theorien des Herrn Kaiser ge­gönnt hat, und sogar eigens einen Artikel dazu verfaßte. - Was aber nun ist das her­meneutische Resultat davon? Er dekonstruiert jetzt im Zweierkollek­tiv die «Vorrede zur Neu­ausgabe von 1918» zum «Vor­wort», und zudem auch noch die ein­fachsten, aber ganz wesentliche Sinnzu­sammenhänge der an­nähernd 5seitigen Vorrede der Philoso­phie der Freiheit zu reinen Traum­fantasien, die in ihm selbst ohne jeden sachlichen Anhalt dazu aufstiegen. So daß sich gut resümieren läßt: Er hat zwar von dieser Vorrede nichts verstanden, aber sie hat ihn mächtig angeregt – drauflos zu orakeln und das Ganze dann als Resultat wissenschaftlicher Forschung der Öffentlichkeit anzudienen!

Wenn das kein meß­barer Er­folg der hermeneuti­schen Metatheorie ist?! Des­gleichen womöglich aber auch der entschiedenen Absicht, dem me­tatheoretischen Anliegen des Herrn Kaiser, nämlich «der Dekonstruktion des anthroposophi­schen Dogmas» endlich mit wissen­schaftlichen Mitteln Fol­ge zu leisten? Mit dem sichtbaren Resultat: Es ist nichts dabei entstanden, was auf die Absicht Traubs und DaVeigas schließen ließe, sich dem Anliegen des Verfassers dieser Vorrede von 1918 irgendwie mit Verständnis zu nähern, da sie der Inhalt dieser Vorrede augenfällig gar nicht interessierte. Mit der weiteren daran sichtbaren Folge: Mit dem eigenen Dogma «an die Sache nie heran zu kommen», wie es Steiner schon im Kapitel 14 der Grundlinien den Kausalitätser­klärern in der Nachfolge Kants ins Stammbuch geschrieben hatte. Vielleicht haben sie Herrn Kaiser aber auch nur mißverstanden und sein Ziel etwas aus den Augen verloren. Wir werden sehen. - - -

Kaiser

Jetzt haben wir einmal etwas genauer nachgesehen, und die Sache wird in ihrer Art - nun ja, - etwas überra­schend. Deswegen habe ich den bisher hier stehenden Text an einigen Stellen et­was umge­schrieben. Dazu werden wir auch noch einmal etwas näher auf das (akademische) Umfeld schauen, auf dem solche, wie soll man sagen, «Entgleisungen», wie sie in Kaisers Buch zu beobachten sind, über Jahre hinweg vorbereitet werden.

Zunächst: Nun habe ich ja nichts dagegen, wenn Herr Kaiser als Anreger Traubs und Da Veigas in sei­nem Buch Der Erzähler Rudolf Steiner sich kritisch um «Erzählungen» und an­throposophische oder anderweitige «Dogmen» bemüht. Da bin ich sogar ganz an seiner Seite. Was ich aber auf gar keinen Fall glaube ist, daß man mit so einer Schrift viel zum Ver­ständnis Steiners beitragen kann, wenn man noch nicht einmal Steiners Rechtfertigungswerke in ihrem Begrün­dungs-Zusammenhang zu kennen scheint. Denn davon ist bis auf gelegentlich winzigste her­ausgebrochene Fragmentlein, denen jeder Zusammenhang fehlt, bei Kaiser so gut wie nie die Rede. Sogar dort, wo man einen maßgeblichen Hinweis auf Steiners Wissen­schaftskriterien und solche der Nachprüfbarkeit vermuten sollte, nämlich in Kaisers Eingangs­kapiteln (S. 15 – 40), die unter dem Stichwort Der Stachel des Wissenschaftsanspruches (auch in der Leseprobe) in mehreren Kapiteln vor­gelegt werden, steht kein Sterbenswort von dem, was Steiner selbst zu seiner wissenschaftlichen Be­gründung wieder und wieder geschrieben und vorgetragen hat. Von Steiners wissen­schaftlichen Grundlagen und den Kriterien der Nachprüfbarkeit, die Stei­ner fast unentwegt un­ter Hinweis auf seine Begrün­dungswerke selbst angibt, dazu hat der «Wal­dorflehrer» Kaiser nicht den leistesten Anflug von Kenntnis, Problemverständnis und In­teresse. Behandelt das entspre­chend auch nicht, obwohl es dort un­bedingt in diese programma­tischen Eingangspassa­gen über Wissenschafts­ansprüche hinge­hört hätte. Von Steiners wissen­schaftlichen Begrün­dungen versteht der Mann also buchstäblich nichts. Er hatte gar nicht die Ab­sicht etwas über Steiners Wis­senschaftansprüche und -begrün­dungen zu formulieren, weil er sie eben selbst nicht kennt, und ihn das auch gar nicht interes­siert. Der hintere Klappen­text des Buches hebt dies indirekt auch noch ausdrücklich hervor. Dahingehend nämlich, daß «Kaiser Steiner aus dem beengenden Ver­gleichsrahmen der Wis­senschaft herauslösen und ihn nur noch als Erzähler verstehen will». - Was soll man auch sonst noch damit machen, wenn man von Steiners wis­senschaftlichen Grundlagen und einem entsprechenden «Vergleichsrahmen» defi­nitiv nichts begreift, und auch gar nichts davon wis­sen will? Das tun viele andere mit Kai­ser Seelenverwandte auch schon zur Ge­nüge. Im heißen Bemühen, Steiner zu einem Geist zu verkleinern, den sie auch in ihrem Unverstand begreifen können. Von denen namentlich die Förderer für Kai­sers nachweisli­chen akademisierenden Humbug etwa in sei­nen Vorbemerkungen ab S. 13 auch genannt werden.

Hanegraaff

Da halte ich es meinerseits ganz mit Wouter Hanegraaff in seinem mit «Rudolf Steiner und die hellsehen­de Einbildungskraft» betitelten Vorwort zu Christian Clements SKA Bd. 8. Wo, nachdem Hane­graaff sich 14 verständnislose Seiten lang über Steiners Esoterik und dessen Methoden ausge­lassen hat, zum Schluß auf S. XVIII nämlich das treffliche Resümee gezogen wird: „Die Implikatio­nen für den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, den Steiner für seine Geisteswissen­schaft er­hebt, stel­len eine zentrale Frage dar, der letztlich kein Leser dieser Bän­de wird aus­weichen können.“ - Dazu hat er so viele Seiten gebraucht, um dort hin zu gelangen. Und kann sich of­fenbar gar nicht vor­stellen, daß dies Steiners stets wiederkehrende eigene An­sprüche zumal an Wis­senschaftler wie ihn sind. Wo solche wis­senschaftlichen Kriterien und leicht nachzuvoll­ziehenden Grund­lagen wiederum bei Stei­ner seit mindestens 1886 und früher vorgelegt wurden. So daß Ha­negraaffs seiten­lang zusammenspe­kulierten Auslassungen über irgend eine «hellsehen­de Ein­bildungskraft» vollkommen überflüssig gewes­en wären, wenn er nur einen Funken Ver­ständnis da­für mitge­bracht hätte, daß Steiners «Hellsehen» längst schon im be­grifflichen / erkennenden Den­ken vorliegt. Davon freilich ist er gänzlich unbeleckt. Sie­he dazu auch den kritischen Kommentar von Christoph Hueck über den «ahnungslosen Au­ßensteher Hanegraaff, der seinen eigenen Unverstand auf Steiner überträgt». Hueck wörtlich: „Die »neuere Steinerforschung«, zu der sich Hanegraaff nun anscheinend selbst dazurechnet, ist dabei, Rudolf Steiner ihren eigenen Denkhorizonten anzuverkleinern.“

Das freilich gilt nicht minder für den ahnungslosen Anhang Witzenmanns wie Ravagli 2003 mit seinen schrägen Behauptungen von der Wissens- und Wissenschaftsferne der Philosophie der Freiheit. Der als dessen Schüler «vom Hofe Witzenmanns geritten» kam. Desglei­chen für entsprechende Helfer wie Traub, Kaiser et al. Da muß man sich als Realist nichts vor­machen. Das sind näm­lich, gemessen an Steiners Werk und seinen Grundlagen, in­zwischen als ausschließliche An­hänger Witzenmanns, als ahnungslose Waldorflehrer wie Kaiser, sowie als nichts ahnendende Philosophen wie Traub auch nur «Außenste­hende» wie Hane­graaff. Die zu­mal als Anhänger Witzenmanns Stei­ners Grundlagen jahrzehntelang schon nicht interessierten, und die das auch heute noch so pflegen. Wie wir nicht nur oben von Wagemann gehört haben, son­dern was sich auch aus ihren eigenen Beiträgen so ablesen lässt.

Schieren etc

Man muß sich dazu nur das Vorwort zur SKA Bd 1 von Jost Schieren an­sehen, der im um­gangssprachlichen Sinne zwar kein Außenstehender ist, aber de facto allemal. Nämlich ledig­lich ein Anhänger Witzen­manns innerhalb der anthroposo­phischen Bewegung von Anbe­ginn an war, der von Steiners Grundlagen nichts versteht, weil sie ihn als Anhänger Witzen­manns auch noch nie interessier­ten. Der aber jetzt als eine Art «in­tellektueller Fremdherrscher» zumal über die deut­schen An­throposophen und die Waldorfbe­wegung sei­nen eigenen Unverstand und sein Desin­teresse an Steiners Grundlagen aus­lebt und ausbreitet. Wo dann seit Jahrzehn­ten ersatzweise an die Stelle Steiners die in die Irre irre füh­renden Witzen­mannexegesen und -Elaborate ge­setzt und voranget­rieben werden. Was nichts anderes ist als faktische Werkfäl­scherei. Wie wir am ob­skuren Sammel­band aus der Ala­nushochschule oben auch gese­hen ha­ben. Wo der Herausgeber Schieren zusammen mit Wagemann mit aller Macht seinen Lehrer Witzenmann in ein akademisches Vorlesungsprojekt über die philosophi­schen Quellen der An­throposophie zu pressen suchte, das mit Witzenmann beim allerbesten Willen nichts zu schaf­fen hatte. Die Rosstäuschereien der Vorlesungsreihe gingen bis in die obskure Gestaltung des Buchde­ckels vom Info3 Verlag. Und bis hin zu akademischen Narreteien der Art treibt das seine Blüten, daß sogar der «Professor für anthroposophische Erkenntnisgrundla­gen» keinen blas­sen Schim­mer hat von Steiners eigenen Erkenntnisgrundlagen, wie wir oben auf den Seiten 137 ff dar­legten.

Oder nehmen Sie den geballten Unfug von DaVei­ga (auch ein Witzenmannjün­ger wie Schieren) und Traub (ohnehin ein Außenste­hender) zum «Vorwort» der Phi­losophie der Frei­heit von 1918. Da be­reits geht überall das De­saster schon los, indem man Steiner dem eigenen bzw. dem «Denkho­rizont Witzen­manns anverklei­nert», um mich verharmlosend an Hueck anzulehnen. Aber harmlos ist das wahrlich nicht. Denn letztlich geht es um die Zerstörung jedes Wissenschaftanspruches der Anthroposo­phie aus den eigenen Reihen heraus, wie wir schon bis hier hin dargelegt haben. Das setzt sich nahtlos bei Kaiser und dessen Gönnern ebenso fort, wo dann überhaupt jeder Wissenschaftsan­spruch der An­throposophie in Abrede gestellt wird, und all das nur noch zur unwissenschaftli­chen Er­zählung Steiners degradiert wird, indem man sich wie Ravagli 2003 auf angebliche Aussa­gen von Steiner selbst beruft. Eben dieser Faden der Selbstzerstörung wird von Kaiser und Traub/ Da Veiga fortgeführt.

Was darüber hinaus inzwischen auch fast zum Regelfall der SKA zu werden scheint: Daß nämlich komplett um Stei­ners Grundlagen verständnis­lose professorale Beiträge aus irgend ei­nem Fremdmilieu, wie wir es auch bei Eckhart Förster schon zur Philoso­phie der Freiheit er­lebten (siehe hier, etwa S. 1228 ff), zum Standardre­pertoire solcher Vorwortinszenierungun­gen der SKA gehört. Von aka­demischen Titelinhabern, die von Steiners eigenem erkenntnis­wissenschaftlichem Denken kaum einen blassen Schimmer haben. Nun, von dort, von so viel umfassender Ahnungslosigkeit und Unverstand auf den Feldern der Erkenntniswissenschaft Steiners bis zum Einzug der globalistisch / totalitären WHO in das Goetheanum unter dem Stichwort «One Health» ist dann verständlicherweise auch kein weiter Weg mehr. Was als versuchte Etikettenschwindelei glücklicherweise viele dort Anwe­sende auch zu ahnen scheinen, wie der zuletzt verlinkte Bericht von Thomas Heck dazu demonstriert. Das hier allerdings mehr nebenbei, obwohl es wegen der monströsen Folgen für die Spiritualität der Anthroposophie und ihrer Menschheitsziele eigentlich mit zur Hauptsache gehören sollte.

Terje Sparby

Wenig oder gar kein Verständnis für den erkenntniswissenschaftlichen Hintergrund der An­throposophie. Was übrigens auch für die Einleitung der SKA 10 von Terje Sparby gilt. Der zwar irgendwie aus einem «anthroposophischen» Umfeld stammend, ebenfalls vom Zusam­menhang der Stei­nerschen Grundlagenforschung mit dem esoterischen Werk keinerlei Ver­ständnis aufbringt. Kaum einen Schimmer davon hat - wie Christian Clement schon, der das in seiner Einleitung zu SKA 1 auch ziemlich offen und unmißverständlich einräumt, wie wenig an Verständnis der erkenntniswissenschaftlichen Grundlagen Steiners vorhanden ist.

Was viel­leicht im Fall Sparbys auch etwas erklär­licher wird, wenn man sich dessen Artikel über Steiners Idee der Freiheit an­schaut. Wo bereits zum Inhalt und den Intentionen der Phi­losophie der Freiheit rein gar nichts Brauch­bares zu le­sen ist. Schon gar nichts über die Grundlagen der Freiheit im intuitiven / er­kennenden Denken. - Tabula rasa! Mit derart sub­stanzlosen Vorstellungen indes möchte Herr Sparby eine «Freiheitsaporie» auflösen, die Christian Clement bei Steiner bemerkt haben will, und in der Einleitung der SKA 2 (S. XXVIII) formuliert hat unter dem Subtitel Die Aporie der Freiheit: selbstbe­stimmtes Han­deln oder geis­tige Füh­rung?

So sieht dann auch Sparbys hermeneutisches Rüstzeug zwecks Problemlösung von Clements angeblicher «Aporie» aus: Nämlich, so skizziert Sparby auf S. 174 die Lage um Steiners Freiheits­philosophie: „Steiner’s idea of freedom is spread out in over three hundred books, and as I’ve already pointed out, when Steiner’s work is viewed as a whole, there is a certain tension at its core. Introducing Hegel will enable us to not only single out the main aspects of freedom in Steiner’s work, but also connect them in a way that can resolve the tension.“ - [Stei­ners Idee der Freiheit ist auf über dreihundert Bücher verteilt, und wie ich bereits erwähnt habe, gibt es, wenn man Steiners Werk als Ganzes betrachtet, eine gewisse Spannung in sei­nem Kern. Die Einführung in Hegel wird es uns ermöglichen, nicht nur die wichtigsten As­pekte der Freiheit in Steiners Werk herauszuarbeiten, sondern sie auch in einer Weise zu ver­binden, die diese Spannung auflösen kann.]

Eine angesichts der ziemlich klaren Quellenlage zu Steiners Freiheitsauffassung, - nun ja, - geradezu «unterirdische» Aus­kunft. Eine, die nur von jemandem stammen kann, der wirklich kei­nerlei Kenntnis darüber hat. «Unterirdisch» zu­mal angesichts der Tatsache, daß Steiner 1918 sein freiheitsphilosophisches Hauptwerk Die Philosophie der Freiheit extra in überar­beiteter Form zum zweiten Mal herausgegeben hat. Und nicht nur das, sondern darin, wie in der Schrift Von Seelenrätseln S. 58 neben vielen anderen auch, ganz un­missverständlich auf den Charakter dieser Schrift(en) als «begründende Schnittstelle» zwi­schen dem erkenntnis­wissenschaftlichen Früh­werk und dem esoterischen der folgenden Jahr­zehnte hingewiesen hat. - Wie auch immer: Aus der Freiheits-Klem­me Christian Cle­ments soll jetzt Hegel helfen und nützlich dabei sein, ein freiheitsphilo­sophisches Aporie-Pro­blem bei Steiner zu lösen, das freilich niemand der beiden (Clement und Sparby) näher kennt, weil niemand der problembe­teiligten «Aporisten» über Steiners Freiheitsphiloso­phie in einem ernst zu nehmen­den Sinne etwas zu sagen weiß. Man würde es nicht glauben, wenn man so etwas nicht im akademischen Milieu lesen müsste. Aber so ein niveauloser Schmarren wird heute als akademische Arbeit zu Steiner in Fachzeitschriften re­spektive Büchern feilgeboten.

Das schreibt darüber hinaus jemand (Sparby), der im ganzen mehr als zwanzigseitigen Auf­satz nicht ei­nen einzigen Nachweis dafür liefert, dass er von Steiners Grundlagen und Frei­heitsphilosophie überhaupt jemals et­was gelesen, ge­schweige denn ernsthaft erarbeitet hätte. Beste Vor­aussetzungen, um mit He­gel auf Steiner los zu marschieren, würde der Real-Satiriker dazu sa­gen. Da herrscht, abge­sehen von einer einzigen substanzlosen Behauptun­g anhand Steiners Briefwechsel mit Rosa Mayre­der (S. 182), nur völlige Dunkel­heit. Das Buch selbst, Die Philosophie der Freiheit, scheint ihm gänzlich fremd zu sein.

Nun haben wir ja schon bei Witzenmanns Strukturphänomenologie mit ihrem «Erzeugungs­problem» respektive der «entscheidenden Schwierigkeit» das Phänomen, daß in Witzenmanns «Grundstruktur» nicht nur das Erkennen als Freiheitstat ausgelöscht wurde, sondern auch Steiners Grundlage der menschlichen Freiheit in und mit dieser Freiheitstat des Erkennens. So dass wir in Witzenmanns «Grundstruktur» nur noch einen Torso von Steiners Erkenntniswis­senschaft ohne Kopf, Arme und Beine vorliegen haben. Womit ich nicht sagen will, dass Sparby sich hier an Witzenmann orientiert hätte. Dafür gibt es in seinem Hegelartikel keinen Anhalt. Was aber geradezu in die Augen springt ist das Fehlen jeglichen Interesses, sich über­haupt mit Steiners Grundlagen auseinanderzusetzen. Die Folge davon ist Steinerforschung von hin­ten durch die Brust ins Auge, und ein analoger erkenntniswissenschaftlicher Torso wie bei Witzenmann. Es ist seltsam, wie Philosophen sich so etwas überhaupt nur einfallen lassen können und allen Ernstes auch noch der Öffentlichkeit andienen. Denn ebenso wenig erfährt man bei Sparby, ab­gesehen von kärgsten herausgerisse­nen Zita­thinweisen, etwas von Steiners restli­chem Be­gründungswerk. Von Steiners inne­rem Empirismus ist bei ihm eben­falls nir­gendwo die Rede. Während er parado­xerweise eben gro­ße Hoffnung hegt, eine von Cle­ment in der Einleitung der SKA 2 (S. XXVIII) be­hauptete an­gebliche Aporie zwischen Steiners esoterischem und dem erkenntniswis­senschaftlichen Frei­heitsbegriff mit Hilfe Hegels aufzu­lösen. Und zwar Sparby impulsiert auch von ei­nem Brief Stei­ners an Edu­ard von Hartmann anlässlich Hart­manns Kritik an der Philosophie der Freiheit von 1894. Wo Steiner über sein Verhältnis zu Hegel schreibt: „Ich glaube mich von Hegel in gar nichts zu unterscheiden, sondern nur einzelne Konsequenzen seiner Lehre zu ziehen.“ (GA 39, Brief Nr. 400, S. 227)

Frage: Welche einzelnen Konsequenzen hat Steiner jetzt aus Hegels Lehre gezogen? Aus der Lehre eines zwar geschätzten Philosophen, der aber ohne Fundament dastand, wie Steiner ihm schon zu­vor in der Schrift Wahrheit und Wissenschaft (hier Vorrede zur ersten Auflage 1892, S. 4) at­testierte. Nun, er hat ein erkenntniswissenschaftliches Fundament dafür gesucht, wie er ebenso für alle anderen geschätzten Idealisten dieser Zeit, - Goethe eingeschlossen, - die kein solches hatten, ein Funda­ment ge­sucht hat. Und zwar ein empirisches Fundament. Denn Stei­ner suchte nicht nach abs­trakten Ideen, sondern nach wirklichen! - Ideen in Wirksamkeit.

An mehreren Stellen der Vorgängerschrift Wahr­heit und Wissenschaft schon ist von Steiners Differenz zu Hegel die Rede. Nicht nur in der Einleitung auf S. 7. Sondern es wird bereits zu Beginn (in der Vorrede, hier S. 5 f) von Steiner darauf aufmerksam gemacht, daß die Frei­heit des Men­schen in seiner aktiven Erkenntnisfähigkeit verwurzelt ist: „Das Resultat dieser Un­tersuchungen ist, daß die Wahrheit nicht, wie man gewöhnlich annimmt, die ideelle Abspiege­lung von irgendeinem Realen ist, sondern ein freies Erzeugnis des Menschengeistes, das über­haupt nir­gends existierte, wenn wir es nicht selbst hervorbrächten. Die Aufgabe der Erkennt­nis ist nicht: etwas schon anderwärts Vorhandenes in begrifflicher Form zu wiederho­len, son­dern die: ein ganz neues Gebiet zu schaffen, das mit der sinnenfällig gegebenen Welt zusam­men erst die volle Wirklichkeit ergibt. … Für die Gesetze unseres Handelns, für unsere sittli­chen [] Ideale hat diese Anschauung die wichtige Konsequenz, daß auch diese nicht als das Abbild von etwas außer uns Befindlichem angesehen werden können, sondern als ein nur in uns Vor­handenes. Eine Macht, als deren Gebote wir unsere Sittengesetze ansehen müßten, ist damit ebenfalls abgewiesen. Einen «kategorischen Imperativ», gleichsam eine Stimme aus dem Jen­seits, die uns vorschriebe, was wir zu tun oder zu lassen haben, kennen wir nicht. Un­sere sittlichen Ideale sind unser eigenes freies Erzeugnis. Wir haben nur auszuführen, was wir uns selbst als Norm unseres Handelns vorschreiben. Die Anschauung von der Wahrheit als Freiheitstat begründet somit auch eine Sittenlehre, deren Grundlage die vollkommen freie Persönlichkeit ist.“

Von Hegels Idealismus wiederum hebt sich Steiners «objektiver Idealismus» laut eigenen Worten in der Einleitung auf S. 7 folgendermaßen ab: „Derselbe unterscheidet sich von dem Hegelschen metaphysischen, absoluten Idealismus dadurch, daß [] er den Grund für die Spal­tung der Wirklichkeit in gegebenes Sein und Begriff im Erkenntnissubjekt sucht und die Ver­mittlung derselben nicht in einer objektiven Weltdialektik, sondern im subjektiven Erkennt­nisprozesse sieht.“ - Die Wirksamkeit des Erkenntnisprozesses ist laut Steiner die entscheidende Diffe­renzgröße zur Hegelschen Dialektik, die das nicht kennt und nicht danach fragt. Deswe­gen ist aber auch die Suche nach Wirk­samkeiten im Menscheninneren das Kernziel im zweiten Kapitel der Philosophie der Freiheit / drittes der Erstausgabe.

Mit Wirksamkeiten hat es indessen nicht nur Steiners Freiheitsphilosophie zu tun, sondern ebenso auch der Erkenntnisprozeß respektive die Erkenntniswissenschaft. Denn schon die «Wahrheit ist ist eine Freiheitstat». So heißt es bei Steiner in jener Vor­gängerschrift zur Phi­losophie der Freiheit, von der er später in GA-21, S. 58 schreibt, dass sie für «seine ganze Weltanschauung grundlegend» sei. Von Herrn Sparby indessen vermute ich, daß er Der­artiges noch nie im Verlauf seiner akademischen Entwicklung gelesen, geschweige denn ernsthaft studiert hat. Andernfalls hätte so etwas in seinem Freiheitsartikel unbedingt einen Eingang finden müssen, und nicht die gänzlich abstruse und abenteuerliche Phrase über eine «auf mehr als 300 Bü­cher verteilte Freiheits­auffassung» bei Steiner. Denn in der Vorgängerschrift (Wahr­heit und Wissenschaft) ist eben die grundsätzliche Diffe­renz zu Hegel bereits ausge­sprochen, die auch in der Philosophie der Freiheit von 1894 im Kapitel V, S. 53 neuerlich zur Sprache kommt: Steiner geht es im Gegensatz zu Hegel um «Wirksamkeiten». Das menschli­che Erkennen hingegen ist ein wirksamer Prozeß. Das ist nicht nur in Wahrheit und Wissen­schaft bereits nachzulesen, sondern steht so und ebenfalls ganz unmissverständlich auch in den Grundlinien von 1886 in der Wendung vom «Denken / Erkennen als erlebter Zusammen­hang von Wirkendem und Bewirktem». Siehe dazu Steiners rückblickenden Hinweis im Kapitel 15, hier S. 86: „Wir erinnern uns, warum eigentlich das Denken in unmittelbarer Erfahrung bereits sein Wesen enthält. Weil wir innerhalb, nicht außerhalb jenes Prozesses stehen, der aus den einzelnen Gedankenelementen Gedankenverbindungen schafft. Dadurch ist uns nicht allein der vollendete Prozeß, das Bewirkte gegeben, sondern das Wirkende.“

Im Fall He­gels lautete Steiners Kor­rektur-Konsequenz gemäß Steiners Brief an Hartmann: „Soll die Idee Wirklich­keit ha­ben, dann muß der Erkenntnisprozeß ein rea­ler und kein bloß logischer sein, das heißt Wahrneh­mung und subjektiver Begriff können nur (einsei­tige) Mo­mente der Wirk­lichkeit sein; die­se selbst ist erst in der vom Erkenntnispro­zeß herbeigeführten Durchdringung (in der von der Idee aufgesaugten Einzelwahrnehmung) gege­ben.“ - Der «Er­kenntnisprozeß muß ein realer sein, und kein bloß logischer, wenn die Idee Wirklichkeit ha­ben soll.» - Es reicht nicht hin in allgemeinen Begriffen zu hantieren, sondern die Wahrneh­mungsseite ge­hört mit dazu. Denn aus bloßen abstrakten Begriffen läßt sich die Wirklichkeit nicht dedu­zieren. In der Wirklichkeit haben wir es nämlich nicht mit Abstraktionen zu tun, sondern mit Wirksamkeiten. Deswegen hat es auch Steiners Freiheitsphilosophie vorrangig mit Wirksamkeiten zu tun, weil sie wirklichkeitsorientiert ist und nicht metaphysisch. Wie ge­sagt seit mindestens 1886 schon sichtbar. Das Besondere an der «Wahrheit als Freiheitstat» ist, daß die Verknüpfung von Wahrnehmung und Begriff im Erkennen nicht vorhanden wäre, wenn es der Mensch nicht täte. Denn von alleine fügt sich das nicht zusammen. Weswe­gen auch das freie Handeln nebst sittlichen Idealen nichts ist, was uns von einer «Stimme aus dem Jenseits vorge­schrieben werden könnte». Sondern eben­falls unverrückbar an die «Frei­heitstat des Erkennens» ge­bunden ist. Der Erkenntnisprozeß aber ist «ein erlebter, wirksa­mer Vor­gang» im Menschen, der von ihm selbst als «freie Tat» veranlaßt wird.

Man muß also, «damit die Idee auch Wirklichkeit habe», - dazu auch das reale, das wirkliche Den­ken untersuchen. - Dort ist nämlich die Idee selber tä­tig, wie wir schon aus Stei­ners Grundlinien … Kap. 8 und anderen Frühschriften wis­sen. Wie wir auch aus den Einlei­tungen in Goethes Naturwissenschaftliche Schriften von 1887 wissen. Etwa dahingehend, dass der «menschliche Wille die Idee selber sei, diese als Kraft aufge­faßt», wie Steiner in die­sen Einleitungen gegenüber Eduard von Hartmann kritisch geltend machte. (Siehe GA-1, Dornach 1987, S. 197; alternativ in der Kürschner Originalausgabe Bd. 34 von 1887, S. XLV.)

Und wie wir schließlich aus der Schrift Goethes Weltanschauung von 1897 (hier S. 69 f) wis­sen. Deswegen muß der Mensch bei der Beobachtung des Denkens auch keine Ideen suchen, denn das ganze Geschehen ist die Idee selbst: „Wenn auch die Ideen der Inhalt dessen sind, was in den Dingen wirkt; zum erscheinenden Dasein kommen sie durch die menschliche Tä­tigkeit. Die eigene Natur der Ideenwelt kann also der Mensch nur erkennen, wenn er seine Tä­tigkeit anschaut. Bei jeder anderen Anschauung durchdringt er nur die wirkende Idee; das Ding, in dem gewirkt wird, bleibt als Wahrnehmung außerhalb seines Geistes. In der An­schauung der Idee ist Wirkendes und Bewirktes ganz in seinem Innern enthalten. Er hat den ganzen Prozeß restlos in seinem Innern gegenwärtig. Die Anschauung erscheint nicht mehr von der Idee hervorgebracht; denn die Anschauung ist jetzt selbst Idee. Diese Anschauung des sich selbst Hervorbringenden ist aber die Anschauung der Freiheit. Bei der Beobachtung des Denkens durchschaut der Mensch das Weltgeschehen. Er hat hier nicht nach einer Idee dieses Geschehens zu forschen, denn dieses Geschehen ist die Idee selbst.“ - Das ist der Weg Steiners über Hegel hinaus. Bzw es sind «die Konsequenzen, die er für sich aus Hegels Lehre gezogen hat», wie er 1894 an Hartmann schrieb. Die Konsequenzen aus seiner Suche nach «Ideen, die Wirklichkeit haben» und nicht nur eine logisch virtuelle Realität.

Das wieder­um findet sich konzeptionell wie gesagt nicht nur 1897 in der Schrift Goethes Weltanschauung, S. 69 f, sondern schon 1886 in den Grundlinien in der Auskunft von der «Denktätigkeit als tätigem Gedankengehalt der Welt» im Kapitel 8. Findet sich desgleichen 1894 auch in der Philosophie der Freiheit in Steiners Abgrenzung von Hegel wieder. (Hier S. 38) Dahingehend nämlich, wie Steiner schreibt: „Ich muß einen besonderen Wert dar­auf legen, daß hier an dieser Stelle beachtet werde, daß ich als meinen Ausgangspunkt das Denken bezeichnet habe und nicht Begriffe und Ideen, die erst durch das Denken gewonnen werden. Diese setzen das Denken bereits voraus. Es kann daher, was ich in bezug auf die in sich selbst ruhende, durch nichts bestimmte Natur des Denkens gesagt habe, nicht einfach auf die Begriffe übertragen werden. (Ich bemerke das hier ausdrücklich, weil hier meine Diffe­renz mit Hegel liegt. Dieser setzt den Begriff als Erstes und Ursprüngliches.)“ (GA-4, Kap. IV, hier S. 38 / In der Erstauflage von 1894 findet sich dasselbe im Kapitel V, S. 53). Mit Blick auf Steiners Differenz zu Hegel gibt es zwischen der Erst- und Zweitauflage der Philo­sophie der Freiheit keinen Unterschied. Steiner «untersucht den Prozess des Denkens», wäh­rend Hegel sich nur an den Begriff hält, «der erst durch das Denken gewonnen wird», wie Steiner konstatiert. Damit aber ist die Differenz zwischen Hegel und Steiner wahrlich gewal­tig, bei aller Grundsatzübereinstimmung. Es macht eben einen himmelweiten Unterschied, ob ich mein ganz konkretes Denken seelisch beobachtend untersuche oder nur der Logik von idealistisch orientierten Gedankenbildungen folge.

Die Tatsache der menschlichen Freiheit stammt entsprechend für Steiner nicht aus dem Be­griff, sondern aus dem Prozeß, - aus der sich selbst tragenden Wesenheit des Denkens, wie er in den Zusätzen von 1918 eigens noch einmal bestärkt. Genauer gesagt: Aus dem Begriff nur insoweit, als er die moralische Intuition, die er in Form einer Handlung verwirklichen will, in dieser Handlung erst zu Leben und Wirksamkeit bringen muß. Denn als ethische Idee ist sie ja nicht mehr wirksam, sondern abgelähmt und tot. Nur in der menschlichen Handlung wird sie zu Wirksamkeit gebracht. – Anders und mit Steiners Worten gesagt: «Die toten Gedanken des gewöhnlichen Bewusst­seins werden als Moralimpulse zur Auferstehung gebracht», wie er 1922 in GA-211, Dornach 1986, hier S. 120 f seinen Zuhörern diesen Zusammenhang ver­deutlichte. Was natürlich auch für das «Erkennen als Freiheitstat» gilt, die man nur willentlich ver­wirklichen und «zur Auferstehung» bringen kann. Andern­falls bleibt es nur eine tote / abs­trakte «Idee des Erkennens», die von selbst nicht zum Leben kommt, sondern lediglich durch eine innere menschliche Erkenntnis­handlung. Auch das Erkennen ist entsprechend auch eine ethische Handlung. Und als solche nur möglich, indem man die Idee des Erkennens ver­wirklicht.

Oder wenn man Steiners Antwortbrief an Eduard von Hartmann bemühen will: Aus der «Synthese der einseitigen Wahrnehmung des Denkens mit dem einseitigen Begriff des Denkens.» Wie er es in den Zusätzen der Philosophie der Freiheit 1918 eigens noch einmal im Kapitel VII hervorhob: „Man wird aus dem schon Vorangehen­den, aber noch mehr aus dem später Ausgeführten ersehen, daß hier alles sinnlich und geistig an den Menschen Herantretende als Wahrnehmung aufgefaßt wird, bevor es von dem tätig er­arbeiteten Begriff erfaßt ist.“ Worauf die Selbsterklärungstatsache des eigenen Denkens ba­siert, das nicht nur wahrgenommen, sondern eben auch begrifflich durchdrungen wird, um es zu begreifen.

Und wie er es zudem 1897 in Goethes Weltanschauung (S. 69 f) in aller Deutlichkeit gesagt hatte: „Wenn auch die Ideen der Inhalt dessen sind, was in den Dingen wirkt; zum erscheinenden Dasein kommen sie durch die menschliche Thätigkeit. Die eigene Natur der Ideenwelt kann also der Mensch nur erkennen, wenn er seine Thätigkeit anschaut.Bei jeder anderen Anschauung durchdringt er nur die wirkende Idee; das Ding, in dem gewirkt wird, bleibt als Wahrnehmung außerhalb seines Geistes. In der Anschauung der Idee ist Wirkendes und Bewirktes ganz in seinem Innern enthalten. Er hat den ganzen Prozeß restlos in seinem Innern gegenwärtig. Die Anschauung erscheint nicht mehr von der Idee hervorgebracht denn die Anschauung ist jetzt selbst Idee. Diese Anschauung des sich selbst Hervorbringenden ist aber die Anschauung der Freiheit. Bei der Beobachtung des Denkens durchschaut der Mensch das Weltgeschehen. Er hat hier nicht nach einer Idee dieses Geschehens zu forschen; denn dieses Geschehen ist die Idee selbst. Der Mensch, der diese in sich selbst ruhende Thätigkeit anschaut, fühlt die Freiheit.“ - In diesem Fall liegt die Verwirklichung der Idee des Erkennens in der Erkenntnis des Denkens selbst. Und kann als eine solche Verwirklichung natürlich auch nur als eine «Freiheitstat» verstanden werden, die nur willentlich vollzogen werden kann. Substantiell bahnte sich das alles schon an im Kapitel 8 der Grundlinien von 1886 S. 47 unter dem Stichwort vom «Denken als tätigem Gedankengehalt der Welt.»

Für Steiner ist, wie sich daran ablesen läßt, die menschliche Freiheit unmittelbar auch an das «wirkende und durchschaute Weltgeschehen» geknüpft. «Durchschauen» kann freilich nie­mand das Weltgeschehen, wenn er nur den Stand­punkt Kants (und Humes) einnimmt, wonach Kausalität empirisch nicht begründbar ist, und dann ersatz­weise mit windigen metaphysischen Vernunft­schlüssen aufwartet, wie Kant beispielsweise in den Prolego­mena. Folglich ist von Kants Standort auch die menschliche Freiheit niemals begründbar, sondern bleibt eine ebenso windi­ge, rein metaphysische Glaubensangelegenheit, die man ei­nem streng empiristisch ori­entierten Naturwissenschaftler der Ge­genwart heute nicht mehr wird vermitteln können. Daß so etwas einem modernen Zeitgenossen mit natur­wissenschaftlicher Bildung und Ausbildung nicht mehr ver­mittelt werden kann, das galt in­dessen auch für Steiner und seine Auseinander­setzung mit den idealistischen Zeitgenossen und Vorläufern, für die er ein geeignetes empiri­sches erkenntnis­wissenschaftliches Fundament suchte; wie etwa für Fichte, Schelling, Hegel und ebenso für Goethe. Den verehrten Eduard von Hartmann darf man gern dazu gesellen, dem er die Schrift Wahrheit und Wissenschaft ausdrücklich gewidmet hat. Obwohl Hartmann, wie wir bereits anmerkten, in seinem Werk Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins (S. 451 - 457) die menschliche Freiheit mit der Illusion eines fallenden Steines verglich, der glaubte, das Fallen beruhe auf seiner eigenen Entscheidung. Auch diese beiden Idealisten (Steiner und Hartmann) konnten in der Grundlagen- und Freiheitsfrage kaum weiter von ein­ander entfernt sein. Siehe Steiner dazu auch in der Philosophie der Freiheit Kap. 1, hier S. 10 f.

Steiners Kerninteresse ruht, wie er ja bereits in den Grundlinien schon schrieb, und auch im Kapitel II der Philosophie der Freiheit ange­kündigt hatte, (neben dem Ursprung und der Bedeutung in Kap. I) vor allem auf den Wirksamkeiten im Denken. Auf den «Naturwirksam­keiten im ei­genen Inneren». Dies im Kapitel II in Anlehnung an Goethes Hymnus «Die Natur». Was ver­ständlich ist, wenn man nach der realen Idee sucht und nicht nach einer abstrakten, «bloß lo­gischen». Steiner fühlte sich Hegel zwar sehr verbunden. Aber die­se Konsequenz hat Steiner aus Hegel gezo­gen: «Damit die Idee auch Wirklichkeit hat», untersucht Steiner den realen Prozeß des Er­kennens / Denkens, - der Be­griffsbildung, - während Hegel den Begriff als Ers­tes und Ur­sprüngliches setzt. Ohne den fak­tischen Prozeß zu untersuchen, durch den Begriffe und Ideen respektive Erkenntnisse erst ge­wonnen werden. Steiner verfolgte demgegenüber eine empi­risch-genetische Perspekti­ve, die den realen Vorgang der Begriffs- und Erkenntnis­gewinnung untersucht, was es bei Hegel nicht gab. Denn nur da, im realen Prozeß «hat die Idee auch Wirklichkeit». In den Abstraktio­nen hat sie diese nicht. Sondern dort ist sie mausetot. Denn sie sind aus idealistischer Perspektive lediglich «Univer­salien post rem.» Während Steiner die in Wirksamkeit befindlichen suchte. Die gab es nur im wirkenden Prozeß des Denkens, aber nicht in den Abstraktionen des Denkens.

Der universalienrealistischen Sachlage nach läßt sich dies auch nachvollziehen mittels Stei­ners späterem Autoreferat von 1908, Philosophie und Anthroposophie, und anhand seiner dortigen Ausführungen über das «dreifache Ich», (GA-35, S. 101 ff). Die nämlich baut ebenfalls auf der Tatsache auf, daß die innere Aktivität beim erkennenden reinen Denken des «Ich» nicht nur gedacht, sondern auch laut S. 98 ff als Aktualität erlebt wird. Auch dort steht der Prozeß im Vordergrund und nicht das Logische. Im dort erläuterten Fall geht es um den Begriff des «Ich», wo im Prozeß des erlebten Denkens die drei Universalien zusammenfallen: „Wenn wir das Ich im reinen Gedanken fassen, dann sind wir in einem Zen­trum, wo das reine Denken zu­gleich essentiell sein materielles Wesen hervorbringt. Wenn Sie das Ich im Denken fassen, so ist ein dreifaches Ich vorhanden: ein reines Ich, das zu den Universalien «ante rem» gehört, ein Ich, in dem Sie drinnen sind, das zu den Universalien «in re» gehört, und ein Ich, das Sie begreifen, das zu den Universalien «post rem» gehört. Aber noch etwas ganz Besonderes ist hier: für das Ich verhält es sich so, daß, wenn man sich zum wirkli­chen Erfassen des Ich auf­schwingt, diese drei «Ichs» zusammenfallen. Das Ich lebt in sich, in­dem es seinen reinen Be­griff hervorbringt und im Begriff als Realität leben kann.“

Wir ha­ben das weiter oben auf S. 171 ff schon im Zusammenhang mit dem Kausalitätspro­blem et­was erläutert. Ich will das hier nur noch einmal zur Illustration der Tatsache vorbrin­gen, daß und warum es Steiner bei all seinem Idealismus nicht nur um das Logische, sondern stets um das Wirkende im Denken, um den erlebten Prozeß des Denkens und um wirkende Ideen geht. Um das «Weltgeschehen» geht es, wie es nicht nur in der Philosophie der Freiheit heißt, sondern auch in Goethes Weltanschauung von 1897, wo es auf S. 69 f besonders plaka­tiv herausgestellt wurde. Das gilt seit Beginn seines erkenntniswissenschaftlichen Schaffens auch für sein philosophisches Verhältnis zu Hegel. Dem er letztendlich einen fehlenden Reali­tätsbezug vor­hält, infolge des schon in Wahrheit und Wissenschaft beklagten Umstandes, daß Hegel ebenso wie der Rest der geschätzten zeitgenössischen Idealisten ohne Fundament da­steht. Ihnen allen fehlt wegen dem nicht vorhandenen Fundament auch der Realitätsbezug. Dass sich das aus der Sicht Steiners bei Hegel auch so verhält, das kann der Leser gelegent­lich näher nachlesen in den entsprechenden Hegelabschnitten aus Steiners Schrift Die Rätsel der Philosophie.

Wer folglich versucht Hegel über Steiner zu stülpen, sei es über Steiners Erkenntniswissen­schaft, über seine Freiheitsphilosophie, über seine Anthroposophie oder gar über Steiners so­ziale Dreigliederung, der ist ausgesprochen schlecht beraten. Das kann nicht gut gehen, weil es konzeptionell und erkenntniswissenschaftlich mit Steiner schlicht unver­träglich ist. Bei al­ler Nähe Steiners zum Idealismus und zu Hegel. Man muß nicht glauben, dass man aus dem Idealismus mit seinem Ideenrealismus die menschliche Freiheit einfach logisch deduzieren kann. Wer das glaubt, der irrt gar sehr. Den «Idealismus» fand man in die­ser Zeit entspre­chend auch bei den schärfsten Freiheitsleugnern wie Eduard von Hartmann, der in seiner Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins, Berlin 2. Auflage 1879, S. 451 f als Idealist von einer «Freiheitsillusi­on» sprach, die «ebenso für den fallenden Stein gelten würde, wenn er Bewusstsein hätte, wie für den wollenden Menschen.» Siehe Steiner dazu im Kapitel I der Philosophie der Freiheit, hier, S. 10 f. Aber ebenso findet sich der Idealismus auch bei Frei­heitsenthusiasten wie Fichte und Stei­ner. Die «allgemeine» philosophische Nähe zum Idealis­mus sagt qualitativ darüber rein gar nichts aus. Sondern ein bloß abstrakter Idealismus kann vielen Herren dienen. Kann ebenso dem Faschismus dienen wie dem Individualismus. An den Faschismus gerät er um so mehr und umso leichter, je mehr über den idealistischen Abstraktio­nen der komplette Reali­tätsbezug verloren geht, und dann nur noch vom allgemei­nen «Weltgeist» die Rede ist wie bei manchem einfältigen «Anthroposo­phen», der damit eine unverkennbare Neigung zum Welt-Totalitaris­mus offenbart. Was wohl die übelste Form von Faschismus ist, die ein Idealist sich heut­zutage ausdenken kann. Nämlich ein «satanischer» Faschismus, dem es gar nicht um die individuelle menschliche Freiheit, son­dern um eine skrupellose Weltherrschaft geht.

Es kommt in Steiners Augen also gar nicht dar­auf an, ob jemand eine idealistische Weltan­schauung vertritt oder nicht. Sondern es kommt ihm darauf an, einen Idealismus mit unmittel­barem, empirisch begründetem Realitätsbezug zu ent­wickeln. Den aber sah er bei seinen Zeit­genossen und Vorläufern nicht, weswegen er sich um ein entsprechend realitätsnahes Funda­ment für all diese bemühte. Ein erkenntniswissenschaftliches Fundament schließt bei Stei­ner den empirischen Wirklich­keitsbezug ein, der nur auf der Erfahrungsebene zu erreichen ist. Das alles ist bei Steiner nicht erst im Brief Nr. 400 an Eduard von Hartmann aus dem Jahr 1894 nach­zulesen. Sondern diese seine Auffassung durchzieht sämtliche frühen Begründungs­schriften Steiners bis ein­schließlich Goethes Weltanschauung von 1897 S. 69 ff. Ein Vorha­ben der «Beobach­tung des Denkens als Ausdruck der induktiven Beobachtung der wirkenden Idee» bei Steiner, das mit der Jahrhundertwen­de als allgemeines Forschungsvorhaben, - wenn auch nicht aus­drücklich an den Idealismus angebunden, - auch im denkpsy­chologischen Laborato­rium der Würzburger Schule Oswald Külpes unter­nommen wurde, wie wir bereits sa­hen. Weil es da­mals möglich wurde. Entsprechend hat sich Steiner dringend veranlaßt gese­hen, 1917 in der Schrift Von Seelenrätseln (S. 170 f) den Wunsch nach einem psychologi­schen Laboratori­um zum Ausdruck zu bringen. Ein Wunsch, der ganz in der sachlogischen Konse­quenz dessen liegt, was er 1894 bereits im Brief an Eduard von Hartmann schrieb und 1886 schon in den Grundlinien.

Die Resultate bei Steiner sehen folglich wegen seinem unmittelbaren Wirk­lichkeits- und Wirksamkeits­bezug ganz anders aus als bei Hegel. Nicht nur in der Er­kenntniswissenschaft, son­dern auch in der Freiheitsphilosophie und Anthroposo­phie. Deswe­gen auch entwickelte Steiner später als An­throposoph in seiner Gesellschaftsphi­losophie die «soziale Dreigliede­rung». Et­was, was man bei Hegel und seiner Staatsphiloso­phie vom wirkenden Weltgeist im Staat und mit Hang zur Monarchie kaum finden wird. (Siehe Steiner zu He­gels Staatslehre in GA-18, S. 242 ff; allge­mein zu Hegels Philosophie S. 235 ff) Die Konse­quenzen von Steiners Hegel-Korrektur blei­ben also keineswegs auf die Ide­enerkenntnis, das Naturverständnis, die Freiheitsphilosophie und die geistig seelische Welt beschränkt. Sondern finden ihren Aus­druck auch in der Gestal­tung des gesellschaftlich politi­schen Lebens. Als Ausdruck eines not­wendigen «Schwellenübergangs der Menschheit» (GA-190), den man bei Hegel schwerlich formuliert finden dürf­te. Und schon gar nicht in der von Steiner entwickelten Form der Drei­gliederung. Denn der philosophische Rekurs auf irgend einen metaphysisch / dialektisch erschlossenen «abstrakten Weltgeist» ist dazu völlig nutzlos.

Methodisch (und erkenntnistheoretisch) also könnten Steiner und Hegel bei aller von Steiner beteuerten Nähe kaum ent­fernter von einan­der sein. Was sie lediglich eint, ist eine idealisti­sche Grundüberzeugung, wie es sich bereits bei Steiners Hegelbetrachtungen im Kapitel 9 von Steiners Grundlinien im allgemeinen abzeichnete. In­des Steiner sich mit der idealistischen Grundüberzeu­gung als solcher nicht zufrieden gibt. Schon bei Fichte, Eduard von Hartmann und Goethe nicht, sondern in einer agnostisch-naturwis­senschaftlich geprägten Zeit, in der für die wissenschaftliche Natur­erklärung bereits das Fundament fehlte, das empirische Funda­ment auch für den Ideenrealis­mus sucht. Was bei ihm zum Ausdruck kommt in der empiri­schen Selbsterklä­rungsfähigkeit des erlebten Denkens als Grundlage für jedes Erkennen. Pro­grammatisch als Naturforschungsvorhaben ausdrücklich artikuliert in Kapitel II der Philoso­phie der Freiheit dahingehend, «dass die Natur im Äußeren nur gefunden werden könne, wenn man sie im Inneren bereits kennt». In der Philosophie der Freiheit eigens noch einmal besonders prä­zisiert in den Ergänzungen der Zweitauflage von 1918. Für einen induktiven Weg zu den Ide­en, der selbstredend auf der Suche nach Wirksamkeitszusammenhängen am Prozeß des Den­kens nicht vorüber­gehen kann. Den er deswegen auch in seiner Abgrenzung von Hegel aus­drücklich hervorhebt. Während in der Schrift Goethes Weltanschauung von 1897 diese Zu­sammenhänge von empirischer Naturforschung, Ideenrealismus, und Freiheits­forschung noch einmal gebündelt wurden im Kapitel über die Metamorphose der Welterscheinungen.

Demge­genüber Hegel bei allem Idealismus über so ein empirisches Fun­dament nicht ver­fügt, und auch gar nicht danach such­te. Indes auch Steiners nachfolgender esoterischer Schulungs­weg (siehe etwa GA-10) wie­derum alles andere ist als eine psycholo­gisch methodi­sierte Um­setzung von He­gels Dialektik. Sondern, wie Steiner auch in GA 255b, S. 295 ff ein­gehender berichtet, ent­wickelt an­hand der Untersuchungen zur Leibesunabhängigkeit des gewöhnli­chen erken­nenden Den­kens. Zum weitergehenden Zwecke der empirischen Erforschung des Men­schen über die Schwelle des To­des hinaus, wie man es Steiners entsprechenden anthroposo­phischen Schulungsschrif­ten auch ent­nehmen kann.

Mög­lich ist diese spezielle Schulung, weil das ge­wöhnliche erken­nende / in­tuitive Denken seinerseits unabhän­gig ist vom physi­schen Leibe. Als logisches / erkennendes Denken unabhängig überhaupt von den Naturvorgän­gen der äußeren physikalischen Welt, wie Steiner nicht nur in der Schrift Von Seelenrätseln (GA 21) mehrfach betont. Interessanterweise auch in den Karmavorträgen seinen Zuhö­rern 1924 in Breslau GA 239, S. 125 f eigens noch einmal ins Stammbuch schreibt: „Denn die äußere Natur ist ja immer etwas, was von den Ge­danken wohl erfaßt werden kann, aber niemals den Gedanken hervorbringen kann. Es könnte ja sonst keine Logik geben, die unabhängig von allen Naturgesetzen sieht, was denkerisch richtig und falsch ist.“ Was in dieser markanten Form bereits in der Schrift Von Seelenrätseln aus dem Jahre 1917 etwa auf den Seiten 30; S. 132 nachzulesen ist. (Ähnlich formuliert, wie wir weiter oben wiederholt sahen, auch bei Popper und Eccles.) Bereits das elementarste Erkennen, das in der Lage ist zwischen richtig und falsch zu unterscheiden, beruft sich dabei auf etwas, was unabhängig ist von der äußeren Natur oder den physiologischen Gesetzen des Leibeslebens, und von den Vorgängen der äußeren Natur nicht geschaffen werden kann, wie auch Popper das sieht.

Der Leser erinnert sich in diesem Zusammenhang vielleicht auch an Steiners Bemerkung gegen­über von Hartmann im Kap. III der Philosophie der Freiheit. «Man kann nicht zu etwas kom­men, was das Denken bewirkt, wenn man den Bereich des Denkens verläßt.» Wer «Naturfor­schung im Inneren» betreibt, der muß das Bewirkende des Denkens auch im Denken selbst suchen. Das ist der Anlaß dafür, wenn Steiner im Gegensatz zu Hegel den Prozeß des Denkens untersucht, und nicht den Begriff als erstes setzt. Mit He­gel ist dies­bezüglich in die­sen empiristischen Grundlegungsfra­gen und in Fragen der anthro­posophischen Schulung mit ihren Anwen­dungen wie «Todesfor­schung» oder der «sozialen Dreiglie­derung» nichts anzu­fangen, wie Steiner deut­lich genug ausspricht.

Hegel nämlich, so Steiner später in einem längeren Ab­schnitt, sei nur «bis zu einem toten Punkt» gekommen, von dem aus es bei Hegel nicht weiter geht. (Die Rätsel der Philosophie, GA-18, Dornach 1985, S. 338 f.) Das ist ein Resultat jener empiristischen Konsequenz, die Steiner be­reits in seinen Frühschriften aus He­gels Lehre zog, obwohl er sich ihm andererseits nahe wuß­te. Vom Empirismus des erlebten und beobach­teten Denkens nach Art der Philoso­phie der Freiheit und ihrer Vorgängerschrif­ten indessen, und dem nachfolgendem Laboratori­umswunsch von 1917, um das «schauende Vermögen» des Menschen im psychologischen La­boratorium noch einmal nachzuweisen, könnte Hegels Dialektik kaum weiter weg sein. Und Sparby seinerseits ist es in seinem Arti­kel ebenfalls: Weit davon entfernt. Es scheint ihm bisher jeder erkenntniswissenschaftliche Zugang dorthin zu fehlen.

Bleibt also die Frage, inwieweit Sparby, und mit ihm ge­gebenenfalls Cle­ment diese empiristi­sche Konsequenz Steiners nebst ihren praktischen Folgen für den anthroposophischen Schu­lungsweg zur anthroposophischen «Geistesforschung» überhaupt schon einmal in die Augen gefallen ist? In Sparbys Arti­kel kann ich davon nichts er­kennen. Steiners Frühschriften fallen da bis auf sparsamste Zitate weitestge­hend durch den Rost. Vor den erkenntniswissenschaftli­chen Empirismus Steiners ist ein un­durchsichtiger Vorhang gezogen, so dass der Empirismus des Erkennens gar nicht erst er­scheint. Desgleichen auch bei Cle­ment bislang nicht.

Derselbe «Prozeß aber, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden», ist bei Steiner auch die Grundlage der menschlichen Freiheit. Des «Erkennens ist eine Freiheitstat». Zudem ga­rantiert er auch in seiner Form des begrifflichen Denkens die Leibesunabhängigkeit des er­kennenden / intuiti­ven Denkens, wie Steiner ausführlicher 1921 noch einmal in GA-255b, S. 296 ff erläutert. Nach dem Motto wie­derum, das Steiner kritisch im dritten Kapitel der Philo­sophie der Frei­heit 1918 vorbrachte: «Man kann nicht zu etwas kommen was das Denken be­wirkt, wenn man den Bereich des Den­kens verläßt.» - Mit allen naturwissenschaftlichen Kon­sequenzen, die daraus auch in der Philosophie der Freiheit folgen. Die sich ebenfalls im Kapitel IX der Zweitauflage noch einmal ausdrucksstark niedergeschlagen haben in Gestalt der Zurückdrängung der leiblich / seelischen Organisation durch das Denken:

Nur wenn man sich zu der in der unbefangenen Beobachtung gewonnenen Anerkennung dieser Wahrheit über die intuitive Wesenheit des Denkens hindurchgerungen hat, gelingt es, den Weg frei zu bekommen für eine Anschauung der menschlichen leiblich seelischen Organisation. Man erkennt, daß diese Organisation an dem Wesen des Denkens nichts bewirken kann. Dem scheint zunächst der ganz offenbare Tatbestand zu widersprechen. Das menschliche Denken tritt für die gewöhnliche Erfahrung nur an und durch diese Organisation auf. Dieses Auftreten macht sich so stark geltend, daß es in seiner wahren Bedeutung nur von demjenigen durchschaut werden kann, der erkannt hat, wie im Wesenhaften des Denkens nichts von dieser Organisation mitspielt. Einem solchen wird es dann aber auch nicht mehr entgehen können, wie eigentümlich geartet das Verhältnis der menschlichen Organisation zum Denken ist. Diese bewirkt nämlich nichts an dem Wesenhaften des Denkens, sondern sie weicht, wenn die Tätigkeit des Denkens auftritt, zurück; sie hebt ihre eigene Tätigkeit auf, sie macht einen Platz frei; und an dem freigewordenen Platz tritt das Denken auf. Dem Wesenhaften, das im Denken wirkt, obliegt ein Doppeltes: Erstens drängt es die menschliche Organisation in deren eigener Tätigkeit zurück, und zweitens setzt es sich selbst an deren Stelle. Denn auch das erste, die Zurückdrängung der Leibesorganisation, ist Folge der Denktätigkeit. Und zwar desjenigen Teiles derselben, der das Erscheinen des Denkens vorbereitet. Man ersieht aus diesem, in welchem Sinne das Denken in der Leibesorganisation sein Gegenbild findet. Und wenn man dieses ersieht, wird man nicht mehr die Bedeutung dieses Gegenbildes für das Denken selbst verkennen können. Wer über einen erweichten Boden geht, dessen Fußspuren graben sich in dem Boden ein. Man wird nicht versucht sein, zu sagen, die Fußspurenformen seien von Kräften des Bodens, von unten herauf, getrieben worden. Man wird diesen Kräften keinen Anteil an dem Zustandekommen der Spurenformen zuschreiben. Ebensowenig wird, wer die Wesenheit des Denkens unbefangen beobachtet, den Spuren im Leibesorganismus an dieser Wesenheit einen Anteil zuschreiben, die dadurch entstehen, daß das Denken sein Erscheinen durch den Leib vorbereitet." (GA-04, hier S. 102 f) - Nun ist auch das 1918 nichts grundsätzlich Neues und in der Zweitauflage lediglich Nachgeschobenes, sondern alles schon substantiell bei Steiner vorhanden seit den 1880er Jahren. Mit am markantesten vielleicht formuliert in Stei­ners Sendschreiben Die Natur und unsere Ideale an die Dichterin delle Grazie von 1886: «Ein erkennendes Wesen kann nicht unfrei sein!» (GA-30, Dornach 1989, S. 237 f)

Das Erkennen ist ein rea­ler, erlebter Prozeß, der als solcher nicht abhängig ist von den Geset­zen des Leiblichen, sondern von den nicht-leiblichen der Lo­gik, wie er es in der Schrift Von Seelenrätseln von 1917 dann wiederholt ver­deutlichte. Wie er es auch im Rechtfertigungsvor­trag von 1921 in GA-255b, S. 295 ff ganz unmissverständlich als Forschungsresultat seiner Früh­schriften den Zuhörern nahebrachte: Das erkennende Denken ist der physischen Organi­sation des Menschen nicht ausgeliefert, sondern unabhängig von den Gesetzen des Leiblichen. Die­ser rea­le Prozeß des erkennenden Denkens wiederum muß beob­achtet werden zwecks in­duktiver Er­kenntnis der Idee. Denn auch Ideen sind einer induktiven Er­kenntnis zugänglich, wie Stei­ner bereits 1887 in den Einleitun­gen in Goethes naturwissen­schaftliche Schriften schrieb. (GA-1, S. 126 / in der ursprüngli­chen Kürschnerausgabe Bd. 34 von 1887, Vorrede S. IV f.) Beson­ders augenfällig wird dieser induktive Weg zu den Ideen dann in der Schrift Goe­thes Weltan­schauung von 1897, S. 69 ff. Die darüber hinaus gehenden Forschungsresultate des «Anthro­posophen» Steiner sehen ihrer­seits ebenfalls völlig anders aus als die Resultate der Hegel­schen Dialektik oder eines aus der philosophischen Tradition übernom­menen Platonismus.

Nun ist weiter die Frage, ob die von Clement behauptete «Aporie der Freiheit» bei Steiner überhaupt existent ist. Daß der Mensch in jeder Hinsicht frei sei, hat Steiner wiederum noch nie behauptet. Es gilt also nicht die Alternative «der Mensch ist entweder frei oder nicht». Sondern er ist es laut Philosophie der Freiheit nur in dem Maße, als er ethische Intuitio­nen zu verwirklichen vermag, die ihren Ursprung wiederum in der Leibfreiheit des Denkens haben, wie er auch in den Zusätzen zum Kapitel XII, Die moralische Phantasie schreibt, (hier S. 143 f). Veranlagt ist er zur Freiheit. Wobei sich die Begründung dieser Veranlagung in der «Leibfreiheit des erkennenden Denkens» findet:

In diesen Ausführungen über das menschliche Wollen ist dargestellt, was der Mensch an seinen Handlungen erleben kann, um durch dieses Erlebnis zu dem Bewußtsein zu kommen: mein Wollen ist frei. Von besonderer Bedeutung ist, daß die Berechtigung, ein Wollen als frei zu bezeichnen, durch das Erlebnis erreicht wird: in dem Wollen verwirklicht sich eine ideelle Intuition. Dies kann nur Beobachtungsresultat sein, ist es aber in dem Sinne, in dem das menschliche Wollen sich in einer Entwickelungsströmung beobachtet, deren Ziel darin liegt, solche von rein ideeller Intuition getragene Möglichkeit des Wollens zu erreichen. Sie kann erreicht werden, weil in der ideellen Intuition nichts als deren eigene auf sich gebaute Wesenheit wirkt. Ist eine solche Intuition im menschlichen Bewußtsein anwesend, dann ist sie nicht aus den Vorgängen des Organismus heraus entwickelt …., sondern die organische Tätigkeit hat sich zurückgezogen, um der ideellen Platz zu machen. Beobachte ich ein Wollen, das Abbild der Intuition ist, dann ist auch aus diesem Wollen die organisch notwendige Tätigkeit zurückgezogen. Das Wollen ist frei. Diese Freiheit des Wollens wird der nicht beobachten können, der nicht zu schauen vermag, wie das freie Wollen darin besteht, daß erst durch das intuitive Element das notwendige Wirken des menschlichen Organismus abgelähmt, zurückgedrängt, und an seine Stelle die geistige Tätigkeit des idee-erfüllten Willens gesetzt wird. Nur wer diese Beobachtung der Zweigliedrigkeit eines freien Wollens nicht machen kann, glaubt an die Unfreiheit jedes Wollens. Wer sie machen kann, ringt sich zu der Einsicht durch, daß der Mensch, insofern er den Zurückdämmungsvorgang der organischen Tätigkeit nicht zu Ende führen kann, unfrei ist; daß aber diese Unfreiheit der Freiheit zustrebt, und diese Freiheit keineswegs ein abstraktes Ideal ist, sondern eine in der menschlichen Wesenheit liegende Richtkraft. Frei ist der Mensch in dem Maße, als er in seinem Wollen dieselbe Seelenstimmung verwirklichen kann, die in ihm lebt, wenn er sich der Ausgestaltung rein ideeller (geistiger) Intuitionen bewußt ist.

Um die naturwissenschaftlich relevanten Kernsätze daraus noch einmal zu wiederholen: „Ist eine solche Intuition im menschlichen Bewußtsein anwesend, dann ist sie nicht aus den Vor­gängen des Organismus heraus entwickelt ..., sondern die organische Tätigkeit hat sich zu­rückgezogen, um der ideellen Platz zu machen. Beobachte ich ein Wollen, das Abbild der In­tuition ist, dann ist auch aus diesem Wollen die organisch notwendige Tätigkeit zurückgezo­gen. Das Wollen ist frei. Diese Freiheit des Wollens wird der nicht beobachten können, der nicht zu schauen vermag, wie das freie Wollen darin besteht, daß erst durch das intuitive Ele­ment das notwendige Wirken des menschlichen Organismus abgelähmt, zurückgedrängt, und an seine Stelle die geistige Tätigkeit des idee-erfüllten Willens gesetzt wird. Nur wer diese Be­obachtung der Zweigliedrigkeit eines freien Wollens nicht machen kann, glaubt an die Unfrei­heit jedes Wollens. Wer sie machen kann, ringt sich zu der Einsicht durch, daß der Mensch, insofern er den Zurückdämmungsvorgang der organischen Tätigkeit nicht zu Ende führen kann, unfrei ist; daß aber diese Unfreiheit der Freiheit zustrebt, und diese Freiheit keineswegs ein abstraktes Ideal ist, sondern eine in der menschlichen Wesenheit liegende Richtkraft. Frei ist der Mensch in dem Maße, als er in seinem Wollen dieselbe Seelenstim­mung verwirklichen kann, die in ihm lebt, wenn er sich der Ausgestaltung rein ideeller (geisti­ger) Intuitionen be­wußt ist.“

- «Ablähmung» respektive «Zurückdrängung der organischen Tätigkeit» ist hier die entschei­dende Kenngröße zum Verständnis der menschlichen Freiheit. Die übrigens auch im Kapitel IX auf den ersten Seiten unter dem Stichwort «Zurückdrängung» der leiblich seelischen Organisation des Men­schen erscheint. Steiners ganze Auseinanderset­zung mit dem Physika­lismus tritt an solchen Stellen ins Zentrum der wissenschaftlichen Auf­merksamkeit, was man aber nicht nur aus diesem einen Zusatz zur Freiheitsfrage ent­nehmen kann. Ein Gesichts­punkt, den freilich trotz all seiner Eindeutigkeit die meisten Interpreten Stei­ners bis heute noch nicht einmal von Ferne nachvoll­ziehen wollen oder können. Auch von Clement werden solche Darstellungen Steiners komplett igno­riert, wie man auch seinen Stellenkommentaren zum Ka­pitel XII in der SKA 2 entnehmen kann. In den dortigen Stellenkommentaren zum Kapitel IX sieht es anläßlich Stei­ners «Zurückdrän­gungsbeobachtungen» genauso aus, die bei Clements Kommentaren ab S. 308 ff gar nicht erst erscheinen. In den Kommentaren der SKA 1 wieder­um dasselbe De­saster anlässlich der Grundlinien, wie wir etwas weiter unten noch betrachten werden. Wäh­rend bei Witzen­mann und seinen Schülern wegen einem an­geblichen «Erzeu­gungsproblem» in dieser Frage ohnehin Hopfen und Malz verloren ist. Steiners ganze Ausein­andersetzung mit dem Physikalismus und den physikalistischen Naturwissenschaften wie er sie dann 1921 in GA-255b auch noch einmal der Öffentlichkeit vorträgt, wird schlichtweg und geradezu flächendeckend igoriert, wie man exemplarisch auch bei Clement sieht. Diese In­terpreten offenbaren nicht die leiseste Vorstellung darüber, was Steiners Frei­heitsphilosophie mit den Naturwissenschaften zu tun haben könnte. Obwohl Steiner das schon gleich im ersten Satz des ersten Kapitels der Philosophie der Freiheit ankündigt. - Bei Spar­bys Hegelphantasi­en zur Steinerschen Freiheitsphilosophie braucht man zu diesem Thema gar nicht weiter nach­fragen, denn da ist bislang ebenfalls Hopfen und Malz verloren. - Man darf hinzufügen: Das in einer Zeit, in welcher der materialistische Faschismus der Globalisten die freiheitlichen Zivilisatio­nen Europas und möglichst weltweit niederwalzt. In dieser Zeit fällt den freiheitsphilosophi­schen Interpreten Steiners zu diesem Thema rein gar nichts ein. Obwohl Steiners Begrün­dungswerk voll von dieser empirischen Auseinandersetzung mit dem Materialismus ist.

Den Vorwurf, der Reinkarnationsgedan­ke widerspreche dem Freiheits­prinzip, hat Steiner stets zurückgewiesen. Unter anderem mit dem Hinweis: Wer sich ein Haus baut, und darin wohnt, der ist den baulichen Beschränkun­gen seines eigenen Planens und Handelns dann zwar unterworfen, aber nicht unfrei. Übertra­gen auf die Reinkarnation: Er schafft sich durch sein Handeln im Leben nur die Vorausset­zungen für künftige Lebensräume, die ihn infolge der karmischen Notwendigkeiten in den neuerli­chen Le­bensverhältnissen in dem Umfang ein­schränken, den er vorher selbst «geplant» und «geschaffen» hat. Einge­schränkt ist er dann zwar gemäß dieser Planung und ihren karmi­schen Folgen, aber keines­wegs dadurch in jeder Hinsicht unfrei. Besser: keineswegs vollständig determiniert durch die­se Verhältnisse, deren Ursachen er selbst gelegt hat. Also kein karmisches Analogon zum reli­giösen Fatalismus, bei dem ausnahmslos alles vorherbestimmt wäre. Im Den­ken / Erkennen schon gar nicht. Das letztere aber ist wiederum die Kardi­nalinstanz für die menschliche Freiheit. Denn die mensch­liche Freiheit basiert auf der Freiheit des intuitiven / erkennenden Denkens. Das ist die eigent­liche und ursprüngliche Quelle der menschlichen Freiheit. Eine an­dere Quelle dafür gibt es laut Steiner nicht. Wozu wir gleich noch einmal kommen werden. (Einen ausführlichen Vortrag zur Frage Freiheit und karmische Notwendigkeit finden Sie in GA-235, S. 49 ff; Dornach, 23. Feburar 1924. Alternativ auch hier.)

Das Weitere kann ich hier nicht in allen Einzelheiten betrachten, sondern nur Grundsätzliches dazu besprechen: Bereits in Clements Grundpräsentation dieser angeblichen «Aporie der Frei­heit» fehlen die ele­mentarsten Bestandsstücke, die Steiner mit dem freien Denken und Han­deln verknüpft: Näm­lich die Begründung der Freiheit im intuitiven / intuitiv erlebten Den­ken, in der jede Form von Freiheit wiederum wurzelt. Wo die Aktivität des Denkens unmittelbar als Tatsache auch erlebt und nicht bloß von philosophischen Quellen entlehnt ist. Darauf ha­ben wir weiter oben bereits im Zusammenhang mit der Voraussetzungslosigkeit hingewiesen.

Während Cle­ment auf S. XXVIII f sei­ner Einleitung zur SKA 2 nur we­nig aussagekräftige Sentenzen vorlegt, aber bis zu diesem Kern von Stei­ners freiheitsphiloso­phischer Begründung gar nicht erst vordringt, sondern weit entfernt davon ist. Es existieren bei Clement keine Stel­lenkommentare zu jenen Zusätzen von 1918 im Kapitel Die Konsequenzen des Monismus, welche das dort thematisierte «intuitive / intuitiv erlebte Denken» und Steiners letztendliche Begründung der Freiheit in der sich selbst tragenden Wesenheit des intuitiven Denkens (hier S. 179 ff) aufnehmen würden. Clements Kommentare sind zu dieser Frage bei beiden Zusät­zen von 1918 vollständig leer. Er thematisiert das alles nicht, was dort von über das intuitive / intuitiv erlebte Denken und die Begründung der Freiheit in diesem Denken gesagt wurde. Steiners Begründung der Freiheit ist ihm also vollkommen fern. (Ebenso wie nachfolgend Sparby.)

Auf dieser fragwürdigen Ba­sis glaubt Clement nun Aporien in Steiners Freiheitsauffas­sung ausmachen zu können. Dazu aber fehlt ihm das Grundlagenver­ständnis. Also sollte er der Sache doch erst ein­mal auf den Grund gehen, um Steiners Freiheitsauf­fassung überhaupt zu verste­hen, bevor er Unverstande­nes vergleicht, und auf diesem Wege zu möglicherweise irrealen Aporie-Resultaten kommt, welche lediglich die­ser seiner Unkenntnis geschuldet sind. Das wäre mein ernstlich wohlmeinender Vor­schlag dazu. Denn auch im üb­rigen triefen Cle­ments Kommentare wie die Einleitung von Halbwahr­heiten und schlichter Unkennt­nis, was sich hier nicht in Einzelheiten auflisten läßt. Einiges und sehr Ent­scheidendes dazu werden wir unten im Zusammenhang mit Steiners Grundlinien und der SKA1 vorbrin­gen.

Bei Sparby wie­derum und seinem Hilfsange­bot zu Clements «Apori­en» via Hegel sieht die Sache mit dem Steinerverständnis noch viel düs­terer aus als bei Clement, der das Buch ja we­nigstens gelesen zu haben scheint. Ein Eindruck, den man von seinem Helfer Sparby nicht hat. Daß er ebenfalls nicht auf den Gedanken ver­fällt, vielleicht erst ein­mal Steiners Freiheits­begriff zu klären, be­vor man illusionäre Aporien darin be­hauptet und schein­bar heilt, ist die zwangs­läufige Folge seiner eigenen Unwissenheit hinsichtlich Steiners Frei­heitsbegründung und nicht vorhandener Werk-Kenntnis.

Im folgenden möchte ich lediglich noch auf einige fundamentale Mängel hinweisen, die so­wohl Sparbys Hegelvergleich in seiner Abhandlung, und Clements Behauptung von der «Frei­heits – Aporie» auszeichnen. Die Mängel bestehen wie gesagt im vollständigen Fehlen der Stei­nerschen Erkenntnisgrundlagen zur Freiheitsphiloso­phie. Das sowohl bei Sparby mit sei­nem Heilungsangebot via Hegel, wie auch bei Clement mit seiner Aporie-Behauptung.

Clement hat zwar leider Recht mit seiner Bemerkung in der späteren Einleitung zur SKA1, S. XXI ff daß kaum anthroposophische Grundlagenforschung existiert. Dem kann ich mich nur anschließen. Das gilt wie gesagt laut schätzenswerter Eigenaussage auch für Clement selbst. Bereits seine Be­hauptung dort von S. XXI, daß «Goethes und Fichtes Gedanken gewisserma­ßen die ersten Gefäße waren, in welche Steiner seine eigenen Anschauungen und Erlebnisse zu gießen ver­suchte», sind nicht mehr als halbe oder gar nur Viertelwahrheiten, wenn man sich Steiners Grundwerke wirklich näher anschaut. Während die ganze erkenntnistheoretische Konzeption Steiners, die in Anleh­nung an Johannes Volkelt, auf der seelischen Beobachtung aufbaute, bei Clement komplett unter den Tisch fällt. Wie sich insbesondere und geradezu schlagend wie­der in der SKA1 of­fenbart. Dazu weiter unten.

Und studieren Sie, lieber Leser, einmal Steiners Frühschriften dar­auf hin, wie weit Fichte, an dem Steiner in diesen Frühschriften kaum ein gutes Haar ließ, «das Gefäß war, in das Steiner seine Gedanken zu gießen versuchte». So ein Gefäß konnte Fichte gar nicht sein. Denn auch Fichte fehlte wie Hegel das erkenntnistheoretische Funda­ment. Deswegen auch «schrieb Stei­ner Fichte um», wie wir oben im Kapitel von S. 153 ff sahen. Dasselbe gilt in grundsätzlicher Beziehung für Goethe, der ohne Fundament dastand. Weswe­gen Steiner sich auch von Goethe ebenso unabhängig machte wie von all den anderen Idealis­ten, «die ohne Fundament dastan­den». Auch dazu weiter unten mehr.

Man muß die Tatsachen wirklich schon ganz massiv verbiegen, um ein «Fichtesches Gefäß» zu sehen. Und solches in dieser Einseitigkeit mit Clement zu behaupten. Wovon auch unten bei Behandlung Clements noch die Rede sein wird. Um die Tätigkeit des eigenen Denkens wiederum zu erleben, dazu benötige ich weder Fichte noch Hegel noch Schelling. Spannend vor dem Hintergrund der Weltvorgänge wird die Angelegenheit zudem erst, wenn ich empi­risch orientierte Fragen an die erlebte Denktätig­keit richte. Darauf aber legte Steiner Wert mit seiner gegenüber Eduard von Hart­mann im Brief Nr. 400 geforderten «Wirklichkeit der Idee». Diese Forderung nach Realität / Wirklich­keit ist zugleich geknüpft, insbesondere in Wahrheit und Wissenschaft, an die der er­kenntniswissenschaftlichen Voraus­setzungslosigkeit, wie wir weiter oben auf den Seiten 223 ff und 228 ff dargetan haben. Nur so lassen sich erkenntnis­wissenschaftliche Fundamente er­richten. Deswegen auch geht Steiner psychologisch / seelisch beobachtend vor, und nicht dialektisch wie Hegel.

Dabei hätten bei beiden (Clement und Sparby) bei so einem behaupteten «Aporie-Problem» respektive dem nachfolgenden «problemlösenden» Vergleich mit Hegel bei Sparby, schon die Warnlampen leuchten müssen anläßlich Steiners Bemerkung aus Wahrheit und Wissenschaft (Vorrede 1892 / 93, S. 4) über die fehlenden Grundlagen bei seinen idealistischen Vorläufern. Da fragt also der Taube (Clement) den Blinden (Sparby) was der sieht, um die behauptete Aporie des Gehörlosen abzuklären. Das ist hoffnungslos.

Nun ist Sparby, der über Hegel promoviert hat, mit Hegel sicherlich einigermaßen gut be­kannt. Das gibt seiner Studie zwar einen gewissen akademischen Glanz, nützt zur Beurteilung von Steiners Freiheitsphilosophie aber rein gar nichts, wenn er diese nicht kennt, und es ihm daher an vergleichbar solider Kenntnis der Steinerschen Grundlagen wei­testgehend mangelt. Über die liegt bei Sparby nichts Solides vor, wie sich schon sei­nem Artikel ablesen läßt. Da fehlt vollständig jede ernst zu nehmende Grundlagenfor­schung zu Steiner. – Wie gesagt hat Clement darin Recht mit seinem Fazit einer ungenügenden Forschung dazu, die er in sei­ner Einleitung zur SKA 1 generalisiert. Das wiederum gilt nicht nur für Clement, sondern für Sparby glei­chermaßen. Ganz schlechte Voraussetzungen für einen freiheitsphilosophischen Vergleich Steiners mit Hegel. Was soll man denn da vergleichen, wenn man die eine Seite gar nicht kennt? Daß den Akademikern die Unsinnigkeit so eines Vorhabens heute nicht einmal mehr auffällt, läßt wiederum tief blicken.

Um diese Lage etwas humoristisch zu fassen: Ein bekanntes Hammer-Nagel-Problem besteht darin, dass jemand nur mit einem Hammer als Werkzeug bewaffnet in der Welt herumgeht, und, mit diesem Allzweckhilfsmittel ausgestattet, in sämtlichen Problemen nur Nägel erblickt, die er mit diesem einen Hammer «bewältigen» kann. Weil er eben nur einen Hammer hat. Will sagen: Sparby bearbeitet jetzt mit «Hegels Hammer» Clements «Schein­problem der Freiheit», weil alle beide keine Vorstellung davon haben, wie Steiner das Frei­heitsproblem ei­gentlich löst, und worauf diese Lösung ba­siert, da sie beide an Steiners Grund­lagen nie ein wirkliches Interesse hatten. Sparby noch weit weniger als Clement. Was aber in­soweit auch für Clements angebliche Freiheits-Aporie bei Steiner gilt, die er in der Einleitung zur SKA 2 ge­sichtet haben will. Mit Hegel als Hammer freilich läßt sich Steiners empirischer Weg zur Frei­heit, der zu­gleich der empirische Weg zur Idee ist, nicht bewältigen, weil Hegel solche empi­rischen Wege nie beschritt. Weder zur Freiheit noch zur Idee, worauf Steiner wie­derholt selbst hinweist, wie wir zeigten. Man muß demzufolge bei Unsicherheiten über den Geltungs­bereich von Steiners Freiheitsbegriff, sich zunächst einmal den empirischen Weg an­schauen, den Stei­ner zur Lösung der Freiheitsfrage beschritt. Erst danach kann man sachlich begründet beurteilen, wo der Geltungshorizont seines Freiheitsbegriffes liegt.

Es gibt einen bezeichnenden Hinweis auch in der SKA 2, die ja neben der Philosophie der Freiheit auch Steiners Schrift Wahrheit und Wissenschaft enthält. Da ist es sehr aufschlußreich, wenn bei Clement zu einer entscheidenden Passage der Vorrede zu Wahrheit und Wissenschaft keinerlei Kommentar erscheint. (SKA2, S. 12; oder alternativ in der GA-3, S. 4)

Und zwar lautet die Passage in Steiners Vorrede, GA-3, S. 4: „Die zeitlich an ihn [Kant, MM] anknüpfende deutsche Philosophie entwickelte sich daher überall im Gegensatz zu Kant. Fichte, Schelling, Hegel kümmerten sich nicht weiter um die von ihrem Vorgänger abgesteck­ten Grenzen unseres Erkennens und suchten die Urprinzipien der Dinge innerhalb des Dies­seits der menschlichen Vernunft. Selbst Schopenhauer, der doch behauptet, die Resultate der Kantschen Vernunftkritik seien ewig unumstößliche Wahrheiten, kann nicht umhin, von de­nen seines Meisters abweichende Wege zur Erkenntnis der letzten Weltursachen einzuschla­gen. Das Verhängnis dieser Denker war, daß sie Erkenntnisse der höchsten Wahrheiten such­ten, ohne für solches Beginnen durch eine Untersuchung der Natur des Erkennens selbst den Grund gelegt zu haben. Die stolzen Gedankengebäude Fichtes, Schellings und Hegels stehen daher ohne Fundament da. Der Mangel eines solchen wirkte aber auch schädigend auf die Ge­dankengänge der Philosophen. Ohne Kenntnis der Bedeutung der [11] reinen Ideenwelt und ihrer Beziehung zum Gebiet der Sinneswahnehmung bauten dieselben Irrtum auf Irrtum, Ein­seitigkeit auf Einseitigkeit. Kein Wunder, daß die allzukühnen Systeme den Stürmen einer philosophiefeindlichen Zeit nicht zu trotzen vermochten, und viel Gutes, das sie enthielten, mit dem Schlechten erbarmungslos hinweggeweht worden ist.“ - Das schreibt Steiner in Wahrheit und Wissenschaft, einer Frühschrift, in der er sich ausdrücklich auch von Goethe unabhängig erklärt hat. Eine Schrift übrigens auch, die er 1917 in der Schrift Von Seelenrätseln auf S. 58 f als «grundlegend für seine ganze Weltanschauung» bezeichnet.

Alle stehen sie als Idealisten ohne erkenntniswissenschaftliche Grundlagen da. Auch Fichte und Hegel stehen so da! „Das Verhängnis dieser Denker war, daß sie Erkenntnisse der höchs­ten Wahrheiten such­ten, ohne für solches Beginnen durch eine Untersuchung der Natur des Erkennens selbst den Grund gelegt zu haben.“ So lautet Steiners Resümee über die eigentlich hoch geschätzten Idealisten dieser Zeit. Zu denen auch Hegel und Fichte gehörten. Aber ne­ben He­gel und Fichte stehen auch Christian Cle­ment und Terje Spar­by als verstehen wollende Be­arbeiter von Steiners Werk vollständig ohne sol­che Grundlagen da. Denn nur über das Ver­ständnis dieser Grundlagen läßt sich ein sinnhaltiger Vergleich mit Hegel und anderen Idealis­ten anstellen, die ihrerseits, - ohne die entprechenden Grundlagen und Grundlegungsintentio­nen, - vollständig anders in ihrer Philosophie vorgehen als Steiner. Während Steiner die­sem Mangel mit seiner Erkenntniswissen­schaft er­klärtermaßen abhelfen will. Bezeichnen­derweise auch schon vorausdeutend in Wahrheit und Wissenschaft auf die unmittelbar nach­folgende Philosophie der Freiheit. Das müßte eigentlich jedem einleuchten.

Das kann man mit Blick auf Sparby und Clement jetzt noch etwas weiter durchdeklinieren: Auch diese beiden stehen ohne Steiners Grundlagen da. Von Steiners Grundlagen schreibt nämlich keiner von beiden etwas Vertiefendes oder Brauch­bares, da sie kaum oder gar nichts dazu verstehen bzw wissen. Was hier nicht aus dem blauen Dunst behauptet ist, sondern was wir bei Clement unten noch anhand von Steiners Grundlinien… näher und exemplarisch vertiefen werden. Es ist wirklich nichts vorhanden. Und schon gar nichts wissen sie beide darüber, dass, wie, und warum die Freiheitsgrundlagen Steiners im intuitiv erlebten / erkennenden Denken wurzeln. Und zwar die Grundlage jeder Freiheit. Was Steiner bereits 1886 im Sendschreiben an die Dichterin delle Grazie darlegte. (GA-30, Dornach 1989, S. 238 f) - «Ein erkennendes Wesen» respektive «ein sich selbst erkennendes Wesen kann nicht unfrei sein.» Das gab Steiner der Dichterin damals schon mit auf den Weg: Die Wurzel der menschlichen Freiheit liegt in der Eigenart des menschlichen Erkennens. - Wir haben über die Freiheitswurzel im intuitiv erleb­ten Denken oben im Zusammenhang mit Christoph Schrempf auf den Seiten S. 239 ff schon gesprochen. Ich will hier nur noch einmal Steiners Kennzeichnung dessen in den Zusätzen von 1918 anfügen. Näheres dazu finden Sie im obigen Schrempf-Exkurs, S. 241 ff.

Dasselbe, - wie 1886 gegenüber der Dichterin delle Grazie schon im Grundsatz Ausgesproc­hene, - lesen wir dann mehr als dreißig Jahre später in den Zusätzen zur Neuauflage der Phi­losophie der Freiheit, in der Ausgabe von 1918. Über den Zusammenhang «Freiheit der Handlung» und «Freiheit des erkenn­enden / intuitiven Den­kens» schreibt Steiner in der Philo­sophie der Freiheit, im 1. Zusatz des Kapitels Die Konsequenzen des Monismus, (hier S. 179 f): „Dazu war not­wendig, aus dem Gesamtge­biete des menschlichen Handelns die­jenigen Tei­le auszusondern, denen gegen­über bei unbefan­gener Selbstbe­obachtung von Freiheit gespro­chen werden kann. Es sind diejenigen Handlun­gen, die sich als Verwirklichungen ideeller In­tuitionen darstellen. An­dere Handlungen wird kein unbe­fangenes Be­trachten als freie anspre­chen. Aber der Mensch wird eben bei unbefangener Selbstbeobachtung sich für ver­anlagt halten müssen zum Fort­schreiten auf der Bahn nach ethi­schen Intuitionen und deren Verwirklichung. Die­se unbefangene Beobachtung des ethischen Wesens des Menschen kann aber für sich keine letzte Entschei­dung über die Freiheit bringen. Denn wäre das intuitive Denken selbst aus irgendeiner andern Wesenheit ent­springend, wäre seine Wesenheit nicht eine auf sich selbst ruhende, so erwiese sich das aus dem Ethischen flie­ßende Freiheitsbewußtsein als ein Scheingebilde. Aber der zweite Teil dieses Buches findet seine naturgemäße Stütze in dem ersten. Dieser stellt das intuitive Denken als erlebte innere Geistbetätigung des Menschen hin. Diese Wesenheit des Denkens erle­bend verstehen, kommt aber der Erkenntnis von der Freiheit des intuitiven Denkens gleich. Und weiß man, daß dieses Denken frei ist, dann sieht man auch den Umkreis des Wollens, dem die Freiheit zuzusprechen ist. Den handelnden Menschen wird für frei halten derjenige, welcher dem intuitiven Denkerleben eine in sich ruhende Wesenheit auf Grund der inneren Erfahrung zuschreiben darf. Wer solches nicht vermag, der wird wohl keinen irgendwie unanfecht­baren Weg zur Annahme der Freiheit fin­den können. Die hier geltend gemachte Erfahrung findet im Bewußtsein das intuitive Denken, das nicht bloß im Bewußtsein Wirklichkeit hat.“

Langer Rede kurzer Sinn: Die Freiheit des Menschen wurzelt laut Steiner in der Freiheit des intuitiven / erkennenden Denkens. „Und weiß man, daß dieses Denken frei ist, dann sieht man auch den Umkreis des Wollens, dem die Freiheit zuzusprechen ist. Den handelnden Menschen wird für frei halten derjenige, welcher dem intuitiven Denkerleben eine in sich ruhende Wesenheit auf Grund der inneren Erfahrung zuschreiben darf. Wer solches nicht vermag, der wird wohl keinen irgendwie unanfecht­baren Weg zur Annahme der Freiheit fin­den können. Wer solches nicht vermag, der wird wohl keinen irgendwie unanfecht­baren Weg zur Annahme der Freiheit fin­den können.“ - Steiner ist da ganz unmißverständlich und klar. Das zu einer Zeit, - 1918, als der esoterische Entwicklungsweg nebst anthroposophischer Forschung schon lange Jahre veröffentlicht war. Ein esoterischer Entwicklungsweg, der, wie Steiner 1921 in GA 255b, S. 295 ff vorträgt, auf der Leibfreiheit des erkennenden Denkens basiert.

Den «Umkreis des Wollens, dem die Freiheit zuzusprechen ist, sieht man nur, wenn man weiß, dass das intuitive Denken frei ist». Weiß man das nicht, und weiß man noch nicht ein­mal was das intuitive Denken ist, dann sieht man erklärlicherweise auch diesen Umkreis des Wollens nicht, dem die Freiheit zuzusprechen ist. Dann kann man sich auch jeden ernsthaften freiheits­philosophischen Vergleich mit anderen Philosophen wie Hegel und anderen schen­ken, weil man dann nur im Nebel stochert.

Das gilt darüber hinaus sowohl für das Wollen im gewöhn­lichen Han­deln wie für das Handeln des esoterisch Geschulten. Wer jetzt ohne dieses Ver­ständnis von den Wurzeln der Freiheit im intuiven / erkennenden Denken über Freiheits-Apo­rien bei Stei­ner spekuliert, oder wer solche erspekulierten Freiheits-Aporien zwischen dem esoterischen und dem erkenntniswissenschaft­lichen Steiner mit Hegels «Hammer» auflösen will, der muß sich wohl oder über erst einmal mit der «Freiheit des intuitiven Denkens» und Steiners dies­bezüglichen Begründungen befas­sen. Denn dann «sieht er auch den Umkreis des Wollens, dem die Freiheit zuzusprechen ist.» Will sagen: Bevor der Interpret Aporien postu­liert, wo möglicher­weise keine sind, und wer darauf einen Hegelschen Hammer niedersausen läßt, der dazu gar nicht taugt, der muß sich zunächst einmal mit dem intuitiven Denken bei Steiner befassen, be­vor er sich in lauter Sinn­losigkeiten der Stei­nerdeutung verliert. Sonst artet das alles in leeres akademisches Gere­de aus und stielt den Lesern nur unnötig die Zeit. Das ist eine unmissverständ­liche und eigent­lich auch wohl be­kannte her­meneutische Forderung, die geradewegs zur Standardausrüs­tung jedes philosophi­schen Inter­preten gehört, der es ernst meint. Bevor man also jetzt Steiners Gedan­ken in irgend welche «Gefäße gießen» läßt, die gar nicht da waren, und Freiheitsprobleme wittert, wo keine sind, muß man sich mit den Grundwerken Steiners schon etwas genauer be­fassen, als es die beiden «Problem­löser» Clement und Sparby vorexerzieren.

Für Terje Sparby gilt das umso mehr, als er eine besondere Neigung zu älteren esoterischen Schulungstraditionen mitbringt, die er auch als, - nun ja, - «esoterischer Lehrer» lehrt. Siehe nach­folgend. Da ist die Frage, ob solche alten Schulungs-Traditionen dem Gegenwartsmen­schen Mitteleuropas und seinem Freiheitsbedürfnis überhaupt noch zuträglich sind. Oder ob er seine Klienten womöglich damit nicht auch noch um ihre Freiheit bringt? Das ist mir eine sehr ernste Frage. Weil ich bereits etliche Menschen kenne, die mit alten Schulungswegen zwar ihre innere Empfänglichkeit / Empfindsamkeit schulen bis zum Platzen. Aber das ge­wöhnliche Denken nicht. Und dann nach etlichen Jahren dieser «Vorbereitung» von einer gro­tesk wahnhaften Vorstellung in die nächste fallen und das innere Gleichgewicht verlieren. Denn der moderne und zeitgemäße Schulungsweg Steiners basiert auf der Frei­heit des intuiti­ven / er­kennenden Denkens. Weswegen Steiner nicht ohne dringenden Anlaß die anthroposo­phische Schulung an die unerläßlichen «Grund»- respektive die sogenannten «Nebenübun­gen» knüpft. Siehe zu diesem Thema auch den Exkurs hier, S. 839 ff.

Das intuitive / erkennende Denken gab es in früheren kulturellen Epochen, die Jahr­hunderte oder gar Jahr­tausende zurück liegen, so nicht. Weil die Bewußtseinsverfas­sung der damaligen Menschen nicht die heutige war. Für den modernen Schulungsweg Stei­ners gilt deswe­gen in erster Linie die Förderung und Ausbildung des klaren und sachli­chen Denkens. Was wieder­um, wie an Steiners Grundübungen / «Nebenübungen» sichtbar wird, mit den übrigen Seelen­kräften in einen Ausgleich zu bringen ist. Das muß ein esoteri­scher Lehrer berücksich­tigen, wenn er in die Wundertüte esoterischer Schulungsanweisungen aus verschiedensten Epo­chen, Jahrtau­senden und Kulturen greift. Da ist die Frage schon sehr berechtigt, ob ein Sammelsuri­um von al­ten und neuen Schulungswegen wirklich zielführend ist. Um das aus anthroposophi­scher Sicht wissenschaftlich zu beurteilen, dazu braucht man allerdings nicht nur ein Ver­ständnis von Steiners Übungsweg, sondern auch ein Verständnis von dessen Grundla­gen im erkennenden / intuitiven Denken. - Da sehe ich bei Sparby bislang auch noch nichts, was Anlaß zur Beruhigung gäbe.

Was weiter eklatant wird, wenn man sich diesen Grundlagenmangel und Sparbys Literatur­hinweise unter seiner An­merkung 31, sowie seine Rezeptionsliste darüber hinaus anschaut. Des­gleichen auf S. 181 (in der PDF Variante) seine aufschlussreichen Be­merkungen zum Briefwech­sel mit Rosa Mayreder und unter der Anmerkung 32, wo es bei Sparby heißt: „To repeat, Steiner understands the signi­ficance of philosophy to be the development of the human personality. 30 This is also how Steiner him­self understands his Philosophie der Freiheit: 31 «Ich lehre nicht, ich erzähle, was ich innerlich durchlebt habe. Ich erzähle es so, wie ich es ge­lebt habe. Es ist alles in meinem Buche persön­lich [emphasis added] gemeint.» … In other words, the content of the book, Steiner’s philosophy, is not separate from his personality.“ (Auf deutsch: „Um es noch einmal zu sagen: Steiner versteht die Bedeutung der Philosophie in der Entwicklung der menschlichen Persön­lichkeit. ... So versteht auch Steiner selbst seine Philosophie der Freiheit: ... "Ich lehre nicht, ich erzähle, was ich innerlich durchlebt habe. Ich erzähle es so, wie ich es gelebt habe. Es ist alles in meiner Buchhaltung persönlich [Hervorhebung hinzugefügt] ge­meint." ... Mit anderen Worten, der Inhalt des Buches, Steiners Philosophie, ist nicht von sei­ner Persönlichkeit ge­trennt.“) - Was Sparby hier über den Brief­wechsel Steiners mit Mayreder zum Besten gibt, ist die­selbe substanzlose und nicht weiter be­legte, geschweige denn näher am Briefwechsel und seinem Anlass untersuchte Lesart, die uns weiter unten dann bei Kaiser begegnen wird. Wo wir nachfolgend auf derzeit S. 316 ff aus­führlicher auf eine derart abstruse Ausdeutung dieses Briefwechsels mit Mayre­der eingehen werden, die jede sachliche Analyse über Inhalt und Anlass dieses Briefwechsels vermissen läßt. Und nur darauf gestützt, leere Behauptungen über Steiners Wissenschaftsan­sprüche in die Welt setzt. Vergleichbar sub­stanzlose Behauptungen über diesen Briefwechsel präsentiert auch Sparby. Weder der Inhalt noch der Anlaß des Briefwechsels interessierten ihn dabei. Was dabei herauskommt ist auch in seinem Fall lediglich philosophisch sich gebender Koko­lores. Das bei einem Philosophen, der Steiners Freiheitsphilosophie mit Hegel zu vergleichen vorgibt.

Hier vorab nur so viel dazu: Freilich ist die Philosophie der Freiheit zunächst einmal nicht von Stei­ners Persönlichkeit zu trennen. Das ist eine Binsenweisheit. Doch mehr als diese ge­haltlose Trivialität fiel auch Sparby dazu nicht ein. Aber was besagt diese Banalität und die Auskunft von le­diglich zwei Sät­zen schon in diesem seiten­langen Brief­wechsel über die Phi­losophie der Frei­heit, wenn man den ganzen Rest der Briefe einschließlich Inhalt der Philoso­phie der Freiheit dabei nicht berücksichtigt? Doch auch bei Sparby geht es bei diesem Brief­wechsel über so eine Binsenwahrheit nicht hinaus, da er sich dazu mit dem In­halt der Philoso­phie der Freiheit nicht befaßt, auf den es primär in diesem Briefwechsel mit Mayreder ankam. So daß wir hier infolge von komplettem Unver­ständnis bei Sparby auf das­selbe Pro­blem sto­ßen, wie es uns weiter un­ten ab derzeit S. 316 noch beim an­nähernd vergleichbar unverstän­digen Kai­ser begeg­nen wird, wo dasselbe ge­schieht. Abgese­hen von ein wenig mehr philoso­phischem He­gel-Hintergrund bei Sparby, der ihm indes zum Ver­ständnis des Steinerschen Fundierungsanlie­gens so gut wie gar nichts nütz­te. Weil er das spezi­fische empirische, «natur­forschende» An­liegen und Vorgehen Steiners nicht begriff, da er ganz er offensicht­lich den Grundlagen Steiners noch nie ernsthaft im Rah­men einer quellenbasierten Steinerforschung nachgegangen war. Diese Umstände einer extrem mangelhaften Grundlagenforschung liegen auch seiner substanzlosen Interpretation des Briefwechsels mit Mayreder zugrunde.

Daß nun Men­schen mit derart ungenügenden er­kenntniswissenschaftlichen Grundlagen dann auch Steiners spezi­ellen gegen­wartsorientierten esoterischen Weg nicht mehr begreifen, son­dern stattdessen als sogenannte «Akademiker» nur unver­bindlich gleichgültig vom «Modell An­throposophie» oder von Stei­ners «esoterischem Mo­dell» bafeln, wie Sparby geradezu in Endlosschleife in seiner Einleitung zur SKA 10, das liegt unter solchen Rahmenbedingungen gera­dezu zwangsläufig auf der Hand. Wo man zum krönenden Schluß schließlich als «kulturübergreifender Meditationslehrer» ohne jedes Ver­ständnis für das zeitgemäße Anlie­gen der Anthroposophie und ihren Hintergrund mit ei­nem okkultistischen Eintopf in Erschei­nung tritt, der dann auch ohne Klarheit und Differen­zierungsvermögen alles mögliche an his­torisch gewordenem «geistigem Rüstzeug» durch­einander gerührt hat, und unterschiedslos seinen Kli­enten verabreicht. Oder sollte man vielleicht besser sagen: verantwortungslos? - Das al­les muß bei derart ver­worrenen Grund­lagen und vorder­gründig seichtem Esoterik-Ver­ständnis nieman­den mehr verblüffen, weil es die zwangs­läufige Folge der «pseudowissen­schaftlichen Vorbe­reitung» des Kandidaten durch ebenso verständnislose Weg­weiser und Seilschaften ist, die auf diese Weise ihre Blüten treibt. Und im Falle von Spar­by wesentlich auch über Heidelberg bewerkstelligt wurde. Der wissenschaftliche Weg der Philo­sophie der Freiheit laut GA-322, bzw Steiners «dritter Weg» (GA-34) zu den anthroposophis­chen Wahr­heiten ist damit ganz sicher nicht beschritten. Vielmehr sehr weit davon entfernt. Die Frage in diesem Zusammenhang ist infolgedessen auch: Wie weit ein (wissenschaftlicher) esoterischer Lehrer der Anthroposophie auch die wissenschaftlichen Grundlagen Steiners verstehen muß um als esoterischer Lehrer überhaupt solche (akademische) Ansprüche vertreten zu können? - So weit hier bereits sichtbar geworden ist, wird man, wenn überhaupt, jedenfalls nicht viele davon finden. Abgesehen von Steiner selbst. Es stellt sich weiter die Frage, wer wohl ein In­teresse daran ha­ben könnte, dass Steiners esoterische Werke nur als «esoterisches Modell» in der Einleitung der SKA-10 der Öffentlichkeit angedient werden. Und Steiners erkenntniswis­senschaftliche Begründung als unverbindliche «bloße Erzählung», nicht nur von Sparby, son­dern ebenso krass weiter unten dann Kaiser. Wer also könnte an einer so offenkundigen Ent­kernung von Steiners Grundlagen ein Interesse haben? Und zwar ohne hinreichende Kenntnis dieser Grundlagen. Und doch zugleich mit dem Anspruch eines esoterischen Lehrers daher kommen? (Siehe ergänzend zu diesem Thema auch Steiner in GA-35, S. 390 - 408)

Ein letzte Zwischenbemerkung noch zu Sparbys Einleitung in die SKA 10 und den dort im Kapitel über Anthroposophische Meditation genannten amerikanischen Psychologen Edward B. Titchener. Der, so schreibt Sparby, habe neben anderen einen sogenannten ›first-person-Ansatz‹ entwickelt. Eine Methode der inneren Beobachtung, „die ursprünglich im Kontext der psychologischen Forschung von Wissenschaftlern wie Edward B. Titchener entwickelt wur­de.“ - Nur der Vollständigkeit und historischen Gerechtigeit halber sei erwähnt, daß dieser «first person Ansatz» Titcheners zumal zur Erforschung des Denkens zuerst von der «Würz­burger Schule» der Denkpsychologie um Oswald Külpe entwi­ckelt wurde. Diese Würzburger um Külpe haben diesen Ansatz damals erfolgreich aus der Taufe gehoben, an den Tit­chener sich nachfolgend dann dranhängte. Titchener wiederum studierte Psy­chologie bei Wilhelm Wundt unter dessen da­maligem Assistenten Oswald Külpe, der danach die Würzburger Schu­le der Denk-Psy­chologie leitete. Später dann führte Titchener an der Cornell University dieses Projekt fort und geriet bezeichnenderweise in der Frage des sinnlichkeitsfrei­en Denkens mit der Külpe­schule in Gegensatz. Das nämlich bestritt Titchener rundher­aus, während die For­scher der Külpeschule auch darauf als erste Psychologen des Denkens gestoßen waren, und ihm außerordentlich gro­ße Bedeutung beilegten, wie Sie bei Külpe persönlich nachlesen können. (Külpe im Jahre 1912 in, Internationale Monats­schrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, 6, 1912, Sp. 1069-1110. Zum sinnlichkeitsfreien / an­schauungslosen Denken siehe dort die Spalten 1084 ff.) Der Konflikt zwischen Titchener und der Külpeschule wurde 1951 sehr niveauvoll zugunsten der Külpeschule behandelt vom hier schon genannten Briten George Humphrey in dessen Buch Thinking. Dort speziell auf den Seiten 64 und im Kapitel zur Kritik an der Würzburger Schule auf den Seiten 106 ff.

Ich erwähne dies hier nicht nur, weil es Steiner 1917 in der Schrift Von Seelenrätseln (S. 170 f) ja selbst in ein psychologisches Laboratorium zog, um dort die «Veranlagung zum Schauen» nachzuweisen, die bekanntlich für Steiner im reinen Denken liegt. Um den Kontakt zur Würzburger Schule wiederum hatte sich Friedrich Rittelmeyer bemüht, der ein persönlicher philosophischer Schüler Oswald Külpes war. (Siehe dazu oben, S. 247 ff.)

Wie schon gesagt: Die akademische Grundlagenforschung zur Anthroposophie liefert bei ihren Vertretern bislang ein wenig beruhigendes Bild ihrer diesbezüglichen Leistungsfähigkeit ab.

Christian Clement

Bleibt fest zu halten: Die (akademischen) Seilschaften und Rezeptionsräder der Verständnis­losigkeit über Steiners Begründungswerk greifen, wie man exemplarisch bereits an Sparbys Anmerkungsapparat zu seinem Freiheitsartikel sieht, so auch in der SKA alle in einander. De­ren Herausgeber Clement hat oh­nehin davon bis heute keinen ernstli­chen Sachverstand. Was er übrigens sehr freimütig in sei­ner Einleitung zur SKA 1 auf S. XXIII und vorangehend und nachfolgend auch andeutet, daß es nicht seine Auf­gabe sei, Stei­nerinterpretationen zu geben, und das auch nicht inner­halb sei­ner bisherigen Möglichkei­ten lie­ge, Stei­ner hin­länglich zu in­terpretieren. [Das wird übrigens auf der Adress­leiste der Online­version irrtümlich als Einlei­tung zu Band 4 der SKA ausgewie­sen, was aber falsch ist, wie der Leser selbst prüfen kann. Der Band 4 der SKA enthält Steiners Rätsel der Philosophie nebst Vorläufern. Offenbar gibt es da noch technische Probleme mit dem Online-Auftritt der SKA.]

Clement hängt also die Mess­latte für seine eigenen Deutun­gen realistischerw­eise nicht allzu hoch. So daß er den Erfolg von Steinerinterpretatio­nen über­haupt erst in viel späteren Zeiten verortet. Man hat auch eher den Eindruck bei seinen recht über­sichtlichen persönlichen Deutungsexkur­sen in der SKA 1, er habe sich jetzt überhaupt zum al­lerersten Mal mit diesen Grundlagen-Werken Steiners be­schäftigt und vorher noch nie, so un­ausgereift und auf Anfängerniveau kommt manches daher, was er dazu schreibt. Was ja nur eine Folge davon ist, daß das Pferd der SKA von der falschen Seite her, nämlich von der eso­terischen her aufgezäumt wurde. So daß man sich jetzt wundert, warum man aus der realen Leere des Unverstandes deren wissenschaftliche Grundlagen nicht begreift, nachdem man sich viele Jahrzehnte lang nicht damit beschäftigt hat.

Was sich ex­emplarisch, - um jetzt nicht nur aus dem hohlen Bauch heraus etwas zu behaup­ten, - nicht nur an Clements verhungerter halber Kommentarseite 351 der SKA1 zu den drei Kapiteln 8, 9 und 10 über das Denken in Steiners Grundlinien ablesen läßt. Sondern auch beim Blick auf das Kapitel 14 der Grundlinien, das Clement gleich ganz aus seiner Kommen­tierung gestri­chen hat. Wo dem Herausgeber Clement also gar nichts dazu eingefallen ist. Während es bei Stei­ner speziell im Kapitel 14 der Grundlinien um die fundamental wichtige Auseinanderset­zung mit dem Kausa­litätsprinzip geht. Ein Pro­blem- und Forschungsfeld, - eins der span­nendsten und funda­mentalsten überhaupt in Steiners Frühwerk, - zu dem angesichts von Stei­ners Grundlagen sehr viel, außerordentlich viel sogar zu sagen wäre, wenn man sich nur Kants Prolego­mena (Vorrrede) und seine dortigen und sonsti­gen im Buch zahlreichen Hin­weise auf Hume an­schaut. Im Kapi­tel 14 der Grundlinien trifft der Universalienrealismus Steiners (und Goethes) auf eine hoch­problematische Kausaler­kenntnis von Kant (und Hume), «die an die Sache nie herankommt», wie es Steiner in diesem Kapitel 14 auf S. 82 hervorhebt. Wäh­rend Steiner selbst für sich einen «erlebten Zusammen­hang von Wirkendem und Bewirktem im Denken und Erkennen» in An­spruch nimmt, was ein Kapitel später auf S. 86 ausdrücklich noch einmal rückblickend betont wird. Was faktisch der Vorläufer von Steiners späterer Be­merkung vom Ende des zweiten Ka­pitels der Philosophie der Freiheit ist, wonach «die äußere Natur erst zu finden ist, wenn man sie im eigenen Inneren schon kennt» (hier S. 20 f). Deswe­gen Steiners explizite Suche nach den «wirkenden Kräften der Natur im eigenen Inneren.» Womit in dieser Schrift (GA-4) die Suche nach diesen «wir­kenden Kräften der Natur im eige­nen Inne­ren» auch ausdrücklich ein­geleitet wird, nachdem 1886 schon unübersehbar sämtliche Signale darauf hinwiesen.

Jetzt kontrastieren Sie das Kapitel 14 der Grundlinien einmal mit Steiners kritischer Bemer­kung gegenüber E. v. Hartmann vom Ende des Kapitels III der Philosophie der Freiheit: „Man kann nicht zu etwas kommen, was das Denken bewirkt, wenn man den Bereich des Denkens verläßt.“ - Die Parallelen zum kausalitätskritischen Kapitel 14 der Grundlinien und zum Kapitel II der Philosophie der Freiheit in Richtung «wirkende Kräfte im eigenen Inneren und das Pro­blem der Kausali­tät» liegen weithin sichtbar auf der Hand: Sichere Erkenntnis von Ursache und Wirkung gibt es nicht von außerhalb, sondern auch nur beim eigenen Denken und Erken­nen, weil sie uns so nahe stehen wie nichts anderes sonst. - Daß ich selbst der Er­wirkende mei­ner eigenen Erkenntnis bin, das ist der empirische Ankerpunkt von Steiners Er­kenntniswissenschaft. Da ist aus vielen Gründen heraus, - teils logischen und teils bewußt­seinsphänomenologischen, - mit äußerlichen Kausalerklärungen nichts zu holen und nichts zu erklären. Wie wir auch am Beispiel von Poppers kritisiertem «Schuldscheinphysikalismus» oben auf den Seiten 212 ff darlegten.

Deswegen auch «durchschaut der Mensch bei der Beob­achtung des Denkens das Weltgesche­hen», wie es dann 1897 auf S. 69 f in Goethes Weltan­schauung hieß. Während das Weltge­schehen laut Kant und Hume grundsätzlich nicht zu durchschauen ist. Sondern wo man laut Steiner «an die Sa­che nie herankommt». Und damit auch von der «Natur-Erkenntnis» im ei­genen Inneren un­endlich weit entfernt ist. Denn was dieser Dogmatismus von Kant & Co be­hauptet, legitimiert er nur im hoch zweifelhaften Rü­ckgriff auf die Metaphysik und nicht auf Erfahrungsbasis, wie der Leser von Kant in den Prolego­mena er­klärt bekommt. Alles Kausal­erklären ist laut Kant letztlich nur ein metaphysisch begründeter Vernunft­schluß, aber kein empirisch begrün­deter, wie es dort be­reits in der Vorrede S. 6 f und in enger Anlehnung an Hume heißt. Während Da­vid Hume wiederum jede Kausaler­kenntnis rundheraus zur Illusion erklärte, wie der Leser sehr übersichtlich zusammengefaßt bei Reininger, München 1922, auf S. 169 f nachle­sen kann.

Nun, Herr Clement hat zu dem gan­zen Schlüsselthema von Steiners Erkennt­nistheorie, - der hochproble­matischen physikalistischen Kau­salerkenntnis auf der einen Seite, und Stei­ners uni­versalienrealistischem Lö­sungsweg mit dem erlebten erwirkenden Denken und Erkennen auf der anderen, - schlechter­dings gar nichts zu sagen, sondern läßt das komplette Ka­pitel 14 in sei­nen Komment­aren ein­fach weg. So viel ist ihm zum Punkt «Steiner und die Kausalerkennt­nis» an die­ser Stelle ein­gefallen: Kein Litera­turhinweis. Keine Sachan­merkung zum Problem­feld bei Kant und Hume. Rein gar nichts! Das an einer Stel­le, wo es nicht nur im Hinblick auf die mo­derne kausale Naturerkenntn­is, sondern auch im Hinblick auf Goe­thes «Geist-Na­tur» wirk­lich ums «Einge­machte» geht, da hat der Herausge­ber der SKA 1 ganz im Gegensatz zu Stei­ner de­finitiv nichts vorzuweisen, nichts an­zumelden und nichts Substanti­elles und Erhel­lendes zu ver­künden, son­dern macht stattdessen nur das Licht aus und verläßt den Untersu­chungsraum.

Es ist nicht die einzige Stelle, wo von Clement in dieser Frage das Licht gelöscht wird. Denn Analoges ge­schieht (SKA1, S. 351) im Kom­mentar zum Kapitel 8 der Grundlinien. Von wo aus Clement einen Schwenk zu Steiners Schrift Goethes Weltanschauung (GA-6) und in das dorti­ge Kapitel Die Metamorphose der Welter­scheinungen vorlegt, von dem man nicht recht weiß, was Clement damit überhaupt verdeutlichen will. Denn bei Steiner geht es im Kapitel 8 der Grundlinien ebenso wie in den Metamorpho­senpassagen von GA-6 um den er­lebten Zu­sammenhang von Wirkendem und Bewirktem beim Denken und Erkennen. Und da­mit auch um die Kausalitätsfrage. - Zudem geht es im Meta­morphosenkapitel von GA-6 um die Ideen­erkenntnis via Beobachtung des Denkens. Was eigentlich nahtlos anknüpft an die Grundlinien, wenn dort im Kapitel 8 (hier S. 47) der «Gedankengehalt der Welt als Tätigkeit unseres Be­wußtseins» erscheint. Und desgleichen geht es in GA-6 um das durchschaute Welt­geschehen via Beobachtung des Denkens. - Das sind mindestens drei und mehr ganz essentielle Aspekte in Steiners idealistischer Erkenntniswissenschaft, - nämlich Kausalitätsforschung; Universali­enrealismus, Beobachtung des Denkens und Beobachtung des Weltgeschehens, - die sowohl in den Grundlinien als auch in GA-6 weitge­hend im selben Sinn behandelt werden.

Was in den Grundlinien freilich noch nicht ausgesprochen wird, ist Steiners ausdrückliche Kritik an Goethe, die erst in GA-6 (S. 56 ff) beziehungsweise 1897, S. 69 ff klar formuliert er­scheint, indem Steiner auf seine wesentliche Differenz zu Goethe hinweist: Steiner nämlich sucht die Er­kenntnis der wirkenden Idee, - und damit des inneren Weltgeschehens, - über die Beobach­tung des eigenen Denkens. Ein Punkt, von dem Steiner 1897 schreibt, daß Goethe darauf nie verfallen wäre. Weswegen Goe­the weder zu einer aussagefähigen Erkenntnistheo­rie, noch zu einer tragfähigen Freiheitsphilo­sophie gekommen sei, die beide in derselben Sach­lage des sich selbst erkennenden Denkens wurzeln. - Das ist wiederum der Teil, den Clement auf S. 351 arg verkürzend und weitgehend zusam­menhanglos im Kommentar etwas hervohebt, ohne ihn wirklich zu erhellen, da ihm offenbar das Ver­ständnis für die grundlegenden Zusammenhänge fehlt. Wie gesagt, man weiß nicht recht was er mit diesem Hinweis auf Goethes Weltanschauung überhaupt erreichen will.

Thematisiert wird folglich bei Clement auch nicht, und das ist noch viel erstaunlicher, daß Steiner im Meta­morphosenabschnitt (hier S. 56 f) nicht nur konstatiert, «via Beob­achtung des Denkens das Weltgeschehen zu durchschauen», sondern an dieser Stelle auch die «wirken­de Idee anzu­schauen». Weil er den Prozeß (von Denken und Erkennen) «rest­los im In­neren ge­genwärtig» hat, wie es auch schon in den Grundlinien im Kapitel 8, und dar­an erin­nernd noch einmal im Kapitel 15 (hier S. 86) hieß. Wobei letzteres eine geradezu schlagende Par­allele dar­stellt zum Metamorphosenka­pitel aus Goethes Welt­anschauung. Die man im vorliegenden Fall auch noch um die Philosophie der Freiheit ergänzen müßte. Denn das alles und noch mehr kulminiert jetzt in dieser Zusam­menschau des Metamorphosenkapitels von 1897. - Das einzige freilich, was Herr Cle­ment in seinem Verweis auf die Schrift Goethes Weltan­schauung am Ende von Kapitel 8 der Grundli­nen aufgreift, hat noch nicht einmal etwas mit dem Inhalt dieses achten Kapitels der Grundlini­en zu tun. Denn da ist von Steiners Differenzen zu Goethe in keiner Weise explizit die Rede, so daß es zumindest ausdrücklich erläutert werden müßte, worum es in diesem Kommentar Clements überhaupt geht.

Also nicht nur in Clements Kommentaren wird das Licht ausgemacht, sondern auch in seiner längeren Einleitung im Zusammen­hang mit Steiners Grundlinien ab S. XLVI. Das aber ist ganz und gar typisch für diese SKA und ihr intellektuell / intellektualistisches Umfeld mit sei­nem universi­tären Halo von in der behandelt­en Sache weitgehend ahnungslo­sen Akademi­kern und Profes­soren. So daß Clement na­türlich Recht damit hat, wenn er auf S. XVIII ff seiner Einleitung auf die verbreitete Unbe­kanntheit der Steinerschen Rechtfertigungen und Grundla­gen hinweist. Was faktisch einem Offenbarungseid zur anthroposophischen Grundlagenfor­schung gleichkommt. - Man darf er­gänzen, daß dort, wo überhaupt Steiners Grundlagen noch irgendwie thematisiert werden, seit langen Jahren vielfach nur noch Werkfälschung im Interes­se Witzen­manns betrie­ben wird, aber kei­ne seriö­se und ernst zu nehmende Steiner­forschung, die diesen Namen auch verdient.

Bei Clement muß man sich entsprechend auch kaum darüber wundern, daß er mit dem Kapi­tel 14 der Grundlini­en nichts anzufangen weiß. Er hat ebenso wenig einen Verständnisfundus da­für wie Steiners restlicher Anhang. Die Anhänger und Promoter Witzenmanns fallen zudem in dieser Kausalitäts-Fra­ge ohnehin gänzlich durch den Rost, weil sie solche Begründungsschrif­ten Stei­ners kaum oder gar nicht interessieren. Das war bei Witzenmann schon so, der anstelle dessen lieber das abstruse erkenntniswissenschaftliche Schrapnell des «Erzeugungsproblems» der Strukturphänomenologie und ihrer Vorgänger­publikationen setzte. Was sich einschließlich der Interesselosigkeit am restlichen Frühwerk Steiners seither sich bis auf des­sen Schüler und heutige Herolde weiter tradierte. - Suchen Sie beim Witzenmannvertreter und -Propa­gandisten Renatus Ziegler einmal irgend etwas Sinnhal­tiges zu Steiners Grundlinien oder zu Wahrheit und Wissenschaft. Oder zu den Einleitungen in Goethes Naturwissenschaft­liche Schriften, und gar zu Goethes Weltanschauung: Sie werden defini­tiv nichts fin­den, was der Rede wert wäre! Ernstzunehmende anthroposophische Grund­lagenforschung, die seriös an die zeitgenössischen Quellen angebunden wäre, ist auch Zieglers Sache nicht. Und so geht es auch im wesentli­chen mit dem rest­lichen An­hang Witzen­manns. Das Begründungs­werk Stei­ners ist schlicht­weg nicht präsent und wird selbst in den eigenen akademischen Rei­hen nicht ver­standen, son­dern fast flächende­ckend ignoriert. So daß man nur gelegentlich und auch nur auszugsweise noch etwas von Stei­ners Philoso­phie der Freiheit zu lesen bekommt.

Hier scheint mir deswegen ein durchgängiger und ganz systemati­scher Man­gel auch in Cle­ments Zugang zu Steiners Frühwerk vorzuliegen, der nicht nur charakte­ristisch ist für Cle­ment, son­dern fast durchweg verbreitet ist. Dieser Man­gel besteht in der katastrophalen und kom­pletten Mißach­tung des Kausali­tätsproblems von Kant (und Hume) bei Stei­ners Interpre­ten. Und der nahezu voll­ständigen Ausblendung der un­übersehbaren Rolle, welche dieses Grund­problem des mo­dernen Empirismus seit Hume in Steiners eigenen Grund­lagen spiel­te.

Nebenbei gesagt spielte dieses Grundproblem der Naturwissenschaft seine große Rolle auch bei Steiners Anreger und fruchtbarem erkenntniswissenschaftli­chem Zuarbeiter Johan­nes Vol­kelt, wo es ebenfalls eine ganz zentrale Stellung einnahm, wie Sie Vol­kelts Schrift Erfahrung und Denken von 1886 auf den Seiten 81 ff entnehmen können. Wo Ih­nen deutlich wird, daß auch Volkelt, selbst wenn er nicht von Goethes Idealismus kam, doch wie Steiner die Kausali­tät, Kräfte, Regelmäßigkeiten und Zusammenhänge der «Natur» zuallererst im ei­genen Inne­ren such­te, da sie außen nicht zu finden waren. Ein Forschungsanliegen, das in die­ser Zeit ein­fach «dran war», um es einmal vereinfachend zu for­mulieren. Wie Sie es exempla­risch 1894 (S. 1309-1407) auch bei Wilhelm Dilthey nachlesen können, der diese seinerzeit weitverbrei­tete Pro­blemstellung der empiristischen Erkenntnistheorie und natur­wissenschaftlichen Grund­lagenforschung damit nur zu einem angemessenen Aus­druck vor der preussischen Aka­demie der Wissenschaften brachte. Dabei (S. 1320 ff) ebenso wie Steiner und Volkelt die erkenntnistheo­retische Grund­lagenforschung in der «seelischen Beobachtung» ansiedelte. Erkenntnistheorie sei «Psycholo­gie in Bewegung», so lautete Diltheys Motto dort auf S. 1321. Was wiederum Volkelt in den Jah­ren nach 1886 ebenfalls kon­sequent weiter ver­folgte, und in der «endgültigen Gestalt» sei­ner Erkennt­nistheorie von 1918 Steiner auf den Seiten 141 ff auf sei­ne Art wohl auch am nächsten kam. Dieses erstaunliche Zusammenstim­men zwischen beiden / allen dreien nicht nur in Volkelts psycholo­gischer Er­kenntnistheorie der reinen Erfahrung, sondern auch in den Grundlagenfra­gen der empiristi­schen Kausalitäts-For­schung etwa mit Blick auf Dilthey und andere, wäre be­reits ein ein­gehendes Forschungspro­jekt schon für sich allein. Siehe nähere Einzelheiten dazu hier, die Ka­pitel 6b - 6g ab S. 112 ff. Desgleichen zu Dilthey ebd. S. 772 ff, Anm. 336. - Ty­pische Grundlagen-Wissenschaftsf­ragen in Steiners Zeit, zu de­nen mit seinem Anliegen auch Rudolf Stei­ner ge­hörte, der sich selbst auch ganz explizit dort eingliederte. Wie er es dann in seinem Rechtfertig­ungsvortrag von 1921 in GA-255b, S. 295 ff vortragsweise noch einmal öffentlich dar­legte. Während die soge­nannte «pro­fessionelle» Stei­nerforschung der Akademien dazu heute, und das seit vielen Jah­ren (und Jahr­zehnten) schon, nur das sprichwört­liche Blech redet. Blind wie die Maulwürfe le­diglich Tun­nel durch Steiners Werk gräbt, die nirgendwo hin führen als eben zu Würmern und Engerlin­gen. Zudem unter den ei­genen «anthroposo­phischen» Leuten, zumal beim Anhang Witzen­manns sehr nachhaltig und ebenfalls seit vielen Jahrzehn­ten be­reits dar­um bemüht ist, Steiners Erkennt­niswissenschaft endlich den wirken­den Geist auszu­treiben, um den es in Stei­ners Begrün­dungswerk permanent geht.

So ist es auch bei Clement. Daß es bei Stei­ner in den frü­hen Begrün­dungswerken durchgän­gig und mit al­ler Ankündi­gung, wie etwa in den Grundlinien Kap. 14 und in der Philoso­phie der Frei­heit, um das Thema «Kausalität und Wirk­samkeit» gehen könnte, darauf freilich kommt nicht nur Cle­ment nicht, sondern darauf kommt auch von den al­lermeisten seiner Rest-Inter­preten nie­mand. Während Stei­ner, dem es gleichrangig mit der Objek­tivität vor allem um er­lebte Wirk­samkeiten im Denken geht, darauf - auf den erlebten Verursa­chungszusammenhang (im Er­kennen), - ein Hauptau­genmerk rich­tet. Wie es nicht nur am Kapitel 14 der Grundlinien ganz plaka­tiv bereits dargelegt ist. Sondern das ist auch in sämt­lichen anderen erkenntniswis­senschaftlichen Früh­schriften Steiners der Fall. Der Erkenntnis- und Denkprozeß stellt einen er­lebten Verursa­chungszusammenhang dar. Denn die Erkenntnis wird ja vom Menschen er­wirkt. Infolgedessen stellen Denken und Erkennen denjenigen Verursachungszusammenhang dar, der uns von sämtlichen Ver­ursachungszusammenhängen naturgemäß am allernächs­ten steht. Dieser erlebte Verursachungszusammen­hang wiederum kann grundsätzlich äußer­lich kausal aus mancherlei Gründen (methodischen, logischen und psy­chologischen) nicht erklärt wer­den, sondern nur aus dem unmittelbar erlebten seelischen In­nenleben heraus. Das ist Stei­ners erklärte Auffas­sung durch alle erkennt­niswissenschaftlichen Frühschrif­ten hindurch. Bis hin zu Goethes Weltan­schauung von 1897, wo es besonders ein­drucksvoll noch einmal ab S. 69 ff demons­triert wird. Was zu die­sem Zeit­punkt schon seit mindestens 1886 in Steiners Frühwerk nachzulesen war.

Halten wir fest: Die Frage nach Kausalität und erkennbaren Wirksamkeitszusammenhängen im eigenen Inneren ist ein absolutes Schlüs­selelement in Stei­ners sämtlichen frühen Begrün­dungsschriften. Während dies von Stei­ners Inter­preten äußerst selten, oder so gut wie nie über­haupt nur in Betracht gezo­gen wird. Als wären alle von der­selben intellektuellen Augenkrank­heit befallen, so daß sie das nicht wahr­nehmen können. Diese intel­lektuelle Blind­heit für die grundlegende Themensetzung bei Stei­ner ist ebenfalls im höchsten Maße erstaun­lich, weil die Problemstellung als solche ei­gentlich sofort bei jedem wachen und gebildeten Leser in die Au­gen springen müsste. Zumal sie aus Steiners Leitfrage zur Philosophie der Freiheit im Kapitel I ebenfalls unmissverständlich hervorgeht. Aber Steiners In­terpreten sind in der Regel nicht wach, egal woher sie kommen. Sondern da scheint vielfach alle Tage Sonntag zu sein. So daß dort auch nicht be­griffen wird, wie nahe die weiter oben behandel­te Physikalismuskritik Pop­pers und Ec­cles` der Physi­kalismuskritik Steiners steht. Sogar in der Argumentationsweise, die bei Steiner in der Schrift Von Seelenrätseln (GA-21) noch eine be­trächtliche explizite Erweite­rung um das Element der Logik enthielt, die in den Frühschriften nur implizit vorhanden war.

Das ausgedehnte Vakuum in Clements Verständnis offenbart sich allein und vor allem schon darin, daß ihm überhaupt der zentrale Abschnitt C der Grundlinen, der in drei Einzelkapiteln das Denken behandelt, und sich je nach Ausgabe über rund 18-20 Seiten erstreckt, lediglich eine halbe Seite 351 der SKA-1 mit zwei mageren Verweisen wert ist. Inhaltlich hat Clement auch zu diesen entscheidenden drei Kapiteln über das Den­ken rein gar nichts vorzu­tragen. Er hat folglich nicht den geringsten Re­sonanzboden dafür, was in die­sem Ab­schnitt C substantiell von Steiner ver­handelt wird. Wie gesagt: Ein Offenbarungseid. Mit dieser Konkurserklärung aber ist er mehr oder weniger auch kennzeich­nend dafür, was in die­ser Frage auch im akade­misch / anthroposophischen Main­stream bislang an Aufklä­rungsarbeit dazu geleistet worden ist worden ist. Nämlich so gut wie gar nichts! - Immerhin ist Clement offen genug, die intel­lektuelle Insolvenz der Grundlagenfor­schung zu Steiner in den Ein­gangsseiten seiner Einleitung, auch deutlich auszusprechen.

Wo eben nichts an einschlägiger Forschung vorhanden ist, da ist dann auch auch bei der Be­handlung der Grundli­nien in Cle­ments Einlei­tung von einem ent­scheidenden Pro­blem Kants und ei­nem ebenso ent­scheidenden Lö­sungs-Begriff der Grund­linien nie die Rede: Vom Be­griff des «er­lebten Zu­sammenhangs von Wir­kendem und Bewirk­tem» in diesen Grund­linien, den Steiner rückbli­ckend im Kapitel 15 ei­gens noch ein­mal in Er­innerung ruft: „Wir erinnern uns, warum eigent­lich das Denken in un­mittelbarer Er­fahrung be­reits sein Wesen enthält. Weil wir inner­halb, nicht au­ßerhalb jenes Prozesses ste­hen, der aus den einzelnen Gedankenelemen­ten Gedanken­verbindungen schafft. Dadurch ist uns nicht al­lein der vollendete Prozeß, das Be­wirkte gegeben, son­dern das Wir­kende.“ (Hier, GA-2, S. 86) Im Zusammenhang mit dem Kapitel 14 der Grundli­nien und den Kapiteln 8 ff ist das ein Si­gnal wie eine Leuchtrakete auf hoher See in Richtung «Kausalitäts­problem und sei­ne Lö­sung». Und es ist eine Tatsache, die be­reits in Anlehnung an Goethes Naturverständ­nis im Ka­pitel 8 der Grundlinien entfaltet wird: Das Denken / Erkennen ist der einzige Wirklichkeits- / Erfahrungs­prozess, in dem Wirkendes und Bewirktes in ihrem Zusammen­hang unmittelbar und sicher erfahrbar sind. Was bei Kant (und Hume) bekanntlich niemals der Fall ist.

Während bei Steiner die erkenntniswissenschaftliche / naturwissenschaftliche Bilanz doch sehr anders aussieht als bei Kant und Hume: Die Triebkräfte hinter einer Erscheinung der Außen­welt sind uns nicht unmit­telbar gegeben. Die inneren dagegen schon: „Bei jedem äußeren Ob­jekt bin ich gewiß, daß es meinen Sinnen zunächst nur seine Außenseite zuwendet; beim Ge­danken weiß ich genau, daß das, was er mir zuwendet, zugleich sein Alles ist, daß er als in sich vollendete Ganzheit in mein Bewußtsein eintritt. Die äußeren Triebkräfte, die wir bei einem Sinnenobjekte stets vor­aussetzen müssen, sind beim Gedanken nicht vorhanden. Sie sind es ja, denen wir es zuschrei­ben müssen, daß uns die Sinneserscheinung als etwas Fertiges entge­gentritt; ihnen müssen wir das Werden derselben zurechnen. Beim Gedanken bin ich mir klar, daß jenes Werden ohne meine Tätigkeit nicht möglich ist. Ich muß den Gedanken durcharbei­ten, muß seinen Inhalt nachschaffen, muß ihn innerlich durchleben bis in seine kleinsten Teile, wenn er überhaupt ir­gendwelche Bedeutung für mich haben soll.“ - So Steiner dazu im Kapitel 8 auf S. 45 f

Die inneren «Triebkräfte» des Denkens sind bei Steiner Gegenstand der unmittelbaren Erfah­rung. Was dem Denken als Erfahrungsgegenstand seine erkenntniswissenschaftliche Vorzugs­rolle gegenüber der Außenerfahrung sichert. Während die letztere (Außenerfahrung) damit, - mit der unmittelbaren Erfahrung dieser «Triebkräfte», - niemals aufwarten kann. Was mit Blick auf die Außenerfahrung wiederum auch Kants und Humes Credo ist. Während beide, an­ders als Steiner, auch gegenüber der ursächlichen Innen­erfahrung des Denkens mit leeren Hän­den dastehen.

Es ist schon angesichts dieser Passagen von 1886 wenig überraschend, wenn Steiner dann im zweiten Kapitel der Philosophie der Freiheit das Wirkende der Natur vorrangig im eigenen Inneren sucht. Da es außen grundsätzlich nicht unmittelbar vorliegt, wie es bereits 1886 im Kapitel 8 hieß. Wenn der Leser in Goethes Weltanschauung hier S. 69 f blickt, dann wird er sehen, dass sich an dieser Sichtweise Steiners auch 1897 nichts verändert hat.

Mit der empirischen Psychologie und der inneren Beobachtung wiederum konnte Kant nichts beginnen. Und schon gar nichts zwecks empiristischer Begründung jeder Welterklärung. Viel­mehr waren sie (Psychologie und innere Beobachtung) in seinen Augen nicht nur weit entfernt von jeder Wis­senschaft. Sondern, so Kant, sie würden den Charakter einer ernst zu nehmenden Wissenschaft auch niemals errei­chen. Siehe etwa zum Thema Kants Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Vorrede in der Ausgabe von Alois Höfler, 1900. Wo­nach auf S. 7 die Psy­chologie des «inne­ren Sinns» keinerlei Aussicht hat, über­haupt jemals eine empiri­sche und ernst zu nehmende Wissenschaft zu werden, die ursächliche Zusammen­hänge sicher zu erfor­schen vermag. Was bei Hume nicht anders aussieht, wie der Leser hier von Reininger zusammengefaßt auf S. 168 ff nachlesen kann. Der Zusam­menhang von Ursa­che und Wirkung liegt bei beiden (Kant und Hume) nicht nur außen, sondern auch innen weit jenseits jeder Erfahrung. Da auch die «innere Erfahrung» bei beiden darin kei­ne Aus­nahme macht. Was bei Steiner bereits in den Grund­linien von 1886 ersichtlich voll­kommen anders ist. (Siehe zu diesem Thema etwa auch hier, S. 231 ff und öfter. Ausführlicher etwa das Kapi­tel 8 auf S. 276 ff.)

Der empiristische Gegensatz zwischen dem frühen Steiner und Kant könnte also kaum größer sein: Auf der einen Seite ein Steiner, der die wirkenden Kräfte der Natur im eigenen Inneren sucht, da sie außen nicht zu finden waren. Was besonders plakativ in den Grundlinien (Kapitel 8 und 14) sowie in der Philosophie der Freiheit (Kapitel II), sowie in Goethes Weltanschau­ung (im Metamorphosenkapitel) zum Ausdruck kam. Auf der anderen Seite Kant, für den laut Prolegomena, Vorrede die Kausalität wegen des «Humeschen Problems» in der Erfahrung nicht zu finden war, sondern nur im Rückgriff auf die Metaphysik. Während die innere Beob­achtung bei Kant wiederum für derlei empiristische Lösungen des Kausalitätsproblems grund­sätzlich nicht infrage kam. Da, wie er in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwis­senschaft in der Vorrede auf S. 7 der Höfler-Ausgabe von 1900 geltend machte: „Noch weiter aber, als selbst Chemie, muss empirische Seelenlehre jederzeit von dem Range einer eigentlich so zu nennenden Naturwissenschaft entfernt bleiben, erstlich, weil Mathematik auf die Phänomene des inneren Sinnes und ihre Gesetze nicht anwendbar ist,... […] Aber auch nicht einmal als sys­tematische Zergliederungskunst oder Experimentallehre kann sie der Chemie je­mals nahe kommen, weil sich in ihr das Mannigfaltige der inneren Beobachtung nur durch blosse Gedan­kentheilung von einander absondern, nicht aber abgesondert aufbehalten und be­liebig wieder­um verknüpfen, noch weniger aber ein anderes denkendes Subject sich unseren Versuchen, der Absicht angemessen, von uns unterwerfen lässt, und selbst die Beobachtung an sich schon den Zustand des beobachteten Gegenstandes alterirt und verstellt. Sie kann daher niemals etwas mehr als eine historische, und, als solche, so viel möglich systematische Natur­lehre des inne­ren Sinnes, d. i. eine Naturbeschreibung der Seele, aber nicht Seelenwissen­schaft, ja nicht ein­mal psychologische Experimentallehre werden;...“ - Wobei zum Vergleich zu bedenken ist, daß selbst die Chemie in dieser Vorrede Kants alles andere als eine ernst zu nehmende Wis­senschaft war. Indessen noch weit unterhalb der Chemie siedelt er dort die «Psychologie des inneren Sinns» an. Der Gegensatz zu Steiners innerem erkenntniswissen­schaftlichem Grundle­gungsweg könnte folglich sprechender kaum zum Ausdruck gebracht werden.

Wäh­rend Herr Clement solches alles wohl nicht wissend oder es nur nicht bedenkend auf S. XLIX seiner­seits irri­gerweise der Mei­nung ist, Steiner baue in den Grundlinien mit dem Er­fahrungsbegriff einen «Ge­genbegriff zum Denken» auf. Was schon in der Sa­che nicht so ohne weiteres paßt, wo Steiner doch das Denken als «höhe­re Er­fahrung inner­halb der Erfahrung» betrachtet, nach­dem er bereits im Ka­pitel 4 mit der For­derung aufwartet, „Wir müssen das Denken inner­halb der Erfahrungstatsa­chen selbst als eine solche aufsu­chen.» Zu diesem Zweck wird von Steiner bereits im Kapitel 4 der Grundlinien (hier S. 28 f) der Begriff der «betrachtenden Gegenüber­stellung» eingeführt, den er dann auch im Kapitel III der Philosophie der Freiheit (hier S. 27) zwecks Erkenntnis des Denkens verwendet. Also wenn schon «Gegenbegriff», dann muß neben der spezifischen Leistung dieses Denkens auch seine Erfahrungsform klar herausgestellt werden.

Die spezifische Leistung des Denkens gegenüber der bloßen Erfahrung besteht laut Grundlini­en in der Erkenntnis des Erfahrenen. Das aber, und das wird gern übersehen, gilt ebenso für das nur erfahrene Denken. Auch das rein erfahrene tätige Denken muß erst vom Denken er­kannt werden. Der aktive Denkprozeß ist folglich sowohl Erkenntnismittel als auch wahrge­nommener Erkenntnisge­genstand dieser frühen Erkenntnistheorie Steiners von 1886. Und zwar nicht nur dort. Es nimmt beide Rollen ein, - nämlich die eines nur Erfahrenen, und die ei­nes aktiven Erkenntnismit­tels, mit dem nicht nur alles andere zu erkennen ist, sondern auch das Denken selbst, - weswegen die Kenn­zeichnung des Denkens als «Gegenbegriff zur Erfahrung» natürlich seine Grenzen hat.

In der Philosophie der Freiheit hat Steiner entsprechend in der Zweitauflage (hier S. 94) den Wahrnehmungsbegriff ausdrücklich da­hingehend erweitert: „Bedacht sollte auch werden, daß die Idee von der Wahrnehmung, wie sie in dieser Schrift entwickelt wird, nicht verwechselt werden darf mit derjenigen von äu­ßerer Sinneswahrnehmung, die nur ein Spezialfall von ihr ist. Man wird aus dem schon Voran­gehenden, aber noch mehr aus dem später Ausgeführten ersehen, daß hier alles sinnlich und geistig an den Menschen Herantretende als Wahrnehmung aufgefaßt wird, bevor es von dem tätig erarbeiteten Begriff erfaßt ist.“ Wobei die «tätige Erarbeitung der Begriffe», wie weiter oben schon gesagt, ihrerseits eine erfahrene Tatsache ist.

Zur «gegenüberstellenden Betrachtung» sowohl in den Grundlinen als auch in der Philosophie der Freiheit ge­hört entsprechend auch der er­fahrene / wahrgenom­mene Erwir­kungsprozeß des Den­kens, auf den Steiner bereits im Kapitel 8 der Grundli­nien der­art viel Wert legt, so daß er S. 46 davon spricht, «das Denken zeige in­folge dieses Um­standes sein Alles». Näm­lich den er­lebten Zusammenhang von Wir­kendem und Bewirktem, weil der Denker mit­ten im Prozeß steht und nicht außerhalb. Was wie gesagt bei der Erkenntnis von äußeren Wahrnehmungsge­gebenheiten nie der Fall ist. Dort nämlich können die wirkenden Kräfte grundsätzlich nicht un­mittelbar wahrgenommen werden, die sie hervortreiben. Wäh­rend das beim Denken / Erken­nen vollkommen anders ist, da der Denker / Erkennende mitten in diesem Prozeß steht, der ja von ihm selbst seinen Ausgang nimmt.

Zur bewußten Erkenntnis gehört bei Steiner laut Philosophie der Freiheit ein bewußter Ent­schluß, wie wir auf den ersten Seiten 1 - 7 dieses Studienabschnitts bereits hervorhoben. Der Leser wird sich vielleicht erinnern: „Beobach­tung und Denken sind die beiden Ausgangspunk­te für alles geistige Streben des Menschen, in­soferne er sich eines solchen be­wußt ist.“ So lau­tet die entsprechende Passage im dritten Kapi­tel der Philosophie der Freiheit (hier S. 22).

Den eigenen Denk- und Erkenntnisprozeß erlebt also je­der selbst und bewußt, der sich zu sei­ner Er­kenntnis auch bewußt entschlossen hat. Und eben­so erlebt er den aktiven Erkennt­nisweg und das Resultat, das auf dieser beschlossenen Erkenntnistätigkeit beruht. Er weiß da­her un­mittelbar, in welcher Verbindung die erkennende / denkende Tätigkeit zu ihm und dem Resul­tat die­ser Tätigkeit des Erkennens / Denkens ste­hen. - Der «erlebte Zusammenhang von Wir­kendem und Bewirktem».

Was bei der erkennen­den Beobachtung des Den­kens im enge­ren Sinn nicht an­ders ist, wie wir wieder­holt hier dar­gelegt ha­ben: Auch das «gegenüberstel­lende Betracht­en» des Den­kens zwecks Erkennt­nis ist ein er­wirkter Prozeß des Denkens / Erkenn­ens, in wel­chem der Be­trachter bzw. Denker erlebend steht. Ganz zwangsläufig, da er sich zur Erkenntnis des Denkens im sogenannten «Ausnahmezustand» bewußt entschlossen hat, wie wir bereits ein­gangs dieses Studienab­schnitts auf den ersten Seiten 1 – 7 schon sahen. Denn in den soge­nannten «Ausnahmezustand» tritt eigentlich nur ein, wer sich dazu zwecks Erkenntnis des Denkens bewußt entschließt. Deswegen in diesem Fall ein erlebter Zusammen­hang von Wirkendem und Bewirktem, weil der Denker / Erkennende mitten im erlebten Pro­zeß steht. Ein durchgängig von Steiner ver­wendetes empiris­tisches Ar­gument, das in den Früh­schriften bis 1897 Verwen­dung findet, und in der Schrift Goe­thes Weltan­schauung (hier S. 69 f) noch ein­mal besonders plastisch und goethekri­tisch mit dem Idealismus Goethes verknüpft wird.

Wer sein Denken und Erkennen hingegen verschläft, für den gilt das freilich nicht in dieser Stringenz, wie Stei­ner 1921 vortragsweise noch einmal in GA-78, S. 33 - 42 darlegte. Wäh­rend er dort (S. 42) von der Philosophie der Freiheit hervorhebt, «aus dem vollen Erleben der Aktivität des Denkens» seien die Sätze geschrieben, „Im Denken haben wir das Weltgesche­hen selber an einem Zipfel erfaßt!“ - Wobei er sich dabei auch auf die erste Auflage von 1894 bezog.

Nichts von all dem findet bei Clement einen Resonanzboden. Da herrscht wahrlich tabula rasa. Obwohl es konkreter von Steiner kaum gesagt werden könnte. So daß man schon beim Her­ausgeber Clement den Ein­druck hat, daß hier ein ganz un­bedachter Frühse­mester irgendwie an Stei­ners Grundla­gen herumwer­kelt, aber kein gewachsen­er Kenner dieses Frühwerkes. Und so wird es wohl auch sein. Nicht nur bei Cle­ment. - Daß wiederum Johannes Volkelt, auf dem Steiner methodisch maßgeblich auf­baute, laut Cle­ment zu den «illusionären Neukantianern» dieser Zeit gehörte, das hat Stei­ner bei man­cherlei kriti­scher Distanz zu Volkelt noch nie be­hauptet. War auch nicht der Fall. Vol­kelt war kein Illusionist, sah aber die akute Gefahr des Il­lusionismus, die von Kant und Humes Kausalitätsproblem aus­ging. Suchte deswegen jahr­zehntelang, und zwar bis 1918 mit psychologischen Mitteln diesem sich dadurch andeutenden Illusionis­mus zu entkom­men. Man darf auch zur Klärung dieser Sachlage nicht an Volkelts Frühwerk bis 1886 stehen bleiben, sondern muß den Rest und zumal die «endgültige Gestalt» seiner Er­kenntnistheorie von 1918 zum Verständnis seiner Intentionen mit einbeziehen. (Siehe dazu hier, Kap. 6a bis 6g) Alles in allem soll das besagen, daß Volkelt wie Steiner auch, die Regelmäß­igkeiten, Zusammenhänge und Wirksamkeiten zualler­erst im eige­nen In­neren such­te, da sie außen wie gesagt nicht zu finden waren. Sonst hätte Steiner wohl auch kaum auf Vol­kelts Erfah­rungskonzept aufgebaut. Steiner kriti­siert in seinen Frühschriften lediglich eine Inkon­sistenz, die er bei Volkelts Vor­stellungsbegriff zu erkennen mein­te. Was ihn aber nicht hinder­te, Volkelts über­zeugendes im­manent-psychologisches Konzept der Erkenntniswissens­chaft für seine eigenen Forschungs­ziele dienstbar zu machen, worauf er ei­gens in Wahrheit und Wis­senschaft (hier S. 7) hinwies.

Als «Illusionisten» verstand Steiner Volkelt nie. Zu Steiners späterer Einschätzung Vol­kelts bei Betrachtung des erkenntnistheoreti­schen Neu­kantianismus / Illusionismus siehe GA-18, S. 472 ff und öfter. Volkelts Behandlung endet dort auf S. 476 f beim Übergangswerk Volkelts von 1906, das laut Volkelts eigener Einschätzung nur einen vorläufigen Charakter hatte. Wäh­rend er seine Schrift von 1918 als die «endgültige Gestalt seiner Erkenntnistheorie» bezeichne­te, die Steiner wie gesagt wohl am nächsten kam. Vor allem, wenn man sich die Seiten 140 ff an­schaut.

Auch das Verhältnis Steiners zu Volkelt wäre ein äußerst ergiebiges Forschungspro­jekt zu den erkenntniswissenschaftlichen Grundla­gen Steiners. Vorrangig in methodischer Hinsicht mit Blick auf die innere Beobachtung. Wo Volkelt ein ausgesprochener Pionier in dieser Zeit war und dazu regelmäßig Stellung bezog. Wie der Leser beispielsweise hier an Volkelts Aufsatz über Psychologische Streitfragen von 1887, sowie an der nachfolgen­den weitläufigen Entgegnung darauf durch Wilhelm Wundt, - einem der damals namhaftesten Psychologen in dieser Angelegenheit, - über Selbstbeobachtung und innere Wahrnehmung, 1888 erkennen kann.

Schieren

Wie es sich beim Herausgeber Clement bereits ankündigte, so zeigt sich auch im Jost Schierens Vorwort zur SKA Bd. 1 kaum ein Funken von Verständ­nis und Sachwissen. Wo man zum er­kenntniswissenschaftlichen Inhalt der Grundlinien und der Einleitun­gen in Goe­thes na­turwissenschaftliche Schriften nichts zu hören be­kommt, was irgend­wie für das Ver­ständnis von Steiners Erkenntnis­wissenschaft wesentlich wäre. Man hat angesichts die­ses Vor­wortes von Schieren gar nicht den Eindruck, daß es bei der SKA 1 in ir­gend einem kon­struktiv auf­klärenden und verständnisvollen Sinne um Steiners wissenschaftli­ches Früh­werk geht. Schie­ren läßt nämlich kaum einen Hauch davon er­kennen, was in den Grundlinien und im Rest des an Goe­the angebundenen Frühwer­kes von Steiner an erkenntniswissenschaft­licher Begrün­dung vor­getragen wird.

Es kommt ihm entschieden mehr darauf an, gleich in den allerersten Sätzen die «Umstritten­heit von Werk und Person Steiners» wie ein Herold der Wissenschaft ganz markig zu verlaut­baren: „Werk und Person Ru­dolf Steiners sind bis heute, beinahe hundert Jahre nach seinem Tod, umstritten. Die spirituell-esoterische Welt­sicht seiner Anthroposophie erscheint vielen Zeitgenossen mit ei­ner empiri­schen Natur­wissenschaft unvereinbar und die von ihm selbst beanspruchte Wis­senschaftlichkeit seines Werkes wird weithin als illegitim zurückgewiesen.- So geht das bei Schieren schon gleich zu Beginn los. Man fühlt sich fast ins Fernsehstudio versetzt zu Lanz und Aiwanger: «Talk­show bei Anwesenheit eines Vertreters der freien Wäh­ler neben drei Kontrahenten, und Lanz legt zum Einstieg los». - Was ich damit sagen will: Wer solche öf­fentlichen Anwälte und Sachwalter wie Schie­ren in der ei­genen Angelegenheit hat, so mein Eindruck, der braucht wie in der Fernsehshow der Herr Aiwanger auch kei­nen Ankläger mehr.

Wäh­rend ich persönlich mich doch eher fragen möchte, was die Um­strittenheit von Stei­ners Werk eventuell mit der Gleichgültig­keit von Stei­ners wissenschaftli­chen «Vertretern» zu tun hat, von denen Schie­ren nur einer ist, der nicht an der Seite Steiners, son­dern vor allem auf der Seite Witzenmanns antritt und gegenüber Steiners Begründungs­schriften weitestgehend gleichgültig und unwis­send, weil er diese wissenschaftli­chen Grundla­gen jahrzehntelang igno­riert und verschlafen hat. Zusammen mit allerlei weiteren die wir oben be­handelten. - Denn eine wissenschaftsori­entierte Witzenmannbewegung, die ihre Zeit und Res­sourcen jahrelang damit ver­brennt, auf­wändige Übersetzungen von Witzenmanns Strukturphänomenologie, zu schaffen und zu ver­breiten, (hier die frei zugängliche PDF-Variante), (hier noch einige weitere Ergänzungen dazu), und die Aufhellung der Beziehungen zwischen Steiner und Witzenmann in eine blaue Zukunft verlagert, wie Wagemann dort auf S. 45 erklärte: Nun, eine solche Be­wegung hat er­sichtlich auch wenig Zeit, Ressourcen und Neigung für den Zu­gang zu Steiners eigener wis­senschaftlicher Gedanken­welt. Denn sie hat etwas «Besseres und Wichtigeres» zu tun als Stei­nerforschung zu betreiben. Da ist es sehr nahelie­gend, daß dar­in ei­ner der Haupt-Gründe liegt für das Unver­ständnis, das Steiner oft entgegen­gebracht wird: Die jahrzehntelan­ge Gleichgültigkeit der Anhänger Witzenmanns gegenüber Steiners Begrün­dungswerk. Da fehlte nur noch der sorgfältig moderieren­de «Ankläger» Schieren von der Seite Witzen­manns.

«Realsatire», «Scheinheiligkeit» und «Doppeldenk» gemischt mit Krokodils­tränen über das bedauernswerte Ansehen von Steiner und seinem Werk! So möchte man das nennen, und er­gänzend mit Hane­graaff ener­gisch die Erfor­schung von Steiners eige­nen Grund­lagen for­dern, und nicht das gründliche Dauer-Ver­kleistern dieser Grundlagen Steiners mit den zwei­felhaften Ersatz-Ex­egesen Wit­zenmanns.

Was Schieren allerdings augenfällig eine Her­zensanliegen zu sein scheint, das angebliche Ne­gativum der Umstrittenheit von Stei­ner und dessen Werk gleich einleitungs­weise vor aller Welt wie die ersten Sätze eines neuen Evangeliums im Vorwort zu verkünden: «Am Anfang standen die umstrittene Person und das ebenso umstrittene Werk Rudolf Steiners.» Während ihm, - das ist dar­an wie­derum so bezeich­nend, - ein wissenschaftl­iches Gegen­gewicht dazu in gar keiner Weise ein­fällt, weil er offensichtlich auch kaum eins kennt, abgesehen von allge­meinen Worthülsen. Man fragt sich: Wäre ein guter Freund und passabler Kenner von Rudolf Steiner und dessen Werk wohl auch so vorgegangen? - Was aber ist dann mit all jenen Leuten, die weder das eine noch das andere sind, sondern nur noch ganz akademisch intellektualis­tisch, und ohne jedes Verständnis auf das Werk Steiners hinstieren wie Traub, Zander & Co?

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SKA 1: Nur Goethe-Deutung?

Ande­rerseits und aus dem wissenschaftsgenetischen Gesichtswinkel: Man muß ja bedenken, es geht bei die­ser SKA 1 vorrangig nicht um das Werk Goethes, sondern um dasjeni­ge Steiners, so weit dieser an Goethe anknüpft. Jedenfalls, wenn das Interesse vorrangig auf Steiners Erkennt­niswissenschaft ruht. Wer sich dafür wenig oder gar nicht interessiert, der krallt sich dann er­satzweise viel­leicht an den philologischen Fragen einer richtigen oder falschen Goethedeutung durch Steiner fest, und läßt Steiners Begründungswerk mehr oder weniger links liegen. Beides ist möglich und auch zu beobachten.

Schon der Titel der SKA 1 «Frühe Schriften zur Goethe-Deutung» ist schillernd, und ver­schleiert mehr, als er zum Ausdruck bringt. Denn Steiners eigene erkenntniswissenschaftliche Grund­lagen werden mit diesem Titel nicht erfasst, son­dern schlicht weggelas­sen. Sachlich ist dieser Titel also ganz augenfällig falsch und irrefüh­rend, in­dem er die Signale schon in eine wirklichkeits­fremde und einseitige Richtung von «nur Goe­the-Deutung» lenkt.

Da fragt man sich bereits: Wer mit wieviel Sachverstand hat sich wohl so et­was wie diesen Ti­tel ausgedacht? Ein akzeptabler Kenner von Steiners Früh­werk kann es jedenfalls nicht gewe­sen sein. Wo die Wirk­lichkeit dar­um doch sehr an­ders aus­sah als es die­ser halbwahre Titel sug­geriert. Denn schon die Einleitungen in Goethes naturwiss­enschaftliche Schriften sind von erkenntnistheoreti­schen Fragen durchzogen, die unmittel­bar und nur mit Goethe nicht zusam­menhängen, son­dern mit erkenntniswissenschaftli­chen Begründungsfra­gen, die über Goethe hinausgingen, und bei Goethe selbst nicht zu finden, sondern bestenfalls «angelegt» waren.

Diese Durchsetzung der Einleitungen mit zeitgenössischen Fragen der Erkenntnistheorie zeigt sich ganz unmissverständlich in der Kürsch­nerausgabe von 1887, S. XIII ff, im Kapitel Goethes Erkenntnistheorie. Wo Steiner selbst dar­auf aufmerk­sam macht, daß eine systemati­sche Ge­schlossenheit des wissenschaftlichen Goe­theschen Den­kens nicht vorliege: „Wir haben schon im vo­rigen Kapitel angedeutet, daß Goe­thes wissenschaftli­che Weltanschauung als ab­geschlossenes Ganzes, aus einem Prinzipe ent­wickelt, nicht vor­liegt. Wir haben es nur mit ein­zelnen Mani­festationen zu tun, aus denen wir sehen, wie sich dieser oder jener Gedanke im Lichte seiner Denkweise ausnimmt. Es ist dies der Fall in seinen wis­senschaftlichen Werken, in den kurzen Andeutungen über diesen oder je­nen Begriff, wie er sie in den «Sprüchen in Prosa» gibt, und in den Briefen an seine Freunde. Damit aber, daß wir rückhaltlos zugeben, daß Goethes Grundprinzipien von ihm nie als zu­sammenhängendes Gan­zes ausgesprochen worden sind, wollen wir durchaus nicht zugleich die Behauptung gerecht­fertigt finden, daß Goethes Weltanschauung nicht aus einem ideellen Zentrum entspringt, das sich in eine streng wissenschaftliche Fassung bringen läßt. ...“ Siehe alternativ die GA-1, S. 141 ff.

Anders, als es der Titel der SKA 1 signalisiert, geht es eben nicht nur um Steiners «Goe­the-Deutung», son­dern auch um «er­kenntniswissenschaftliche Grundla­gen für Steiner und Goe­the», die wie­derum eingebettet sind in Steiners Herausgeber­schaft von Goe­thes naturwis­senschaftlichen Schriften. Die er­kenntniswissenschaftliche Grund­legung / Fun­dierung von Goe­thes und Stei­ners Werk freilich ist keineswegs nur «Goethe-Deu­tung», und war auch mit den alleinigen Mitteln Goe­thes für Steiner aus den in der zitierten Einleitung angegebenen Grün­den grund­sätzlich nicht zu be­kommen. Sondern, wie es sich bereits im besagten Einlei­tungskapitel ab S. XV abzeichnet, nur im Rückgriff auf die Erkenntnistheorie von außerhalb Goethes, und mit Unterstützung von eigenen Zeitgenossen, wie etwa im vorliegen­den Fall der «reinen Erfahrung» von Johannes Volkelt. Den Steiner dort sowohl affirma­tiv als auch kri­tisch auf­greift. Im Dienste einer von Steiner zu zeichnenden «Goe­theschen Erkenntnistheorie», die zu­gleich auch Steiners eigene war. Weswegen Stei­ner sich andererseits auch in Wahrheit und Wissenschaft (hier S. 6) mit Recht und mit Blick auf diese Mittel als unab­hängig von Goethe erklärte. Was schon allein aus dem ge­nannten Grunde aus der Einleitung namens Goethes Er­kenntnistheorie heraus zu er­hellen wäre. Al­les, was Steiner an erkenntniswissenschaftlichen Auseinanderset­zung mit späteren Zeitgenos­sen wie etwa Eduard von Hartmann (GA-1 S. 195 ff), Volkelt und anderen in die­sen Einleitungen prä­sentierte, ge­hört streng ge­nommen schon nicht mehr zur Goethe-«Deu­tung», sondern zu den erkenntnis­wissenschaftlichen Fundie­rungsfragen, die sowohl Goethe als auch Steiner glei­chermaßen betreffen.

Zum Begründungswerk Steiners und seinem Verhältnis zu Goethe gäbe es daher ausgespro­chen viel zu sa­gen. Darüber etwa, wie weit Steiner an Goethe direkt an­knüpft, und wie weit er in erkenntniswissenschaftlichen Fundierungsfragen unabhängig von Goethe operierte. Ei­genständig auch sein mußte, weil in fundamentalen Fragen der Erkenntniswissen­schaft das ent­sprechende Rüstzeug bei Goethe schlechterdings nicht vorhanden war. Sondern nur unab­hängig von Goethe zu erhalten war, weil der keines hatte. So daß in der Kürschnerausgabe von 1887 im Kapitel Goethes Erkenntnistheorie in Fragen der Erfahrung auch die Erkenntnistheo­rie Volkelts zu Wort kommt, wie bereits in den Grundlinien von 1886. Und sich gleichzei­tig (S. 5 ff) auch in Steiners Kom­mentierung des «Hymnus über die Natur» in dieser Kürsch­nerausgabe von 1887 derselbe Universalienrealismus offenbart wie in den Grundlinien. Goe­thes Hymnus wiederum fand dann seinen Weg auch in die Philosophie der Freiheit, (hier S. 20 f Kapitel II, Zweitauflage; respektive S. 28 f der Erstauflage, Kapitel III). Als erkenntniswis­senschaftlich zwar nur illustrie­render, aber gleichwohl exemplarischer und kei­neswegs zu­fälliger, wegweisender philosophi­scher Begleiter bei Steiners Suche nach den wir­kenden Kräften der Natur im eigenen Inneren, von denen schon in Goethes «Hymnus» und in Stei­ners Komment­ierung dieses Hymnus in der Kürschnerausgabe von 1887 ab S. 5 die Rede ist, als jenen geisti­gen Kräften, die der Natur und dem Menschen selbst zugrunde liegen. Hier, S. 28 f im drit­ten Ka­pitel der Erstauflage; hier S. 20 f im zweiten Kapitel der Neuauflage von 1918.

Beides, Idealismus und zeitgenössische Erkenntniswissenschaft ge­hört zu Stei­ners idealistis­chem und er­fahrungswissenschaftlichem Begründ­ungswerk im Um­feld der jün­geren idealisti­schen Strö­mungen seiner Zeit. Wobei er spezi­ell mit Blick auf die Idealisten in der Vorrede, S. 4 in Wahrheit und Wissens­chaft klar stellte, dass sie allesamt ohne Fun­dament da­stehen. Was natür­lich ebenso für den idealist­ischen «Erfahrungswissenschaftler» Goethe galt, der «ohne Funda­ment dastand». Da dieses notwen­dige Funda­ment bei den Idea­listen also nicht zu be­kommen war, mußte es «ei­genständig» von an­derer Seite besorgt wer­den. Spe­ziell in der Psy­chologie und dort wieder­um bei der Beobacht­ung des Den­kens, worauf Steiner nicht nur sein eigenes, son­dern auch das Funda­ment der Goethe­schen Weltan­schauung in den Grundli­nien von 1886 veranlagte. Die sich als erkennt­niswissenschaftliche Schrift ganz aus­drücklich als Grundlinien einer Er­kenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung ver­standen. Mit Mitteln allerdings diese Grundlinien und goe­theanistischen Er­kenntnisprinzipien gezeichnet, die eben nur in Teilen von Goethe stammen konn­ten. So weit, daß sich andere schon vor vielen Jahren aus dem Um­feld der Anthroposo­phen fragten, was denn diese Grund­linien «mit Goethe überhaupt zu tun haben?» (Es war, so weit ich weiß, Christoph Gögelein in seinem Buch über Goethes Begriff von Wissenschaft / alternativ hier aus dem Jahre 1972, S. 192.) In den ent­scheidenden Teilen nämlich werden diese Goetheschen Erkenntnisprinzipi­en von Steiner fundiert mit psy­chologischen Mit­teln, - der Er­fahrung und Beob­achtung des Den­kens, - die sich nicht bei Goe­the fan­den, son­dern bei der zeitgenössi­schen Psychologie Steiners und vor allem bei Jo­hannes Vol­kelt, auf den Steiner sich in Wahr­heit und Wissenschaft (hier S. 7) immer noch be­ruft.

Wer­ner Moser hät­te in seiner Art viel­leicht vom «Guru Denken» (S. 30 ff) ge­sprochen, bei dem das Funda­ment für die Idealisten und speziell auch für Goethe besorgt wer­den mußte. Nun gibt es den «Guru-Denken» auch nicht so ganz kostenlos und gratis ohne jede gedankli­che Ge­genleistung, sondern man muß schon wissen und in Erfahrung bringen, welche komple­xen Frage­stellungen überhaupt damit verbun­den sein kön­nen. Zum Beispiel Fragen um die in­nige Beziehung zwischen Kausalerklärung und Logik. - Siehe etwa dazu oben S. 208 ff, Karl Popper und der «Schuldscheinphysikalismus» des Erkennens. Wo Popper dieselbe Unmög­lichkeit einer (abstrusen) physikalistischen Kausalerklärung des Denkens und Erkennens be­hauptet wie Rudolf Steiner am Ende von Kapitel III der Philosophie der Freiheit. «Man kann nicht zu etwas kommen was das Denken bewirkt, wenn man den Bereich des Denkens verläßt», so Steiner dort im folgenschweren Einklang mit dem späteren Popper. - Wenn man indessen nicht so etwas und Vergleichbares, sondern nur wesenloses Zeug fragt, dann antwortet der «Guru Den­ken» nicht. Ist letz­teres aber der Fall, und hat man vernünf­tige und zielführende Fragen nicht zur Hand, dann läßt man selbst als «Anthroposoph» auch Steiners eigene Fragen um die Kausalität in aller Naivität einfach weg, und zu­gleich auch Stei­ners Kernfra­gestellungen aus dem Kausa­litäts-Kapitel 14 der Grundli­nien, oder den Kapi­teln Eins und Zwei der Philosophie der Frei­heit, oder aus der Schrift Von See­lenrätseln. Und be­ginnt beque­merweise gleich mit Ka­pitel Drei der Philosophie der Frei­heit weil die anderen Leitfragen Steiners weder interessieren noch überhaupt verstanden werden. Das kann man al­les in der Steinerre­zeption auch bei sehr nam­haften Ver­tretern beobachten. - Zu die­sen wirk­lich we­sentlichen Din­gen um Steiners unabhän­gige Goethere­zeption und Fundierung in der Erkenntniswissens­chaft dringt aber auch Herr Schieren leider nicht vor.



Eigenstän­dig Steiner, so weit es um sein eigenes erkennt­niswissenschaftliches Vor­haben geht, das sich wieder­um als eine Grundlegung von Goethes wissenschaftlichem Idealis­mus mit Mit­teln des 19. Jahrhun­derts versteht, die Goethe noch nicht zugänglich waren. Wie etwa die psy­chologische Erkennt­nistheorie eines Johannes Volkelt, der 1886 in den Grundli­nen eine maß­gebliche Rolle auch bei der erkenntniswissenschaftlichen Begründung des Goetheschen Idea­lismus spielte. Was ja 1897 dann als «Beobachtung von Denken, Weltgeschehen und Idee» in der Schrift Goethes Weltanschauung, S. 69 ff neuerlich zusammengführt wird. Wo Steiner indes­sen besonders deutlich nicht nur das Gemeinsa­me, sondern auch die Grenzen klar benennt, die zwischen ihm und Goethe liegen. Während Wahrheit und Wissenschaft ganz ausdrücklich un­abhängig von Goethe formuliert ist. Indes die Philosophie der Freiheit Goethes Naturverständnis zwar nennt, und sich daran S. 20 f vorsichtig anlehnt, aber nicht im begrün­denden Sinn. Anders ge­sagt: Man kann Steiners Frühwerk schlechterdings nicht nur auf sei­ne Goetherezeption redu­zieren, von dem er sich auch öffentlich ausdrücklich unabhängig ge­macht hat. Son­dern muß schon näher und differenzierter hinschauen, was er davon auf­greift und was er eigenstän­dig für sein persönliches erkenntniswissenschaftli­ches Frühwerk verwen­det, das sich wie gesagt auch als Grundlegung der Goetheschen Weltanschauung verstand. Sei es die Er­kenntniswissenschaft oder sei es Steiners Freiheitsphi­losophie, die ja nicht zu trennen sind.

Doch noch nicht einmal von Goe­thes Ideen­lehre ist bei Schie­ren angemessen die Rede. Die vom frühen Steiner in den Einleitungen / respektive in seiner Vorrede zu Bd 34 der Kürschnerausgabe, 1887, S. IV (GA-1, 1987, S. 120 ff) unter dem Hinweis aufgenommen wurde, ei­nen in­duktiven Weg zur Idee aufzu­tun, der dann über die Be­obachtung des Denkens ver­läuft, und nachfolgend besonders plakativ 1897 in Goe­thes Weltanschau­ung ge­zeichnet wurde, nebst S. 69 ff Steiners Differen­zen zu Goethe, die sich freilich in den Grundli­nien von 1886 schon ab­zeichneten. Während er seine Eigenständigk­eit von Goethe in Wahrheit und Wissenschaft (hier S. 6) öf­fentlich auch bekannt gab. Diese Dinge muß man schon auseinander halten, zumal eine eigen­ständige Erkenntnistheor­ie von Goethe wie gesagt ja nicht vorlag.

Der Nach­weis von wissenschaft­licher Konsis­tenz im Steinerschen Frühwerk und dessen Zu­sammenhang mit dem Forschungsumfeld seiner Zeit freilich ist Schie­ren völlig fern gele­gen und fremd, da er sich als Jünger Witzenmanns in den zurückliegenden Dezennien noch kaum darum bemüht hat. So daß ihm der Inhalt dieses Frühwerkes und dessen innerer Zusammen­hang au­genfällig auch keine vergleichbare Herzens­angelegenheit war, wie die Umstrittenheit von Steiner und des­sen Werk, das gleich als rhe­torischer Aufmacher initial hingepfahlt wird, als sei dies das Allerwichtigste und Leuchtendste an Steiner und seinem Werk, was bei ihm in der Erinnerung noch haften geblieben ist. Während zum ei­gentlichen In­halt dieser Frühschrif­ten Steiners (Grundli­nien / Einlei­tungen in Goethes naturwissenschaftli­che Schriften / Goethes Weltan­schauung) Schie­ren definitiv nichts Er­hellendes einfällt, mit dem sich erkenntniswis­senschaftlich irgend et­was Nennenswertes zum Verständnis Steiners anfangen ließe. Schon gar nichts zur erkennt­niswissenschaftlichen Konsistenz dieses Frühwer­kes. Er kommt nicht einmal wie Haane­graaff dar­auf, daß man die Grundla­gen Stei­ners viel­leicht einmal gründlich aufarb­eiten müsste. Oder gar dar­auf, daß die wissen­schaftliche Um­strittenheit Steiners viel­leicht an Leu­ten wie ihm (Schie­ren) selbst liegen könn­te, die sich seit Jahr­zehnten nie um die­ses Werk und seinen wissenschaft­lichen Aufbau küm­merten, sondern stattdessen um die Verbreitung Witzen­manns und die törichte / destruktive Substituierung Steiners durch Witzenmann.

Dabei hätte Schieren eigentlich längst klar sein müs­sen, daß die Beobach­tung des Den­kens und eine imma­nent psy­chologische Erkenntn­istheorie in Steiners Grundlini­en, die sich ausdrü­cklich an Stei­ners Zeitgenoss­en Johan­nes Vol­kelt anlehnte, nichts war, was man bei Goethe hätte ansie­deln kön­nen. So wenig wie eine dar­auf aufbauende Freiheitsphilo­sophie. Worauf Steiner in der Schrift Goe­thes Weltan­schauung von 1897 (S. 69 ff) eigens ganz expli­zit hin­weist, nachdem er sich in sei­ner Disserta­tion / Wahrheit und Wissen­schaft ausdrü­cklich als un­abhängig von Goe­the erklärt hatte, während er es faktisch ja in den maßgeblichen Teilen be­reits in den Grundlinien war. Und nachfolgend die Philo­sophie der Freiheit wieder­um le­diglich im zweiten Kapitel eine durchaus be­deutende Verbin­dung zu Goethes Naturver­ständnis schlägt in der literarischen Anlehnung an dessen «Hymnus über die Natur», wo es um die wirkenden Kräfte der Natur im eigenen Inneren geht. Dies wie gesagt allerdings nicht im begründenden Sin­ne, sondern im Kapitel II nur anlehnend. Ver­ständlich wird diese bloße An­lehnung, weil natürlich auch Goethes eigene Weltanschau­ung «ohne Fun­dament» dastand, wie all die restli­chen idealistischen Systeme dieser Zeit, wie Stei­ner in Wahrheit und Wissen­schaft reklamierte. So daß Steiner Goethe, dem er gleichwohl aus em­piristischen und idealisti­schen Gesichtspunkten aus­gesprochen nahe stand, ihm ein Fundament im Rückgriff auf die Mit­tel seiner eigenen Zeit zu ge­ben trachtete, auf die Goe­the seinerseits nie gekommen wäre. Auch zeitbedingt gar nicht hät­te kommen können, da es diese psycholo­gisch / erkenntniswissen­schaftlichen Mittel zu Goethes eigener Zeit noch nicht gab.

Wenn Stei­ner in Wahrheit und Wissenschaft (S. 37) die «intellektuelle Anschauung», - also das «Hellse­hen» re­spektive die «übersinnliche Wahrnehmung», - im reinen Denken ansiedelt, dann wäre Goethe darauf vermutlich nie verfallen. Und schon gar nicht über die systematische er­kenntniswissenschaftliche Beobachtung des eigenen Denkens, wie es bei Steiner mit Vol­kelts Hilfe dann der Fall war. Bei aller Hingezogenheit Goethes zur «Anschauenden Urteils­kraft» Kants (Kürschnerausgabe Bd. 33, 1884, S. 115 f), respektive dem «Intellectus archety­pus» oder «göttlichen Verstand» aus Kants Kritik der Ur­teilskraft bzw aus der Kritik der rei­nen Vernunft. Auf Steiners Lösung zudem, daß in jedem begrifflichen Denken ein Pro­zeß des «Hellsehens» bereits realisiert wird, wie es später besonders markant auch 1921 vor­tragsweise hier S. 300 f öffentlich gesagt wurde, darauf wäre Goe­the erst recht nicht gekom­men. So wenig, wie Goethe auf dieser erkenntniswissenschaftlichen Basis eine Lösung des Freiheits­problems angestrebt hätte. Wäh­rend Steiner seinerseits wiederum die Grundlinien von 1886, - also die Grundlinien einer Er­kenntnistheorie der Goetheschen Welt­anschauung, - als eine sichere und wesentliche «Zwi­schenstufe» zur eigenen «Geisteswissens­chaft» be­trachtet, wozu man gern von Herrn Schieren in diesem Vorwort zur SKA 1 etwas Substantielles gehört hätte, warum das wohl so ist. Siehe gleich nachfolgend.

Jedenfalls waren Pop­per und Ec­cles mit ihrer Physikalismus­kritik und der Nähe zur Psycholo­gie des Denkens sach­lich sicher­lich ent­schieden näher an Steiners Grundlagenfor­schung als drei Pro­fessoren, wo der eine et­was mit Idea­lismus und der andere etwas mit Esoterik studiert hat, und der dritte schließlich etwas mit Goe­the, Kant und Witzen­mann. Aber alle drei von Steiners Grundlagenkonzeption buchstäb­lich nichts ver­stehen.

Immer­hin aber the­matisiert Wouter Hane­graaff im Gegensatz zu Schieren ja noch sehr eindring­lich die notwendig­en Wis­senschaftskriterien und -ansprüche der An­throposophie als Forder­ung. Was man ihm hoch an­rechnen müsste, denn damit hat er ja vollkommen Recht, auch als Außenstehender. Zumal er sich damit bei al­lem Unver­ständnis auch besonders positiv und wohltuend von den dubiosen Anhän­gern Wit­zenmanns abhebt, wo das ja schon seit Jahren gar nicht mehr der Fall ist, und solche Forderun­gen nach gründlicher Steinerforschung nicht einmal mehr erho­ben werden. Weil es offensichtlich auch gar nicht im eigenen Interesse des Witzenmann-An­hangs liegt. - Bleibt nur die Schlußfolgerung: Denn wer will schon als Anhänger Witzenmanns soli­de Stei­nerforschung betreiben? Er würde ja Gefahr laufen, sich als Anhänger dieses Un­sinns durch eine ernsthafte Steinerforschung perma­nent selbst zu widerlegen! So daß, wenn dann beim «Wal­dorf-Binnen-Erzähler» Kaiser sol­che An­sprüche weder ver­standen noch über­haupt erho­ben werden, ihm das sicherlich einige Sympa­thien bei den Witzenmannvertret­ern von Info3 eingetragen hat. Weil bei Kaiser ganz außer­halb je­des Wis­senschaftsrahmens und ohne je­den Schimmer von derlei Begrün­dungen Steiners nur noch ganz akademisch wirr drauflos «gefabelt» wird. Und er damit ein gern gesehener Gast in der Provinz des Widersinns von Heis­terkamp, Da Veiga, Traub und Schieren ist.

Da wir nun gerade mit Herrn Hanegraaff bei Steiners Geheimwissen­schaft, GA-13, angelangt sind, die ja auch Gegenstand der SKA 8 ist, darf ich den Leser noch einmal nachdrücklich dar­auf hinweisen, dass Steiner im Methodenteil der Geheimwissenschaft im Umriß auf S. 343 ff energisch seinen Leser darauf hinweist, dass es einen sichereren Weg zu den über­sinnlichen Wahrheiten gibt. Der als «sicherer Zwischenschritt» wiederum, so Steiner dort, dar­gelegt sei in seinen Grundschriften Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschau­ung und Philosophie der Freiheit. Entsprechend und parallel dazu macht Steiner auch in der Philo­sophie der Freiheit in den Zusätzen von 1918 auf diese Tatsache hier auf den Seiten 180 f und auf dieses Zwischenstadium aufmerksam.

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Ulrich Kaiser

Vollkommen frei von jeder Wissenschaft geht es dann bei Kaiser zu, der buchstäblich keinen Hauch des Verstehens von dem hat, worüber er redet. Weder von der Philosophie der Freiheit von 1894, noch von jener von 1918, auf deren «seelische Beobachtung» er dann noch einmal auf S. 219 vordergründig betrachtend kommt. Wo er sich lediglich darüber wundert, wie es zu dieser Ti­telverwandlung gegenüber 1894 hat kommen können. Es fällt ihm buchstäblich nichts dazu ein, daß dies in der Sache selbst liegen könnte und sich gleichwohl an Inhalt und Methode der Schrift bis auf Ergän­zungen nichts verändert hat, da es immer noch um die selbe Angelegen­heit geht wie 1894. Sich allerdings die Zeitverhältnisse seit 1894 derart verändert hatten, daß diese Art seelischer Beobachtung jetzt auch akzeptierte Laboratoriums-Forschung geworden war, was 1894 so noch nicht der Fall war. So daß Steiner gute Gründe hatte, das eigens noch einmal im Untertitel besonders zu akzentuieren.

Es gibt zudem noch einen sehr speziellen Anlaß zu dieser markanten Hervorhebung der «seelischen Beobachtung» im Untertitel der Philosophie der Freiheit, den die Schrift Von Seelenrätseln (GA-21) besonders nahe legt, mit dem dort wiederholt erläuterten Begriff des «rein Seelischen» (S. 15 ff) respektive «seelisch Wesenhaftes» (S. 129 ff). Der nämlich spielt dort eine maßgebliche Rolle nicht nur bei der Wahrnehmung intimer seelischer Vorgänge im dortigen Kapitel Anthropologie und Anthroposophie. Sondern auch beim Erkennen, das sich vom Streben nach Wahrheit leiten läßt und sich demgemäß an den Gesetzen der Logik orientiert, die wiederum laut GA-21 keine leiblichen Gesetze sein können, sondern geistige.

Bevor ich auf den Inhalt etwas näher eingehe, möchte ich nur den Hinweis geben, daß die Schrift Von Seelenrätseln mit ihrer Behandlung des «rein Seelischen» zirka ein Jahr vor der Zweitauflage der Philosophie der Freiheit erschien. Und insofern die Philosophie der Freiheit dem Beobachten des Erkennens gewidmet ist, widmet sie sich gemäß der Schrift Von Seelenrätseln auch schwerpunktmäßig diesem «rein Seelischen», von dem bereits ein Jahr vorher schon die Rede war. Und zwar anläßlich von Fragestellungen, die Steiner in der Schrift Von Seelenrätseln ausdrücklich am Treffpunkt und im «gemeinsamen Forschungsfeld von Anthropologie und Anthroposophie» ansiedelt. Wohin ihrem Thema und Forschungsziel nach auch die Philosophie der Freiheit gehört. Auch wenn Steiner in der Philosophie der Freiheit den speziellen Terminus «rein Seelisches» nicht verwendet, ist verständlicherweise das in GA-21 genannte «rein Seelische» als Thema des Erkennens auch in der Philosophie der Freiheit behandelt und untersucht. Das werden wir in Kürze anschließend in Form eines kurzen Binnenexkurses noch etwas weiter verfolgen, der zur besseren Unterscheidung auch vom Format her etwas vom normalen Text abgehoben sein wird.



Es geht um seelische Beobachtungen, welche die Grundlage zu dem darstellen, woraus Kaiser dann nur noch seinen akademisch sich gebenden Erzählernonsens geformt hat, weil er eben al­les das nicht weiß, was zum wissenschaftlichen Verständnis Steiners nötig wäre. Nämlich, von die­sem Buch und von Steiners frühem Begründungswerk weiß Kaiser buch­stäblich nichts, und schreibt auch nichts, was überhaupt nur der Rede wert wäre. Darin scheint er mir ein sympto­matisches Beispiel dafür zu sein, was aus an sich nicht unklugen Waldorfleh­rern wer­den kann, die über die erkenntniswissen­schaftlichen Grundlagen der eigenen Waldorf­pädagogik buch­stäblich nichts brauchbares wissen, womit sie als wissenschaftlich Interessierte etwas anfangen könnten. Und dann aus ihrer Verständnisnot her­aus zu solchen Verständnisabwegen greifen, um das «Begrün­dungsrätsel» von Steiners Anthroposophie irgendwie und mit vollkommen unge­eigneten Mitteln auf eigene Faust zu lösen. Was alles nichts Neues in dieser Bewegung ist, wie ich hier schon auf S. 1238 ff erläutert habe. Was mir zudem eins der Kernprobleme auch dieser Waldorf-Pädagogik überhaupt zu sein scheint: Die weitestgehende Unbekanntheit ihrer wissenschaftlichen Grundlagen bei jenen, die sie ausüben und vertre­ten. Einschließlich Schieren, Da Veiga & Co. Das gipfelt am Ende wie bei Kaiser buchstäblich im akademisch maskierten Zerstörungs­werk. Und ist damit die Kehrseite dessen, was im Zusammenhang mit der SKA vorhin moniert wurde. Worin mir Herr Clement auf seine Art sogar mit seiner in die SKA 1 Recht gibt: Daß Steiners Erkenntnisgrundlagen viel zu wenig bekannt sind. Selbst bei den eigenen langjährigen Mitarbeitern und führenden Vertretern dieser Bewegung sind sie nicht bekannt, wie wir anhand von Kaiser, und bei DaVeiga und Schieren sehen.

Werden wir etwas konkreter: Noch nicht einmal Steiners Brief­wechsel mit Rosa Mayreder wird von Kaiser nä­her ins Auge ge­faßt, aus dem das Stichwort «Erzäh­ler» stammt, das dann bis in die Höhe sei­ner Titelgebung vom Er­zähler Rudolf Steiner aufgestie­gen ist. Dieser Sachzu­sammenhang des Briefwechsels interessierte den Verfasser Kaiser ebenfalls gar nicht, sondern wird ausnahmslos weg­gelassen. Was Kaiser im Zusammenhang mit Rosa May­reder und Stei­ners Briefwechsel mit ihr unter dem Stichwort «Erzähler» auf S. 217 ff vorlegt, macht sich gar nicht erst die Mühe, den näheren Anlaß von Steiners «Erzähler-Antwort» auf Mayreders Vor­schlag im Brief Nr. 379, GA-39, S. 387 einzubeziehen, in dem es hieß: „Aber ich glaube fast, Ihr Werk wird erst eine allgemei­nere Wirkung üben, wenn Sie aus jedem Kapitel desselben ein ganzes Buch machen.

Aus jedem Kapitel soll Steiner laut Mayreder ein ganzes Buch machen! - Mayreders umfangreicher Erweite­rungs-Vorschlag in diesem Brief folgte aus dem unvollständi­gen, gedrängten Inhalt der Schrift Phi­losophie der Freiheit. Aus ihrer «lapidaren Kürze». Das bestätigte Steiner ihr unum­wunden im Antwort­brief Nr. 402, S. 232. Während bei Kaiser nicht einmal Mayreders Brief, der ja den Anlass für Stei­ners Zu­stimmung und dessen Selbsteinschätzung als «Erzäh­ler» gab, einer nä­heren Be­trachtung unter­zieht. Und ebenso wenig Steiners Antwortbrief, mit Ausnahme der zwei zitier­ten «Erzählersätze». Bei Kaiser schäumte also die Fantasie, während ihn der zu­grunde liegen­de Sachverhalt und die Tatsachenkonstellation um die Philosophie der Freiheit gar nicht inter­essierte, auf dem er seine Kreation vom «Erzähler Rudolf Steiner» an dieser Stelle aufbaut. Der gesamte Sinn­zusammenhang um diesen Briefwech­sel, - das ist der Inhalt der Philo­sophie der Freiheit ein­schließlich Briefwech­sel, - fehlt bei Kaiser. Er stellt sich gar nicht die Frage, warum das Buch in beider Augen wohl viel zu kurz ist, und warum Steiner seiner Briefpartne­rin mit Blick auf den vorläufigen und viel zu kurzen Inhalt rundheraus Recht gibt. Stattdessen prä­sentiert Kaiser le­diglich als Ausschnitt aus diesem gesamten Briefwechsel den Briefpassus von Steiner: „Ich lehre nicht; ich erzähle, was ich innerlich durchlebt habe. Ich erzähle es so, wie ich es gelebt habe.“ Woraus Kaiser auf S. 217 ohne jeden weiteren Hintergrund folgert:Wichtig ist ihm [Steiner, MM] zu­nächst die Unterscheidung von Lehren und Erzählen. Und indem er das Erzählen gegenüber dem Lehren bevorzugt, macht er zugleich zweierlei deutlich: Seine Haltung ist erfahrungsori­entiert, er möchte seine eigene, nicht nur er­lebten, sondern – tiefer noch gelebten Denk-Erfah­rungen sichtbar machen. Und er möchte auf jeden Gestus der Belehrung verzichten. …“.

Ganz vordergründig läßt sich das natürlich so sa­gen, daß Steiner nicht belehren möchte, denn so steht es ja auch im Brief. Was freilich die Fra­ge um den großen Rest und den Gesamtzu­sammenhang des Briefwechsels nicht beantwortet. Im Gegenteil, denn damit erst fangen die qualifizierteren Fragen an. Es fragt sich eben, was in den Briefen sonst noch steht. Vor allem aber stellt sich die Frage, warum Stei­ner zwar in der be­sprochen Schrift nicht beleh­ren möch­te, aber es als Möglichkeit ausdrücklich auf später ver­tagt. Er hat also durchaus Lehransprü­che. Aber eben jetzt und in diesem Buch noch nicht. Und die leicht aus dem Gesamtzusam­menhang zu beantwortende Frage lautet: Warum das im Fall des Bu­ches noch nicht so war, und Lehran­sprüche dort noch nicht geltend gemacht werden (konn­ten)? Die noch weiter ge­hende Frage lautet dann, warum Kaiser den gesamten Zusam­menhang dieses Briefwechsels um Steiners Schrift, nach dem jeder ernsthafte Leser fragen würde, warum ausgerechnet Kai­ser ihn in sämtlichen Einzelheiten wegläßt?

Dazu nun, zur Klärung dieser Frage nach einem künftigen Lehrinhalt der Schrift und zur Er­zählerfrage überhaupt, gehört die Kenntnis die­ser Schrift Philosophie der Freiheit und ihrer Fragestellung, weil Mayre­der und Steiner sich darauf beziehen. Und nur darauf. Man kann also an ihrem Wechselge­spräch in den Briefen nicht mit Verständnis teil­haben, wenn man den Ge­genstand und seine Problemzonen gar nicht kennt, um den es dabei ging, und was sie zu die­sen ihren Bewertun­gen und Prognosen auf kommende Möglichkeiten brachte. Das wäre die Minimalvoraussetzung, um ihre Einschätzungen dazu überhaupt verstehen, und vor allem aber bewerten zu können. Das freilich liegt nicht im Auf­merksamkeitsfokus von Herrn Kaiser. Es interessierte ihn gar nicht, was in der Philosophie der Freiheit stand und was sie dazu sag­ten. Damit fehlte ihm jede Urteilsgrundlage zur Bewertung dieses Briefwechsels. Was einen als Leser nicht weiter wun­dert, weil schon Steiners Erkenntniswissenschaft im allgemeinen Kaiser nicht interessier­te. Also auch nicht die Frage, was in dem Briefwechsel mit Mayreder über Steiners Erkenntniswissenschaft und Freiheitsphilosophie be­handelt wurde, und warum Stei­ner speziell in diesem Buch nicht belehren möchte, weil dem Interpreten Kaiser die Erstaufla­ge der Philosophie der Freiheit als zentraler Ge­sprächsgegenstand der beiden Briefpartner am Inter­essenshorizont vollständig vorbei ging, und damit auch Inhalt und Gegenstand ihres Brief­wechsels. Kaiser hatte von all dem buchstäblich keine Ahnung und auch gar kein Interes­se daran. So eilt dann die Fanta­sie Kaisers aus dem blauen Dunst heraus von Ge­danke zu Fol­gerung und neu­er Vermutung weiter, ohne sich über­haupt um den konkreten Hin­tergrund und die Aussa­gen des Brief­wechsels zu kümmern. Folglich interessiert es ihn auch nicht, was Stei­ner selbst zur Frage des Belehrens und über zukünftige Lehrabsichten sagt. Das Desinteresse an jedem Verständnis für Steiners eigene ausdrückliche Begründungen und Vorhaben steht hin­ter Kai­sers Passage um den Brief­wechsl. Anti-Hermeneutik ge­wissermaßen! Als Analysere­sultat, ge­stützt auf so wenig Materi­al, um nicht zu sagen: fast gar kein Ma­terial, ist das unsub­stantiiert und leer. Zumal der viel nä­her liegende Anlaß für das Wort vom «Erzähl­er» gar nicht erst in Betracht gezogen wird, obwohl er infolge des Brief­wechsels gera­dezu auf der Hand liegt.

Von «Denk-Erfahrungen», wie Kaiser das erläutert, spricht Steiner nicht einmal explizit im Antwortbrief. Und es waren ja noch andere berichtete seelische Erfahrungen dabei, wie Frus­tration und Verzweiflung so­wie Zuversicht und Freude über einen bedeutenden Fund, der frei­lich zunächst nur für ihn per­sönlich galt. Von dem er aber be­gründet meinte, daß man daraus künftig etwas wissenschaft­lich außerordentlich Anspruchsvol­les machen kann. Weswegen der Weg zu diesem Fund in seinen Augen auch unbedingt das Recht hatte, anderen mitgeteilt zu wer­den, bevor der Inhalt der Schrift ein sehr gut validierter Lehrgegenstand geworden ist. Was dort also nachvollzieh­bar im Briefwech­sel von beiden Briefpartnern thematisiert wurde, sind Werdeprozesse einer Forschung, die, bevor sie vollständig heran­- und ausgereift ist, sich im Stadium des Unabge­schlossenen und der Vor­läufigkeit befindet. Steiner standen die Gren­zen des im Buch Erreich­ten und das noch zu Leistende ziemlich klar vor Augen, das wird in diesem Briefwechsel aus­gesprochen plastisch dargelegt.

Im Wissenschaftbetrieb geht es übrigens regelmäßig so zu. Es ist gera­dezu das Standardform­at für bedeutende Entdeckungen. Erst kommen die Ideen, dann erste Aufsätze zu diesem For­schungsgegenstand, dann Bücher und andauernd Streit bis hin zur Verleum­dung. Und manch­mal zum Schluß der Nobelpreis. Wo dann manche bedeuten­den Entdeckun­gen während vieler Jahrzehnte und oft auch jahrhundertelang sich durchkämpfen müs­sen, bis aus ei­nem individue­llen Er­kenntnisfund schließlich ein ausgereifter Lehrgegenstand auch für die Universi­täten gewor­den ist. Ein simples Beispiel dafür ist Alfred Wegeners Plat­tentektonik, deren Kei­me bereits um etwa 1910 heranreiften. Während sie als wissenschaftli­che Lehrmeinung erst ab den 1960er Jahren begann sich akademisch durchzuset­zen. Im erfah­rungswissenschaftlichen Be­trieb ist so etwas ein ganz gewöhnlicher Vorgang, dem der nam­hafte Thomas Kuhn ein ein­gehendes Buch über die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen gewidmet hat. So war das auch bei Steiner. Da keimte in ihm nach viel Vorarbeit eine bedeutende Lösung für das Frei­heitsproblem. Und die machte er öffentlich, weil er ihr begründet außerordentliche Zukunfts­chancen ein­räumte, trotz ihrer eingestandenen Vorläufigkeit. Von so etwas sprechen die bei­den Brief­partner Mayreder und Steiner. Weil ihnen beiden, im Gegensatz zu Kaiser, diese Sachlage vollkommen klar war: Jede (große) Forschungsidee und Problemlösung kann zu Be­ginn ganz naturgemäß nur eine vorläufige sein.

Zumal es bei ei­ner Freiheitsphilosophie ja nicht nur um Erfah­rungen des Denkens geht, son­dern vorrangig um die erkennende Lösung der vielschichtigen wissen­schaftlichen Problemlage mit der menschlichen Freiheit. Daß diese Klärung als Erkenntnisklärung wieder­um ein persön­liches Erlebnis ist, das ist ebenfalls trivial. Wie sollte das anders sein? Wenn aber nun Steiners ganz persönliche Klärung der Freiheitsfrage noch nicht den Status eines aus­gereiften Lehrin­haltes erreicht hat, wie Steiner unverkennbar im Brief ausspricht, dann ist es einleuchtend und ebenso trivial, wenn der Buch- und Briefschreiber Steiner sich auch nicht als «lehrender» Übermittler eines solchen reifen Lehrinhaltes versteht, weil der eben noch gar nicht vorhanden ist. Sondern die Dinge in ihrer Vorläufigkeit und auf dem zunächst nur persönlichen Klärungs­niveau darstellt, wie sie eben wa­ren.

So Steiner im Antwortbrief an Mayreder: „Sie sagen mir: das Buch ist zu kurz; es hätte aus jedem Kapitel ein Buch gemacht werden sollen. Ich kann dieser Bemerkung, sofern sie objektiv ge­meint ist, nicht widersprechen. Die Erklärung dafür ist aber in meiner Subjektivität gegeben. Ich lehre nicht; ich erzähle, was ich innerlich durchlebt habe. Ich erzähle es so, wie ich es gelebt habe. Es ist alles in meinem Bu­che persönlich gemeint. Auch die Form der Gedanken. Eine lehrhafte Natur könnte die Sache erweitern. Ich vielleicht auch zu seiner Zeit. Zunächst wollte ich die Biographie einer sich zur Freiheit emporringenden Seele zeigen. Man kann da nichts tun für jene, welche mit einem über Klippen und Abgründe wollen. Man muß selbst sehen, darüberzu­kommen. Stehenzubleiben und erst anderen klarmachen: wie sie am leichtesten darüberkom­men, dazu brennt im Innern zu sehr die Sehnsucht nach dem Ziele. Ich glaube auch, ich wäre gestürzt: hätte ich versucht, die geeigneten Wege sogleich für andere zu suchen. Ich bin mei­nen gegangen, so gut ich konnte; hinterher habe ich diesen Weg beschrie­ben. Wie andere ge­hen sollen, dafür könnte ich vielleicht hinterher hundert Weisen finden. Zu­nächst wollte ich von diesen keine zu Papier bringen. Willkürlich, ganz individuell ist bei mir manche Klippe übersprungen, durch Dickicht habe ich mich in meiner nur mir eigenen Weise durchgearbei­tet. ...“ - Steiner an Rosa Mayreder im Antwortbrief Nr. 402. Das spricht für sich.

Da wird alles angegeben, was man im Zusammenhang mit bedeutenden Entdeckungen auch wissenschaftsgeschichtlich studieren kann: Bis eine große und zielführende Forschungsidee nach möglichst allen Seiten hin abgesi­chert und akzeptiert ist, braucht es einen sehr langen Atem bei dem, der sie verfolgt. Mit allen Phasen der Ungewißheit und Unvollständigkeit, die das für den Forscher mit sich bringt, und wie es Steiner auch in seinem Brief an Mayreder sehr plastisch zum Aus­druck brachte. Daß er sich da nicht als Verfasser eines Lehrbuches ver­steht und folglich auch nicht als Lehrenden, sondern als Berichterstatter und Erzähler über sei­nen persönlichen For­schungsweg, das ist ganz selbstverständlich, und nur ein Zeichen dafür, daß ihm jeder Anflug von wissenschaftlichem Größenwahn fehlte: Also ganz und gar kein Lehr­buch, und folglich Steiner auch kein Lehren­der. So einfach liegen die Verhältnisse um den «Erzähler» Rudolf Steiner in diesem Brief­wechsel. Jeder andere ernstzunehmende Forscher würde zu Beginn eines umfassenden Forschungsvorhabens oder eines laufenden anspruchsvol­len Pro­jektes doch ebenso verfahren, und nicht gleich im ersten zusammenfassenden Buch darüber Lehransprüche anmelden. Sondern die eines ernsthaften Berichterstatters über dieses Erkenntnis-Projekt, von dem er persönlich sehr überzeugt ist, und das er substantiell und mit sehr guten Gründen für zielfüh­rend hält.

Der Mann, Naturwissenschaftler und Goetheforscher, der er war, wußte sich selbst, seine Leis­tung und noch fehlende Bestandsstü­cke auf dem Feld seiner Freiheitsforschung, im Gegensatz zu vielen sei­ner Anhänger und In­terpreten, sehr gut einzu­schätzen. Weil er einen soliden Be­griff von Wissenschaft, von der For­schungslage und ihren Problemstellungen hatte. Auch ganz im Gegensatz zu vielen seiner An­hänger und Interpreten. Daß er da wo­möglich noch an viel weitergehende Ziele dachte, die über die Freiheitsforschung beträchtlich hin­ausgingen, wie er es 1921 in seinem Stuttgarter Rechtfertigungsvortrag (GA 255b, S. 295 ff) erläuterte, ist eben­falls denkbar, muß aber jetzt nicht unbedingt behandelt werden, weil wir das bereits wieder­holt besprochen haben. Nur der Hinweis:

Abgesehen vom Physikalismusproblem aus dem ersten Kapitel / (zweites der Erstauflage) be­ginnt das bereits mit der Fra­ge nach dem Ursprung des Denkens. Ebenfalls aus dem ersten Ka­pitel (zweites der Erstaufla­ge), zu dem es ja reichlich Anlass zu fragen schon in den Vorgän­gerschriften aus der idealisti­schen Sicht gegeben hat. Denn wenn das menschliche Denken der «tätige Gedan­kengehalt der Welt» ist, wie es bereits 1886 im Kapitel 8, S. 43 f der Grundlini­en hieß, dann bekommt der Ursprung des Denkens natürlich einen Frageimpuls, der in Rich­tung «in­duktive» For­schung zur «wir­kenden Idee» und zur späteren Anthroposophie deutet. Wie Stei­ner das ja auch in den Anmer­kungen zur Neuauflage der Grundlinen (hier, S. 142) von der Psychologie hervorhob. Wie es wiederum auch in der Schrift Goethes Weltanschau­ung von 1897, S. 69 f ganz ausdrücklich formuliert wurde, wo der «Beobachter des Denkens das Weltgeschehen durchschaut, und die­ses die Idee selbst ist». Steiner dort wörtlich: „Wenn auch die Ideen der Inhalt dessen sind, was in den Dingen wirkt; zum erscheinenden Dasein kommen sie durch die menschliche Thätigkeit. Die eigene Natur der Ideenwelt kann also der Mensch nur erkennen, wenn er seine Thätigkeit anschaut. Bei jeder anderen Anschauung durchdringt er nur die wirkende Idee; das Ding, in dem gewirkt wird, bleibt als Wahrnehmung außerhalb seines Geistes. In der Anschauung der Idee ist Wir­kendes und Bewirktes ganz in seinem Innern enthalten. Er hat den ganzen Prozeß restlos in seinem Innern gegenwärtig. Die Anschauung erscheint nicht mehr von der Idee hervorgebracht denn die Anschauung ist jetzt selbst Idee. Diese Anschauung des sich selbst Hervorbringenden ist aber die Anschauung der Freiheit. Bei der Beobachtung des Denkens durchschaut der Mensch das Weltgeschehen. Er hat hier nicht nach einer Idee dieses Geschehens zu forschen; denn dieses Geschehen ist die Idee selbst. Der Mensch, der diese in sich selbst ruhende Thätig­keit anschaut, fühlt die Frei­heit.“ - Das ist jetzt wieder weit stärker an den Idealismus Goethes ange­bunden als es die Phi­losophie der Freiheit war. Die Nähe zur Philosophie der Freiheit und zum restlichen Begrün­dungswerk indessen ist in sämtlichen Ein­zelheiten unüber­sehbar. Auch die Nähe zu Stei­ners Rechtfertigungsvortrag von 1921 in GA-255b, S. 294 ff ist damit gegeben. Wo Steiner seine frühe erkenntniswissenschaftliche Forschung zur «Leibfreiheit des Denkens» besonders her­vorhebt. Als wissenschaftliche Voraussetzung seines späteren anthroposophischen Schulungs­weges, der sich dann ausdrücklich an dieser «Leibfreiheit des erkennenden Den­kens» orien­tiert. Wo es letztendlich dann um «Todesforschung» geht, wie Steiner das später regelmäßig im Zu­sammenhang mit den Zielen und Erfahrungen des Schulungsweges dargelegt hat. Siehe dazu aus­führlicher hier, S. 1210 ff. Die spätere empirische «Todesforschung» des Anthroposop­hen Steiner ist wissen­schaftlich begründet im Nachweis der «Leibfreiheit des er­kennenden Den­kens». - Was ich da­mit schlußendlich sagen will, ist: Daß bei komplexen For­schungsfragen die­ser Art die Pro­blemlage nicht auf annähernd dreihundert Seiten abgehan­delt und auch noch zufriedenstell­end be­wältigt werden kann, das sollte eigentlich jedem ein­leuchten, der sich da­mit schon ein­mal aus­einandergesetzt hat, und im übrigen kein traumtan­zender Fan­tast ist.

Wie man die Sache auch betrachtet. Ob allein das Freiheitsproblem für sich genommen, oder weitaus mehr, wie die darauf aufbauende spätere «Todesforschung» Steiners: Auf jeden Fall haben wir es laut Briefwech­sel und seinem Gegenstand, bei der Schrift Philosophie der Frei­heit, mit einem außerordent­lich anspruchsvollen Forschungspro­jekt zu tun. Das prall gefüllt war mit Forschungsfragen, schon über die Vorgängerschriften. Und das, lange bevor irgend ein an­throposophischer Schu­lungsweg anhand dieser Forschung entwickelt war.

Daß so ein wissenschaftlich-freiheitsphilosophischer Klärungsprozeß ein persönliches Erlebnis ist, das ist zunächst einmal wie gesagt: vollkommen trivial. Aber dabei bleibt es ja nicht, son­dern Steiner spricht ganz ausdrücklich auch von der Unvollständigkeit dieses persönlichen Klärungsprozesses. „Ich glaube auch, ich wäre gestürzt: hätte ich versucht, die geeigneten Wege sogleich für andere zu suchen. Ich bin meinen gegangen, so gut ich konnte; hinterher habe ich diesen Weg beschrieben. Wie andere gehen sollen, dafür könnte ich vielleicht hinter­her hundert Weisen finden. Zunächst wollte ich von diesen keine zu Papier bringen. Willkür­lich, ganz individuell ist bei mir manche Klippe übersprungen, durch Dickicht habe ich mich in meiner nur mir eigenen Weise durchgearbei­tet.“ - Um es noch einmal zu wiederholen: das Buch hat auch in Steiners Selbstverständnis noch nicht die Reife eines freiheitswissenschaftli­chen Lehrge­genstandes, sondern stellt erst einen persönlichen Anlauf in diese Richtung «Lehrgegenstand» dar. Der, das wird ja ebenfalls angedeutet, zu passender Zeit dieses Niveau auch erreichen kann: „Eine lehr­hafte Natur könnte die Sache erweitern. Ich vielleicht auch zu seiner Zeit. Zunächst wollte ich die Biographie einer sich zur Freiheit emporringenden Seele zeigen.“ -

Steiner «erzählt» in dem Buch lediglich seine persönlichen Erkenntniserlebnisse respektive seinen Erkenntnisweg bei einer der­art vorläufigen Lösung des Freiheitsproblems, die wegen dieser ihrer Vorläufigkeit noch kein wissenschaftliches Lehrgut sein kann. Dazu nämlich ge­hören umfangreiche weitere Abklärun­gen und inhaltliche Erweiterungen: «Ein Buch pro Kapi­tel», wie Mayreder meinte. Steiner überträgt die Reifung und Erweiterung dieses unvollständi­gen Klärungsprozesses auf spätere Zeiten. Später, so viel deutet er damit an, könnte «aus je­dem Kapitel ein Buch» gemacht wer­den, wie es Mayreder mit seiner eigenen Bekräftigung vorschlug. Damit wäre die Angelegen­heit dann auch ein ausgereifter Lehrgegenstand, den man mit der entsprechenden sachlichen Berechtig­ung auch lehren kann. An eine «lehrhafte Natur» denkt er dabei. Und eben auch an sich selbst «zu passender Zeit». So viel bringt er zum Ausdruck. Nicht viel mehr, aber auch nicht viel weniger. Das ist alles aus der Sache selbst heraus ganz plausibel und angemessen.

Daß dem so ist, und der angestrebte «Lehrgegenstand», der mehr wäre als eine bloß «persönli­che Erkenntniserzählung», daß dieser erst über eine entsprechende Erweite­rung vom Niveau «ein Buch pro Kapitel» erreicht werden kann, dieses Einverständnis zwi­schen Mayreder und Stei­ner wäre für einen Interpreten des Briefwechsels qualitativ freilich erst aus dem verstande­nen Inhalt der Phi­losophie der Freiheit und der dort behandelten Problemlage um die mensch­liche Freiheit nachzuvollziehen und zu bewerten. Anhand der dort behandelten Sachfragen, die ja in den ersten und späteren Kapiteln artikuliert werden. Problemlagen und Herausforderun­gen übrigens, die wahrhaft gewaltig waren, nicht nur in dieser Zeit. Das alles aber liegt ganz außerhalb des Horizonts von Herrn Kaiser, der stattdessen zusammen mit dem Verlag Info3 aus seinem eigenen Unverstand ein wissenschaftliches Prinzip macht.

Man muß sich doch nur die Fra­ge stellen: Wie weit ist es Steiner in der Erst­auflage der Philo­sophie der Freiheit gelun­gen, die in dieser Schrift vorge­legten programmati­schen Eingangsfra­gen mit Blick auf «Frei­heit und Naturnotwendigkeit», «Ursprung des Den­kens» und «wirken­de Kräf­ten der Natur im Inneren», «Erkenntnis des Denkens» der ersten und späte­ren Kapitel zufrie­denstellend einzulösen? Und was wäre gegebe­nenfalls zusätzlich noch an Detailklärung nötig gewesen, damit daraus ein wissenschaft­licher Lehrgegen­stand geworden wäre und nicht nur eine «vor­läufige Erzählung» über einen persönlichen wissenschaftlichen Klärungs­prozess um die Frei­heitsfrage? Das scheint mir der primäre Maßstab zu sein, mit dem man den Brief­wechsel mit Mayreder hätte verständlich erläutern können. Ohne die inhaltliche Klärung der Philo­sophie der Freiheit geht das freilich in gar keinem Fall, weil man sonst ihre beiderseiti­gen Be­wertungen der Philosophie der Freiheit und den Grad der Unvollständigkeit des Bu­ches gar nicht ermessen kann, wenn man weder das behandelte Buch, noch die Problemstellen darin kennt, von denen sie sprechen. Und die Steiner zumal mit Blick auf sich als «Erzähler» andeu­tet.

Eine solche inhaltliche Betrachtung der Phi­losophie der Freiheit, die ihm den geeigneten wissenschaftlichen Bewertungsmaßstab zwecks Beurtei­lung des Briefwechsels hätte an die Hand geben können, fehlt allerdings in Kaisers Buch komplett. Stattdessen eine rigide Form von De-Kontextualisierung, die selbst auf jeden näheren Sinnzusammenhang eines kleinen herausgeris­senen Textfragmentes pfeift. Wo der Leser ohne jede Chance ist, sich ein eigenes Ur­teil über Kaisers Erzählervorstellung zu bilden, weil ihm auch sämtliche entscheidenden Stellen des Briefwech­sels vorent­halten werden. Wo nämlich bis auf ein winziges Zitat der ge­samte Brief­wechsel von beiden Briefpartnern fehlt, der ihre darin geäußerten Auffassungen erst verständ­lich machen kann. Mayreder fehlt gänzlich und Steiner fast zur Gänze. Und die Philosophie der Freiheit fehlt als Gesprächsinhalt und Gegenstand der beiden Briefpartner oh­nehin komplett. Abge­sehen von zwei minimalen und ohne den Kontext aussagelosen Sätzen aus Steiners Antwortbrief wird aber eine nä­here Erläuterung über den Anlaß und Inhalt dieses Briefwechsels nicht vor­gelegt, um ein weit­reichendes Urteil über den «Er­zähler Rudolf Stei­ner» zu substantiieren. Zum Verständnis und als Urteilsgrund­lage des Lesers aber lan­gen ein paar aus dem Zusam­menhang gerissene Text-Brö­sel, die da von Kaiser hingeworfen werden, nun einmal nicht hin.

Was wir hier vorliegen haben, ist eine weitestgehend sinnfreie Interpretations-Erzählung, die sich lediglich an zwei herausgelösten Sätzen aus Steiners Antwortbrief festklammert, und sich in keiner Weise um den Gesamtzusammenhang dieses Briefwechsels und gar um seinen litera­rischen Anlaß bemüht. Wie gesagt: Anti-Hermeneutik. - Die Interpretati­on be­rücksichtigt ja noch nicht einmal den näheren In­halt des Steinerschen Antwortbriefes. Denn kei­neswegs ist es so, dass Steiner «nicht lehren» will. Sondern er will es nur in diesem Buche nicht, weil es, wie Mayreder offen mit Steiners Zu­stimmung ausspricht, viel zu unvollständig ist. Deswegen ver­tagt Steiner das Lehren ver­nünftigerweise auf später: „Eine lehrhafte Natur könnte die Sache erweitern. Ich vielleicht auch zu seiner Zeit.“ (GA-39, Brief Nr. 402, S. 232)

Mit Hermeneutik hat die am Briefwechsel de­monstrierte Fabel um den «Erzähler» Steiner nichts zu tun. Mit De­konstruktion / Zerstö­rung, Unverstand und frei flatternder Fantasie indes­sen sehr viel. Aber schon gar nichts mit der Phi­losophie der Freiheit und ihrem Verständnis, denn die kommt in Kaisers Buch bis auf we­nige, winzigste zusammengestoppelte Erwähnun­gen inhaltlich gar nicht vor. Sondern ist mit ihrem wissenschaftlichen Hintergrund und dem Briefwechsel darum dem Erzähler Kaiser ebenso wurscht wie seinem Verlag und seinem Lektor. Die wiederum den beklagenswerten Steiner dann zusam­men mit der armen Mayreder auf das Deckblatt der kai­serlichen Traumtänze hievten, die mit Steiners Philosophie der Frei­heit so wenig etwas zu tun haben, wie mit dem Briefwechsel zwischen Steiner und Mayreder. Ein weniger freundlicher Zeitgenosse würde dazu sagen, dies sei entweder ein Resultat von vollendetem Unverstand und Pfusch, oder einfach nur philosophische Falschmünze­rei. Im Re­sultat macht das keinen nennenswerten Unterschied. Sondern allenfalls mit Blick auf die Moti­vationslage der jeweiligen Stümper.

Denn das scheint mir jetzt fast noch bemerkenswerter zu sein als der zusammenhan­glose Buchinhalt von Kai­ser selbst: nämlich die chaotisierenden Intentionen beim Verlag, der sol­chen Schmarrn Kaisers auf den Markt warf. Denn diese im höchsten Maße unvollständige, un­solide und verständnis­lose Anbindung an den Brief­wechsel mit Mayreder stammt zwar von Kai­ser, wird aber vom Verlag Info3 sang- und klanglos wie ein Aushängeschild für die Titel­gebung übernommen. Die damit schon auf dem Buchdeckel und den Seiten 4 und 5 signali­siert, Kaisers Buch habe irgend etwas mit Stei­ners Philosophie der Freiheit zu tun. Obwohl diese Schrift Steiners in dem Buch Kaisers definitiv nicht behandelt wird. Weder quanti­tativ noch qualitativ. Und schon gar nicht auf eine Wei­se, wo es ernsthaft um ihr Verständ­nis geht. Die wenigen zusammenhanglosen Sätze, die von Kaiser dazu hinterlegt wurden sind der Rede nicht wert. Da werden also vom Verlag Info3 weit­hin sichtbare falsche Fährten für den Leser ge­legt, die ins Nichts führen. Und das unter dem vorder­gründig plakatierten La­bel: «Philoso­phie der Freiheit».

Während das ganze Buch, das kann man anhand von Kaisers eigenem angeblichem «Klä­rungsprozedere» exemplarisch ersehen, buch­stäblich nur auf Sand gebaut ist. Ohne jedes Be­mühen um Sinnzusammenhänge. Sowie ohne je­des Verständ­nis für, und ohne jede Intention um Verständ­nisgrundlagen auch beim Verlag. Wo auch von Steiners Briefwechsel mit Mayre­der bei Kaiser per­sönlich nirgend­wo die Rede ist, so daß sich daran irgend ein ernsthaf­ter Ver­such um Klä­rung des Sachverhal­tes überhaupt ablesen ließe. Wie auch nirgendwo in diesem Buch in ei­nem ernsthaf­ten Sinne davon die Rede ist, daß Stei­ners Anthroposophie eine er­kenntniswissenschaftliche Begrün­dung hat, dem er ernsthaft nachgegangen wäre. Das Thema «Er­kenntniswissenschaft und Be­gründungswerk Steiners für die Anthro­posophie» ist ihm dem Buch zufolge fast noch nie über den Weg gekom­men. Geschweige denn, daß er sich auch nur entfernt und ah­nungsweise damit auskennen und dazu etwas schreiben würde. Keinen einzi­gen Fingerzeig dazu gibt es in seiner Schrift, sondern Steiners Erkenntniswissenschaft glänzt dort durch weitgehende Abwesenheit. Wie diese ja ganz analog bereits in der ominösen Paraphrase Traubs und DaVeigas von Steiners Vorrede von 1918 durch vollständige Abwesenheit glänzte, obwohl Steiner sie in dieser Vorrede ausdrücklich als sein Ziel und Inhalt anführte. Das aller­dings scheint mir über­haupt das Aus­sagekräftigste an dieser Schrift zu sein: Daß Kaiser unter diesen Vor­aussetzungen trefflichen Grund hatte völlig zu­sammenhangloses Material über Stei­ner und dessen ver­worrene Rezepti­on einzusammeln, wo ihm selbst jeder Maßstab für den Zu­sammenhang fehlt, um Steiner und dessen Forschung überhaupt nur von Fer­ne ein­ordnen zu können. Das nämlich ist symptomatisch auch für die zahllosen Beispiele, die er selbst bringt. Es fehlt jeder herme­neutisch ernst zu nehmende Maß­stab in seiner Abhand­lung. Bleibt bei Kaisers Er­zählungen letzthin nur die Frage, was sein Buchtitel überhaupt mit der Philosophie der Frei­heit zu tun hat. Denn dieser Angelegenheit ist er gar nicht nach­gegangen. Es sei denn, er ist so verwegen und betrachtet seine wenigen dahingeworfenen Bemerkungen über zwei Sätze aus Steiners Briefwechsel als sachliche Verbindung dorthin.

Aussagekräftig freilich ist daher der ebenso verworrene hintere äußere Klappentext vom Info3 Verlag, dessen Verfasser augenfällig ebenso wenig von Steiners Grundlagenwerk verstand wie Kaiser selbst, und nun ernstlich meint, «Kaiser schlage hier einen neuen Weg ein. Er wolle ihn aus dem beengenden Vergleichsrahmen der Wissenschaft herauslösen und ihn als Erzähler verste­hen.» Keine Wissenschaft, sondern nur Steiners persönliche Erzählung. Die allgemeine Konfusion wird nun zum System gemacht. Da bleibt dem Leser der Mund offen stehen. Und die ver­worrenen Traumtänzer (Verlag Info3 und der Autor Kaiser) blei­ben programmatisch «fern von jeder Wissenschaft» ganz unter sich, während sie damit auf denselben verständnislo­sen Wegen erklärtermaßen wei­ter wursteln wie jene, die Kaiser in sei­ner Schrift aufgabelt, und solche, die ihn bei diesem wissenschaftsfernen Anliegen auch noch unterstützt haben. Ob es vielleicht nicht überhaupt zum Ver­lagsprogramm von Info3, - von einem Anhänger Witzen­manns, - ge­hört, Steiner öf­fentlich als «blo­ßen Erzähler, fern von je­der Wissenschaft» zu ver­kaufen, das will ich jetzt nicht näher er­örtern, liegt aber nahe. Naheliegend ist es nicht nur im allgemeinen, sondern auch bei solchen of­fenkundigen Erscheinungen eines verle­gerischen Fra­mings des Steinerschen Werkes als «fern von jeder Wissenschaft» allemal. Zu­mal es darin auch noch zur seltsamen Para­phrase von Traub und DaVeiga paßt, die Steiners Philosophie der Freiheit anhand eines angeblichen «Vorwortes» ebenfalls als «bloßes Übungsbuch fern von jeder Erkenntniswissen­schaft und Wissensvermittlung» dem Leser sug­gerieren. In ihrem Fall mit akademischen Mitteln unter dem Stichwort «Hermeneutik». Wobei sie sich ausdrück­lich laut Anmerkung auch auf Kaisers Buch beziehen. Folglich mit ihrer eige­nen Fehlinterpre­tation und mit pseudowissenschaftlic­hen Mitteln Steiners Grundlagenwerk ebenso als «Nicht­wissenschaft» framen wie schon der Verlag Info3.

Entsprechend schlagend ist dann bei Kaisers Buch auch der innere vordere Klappen­text des Verlages, der seinerseits das Buch ebenso zusammenhanglos wie Kaiser an den Briefwechsel Stei­ners mit Mayreder anbin­det. Bei Kaiser lediglich die zwei Sätze ergänzt um substanzlose Erklä­rungen dazu. Im übrigen aber ebenso leer wie der Klappentext. Einmal auf dem vorderen inneren Klappentext als Zitat. Und dann noch einmal auf S. 5 mit der Quelle unter Anmerkung 1: „Brief von Rudolf Steiner am 4. No­vember 1894 an Rosa Mayreder über seine ›Philosophie der Freiheit‹, in: (GA 39, 232) Her­vorhebungen im Original.“

Man fragt sich, wie Stei­ners Briefwechsel mit Mayreder zur Philosophie der Freiheit über­haupt an so expo­nierte Stel­le in den Klappentext und auf die Seiten 4 und 5 geraten konnte. Das also gleich zweimal, ob­wohl die Philosophie der Freiheit mit Kaisers Buch sachlich gar nichts zu tun hat. Die einleitende Ver­lagsbemerkung und signal­setzende zweifache Anbindung an die Philosophie der Freiheit insinuiert hingegen eine kon­textuelle und sinnhaltige Verbin­dung, die faktisch in gar keiner Weise vorhanden ist. Ebenso, wie schon Kai­sers sinnfreie und zusammenhanglose Er­zählung vom Briefwechsel kei­ne solche ernst zu neh­mende inhaltliche Verbindungen zur Philosophie der Freiheit enthält. Das irrefüh­rende «Verlagsetikett» Philo­sophie der Freiheit gibt also vor allem eine Auskunft über den Ver­lag und seine Motive, aber ganz ge­wiß keine über Rudolf Steiners mit Mayreder themati­sierte Forschungsvorhaben. Beim Verlag nämlich jour­nalistische De-Kontextualisier­ung von entschei­denden Aus­sagen zu ander­en Zwecken, wie er re­gelmäßig im Propagandabe­trieb zu finden ist. Wo es nicht darum geht den Leser, Hö­rer oder Zuschauer über Sach­verhalte objek­tiv zu unter­richten, son­dern durch herausgerissene, kontext­freie Zitate Eindrü­cke zu er­zeugen, die nicht der Aufklär­ung dienen sondern darum, ei­nen Sachverhalt in ein spe­zifisches propa­gandistisches Licht zu rücken, in­dem man den Sinnzus­ammenhang löscht. Und die Phi­losophie der Freiheit dadurch in Kaisers «wissenschaftsferner Erzählerregion» anzusiedeln, wie es ganz analog und in Anlehnung an Kaiser dann auch Traub und DaVeiga mit dem an­geblichen «Vorwort» der Philosophie der Freiheit bewerkstelligen. Wie gesagt, Kaiser schreibt zu diesem Thema um Steiners Briefwech­sel mit Mayreder schon gar nichts, was, weil völlig frei vom Kontext, ernst zu nehmen wäre. Der Verlag wiederum folgt ihm da in noch weit ärge­rer Verkürzung, und bugsiert auch noch Kaisers Träumereien vom Brief­wechsel um die Philosophie der Frei­heit auf den Buchdeckel und die Seiten 4 und 5.

Obwohl der Briefwechsel gar nicht schwer zu verstehen gewesen wäre, anlässlich Mayreders Bedenken zur Wirksamkeit der Philo­sophie der Freiheit im Brief Nr. 379. Denn daß man in einem Buch von annähernd 250 Seiten die zahllosen daranhängenden Fragen zu Freiheit und Naturkausalität nebst Methoden­fragen der inneren Beobachtung nicht zufriedens­tellend für ein wissenschaftli­ches Publikum beant­worten kann, sondern dazu «aus jedem Kapi­tel mindestens ein ganzes Buch hätte ge­macht wer­den müssen,» wie Mayreder empfahl, das versteht sich für jeden, der die Sachlage etwas kennt, ganz von selbst. Da muß er nicht einmal Hermeneutiker sein, um das zu begrei­fen, son­dern nur etwas Sachverstand mit­bringen. Wes­wegen Steiner Rosa Mayreder darin im Brief Nr. 402 natürlich Recht gibt. Mit der Bemerkung versehen, «daß eine lehrhafte Natur die Sache er­weitern könne und er zu gegebener Zeit viel­leicht auch». Er sah das genau so wie sie! Das Buch war auch in seinen eigenen Augen im allerhöchsten Maße unvollständig. Weswegen er auch zur Antwort gab, daß er zunächst einmal vor allem für sich selbst die Freiheitsfragen habe beantworten wollen. Alles sehr verständlich angesichts der enormen Herausforderungen, denen er sich in diesem Buche stell­te. Wenn er zu dieser Zeit bereits zwecks Grundlagenfor­schung in einem psychologischen La­boratorium hätte arbeiten können, wie es ihm 1917 in GA-21 vorschwebte, dann hätte er auf entsprechende Laboratoriumsfor­schung bereits 1894 verweisen können, wie es Popper und Ec­cles später ebenfalls mit Verweis auf die Würzburger Schule taten. So weit war es aber leider Gottes 1894 noch nicht, weil es so etwas eben nicht gab, und die entschei­denden Beobachtungen nur ganz persönlich durchge­führt werden konnten. Wenn er sich des­wegen im Antwortbrief an Mayreder auf seine ganz persönlichen Erlebnisse beruft, so ist das vor diesem Hintergrund ebenfalls leicht zu verstehen und vollkommen trivial, weil bereits aus dem damaligen Forschungszusam­menhang heraus zu begreifen. Zum anderen ist die Frage nach den «wirkenden Kräften der Natur im eigenen Inneren», wie sie Steiner im zweiten Kapi­tel der Philosophie der Freiheit von 1918, und 1894 im dritten Kapitel stellte, nun einmal nur anhand persönlicher Erlebnisse zu beantworten, weil sie erklär­termaßen ja dort auch gesucht werden. Was ebenso für die Beobachtung des Denkens gilt, die als innere Beobachtung ebenso im ei­genen Denk-Erleben angesiedelt wird, auch wenn man dazu wie die spätere Külpeschule ar­beitsteilig auf Versuchspersonen zurückgreift. Das sind nur wenige Beispiele neben vielen weiteren möglichen dafür, daß Steiner als innerer Beobachter mit dem Verweis auf seine per­sönlichen Erlebnisse auch die wissenschaftliche Sachlage traf. Sowohl was die Unvollständig­keit der Schrift als auch den Gegenstand seiner Untersuchung betraf. Aber solche Verständnis­fragen nach dem Inhalt und Grund des Brief­wechsels und Steiners Antwort an Mayreder lie­gen auch dem Schreiber des Klappentextes vom Info3-Verlag völlig fern. Während Herr Kai­ser wiederum als Hermeneutiker in seiner ei­genen Schrift überhaupt nicht nach Steiners er­kenntniswissenschaftlichen Begründungen fragt. So wenig wie bei Steiners Briefwechsel mit Mayreder. Kaisers Untersuchung liegt stattdes­sen vollkommen ab­seits von den Problemstel­lungen der Philo­sophie der Freiheit und dem er­kenntniswissenschaftlichen Selbstverständnis Steiners, weil er diesem wissenschaftlichen Selbstverständnis Steiners nie nachgegangen ist. Jedenfalls in seinem Buch an keiner einzigen Stelle. Wie über­haupt die Zusammenhanglosig­keit ein Kernmerkmal seiner Schrift zu sein scheint.

Mir will es so scheinen, als hätten wir es in Kaisers Fall mit einem jener «Rätsellöser» zu tun, die ich hier in meiner längeren Studie anhand einiger exemplarischer Fälle skizziert habe. Das sind zum Teil um die Anthroposophie sehr engagierte Menschen, die allerdings vom Sachhin­tergrund der Steinerschen Frühschriften und ihrem Zusammenhang mit Steiners Anthroposo­phie wenig bis gar nichts verstehen. Dann aber anhand ein­zelner unverstandener Kapitel und Gedankengänge der Philosophie der Freiheit oder sonstiger Frühschriften nach Lösungen von Rätseln suchen, die Steiner seinen Anhängern in diesen Schriften über eine geheimnisvolle Sprache bewußt hinterlassen habe, und die man erst ent­schlüsseln muß. - Das sind auch «Her­meneutiker» auf ihre etwas seltsame Art. Aber das ist na­türlich krudes Zeug, das in Wirklich­keit nur auf ei­ner mangelhaften Kenntnis der philosophi­schen Sachlage und manchmal auch nur der Textzusammenhänge basiert. Dazu aber kann man alle Akademiker, die sich auf den Spuren von Traub, DaVeiga und Kai­ser befinden, getrost ebenfalls rechnen. Die einen versu­chen dann Sprachrätsel zu lösen, und die anderen Erzählrät­sel. Keiner indessen nimmt den «Sprecher» oder «Erzähler» irgendwie ernst, sondern plagt sich in Wirklichkeit nur mit seinem eigenen Wahrnehmungsproblem für die Gedanken ande­rer, wie wir schlagend bei Traub und DaVeiga schon sahen, die «Texte» Steiners wiedergeben, die da gar nicht stehen, sondern ihre freie Erfindung sind. Auch «Rätsellöser» auf ihre seltsame Art.

Bei Kaiser wiederholt sich das neuerlich auf seine Weise. Der erfindet das Rätsel um den «Er­zähler» Rudolf Steiner. Formt ein ganzes Buch aus diesem Erzähler-Rätsel, ohne dem Sinn des «Erzählerwortes» anläßlich der Philosophie der Freiheit jemals nahe gekommen zu sein, weil er, desinteressiert wie er war, auf den Sachzusammen­hang gar nicht einging, in dem es fiel. - Wo also ist ein nennenswer­ter Unter­schied? Die einen treten nur als Laien an und die an­deren als dok­torierte Akademiker, die so­gar als Professoren mit Blick auf Steiners Grundla­gen vom selben Unverstand gebeutelt sind wie jene Laien, die davon auch nichts wissen, und wie die Akademi­ker keinen Faden in der Hand halten, um Steiners Intentionen näher zu kommen. Also wird fleißig darauf los ge­sponnen bis zur willkürlichen Textverzerrung, die nichts mehr von dem findet, was im Origi­nal für je­dermann sichtbar gestanden hat, wie wir bei Traub und Da Veiga sahen. Dann bei Kaiser. Und schlußendlich auch noch beim Klappentextschreiber vom Info3-Verlag.

Kaisers Verleger wie­derum benutzt ein winzigstes zusammenhangloses Fragment von zwei Sätzen aus Stei­ners Briefwechsel mit Mayreder zur Philosophie der Freiheit, ohne sich mit dem Sinnzusammen­hang dieses Briefwechsels überhaupt zu befassen. Aber das Verständnis von Briefwechsel und Steiners Aussage gegen­über Mayreder wäre eben nur über den (ver­standenen) Inhalt der Philosophie der Freiheit von 1894 möglich, um den es ausschließlich in diesem Briefwechsel ging. Wenn man den freilich nicht kennt und schon gar nicht versteht, dann schreibt man stattdessen sinn­lose Klappentexte für ein Buch vom «Erzähler Rudolf Steiner» und löst gleich noch ein paar andere «Rätsel» mit, die gar nicht existent wären, wenn man sie nicht selbst geschaffen und Steiners Schrift vorher begriffen hätte. Die sonst also nicht da wären, wenn man et­was von Steiners Grundlagen verstanden hätte. So formt man dann ein neues Rätsel mit Kaiser, in dem man angeblich «einen neuen Weg einschlägt». Wie es im hin­teren Klappentext von Kaisers Buch heißt. Wo Kaiser dann Steiner «aus dem beengenden Ver­gleichsrahmen der Wissenschaft herauslöst. Und Steiner nur noch als Erzähler verstehen will». In der Tat «löst man Steiner damit aus dem Vergleichsrahmen der Wissenschaft heraus». Weil man nämlich gar nicht weiß, was der wissenschaftlich macht, weil es auch nicht interessierte. Traub und DaVeiga interessierte Steiners Vorrede nicht, Herrn Kaiser interessierte der Brief­wechsel mit Mayreder und die Philosophie der Freiheit nicht, und den Verlag interessierte das alles schon gar nicht. So schreibt man dann auch wie Kaiser ein akade­misches Buch über sol­che Rätsel und unbegriffene «Erzählun­gen», die nur dem eige­nen Un­verstand und Desinteres­se geschul­det sind wie bei den übrigen Rätsellösern. Die einen reden dann von der «geheimn­isvollen Spra­che» Stei­ners, und Herr Kaiser aus derselben Verständnislosig­keit heraus von «Steiners Erzählung­en». Abgese­hen vom akademischen Auf­wand ist der Unter­schied zwi­schen dem Laien und dem akademi­schen Rätsellöser zu vernach­lässigen. Der eine spricht ana­logen Nonsense wie der an­dere, nur mit geschmeidiger Zunge und im akademi­schen Jargon. Gewonnen ist in beiden Fäl­len für das Ver­ständnis definitiv nichts. Ab­gesehen von einer Art stiller Post. Wo jeder etwas weiter er­zählt was ein anderer schon erzählt hat, und am Ende niemanden mehr interessiert, was denn Herr Steiner selbst ge­sagt hat und warum. Wie am krudesten der Klappentextschrei­ber vom Verlag Info3 demons­triert. Der, gleichgültig wie er war, auf jeden Sinnzusammen­hang pfeift, aus dem er sein kurz­es Zitat von zwei Sätzen gerissen hat, weil ihn dieser Sinnzusammenhang gar nicht interessierte. Denn er brauchte ja nur einen eingängigen Vermarktungsslogan auf dem Buchdeckel und den ersten Seiten. Das auch noch bei einer Verlagsbe­merkung zu einem Buch, das man dort als «wissenschaft­lich» ver­treibt. Wo man folglich auch beim Verlag selbst doch etwas ernst­haftere Maßstäbe bei der Rahmengestaltung und Vermark­tungsstrategie er­warten müsste und nicht das Niveau von Bou­levardjournalismus. Aber was soll`s? - Weil überhaupt das, was Steiner persön­lich zu seinem Grundle­gungswerk ge­schrieben hat, definitiv nicht in­teressiert. Was wir hier ja auch des öfte­ren schon fest­stellen muss­ten. Denn bei den An­hängern Witzen­manns wie DaVeiga et al ist das inzwi­schen ja fast schon zum etablierten Forschungs­stil ge­worden, sich für Steiner und das, was er selbst schrieb, gar nicht zu interessieren, son­dern es als «Desi­derat» in eine unbe­stimmte Zu­kunft zu verschieben, wie wir oben von Wage­mann hör­ten.

So kommt es dann, daß Herr Kaiser (S. 74 ff) verzweifelt nach Erklärungen für Steiners «Hell­sehen» ruft. Das immer noch ganz genau so, wie vor über 100 Jahren schon der oben auf S. 240 ff be­handelte Philosoph Christoph Schr­empf in der Zeitschrift Die Tat, S. 420 f. Doch weil dem Herrn Kaiser heute noch exakt wie dem Herrn Schr­empf vor einem Jahrhun­dert jeder rote Faden zum Verständ­nis fehlt, und ihm exakt ebenso wie dem Herrn Schrempf in all seiner Gleich­gültigkeit jedes Interesse an Steiners Grund­lagenwerken abgeht, deswegen dreht er erst einmal die Kurve über Herrn Zanders Er­zählung, ob nicht Herr Steiner sich mit seiner Hellse­herei gar an die spiritistische Seance seiner Zeit ange­lehnt habe. Weist das aber auf S. 75 zu­rück, nur um nach­folgend einige seiner ei­genen freischwe­benden Fantasiegebilde über Herrn Stei­ners «Hellseher­ei» zu entwerfen. - Nun, Herr Kaiser wußte ebenso wenig wie damals Herr Schrempf und heu­te Herr Zander, daß er es aus Steiners Sicht im Prinzip längst kann. Und ebenso wenig wußte er, daß sich Steiner in der Schrift Von Seelenrät­seln (S. 170 f) dringend ein psycholo­gisches Labor wünschte, um dort die allgemeine Veranla­gung zu die­sem Hellse­hen mit psy­chologischen Mit­teln noch einmal nachzuweisen. Das alles hatte Herr Kaiser von sei­nen Miterzäh­lern noch nie gehört, die da manchmal eher an spiritistische Anwandlungen bei Herrn Steiner glaubten.

Was Herr Kaiser von seinen Miterzählern auch noch nicht gehört hat war, daß Stei­ner nicht nur mit dem Begriff der «intel­lektuellen An­schauung» in Wahrheit und Wissen­schaft (hier, S. 37) oder dem «intui­tiv er­lebten Denken» in der Philoso­phie der Freiheit die Verhältnisse längst ge­klärt hatte. Und daß er nicht nur im Rechtferti­gungsvortrag von 1921 ausdrück­lich darauf hinweist: „Wer dasje­nige, was ich als Forschungs­methode mei­ner anthroposophi­schen Geisteswissen­schaft zugrun­de lege, Hellsehen nennt, der muß auch schon das gewöhnli­che reine Denken, das durchaus aus dem Alltagsleben heraufströmt in das menschliche Be­wußtsein, das hinein­strömt in das menschliche Handeln, Hellsehen nennen. Ich selber sehe qualitativ keinen Unterschied zwi­schen dem reinen Denken und demjenigen, was ich als Hell­sehen bezeichne. Ich sehe die Sa­che so, daß der Mensch sich zuerst an dem Vor­gang des reinen Denkens eine Praxis heranbilden kann, wie man in seinen inneren Vorgängen unabhängig wird von seiner Leibesorganisation, wie man in dem reinen Denken etwas vollführt, woran der Leib keinen Anteil hat.“ (GA-255b, S. 300 f) Siehe Steiner im sel­ben Sinne auch in GA-146, Dornach 1992, Vortr. Helsingfors, 29. Mai 1913, S. 33 ff. Auf diese Zusammenhänge wies bereits Werner Moser in seinem Vortragszyklus S. 98 ff und unter der Anmerkung 20 hin.

Das alles wußte Herr Kaiser nicht. So wenig wie Herr Schrempf es damals von hundert Jahren wußte. Herr Kaiser wußte auch nicht, daß Herrn Steiners Hinweise auf den Zusammenhang des rei­nen Den­kens mit dem «Hellsehen» alles keine Ausnahmen sind, sondern diese Zusammenhän­ge mit dem rei­nen Den­ken längst in Herrn Steiners frühen Grundlegungsschriften, Aufsätzen und Vor­trägen darüber darge­legt wurden. So auch noch einmal gegen Ende der Philosophie der Freiheit, wo Herr Steiner in längerer Passage ausführt:Damit ist in dem Denken das Element ge­kennzeichnet, durch das der Mensch in die Wirklichkeit sich geistig hineinlebt. (Und niemand sollte eigentlich diese auf das erlebte Denken gebaute Welt­anschauung mit ei­nem bloßen Ratio­nalismus verwechseln.) Aber andrerseits geht doch wohl aus dem ganzen Geiste dieser Darlegungen hervor, daß das Wahrnehmungselement für die menschliche Er­kenntnis eine Wirklichkeitsbestimmung erst erhalt, wenn es im Denken ergrif­fen wird. Außer dem Denken kann die Kennzeichnung als Wirklichkeit nicht liegen. Also darf nicht etwa vor­gestellt werden, daß die sinnliche Art des Wahrnehmens die einzige Wirklich­keit verbürge. Was als Wahrnehmung auftritt, das muß der Mensch auf seinem Lebenswege schlechterdings erwarten. Es könnte sich nur fragen: darf aus dem Gesichtspunkte, der sich bloß aus dem intui­tiv erlebten Denken ergibt, berechtigt erwartet werden, daß der Mensch außer dem Sinnlichen auch Geistiges wahrnehmen könne? Dies darf erwartet werden. Denn, wenn auch einerseits das intuitiv erlebte Denken ein im Menschengeiste sich vollziehender tätiger Vorgang ist, so ist es andererseits zugleich eine geistige, ohne sinnliches Organ erfaßte Wahrnehmung. Es ist eine Wahrnehmung, in der der Wahrnehmende selbst tätig ist, und es ist eine Selbstbetätigung, die zugleich wahrgenommen wird. Im intuitiv erlebten Denken ist der Mensch in eine geistige Welt auch als Wahrnehmender versetzt. Was ihm innerhalb dieser Welt als Wahrnehmung so entgegentritt wie die geistige Welt seines eigenen Denkens, das erkennt der Mensch als geistige Wahrnehmungswelt. Zu dem Denken hätte diese Wahrnehmungswelt dasselbe Verhältnis wie nach der Sinnenseite hin die sinnliche Wahrnehmungswelt. Die geistige Wahrnehmungswelt kann dem Menschen, sobald er sie erlebt, nichts Fremdes sein, weil er im intuitiven Denken schon ein Erlebnis hat, das rein geis­tigen Charakter trägt. Von einer solchen geistigen Wahrnehmungswelt sprechen eine Anzahl der von mir nach diesem Buche veröffentlichten Schriften. Diese «Philosophie der Freiheit» ist die philosophische Grundlegung für diese späteren Schriften. Denn in diesem Buche wird versucht, zu zeigen, daß richtig verstandenes Denk-Erleben schon Geist-Erleben ist. Deshalb scheint es dem Verfasser, daß derjenige nicht vor dem Betreten der geistigen Wahrnehmungs­weit haltmachen wird, der in vollem Ernste den Gesichtspunkt des Verfassers dieser «Philoso­phie der Freiheit» einnehmen kann. Logisch ableiten - durch Schlußfolgerungen - läßt sich aus dem Inhalte dieses Buches allerdings nicht, was in des Verfassers späteren Büchern dargestellt ist. Vom lebendigen Ergreifen des in diesem Buche gemeinten intuitiven Denkens wird sich aber naturgemäß der weitere lebendige Eintritt in die geistige Wahrnehmungswelt ergeben.“ (GA-04, hier S. 180 f)

Das alles wird da breit, vielfältig, unmissverständlich und unübersehbar an zahllosen Stel­len in Steiners Werk berichtet. Wurde oft und oft von Herrn Steiner erzählt und für seine Leser auf­geschrieben. Ganz besonders eben in Steiners erkenntniswissenschaftlichen Begründungswer­ken, die sich am allermeisten um das Hellsehen und dessen Nachweis kümmerten. Derweil es Rät­sellösern wie Herrn Kaiser gar nicht erst in den Sinn kommt in den Begründungswerken Steiners nach sol­chen Hinweisen auf das «Hellsehen» zu suchen. Da bleibt also noch reich­lich Zeit und Gele­genheit für viele Rät­sellöser, um viel konfuses Zeug zu erfinden und zu erzählen wie der Klappentext­schreiber vom Info3-Verlag, wie DaVeiga und Traub, wie Kaiser und wie die Anhän­ger Witzen­manns. Wobei die Al­lianz zwi­schen ahnungslosen Anhängern Witzen­manns und ebenso ahnungslosen Philoso­phen wohl die ideale Konstella­tion ist, um Stei­ners Werk komplett in den Nebel der Verständ­nislosigkeit und «fern von aller Wissenschaft» vor die Wand zu erzählen.

Ein exem­plarisches Sammelsurium von tatsächlichen oder angeblichen Dogmen oder Mißver­ständnissen um die Anthroposophie wie bei Herrn Kaiser nützt nun ebenfalls herzlich wenig, um dem Verständnis Steiners näher zu kom­men. Daß wiederum die Hermeneutik sich nicht um Zusammenhänge, sondern lediglich um die Anhäu­fung von exemplarischen Zusam­menhanglosigkeiten und daraus resultierenden Mißverständ­nissen / Dogmen bemüht wie bei Herrn Kai­ser, wäre mir ebenfalls neu. Was das er­kenntniswissenschaftliche Frühwerk Steiners jetzt mit Steiners Anthroposophie und dem Briefwechsel mit Rosa Mayreder zu tun hat, das ist dem Verfasser stattdessen ebenso ein Buch mit sieben Siegeln wie seinem Leser und dem Klappentextschreiber vom Verlag. Aus leicht ver­ständlichen Gründen. Das Thema «Steiners Er­kenntniswissenschaft» kümmerte ihn, soweit an dem Buch erkennbar, definitiv nicht, und schon gar nicht ihr Zusammenhang mit der Psy­chologie und Steiners An­throposophie, obwohl Steiner ständig von der erkenntniswissens­chaftlichen Grundlage seiner Anthroposo­phie redet.

Bei Traub und DaVeiga jedenfalls war Kaisers Erzählung offenbar derart erfolgreich, daß sie jetzt völlig frei drehend drauflos fantasieren, was allein schon in Steiners «Vorwort» von 1918 angeblich stehen soll, obwohl nichts davon dort zu lesen ist. Das scheint mir nicht unbedingt für eine Hermeneutik zu sprechen, die nach Art des Herrn Kaiser dem Leser Vorschläge unter­breitet, wie man mit Dogmen und Erzählungen zur Anthroposophie umzugehen habe, wenn die derart Angeregten jetzt nachweislich den Rest von Lesekompetenz schon bei einer so kurz­en Vorrede auch noch an den Nagel hängen. Und stattdessen ohne jeden erkennbaren sachli­chen Anlaß wirr drauflos orakeln, als hätten sie beim Besuch irgend einer Phytia zu viel vom Rauch eingesogen.

Man fragt sich schlußendlich bei all dem unwissenschaftlichen Nonsense, der da von verschie­denen Seiten geboten wird, wer von anthroposo­phischer Seite so etwas in die Welt setzt, was aussieht wie eine konzertier­te Aktion, wenn man sich allein die Publikationsförderer für Ela­borate dieser Art anschaut, die Kaiser in seinen Vorbemer­kungen ab S. 13 nennt: „Dass sie [die Texte, MM] entstanden, ist auch dem Interesse der Redakteurinnen und Redakteure der Zeitschrift [Die Drei, MM] zu verdanken, zunächst Stephan Stockmar und Lydia Fechner, spä­ter Claudius Weise. Diese haben auch zur besseren Lesbar­keit beigetragen. Die Vorstudien rei­chen Jahre zurück. Im Jahr 2007/8 erhielt ich von der Päd­agogischen Forschungsstelle des Bundes der Freien Waldorfschulen sowie vom For­schungsfonds der Anthroposophischen Ge­sellschaft in Deutschland Fördermittel zur Ermögli­chung ei­nes Sabbatical, die für eine bisher nicht abgeschlossene Forschungsarbeit und Publi­kation zum Thema »Atlantis« vorgesehen waren und mir in diesem Zug die Grundlagenstudi­en ermöglich­ten, welche in die hier vorgelegten methodisch orientierten Texte eingeflossen sind. Sie stellen insofern Vorstudien für das größere Projekt dar. [] Ich danke stellvertretend den Geschäftsfüh­rern, zunächst dem inzwischen verstorbenen Hansjörg Hofrichter, dem Initia­tor, und seinem Nachfolger Christian Boettger und dem Beirat der Pädagogischen Forschungs­stelle, dass ich die Möglichkeit erhielt, mich in die bei diesem Projekt recht diverse For­schungsliteratur einzuarbeiten. Einen anregenden Rahmen verdanke ich zunächst einigen in­nerhalb der Forschungsstelle von mir veranstalteten Forschungskolloquien zu »Atlantis« und über die Jahre auch den von Michael M. Zech im Rahmen der Forschungsstelle abgehaltenen kulturwissenschaftlichen Kolloquien in Kassel. Eine Förderung der Zukunftsstiftung Bildung der GTS Bochum ermöglichte mir schließlich den Abschluss dieser Studien und ihre Zusam­menführung. Den Druck förderte ein Zuschuss des Rudolf Steiner Bildungswerkes Hamburg-Bergstedt. Achim Hatzius danke ich für die freundliche Erlaubnis, zwei Bilder aus seiner Wer­kreihe deduschka verwenden zu dürfen. Johannes Kiersch schließlich förderte dies Buch durch Zuspruch und die konstante, immer unaufdringliche Nachfrage nach Fortgang und Abschluss.“ Man kann das bislang noch online abrufen in der vom Verlag Info3 bereitgestellten Leseprobe mit Stand vom 02. 12. 23, die derzeit noch den gesamten Eingangsteil bis S. 27 enthält.

Maßgeblich daran beteiligt ist demnach nicht nur, aber auch der Bund der Wal­dorfschulen. Al­lein das wäre schon ein Forschungsprojekt für sich. Nämlich eine wie konzertiert erscheinende Aktion dieser Art zu untersuchen. Das einmal in Au­genschein zu nehmen und sich zu fragen, wer von den Förderern und Förderinstitutionen wohl ein Interesse daran haben könnte, Steiner als «Erzähler, fern von jeder Wissenschaft» der Öf­fentlichkeit anzudie­nen? Und zwar im vor­liegenden Fall durch einen Verfasser, der, so weit im Buch erkennbar, von der Wissenschaft­lichkeit Steiners nicht den leisesten Begriff hat. Es ist wohl auch kein Zufall, dass Unwissen­schaftlichkeits-Nonsense dieser Art von ahnungslosen Vertre­tern der Alanus­hochschule wie Traub und DaVeiga unkritisch und unbedarft weiter ver­breitet wird, wie es eben geschieht.

Eine quasi konzertierte Aktion, um mit Scheinlegitimationen dieser Art Steiners Werk den An­spruch der Wis­senschaftlichkeit abzusprechen? Was 2003 bereits seinen sichtbaren Ausgang nahm durch Ravaglis zweifelhafte und unsubstantiierte Behauptung, Steiners Philosophie der Freiheit sei keine Er­kenntnistheorie. Und sie vermittle auch kein Wissen, sondern nur eine Methode. Eine an sich schon absurde Behauptung bei Anbetracht der Steinerschen Schrift. - Dem folgte (unab­hängig davon?) Jahre später eine Scheinlegitimation durch Kaiser vom «Er­zähler» Rudolf Steiner. Ebenfalls in höchst zweifelhafter Art verknüpft mit der Philosophie der Freiheit über einen nicht analy­sierten, sondern nur benutzten Briefwechsel von 1894 dazu. Daran wiederum hängten sich nachfolgend Traub und DaVeiga von den Steiner-Studies, um neuerlich die Mär von der Nichtwissenschaftlichkeit der Philosophie der Freiheit in die Welt zu tragen. Wonach angeb­lich das «Vorwort» der Philosophie der Freiheit von 1918 das selbst so zum Ausdruck bringe. - Man fragt sich: Ist das al­les nur geballter Unfug und pseudowissen­schaftlicher Aktionismus, dessen Substanzlosigkeit schon auf den ersten Blick in all diesen Einzelfällen zu durch­schauen ist? Galoppierender und sich selbst verstärkender Unver­stand von ahnungslosen Anhän­gern Witzenmanns und ihren Helfern, die mit aller Macht ver­suchen Steiner ihrem eige­nen Denkhorizont anzuverkleinern, um mit Hueck zu sprechen? Klar ist je­denfalls die Ziel­richtung dahingehend, auch noch Steiners Wissen­schaftsansprüche öffent­lich und aus den ei­genen Reihen heraus zu diskreditieren und zu delegitimieren, indem man sich zum Schein auf angebli­che Aussagen von Steiner persönlich beruft. Wahrlich bizarre geistige Gewächse, die sich da inzwischen im Laufe von 120 Jahren aus einer verständnislosen und gleichgültigen Anthroposophengemein­schaft herausentwickelt haben.

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Der Blick auf Steiners begründende und speziell naturwissenschaftlich orientierte Frühschrif­ten fällt vielfach weg. Wie auch zuvor bei den ver­sammelten Autoren aus dem Sammelband der Ala­nushochschule. Auch in solchen Fällen hartnä­ckiger Verständnisblockaden könnten die Vor­tragsausführungen Steiners zu diesem Thema vom 25. Mai 1921, in GA-255b, S. 295 ff neben seinen erwähnten Hinweisen in GA-78 gegebenenfalls wahre Wunder bewirken. Wo ja in Stei­ners Rückbetrachtung von 1921 in GA-255b augen­fällig wird, wie sehr er in seinem Frühwerk um eine empirisch psychologisch basierte Erkennt­nis des leibfreien Den­kens rang. Ohne die Psychologie als Wissenschaft vorauszusetzten, wie es bei Volkelt schon der Fall war. Was sich anhand sämtlicher Frühschriften auch jederzeit unmissver­ständlich be­legen läßt. Wäh­rend das «Kön­nen des begriffli­chen Denkens» als solches durch den Kulturzu­sammenhang ein­fach vererbt wird, wie er dort in GA-255b auf S. 300 berichtet.

Schwerwiegender fast noch scheint mir speziell an Röscherts Kennzeichnung von weiter oben zu sein, zu sein, daß hier eine wesentliche Eigenschaft der Beobachtung des Den­kens übersehen wird - die Tatsache näm­lich, daß sich auch diese Beob­achtung nur über Intuitio­nen vollziehen kann. - Nehmen wir nur den einfachsten denkbaren, aber grundlegenden Fall: Steiners Frage vom Beginn des ers­ten Kapitels der Philosophie der Freiheit, „Ist der Mensch in seinem Denken und Handeln ein geistig freies Wesen oder steht er unter dem Zwan­ge einer rein naturgesetzlichen ehernen Not­wendigkeit?“ - Um so eine Frage mit empirischer Intention zu stel­len und beantworten zu können, muß ich natürlich mit Begriffen arbeiten, die, wie wir inzwischen wis­sen, nur auf dem Wege von Intuitionen ge­wonnen werden können. Ich benötige, als Naturwis­senschaftler zumal, der ja Steiner war, die Begriffe von Kausalität, Na­turnotwendigkeit und geisti­ger Frei­heit und Unabhängigkeit davon. Muß mich also in die Fra­gen der Naturnotwendigkeit, Kau­salität und ihre möglichen Grenzen erst einmal einarbeiten, um die dabei ge­wonnenen Begrif­fe und Pro­blemstellungen auf ein er­lebtes Denken und Han­deln überhaupt anwend­en zu kön­nen. Durch «das intuitive Denken, durch das eine jeg­liche Wahrnehmung in die Wirklichkeit erkennend hineingestellt wird», wie Steiner es gegen Ende der Schrift (hier, S. 180) auss­pricht. Beziehungs­weise mit dem «intuitiv erlebten Denken,» das sowohl Wahrnehmungschar­akter als auch gleich­zeitig erlebten Tätigkeitscharakter hat, wie er dort nachfolgend ausführt. Wen die Fragen nach Naturk­ausalität und ihren fraglichen Gel­tungsbereich im Denken freilich nicht interessieren, wie es etwa bei Husserl der Fall war, der nicht im Traum daran dachte, so etwas nach dem Vor­bild Stei­ners empirisch zu un­tersuchen; - der stellte solche Fragen dann eben nicht. Wie etwa seine mit die­ser Frage von ihm im Stich gelassene Assistentin Edith Stein sie stellte, wie wir oben darlegten. Was als be­sonders spekta­kulärer, aber auch bezeichnender Fall die Differenz Steiners zu manchem seiner Zeit­genossen veranschaulicht. Manchmal helfen ja solche beson­ders starken Kontraste sehr, Steiners eigenes Anliegen etwas konturierter ins rechte Licht zu rücken.

Halten wir also fest: Auch auf die Wahrneh­mungen des eige­nen Denkens müssen solche intui­tiv gewonnenen Begrif­fe angewendet wer­den, um es zu erkennen. In der Form einer Syn­these von Wahrnehmung und Be­griff, wie Steiner das Erkennen auch in der Zweitauflage der Grundlini­en(hier S. 138 f) eigens noch einmal charakterisiert. Sol­che intuitiv erarbeiteten Begriffe gilt es also auf die konkreten Erfahrungen des Denkens anzuwenden. Dahinge­hend, ob sie zutreffen oder nicht, und was gegebenenfalls als Alternati­ve von Kausalursachen oder zwanghaf­ter Naturnotwen­digkeit des Den­kens und Handelns in Frage kommt. Die ihrerseits wiederum nur auf intuitivem Wege zu erar­beiten und mit entsprechen­der empirischer Gründ­lichkeit auf die Erfah­rungen des Den­kens anzu­wenden sind vor dem Hintergrund der Problems­tellung: Was wirkt da eigentlich, wenn wir denken? Wir müssen also an die Erfahrun­gen des Denkens den Be­griff der «Wirksam­keit» herantragen, wie es bei Steiner ja bereits in den Grundliniender Fall war, wie wir sahen. Hier S. 85, dahinge­hend, „Weil wir inner­halb, nicht außerhalb jenes Prozesses ste­hen, der aus den einzelnen Gedankenelementen Gedankenv­erbindungen schafft. Dadurch ist uns nicht allein der voll endete Prozeß, das Bewirk­te gege­ben, son­dern das Wirkende.“ Hier ist nur allgemeiner von «Wirksam­keit» die Rede, nicht ein­mal von Kausa­lität, der ja ein rein na­turwissenschaftlich bzw. mechanistisch vereng­ter Begriff ist, und in die­ser Form auf seeli­sche Verhältnisse gar nicht mehr an­wendbar ist, wie laut Walt­her Wimme­nauer (hier S. 28) Steiners prominenter Zeitgenosse Wil­helm Dil­they bereits beton­te. Während der allgemeinere und offenere Be­griff der «Wirksam­keit» eine solche enge Spezi­fizierung und kausalphilosophi­sche / me­chanistische Konnotation noch nicht enthält. Steiner ist da also sehr vor­sichtig in den Grundlinien ..., wenn er nur von einem er­lebten «Wirken­den und Bewirkten im Denkprozeß» spricht. Was im Falle ei­ner inneren psycholo­gischen Beobach­tung auch sinnvoll ist, da ja über die nähere Natur der erlebten Wirksamkeit an­fänglich noch nicht viel gesagt werden kann. Nur eben so viel, daß am Be­ginn eine bewußt ge­führte und er­lebte inne­re Aktivität oder Tätigkeit des individuellen Menschen steht, und am Ende ein Resul­tat die­ses erleb­ten Wirksam­keitsprozesses in Form einer Er­kenntnis, die dabei erar­beitet wur­de. - Egal wie man es nimmt, ohne Intuitionen aber sind an das erlebte Den­ken keine Be­griffe heranzutragen, nicht ein­mal Fragen zu stellen, geschweige denn solche Antworten zu geben.

Als Folge dieses Nicht-Be­merkens wird bei Röschert implizit eine substantielle Differenz zwi­schen Intuition und Beobach­tung des Denkens unterstellt, die in Wirklichkeit nicht be­steht. Tat­sächlich sind beide, das Denken und seine erkennende Beob­achtung laut Steiner wesensg­leich, worauf sich nach Steiner überhaupt die Selbster­klärungsfähigkeit des Denkens gründet, wie wir oben schon gezeigt haben: „Der beobachtete Gegenstand ist qualitativ der­selbe wie die Tätigkeit, die sich auf ihn richtet. Und das ist wieder eine charakte­ristische Ei­gentümlichkeit des Denkens. Wenn wir es zum Betrach­tungsobjekt machen, sehen wir uns nicht gezwungen, dies mit Hilfe ei­nes Qualitativ-Verschiedenen zu tun, sondern wir können in demselben Ele­ment verbleiben.“ (hier S. 30). In dieser Tatsache der Wesensgleich­heit von beobachtendem und beobachtetem Denken ist schließlich Stei­ners archime­discher He­bel der Welterklärung verankert (hier S. 33). In­tuition ist folglich nicht nur die Form, in der Begriffe und Ideen im all­gemeinen wahrge­nommen wer­den, son­dern auch diejenige, in der das beob­achtende Den­ken das Den­ken sieht respektive erkennt. Da beob­achtendes und beobachtetes Den­ken zwar zeit­verschieden aber wesens­gleich sind, ist es folg­lich diejeni­ge Form, in der das Denken sich sel­ber sieht und erkennt. Genauer gesagt: Sich er­kennt, indem es die Erfah­rungen / Wahrnehmun­gen des Denkens mit Begriffen durchtränkt, die auf intuitivem Wege gewonnen wurden.

Mit anderen Worten: Wie haben es hier bei der erkennenden Beobach­tung des Denkens durch das wesensgleiche intuitive Denken, - «durch welches bekanntlich eine jegliche Wahrneh­mung in die Wirklichkeit erkennend hin­ein gestellt wird», - mit einem intuitiv erlebten Den­ken zu tun, wie es Steiner in den Zusätzen von 1918 (hier S. 180 f) ausdrücklich vermerk­te. «Mit einer Wahrneh­mung, in welcher der Wahrnehmende selbst tätig ist. Und mit einer Selbstbetätigung, die zu­gleich wahrgenommen wird.» Worauf Steiner auch am Ende des drit­ten Kapitels (hier S. 36 f) eigens noch einmal hinweist mit der Bemer­kung, „es kommt darauf an, daß nichts ge­wollt wird, was, in­dem es sich voll­zieht, vor dem «Ich» nicht restlos als sei­ne eigene, von ihm überschau­bare Tätig­keit erscheint.“ Wie es dann ergänzend im neunten Kapitel heißt: „Im Be­trachten des Denkens selbst fallen in eines zusam­men, was sonst immer ge­trennt auftreten muß: Begriff und Wahrneh­mung.“

Wie wir ebenfalls schon häufig jetzt vermerkt haben, ist dieser Gedan­kengang 1894 oder 1918 wahrlich nicht neu, sondern in einer Vorläufer­stufe bereits längst nachzulesen in den Grundli­nienvon 1886 in Stei­ners rückblickenden Worten von Kapi­tel 15. Hier in der Originalausga­be von 1886 auf S. 56: „Wir erinnern uns, warum ei­gentlich das Den­ken in un­mittelbarer Erfahrung be­reits sein Wesen ent­hält. Weil wir innerh­alb, nicht au­ßerhalb jenes Prozesses ste­hen, der aus den einzelnen Ge­dankenelementen Gedankenverbindun­gen schafft. Da­durch ist uns nicht allein der vollendete Prozeß, das Be­wirkte gege­ben, sondern das Wirkend­e.“ Und genau das ist beim «intui­tiv erlebten» Denken ja der Fall, wie Steiner 1918 ei­gens noch einmal her­vorhebt.

Er­kenntnisse im allge­meinen werden durch innere menschliche Tätig­keit «erwirkt». Von der Er­kenntnis des Denkens durch das wesensglei­che Denken gilt nichts an­deres. So daß nicht nur bei ei­ner Erkenntnis im allgemeinen Wirkendes und Bewirktes des Erkenntnisprozesses zu er­leben sind, - nämlich die innere Erkenntnishandlung als solche und ihr nachfolgendes Resultat, - sondern für die Erkenntnis des Denkens im speziellen gilt ge­nau dasselbe. Was in den Zusät­zen von 1918 zwar aus­drücklich noch einmal von Stei­ner unterstrichen wird, aber schon 1886 längst bei ihm zu lesen war.

Der erlebte Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem ist somit auch das Schlüsselele­ment des intuitiv erlebten Denkens; und damit auch zur Erhellung jenes «Prozesse, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden», - um neuerlich an Steiners abgrenzende Bemer­kung gegenüber Hegel anzuknüpfen. Das Begreifen des Denkens geschieht eben auch nur auf dem Wege von Intui­tionen, die anhand einer betrach­tenden Ge­genüberstellung von Erfahrun­gen des Denkens gewon­nen werden. Wo­bei natürlich auch in diesem Fall des sogenannten Ausnah­mezustandes einer Er­kenntnis des Denkens durch das wesensgleiche Denken gilt, daß Wir­kendes und Bewirktes und ihr Zusammenhang un­mittelbar vorlie­gen. - Übrigens sind sind solche Tatsachen ohne weiteres auch empirisch überprüfbar.

Stand 06. 01. 23



Steiner deutet bei seiner ersten Charakterisierung der Intuition (S. 95 PdF) schon auf diesen ihren Wahrnehmungscharakter hin, wenn er schreibt: "Sie [die Intuition] ist für das Denken, was die Be­obachtung für die Wahrnehmung ist." Gemäß Steiners Kennzeichnung stehen Den­ken und Intuiti­on in einem analogen Verhältnis wie Beobachtung und sinnli­che Wahrnehm­ung. Intuition und (Sinnes) Beobachtung entspre­chen da­mit einander in gewisser Weise in ihren Funktionen. Was die eine in be­zug auf die sinnliche Welt leistet, das leistet die ande­re in be­zug auf die ideelle Welt. Oder, um das mit Steiners obiger Erläuterung aus der Schrift Von Seelen­rätseln, GA-21, S. 61 zu präzisieren: „Ich sage also hier: Intuition wolle ich als Ausdruck für die Form gebrauchen, in der die im Gedankeninhalt verankerte geistige Wirk­lichkeit zunächst in der menschlichen Seele auf­tritt, bevor diese erkannt hat, daß in dieser ge­danklichen Innener­fahrung die in der Wahrnehmung noch nicht gegebene Seite der Wirklich­keit enthalten ist. Deshalb sage ich: Intuition ist «für das Denken, was die Beobachtung für die Wahrneh­mung ist … Mir gilt eben Intuition nicht «bloß» als die «Form, in der ein Gedan­keninhalt zu­nächst hervortritt», sondern als die Offenbarung eines Geistig-Wirkli­chen, wie die Wahrneh­mung als diejenige des Stofflich-Wirklichen.“

In seinem Aufsatz Intuition und Beobachtung (Siehe Anmerkung 66) er­läutert Herbert Witzen­mann (S. 76), »Steiner nenne die besondere Art des Gegenüberstehens, in der [sinnli­che] Wahr­nehmungen einem Sub­jekt gegeben sind Beobachtung und die besondere Art des Gegenüberste­hens, in der Begriffe und Ideen einem Subjekt gegeben sind Intuiti­on.« Man kann Witzenmann hier - allerdings mit Einschrän­kungen - zu­stimmen. Mit Vorbehalt, weil seine Er­läuterung zum Text der Philoso­phie der Frei­heit nicht vollständig kompatibel ist. Das liegt aber in die­sem Fall an Stei­ners Sprachgebrauch, der nach allem, was ich erkennen kann, in sich nicht konsistent ist. 107c Auf jeden Fall scheint mir Wit­zenmanns Lesart in bezug auf diese Textstelle bislang die plausi­belste zu sein. Stei­ners Charakterisierung der Intuition läßt sich da­hingehend para­phrasieren: »Die Intuition ist für die Wahrnehmung von Be­griffen und Ideen, was die Beobachtung für die Wahr­nehmung der sinn­lichen Welt ist.«

Nun gehört für Steiner das Denken der geistigen Welt an - es ist näm­lich nichts anderes als kraftende, wirkende Idee. In den Grundlinien ... heißt es dazu: "Unsere Erkenntnistheorie führt zu dem positiven Ergeb­nis, daß das Denken das Wesen der Welt ist und daß das indivi­duelle mensch­liche Denken die einzelne Erscheinungsform dieses Wesens ist." (GA-2, 1979 S. 79). Im selben Sinne etwas ausführlicher in der Schrift "Goethes Welt­anschauung (GA-6, Taschen­buchausgabe Dornach 1979, S. 86): "Die ei­gene Natur der Ideenwelt kann also der Mensch nur er­kennen, wenn er seine Tätigkeit anschaut. Bei jeder anderen Anschau­ung durch­dringt er nur die wirkende Idee; das Ding, in dem gewirkt wird, bleibt als Wahrneh­mung außerhalb seines Geistes. In der Anschau­ung der Idee ist Wir­kendes und Bewirktes ganz in seinem Innern ent­halten. Er hat den gan­zen Pro­zeß restlos in seinem Innern gegen­wärtig. Die Anschauung er­scheint nicht mehr von der Idee her­vorgebracht; denn die An­schauung ist jetzt selbst Idee. Die­se Anschauung des sich selbst Hervor­bringenden ist aber die Anschau­ung der Freiheit. Bei der Beobachtung des Denkens durchschaut der Mensch das Weltgesche­hen. Er hat hier nicht nach einer Idee dieses Geschehens zu forschen, denn dieses Geschehen ist die Idee selbst."

Wenn Ideen nur via Intuition wahrgenommen werden können, und das Denken selbst kraften­de Idee ist, - genauer: die individuelle Erschei­nungsform des Weltwesens -, so gilt diese intui­tive Form der Auffas­sung konsequenterweise auch für das Denken. Wie auch könnte das geistige We­sen der Welt anders wahrgenommen werden als eben geis­tig? Es nimmt sich folg­lich bei seiner Selbstbeobachtung über Intuitio­nen wahr. Das heißt, das Nachdenken über Er­fahrungen des Den­kens (gleich Beob­achtung oder Selbstbetrachtung des Denkens) führt zu Intui­tionen des Denkens, das ist: zu seiner geistigen Wahrnehmung oder Anschauung. Das deckt sich übri­gens mit einer Er­läuterung, die Steiner in seiner Schrift Von Seelenrätseln (GA-21; Dornach 1976) zum Intuitionsbeg­riff der Philosophie der Freiheit macht, wenn er dort (S. 61) an­läßlich einer Replik auf Max Dessoir schreibt: "Mir gilt eben Intuition nicht «bloß» als die «Form, in der ein Gedan­keninhalt zunächst hervor­tritt», sondern als die Offen­barung eines Geistig-Wirk­lichen, wie die [sinnliche, MM] Wahrnehmung als diejenige des Stofflich Wirklichen." Das Denken, so läßt sich diese Erläu­terung aufnehmen, offenbahrt sich dem betrachten­den oder beobachtenden Denken in seiner geisti­gen Wirklichkeit in Form von Intuitionen. Und zwar of­fenbahrt es sich hier nicht nur von seiner bloß ideell-inhaltli­chen, sondern zugleich von sei­ner ideellen und kraftenden Seite als wirkende Idee, denn der gesam­te Prozeß des Wir­kens ist rest­los im Innern gegenwärtig. Und in dieser sei­ner kraften­den Na­tur wird Ideelles sonst eben nicht wahrgenommen, wo uns das Ding, in dem gewirkt wird, ein Äußeres bleibt. (Man kommt üb­rigens, wenn man diesen kraftenden Aspekt der Idee wei­terverfolgt auf den Begriff des Äther- oder Bildekräfteleibes, der die eigentlich wir­kende In­stanz für das Denken ist. Zu die­sem Thema siehe meine Ar­beit über Walter Jo­hannes Stein auf dieser Homepage.)

Analoges wie für Günter Röschert gilt auch für die Studie von Dietrich Rapp (Dietrich Rapp, Von der Intuition zur Erfahrung. Denkbeobachtun­gen über ihren inneren Zusammenhang. In: Karl-Martin Dietz (Hgr.), Ru­dolf Steiners "Philosophie der Freiheit", Stuttgart 1994, S. 223-256.) Auch bei ihm wird eigentlich nicht wirklich klar, was die Erkenntnis des Denkens ist und wie sie metho­disch stattfindet. Rapp schreibt in en­ger Anlehnung an Steiners Darstellung unter anderem auf S. 232: "Mit einer weiteren Beobachtung vergewissert sich das Denken tie­fer sei­nes We­sens: Es macht sich nicht nur mit seiner Tätigkeit, son­dern mit deren Ursprüngl­ichkeit in seiner eigenen Wesenheit bekannt, indem es diese als einen «festen Grund» in sich ergreift, als «ein Prinzip, das durch sich selbst besteht» ... Das Denken entdeckt sich als ein «Weltge­schehen», «wo wir dabei sein müssen, wenn etwas zustande kommen soll» ... In­dem das Den­ken sich selbst beobachtet, schließt es sich mit sich selbst zusam­men: «Der beobach­tete Ge­genstand ist qualita­tiv derselbe wie die Tätig­keit, die sich auf ihn richtet.»" ... Dieser Vor­gang kann mit dem Termi­nus <Denken des Denkens> beschrieben wer­den - wenn zu­gleich das Miß­verständnis abgewehrt wird, als ob es sich dabei um eine nach­trägliche Reflex­ion von Gedan­kenzusammenhängen, um eine Art von Meta-Denken handelte." Bei Rapp wird alles recht an­schaulich und si­cher zu­treffend beschrieben, aber man hat den Eindruck, als lege sich et­was wie ein Nebel oder Schleier vor ein abschließendes Ver­ständnis des­sen, was die Beobachtung und Erkenntnis des Denkens der Sache nach ist.

Schauen wir uns einmal die Ausdrücke an, mit denen Dietrich Rapp das Beobachten oder "Den­ken" des Denkens umschreibt: Da ist (S. 232) von einer "Vergewisserung" die Rede und von ei­nem "Beobachten"; von ei­nem "Sich Bekanntmachen" - es wird etwas "ergriffen" und et­was "ent­deckt" - ein "Zusammenschluß findet statt" - etwas wird "durch­drungen" - das Den­ken "stößt auf etwas" - es "kommt etwas zur Erfah­rung" - das Denken "identifiziert sich mit etwas" - und es "er­faßt sich selbst". Das al­les sind gewiß hilfreiche und sachlich zutref­fende Um­schreibungen für die Tätigkeit des Sich-Selbst-Beobachtens und -Erken­nens des Den­kens. Aber wie macht das Denken das? Wie beobachtet es? Wie verge­wissert es sich? Wie ergreift und entdeckt es? Wie stößt es auf etwas und durch­dringt dieses? - Es ist interes­sant zu sehen, daß Dietrich Rapp den Be­griff der «Er­kenntnis des Denkens» an dieser Stel­le nicht explizit bil­det, ob­wohl er ihn in Form von Metaphern beständig indirekt hand­habt. Ich meine, das liegt daran, daß ihm das methodische Verfahren der Beob­achtung des Denkens noch nicht deutlich ist. Das wird vor allem auch bei­spielhaft an seiner Bemerkung sichtbar, das Mißver­ständnis sol­le ab­gewehrt werden, "als ob es sich dabei um eine nachträgliche Refle­xion von Gedanken­zusammenhängen, um eine Art von Meta-Den­ken handel­te." Denn eben das ist es - ein Meta-Denken über Denk-Erfahrun­gen, zu de­nen selbstverständlich (nicht nur, aber auch) die genannt­en Gedanken­zusammenhänge gehören. Denn auch über diese muß eigens weiter nach­gedacht werden, wenn man zusätzlich zu ihrer bloßen Inhalt­lichkeit mehr über sie wissen will.

Renatus Ziegler liegt da näher an den Tatsachen, wenn er in seinem Buch (Renatus Ziegler, Selbst­reflexion, Dornach 1991, S. 99) an einem ausge­wählten Fallbeispiel hervorhebt: " ... das Gewahr­werden des Den­kinhaltes (Gesetz) muß von der Gewahrwerdung seiner inneren Not­wendigkeit so­wie Widerständigkeit und Unveränderlichkeit unter­schieden werden. Diese Er­lebnisse treten alle im selben Wahrnehmungs­felde auf und of­fenbaren sich durch das anschaue­nd täti­ge Denken, müs­sen jedoch als voneinander verschiedene Erfahrungsin­halte er­kannt und in ihrer un­terschiedlichen begrifflichen Bedeutung und Tragweite durch­schaut wer­den." Deutlicher kann man es kaum sa­gen. Um sich dies klar zu machen, braucht man nur ei­nen Menschen, der kei­nen spezifisch philosop­hischen Bildungsgang durchlaufen hat, nach den von Ziegler ge­nannten Eigen­schaften von Be­griffen zu fragen. Er wird angesichts ei­ner derarti­gen Aufforderung sprachlos sein, weil er natür­lich darüber apriori nichts weiß, obwohl er, wie schon betont, in der Lage ist richtig zu den­ken. Er muß die verschiedenen Aspekte des Den­kens erst allmäh­lich erkennen. Zieglers Bemer­kungen sind folglich von exemplari­scher Gel­tung: Die verschiedenen Erfahrungsdetails des Den­kens sind jeweils gesondert für sich zu be­urteilen und zu durchschauen. Wobei es im Bei­spiel aus­drücklich um weitere Attri­bute von Gedanken­zusammenhängen geht: Um das Gewahrwerden ihrer inneren Notwen­digkeit sowie Wider­ständigkeit und Unveränderlichkeit - übrigens Ei­genschaften, die wir zum Teil aus der Sphäre der seelischen Erlebnisse des Willens, so­wie des Tastens und Be­rührens kennen, die jetzt auf die ideelle Wahrneh­mung übertragen wer­den, so daß man hier durch­aus von geistig-seeli­schen Tast- oder Berüh­rungserlebnissen sprechen kann. Ein Bild, das Ziegler auf S. 92 f selbst auch gebraucht: "Dieses <tätig-tasten­de> Ein­tauchen muß so geschehen, daß die zur Er­scheinung gebrachten Be­griffsinhalte konsequent in sich selbst reflektiert wer­den. Nur so kann die auf sich selbst beruhende Struktur rein gedachter Grundgesetze er­faßt werden, nur so wird sich ihre innere Natur der Denkerfahrung er­schließen. Ver­gleichsweise ver­hält sich dieses den­kende <Ertasten> zu den dabei tätig zur Anschauung ge­brachten Ge­setzen wie das tastende Er­fassen (tas­tende Anschauen) zur Gewahrwerdung des Reliefs einer Marmorsta­tue." Diese Eigens­chaften er­geben sich aus dem denkenden Erleben von Ge­dankeninhalten, oder in Steiners Worten gesagt: aus ei­nem intuitiven Erleben des Denkens. Sie müssen als seelische Erlebnis­se bemerkt und be­grifflich näher spezifi­ziert werden.

Das alles - Ziegler sagt das nicht explizit, aber es ergibt sich zwingend aus seiner Bewertung des Sachverhaltes - geht nur auf dem Wege von se­paraten Intuitionen. Den erforderlichen gedankli­chen Aufwand stellt er auf den Seiten 94 ff klar heraus. An vielen Stellen seiner Schrift spricht er ausdrücklich und mit Recht von "Denk-Experimenten" ( etwa S. 24; S. 99; S. 178), denen er ab S. 85 ein ganzes Kapitel gewidmet hat. Diese "Denk-Experimente" dienen dazu, sich mit subtilen Be­schaffenheiten von Begriffen vertraut zu machen, die wir nicht ohne weiter­es kennen, die auch ohne ein sorfältiges denkendes Probieren und Sondie­ren nicht her­vortreten. Die von Ziegler er­wähnten Qualitäten Notwen­digkeit, Wi­derständigkeit und Unver­änderlichkeit sind invariante Ei­genschaften von Begriffen - mit anderen Worten: Gesetzmäßig­keiten, die über das nur In­haltliche dieser Entitäten hinausgehen. Man könnte sa­gen, daß Be­griffe neben dem rein Bedeutungshaften, das sie auszeich­net, noch so et­was wie eine morpholog­ische oder gestalthafte Kompo­nente an sich ha­ben, die durch Denk-Experimente sicht­bar wird.

Zieglers Auffassung ist im Grundsatz ohne Einschränkungen zuzustim­men; man muß sie im Hin­blick auf elementare Aspekte nur noch weiter verschärfen und erklären: Sämtliche sachhalt­igen Aussagen, die wir über das selbsterlebte Denken machen, sind Resultate einer - zu­meist unsyste­matisch durchgeführten und längst vergessenen - Denk-Beob­achtung und ent­sprechender Intuitio­nen, in der spezifische Erfahrungen be­urteilt und unterschieden werden müssen. Wenn Steiner da­her im drit­ten Kapi­tel der Philosophie der Freiheit (S. 42) die sim­ple Aussage "Ich den­ke über ei­nen Tisch." bereits der Denk-Beobachtung zurechnet, so ist das sehr konsequent. Auf der anderen Seite muß man sagen, daß auch die meisten philosophis­chen oder denkpsychologischen Laien ihr Denken schon häufig wenigstens in an­fänglicher Weise beobachtet ha­ben, sofern sie nämlich zu bestimmten Begrifflichkeiten und Unter­scheidungen be­züglich ihrer Denktätigkeit gekommen sind. Sie wissen nur nichts um diese Tatsache, weil oft genug hinter der Denk-Beobach­tung etwas Ge­heimnisvolles und schwer Zugängliches ver­mutet wird. Zudem wird die­se Art von Denk-Beob­achtung zumeist ohne ein gebüh­rendes me­thodisches Bewußtsein und entsprechende Zielstrebig­keit, sondern eher bei­läufig gemacht, deswegen fehlt in der Regel auch die entsprechende Konse­quenz so­wie Über­sicht ordnender Begriffe.

Unstreitig gibt es also einen eklatanten Unterschied zwischen der spon­tanen Handhabung durch­schaubarer gedanklicher Inhalte und der Ein­sicht in diese Angelegenheit via Intuition, und ebenso zwischen der blo­ßen Wahrnehmung von ideellen Entitäten und dem Wissen um diese Sachla­ge. Um ein Verständnis davon zu haben ist erforderlich, daß das Denken sich zu­vor diesen Erfahrun­gen im Umgang mit Begriffen und Ideen zu­wendet und sich damit geson­dert auseinandersetzt. Und das Mit­tel dazu ist die Beobachtung oder Betrachtung des Den­kens, die zu ent­sprechenden In­tuitionen beziehungsweise einer Erkenntnis des Den­kens führt. Das heißt, es muß über spezifische Erfahrungen des Denkens sepa­rat nachge­dacht werden, erst dann wird begreiflich, daß Ideen nicht er­zeugt son­dern wahrgenommen werden. Kurz und prä­gnant kann man es auch so formu­lieren: Begriffe und Ideen im allgemeinen nimmt je­der wahr - oder sieht im Prinzip jeder -, der zu denken vermag. Das Denken im spe­ziellen kann nur sehen, wer eigens über die Erfahrungen des Den­kens nach­denkt. Nur dann ist er in der Lage sich das zu erwerben, was man ei­nen Begriff oder eine An­schauung des Denkens nennen kann.

Begriffe und Ideen sind zweifelsohne auch dann Inhalt oder Thema des Denkens, wenn die­ses sich selbst betrachtet, denn sie gehören ja schließ­lich (mit) zu den Erfahrungen des Den­kens, die be­trachtet wer­den. So­weit sie also spezielle Betrachtungsgegenstände des Denkens im Zuge seiner Selbstaufklärung sind, ist es evident, daß sie dann auch wahrge­nommen wer­den, und somit Wahr­nehmung und Begriff bei der Betrach­tung des Denkens zusammenfallen. Aber es gibt bei der Selbstbetrach­tung des Denkens, die zu seiner Erkenntnis führt, noch eine weiter­e Di­mension des Zusammenfallens, die sich nicht auf diese eben ge­nannte Form redu­zieren läßt, sondern darüber hinausreicht. Die Wahr­nehmung des Denkens selbst ist ein ganz einzig­artiger Typ dieses Zusam­menfallens. In diesem Fall ist nämlich die lebendige oder kraftende Idee selbst Gegenstand der Wahrnehmung.

Im Kapitel IV, Die Welt als Wahrnehmung seiner Philosophie der Frei­heit, S. 62, sieht sich Stei­ner veranlaßt seinen Gebrauch des Ausdrucks Wahrnehmung zu klären. Als Wahrneh­mung be­zeichnet er hier nicht den Vorgang der Beobachtung, sondern das Objekt dieser Beobacht­ung. Und zwar einerseits die unmittelbaren Empfindungsobjekte, "... insofer­ne das be­wußte Subjekt von ih­nen durch Beobachtung Kenntnis nimmt...". Fer­ner die Gefühle: "Auch von mei­nem Gefühle er­halte ich dadurch Kennt­nis, daß es Wahrnehmung für mich wird." Und schließ­lich das Denken selbst: " ... die Art, wie wir durch Beobachtung Kennt­nis von un­serem Denken erhalten, ist eine solche, daß wir auch das Den­ken in sei­nem ers­ten Auftreten für unser Be­wußtsein Wahrnehmung nennen kön­nen."

Man beachte, daß entsprechend dem dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit das Denken nur durch das Denken beobachtet werden kann. Und daß die Beobachtung nur in einem zwei­ten Denkakt erfolgen kann, der dem beobachteten Denkvorgang nachfolgt. Das Resultat die­ser zeitver­setzten Beobachtung oder denkenden Betrachtung wird hier im Zuge der Klärung des Sprachge­brauchs als Wahrnehmung bezeichnet.

Das Interessante und für das Verständnis wichtige an dieser Formulie­rung ist, daß die Beobach­tung des Denkens nicht nur zur Kenntnisnah­me des Denkens führt, vergleichbar den Sin­nes und Gefühlswahrnehmun­gen, sondern gleichzeitig auch zu seiner Erkenntnis. Kenntnis­nahme und Er­kenntnis fallen hier zusammen. Während Empfindungs- und Gefühls­objekte als Wahr­nehmungen lediglich zur Kenntnis genommen werden und der weiteren begrifflichen Ergän­zung bedürftig sind, um auch er­kannt zu werden, ist dieser zusätzliche Schritt bei der Wahr­nehmung des Denkens nicht erforderlich, weil das Denken als Wahrneh­mungsobjekt im Sinne und in der Konsequenz des Steinerschen Sprach­gebrauchs be­reits er­kanntes Objekt ist. Das Wahrnehmen ist hier ein Erken­nen. Wenngleich noch nicht in seinem vollen Umfang und in sämtlichen As­pekten. Wahr­nehmen und Erkennen sind eines - und das hat die Beob­achtung des Den­kens mit der Wahrnehmung re­spektive Er­kenntnis der übrigen Begriffe und Ideen ge­meinsam. Siehe dazu das ein­gangs dieses Kapitels Ausge­führte.

Das Denken tritt als Denken überhaupt erst für das Bewußtsein auf, wenn es vom Denken selbst beobachtet worden ist. Erst dann ist es im Sinne Steiners Wahrnehmungsobjekt für das Bewußt­sein. Ein nur erleb­tes Den­ken kann diesem Sprachgebrauch gemäß noch kein wahrge­nommenes Denken sein, sondern zunächst nur ein geistig-seeli­sches Erleb­nis. Das Geistige wird in einer Ein­heit mit diesem Seelischen erlebt. Und der geis­tige Charakter dieses Erlebniss­es wird erst sichtbar, bewußt und zu­gleich erkannt in einer nachfolgenden denkenden Be­trachtung. Des­wegen Stei­ners Bemerkung von S. 256, im zweiten Zu­satz zur Neuaus­gabe 1918, " ... daß richtig verstandenes Denk-Erleben schon Geist-Er­leben ist." [Fettdruck MM]

Nun läßt sich das Denken nur erkennen, indem man es beschreibt, das heißt, über die Erfahrung­en des Denkens nachdenkt und diese auf be­schreibende Begriffe bringt. Wenn wir jetzt dem eben er­wähnten Sprach­gebrauch Steiners und den Gedankengängen des dritten Kapi­tels der Phi­losophie der Freiheit folgen, dann haben wir auch in diesem Fall ein Zusammenfall­en von Wahrnehmung und Begriff: Hier fällt die Wahrneh­mung des Denkens mit seinem be­schreibenden Begriff zusam­men - was dasselbe ist wie seine Erkenntnis, oder besser gesagt, die Er­kenntnis ei­nes seiner viel­fältigen Aspekte. Das Wahrnehmen ist hier ein Begrei­fen. Und das ist nach meiner Auffassung ge­meint, wenn Steiner wie eingangs zitiert auf S. 146 der Philosophie der Freiheit sagt: "Im Betrach­ten des Denkens selbst fallen in eines zusam­men, was sonst im­mer getrennt auf­treten muß: Begriff und Wahrnehmung." Das Denken wird für den Be­trachter oder Beobachter im eigentlichen Sinne erst sichtbar, wenn, in­dem, und so weit er es begreift. Das Begreifen des Denkens ist ein Wahrneh­men - ein aktives, täti­ges, und oft mühevolles geistiges Wahr­nehmen. Eine Wahrnehmung, " ... in der der Wahrneh­mende selbst tätig ist, und es ist eine Selbstbetätigung, die zugleich wahrgenom­men wird." (GA-04, S. 256)

Erlebt werden kann das Denken mit hinreichender Mühe und Aufmerk­samkeit eigentlich im­mer - aber gesehen wird es nur, wenn man das Er­lebte auf die richtigen Begriffe bringt und unterschei­den kann.

Nehmen wir ein Beispiel: Ein philosophischer Laie weiß gewöhnlich nicht sehr genau was Begriff­e sind, obwohl er den Ausdruck Begriff si­cherlich häufiger gebraucht. Vielfach wer­den Begriffe deswegen auch mit Worten verwechselt, obwohl sie vom Wesen her etwas ganz ander­es sind. All­mählich erst, in dem Maße, wie er sich gedanklich mit den Ei­genschaften von Begriffen befaßt, bekommt er einen Eindruck davon, was sie eigentlich sind und was sie etwa von sprachlichen Ge­bilden un­terscheidet. In dem Umfang, wie ihm das begrifflich klar wird, beginnt er jene Eigenarten oder Wesensmerkmale des Denkens zu sehen, die man als Begriff bezeichnet, ungeachtet dessen, daß er sie natürlich im­mer schon hatte und mit ihnen hantierte. Er wußte nur nichts von ihnen. Wer sich mit grundlegenden Fragen der Denk-Be­obachtung be­ziehungsweise des Sehens des Denkens auf einer ganz pragmatischen Ebene auseinanders­etzen will, dem sei das oben erwähnte Buch von Renatus Zieg­ler wärmstens empfohlen. Zieg­ler be­handelt zwar über Strecken hin Pro­bleme der Mathematik und reinen Logik, doch die Art sei­nes Vorge­hens macht auch dem Laien in paradig­matischer Form ver­ständlich wor­um es geht.

Dieser Prozeß des Sehenlernens des Denkens ist in etwa vergleichbar mit jenem, der sich ab­spielt, wenn wir uns das Bild eines großen Malers er­schließen. Wenn wir nicht gerade Fachleut­e der Äs­thetik sind, werden wir häufig auch nicht allzuviel entdecken, was über die trivia­le Wahr­nehmung hinausgeht. Sobald wir jedoch beginnen uns in Kunstepochen, Stilrich­tungen und künstlerische Ausdrucksmittel zu vertiefen, wird das Bild zunehmend reicher, ob­wohl es materialiter nichts an­deres enthält, als wir beim ersten Mal schon gesehen haben. Für das Denken gilt nichts ande­res: mit der Einsicht in seine Gebilde wächst scheinbar sein Gehalt an Ei­genschaften, der gleichwohl immer schon da war. Seine in­nere Dif­ferenzierung nimmt dann für den Betrachter zu, so wie eine nur sche­menhaft sichtbare Gestalt allmählich deutli­chere und gegliedertere For­men an­nimmt, wenn wir uns ihr nähern. Nur spielt sich eben beim Den­ken alles auf der gedanklich-begrifflichen Ebene ab, während es in der Male­rei auch um sinn­lich Wahrnehmbares geht. Hinzu kommt, daß wir mit dem Prozeß des Den­kens aufs In­nigste verbunden sind, und da­her unsere Be­obachtungen prinzipiell immer an den Tatsachen prüfen und gegebenen­falls korrigieren können. Mit weit größe­rer Sicherheit als die Interpreta­tion ei­nes Kunstwerkes, die stets hypothetische Reste ent­hält, weil wir hierbei im­mer auf Au­ßeninformationen angewiesen sind, deren Status fraglich sein kann.

Die Einsicht in einen charakteristischen Aspekt des Denkens ist somit ein geistiges Analogon zu einem herkömmlichen Wahrnehmungsvor­gang und geschieht auf dem Wege der Intuition. Was gegenüber sinnli­chen Gegenständen deren Wahrnehmung ist, ist gegenüber dem Denken Ein­sicht. Auf keinem anderen Wege als auf dem der Intuition kann uns eine Einsicht zuteil werden - das Denken als Beobachtungs- und Er­kenntnisgegenstand macht davon keine Aus­nahme. Die Selbster­klärung des Den­kens geschieht also dadurch, daß wir ihm gegenüber die entspre­chenden Intuitio­nen ausbilden. Es wird folglich mittels Intuitionen gese­hen, ange­schaut, betrachtet oder wahrge­nommen. Erst vor diesem Hin­tergrund be­kommt die Wen­dung, daß das Denken vom Denken gese­hen oder ange­schaut werde, einen plausiblen Sinn. Die be­sondere Art, das Denken in dieser Weise zu beobachten oder anzuschauen, nennt Stei­ner intuit­ives Denken. Das intuitive Denken ist sowohl die Methode, das Denken zu beobach­ten, wie auch die Idee der Freiheit - zumindest ist es diejeni­ge, auf die er sich in der Philoso­phie der Freiheit explizit beruft.

Im Zusatz von 1918 auf S. 255 ff der Philosophie der Freiheit macht ihr Verfasser eine Angab­e über die Forschungsmethode, welche diesem Bu­che zugrunde liegt, und bezeichnet sie als "intuiti­ves Denken" : "Die Dar­stellung dieses Buches ist aufgebaut auf dem rein geistig erleb­baren intuiti­ven Denken, durch das eine jegliche Wahrnehmung in die Wirk­lichkeit er­kennend hineinge­stellt wird." Das intuitive Denken hat es Stei­ners Charakterisierung zufolge primär mit Wahrneh­mungen zu tun. Man beachte auch, daß hier von "einer jeglichen Wahr­nehmung" ge­sprochen wird. Dem­nach geht es sowohl um sinnliche, wie seelische und geisti­ge Wahrneh­mungen. Es gibt keinen Wahrnehmungsbereich, den dieses Den­ken exclusiv für sich reserviert hätte - etwa nur den geis­tig-ideellen - son­dern es operiert bereichsübergrei­fend. All diese sinn­lichen, seeli­schen und geistigen Wahrnehmungen werden "in die Wirk­lichkeit erken­nend hin­eingestellt", das heißt sie werden so­wohl im Hin­blick auf ihr Wesen oder Was untersucht, aber auch in ihrer Beziehung zueinander und zur Gesamtwirklichkeit. Im Aus­druck des Hineinstel­lens schwingt mit, daß es sich hierbei um einen produktiv-schöpferi­schen Vorgang handelt, durch den der Wirklichkeit etwas gegeben oder hinzugefügt wird. Exem­plarisch sichtbar wird dieser gedankliche Um­gang mit Fra­gen der Wahr­nehmung vor al­lem in den Kapiteln III bis VIII der Schrift, die sich sehr ausgedehnt dieser Thema­tik wid­men.

Insgesamt läßt sich sagen, daß der Aktionsbereich des intuitiven Den­kens entsprechend der Stei­nerschen Kennzeichnung ein sehr weiter ist. Diese Weite kommt auch zum Ausdruck wenn er auf S. 143 dafür alter­nativ die Wendung "intuitiv-denkerische Durchdringung des Daseins" gebraucht. So gesehen scheint dieses Denken also gar nichts Außerge­wöhnliches zu sein, son­dern bedeutet in genereller Hinsicht, sich rein ge­danklich mit dem Dasein auseinan­derzusetzen, um dieses Dasein zu er­kennen. Damit deckt es sich als Methode der Philosophie der Freiheit in bemerkenswer­tem Umfang mit der Methode einer rein gedanklich operierend­en klassi­schen Philosophie, wie es die thematische Entfaltung der Philosophie der Freiheit ja auch zeigt und wie Steiner selbst ausdrück­lich an anderer Stel­le hervorhebt: "Wer diese mei­ne früheren Schrif­ten [«Wahrheit und Wissen­schaft» und «Philosophie der Freiheit», MM] aber unbefan­gen liest, wird bemerken können, daß die in ihnen entwi­ckelten Ergebnisse durch rein philoso­phische Forschung gewon­nen sind, und daß deshalb die Zu­stimmung zu dem in ihnen geltend Ge­machten nicht abhängig ist von der Stel­lung, die jemand zu der von mir vertrete­nen «Geis­teswissenschaft» einnimmt. Ich habe mich be­wußt in jenen Büchern der Denkmittel und der Methodik allein bedient, die man ge­wöhnt ist, in philosophischen Arbei­ten zu finden." (Die Geisteswissen­schaft als Anthroposophie und die zeitge­nössische Er­kenntnistheorie. Persönl­ich-Unpersönliches (1917). In: GA-35, 1984, S. 319). Soweit das in­tuitive Denken der Philoso­phie der Freiheit als Methode zugrunde liegt ist es folglich iden­tisch mit den "Denkmitteln" und der "Metho­dik", "die man gewöhnt ist, in philosophi­schen Arbei­ten zu finden".

Es deckt sich aber nicht nur mit dem philosophischen Denken im spezi­ellen, sondern über­haupt mit jenem Denken, das zu einer gegebenen Wahr­nehmung den Begriff findet oder wahr­nimmt, der dann in der Syn­these mit der Wahrnehmung zur Erkenntnis des Wahrnehmungsgeg­enstandes, der Vereinigung von Wahrnehmung und Begriff führt. Jenem Denken, das zu jeder Wahrnehmung das zu ihr gehörige ideelle Gegen­stück auf dem Wege der Intuiti­on geistig wahrnimmt. Darauf deutet Stei­ner hin wenn er oben sagt, durch das intuitive Den­ken werde "eine jegli­che Wahrnehmung in die Wirklichkeit erkennend hineingestellt". Und dann den Gedanken (Philosophie der Freiheit, S. 255) fortführt: "Und es [das intuitive Den­ken, MM] fordert, daß es im Erkenntnisvor­gang als in sich ruhendes Erlebnis nicht verleug­net werde. Daß ihm die Fähigkeit nicht abgesprochen werde, zusammen mit der Wahrneh­mung die Wirk­lichkeit zu erleben, statt diese erst zu suchen in einer außerhalb dieses Erle­bens lie­genden, zu erschließenden Welt, der gegenüber die mensch­liche Denk­betätigung nur ein Sub­jektives sei."

Zusammenfassend formuliert: Das intuitive Denken ist eben jenes, von dem in den erkenntnistheo­retischen Schriften Steiners im Zusammen­hang mit der Erläuterung des Erkenntnis­prozesses die Rede ist, und von dem dort gesagt wird, es nehme den Ideengehalt der Welt wahr. Über dieses Denken verfügt jeder normal organisierte Mensch und übt es be­reits aus, wenn er ver­sucht den Ideengehalt der Welt zu erfassen, und zwar schon dann wenn er zu ei­ner herkömmli­chen sinnli­chen Wahrneh­mung den Be­griff sucht und findet. Denn auch der gehört selbstver­ständlich zum Ide­engehalt der Welt, wie Steiner in seinen philo­sophischen Schriften eindringl­ich versucht klar­zumachen. So daß viel­leicht die grundlegendste Eigen­schaft, die man dem in­tuitiven Denken bei­legen kann, lautet: Es ist jenes Denken, das auf dem Wege von Intuitio­nen den Ideengehalt der Welt wahrnimmt.

Die wohl elementarste und häufigste Frage, die sich das intuitive Den­ken stellen kann lautet daher: Was ist das? Es versucht dann vielleicht zu ei­ner gegebenen Wahrnehmung den zugehör­igen Be­griff zu finden, den es dann aus der ideellen Sphäre schöpft und mit der Wahrneh­mung zur Er­kenntnis des Wahrnehmungsgegenstandes vereinigt. Das intuitive Den­ken kann sich daneben im einzelnen auch mit ausgesprochen erkenntnis­theoretischen oder erkenntni­sphänomenologischen Fragen be­fassen - etwa: Wie erkennen wir? Was ist eine Wahrneh­mung? Welche Typen von Wahrnehmung gibt es? Aber auch mit solchen, die man eher zur Psy­chologie zählen würde - in­dem es etwa das Verhältnis von Den­ken, Füh­len und Wollen un­tersucht oder die nähere Natur oder Eigen­schaften die­ser speziellen Wahrnehmungen. Ein ganz besonderer Fall von Wahr­nehmung, dem sich das intuitive Denken erkennend zuwenden kann, ist die Wahrnehmung des Denkens selbst. Es kann sich schließ­lich auch, wie die Pro­grammatik der Steinerschen Schrift andeutet, ei­ner ein­zelnen Idee widmen und sie beobach­ten, bezie­hungsweise sich mit der Wahr­nehmung die­ser Idee auseinandersetzen. In diesem speziellen Fall lautet die Frage: Freiheit - was ist das? Be­trachtet man die Philoso­phie der Frei­heit, wie ich es oben und in Anmerkung 107b angedeutet habe, als den Versuch, die Idee der Freiheit zu beobachten, dann heißt dies: Das intui­tive Denken ist die Methode, mittels de­rer Steiner die Idee der Frei­heit nach eigenen Angaben beobachtet hat. Etwas gemeinver­ständlicher formul­iert: Er hat sich dieser Aufgabe zugewandt, indem er über die da­für rele­vanten Bereiche des Daseins gründlich nachge­dacht hat, ganz speziell und ausdrücklich auch über die Erlebnis­se, die man am Denken selbst ha­ben kann - soviel sagt uns sein obiger Me­thodenhinweis. Für die Erleb­nisse am Denken selbst, wie wir sie an Zieg­lers Bei­spiel oben muster­haft aufgezeigt ha­ben, verwendet Steiner auch den Ausdruck intuiti­ves Denk-Erleben.

Nun schließt die Beobachtung der Freiheitsidee notwendigerweise eine Beobachtung des Den­kens ein, denn ohne eine zumindest grundlegende Erkenntnis des Denkens ist nach Stei­ner auch keine Einsicht in die Idee der Freiheit möglich. Das heißt, wenn wir uns an den ausges­prochenen Wahr­nehmungsbezug des intuitiven Denkens erinnern: Die wirklichkeitsgemäß­e Wahrnehmung der Freiheitsidee setzt die Wahrnehmung oder Beobach­tung des Denkens vor­aus. Es kommt infolge­dessen sehr viel dar­auf an, wie man das Denken wahrnimmt oder beob­achtet. In der Vorrede von 1918 macht er auf diesen Umstand aufmerk­sam, wenn er (S. 7) dar­auf hinweist, daß die Lösung der Freiheitsfrage abhängig sei von der Lö­sung der Erkenntnis­frage. Im ähnlichen Sinne ein Zu­satz von 1918 auf S. 203 f, und gegen Ende der Schrift auf S. 253 f dann wie eine Spiegelung der Vorrede noch einmal der eindringl­iche Hinweis, daß die Freiheit des Handelns auf der Freiheit des intuitiven Denkens ba­siert: "Im zweiten Teile dieses Buches wurde versucht, eine Begrün­dung da­für zu geben, daß die Freiheit in der Wirklichkeit des menschli­chen Han­delns zu finden ist. Dazu war not­wendig, aus dem Gesamtge­biete des menschlichen Han­delns diejenigen Teile auszuson­dern, de­nen ge­genüber bei unbefangener Selbstbeobachtung von Freiheit gespro­chen werden kann. Es sind dieje­nigen Handlungen, die sich als Verwirkli­chungen ide­eller Intuitionen darstellen. An­dere Handlungen wird kein unbe­fangenes Betrachten als freie ansprechen. Aber der Mensch wird eben bei unbe­fangener Selbst­beobachtung sich für veranlagt halten müs­sen zum Fort­schreiten auf der Bahn nach ethischen Intuitionen und de­ren Verwirkli­chung. Diese unbef­angene Beobachtung des ethischen Wesens des Men­schen kann aber für sich keine letz­te Entscheidung über die Freiheit brin­gen. Denn wäre das intuitive Denken selbst aus irgend­einer andern We­senheit entspringend, wäre seine Wesenheit nicht eine auf sich selbst ruhend­e, so erwiese sich das aus dem Ethischen flie­ßende Freiheitsbe­wußtsein als ein Scheingebil­de. Aber der zweite Teil dieses Buches fin­det sei­ne na­turgemäße Stütze in dem ersten. Dieser stellt das intuitive Denken als erlebte innere Geistbe­tätigung des Men­schen hin. Diese Wesenh­eit des Denkens erlebend verstehen, kommt aber der Er­kenntnis von der Freiheit des in­tuitiven Denkens gleich. Und weiß man, daß dieses Den­ken frei ist, dann sieht man auch den Umkreis des Wol­lens, dem die Freiheit zuzusprechen ist. Den han­delnden Men­schen wird für frei halten derjenige, welcher dem intuitiven Denkerle­ben eine in sich ruhende We­senheit auf Grund der in­neren Erfahrung zuschreiben darf. Wer solches nicht vermag, der wird wohl kei­nen ir­gendwie unan­fechtbaren Weg zur Annahme der Freiheit finden können. "

Die in der Schrift vorhandenen Passagen zum Thema Erkenntnis und Denken gehören damit, wie in ihrer Vorrede bereits angedeutet ist, zum unentbehrlichen sachlichen Umkreis des Freiheitsge­dankens, obwohl die Philosophie der Freiheit im eigentlichen Sinne keine Erkenntnis­theorie ist, sondern eben eine Freiheitsphilosophie. Aber als solche muß sie sich zu Erkenntnisf­ragen äußern, denn bevor man sagen kann, ob und unter welchen Umständen der Mensch frei ist, sind Fragen der Art zu klären: Was ist Erkenntnis? Gibt es ein sicheres Fundam­ent der Erkenntnis? Wie erkennt man das Denken? Der gelegentlich aufkei­menden Dis­kussion dar­über, ob die Philosophie der Freiheit eine Er­kenntnistheorie sei oder nicht, läßt sich also mit einem "Nein - aber" be­gegnen. Sie ist eigentlich keine, - keine bloße Theorie, sondern alles an­dere als das. Ihr Untersuchungsgegen­stand er­fordert wegen der vorhan­denen Abhängig­keitsbeziehungen, daß sie zu diesen Fragen empi­risch Stellung be­zieht. Ohne die ent­sprechenden empirischen Fundierungen wäre die Freiheitsphi­losophie nicht ausführbar bezie­hungsweise: wäre die Idee der Freiheit nicht angemessen wahr­nehmbar. Dieser Zusammenh­ang er­klärt auch, warum Steiner selbst in seiner 1917 erschie­nenen Schrift Von Seelenrät­seln (GA-21, 1976, S. 62) ausdrücklich auf den er­kenntnistheoretischen Cha­rakter der Philosophie der Freiheit hinweist: "Im Zusammen­hange mei­ner Veröffentlichungen ist meine «Philoso­phie der Freiheit» die er­kenntnistheoretische Grundlegung für die von mir vertrete­ne anthroposo­phisch orientierte Geisteswissen­schaft. Ich habe dies in einem beson­deren Ab­schnitt meines Buches «Die Rätsel der Phi­losophie» dargelegt."

  • Wenn nun Steiner ausdrücklich betont, er habe sich in seinen phi­losophischen Schrif­ten "bewußt ... der Denkmittel und der Me­thodik allein bedient, die man gewöhnt ist, in philo­sophischen Arbei­ten zu finden".

  • Und wenn die Beobachtung der Freiheitsidee explizit auf der Me­thode des intuitiven Den­kens basiert und eine fundamentale Er­kenntnis des Denkens einschließt.

  • Wenn ferner Steiners Methodenauskunft unmißverständlich für die Darstellung der gesam­ten Schrift gilt, dann liegt der Erkennt­nis des Denkens verständlicherweise auch dieselbe Methode zu­grunde - nämlich das intuitive Denken.

  • Und wenn schließlich laut Steiners ausdrücklichem Hinweis im dritten Kapitel der Philoso­phie der Freiheit jeder normal organi­sierte Mensch mit einigem guten Willen in der Lage ist sein Den­ken zu beobachten, dann ist er damit auch prinzipiell imstan­de das intuitiv­e Denken auszuüben, wenn er es nur will.

Das intuitive Denken ist demnach alles andere als irgend ein rätselhaft-mystisches, geistig-seeli­sches Agens, über das man erst im Laufe lang­jähriger esoterischer Schulung verfügt. Es ist also auf gar keinen Fall zu­treffend, was beispielsweise Michael Kirn in seinem Buch Das gro­ße Denk-Ereignis, Dornach 1998, auf S. 40 stellvertretend für manchen an­deren anthroposop­hischen Auto­ren behauptet, wenn er dort sagt, Steiner meine mit dem intuitiven Denken "eine dem einzelnen er­reichbare Geis­teshaltung jenseits der Philosophie." Mit dieser Bemer­kung macht Kirn das intuitive Denken für seinen Leser faktisch unsichtbar. Und was noch är­ger ist: Entsprechend unzugänglich wird für diesen nachfolgend auch all dasjenige, was Stei­ner an freiheitsphilosophischen Überle­gungen an dieses intuitive Denken knüpft, weil ihm der Ver­ständniszugang dorthin blockiert ist. Denn wer keine Vorstellung davon hat was das intui­tive Denken ist, der kann natürlich auch kaum eine davon entwickeln was die Freiheit des intuitiv­en Denkens ist. Und da für Steiner die Freiheit des Handelns in der Freiheit des intuiti­ven Den­kens gründet, wird ihm folg­lich das Anliegen der Philosophie der Freiheit im wesent­lichen ein Buch mit sieben Siegeln bleiben. Ein Leser, der dem Hinweis Kirns und sei­ner Geistesver­wandten folgt, wird das intuitive Denken nicht mehr finden, weil er es jetzt an der falschen Stelle sucht. Was doppelt tragisch für ihn ist, da er nämlich über dieses Denken im Regelfall längst verfügt und es auch ausübt. Im Gegensatz zu Kirns Auffassung stützt sich jede Philoso­phie, die erkennend auf den ideellen Gehalt der Wirklichkeit ab­zielt, auf eben dieses Denken. Denn das intuitive Denken ist als Fähig­keit den ide­ellen Gehalt der Wirklich­keit wahrzuneh­men integraler Be­standteil der Grundausstattung menschlichen Seelenvermö­gens. Es ist das Denk-Ver­fahren zu einer beliebigen Wahrnehmung den Begriff zu finden und ebenso das me­thodische Verfahren, mit dem neben anderen Ideen die Idee der Freiheit beob­achtet respek­tive wahrgenommen oder erkannt wird, wie es die Methode der Selbstbeobach­tung, der Selbster­klärung be­ziehungsweise Selbsterkenntnis oder Selbstwahrnehmung des Den­kens ist.

Wenn also ein Leser für sich das Stadium des intuitiven Denkens mit Si­cherheit erreichen will, dann könnte er das exemplarisch zum Beispiel auf drei Wegen tun, die eng miteinander ver­wandt sind: Erstens könnte er sich einer ungewohnten Wahrnehmung aussetzen, etwa ei­ner solchen, die er in einer Kükelhausausstellung machen kann, und sich fragen, was das je­weils ist, dem er sich da wahrnehmend aussetzt. Zweitens könnte er sich in irgend ein philosophis­ches Problem vertiefen und versuchen es zu lösen - beispielsweise in das Problem, was Kraft, Kausalität oder Güte ihrem Wesen nach sind und zu einem Begriff dieser Entitäten vorzustoß­en. Drittens könnte er sich ein­mal mit der Frage befassen, wo­nach er sich beim Denken richtet und über die entsprechenden Er­fahrungen sei­nes Denkens nachdenken. Damit be­kommt er nicht nur einen Ein­blick in die Natur des intuitiven Denkens, - letzteres ist auch der entscheid­ende Schritt zur Einsicht in die Freiheit des intuitiven Denkens.

Erst wenn man durchschaut hat, daß das intuitive Denken frei ist, sieht man auch den Be­reich, demgegenüber von freien Handlungen gespro­chen werden kann. Die Einsicht in die Freiheit des intuitiven Denkens ist nach Steiner die Vorbedingung zur Einsicht eines freien Wollens über­haupt. Und die Freiheit des intuitiven Denkens wiederum gründet in der Selbstbeobach­tungs- respektive Selbsterklärungsfähigkeit des Den­kens - in der Tasache, daß seine Wesen­heit eine auf sich selbst ruhende ist, sich selbst betrachten und beschreiben kann. Der Um­stand, daß beobachten­des und beobachtetes Denken qualitativ gleichwertig sind, wie im drit­ten Kapitel der Philosophie der Frei­heit betont wird, ist Fun­dament und Ga­rantie für Freiheit überhaupt. Frei ist ein Denken, das sich an durchsich­tigen begrifflich-logischen Zusammenh­ängen orien­tiert und nicht den Notwendigkei­ten der Hirnphysiologie oder einer leiblich-seeli­schen Organis­ation folgen muß.

(Eine Schlüsselaussage Steiners aus dem dritten Kapitel (S. 45) hierzu lautet: "Meine Beobacht­ung ergibt, daß mir für meine Gedankenverbin­dungen nichts vorliegt, nach dem ich mich richte, als der Inhalt meiner Gedanken; nicht nach den materiellen Vorgängen in meinem Ge­hirn rich­te ich mich." Eine philosophische Vertiefung dieses Aspektes der Philo­sophie der Freiheit führt auf die Frage der Beziehung zwischen Lo­gik und Psychologie oder Physiolo­gie, wie sie in der Psycholo­gismusdebatte in der Logik um die Wende vom 19. zum 20. Jh. geführt wurde. Steiner macht in seiner Schrift Von Seelenrätseln [GA-21] 1976, unter ande­rem auf S. 31 f; S. 132 f; einige Bemer­kungen in dieser Rich­tung. Ein ent­scheidender Ge­sichtspunkt hier ist, daß beim denkenden Suchen nach der Wahrheit sich das Wollen an be­grifflich-logischen Bestimmun­gen aus­richtet. Diese kön­nen aber nicht zugleich physiologi­sche Kausalbestimmung­en sein, da sich sonst eine logische Vor­stellungsverknüpfung nicht von einer unlo­gischen oder einer a-logischen re­spektive einer rein as­soziativen unterscheiden ließe. Und fer­ner dann die logischen Ge­setze mit den physiologischen zu­sammenfallen müß­ten, was grund­sätzlich nicht möglich ist. Das Phänomen der Einsicht reicht also weit hinaus über dasjenige, was mit den Gesetzen der Hirnphysiolog­ie zu erfassen ist. Man sieht auch wie sich hier die For­schungsfelder von Anthroposo­phie, Logik, Erkenntnistheorie, Psycholo­gie und Phy­siologie mit äußerst span­nenden und weitreichenden Frage­stellungen begegnen - ein Grund, war­um Steiner in dieser Schrift auf die Möglich­keit einer "wirklich fruchtba­ren Verständi­gung" (S. 32) zwi­schen An­throposophie und An­thropologie hinweist. Letzten Endes ist auch der unter Anmer­kung 107 b erwähnte Roger Penrose mit seiner physikali­schen Problemstell­ung hier an­zusiedeln. Siehe aus nichtanthroposophisch-philosophis­cher Sicht auch: Palàgyi, Mel­chior, Der Streit der Psy­chologisten und Formalisten in der modernen Logik, Leipzig 1902.; So­wie: Moog, Willy, Logik, Psy­chologie und Psychologismus, Halle a. S., 1919; Sowie: Hus­serl, E. , Lo­gische Untersuchungen. Text­kritische Ausgabe von E. Holens­tein. Bd. 1, Prole­gomena zur rei­nen Lo­gik, Den Haag, 1975.

Nachtrag 28.11.03 zu Penrose: Wie sehr sich die Frage des freien Den­kens mit physikali­schen Pro­blemen berührt dürfte offensichtlich sein. Denn der Nachweis des freien Denkens (und Handelns) hat natürlich physikalische Implikationen dahingehend, daß dieses freie Den­kens und Handeln nicht mehr durch Naturkausalität bestimmt sein kann. Das Kau­salitätsprinzip ist an dieser Stelle nicht mehr gültig. Physikalisch ist das von der aller­größten Tragweite, weil da­mit der Energieer­haltungssatz au­ßer Kraft gesetzt wird. Diese phy­sikalische Bedeutung des Den­kens wird auch von Steiner klar gesehen und ausdrücklich hervorgeho­ben. In der Philosop­hie der Freiheit spricht er diesbezüglich (Kap. IX, S. 146 ff) von einer Zurückdrängung der leiblichen Organisation durch das Den­ken. Diese Zurückdrängung ist durchaus auch im Sinne einer physiologisch-physikali­schen Wirksamkeit gemeint. Und auf diese Zurückdrän­gung be­zogen sagt Steiner (GA-78, Dor­nach 1968, Vortrag vom 5.11.1921, S. 143): "Hier ist es, wo wir an der Grenze des Gesetzes von der Er­haltung der Materie und der Kraft stehen. Man muß den Ausdeh­nungsbereich dieses Geset­zes von Mate­rie und Kraft erkennen, da­mit man den Mut fas­sen kann, ihm dann zu widersprechen, wenn es nö­tig ist."

Vor diesem Hintergrund ist der Versuch von Roger Penrose, mittels ei­ner Bewußtseinstheorie die moderne Physik zu revolutionieren, aus an­throposophischer Sicht überaus interessant und konse­quent und sollte weiter beobachtet werden. Denn es sind nicht beliebige Bewußtseinsvorg­änge, die Penrose bei seiner Auffassung geltend macht, sondern vor al­lem die Tätigkeit des Denkens und Er­kennens. )

Daß sich die Einsicht in die Natur des Denkens nur auf dem Wege von Intuitionen ergeben kann, haben wir schon wiederholt erörtert. Mit die­sem Sachverhalt decken sich auch Steiners Angaben hinsichtlich der von ihm angewandten Forschungsmethode des intuitiven Denkens. So­mit läßt sich sagen, daß sein Ausdruck des intuitiven Denkens auf jeden Fall auf das sich selbst betrachtende Denken anzuwenden ist. Das heißt, ein Den­ken, daß sich im Zuge seiner Selbstaufklärung auf sei­ne unmittelba­ren Erfahrungen richtet und sich beobachtet respektive über diese Erfah­rungen nach­denkt, ist notwendigerweise immer auch ein intuitives Den­ken. Sowohl sein Beobachtungsgegens­tand ist in der Form der Intui­tion gege­ben, als auch die Art der Beschäftigung mit ihm. So­wohl sei­ne Ver­laufsform als auch die Art seiner Wahrneh­mung oder Erkennt­nis, bezie­hungsweise seines Erfassens, hat den Charakter der Intuition wie Stei­ner an­merkt: Es ist eine "auf sich ruhende geisti­ge Wesenhaftig­keit. Und von dieser kann er [der Denker] sagen, daß sie ihm durch Intuit­ion im Be­wußtsein gegenwärtig wird. Intuiti­on ist das im rein Geisti­gen verlau­fende bewußte Erleben ei­nes rein geistigen Inhaltes. Nur durch eine In­tuition kann die Wesenheit des Denkens erfaßt wer­den." (PdF, S. 146).

Das intuitive Denken hat Steiners Schilderungen zufolge also einen aus­gesprochenen geisti­gen Wahrnehmungcharakter: - Es nimmt Begriffe und Ideen wahr, und es nimmt sich selber wahr, wie er auf S. 256 her­vorhebt: " ... darf aus dem Gesichtspunkte, der sich bloß aus dem intui­tiv er­lebten Denken ergibt, berechtigt erwartet werden, daß der Mensch au­ßer dem Sinn­lichen auch Geistiges wahrnehmen könne? Dies darf erwart­et werden. Denn, wenn auch ei­nerseits das intuitiv erlebte Denken ein im Menschengeiste sich vollziehender tätiger Vor­gang ist, so ist es anderer­seits zu­gleich eine geistige, ohne sinnliches Organ er­faßte Wahr­nehmung. Es ist eine Wahrnehmung, in der der Wahrneh­mende selbst tä­tig ist, und es ist eine Selbstbe­tätigung, die zugleich wahrgenom­men wird. Im intuitiv erlebten Denken ist der Mensch in eine geistige Welt auch als Wahrnehmen­der versetzt. Was ihm inner­halb dieser Welt als Wahrneh­mung so entgegentritt wie die geistige Welt seines eigenen Denkens, das erkennt der Mensch als geisti­ge Wahrnehmungswelt. Zu dem Denken hätte diese Wahrneh­mungswelt dasselbe Verhältnis wie nach der Sinnen­seite hin die sinn­liche Wahrnehmungsw­elt. Die geis­tige Wahrnehmungs­welt kann dem Menschen, sobald er sie er­lebt, nichts Frem­des sein, weil er im intuitiven Den­ken schon ein Erlebnis hat, das rein geistigen Cha­rakter trägt". (Man beachte allerdings in die­sem Zu­sammenhang auch den Unterschied zwi­schen in­tuitivem Den­ken und in­tuitiv erlebtem Den­ken. Weiteres dazu finden Sie hier. )

Eine Frage, die sich hier aufdrängt, aber an dieser Stelle nicht ausführli­cher behandelt wer­den kann, ist die folgende: Hat dieses Anschauen oder Sehen des Denkens durch das Denken bezie­hungsweise durch beschrei­bende Begriffe nicht bereits den Charakter von Imaginatio­nen? Denn die Beschreibungen des Denkens sind, wie man den von Steiner vielfach dargel­egten Beispielen entnehmen kann, Veranschaulichungen oder Ver­bildlichungen des Denkens, die ei­nerseits selbst der Sphäre des reinen Den­kens angehören, damit auch zum übersinnli­chen, "schauen­den Bewußt­sein" gerechnet werden. Andererseits sind sie von großer Exakt­heit, des­wegen werde ich sie weiter unten mit dem vergleichen, was man in der Wissenschaftsphiloso­phie "Basissätze" nennt. Zudem muß man sa­gen, daß die "anschauende" Er­kenntnis des Den­kens gegen­über der Er­kenntnis durch das reine Denken, bei welcher das rei­ne Den­ken selbst unerkannt bleibt, sachlich eine Steigerung der Erkenntnis­form bezie­hungsweise eine höhere Stufe darstellt. Denn daß der Erkenntnis-Stand­ort von dem aus das reine Denken als "reines Denken" erkannt wird, ein höherer sein muß als der Standort des rei­nen Denkens selbst, scheint ein­leuchtend. Die nächsthöhere Erkenntnisstufe über das reine Den­ken hin­aus bezeich­net Steiner als "imaginative Erkenntnis". Man könnte folg­lich auch sa­gen, daß es sich - ange­sichts ihres veranschauli­chenden Cha­rakters, ange­sichts ihrer Zuge­hörigkeit zum schau­enden Be­wußtsein, an­gesichts auch ihres hohen Grades an Exaktheit und an­gesichts ihres Hinausgeh­ens über das reine Denken - bei den Beschreibun­gen des Den­kens, die wir auf der Grundlage seiner Beob­achtung durch­führen, genau genommen um Imagination­en des Den­kens handelt. Es wäre demnach das, was ich in dieser Arbeit mehrfach als "deskripti­ve Intuition" be­zeichnet habe - die Einsicht in spezifische Eigentümlichkeit­en des Den­kens - als eine, vielleicht noch elementare, Form der imagi­nativen Er­kenntnis zu be­zeichnen. (Auf das erkennende Erfassen des Denkens durch Imagination gibt Steiner einige Hinweise in ei­nem Vor­trag vom 3. Septem­ber 1921 in Stuttgart. GA-78, Dornach 1968, S. 110 ff)   107d

Der Gedankengang des letzten Absatzes scheint mir nicht nur sachlich stringent - er deckt sich auch mit dem, was Steiner anläßlich einer Erör­terung des etwas problematischen Ver­hältnisses Denken über das Den­ken und Anschauung des Denkens sagt. Danach wird aus dem Den­ken über das Denken in der Tat etwas, das oberhalb des Denkens anzusie­deln ist. Vor die­sem Hin­tergrund ist auch erklärlich, warum Steiner ein­mal im Denken über das Denken das erkenntnis­theoretische Mittel ers­ter Wahl sieht (Wahrheit und Wissenschaft GA-03, 1980, am Ende von Kapitel III, S. 48), und sich auch wiederholt explizit im dritten Ka­pitel der Philosop­hie der Freiheit darauf stützt, während er es an ande­rer Stelle aus­drücklich abzulehn­en scheint, wie etwa in GA-322, 1981, S. 50, Vortr. v. 30.09.1920.

Der Grund für diese scheinbare Ablehnung des Denkens über das Den­ken als Erkenntnismit­tel des Denkens liegt darin, daß aus dem das Den­ken betrachtenden Denken etwas qualitativ ande­res wird als bloßes Den­ken, und von diesem Gesichtspunkt aus gesehen ist es eben kein Den­ken über das Denken mehr, das einer Beobachtung des Denkens methodisch zugrunde liegt.

Der hier problematisierte Sachverhalt des Denkens über das Denken wird von Steiner relativ aus­führlich in Berlin am 28. Februar 1918 über weite Strecken eines Vortrags hin erläutert. (GA-67, Dornach 1962, S. 68 ff) . Steiner erklärt dort etwa (S. 82 f) "Es handelt sich dabei ... dar­um, daß der Mensch das, was sonst bloß kombinierendes Denken ist, wie es dem zugrun­de liegt, was man heute oftmals allein «Wissen­schaft» nennt, zum innerlichen Denkleben er­weckt. Dann ist das Den­ken ein Le­ben im Ge­danken. Dann kann man auch nicht mehr über das Denken denken, son­dern dann verwandelt es sich überhaupt in etwas an­deres. Dann verwand­elt sich das Denken über das Denken in eine geisti­ge An­schauung des Denkens, dann hat man das Denken so vor sich, wie man sonst äußere Sinnesobjekte vor sich hat, nur daß man die­se vor Au­gen und Ohren hat, während man das Denken vor der von geistiger An­schauung erfüll­ten Seele hat."

Und weiter unten (S. 83 f): "Goethe wußte, daß, wenn man über das Den­ken denken will, man ei­gentlich ungefähr in derselben Lage ist, wie wenn man das Malen malen wollte. Man könnte sich ja denken, daß je­mand das Malen malen will, daß er es sogar tut. Aber dann wird man sich wohl sagen, daß über das, was das eigentliche Malen ist, hinausge­gangen wird. Ebenso muß über das Denken hinausgegangen werden, wenn es gegen­ständlich werden soll."

Wie aber wird das Denken gegenständlich? Wie gewinnt es für seinen Erkenner Konturen, Formen und Gestalt? Ich schätze in einer analogen Weise wie dem operierten Blindgebore­nen die visuelle Welt aus einem zusammenhanglosen Chaos von Farbflächen allmählich gegen­ständlich wird, und sich aus dem verwirrenden Tumult visueller Eindrücke zuneh­mend stabile und intellektuell hand­habbare Formen und Gestalten her­ausschälen und heranreifen. Das heißt: Der Denker muß sich mit sei­nen Denkerlebnissen in analoger Weise gedanklich auseinanders­etzen und sie ordnen, ver­tiefen usf, wie der operierte Blindgeborene sich mit sei­ner neugewon­nenen Welt der rein visuellen Erfahrungen auseinander­setzen muß, damit aus die­sen reinen Wahrnehmungen Anschauun­gen und Ge­genstände werden, in denen er sich auch zurechtfindet. Das ist ein sehr subtiler und facettenrei­cher Vorgang. Der Anschauung des Denkens - so meine ich - liegt folglich zugrunde eine hinrei­chende Er­lebnisgrundlage des Denkens, die nicht nur bloße Erfahrung des fakti­schen Denkens ist, sondern eine vielfältig ge­danklich durchdrungene und nach zahlreichen Dimensionen hin geglie­derte und begriffene Er­fahrung des Denkens. So wie etwa beim Biologen die Anschauung von Bäumen und Kräu­tern we­sentlich mehr ist als bloße Erfahrung von ih­nen.

Man könnte folgendes zusammenfassen: Will man das faktische Den­ken erkennen, dann muß man zunächst auch zu einem wirklichen Erle­ben des Denkens kommen. Was man aber dann vollbringt, indem man seine Denkfähigkeit auf das dergestalt erlebte Denken richtet und ver­sucht es zu erken­nen, ist im erkenntnispsychologischen Sinne schon kein Den­ken mehr, son­dern etwas, das über das Denken hinausgeht - eine höhere Er­kenntnisstufe als die des reinen Denkens. Die ist al­lerdings - wenn ich mich so ausdrücken darf - mit dem reinen Denken art­verwandt. Und die­se An­schauungen des Denkens sind im eigentlichen Sinne schon Imaginatio­nen. Denn, wie Steiner im selben Vor­trag (S. 92) erklärt: "Das Geis­tige kann nur bildhaft ge­schaut werden."

Der erkenntnistheoretische Ausgangsstandort einer Erkenntnis des Den­kens ist nun allerdings in hohem Maße ein analytisch-explikativer, der auf grundlegende Begriffe geht und sie klärt und durchleuchtet. In Wahr­heit und Wissenschaft (GA-03, 1980), dem "Vorspiel" zu seiner Philoso­phie der Freiheit, erhebt Steiner am Ende von Kapitel III, (S. 48) das Denken über das Denken nachgerade zum methodischen Nonplusul­tra der Erkenntnistheorie: "Die Erkenntnis­theorie kann aber nur eine kri­tische Wissenschaft sein. Ihr Objekt ist ja ein eminent subjekti­ves Tun des Men­schen: das Erkennen, und was sie darlegen will, ist die Gesetz­mäßigkeit des Er­kennens. Von dieser Wissenschaft muß also alle Naivi­tät aus­geschlossen sein. Sie muß ge­rade darinnen ihre Stärke se­hen, daß sie das­jenige vollzieht, von dem sich viele aufs Prakti­sche ge­richtete Geister rühmen, es nie getan zu haben, nämlich das «Denken über das Den­ken»." Was den Charakter dieses Denkens über das Den­ken angeht, so mag viel­leicht als ge­wisse Orientie­rungshilfe dienen, was Steiner über das metho­dische Verfahren bei der Suche nach dem vor­aussetzungslosen Aus­gangspunkt der Er­kenntnistheorie in derselben Schrift am Ende von Ka­pitel II ausführt, wonach diese in einer "rein di­daktischen Verständi­gung über den Anfang ei­ner Wissenschaft" beste­he, die in "rein selbstver­ständlichen analyti­schen Sät­zen" zu verlaufen habe. Und um die Klä­rung von Grundsatzpositionen geht es, wenn auch in sehr anderer Art, vielfach im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit. Des­wegen läßt sich hier, im engeren erkentnistheoretischen Umfeld bei der Klärung von Grund­satzfragen und -positionen, auch am ehesten von einem Denken über das Denken sprechen. Aber aus diesem analytisch-explikati­ven Denken der Erkenntnistheorie wird in dem Maße ein anschau­endes Den­ken, wie es sich dem erlebten Denken zu­wendet. Was sich schon in Wahrheit und Wis­senschaft anbahnt, be­sonders aber im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit abzeichnet, wenn Steiner dort, und zwar in durchaus synony­mer Weise, nicht nur von einem Denken über das Den­ken, sondern auch einer Beobachtung oder Betrachtung des Denkens spricht. Und was man be­trachtet - so viel ist schon dem allgemeinen Sprachge­brauch zu entneh­men - das schaut man auch an. Ob und wie weit Steiner selbst erst im Laufe der Jahre nach Erstausgabe der Philoso­phie der Frei­heit zu einer genaueren, er­kenntnispsychologischen Klä­rung des Ver­hältnisses Den­ken über das Denken und Anschauung des Den­kens kam, wäre eine interessant­e Fra­ge, kann hier aber nicht weiter thematisiert werden.

Dem normalen, bloß kombinierenden, Denken der Wissenschaft liegt ein naiver Gebrauch des Denkens zugrunde. Und zwar im doppelten Sinne naiv: Den Wissenschaftler interessiert ja nicht das Denken, son­dern das Thema, worauf es sich richtet. Und in aller Regel ist er auch von erkennt­niskritischen Fragen relativ unberührt. So daß er weder über das Denken, noch über erkenntniskrit­ische Problemstellungen allzu viel weiß. In einer vergleichbaren, wenn auch erkennt­niskritisch aufgeklärte­ren Lage, sind im Grundsatz auch Erkenntnistheore­tiker, die - obgleich in erkenntnis­theoretischen Kontexten - ebenfalls einen ganz naiven Ge­brauch vom Denken pflegen, und letzt­lich nur dieses kombinierende Denken - diesmal auf alle mög­lichen erkenntniskritischen Grundla­genfragen von Wissenschaft und Erkenntnis - anwenden. Selbst dann, wenn sie dabei über das Denken denken. Sie kommen hinsichtlich des Den­kens über die­se naive Verwendungsstufe wenig oder gar nicht hinaus und las­sen sich vorrangig von der lo­gischen Struktur gewisser Problemstell­ungen leiten. Sie treiben zwar Erkenntniskrit­ik, aber das Mittel, mit dem sie sie betreiben, verwen­den sie selbst wiederum auf eine naive Weise derge­stalt, daß sie es kaum wirklich kennen. Es ist gewisserma­ßen eine Nai­vität zweiten Grades. In bezug auf das Denken liefert also die Erkenntnist­heorie - wenn sie denn überhaupt bis dahin gelangt - im we­sentlichen Vorüberlegun­gen aber noch kaum Er­kenntnis des Denkens im enge­ren und eigentlichen Sinne. Man könnte - von Steiner viel­leicht ein­mal abge­sehen - wahr­scheinlich jede beliebige Erkenntnistheorie auf die­se Sachla­ge hin durchsehen. Nicht so sehr im umfassenderen erkennt­niswissenschaftlichen Zusa­menhang, aber am Beispiel einer isoliert­en Fra­gestellung läßt sich das exemplarisch studieren bei Pop­per wenn er im Buch Das Ich und sein Gehirn, München 1982 dem Materia­lismus (S. 105 ff) zwar ein sehr schlagkräftiges Selbstwiderlegungsargu­ment entge­genhält, aber über das Den­ken selbst - verkür­zend gesagt - zu kaum einer brauch­baren Aussage kommt. (Ähnlich in Karl R. Pop­per, Objekti­ve Erkenntn­is, Hamburg 1984, S. 232 ff) So spricht er von Argument­en und Grün­den. Er ist vorran­gig am formalen Ein­wand und logi­schen Wi­dersprüchen orien­tiert, aber das faktische Den­ken in­teressiert ihn in die­sem Zu­sammenhang fast nicht. Er wür­de es als Gegenstand des Er­kennens frag­los an die Denkpsycho­logie delegieren. (Siehe hierzu auch Pop­pers Lo­gik der For­schung, 8. Aufl, Tübingen 1984, Kapitel I., Grundpro­bleme der Erkenntnislogik, S. 3 ff) Aus dem Blick­winkel der Erkenntnis­theorie sogar mit einem gewiss­en Recht. Denn am Ausgangs­punkt ei­ner Erkenntnistheor­ie dürfen noch keine em­pirisch ge­haltvollen Sachaussa­gen beigezogen werden, weil ja alles Em­pirische problema­tisch ist. Also im Prinzip auch das Denken. Die Wis­senschaft - auch die des Denkens - fin­det in der Er­kenntnistheorie ja erst ihre allgemeine Be­gründung, deswe­gen kann die Erkenntnistheorie selbst noch keine empi­rische Wissen­schaft des Den­kens im enge­ren Sinne sein, sondern bes­tenfalls eine Vor­stufe dorthin. (Siehe hierzu etwa Rudolf Eisler, Ein­führung in die Erkenntn­istheorie 2. Aufl. Leipzig 1925, S. 1 ff) Das wirkt in ihrer zu­gespitzten Form manch­mal wie eine etwas paradoxe Forde­rung der Er­kenntnistheorie; aber selbst Steiner hält sich wie eben gezeigt in Wahr­heit und Wissenschaft zumindeDaVeiga

st programmat­isch daran, wenn er am Ende von Kapitel 2 sagt, daß die Er­kenntnistheorie in einer "rein didak­tischen Verständigung über den An­fang einer Wissenschaft" beste­he, die in "rein selbstver­ständlichen ana­lytischen Sät­zen" zu verlaufen habe. In­teressant ist aller­dings in diesem Zusam­menhang auch, daß er in den Vorbemer­kungen zu dieser Schrift (S. 25), die Forderung nach Vorauss­etzungslosigkeit mit der hintersinni­gen Bemerkung versieht: "... so­weit das bei der Na­tur des menschlichen Er­kenntnisvermögens möglich ist...".

Also könnte man sagen: Das Denken über das Denken findet in Form ei­nes weitgehend naiv getä­tigten, weil unbekannten, Denkens am ehes­ten auf dieser Ebene rein selbstverständlicher analyti­scher Sätze über den Anfang einer Wissenschaft statt. Und soweit dort das Denken the­matisiert wird, handelt es sich vorzugsweise um Vorüberlegungen hinsicht­lich seiner Erkenntn­is. Rigide trennen zwischen einem Denken über das Den­ken und einer Anschauung des Denkens kann man streng ge­nommen nicht. Denn immer muß ja eine gewisse Erfahrung des Den­kens, und sei sie noch so dürftig, in das Denken über das Denken ein­gang finden, sonst ließe sich darüber höchstens in dem Sinne denken, wie ein Blinder über die farbige Welt denkt. Dann aber wird daraus et­was qualitativ an­deres in dem Maße, wie das Denken sich selbst zum ausdrücklichen em­pirischen Er­kenntnisgegenstand wird. Ich meine dies zeigt sich auch sehr deutlich in der Philosophie der Frei­heit: Spannt man das dritte Kapitel der Philosop­hie der Freiheit zwischen den Mar­ken Denken über das Denken und Anschauung des Denkens auf, so ent­hält es methodisch und sprachlich alle Kennzeichen einer Region des Übergangs vom einen zum andern. Es dürfte eine analoge Über­gangsregion sein, wie sie sich an­fangs im Be­wußtsein desjenigen findet, der sich auf den Weg der Philo­sophie der Freiheit begibt. Denn daß es von diesem geistigen Anschauen des Den­kens alle möglichen qualitati­ven Abstufungen und Reife­grade in Rich­tung Imagination gibt, die auch durch systematische Übungen in Rich­tung der oberhalb der Imagination liegenden Erkenntnisstufen wei­ter ausge­baut werden können und müs­sen, halte ich für selbstverständ­lich. Was bei Steiner augen­fällig fehlt - und darin liegt der Anlaß zahl­reicher Ver­ständnisprobleme -, das ist eine systematis­che und eingehen­de denkpsy­chologische Aufarbeitung des Zwischenbereichs vor dem Eintritt in die eigentlichen höheren Erkennt­nisstufen. Das heißt: der ge­samte Bereich der ge­wöhnlichen Denk­psychologie. Steiner war dieser Mangel übrigens sehr bewußt. Denn eben aus diesem Anlaß äußert er in der Schrift Von Seelenrätseln (GA-21, Dornach 1976, S. 170 f) den Wunsch, in einem psy­chologischen Labo­ratorium arbeiten zu können, um zu zeigen, wie das mensch­liche We­sen zum Schauen veranlagt ist. Genauer spricht er da nicht nur von sich, son­dern von einem jeden, der auf dem anthroposophi­schen Gesichts­punkt steht. So ein Wunsch scheint mir kaum verständlich und überflüs­sig, gesetzt den Fall, in der Philoso­phie der Frei­heit und den an­deren philosophischen Frühschriften wäre bereits alles enthalten, was diese Veranlagung zum Schauen hinreichend de­monstrieren könnte. Sei­ne Anknüpfung an die Psy­chologie macht viel­mehr deutlich, daß die Philo­sophie allein diese Aufgabe kaum be­wältigen kann. Vielleicht wäre von diesem fehlenden Teil mehr als Ru­dimentäres vorhanden, wenn es Stei­ner, wie ursprünglich einmal beab­sichtigt, gelun­gen wäre, eine philosophisch-akademis­che Laufbahn ein­zuschlagen. Die Dinge haben sich an­ders entwickelt, und so bleibt diese Aufga­be seinen Nach­folgern über­lassen.

Damit das alles nicht nur abstrakt im Raum steht vielleicht noch ein prag­matischer Hinweis dazu, wie sich der Leser den Übergang zur An­schauung des Denkens plastisch verdeutlichen kann: Es gab vor einiger Zeit im Spiegel einen sehr bemerkenswerten Artikel über einen ope­rierten Blindge­borenen, der das Sehen neu zu lernen hatte. Wenn man sich diesen Ar­tikel vor­nimmt und sich die Frage vorlegt: Was muß der ope­rierte Blinde tun, damit aus einer bloß vi­suellen Erfahrung eine vi­suelle Anschauung wird? dann erhält man eine gute Ausgangsba­sis, indem man dieses Pro­cedere auf das Denken überträgt und sich fragt: Was muß der Den­ker tun, damit aus einer bloßen Erfah­rung des Denkens eine An­schauung des Denkens wird? - Ich meine nach dem Studium des Arti­kels müßte der aufmerksame Leser im Prinzip in der Lage sein diese Frage für sich selbst zu beant­worten. Vielleicht wird in absehbarer Zeit der Ar­tikel zu diesem Thema auf meiner Homepa­ge er­scheinen, den ich mir schon vor einiger Zeit vorge­nommen hatte. Bislang fehlten mir Gele­genheit und Kraft dies zu tun. Bis es so­weit ist, steht Ihnen als Navigations­hilfe der Fragenkatalog der Vorschau zur Verfügung, an dem Sie sich orientieren können. Wenn Sie die dort aufgelisteten Fra­gestellungen ab­arbeiten, dann müßten Sie eigentlich mit dem Ver­ständnis ziem­lich ge­nau dort an­kommen, wo Sie hin wollen.

  • Siehe: Der sehende Blinde, in, Der Spiegel, Nr. 47, 18.11.2002 S. 190 ff. (Wieder abge­druckt unter dem Titel: Wie ein Blinder ver­suchte, das Sehen zu lernen, in: SPIE­GEL spe­cial 4/2003, S. 140 ff)

  • Siehe zu diesem Thema auch meinen kritischen Briefwechsel mit Lutz Baar. Vor al­lem den Brief v. 02.12.02 )

Bei der Diskussion Peter Schneiders habe ich schon die These vertreten, daß Steiners Aus­druck der "unmittelbaren Anschauung" des Denkens nicht im zeitlichen Sinne zu verstehen ist, sondern im methodischen. Vor allem auch Steiners Hinweis: "Ein richtiges Verständnis dieser Beobach­tung kommt zu der Einsicht, daß das Denken als eine in sich be­schlossene Wesenheit unmittelbar angeschaut werden kann. Wer nötig findet, zur Erklärung des Den­kens als solchem etwas anderes herbeizu­ziehen, wie etwa physische Gehirnvorgänge, oder hinter dem beobach­teten bewußten Denken liegende unbewußte geistige Vorgänge, der ver­kennt, was ihm die un­befangene Beobach­tung des Denkens gibt." (GA-4, S. 145), stützt die­sen Ge­sichtspunkt. Die "Beobachtung" oder "Be­trachtung" des Den­kens und seine "unmittel­bare Anschauung" stehen of­fensichtlich für den­selben Sachverhalt. So, wie das Denken nur durch das Denken "unmittel­bar" beobachtet oder betrachtet werden kann, und nicht durch ein zwi­schengeschaltetes, nur mittelbares methodisches Ver­fahren hirnphysiolo­gischer oder neurob­iologischer Art, so kann es auch nur durch das Den­ken "unmittel­bar" angeschaut werden mit Hilfe be­schreibender Be­griffe, die sich ihm durch seine unmittelbare Betrach­tung erge­ben. So gesehen ist die Anschau­ung des Denkens etwa durch hirnphysiologische Begriffe le­diglich eine mittelbare.

Dieses unmittelbare "Anschauen" des Denkens mittels deskriptiver Be­griffe ist auch nicht gleich­zusetzen mit der "intellektuellen Anschau­ung" reiner Begriffe und Ideen". Wir haben auch diesen Punkt bereits oben bei der Diskussion der Schneiderschen Schrift erwähnt. Der Be­griff der "intel­lektuellen Anschauung" steht bei Steiner im engeren Kontext einer philoso­phischen Kritik des Sen­sualismus, und ist Teil sei­ner Strategie, die Grundelemente des Erken­nens in wahrnehmliche und begriffliche und Tätigkeits-An­teile freizulegen. Er kennzeichnet lediglich des Ge­gebensein gewis­ser gedankl­icher Entitäten und heißt soviel wie: mit der Denkform ist zu­gleich der Inhalt des Denkens gege­ben. Steiner bezieht sich dabei in "Wahr­heit und Wissen­schaft" (S. 60) auf das Gegebensein von reinen Begriffen und Ideen, und zwar in dezidierter Abgrenzung zur philoso­phischen Ansicht, das Den­ken könne aus sich selbst heraus zu keinen In­halten kom­men. Er richtet sich hier gegen einen von Kant und seinen zeit­genössischen Ver­tretern unter­stellten Sensualismus, dem er mit sei­nem Hin­weis auf die in­tellektuelle Anschauu­ng begegnet. Es geht also dabei um die Frage: Wo­her kommen die reinen Begriffe und Ideen? Und dazu sagt Steiner: Es sind reine, und nicht sensorisch fundiert­e, Schöp­fungen des Denkens. Steiner stellt hier zwar ein Beobachtungsre­sultat dar, inso­fern seine Einschätz­ung des Charakters von reinen Begriff­en und Ideen auf der Beob­achtung des Denkens basiert, aber er the­matisiert nicht die Methode der Denk-Beobachtung. Es geht nicht um die me­thodische Fra­ge: Wie beob­achten beziehungsweise erkennen wir das Den­ken? Oder : Wie ist uns das Denken in der Beobach­tung gege­ben?

An dieser Stelle sei eine erläuternde Bemerkung eingeflochten zu mei­ner Darstellung des Erinne­rungsproblems, wie ich es im Jahrbuch 97 skiz­ziert habe. 108 Ich schrieb dort unter an­derem (S. 226): "Alles was von Denkakten erinnerbar ist, muß einen Weg über das Denken ge­nommen ha­ben, da es ein weiteres Erkenntnisprinzip nicht gibt. Da­mit bleibt mir auch der Weg verschlossen, auf irgend einem anderen Wege von meiner Denktätigkeit unmittelbar Kenntnis zu erhalten als auf dem Wege des Denkens selbst. Ich muß also, während ich den­ke, mein Den­ken zugleich begriff­lich, das heißt denkend, begleiten und diese Beglei­terfahrung in eine erin­nerbare Form bringen, anders bekäme ich ledig­lich Nachricht von den Den­kinhalten, aber nicht von dem Tun selbst. Da­mit ist eine ab­solut "denkfreie" Erfahrung des Denkens kei­neswegs aus­geschlossen, vielleicht ist sie sogar die Regel, aber die Kompromiß­losigkeit, mit der Rudolf Steiner den "Ausnahmezustand" skizziert, scheint mir etwas über­zeichnet." Was die genannte Denkfreiheit der Denk-Er­fahrung be­trifft, so bin ich mir inzwi­schen in dieser Hinsicht wesent­lich sicherer als sei­nerzeit, weil eine Klä­rung des Steiner­schen Begriffes von Denk-Beobacht­ung damals noch nicht stattgefunden hat­te. In­dessen führt eine solche Klärung auf eben densel­ben Gesichts­punkt der Denk­freiheit der "reinen Erfah­rung" des Denkens.

Was das Wissen um das "Tun" des Denkens und die "Kenntnis um die Denktätigkeit" angeht, so war damit ein beschreibendes Wissen oder Be­obachtungswissen von diesem Tun des Den­kens ge­meint. Weil mir aber der Steinersche Beobachtungsbegriff seinerzeit nicht deutlich war, konn­te ich auch den Unterschied nicht klar erkennen zwischen dem unmittel­baren Wis­sen um das Denkge­schehen und seine inhaltlichen Be­züge und dem Beschreibungs- oder Beobacht­ungswissen - das ist das Wissen um einen Denkbegriff, das sich erst aus einer denken­den Be­trachtung der Denk-Er­fahrung ergibt. Diese Differenzierung hat sich erst aus der Ana­lyse des Beobachtungsbegriffes er­geben. Wir werden das weiter unten noch näher untersu­chen. Von da­her stand ich vor dem Rät­sel, wie Stei­ner, wenn er die aktuelle Beobachtung des Denkens aus­schließt, über­haupt zu einem Be­griff des Denkens kommen könne.

Lorenzo Ravagli spricht (Jb 97, S. 88) von einer "Selbsterinnerung der eigenen Denktätig­keit" und ich meine, darin wäre ihm zuzustimmen, so­weit unter dieser Erinnerung nicht das Bewußt­sein der aktuellen Denktät­igkeit zu verstehen ist, sondern jener Inhalt, auf den sich das beob­achtende Den­ken richtet. Diese Erinnerungen sind insofern mit ei­ner Er­kenntnis ver­bunden, als ich weiß, es sind meine Erinnerungen und ich weiß auch ihren Inhalt anzugeben. Was aber mit dieser Erinnerung nicht gegeben ist, das ist ein Begriff des Denkens. Dieser läßt sich erst er­werben durch betrachten­des Denken über diese oder anhand dieser Er­innerungen oder "Erfah­rungen des Denken", wie Stei­ner es nennt. Das, so glaube ich, ist aus dem bisher Dargelegten deutlich geworden und wird nach­folgend vielleicht noch etwas prägnanter wer­den. Man muß übri­gens dieses Erinnern und Beob­achten sich nicht zu statisch vorstel­len, denn in der Realität laufen die Prozesse sehr dicht beiein­ander, das wird jeder an­hand seiner eigenen Erfahrungen bestätigen. Das eine geht flie­ßend in das andere über, so daß die zeitli­chen Zäsuren zwischen Den­ken, Erinne­rung und Beobachtung kaum auffallen und das "Da­nach" leicht überse­hen wird. Eine labormäßige Beobachtung, wie sie etwa von Büh­ler vorgen­ommen wurde, ist ja eine hochkünstliche wissenschaft­lich-experimentelle Aus­nahmeveranstaltung, die wir im tägli­chen Leben in der Re­gel so nicht gegeben finden.

Ende Kapitel 9.1


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